einzubringen, die wir als ein neues Ausnahmegesetz ansehen. Diese Vorlage ist eine Ergänzung des Bissingschen Korpsbefehls. Es ist nicht bekannt geworden, daß Herr Bissing wegen dieses un⸗ gesetzlichen Korpsbefehls irgendwie zur Rechenschaft gezogen worden ist. (Ruf rechts: Zur Sache! Praͤsident von Kröcher: Ich rufe Sie zum zweiten Male zur Sache und mache Sie auf die geschäfts⸗ ordnungsmäßigen Folgen aufmerksam.) Wenn wir in Rußland lebten, würden wir dieses Gesetz als eine Maßnahme des „verstärkten Schutzes“ bezeichnen können. Wir protestieren gegen dieses Vor— gehen und haben unserseits in der Berliner Stadtverordneten⸗ versammlung den Antrag gestellt, gewisse Zweige der Polizei⸗ verwaltung in Berlin dem Staate abzunehmen und auf die Gemeinde⸗ verwaltung zu übertragen. Bei den Moabiter Krawallen hat sich ge⸗ zeigt, daß bei den polizeilichen Maßnahmen die rechte Hand nicht wußte, was die linke tat. Ein als Zeuge in Moabit vernommener Polizeibeamter erklärte bei seiner Aussage, er könne ja nicht wissen, was sein Kollege aussagen werde. Die Vorlage ist ein in jeder Beziehung zu verdammendes Spezialumsturzgesetz im Sinne des Freiherrn von Zedlitz und zeugt von einem unberechtigten Mißtrauen gegen die Arbeiker. Man will im Ruhrrevier mit Blut und Eisen regieren. (Lachen rechts. Sie lachen darüber, aber denken Sie daran, wie bei dem Bergarbeiterstreik in den achtziger Jahren das Militär bereit stand. . .
Präsident von Kröcher: Ich rufe Sie zum dritten Male zur Sache. Nach § 48 der Geschäftsordnung habe ich das Haus zu befragen, ob Sie noch weiter fortfahren sollen.
Bei der Abstimmung stimmt die Mehrheit, die aus den beiden Parteien der Rechten und dem Zentrum besteht, für die Wortentziehung.
(Abg. Hoffmann: Das Zentrum mit! Erregte Rufe bei den Sozialdemokraten: Unerhört h ⸗ .
Abg. Dr. Liebknecht verläßt die Rednertribüne, indem er mit ausgestrecktem Arm der Mehrheit zuruft: Angenagelt sind Sie!
Abg. Grunenberg (Zentr. legt dagegen Verwahrung ein, daß die Sozialdemokratie jedes Gesetz nur zur Agitation ausnutze⸗ .
Abg. Dr. Mizerski (Pole) erklärt sich mit der Kommissions⸗ beratung einverstanden.
Der Entwurf wird der um 7 Mitglieder zu verstärkenden Gemeindekommission überwiesen.
Darauf wird die zweite Beratung des Staatshaus— haltsetats für 1911 bei dem Etat der Justizverwaltung fortgesetzt.
Bei Titel Ider Einnahmen: „Kosten und Geldstrafen“, 109 245 000 MS, wünscht .
Abg. Witzmann (nl.), dh die Kostenmarken in den Bureaus möglichst viel zur Verwendung kommen.
Abg. Dr. Keil (n.): In dieser Summe befinden sich auch die Einnahmen aus Landesstempeln. Durch die vom Finanzminister er⸗ lassenen Ausführungsbestimmungen haben sich viele Unannehmlichkeiten und Unzuträglichkeiten heraus et Vielleicht setzt sich der Justiz⸗ minister mit dem , zwecks einer Abänderung dieser Be⸗ stimmungen ins Benehmen. Besonders sind die Bestimmungen über die Entwertung der Stempelmarken unpraktisch. Von allen Notar⸗ vereinen sind lebhafte Klagen und Beschwerden laut geworden; sie haben sich auch mit einer Eingabe an das Ministerium gewendet.
Justizminister Dr. Beseler:
Meine Herren! Wegen des Antrags der Notare hinsichtlich der Kassierung der Stempelmarken schweben Verhandlungen mit dem Herrn Finanzminister. (Bravo) Ueber das Ergebnis kann ich
natürlich heute noch nichts mitteilen.
Abg. Dr. Dahlem (Zentr.) bittet den Minister, die noch in Nassau vorhandenen gemeinschaftlichen Ortsgerichte zu beseitigen und den einzelnen Dörfern ein besonderes Ortsgericht zu geben, wie es früher der Fall gewesen sei.
Abg. Waldstein (fortschr. Volksp.) befürwortet eine Herab⸗ setzung des Stempels für beglaubigte Abschriften von 3 1 auf 150 4 und fragt an, wie weit die Verhandlungen betreffs Anrechnung außer⸗ preußischer deutscher Stempel gediehen seien.
Geheimer Oberjustizrat Fritze erklärt, daß die Justizverwaltung an diese Frage bereits herangetreten sei. Mit Sachsen hätten schon Verhandlungen stattgefunden.
Abg. Lieber (ni widerspricht der Anregung des Abg. Waldstein, den Atteststempel auf 1,ů50 M herabzusetzen. Der Ausfall könne nicht dadurch ersetzt werden, daß man die Befreiung der Grundbuch⸗ sachen beseitige, weil gerade die Befreiung für die kleineren und mittleren Landwirte von großer Wichtigkeit sei. Der Bitte des Abg. Dahlem bezüglich der Beseitigung der Gemeinschaft der Ortsgerichte in Nassau stimmt der Redner zu. /
Abg. Bartscher (Zentr.):: Die Einführung der Stempelmarken ist durchaus unpraktisch, nicht nur für die Gerichte, sondern auch für die Notare. Der Stempel für beglaubigte Abschriften muß so schnell wie möglich abgeschafft werden; er ist in dieser Höhe unerträglich.
Abg. Wald stein (fortschr. Volksp.): Daß Grundbuchsachen atteststempelfrei sind, ist ungerechtfertigt. Kleinere Objekte könnten ja freigelassen werden, größere können aber gern mit dem Atteststempel
elegt werden.
Bei dem Titel „Einnahme für Prüfungen der Be— amten sowie Rechnungs gebühren“ klagt
Abg. Faltin (Zentr.) Über die unbillige Härte, die durch die Er⸗ hebung der Prüfungsgebühren herbeigeführt werde. Der Minister habe schon im vorigen Jahre erklärt, daß er dieser Frage nähertreten wolle; im Etat sei aber keine Aenderung eingetreten.
Geheimer Oberjustizrat Fritze: Es ist uns bedenklich er⸗
Bei anderen
Verwaltungen sind Prüfung gebühren überhaupt nicht erhoben worden; infofern liegen die Verhältnisse in der Justizverwaltung anders,. Es hat sich bisher leider kein Weg gefunden, um ohne eine Schädigung der bei der Prüfung beteiligten Beamten die Prüfung von Gebühren zu befreien.
Bei dem Titel „Einnahmen aus der Beschäftigung der Gefangenen“ 6 624 000 4, bemerkt ⸗
Abg. Dr. Bell⸗-Essen (Zentr. :. Für die IYeschãstigung der Ge⸗ fangenen muß in möglichst humaner Weise gesorgt werden. Anderseits läßt sich aber nicht verkennen, daß der Mittelstand insbesondere der Hand⸗ werkerstand, sich in schwer bedrängter Lage befindet. Wenn man die Forderung aufstellt, daß man dem bedrängten Handwerkerstande zu Hilfe kommen muß, so darf man auf der anderen Seite nicht dem schwer be⸗ drängten Handwerkerstande scharfe Konkurrenz machen. Der Redner führt einige Beispiele auf, zu welchem niedrigen Pxeise die Gefängnis⸗ arbeiten zum Schaden des Handwerks vergeben würden. Die Straf⸗ gefangenen könnten sehr gut in der Landwirtschaft verwendet werden.
Geheimer Oberjustizrat Plaschke: Die am 13. . M. abgehaltene Konferenz ist zu folgendem Ergebnis gekommen: 1) Es ist daran fest⸗ zuhalten, daß die Gefängnisarbeit so weit als irgend möglich mit Liefe⸗ rungen an den Staat bedacht wird. 2) Soweit es mit den Interessen eines geordneten Strafvollzugs vereinbar ist, ist die Außenarbeit, insbesondere die Arbeit für Landeskulturen, zu verfolgen und aus— zugestalten. 3) Es ist in. Aussicht zu nehmen, für jede Provinz eine Art Beirat für die Gefängnisverwaltung zu schaffen, bestehend aus je einem Mitgliede der Landwirtschaftskammer, der Handwerks kammer und der Handelskammer. Dieser Ausschuß ist nicht als ein definitiver zu denken, sondern als ein Versuch. Was aus diesem Verfuch herauskommen wird, bin ich heute zu sagen natürlich nicht in der Lage. Die meisten von dem Vorredner vor⸗ gebrachten Klagen sind in der Konferenz auf das ausführlichste er⸗ Ertert worden. Es hat bis jetzt schon die Außenarbeit eine wesent⸗ liche Rolle gespielt. Im Jahre 1999 sind in der Verwaltung des Innern 1113 Gefangene mit Landeskulturarbeiten beschäftigt worden, in der Justizverwaltung im gleichen Jahre über 1400. Die Be⸗ deutung dieser Zahlen speziell ein die Justizverwaltung wird erst dann
schienen, die ,. auf einmal aufzuheben.
klar, wenn Sie berücksichtigen, daß der Prozentsatz der Untersuchungs⸗ gefangenen, die selbstverftändlich zur Außenarbeit nicht herangezogen werden können, in der Justizberwaltung ein ungleich höherer ist als in der Verwaltung det Innern, und wenn Sie herücksichtigen, daß 6h o0½ aller Gefangenen Strafen unter einem Monat zu ver⸗ büßen haben; auch diejenigen Gefangenen, die noch nicht vor⸗ bestraft sind, können nicht gleich zur Außenarbeit herangezogen werden, da sie erst das Leben in der Zelle kennen lernen muͤssen. Die Justizverwaltung will eine Konkurrenz für das freie Gewerbe da⸗
durch vermeiden, daß sie die Löhne möglichst in die Höhe setzt. In
acht Jahren sind die Löhne um 25 Cg gesteigert worden. adurch werden die Unternehmer abgehalten. Wir werden uns freuen, wenn wir mit diesen Mitteln zum Ziele kommen.
Abg. Bois ly (nl.): Die Gefängnisverwaltung kann auf die Be— schäftigung der Gefangenen nicht verzichten, denn in der geregelten Arbeit liegt die beste Erziehung; aber das schließt nicht aus, daß die Konkurrenz für die kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden, welche sehr darüber klagen, nach Möglichkeit vermieden werden muß. Es wird immer wieder darüber geklagt, daß dem freien Gewerbe Arbeiten entzogen und an die Gefängnisse übertragen sind. Es besteht mit Recht das Bestreben, die Gefangenen mit Landeskulturarbeiten zu beschäftigen, aber wer einmal als Richter ein kleines Gefängnis ver⸗ waltet hat, weiß, wie schwer es ist, für die Gefangenen solche Arbeit zu finden. Unsere langen Freiheitsstrafen erschweren die Sache. Wenn wir bei der Reform des Strafgesetzbuches zu kürzeren, aber schwereren Freiheitsstrafen kommen, wird die Zahl der Gefangenen sich verringern. .
Geheimer Oberjustizrat Pla sch ke: Es ist richtig, daß Staatsarbeiten den Privaten abgenommen und auf die Gefängnisse übertragen worden sind. Das ist aber geschehen in Durchführung des anerkannten Prinzips, daß die Gefängnisse wesentlich für den eigenen Bedarf des Staates arbeiten sollen. Wenn die Gefängnisverwaltung nicht selbst in dieser Weise vorgehen würde, würden uns die anderen Verwaltungen sagen können, wir machten ja das selbst nicht, was wir von den anderen Staatsverwaltungen ver— langen. Die Absicht darf aber nicht bestehen, die Preise für diese Arbeiten in Vergleich zu stellen mit den Preisen im freien Gewerbe. Wenn der Staat Arbeiten machen läßt in den Ge⸗ fängnissen, so geht das Geld dafür nur von einer Tasche in die andere. Daher ist es gleich, welche Preise gezahlt werden. Eine Konkurrenz für das freie Gewerbe kann es nicht sein, wenn der Staat für seine Bedürfnisse von einer staatlichen Verwaltung arbeiten läßt.
Abg. Rosenow (fortschr. Volksp.): Wir erkennen an, daß diese Verhältnisse, sowohl bei den Gefangenen der Verwaltung des Innern wie bei denen der Justizverwaltung, mit der Zeit 6 geworden sind, aber es bestehen immer noch berechtigte Klagen. Die Sache ist ja schwierig, die Gefangenen müssen beschäftigt und in einem Handwerk unterrichtet werden. Aus der Arbeit für die Staats⸗ bedürfnisse hat sich nun wieder die Härte ergeben, daß Lieferungen, die bisher von Privaten gemacht wurden, ihnen entzogen sind, um sie den Gefängnissen zu überweisen. Es 16 ein Mittel gefunden werden, um diese Härte auszugleichen. Dem Gewerbetreibenden kann nicht zugemutet werden, zu Preisen zu arbeiten, wie sie für die Gefängnisarbeit gezahlt werden. Deshalb ist es auch nicht ganz gleich, welche Preise der Staat zahlt, wenn er für sich ebf . In den Gefängnissen sollte vor allem nur Handarbeit gemacht werden, und es sollten nicht große maschinelle 3 getroffen werden. Es wäre doch gut, den Strafvollzug in eine Hand zu bringen. Die Steigerung der Löhne in den Gefängnissen in den letzten 8 Jahren will nicht viel sagen, denn die Löhne sind überhaupt in dieser Zeit stark gestiegen. Wir müssen diese Frage immer wieder behandeln, damit wir allmählich zu einem Resultate kommen; wir müssen trotz der freundlichen Erklärung des Kommissars immer wieder darauf zurückkommen. ; .
Abg. Mertin⸗Oels (freikons.): Bei der Frage muß Rückscht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes genommen werden. Der Ge— fangene muß beschäftigt werden, aber es darf nicht dahin kommen, daß der Gefangene nur einen Haufen Steine nach einer anderen Stelle trägt und dann wieder zurückträgt, nur damit er beschäftigt wird. Ich wüßte nicht, daß die Außenarbelt schon in so besonders großem Ümfange betrieben würde; in der Kommission ist mitgeteilt worden, daß noch 2000 Gefangene überhaupt unbeschäftigt seien. Es ist schon mit Recht darauf hingewiesen, daß die Löhne nicht nur in den Gefängnissen, sondern überhaupt gestiegen sind. Maschinelle Betriebe gehören unbedingt nicht ins Gefängnis, der Gefangene soll vielmehr zur Handarbeit erzogen werden. Die Regierung hat bei der Zu⸗ fammensetzung der Kommission zur Prüfung dieser Frage eine glück liche Hand gehabt, wenn sie auch Vertreter der Landwirtschaft und der Handwerkskammern hinzugezogen hat. Ich hoffe, daß die Arbeiten der Kommission segensreich sein werden. .
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Wir stellen den Grundsatz der Erziehung des Gefangenen zur Arbeit und zur Kräftigung im Daseins kampf in den Vordergrund. Wir stellen uns in dieser Frage nicht auf den Standpunkt einer Handwerksfeindlichkeit, wie uns von der Rechten gern vorgeworfen wird. Eine Schmutzkonkurrenz durch die gef g niff⸗ muß auf jeden Fall vermieden werden. Die Er⸗ höhung der Löhne in den Gefängnissen ist nicht so ernst zu nehmen, wie der Regierungskommissar es hinstellte. Wenn Gefangene, die nicht abgehärtet genug sind, mit Außenarbeit beschäftigt werden, so können sanitäre Mißstände daraus entstehen. Die Arbeit des Gefangenen muß produktiv sein, sonst hat sie keinen erzieherischen Wert, wie z. B. das Wegschaufeln von Sandhaufen. Wenn die Gefangenen zum Konkurrenzkampf draußen gestärkt werden sollen, so dürfen fie nicht mit alten, unmodernen Produktionsmethoden beschäftigt werden; wenn im Gefängnis dieselben Arbeitsmethoden angewendet würden wie im freien Betriebe, so würde auch die Spannung zwischen den Löhnen in den Gefängnissen und draußen von selbst verschwinden. Die Handarbeit steht geistig durchaus nicht höher als die maschinelle Arbeit, denn auch bei der Handarbeit handelt es sich immer um die Wiederholung derselben Handgriffe. Bei den Verhandlungen über diese Frage müssen nicht nur die Unter— nehmer herangezogen werden, sondern auch Vertreter der Arbeiter, denn es handelt sich auch um die Schmutzkonkurrenz der Gefängnisse für die freien Arbeiter. Die Regierung muß von dem Standpunkt der Nichtachtung der Arbeiter endlich zurückkü'mmen.
Abg. Hammer (kons. ): Ich will nicht der Meinung wider— sprechen, daß die Zusammensetzung der Konferenz, die gestern getagt hat, eine glückliche gewesen ist, aber man hat nicht die Handwerkskammer gefragt, welche Delegierte sie vorzuschlagen hätte, sondern man hat die Vertreter der Handwerker in anderer Weise berufen. Der Handwerks⸗ und Gewerbe , , hat infolge⸗ dessen an die Regierung eine Anfrage gerichtet, weshalb er nicht befragt sei, aber keine Antwort darauf erhalten. Ich habe nichts gegen die Wahl des Herrn Jacobskötter, der leider infolge seines Todes nicht mehr an der Konferenz teilnehmen konnte, und des Herrn Rahardt an sich einzuwenden, aber ich möchte doch um Schutz dagegen bitten, daß die offizielle Vertretung der Handwerkskammern in dieser Weise übergangen wird. Klagen über Entziehung von Staatslieferungen kommen immer wieder vor, mir liegt ein neuer Fall aus einer kleinen Stadt von 2400 Einwohnern vor, wo einem Buch⸗ binder die bisherigen Arbeiten für den Staat entzogen worden sind. In einem Fall sollte ein Sofa für ein Landratsamt bei einem Hand⸗ werker bestellt werden, es erging aber ein besonderer Erlaß des Ministers, daß die Bureaumöbel in den Gefängnissen beschafft werden sollten. Es ist wirklich nicht notwendig, in dieser Weise das Hand⸗ werk zu benachteiligen. Die oldenburgische Gefängnisanstalt macht unseren . eine große Konkurrenz, die Handwerkskammern in Osnabrück und Oldenburg haben sich zusammengetan, um dafür eine Abhilfe zu erreichen. Herr Liebknecht hat sich hier als frei= williger Regierungskommissar erwiesen, wenn er für den maschinellen Betrieb in den Gefängnissen eintritt; durch diesen Großbetrieb in den Gefängnissen werden Arbeitgeber und Arbeiter ruiniert. Ich kann die Auffassung des Regierungskommissars über die Löhne nicht teilen, denn die niedrigen Lohne in den Gefängnissen drücken auch die freien Löhne herab.
Geheimer Oberjustizrat Plasch ke: Auf eine Angelegenheit des olden⸗ burgischen Staates kann ich nicht eingehen. Für die Zusammen— setzung der Konferenz hatten die beteiligten Minister für Landwirt⸗ schaft und für Handel und Gewerbe es übernommen, die Delegierten zu stellen und aufzufordern; soviel ich weiß, sind auch die Handwerks⸗ kammern befragt worden. Auf die Zusammensetzung der Konferenz hat also die Justizverwaltung keinen , ausgeübt. Bei den Be⸗ ratungen hat sich nun tatsächlich herausgestellt, daß es nicht richtig war, Herrn Hammer als Antragsteller in dieser Sache nicht zur Kon—⸗ ferenz hinzuzuziehen. Deshalb haben wir beschlossen, ihn zur Teilnahme an der nächsten Verhandlung der Konferenz aufzufordern. Trotz der An⸗ schauungen in unserem Ministerium kommen doch noch immer solche Ungeschicklichkeiten vor, daß staatliche Lieferungen den Gewerbe— treibenden entzogen werden. Ich kann dem Herrn Hammer nur dankbar sein, wenn er mir solche Fälle mitteilt, dann wird Remedur eintreten. Denn so etwas liegt nicht im Sinne der Justizverwaltung.
Abg. Dr. Schroeder⸗Cassel (nl. ): Wenn auch der Fall Breslau
vom Minister mißbilligt ist, so bedeutet das wenig, solange die Ober— rechnungskammer in der bisherigen Weise ö Die Löhne der Gefängnisverwaltung sollen um 25 0 gestiegen sein; das ist aber nicht viel, wenn man damit vergleicht, daß die Löhne sonst um 50 0so estiegen sind. Wenn die Gefängnisse vor allem für den Staats 666 arbeiten, so ist das zu begrüßen; aber es dürfen dabei nicht die in der nächsten Umgebung wohnenden Handwerker zugunsten entfernt liegender Gefängnisse übergangen werden. Ich kann nur wünschen, daß die Regierung die Außenarbeit zum Nutzen des Mittel— standes und des Handwerks möglichst weit ausdehnt. .
Abg. Hamm er (kons.) bedauert nochmals, daß die Handwerks— kammern nicht aufgefordert sind, Sachverständige zu der Konferenz im Justizministerium zu entsenden; er selbst sei zwar aufgefordert worden, habe der Einladung aber nicht Folge leisten können, da er an dem Tage im Abgeordnetenhause auf der Rednerliste ge⸗ standen habe. . ;
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) bemerkt demgegenüber, daß ja auch kein Vertreter der Arbeiter hinzugezogen worden sei; warum immer nur die Vertreter des Handwerks? (Abg. Hammer: Weil diese keine Sozialdemokraten sind!) ö kö
Abg. Dr. Schroeder ⸗Cassel (nl.) betont, daß die Beschäftigung der Gefangenen mit Landarbeit auch deshalb zu befürworten sei, weil diese Arbeit für die Gefangenen gesünder ist.
Damit sind die Einnahmen erledigt.
Bei den dauernden Ausgaben, und zwar bei dem Titel „Ministergehalt“, erhält das Wort
Abg. Boehmer (kons.): Von den Mehreinnahmen des Etats von 7600 060 ½ fällt der Hauptanteil auf das neue Gerichtskostengesetz, während die Stempeleinnahmen eine Mindereinnahme aufzuweisen haben. Die Vermehrung der Richterstellen wird zwar nötig sein, aber eine Vermehrung in . Tempo kann doch unmöglich weitergehen. Es ist deshalb unbedingt eine Reform der Zivilprozeßordnung nötig. Es ist damals ein Fehler gemacht worden, als der Assessoren paragraph abgelehnt wurde. Das Notariat muß von der Rechts⸗ anwaltschaft ganz getrennt werden. Die Notare müßten verpflichtet sein, einen hohen Prozentsatz von ihrem Nettoeinkommen über 3000 MS an den Staat abzugeben. Dadurch würde der Staat eine große Einnahme bekommen, und die Notare könnten dadurch einen Anspruch auf Pension erhalten. Der Geschäftsgang der Gerichtsschreibereien müßte mehr vereinfacht werden. Der Grundsatz, daß das, was durch niedrige Kräfte besorgt werden kann, nicht durch höher bezahlte Kräfte angefertigt wird, könnte auch bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit an⸗ gewandt werden. Dadurch könnten beim Vormundschaftswesen, bei Grundbuchsachen usw. auch Richter erspart werden. Die Straf prozeßreform hat in den Verhandlungen der Kommission einen breiten Raum eingenommen. Meine politischen Freunde leben in einer Sorge über die neuen Gesetze, namentlich in der Form, wie sie in der zweiten Lesung im Reichstage angenommen worden war. Grund satz eines jeden Strafgesetzes muß es sein, Leben. Gesundheit und Ehre der Staatsbürger zu schützen, und dieser Schutz muß höher stehen als die Rücksicht darauf, daß die Verbrecher auch Menschen sind, und über der Pflicht der Gesellschaft, die Verbrecher zu bessern. Die neue Strafprozeßordnung bringt Verbesserungen, ob sie aber ihren Zweck erreichen, steht sehr dahin. Trotz des Beschleunigungs paragraphen wird das Verfahren langsamer und schleppender werden und uns auch eine Vermehrung unseres Beamtenheeres bringen. Künftig soll das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme nicht be stimmen können, sondern in der Regel die Anträge der Verteidigung berücksichtigen. Das halten wir nicht für richtig. Die Ausdehnung des Beweises muß in das Ermessen der Richter gestellt werden. Für die Strafkammern brauchen nicht mehr als 6 oder 8 Geschworene da zu sein. Es gibt gewiß in jedem Stande Männer mit unabhängiger Gesinnung, die vorzügliche Laienrichter sein können. Aber bei der Vielgestaltigkeit der modernen Verhältnisse gehört zum Laienrichter auch ein gewisses Maß von Bildung, sodaß es oft schwer wirt, gute Laienrichter zu finden. Die Rechtssicherheit wird durch eine weitere Ausdehnung der Schöffengerichte nicht gefördert. Die Bestimmung, daß der Untersuchungsrichter nur in Gegenwart des Verteidigers den Angeklagten vernehmen darf, halten wir für sehr veifehlt. Wir fürchten, daß die Nachteile, die die neue Straf— prozeßordnung bringen würde, größer sind als der Nutzen. Im Moabiter Prozeß hat es mich befremdet, daß die Staatsanwaltschaft die Verhandlungen über die Ablehnung der Richter noch dadurch ver zögert hat, daß sie die langatmigen Ausführungen der Verteidigung in gleicher Weise beantwortet hat. Der Gerichtssaal ist kein Dis kutierklub. Große Beunruhigung ist in vielen Kreisen hervorgerufen worden durch die in der Presse besprochene Aeußerung des Präsidenten des Schwurgerichts mit seiner Rechtsbelehrung über das Verhalten in der Notwehr. Die Aeußerungen der sozialdemokratischen Presse zeigen, wie unvorsichtig diese Worte gewesen sind. Wir wären dem Minister dankbar, wenn er uns eine authentische Darstellung des Vorganges geben würde. Der erste Moabiter Prozeß wäre schneller erledigt worden, wenn er in mehrere Prozesse zerlegt worden wäre. Es ist eine alte Erfahrung für jeden Richter, daß bei solchen Prozessen selbst ruhige Bürger dazu neigen, gegen die Polizei Stellung zu nehmen. Es ist ferner eine traurige Folge, daß das Publikum sich aus den Berichten ein falsches Bild macht und dadurch zu leichtfertigen und unberechtigten Urteilen verleitet wird. Ich möchte nur an die tendenziöse Berichterstattung des „Vorwärts“ erinnern, wo nur die ungünstigen Zeugenaussagen ausführlich wiedergegeben wurden. Solche Darstellungen müßten auch unter den Begriff der unrichtigen Berichterstattung durch die Presse fallen und strafbar sein. Beim Becker⸗Prozeß ist hier im Hause von Rednern der Linken in einen schwebenden Prozeß mit Worten eingegriffen worden, die ganz ungehörig waren. Was sollte daraus werden, wenn die Richter an— fangen wollten, auf die Meinung politischer Parteien zu hören! Seit langen Jahren ist von verschiedenen Seiten auf Mängel des Zivilrechtes hingewiesen worden, und es hat eine Bewegung eingesetzt, die man als Modernismus bezeichnet hat. In dieser Richtung ist besonders bedeutend die Schrift des Hanseatischen Ober— landesgerichtsrats Zacharias, der der gemäßigten Richtung an⸗— gehört. Es ist zuzugeben, daß nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Entscheidungen vorgekommen sind, die der Billigkeit nicht entsprachen, und die von der Laienwelt als unpraktisch empfunden wurden. Der deutsche Richter neigt ja eher zu einer engherzigen Ge⸗ wissenhaftigkeit. Der Richter muß immer die Forderungen des prak— tischen Lebens vor Augen haben. Leider lieben es viele Michter, eine rechtswissenschaftliche Abhandlung zu geben. Die besten Urteile sind die Urteile von Richtern, die ohne gelehrtes Beiwerk und ohne Kommentare mit klaren und überzeugenden Worten den Parteien sich verständlich machen. Die Vernehmung von Sachverständigen ist ein schlechter Ersatz für die Kenntnisse des Richters. Durch die Rechtsfrage wird oft die Aufmerksamkeit des Richters von den Tatsachen abgelenkt. Es muß mit der Vor⸗ stellung gebrochen werden, daß die Beschäftigung mit der juristischen Seite eines Prozesses die vornehmere Aufgabe ist.
(Schluß in der Zwelten Beilage.)
zum Deutschen Reichsanzeiger und Köni
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Der Vorwurf. Daß die Rechtswissenschaft sich zu sehr abschließt von dem wirklichen Leben, ist nicht ganz unberechtigt. Der Richter muß vor allem danach streben, daß er das Vertrauen der Bevölkerung . . — 8 ö 23 *. ' h ö. gewinnt nur dann wind der Richter auch richtige Zeugenaussagen ö Manche Prozesse werden nicht richtig ent⸗ schieden, weil die Zeugenausfage ü ichti de k ,. ire . nicht lichtig zu stande kommen. Hein chte 'rerein stehe ich aus verschiedenen Gründen ablehnend gegenüber. Wenn sich der Richterverein von den anderen Ständen ahschließen sollte, so wäre er nicht am Platze. Da ist es kein Wunder wenn, das Ansehen der Rechtsprechung leidet. Bei der Be— setzung der höheren Stellen müssen praktisch erfahrene Personen bedor ugt werden, Um praktisch erfahrene Personen heranzuziehen, bedarf es einer, Aenderung des juristischen Studiums und der Auß— dildung der Richter. Durch das Abiturientenexramen kommen viele, die cn durch die höheren Klassen des Gymnasiums nur mit Mühe hin durchgekammen sind und dann in allen Fakultäten das wissenschaft⸗ lich Proletariat bilden. Ich rede nicht einer Verschärfung des Abiturientenexramens das Wort, aber die bestehenden Vorschriften müssen strenger gehandhabt werden. Leider studieren viele Jura, die 46 8 6. 8 33 64 = 3 23 — 9 nicht dazu berufen sind. Bei der Ausbildung der Juristen muß von vornherein der Schwerpunkt auf die Praxis gelegt werden. Eine Ver— längerung des juristischen Studiums will ich nicht empfehlen. Das 2 . 8 28 5 5 1 4 Referendarexamen darf nicht erschwert werden; es wird schon recht viel verlangt, namentlich Gedächtnisarbeit. Es kommt auf eine Ver— tiefung des juristischen Studiums an, deshalb kommt es gerade auf die Fragesteslung beim Referendarexamen an. Die Referendare nüssen bon Anfang an von dem Bewußtsein durchdrungen werden, daß sie die inge des praktischen Lebens zu entscheiden haben werden. Statt mit Referaten sollte man die Referendare mehr mit der A bfassung pon llxteilen beschäftigen . dahei könnten sie sicher sein, daß sie genau tonirolliert werden. Die Referendare sollten ferner bei Rechts. zuskunftestellen beschäftigt werden. Wer allerdings nichts lernen will, bei dem hoffen alle Anordnungen nichts. Mit dem Assessorenexamen darf Tie Ausbildung der jungen Juristen nicht als abgeschlossen angesehen werden, sie müssen von da ab erst recht für die Praxis ausgebildet werden. Die Beschäftigung der jungen Udessoren an den kleinen Amtsgerichten ist wohl dazu bestimmt, sie mit länr lichen Verhältnissen vertraut zu machen; aber die Art hie fer mf, 3h ; ; für ? dieser eschiftigung ist. doch nicht geeignet zur Ausbildung für das tische Lehen. Die Assessoren sollten in großen industriellen Be— trieben, in der TandLpwirtschaft, in Kommunalverwaltungen, bei er— i, n. Rechtsanwälten beschaftigt werden, und wer Geld hat, mag auch, ins Ausland gehen. Die Anstellung als Richter sollte zu— bei den kleinen Amtsgerichten auf dem Lande erfolgen, mit die jungen Richter zunächn die ländlichen Verhältnisse kennen sernen; die sofortige Anstellung bei den Landgerichten halte ich nicht für gut. urch eine gute Ausbildung der Richter sorgen wir am besten für die Festigung der Autorität, und das tut heute bitter not.
Justizminister Dr. Beseler:
Meine Serre Der Serr . * f ;
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat eine große Zahl wich— tiger Probleme und Fragen für die Rechtspflege angeregt, und ich möchte Sie bitten, mir zu gestatten, heute auf alle diese Einzelheiten nicht 1 Fenk 19* in 2 s ; zurückzukommen, einmal der vorgeschrittenen Stunde wegen und dann, weil ich doch annehmen darf, daß im späteren Verlauf der Verhand⸗ lungen diese oder jene Frage noch anderweit gestreift wird.
Aber auf die Anfrage, die der Herr Abgeordnete an mich gerichtet hat wegen des Prozesses in Moabit, möchte ich doch alebald eine Antwort geben. Das Aufsehen, welches die Rechtsbelehrung des Schwurgerichtsvorsitzenden in dem bekannten Prozesse erregt hat, hat hn selber veranlaßt, noch im Laufe des Verfahrens bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, der, wie er annahm, mißverständlichen Anuffasr weschͤe seine Sarleg f luffassung, welche seine Darlegung gefunden hatte, entgegenzutreten. Ich bin selbstverständlich nicht in der Lage, authentisch zu erklären, wie 5 ,,, ; !. . die Vorgänge gewesen sind; denn ich war nicht zugegen, und irgend— Aufjeichnungen finden über derartige Aussprüche
nicht statt. Ich war zunächst über nichts weiter orientiert, als es jedermann durch die Zeitungsnachrichten sein konnte. Immerhin hielt ich es aber doch für wünschenswert, einmal von dem Vorsitzenden selbst zu erfahren, wie er sich denn eigentlich seine Belehrung konstruiert hatte, und das hat er mir dann mitgeteilt. C 3 . 1 535 z . z 1 s 8m Ich bin bei dieser Angelegenheit auf eine gewisse Zurückhaltung an— gewiesen, weil bekanntlich die Entscheidung des Gerichts noch keine rechtskräftige ist und deshalb auch die Rechtsbelehrung selber noch eine offene Frage sein muß, da später andere Entscheidungen möglich
* . — . , , . e.
sind. Immerhin glaube ich, einiges über die Sache sagen zu können, namentlich wenn ich gewissermaßen referiere, was mir der Vorsitzende mitgeteilt hat. Er sagt: durch die Art der Untersuchung und den Gang der Verhandlung sei er genötigt gewesen, den Rechtsbegriff der rechtmäßigen Amtsausübung durch seine Belehrung klarzustellen, die er den Geschworenen zu geben nach dem Gesetz verpflichtet ist. Er habe es für angezeigt gehalten, bei dieser Rechtsbelehrung nicht nur die eine Sen e . 3si ß s . die eine Seite, die rechtmäßige Ausübung des Amtes, darzulegen, sondern auch als Gegensatz ein Beispiel vorzuführen, in welchem eine andere Auffassung, eine nicht rechtmäßige Ausübung, vorliegen könne. Er hat nun, um ein Bild vorzuführen, die Geschworenen auf einen Vorgang verwiesen, der auch in dem Prozeß zur Sprache ge⸗ bracht war, wenngleich er nicht eine Handlung der Angeklagten selbst berührte, und er hat, anknüpfend an das Bild, sich nun, wie er an— gibt, — ich referiere nur — theoretisch einen Fall konstruiert, in dem eine rechtsmäßige Amtsausführung nicht vorläge. Er ist, wie er sagt, weit entfernt gewesen, ein Urteil über den Vorgang, auf den er ver— wies, abzugeben, über den Vorgang, wie die Zeugen ihn nach ihrem Zeugnis aufgefaßt hatten, sondern er hat die Frage an sich, was da geschehen sei und mit welchen Rechtsfolgen, ganz offen gelassen, viel⸗ mehr nur unterstellt, es läge ein Fall vor, in dem die Handlung eines Beamten eine rechtmäßige nicht gewesen sei. Er sagt ferner, er habe gerade einen recht krassen Fall hervorheben wollen, und des— halb habe er sich den Fall so konstrulert, nicht aber gesagt, so sei es Fewesen, und um ihn recht drastisch vor Augen zu führen, habe er sich dann zu der Wendung verstanden, daß die schwerste Abwehr zulässig sei; er hat ja geradezu, wie er sagt, auf Feuerwaffen verwiesen.
Diese Darstellung, die er gegeben hat, schelnt nun hier und da zu der mißverständlichen Auffassung geführt zu haben, daß jedermann, der sich in Notwehr befinde, alsbald zu den schärfsten Mitteln der
wel Be ffizielle velche ofsizieuen 2
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Zweite Beilage
Ber 2. Februar
Abwehr greifen dürfe. Diese Auffassung ist rechtlich nicht richtig, und das weiß eigentlich auch jedermann. Also diese Auffassung der Dar⸗ legungen des Vorsitzenden konnte wohl eigentlich von vornherein keinen Boden gewinnen. Jedenfalls ist es aber hier und da geschehen, und deshalb erkläre ich hiermit, daß diese Auffassung, es sei in jedem Falle der an sich berechtigten Abwehr erlaubt, ein solches Mittel zu er⸗ greifen, unrichtig ist, und daß der, der so handelt, sich von Strafe nicht frei macht. . Des weiteren scheint in den Ausführungen des Vorsitzenden die Ansicht gefunden worden zu sein, daß derjenige, der vermeint, das Auftreten der Behörden sei nicht rechtmäßig, auch dann, wenngleich er sich im Irrtum befinde und das Auftreten tatsächlich gerecht. sertigt wäre, doch dieses Irrtums halber straffrei sei. Diese Auf— fassung hat der Vorsitzende nicht vertreten; aber den Aeußerungen in der Presse scheint hier und da diese Auffassung, als aus seinen Worten sich ergebend, zugrunde gelegt worden zu sein, und da möchte ich mit allem Nachdruck erklären, daß diese Auffassung der deutschen Praxis, wie sie gilt, nicht entspricht. Ich will mich aber nicht auf theoretische Deduktionen einlassen, sondern ich glaube, es ist das einfachste, wenn ich nicht meine Ansicht, sondern die des Reichsgerichts vortrage. (Zu⸗ ruf bei den Sozialdemokraten: nicht die der Wissenschaft!) — Nein, die Ansicht des Reichsgerichts will ich vortragen. Ich habe betont, daß ich meine eigne Ansicht in dieser Sache noch nicht vorbringen kann, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist und ich von meiner Person da ganz absehe. Aber die Entscheidung unseres höchsten Ge— richts, welche in konstanter Praxis Geltung hat, ist folgende — ich zitiere da zwei Entscheidungen: in der einen, die im 22. Bande steht, ist gesagt: Selbstverteidigung und Selbsthilfe ist dem Privatmann gegen— über innerhalb gewisser Schranken gestattet. Der Obrigkeit ist jedermann Gehorsam schuldig, und deshalb kann einem Vollstreckungs— beamten gegenüber, welcher einen obrigkeitlichen Befehl in recht mäßiger Amtsausübung ausführt, ein Widerstand mittels Drohung oder Gewalt niemals als rechtmäßig gelten. Die entgegenstehende Auffassung des ersten Richters würde folgerichtig zur vollständigen Auflösung der Staatsordnung führen. Dann heißt es weiter: Eine irrige Annahme des Angeklagten, der Obrigkeit gegenüber zur Selbsthilfe oder Selbstverteidigung befugt zu sein, würde nicht als Schuldausschließungsgrund gelten können. Denn auf Nichtkenntnis des Strafgesetzes findet 5 59 Strafgesetzbuchs keine Anwendung, der unterstellte Irrtum könnte aber nur auf Unkenntnis oder Ver— kennung der dem 5 113 Strafgesetzsbuchs zugrunde liegenden Norm zurückgeführt werden.
Das ist eine Entscheidung, und in einer späteren Entscheidung, die hier mit in Zusammenhang steht — sie findet sich im 23. Bande — heißt es: — In konstanter Rechtsprechung hat das Reichsgericht angenommen daß die Meinung, der Beamte befinde sich nicht in rechtmäßiger Ausübung, den Täter nicht entschuldigt. Meine Herren, das ist die klare und bestimmte Auffassung des Reichs⸗ gerichts, und alle diejenigen, welche sich mit dieser Frage beschäftigen wollen, werden allen Anlaß haben, dieser Auffassung zu folgen; denn eine konstante Praxis besteht, und jeder, der also anders verfahren wollte, würde sich selbst die Folgen zuzuschreiben haben. (Bravo!) Abg. Dr; Zim mer (Zentr.): Die Aeußerung des Gerichtspräsidenten ist, ein. Beweis dafür, wie objektiv von dem Gericht vorgegangen ist. Allerdings sind einzelne Worte in der Rechtsbelehrung nicht ganz gut gewählt gewesen. Auch bei Prozessen werden oft, wie hier im Haufe Reden zum Fenster hinaus gehalten. Dem Angeklagten muß das Recht in, vollstem Umfange werden; aber wohl ist es an der Zeit, auf Mittel und Wege zu sinnen, wie man gegenüber vollständig unberechtigten Anträgen der Verteidigung die Macht der Gerichte erhöhen könnte. Beim Moabiter Prozeß wäre es richtiger gewesen, wenn die Staats— anwalischaft diejenigen Sachen, bei denen nur auf geringere Strafen zu rechnen war, ausgesondert hätte. Die Befürchtung, daß bei größerer Hinzuziehung von Laien zur Strafrechtspflege sich bald Mangel an Laienrichtern herausstellen würde, können wir nicht teilen. In der Budgetkommission ist ein Fall angeführt worden, wo ein Richter immer von den beiden Schöffen überstimmt worden sei. Die Schuld wird wohl mehr an dem Richter selbst gelegen haben der es wohl an genügender Rechtsbelehrung fehlen gelassen hat sonst kann es ja wohl einmal vorkommen, daß der Richter über— stimmt wird, aber nicht die Regel werden. Die Verfügungen, die die Richter vom Schreibwerk entlastet, sind sehr zu' begrußen, aber es gibt wieder andere Verfügungen, die die Richter mehr be— lasten. Dazu gehört vor allem die Einrichtung von Ausbildungs— kursen für die Referendare. Die Gerichtsferien sind schon jetzt wenigstens bei den unteren Gerichten, so gut wie gar nicht durchzuführen; es würde sich daher wohl empfehlen, die Ferien über das ganze Jahr zu verteilen. Dadurch würde es dem Richter auch möglich gemacht
werden, einmal zu einer anderen J
. gl zu ge imderen Jahreszeit Reisen zu unternehmen. Bedingung ist dafür natürlich, daß eine genügende Anzahl von Richtern vorhanden ist. Gegenüber der Justizverwaltung ist nicht zu befürchten, daß sie nicht sparsam genug wirtschaftet. Ihre Gebäude sind die einfachsten von allen Verwaltungen. Es wird überall gespart selbst bei Papier. Auch an Büchern wird gespart. So war ein Gericht mehrere Tage ohne Kommentare, weil ein Nachbargericht die Kommentare benötigte. Zu verurteilen ist die regelmäßige Einlegung der. Berufung durch die Staatsanwaltschaft, auch wenn gar keine Aussicht auf ein anderes Urteil vorliegt. Hier könnte wirklich viel Held gespart werden. In Bochum hat ein Richter die lächerliche Aeußerung getan: „Wie ist es möglich, daß Sie richtiger Katholik sind, wenn Sie kein Zentrumsmann sind?“ In Glogau ist die Beleidigung eines Mädchens, wie es in der Begründung heißt, des⸗ halb schwerer bestraft worden, weil das Mädchen den besseren Siänden angehört. Eine solche Begründung muß durchgus als schief bezeichnet werden und hätte korrigiert werden müssen. Die jetzigen „General— berichte sind recht umständlich. In Richterkreisen wird auch der heftigste Widerstand dagegen geleistet. Ich kann es einem Amts. richter nicht verdenken, wenn er sagt: Widerstand gegen die Staatigewalt ist hier erlaubt. Das Repetitorwesen kann am besten dadurch beseitigt werden, daß bei den A essorenprüfungen nicht so auf Ginzelheiten eingegangen wird. bal ssse s , er Kanzleigehilfen kann ich nur dankbar anerkennen und den PMinister bitten, ihnen auch weiter sein Wohlwollen entgegenzubringen. Die
Justizbeamten, die Parlamentarier sind, müssen sosort nach ihrer
glich Preußischen Staatsanzeiger.
Rückkehr aus dem Parlament in den Dienst treten. Hier müßte ein freier Tag eintreten, damit die Richter sich zu ihrem * vor⸗ bereiten können.
Nach 5. Uhr vertagt sich das Haus.
Nächste Sitzung Freitag, 11 Uhr. (3. Lesung der Novelle zur Landgemeindeordnung in Hannover; Justizetat.)
Parlamentarische Nachrichten.
m Re ichstage ist der folgende Entwurf eines Ein⸗ führungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung zugegangen: Abschnitt A. J. Allgemeine Vorschriften.
. Artikel 1.
Die Reichsversicherungsordnung tritt, soweit es sich um die Maß— nahmen zu ihrer Durchführung handelt, vorbehaltlich des Artikel 2 Abs. 1 und der Artikel 7 bis g, sofort in Kraft.
,,
Die Vorschriften ihres Vierten Buches treten mit dem in 6
Mit diesem Tage wird der § 15 des Zolltarifgesetzes . . ⸗ . 8 12 des 3 vo 26. Dezember 1907 (Reichsgesetzbl. S. 3035) 6 2 gesammelten Beträge und Zinsen (»Hinterbliebenenversicherungsfonds Gesetz vom 9. April 1907, Reichsgesetzbl. S. S9) sind zu den Zu?“ schüssen des Reichs für die Hinterbliebenenversicherung (59 1276, 177 der Reichsversicherungsordnung) zu verwenden.
Die Rerrngltang des Sinh ehe
Vie Verwaltung des Hinterbliebenenversicherungsfonds wird dem Reichskanzler Neichsschatzamt) unter der Aufsicht e d n enten lemmission übertragen. Das Gesetz, betreffend die Verwaltung des Reichs invalidenfonds und des Hinterbliebenenversicherungs fonds, vom k; Juni lob (Reichsgesetzbl. S. 469) tritt, soweit es sich auf den Hinterbliebenenversicherungsfonds bezieht, mit dem außer Kraft.
Artikel 4.
Die Tage, mit denen die übri 8 Rei . mit denen gen Vorschriften der Reichs⸗ versicherungsordnnng in Kraft treten, werden durch Kaiserliche 6 ordnung mit Zustimmung des Bundesrats festgesetzt. Artikel 5. Mit diesen Tagen tritt, soweit dieses Gesetz nichts and . R j es vor⸗ schreibt, die Reichsversicherungs ordnung an die Stelle ; ö . — g ge der entsprechenden des Krankenversicherungegesetzes vom 15. Juni 1883 Reichsgesetzbl. S 73 in der Fassung vom 19. April 1892 Reichegesetzbl. 379) und der Gesetze vom 30. Juni 1900 Reichsgesetzbl. S 352) und vom 25. Mai 18903 (Reichsgesetzbl. S. 233), des Gesetzes, betreffend die Unfall, und Krankenverficherung der in land und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen, 9 5. Mai 1886 eichsgesetzbl. S. 132), B. Krankenver icherung, des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungs es, : r esetze, vom 30. Juni 1900 Reichsgesetzbl. S. eh serfich 2 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 in der Talg der Bekanntmachung vom 5. Juli 1500 (Reichsgesetzbl. S. OL 5), des Unfallversicherungsgesetzes für Land⸗ und Forstwirtschaft vom 30. Juni 1900 in der ehh der Bekanntmachung v t 1900 (Reichsgesetzbl. S. 641), en ,, des Bauunfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 1900 (Reichz—
gesetzbl. S. 698), Seeunfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 in der 1900 (Reichs⸗
Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli gesetzbl. S. 716), Invalidenversicherungsgesetzes in der Fassung der Bekannt— machung vom 19. Jull 1899 (Reichsgesetzbl. S. 463). ö . Artikel 6. ͤ Die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Fristen gelten, vorbehaltlich des Abs. 2 und der Artikel 72 bis 86, auch für die Fristen, deren Lauf vor den nach Artikel 2, 4 bestimmten Tagen begonnen at, an diesen Tagen aber noch nicht vollendet ist. Die Frist bestimmt sich nach dem alten Rechte, wenn sie danach länger ist als nach der Reichsversicherungs ordnung. Der Beginn der Fristen bestimmt sich nach dem alten Rechte.
II. Versicherungsbehörden. ö. 1 Artikel 7. Bis zu dem Tage, an dem nach Artikel 4 Versicherungsä ö m P 14 V amter
und Oberversicherungsämter errichtet fein müssen, kann die oberste Verwaltungs behörde die Aufgaben, die ihnen die Reichs versicherungs. , ee, oder, dieses Hesetz. für die Herstellung und Aenderung der außeren und inneren Verfassung der Krankenkassen zuweist, anderen 69 one Mek ßrdo iber z ; vorhgndenen Bebörden übertragen. * ug für diese Behörden gelten die in den folgenden Artikeln für Versicherungsämter und Oberversicherungsämter gegebenen Vor⸗
schriften. ö Artikel 8.
Das Versicherungsamt kann für die im Artikel 7 Abs. 1 be—⸗ zeichneten Aufgaben an Stelle der Versicherungsvertreter im Beschluß. aus schusse Ee 65 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung) die Vertreter ,, . . e n, . bei der unteren Verwaltungs.
ebörde oder Rentenstelle (56§ 61, 81, 82 des Invalidenv = gesetzes) zuziehen. . *
„ Seweit sich der Bezirk einer vorhandenen Behörde (Artikel Y nicht mit dem der entsprechenden Versicherungsbehörde deen bestimmt die oherste Verwaltungsbehörde über die Zuztehung von Vertretern ö . e eee gilt, wo anderen Behörden c en Schiedsgerichten für Arbeiterversicherung diese über⸗ tragen werden. sich i m ,
Artikel 9.
Auf Antrag beteiligter Krankenkassen kann das Versicherun samt statt dessen anordnen, daß für diesen Zweck hefenpeet 2 der Ubeit gebe und der Versicherten in gleicher Zahl gewählt werden. Die Wahl richtet sich nach den S5 61 bis 6 des Invaliden bersicherungsgesetzes. Jedoch kann das Versicherungsamt die Zahl der ö . 6 k e , ,. dabei 3 nur die Orts⸗ Betriebs-, Bau⸗ und Innungskranke en und die Gemei ; . 2 * nkassen und die Gemeindekranken
er Gemeindeverband (58 549, 550 der Reichsversicherungte. gr e . e. . Vertreter, r e . * Gruppen wahrzunehmen, welche die Reichsv in die ,,, einbezieht. dae, Die oberste Verwaltungebehbrde kann hierüber Näheres anorbnen.
Artikel 10.
Mit Beginn des nach Artikel 4 festgesetzten Tages ie Amtsdauer, 3 nach diesem Gesetz und den fi ,,,