1911 / 35 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 09 Feb 1911 18:00:01 GMT) scan diff

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S. M. S. „Condor“ ist gestern in Brisbane ein—⸗ getroffen und geht am 10. Februar von dort nach Matupi Neu⸗Pommern) in See.

Braunschweig.

Die Landesversammlung hat, wie „W. T. B.“ meldet, in der gestrigen Sitzung mit 36 gegen 8 Stimmen einen Schlußantrag der Kommission angenommen, die Landes⸗ regierung zu ersuchen, unter Zugrundelegung der direkten und geheimen Wahl nach dem Dreiklassenwahlsystem eine Gesetzes⸗ vorlage über Abänderung des Wahlrechts dem Landtage sobald als möglich vorzulegen. Die im Laufe der vorgestrigen und gestrigen Debatte gestellten Abänderungsvorschläge und ÄUn⸗ träge sind der Regierung als Material zu überweisen.

El sasz⸗Lothringen.

Dem Landesausschuß ist ein von Abgeordneten unterschriehener Antrag zur Verfassungsvorlage zuge— gangen, der, „W. T. B.“ zufolge, die völlige Gleich⸗ stellung Elsaß- Lothringens mit den deutschen Bundes⸗ staaten verlangt, ferner endgültige Ausschaltung des Bundesrats und des Reichstags aus der elsaß“ lothringi⸗ schen Landesgesetzgebung sowie die Verleihung von drei Bundesratsstimmen an Elsaß-Lothringen, das Reichstagswahl— recht für die Zweite Kammer, die Feststellung der Wahlkreise durch Gesetz, Abstandnahme von Errichtung einer Ersten Kammer und im Falle der Einführung einer solchen ausz— schließliche Zusammensetzung derselben aus gewählten Mitgliedern.

Der Landesausschuß setzte in der gestrigen Sitzung die Beratung des Etats fort.

Der Abg. Jung-Metz erkannte an, daß der Etat mit Mäßigung aufgestellt sei, und verurteilte die Ausschreitungen der Lorraine sportive. Der Abg. Hauß setzte auseinander, daß die Verfassungsvorlage in dieser Form für das Zentrum unannehmbar sei. 5 1 bedeute eine Stärkung Preußens. Damit die Macht der Krone, die die Beamten ernenne, ebenso wie das Parlament in das Land verlegt werde, verlange man einen auf Lebenszeit zu ernennenden Statthalter oder Regenten. Die Erste Kammer passe nicht für das Land. Würde sie eingerichtet, so müsse sie aus Wahlen herborgehen, wenn auch aus indirekten, wie jetzt der Landesausschuß. Gegen die Alterspluralstimme zur Zweiten Kammer sei man, weil sie sich gegen die Sozialdemokratie zu richten scheine und damit ein Ausnahmegesetz geschaffen werde. Die Wahlprüfungen müßten durch das Parlament vorgenommen werden. Die Wohnsitzklausel solle auf das ganze Land ausgedehnt und auf ein Jahr beschränkt und das passive Wahl⸗ recht von 30 auf 25 Jahre herabgesetzt werden. Der Abg. Blumenthal forderte volle Autonomie und sprach sich fur die republikanische Staatsform aus. Die Erste Kammer sei absolut überflüssig. Er schlage vor, für die Verfolgung der Verfassungsfrage, die ja doch nicht völlig zur Erledigung komme, eine nationale elsaß⸗ lothringische Gruppe zu bilden, die die Forderungen des Landes in diefer Angelegenheit vertreten könne. Der Abg. Moritz bedauerte die starke Abwanderung der elsaß⸗lothringischen Bevölkerung und forderte, daß die Leute im Lande Stellen bekämen.

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Oesterreich⸗ Ungarn.

Im österreichischen Abgeordnetenhause wurde gestern die zweite Lesung der Haufiervorlage fortgesetzt.

Nach dem Bericht des . W. T. B. über den Verlauf der Ver— handlungen hob der Handelsminister Dr. Weißkirchner hervor, doß unter den heutigen Verkehrsverhältnissen der Hausierhandel für grohe Gebiete und für eine große Anzahl von Waren veraltet sei und när noch für einzelne Gebiete und für einzelne Waren in Frage komme. Der Min 'ster wies mehrere Zwischenrufe des Christlich- Sozialen Heilinger zurück, indem er erklärte, er wolle mit ihm nichts zu tun haben und nicht weiter auf die Sache eingehen, sonst könnte es Heilinger unangenehm werden. Der Minister. empfahl schließlich die Vorlage als einen Schritt vorwärts im Interesse einer gefunden Mittelstandspolitik.

Das Haus brach hierauf die Verhandlung über das Hausiergesetz ab und setzte die Beratung über den Dringlich keitsantrag, betreffend die Aufhebung der Fleischsteuer, fort. Im Laufe der Debatte wies der Abg. Heilinger auf das entschiedenste den Ton zurück, den der Handelsminister gegen das Haus und ihn angeschlagen habe.

Im Budgetausschusse des Abgeordneten hauses stellte gestern der Abg. Skedl einen Kompromiß antrag, wonach die italienische Rechtsfakultät vier Jahre lang ihren Sitz in Wien haben und später in einem Orte innerhalb des Wohngebiets des italienischen Bevölkerungs teils in Oesterreich errichtet werden solle.

Der Unterrichtsminister Stuergkh trat für den Antrag ein und sprach die Erwartung aus, daß die Lösung des Problems der italienischen Rechtsfakultät von guter Vorbedeutung für die Lösung anderer schwieriger Hochschulprobleme sein werde, die mit der Frage der italienischen Fakultät nicht verquickt werden sollen.

Der König Franz Joseph ist, „W. T. B.“ zufolge, gestern abend zu mehrwöchigem Aufenthalt in Budapest ein— getroffen.

Der Heeresausschuß der ungarischen Delega tion hat nach vertraulichen Aufklärungen des Kriegsministers über verschiedene Anfragen das Heere sbudget als Grundlage für die Spezialdebatte angenommen.

Großbritannien und Irland.

In der gestrigen Sitzung des Unterhauses stellte der Abg. Robert Harcourt eine Reihe von Fragen bezüglich des deutschen Flottenprogramms.

Wie . W. T. B. meldet, sagte der Erste Lord der Admiralität Me Kenna im Laufe seiner Beantwortung, es sei nicht anzunehmen, daß irgend eines der vier deutschen Schiffe des Bauprogrammt 1909 / 10 im laufenden Jahre vollendet sein werde. Er erwarte nicht, daß 21 Dreadnoughts im Kalenderjahr 1913 von den Werften abgeliefert sein werden. .

Bei der Wiederaufnahme der Adreßdebatte beantragte Austen Chamberlain ein von der Opposition eingebrachtes Amendement zur Adresse, in dem erklärt wird, daß die be ständige Weigerung der Regierung, das Zollsystem abzuändern, den Vorteil, der sich aus der von den Kolonien gewährten Vorzugsbehandlung ergebe, gefährdet, den engeren kommerziellen Zusammenschluß des Reiches verzögert und England des einzig wirksamen Mittels beraubt habe, das Ausland dahin zu bringen, dem britischen Fabrikanten eine faire Behandlung an— gedeihen zu lassen.

Austen Chamberlain betonte ausdrücklich, daß keinerlei Absicht vorliege, an dem Vorgehen Canadas und der Vereinigten Staaten Tritik zu üben. Die Canadier müßten ihre eigenen Angelegenheiten für sich erledigen. Redner erklärte noch einmal, daß die Unionisten an der Politik der Vorzugszölle innerhalb des Reichs fest—

hielten, für die sie in guten und schlechten Zeiten gekämpft hätten

Der

Die Wirkung des Reciprocitätsabkommens auf den britischen Handel müsse sehr schwerwiegend sein. Man würde gezwungen sein, sich mehr und mehr auf den Nahrungsmittelersatz aus dem Auslande zu verlassen. Auf der Regierung laste eine schwere Verantwortlichkeit dafür, daß sie die dem Mutter lande gemachten Anerbietungen bezüglich einer Einführung von Vorzugszöllen unbeachtet gelassen habe. Es sei dringend notwendig, daß man mit den anderen großen Kolonien zu einer Verständigung gelange, bevor sie von auswärkigen Liebhabern umworben würden. Was Canada anlange, so müsse eine andere Politik eingeschlagen und alles mögliche gekan werden, um der neuen Strömung entgegen zu arbeiten, die Canada nach Süden ziehe, und um die das Reich vereinigenden Bande zu festigen und zu verstärken. Zum Schluß ö Chamberlain, welche Schritte die Regierung zu tun beabsichtige, um für die britischen Kaufleute dieselben Vorzugssäße und zölle zu sschern, die Amerika Canada gewähre. Der Präsident des Handelsamts Sydney Buxton erwiderte, die Regierung teile die Befürchtung Chamherlains nicht. Welche Berechtigung habe Chamberlain für seine Behauptungen, daß das Abkommen den britischen Handel schädigen würde, oder daß der gefürchtete Schaden verhindert werden könne. Die Regierung habe ihre Ansicht nicht geändert, daß die Politik der Vorjugszölle dem britischen Reich zum Schaden gereichen würde. Das Abkommen sei ein gutes Beispiel, um die Uebel und Gefahren der Vorzug politik zu zeigen. Wenn die Vorzugszölle in Kraft genden wären, würde Canada das Mutterland wegen des Ahkomms de haben um Rat fragen müssen. Die örtlichen Interessen in angda hätten gegen England ins Feld geführt werden können, und * solche Stellung hätte vielleicht die Kette, die das Reich zusammenhalte, bis zum Reißen angespannt. Buxton schloß: Es ist nicht unsere Sache, eine Ansicht über die Vorteile des Ab— kommens auszusprechen. Wir haben sicherlich nicht den Wunsch, das Vorgehen Canadas zu kritisieren. Die Canadier müssen die An— gelegenheit von ihrem eigenen Gesichtspunkt aus in Erwägung ziehen. Was uns angeht, so beschränken wir uns auf die Beobachtung dieser Vorgänge.“

Nach Schluß der Debatte über das Amendement vertagte sich das Haus.

Frankreich.

Der Gesundheitsausschuß der Deputiertenkammer hat, „W. T. VB.“ zufolge, beschlossen, den Ministerpräsidenten zu ersuchen, für die baldige Einberufung einer internationalen Konferenz einzutreten, die beauftragt werden soll, Mittel zur Eindämmung der Pest- und Choleragefahr zu beraten.

Rußland.

Die Reichsdumg hat, „W. T. B.“ zufolge, in der gestrigen Sitzung beschlossen, den am 28. Dezember ange⸗ nommenen Dringlichkeitsantrag wegen der Ausweisung russischer Untertanen aus dem Mährisch-Ostrauer Kohlen bezirk fallen zu lassen. In der Abendsitzung nahm die Duma bei der Interpellation über ungesetzliche Handlungen der Ortsbehörden in den O stse e provinzen im Zusammenhange mit den seinerzeit vorge⸗ nommenen Strafexpeditionen eine Uebergangsformel an, in der die von der Regierung gegebenen Erklärungen als ausreichend anerkannt werden, und ferner nach den Erklärungen des Marine ministers bei der Interpellation über die im vorigen Jahre er folgte Havarie des Linienschiffes „Slawa“ eine Ueber— gangsformel, in der gesagt wird:

Der traurige Fall mit der „Slawa“ stehe leider nicht allein. Er sei das Resultat nicht nur der Unachtsamkeit und Nachlässigkeit ein⸗ zelner Amtspersonen, sondern des ganzen Dienstes und' des Systems im Marineministerium, wo eine falsche Organisation und Mangel an erfahrenen und gut geschulten Spezialisten herrsche.

Türkei.

Wie Konstantingpelen Blätter melden, hat die Pforte den türkischen Geschaͤftsträger in Athen beauftragt, die Auf— merksamkeit der griechischen Regierung auf die Gren zzwischen fälle zu lenken, die seit einiger Zeit häufiger geworden seien.

Griechenland.

Der Ministerpräsident Venizelos hat gestern in der Kammer einen Gesetzentwurf zur Revision der Verfassung und der Geschäftsordnung eingebracht.

Bulgarien. ie türkisch⸗b ulgarische Kommission konferierte, „W. T. B.“ zufolge, gestern über ein Uebereinkommen bezüglich des Grenzverkehrs. In den meisten Punkten herrscht im Prinzip Einvernehmen.

MW

Amerika.

Das amerikanische Repräsentantenhaus hat, „W. T. B.“ zufolge, gestern eine Vorlage angenommen, in der für die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die erste deutsche Ansiedlung in Germantown 30 000 Dollars bewilligt werden.

Nach einem Telegramm aus Mulata in Mexiko haben die Regierungstruppen gestern vormittag einen Sturm auf Mulata unternommen, find jedoch von den Insurgenten zurückgeworfen worden. Ein neuer Kampf steht bevor.

Der Präsident von Honduras Davila hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ mit dem früheren Prä— sidenten Bonillag einen Waffenstillstand abgeschlossen. Die Aufständischen haben die von den Regierungstruppen am 1. d. M. geräumte Stadt Puerto Cortez besetzt.

Wie aus Cap Haitien (Haiti), obiger Quelle zufolge, gemeldet wird, sind der General Millionard und fünf andere Führer der Aufständischen vorgestern abend in Le Trou aus dem Gefängnis geholt und erschossen worden.

Asien.

Nach Meldungen des „W. T. B.“ sind die im Yemen eingetroffenen Verstärkungen vom ersten und zweiten Korps drei. Stunden vor Hodeida auf die Araber gestoßen. Nach heftigem Kampf zogen sich die Araber mit einem Verlust von 150 Mann einige Stunden weit zurück. Die Truppen hatten 50 Tote und Verwundete.

Aus den Bezirken Damaskus und Jerusalem werden Angriffe der Beduinen auf türkisches Militär gemeldet. Es wurde sofort eine energische Verfolgung aufgenommen, bei der die Beduinen namhafte Verluste erlitten.

. Einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ zufolge hat gestern der Einzug des Regenten von Persien 'in die Hauptstadt ohne Zwischenfall staitgefunden.

Der deutsche Kronprinz tritt, wie , meldet, die Heimreise am 25. d. M. von Bombay mst dem englischen Dampfer „Arabia“ an.

Afrika. Der Generalkapitän von Melilla erklärt, W. T. B.“ zufolge, die Nachricht vom 6. d. M., daß in der Umgegend der Stadt vier Europäer überfallen und ermordet worden

und kämpfen würden, bis sie ihr zum Siege verholfen haben würden.

seien, für unzutreffend.

tags und der Bericht über die der Abgeordneten befinden Beilage.

In der heutigen (123.) Sitzung des Reicht ags, welcher der Justizminister Dr. Beseler und der Staatssekretär det Reichsjustizamts Dr. Lisco beiwohnten, wurde die zweite Be ratung der Novelle zum s fortgesetzt bei 85 77 99, Landgerichtskammern und die Urteile der Strafkammern behandeln.

Der Entwurf führt die Berufung wieder ein. Nach der Vorlage 5 77 sind die Strafkammern in der Hauptverhandlung erster Instanz mit 2 Nichtern und 3 Schöffen zu besetzen; für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufungen will sie in 858 S9 1— 993 bei den Land⸗ gerichten Berufungssenate einrichten, die mit zu besetzen Nach den Kommissionsvorschlägen

gestrige Sitzung des Haufet sich in der Ersten und Zweiten

*

sind. sollen die Strafkammern in der Hauptverhandlung mit 2 Richtern und 3 Schöffen, im Verfahren auf Berufung mit 3 Richtern besetzt werden; die Berufungssenate sollen außerhalb der Haupt verhandlung in der Besetzung von 3 Mitgliedern entscheiden, in der Hauptverhandlung sind sie mit setzen. In erster Lesung hatte die Kommission auch in der Berufungsinstanz das Laienelement berücksichtigt, sollte aus 3 Richtern und 2 Schöffen bestehen.

Nach einem Antrag Albrecht (Soz.) sollen die Straf kammern in der Hauptverhandlung mit einem Richter und 4 Schöffen besetzt werden, in der Berufungsinstanz mit 2 Richtern und 5 Schöffen.

Die Abgg. Müller-Meiningen und Genossen (fortschr. Volksp.) wollen die Strafkammern in der Hauptverhandlung mit 2 Richtern und 3 Schöffen besetzen. Auch der Abg. Gröber (Zentr.) will im Kommissionsvorschlag die Worke Aim Verfahren auf Berufung mit 3 Richtern einschließlich des Vorsitzenden“ streichen. Nach einem weiteren Antrag der fort schrittlichen Volkspartei sollen die Berufungssenate bei den Ober landesgerichten eingerichtet werden.

Ueber den Antrag Müller-Meiningen zu 5 liche Abstimmung beantragt.

Abg. Dr. Wag ner-Sachsen (d. kons. :. Wir sind jetzt bei dem wichtigsten Punkt der Vorlage angelangt. Ich babe schon bel der ersten Lesung erklärt, daß meine politischen Freunde in der Frage der Berufung und der Hesetzung der Strafkammern geteilter Meinung seien. Es ist nicht zu leugnen, daß gegen unsere Rechtspflege im Volke ein gewisses Mißtrauen besteht. Daraus folgt aber noch nicht notwendig und ohne weiteres, daß dieses Mißtrauen auch tat sächlich begründet ist. Es ist natürlich, daß die Rechtsprechung die mit ihren Entscheidungen eingreift in die Persönlichkeit und

77 ist nament

Parlamentarische Nachrichten. Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Reichs

. Gerichts verfassungsgeseß die die Frage der Besetzung der Frage der Berufung gegen die

5 Richtern

5 Mitgliedern zu be

die Besetzung

die wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Staatsbürger, die jenigen nicht befriedigt, die durch diese Entscheidungen Unrecht er— halten. Diese sind natürlich geneigt, die Schuld der Rechtsprechung in die Schuhe zu schieben. Was schon von den Zivilprozessen gilt gilt in höherem Grade noch von den Strafprozessen. Aber ich gebe zu, daß auch unabhängig hiervon ein Mißtrauen gegen die Nechtsprechung vorhanden ist. Woran liegt die Schuld? Zum kleinen Teil liegt sie darin, daß es unsere Gerichte noch nicht verstanden haben, sich einer volkstümlichen Sprache zu bedienen. Dann liegt es auch daran, daß dem freien Ermessen unserer Richter in der Gesetzgebung biel zu wenig Spielraum gelassen ist. Man hat sich oft üter den Schematismus der Gerichte beklagt, aber wenn ez sich in der Gesetzgebung darum handelte, den Gerichten einen größeren Spielraum zu lassen, dann hat man vielfach versagt. Professor Delbrück hat einmal erklärt: „Kein Volk ist so unzufrieden wie das deutsche!. Nun, etwas Unzufriedenheit ist gewiß förderlich, nur soll diese Unzufriedenheit nicht systematisch schüren— Man weist auf England hin, aber gerade dert ist ken Richtern ein sehr großer Spielraum eingeräumt. Der Richter gibt den Ge schworenen eine Direktive, wonach sie sich bei ihrem Verdikt zu richten haben. Tun sie dies nicht, so schickt der Richter sie in das Beratungszimmer zurück, bis sie zu einem einstimmigen Verdikt kommen. Die Unzufriedenheit mit unseren deutschen Richtern wird von keiner Seite so sehr gefördert, wie von sozialtemokratischer Sest⸗ Es hängt das zusammen mit den politischen Kämpfen. Neben unserer Veeresverwaltung ist es der Richterstand, der zu Agitationezwecken mißbraucht wird. Die Vorwürfe gegen unseren Richterstand sind aber durchaus unbegründet. Ich verweise Sie auf das Urteil bervorragender Autoritäten, nicht bloß von rechts, wie seitens des Professors Adolf Wagner, sondern auch von links, die über einstimmend auf die großen Vorzüge unserer Richter und Beamten hinweisen. Gewiß kommen auch einmal Fehlsprüche der Richter vor, diese fallen aber gegenüber der ungeheuren Zahl von Prozessen nicht ins Gewicht. Ist es denn ein Wunder, daß ben so vielen Sprüchen auch ein mal Fehlsprüche vorkommen? Die Richter sind doch auch menschlichen Schwächen unterworfen. Ich glaube ein Necht zu haben, den deutschen Richterstand und die deutschen Beamten gegen die Vorwürfe, die gestern die Abgg. Stadthagen und Genossen gegen sie erhoben haben, zu verteidigen. Das führende Organ der fiei⸗ sinnigen Volkspartei, die „Freisinnige Zeitung“, hat die aufhetzende und geradezu sportartig betriebene Verunglinpfung der deutschen Richter und Beamten gebührend gegeißelt. Wenn man auf die Er regung des Volks hinweist, so habe ich davon in den veꝛschiedenen Stadien der Kommissionsverhandlung nichts gemerkt.

(Schluß des Blattes.)

mar 111411

Statistik und Voltksmirtschaft.

Statistik der Eisenbahnen Deutschlands für 1909.

Von der im Reichseisenbahnamt bearbeiteten Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands, abgesehen von den sogenannten Kleinbahnen, ist der die Ergeknisse des Rechnungsjahres 1909 umfassende Band XXX erschienen (Verlag der Königlichen Hofbuchhandlung von E. S. Mittler u. Sohn, Berlin) Nachstehend werden einige wesentliche Ergebniszahlen des Werkes mitgeteilt und soweit angängig entsprechenden Angaben aus dem vor 10 Jahren erschienenen XX. Bande (Rechnungsjahr 1899) gegenüber gestellt.

Die Eigentumslänge der deutschen vollspurigen Eisenbahnen ist von 49 041 km am Ende des Jahres 1899 auf 58 474 Km am Schlusse des Jahres 1909, also um 19,2 v. S. gewachsen. Von dieser Länge entfielen 1899 45173 kin oder 921 v. S. auf Staatsbahnen und 3368 km oder 7,9 v. H. auf Privatbahnen, 1969 dagegen 54 947 km oder 94.0 v. H. auf Staatsbahnen und 3497 Km 'oter 6,0 v. H. auf Privatbahnen. Nach der Betriebsart waren 1899 32237 km oder 6h,7? v. H. Hauptbahnen und 16 804 km oder 34,3 v. H. Nebenbahnen, 1909 dagegen 34 304 Km oder 58,7 v. H. Dauptbahnen und 24 140 kim oder 41,3 v. H. Nebenbahnen vorhanden. Die Hauptbahnen haben somit nur um 64 v. H., die Nebenbahnen aber um 43,B,7 v. O. zugenommen.

Bei einem Flächeninhalt von rund 40 658 qkm besaß Deutsch⸗ land 1899: 48 989 km, 1909 dagegen bei 540 773 dkm Flächen⸗ inhalt 58 216 km vollspurige Eifenbahnen, sodaß auf 166 qkm 138993 204 km und 1909: 1077 m Gisenbahnen entfielen. Auf

den

10 000 Einwohner, deren im Reich im ersteren Jahr 55,12 Millionen,

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im letzteren 63,88 Millionen gezählt wurden, kamen 1899: 8,89 m und 1909: 9g, 11 km Eisenbahnen.

Zur Bewältigung des Verkehrs standen den vollspurigen deutschen Eisenbahnen im Rechnungsjahr 1909 26 6512 Lokomotiven, 553 23 Personenwagen einschließlich von 250 Triebwagen und bö7 399 Gepäck und Güterwagen einschlleßlich von 3 Triebwagen zur Verfügung. Gegen 1899 hat bei den Lokomotiven eine Zunahme von 4,5 v. H., bei den Personenwagen von 52,65 v. H. und bei den Ge—⸗ päck, und Güterwagen von 46,9 v. H. stattgefunden. Die Be⸗ schaffungskosten der Fahrzeuge haben sich von 2283,51 auf 3830,22 Millionen Mark oder um 67,? v. H. erhöht. Davon entfallen 1373,96 Millionen Mark auf Lokomotiven, und Tender, 16,99 Millionen Mark auf Triebwagen, 783,71 Millionen Mark auf Personenwagen und 1655,56 Millionen Mark auf Gepäck, und Güterwagen. ĩ

Von den eigenen und fremden Lokomotiven und Triebwagen sind im Jahre 1909 in Zügen, im Vorspanndienst, bei Leerfahrten und im Rangierdienst 1071,46 Millionen, mithin auf 1 km der durchschnitt⸗ lichen Betriebslänge 18471 Lokomotivkilometer zurückgelegt worden; davon wurden 700,18 Millionen als eigentliche Nutzkilometer, d. h. zur Beförderung von Zügen geleistet. Gegen 1899 haben die TVokomotivkilometer um 49,3 v. H., die Nutzkilometer um 44,4 v. H. und die auf das Kilometer Betriebslänge entfallenden Lokomotiv— kilometer um 25,8 v. H. zugenommen.

An Zügen entfielen auf das Betriebskilometer:

1899 9 435 oder täglich 25,85 Züge 1505 ,,

Die eigenen und die fremden Personen⸗, Gepäck., Güter- und Postwagen haben auf den vollspurigen Betriebsstrecken im Jahre 1909 6 713,959 Millionen und auf 1 km der durchschnittlichen Betriebs— länge 450 606 Wagenachskilometer geleistet. Auf die Personen— wagen entfielen hiervon 7304,47, auf die Gepäck und Güterwagen 18 895,15 und auf die Postwagen 59,36 Millionen Achskilometer. Gegen das Jahr 1899 ist ein Wachstum zu verzeichnen: bei den Wagenachskilometern im ganzen um 46,6 v. H., bei den Personen— vagen um 81,0 v. H., bei den Gepäck— und Güterwagen um 36,7 v. H. und bei den Postwagen um 38,9 v. H. Die auf das Kilometer Betriebslänge entfallende Anzahl Wagenachskilometer hat sich um 23,9 v. H. gehoben. Von den auf eigenen und fremden Be— triebsstrecken geleisteten Achskilometern der eigenen Wagen entfielen auf eine Personenwagenachse 48571, auf eine Gepäckwagenachse 49 503 und auf eine Güterwagenachse 15 862.

Die beförderte Nutzlast, die sich aus dem Gewicht Personen nebst Handgepäck (zu 75 kg gerechnet), des Ge d Hunde, des Viehs und der Güter aller Art zusammensetzt, ist von 36421,15 im Jahre 1899 auf 55 254,91 Millionen Tonnenkilometer, also um H1,7 v. H., Last (das

R die tote Eigengewicht der Wagen, Lokomotiven, Tender, Triebwagen) im

gleichen Zeitraume von g8 535,16 auf 169 580,235 Millionen Tonnen— kilometer, also um 72,1 v. H. gestiegen. Außerdem wurden von den als Frachtgut beförderten Eisenbahnfahrzeugen auf eigenen Rädern im Jahre 1899 14,64 Millionen, im Jahre 1909 94,71 Millionen Tonnenkilometer geleistet. Auf jedem Kilometer der durchschnittlichen Betriebslänge wurde im Jahre 1909 eine Gesamtlast von 3.88 Mil— lionen Tonnen gegen 2,76 Millionen Tonnen im Jahre 1899, zithin 10,8 v. H. mehr bewegt. Die ungewöhnlich große Zunahme bei der Beförderung von Eisenbahnfahrzeugen auf eigenen Rädern ist haupt— sächlich darauf zurückzuführen, daß bei den preußisch⸗hessischen Staats— eisenbahnen von 1909 ab auch die Leistungen der als Bau. und Betriebsdienstgut beförderten Lokomotiven, Personenwagen und Gepäck— wagen erstmals mit in Anrechnung gebracht worden sind. .

Die Ausnutzung des Ladegewich ts der bewegten Achse ist bei den Personenwagen von 24,48 v. H. im Jahre 1899 auf 25,19 v. H. gestiegen, bei den Gepäckwagen aber im gleichen Zeitraume von 2,52 auf 249 v. H. und bei den Güterwagen von 66,52 auf 64,79 v. H. zurückgegangen. Die auf die einzelne (leere und beladene) Güter⸗ wagenachse entfallende Nutzlast ist von 2.73 t auf 307 t gestiegen.

Der Personenverkehr hat in dem Zeitraum von 1859 bis 1909 einen weiteren Aufschwung genommen. Im Jahre 1909 wurde eine Einnahme von 826,49 Millionen gegen 533,72 Millionen Mark im Jahre 1899, mithin ein Mehr von 54,9 v. H. erzielt. J Kilometer brachte eine Einnahme von 14 613 S gegen Jahre 1899, mithin ein Mehr von 3474 ½ oder I1,? ist die Einnahme auf je 1000 Achskilometer der Bepäckwagen von 106 MS auf 91 MS zurückgegange Gesamteinnahme war die Einnahme aus dem Pers und Gepäckverkehr mit 29,02 v. H. gegen 27,39 v. H. im 1899 beteiligt.

Die eigentliche Personenk Militär- und der Sonderzüge hat gegen das von 280,094 Millionen Mark oder 54,6 v. H Gepäck und Hunden ein solches

förderung einschließlich der Jahr 1899 ein Mehr H., die Beförderung von von 10,55 Millionen Mark oder zo, v. H. aufzuweisen, während die Nebenerträge einen Zuwachs von 2,38 Millionen Mark oder 67,5 v. H. erzielten. Der Anteil der Wagenklassen an der einnahme aus der Personenbeförderung stellt sich 1909 auf

Ge samt

J. 9 n abr Im Jahre

. bei der Militärbeförderung gegen 4,54, 23,16, 47,73, 22,42 und 2,15 v. H. im Jahre 1899.

Auf jeden Einwohner Deutschlands entfielen im Jahre 1909 durchschnittlich 23 Eisenbahnfahrten gegen 15 im Jahre 1899; die durchschnittlich zurückgelegte Wegestrecke ist im gleichen Zeitraume von 22,96 auf 22,99 km gefallen.

An Per sonenkilometern . . 33 662,81 gegen 18 660,45 Millione Jahre 1899, also 89,4 v. S. mehr zurückgelegt worden; auf 1 km durchschnittlichen Betrie länge beträgt die Zunahme 528 v. H. Der Anteil der Wagenkla an den Personenkilometern stellt sich 1909 auf

O.93 v. H. in der JI. Klasse, 10.16 II. 538 63 . . w 4,38, , bei der Militärbeförderung gegen 1,61, 13,68, 48,‚84, 31,‚43 und 4344 v. H. im Jahre 1899.

Die durchschnittliche Einnahme für ein Personenkilo meter hatte im Jahre 1809 275 betragen und ist auf 2,36 4, also um 14,2 v. H. im Jahre 1909 zurückgegangen.

Wie der Personenverkehr hat auch der Güterverkehr bin sichtlich des Umfangs und der Erträgnisse in der Zeit von 1899 bis 1909 eine erhebliche Steigerung erfahren. Während die Einnahme im Jahre 1899 1258,19 Millionen Mark betragen hat, ist sie im Jahre 1909 auf 1825,29 Millionen Mark gewachsen, mithin hat eine Zunahme von 45,B1 v. H. stattgefunden. Jedes Kilometer brachte im Jahre 1899 eine Einnahme von 25 808, dagegen im Jabre 19gog9 31 631 M, also 22 v. H. mehr

sind im Jahre 1909 im ganzen n im der ebs Jen

*. / . n

Die Einnahme auf je 1000 Achs- kilometer der Güterwagen hat sich von 938 M im Jahre 1899 auf lo7 S gehoben. An der Gesamteinnahme war die Ein nahme aus dem Güterverkehr mit 64,08 v. H. gegen 64,56 v. H. im Jahre 1899 beteiligt. ö

Die Anzahl der zurückgelegten Tonnen kilometer der gegen Frachtberechnung beförderten Güter mit Autschluß, des Postgutes ist bon 32 935,69 im Jahre 1899 auf, 48 576,18 Millionen im Jahre 1909, also um 47,3 v. H. gestiegen. Bei Zurückführung der geleisteten Tonnenkilometer auf J km der durchschnittlichen Betriebs länge hat sich eine Zunahme von 676 606 Tonnenkilometern im Jahre 1399 auf 5341 794 Tonnenkilometer im Jahre 1909, mithin um 165 188 Tonnen—⸗ kilometer oder 24,4 v. H. ergeben. Die durchschnittliche Einnahme auf 1 Tonnenkilometer des Frachtguts ist von 3,70 auf 3,65 , also um 1,4 v. H. gefallen.

Für die vollspurigen Bahnen beliefen sich die Bauaufwen⸗ dungen worunter die eigentlichen Baukosten und verschiedene sonstige Aufwendungen (Zinsen während der Bauzeit, Kursverluste, erste Dotierung des Reserve- und Erneuerungsfonds usw.) zu ver— stehen sind, im Jahre 1899 im ganzen auf 12 169,73 Millionen Mark, somit auf 1 km der Eigentumslänge auf 218 844 6. Ste sind im Rechnungtjahre 14909 im ganzen auf 16 641 03 Millionen Mark und für 1 Rm der Eigentumtlaͤnge auf 284 735 ½ gestiegen. Beim Gesamtbetrage hat also eine Zunahme von 36,7 v. H. und für das Kilometer eine solche von 1444 v. H. stattgefunden. Die Kosten des letzten Erwerbs, also das eigentliche Anlagekgpital der jetzigen Eigentümer, stellen sich etwas höher als die Bauaufwendungen, nämlich im Jahre 1899 auf 124059 und im Jahre 1909 auf 16 870,04 Millionen Mark oder 288 653 M auf 1 km.

Die gesamten Betriebseinnahmen ausschließlich des Pacht— zinses sind von 1942,15 Millionen Mark im Jahre 1899 auf 2340,50 Millionen Mark im Jahre 1909, also um 46,z v. H. ge— stiegen, obwohl die durchschnittliche Betriebslänge nur um 1857 v. H. zugenommen hat. Auch die auf das Kilometer Betriebslänge sowie die auf 1000 Nutzkilometer berechneten Einnahmen sind gestiegen, und zwar von 39741 im Jahre 1899 auf 48 967 6 oder um 25,2 v. H., bezw. von 40066 auf 4057 H oder um 1,3 v. H., während die Ein“ nahmen auf 1009 Wagenachskilometer aller Art von 107 6 auf 106 6 oder um O, 9 v. H. zurückgegangen sind. .

Die Betriebsausgaben ausschließlich der Kosten von erheb— lichen Ergänzungen, Erweiterungen und Verbesserungen und der Pacht— ziuse sind in der Zeit von 1899 bis 199 von 1165,09 auf 1971,14 Millionen Mark, also um 69,2 v. H., die Ausgaben auf 1 km der durchschnittlichen Betriebslänge von 23 841 auf 33 980 , also um 425 V. H. gestiegen. Auch die auf 1000 Nutz- und die auf 1000 Wagenachskilometer aller Art berechneten Ausgaben sind ge— stiegen, nämlich von 2103 H im Jahre 1899 auf 2815 ½ i. J. 1969, bezw. von 64 M auf 74 S.. Der Prozentsatz der Betriebs ausgaben im Verhältnis zu den Betriebseinnahmen hat sich im Jahre 1899 auf 59, 99 und im Jahre 1909 auf 69,39 gestellt.

Unter Ausscheidung der Kosten von erheblichen Ergänzungen, Erweiterungen und Verbesserungen sowie der Pachtzinse hat der Ueberschuß der etriebseinnahmen über die Betriebs— ausgaben im Jah 1599: 777,06 Millionen, im Jahre 1909: 69, 3Z Millionen Mark betragen, er hat also um 11,9 v. H. zugenommen, dagegen ist er im Verhältnis zu der Gesamteinnabme nach Ausscheidung des Pachtzinses von 4001 auf 30,61 v. H. gesunken.

Als Rente des auf die betriebenen Strecken verwendeten An— lagekapitals betrachtet, ergab der Betriebsüberschuß im Jahre 1899: 6,68 v. H., im Jahre 19609 dagegen 5,24 v. H. Jedes Kilometer der durchschnittlichen Betriebslänge brachte im Jahre 1909 14987 gegen 15 901 M im Jahre 1899, mithin ein Weniger von 914 oder 5,7 v. H. .

Die Zahl der Beamten und Arbeiter einschließlich der Handwerker, Lehrlinge und Frauen betrug im Jahre 1909: 691 087 Personen, mithin kam auf je 92 Einwohner ein Eisenbahnbediensteter. Gegen das Jahr 1899 hat eine Vermehrung der Beamten und Ar— beiter um 169 327 oder 3235 v. H. stattgefunden, während in gleicher Zeit die Eigentumslänge der Eisenbahnen nur um 19,2 v. H. zu— genommen hat. ;

Die Besoldungen und sonstigen persönlichen Ausgaben für Beamte und Arbeiter betrugen im Jahre 1969 unter Hinzu— echnung von 115,42 Millionen Mark für Wohlfahrtszwecke im ganzen 215,62 Millionen gegen 701,6tz Millionen Mark im Jahre 1899; sie haben mithin um 73,2 v. H. zugenommen. Die Gesamtsumme der persönlichen Ausgaben ist hiernach beträchtlich mehr gewachsen als die Gesamtzahl der Beamten und Arbeiter, sodaß die durchschnitt— liche Aufwendung für jede beschäftigte Person von 1345 auf 1759 0 30,8 v. H. gestiegen ist. Hierbei ist zu bemerken, daß in dem Betrage von 115,42 Millionen Mark für Wohlfahrtszwecke etwa 50 Millionen Mark für Pensionen, Witwen- und Waisengelder der preußisch⸗hessischen Staatseisenbahnen enthalten sind, die in den vorhergehenden Jahren bei dem Etat des Finanzministeriums ver— rechnet waren. .

Die Eigentumslänge der dem öffentlichen Verkehr dienenden Schmalspurbahnen autschließlich der sogenannten Kleinbahnen betrug am Ende des Jahres 1899: 1713 km; bis Ende 1909 ist

auf 2173 km, also um 460 km oder um 26,9 v. H. gestiegen. An Fahrzeugen standen den Schmalspurbahnen im Jahre 1909:

Lokomotiven, Personenwagen und 10935 Gepäck und Güterwagen zur ügung, während im Jahre 1899 nur 366 Loko— motiven, 948 P nwagen und 7807 Gepäck und Güterwagen vorhanden waren. on diesen Fahrzeugen wurden im Jahre 1859: 7.82 Millionen Nutzöð! und 120,97 Millionen Wagenachskilometer, im Jahre 1909: 10,32 und 163,28 Millionen geleistet. An Bau kosten für diese Bahnen waren im Jahre 1899 im ganzen

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94,19 Millionen Mark und auf 1 km Eigentumklänge 61 (63 „M, im Jahre 1909 dagegen 16702 Millionen Mark bezw. 76 839 „Az / aufgewendet. Die kilometrischen Kosten sind somit um 26,0 v. H. gestiegen. Ausschließlich der Ergebnisse der Schmalspurstrecken der preußisch⸗hessischen Staatseisenbahnen sind die Betrieb seinnahmen von 9,32 Millionen Mark im Jahre 1899 auf 13.99 Millionen Mark, die Betriebsausgaben von 7,68 auf 11,46 Millionen Mark und der Berriebsüberschuß l, 4 auf 2,53 Millionen Mark gestiegen.

von

Zur Arbeiterbewegung.

Die im „Verband der Sattler und Portefeuiller Deutschlands“ organisierten Sattler Groß-⸗Berlins, soweit sie im Wagen bau beschäftigt sind sind in eine Lohnbewegung eingetreten. In einer zahlreich besuchten Versammlung, die gestern abend stattfand, wurde, der „Voss. zufolge, eine Kommission beauftragt, einen Tarif auszuarbeiten, der einer demnächst wieder einzuberufenden Versammlung zur Beschlußfassung vorgelegt werden soll, und zwar auf folgender Grundlage: Wöchentliche Arbeitszeit 52 Stunden; Stundenlohn innerhalb der ersten zwei Jahre nach voll— endeter Lehrzeit mindestens 60 3, für die folgenden drei Jahre mindestens 79 , perfekte Wagensattler 85 3. Bei Akkordarbeiten muß der Lohn garantiert werden; Abschaffung der Kolonnenarbeit; Sommerurlaub (bisher nicht bestanden); ausschließliche Benutzung des Verbands arbeite nachweises. . . ;

Die ausständigen Arbeiter auf dem Eisenwerk , Rote Erde“ in Dortmund haben, der „Köln. Ztg. zufolge, gestern die Arbeit bedingungslos wieder aufgenommen, nachdem vereinbart worden war, daß die Werkleitung unter Zuziehung des Königlichen Gewerbe— inspektors mit einer aus fünf Mann bestehenden Arbeiterabordnung die Streitpunkte erledige ('9gl. Nr. 34 d. Bl.). w

Die von Rötha ausgegangene Aussperrung der Kürschner und Rauchwarenzurichter hat sich, wie die „Lpz. Ztg.“ mitteilt, auch auf Leipzig-Lindenau, Schkeuditz und Markranstädt ausgedehnt. (Vgl. Nr. 22 d. Bl.) Die Zahl der Ausgesperrten übersteigt bereits 1300. Am Montag nahmen die Zurichter der Leipziger Sektlonen in einer Versammlung Stellung zum gegenwärtigen Stande dieses Lohnkampfes. Nach dem Bericht des Settionsleiters sind in Lindenau rund 260 Personen beiderlei Geschlechts ausgesperrt, in Rötha 366, in Schkeuditz 305 und in Markranstädt 422. Die Ver⸗ sammlung erhob in einer Resolution gegen den Aussperrungsbeschluß der Unternehmer Einspruch.

Ztg.“

(Weltere ‚Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage.)

Kunst und Wissenschaft.

A. F. Die Vorderasiatische Gesellschaft hörte in ihrer Februarversammlung einen Vortrag von Professor Dr. Sarre „über die Ausstellung mohammedanischer Kunstwerke kn München im Sommer vorigen Jahres“‘. Der als tüchtiger Kenner der islamitischen Welt wohlbekannte Vortragende hatte vor wenigen Jahren Gelegenheit, die in München vorhandene,

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nur teilweise der öffentlichen Besichtigung zugängliche Sammlung aus dem Orient stammender Kunstwerke im einzelnen zu prüfen und fand sie von unerwalteter Vielseitigkeit und Reichhaltigkeit. Dies Ergebnis seiner Untersuchungen gab ihm Anlaß, der Museums— verwaltung den Vorschlag zu unterbreiten, den bedeutenden Münchener Bestand zum Kern- und Kristallisationspunkt einer in München zu heranstaltenden internationalen Ausstellung von mohammedanischen Kunstwerken zu machen. Professor Sarres Vorschläge fanden das bereitwillige Entgegenkommen der Museumsverwaltung. Er empfing und übernahm in Gemeinschast mit Dr. Martin den Auftrag, den Plan zur Ausführung zu bringen, und schritt ohne Säumen ans Werk. Der Vorsatz einer „internationalen Aus⸗ stellung ist zwar nicht in vollem Verstande dieses Wortes ver wirklicht worden, aber es konnte in München in der am 10. Mai v. J eröffneten Ausstellung doch eine so große Zahl der trefflichsten Kunstwerke des Orients gezeigt werden, wie sie bisher wohl noch nirgends an einem Punkte vereinigt gewesen sind. Es war Professor Sarres Bemühungen gelungen, nicht bloß 33 Museen und mehrere Schloßverwaltungen mit gern erteilter Erlaubnis der Souveräne, sondern auch eine Menge von Privatsammlern zu bestimmen, ihre Schätze an Werken der bezeichneten Art der Auestellung anzu— vertrauen. Nächst Deutschland hatten Oesterreich, Rußland, Frank reich, Italien, Skandinavien, Holland, Belgien, ja, was besonders anzuerkennen ist, auch die Türkei das Unternehmen aufs bereitwilligste unterstützt. So wäre zweifellos eine nahezu vollständige Sammlung des überhaupt in der Welt vorhandenen Besten und Edelsten von solchen Kunstwerken jusammengekommen, hätten nicht England und Spanien vollkommen versagt: ersteres, weil den Museen untersagt ist, Bestandteile ihrer Sammlungen außer Landes zu senden, und die reichen Privatsammlungen denselben Grundsatz befolgen; letzteres, weil sowohl die öffentlichen wie die Priwatsammlungen Spanien bei ihrer Ablehnung verharrten, so wertvoll und wichtig es erschien und am geeigneten Ort vorgestellt wurde, die zahlreich dort noch vorhandenen Kunstwerke aus der maurischen Zeit heranzuziehen. blieb in dieser Richtung das Bild Uun— vollständig; doch auch nur in dleser, weil sonst alle Gebiete der islamitischen Welt von Persien und Indien bis nach Arabien, Aegypten und Marokko vertreten waren. Ganz vollständig waren jedenfalls die verschiedenen Gebiete der „Kunstbetätigung“ des Drients vertreten. Für die Ausstellung war ein Gebäude in schlichten Formen errichtet worden, das nur in seiner Vorderfront in einen gewissen Einklang mit seinem Innern gesetzt war, im übrigen aber den Inhalt nicht durch üherflüssige Ausschmückung be⸗ einträchtigte, sondern das Schaugepraͤnge ganz ausschliestlich diesem reichen Inhalt überließ. Die allgemeine Meinung hat dieses Vorgehen gutgeheißen: die Kunsthistoriker und Drientalisten, die bollzählig sich in München ein Stelldichein gaben, waren in der Bewunderung der großen, hier vorliegenden Leistung einig; nur das große Publikum hat die Ausstellung nicht so zahlreich besucht, als man erwartet hatte. Von dem vielseitigen Inhalt der Ausstellung sei hier nur an der Hand der schönen Licht— bilder, die Professor Sarre vorführte, folgendes in Kürze erwähnt: Teppiche, denen entsprechend ihrer Bedeutung im Leben des Orients als Fuß⸗ und Wandteppich ein breiter Raum in der Ausstellung gewährt war. Diese persischen Seidenknüpf⸗ teppiche gleichen in der Feinheit der Zeichnung häufig den edelsten Miniaturen. Aus dem Besitz des Kaisers von Oesterreich und Karls VI. einst durch Peter den Großen geschenkt, war da z. B. ein Teppich mit Tierdarstellungen, der auf dem Quadratzentimeter angeblich 4000 Knüpfungen enthält. Dieser Teppich soll in Samarkand gearbeitet worden sein. Andere Teppiche waren durch die Schönheit der Musterung besonders ausgezeichnet, sowohl die sogenannten Damascus⸗ als die indischen Teppiche, deren Ursprungsort aber wahr⸗ scheinlich Ispahan ist. Sehr reichhaltig und kostbar waren ferner die

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Stoffe, auch zumeist aus Seide und wunderbar kunstvoll gemustert. Von ihnen sind schon durch die Kreuzfahrer eine Menge des Wertvollsten und Prächtigsten nach dem Abendlande gekommen. Sie wurden hier häufig als Kirchengewänder benutzt, obwohl die nicht verstandenen Auf⸗— schriften und Darstellungen dafür durchaus nicht immer paßten. So findet man auf einem aus dem Schatz der Danziger Marienkirche zur Ausstellung gesandten Kirchengewand das mohammedanische Bekenntnis: Es gibt keinen Gott außer Allah“. Uebrigens befinden sich unter diesen Stoffen auch wieder andere, die nicht mohammedanischer Arbeit, sondern von Mohammedanern bei christlichen Werkstätten, z. B. in Byzanz, bestellt worden waren, wo im 9. und 10. Jahrhundert die Textilkunst blühte. Auch Vorislamitisches aus der Zeit der Sassaniden findet sich mehrfach von ganz vorzüglicher Arbeit. Die keramischen Erzeugniss sind von hohem Reiz. Sie stammen zu einem großen Teil aus Fabriken in Mesopotamien und Persien, doch auch von Alt⸗-Kairo und der Nilinsel Rada sowie aus Kutahya in Kleinasien. Was der orientalischen Keramik den besonderen Reiz verleiht, ist der metallische Glanz der Farben. In den späteren Jahrhunderten scheint die Persisch Keramik Einbuße an ihrer Originalität erlitten zu haben. Es findet sich bewußte Nachahmung chinesischen Porzellans; doch auch umgekehrt hat die chinesische Fabrikation persische Muster nachgebildet. Auch die Glasfabrikation stand im Mittelalter im Orient in hoher Blüte und mit ihr im Bunde war die köstliche Emailmalerei, z B. von Lamys. Die Aus stellung enthielt Kannen, Tierköpfe, Knäufe von Kristall⸗ glas, die sich den besten Erzeugnissen der Glasfabrikation an⸗ reihen. Elfenbeine, Bronze⸗ und Edelmetallarbeiten erscheinen von ebenso edlem Geschmack als vollendeter Technik. Bronze⸗ schalen, Teller, Becken, -Kannen, silbertauschierte Teller mit Tier⸗ kreisbildern am Rande und figürlichen Darstellungen, Medaillons bezeugen beides. Auch hier ist nicht alles von orientalischer Arbeit, manches aus Venedig stammend; doch waren es hier ausge wanderte ägyptische Künstler, die sich in der Lagunenstadt nieder gelassen hatten und bestimmte ägyptische Kunstfertigkeiten übten. Eine gewisse Ueberraschung gewähren menschliche Porträtz von orientalischen Künstlern, weil es ja bekannt ist, daß der Koran den Menschen, ja lebende Wesen überhaupt, im Bilde darzustellen verbietet. Doch ist das Gebot höchst selten in seiner vollen Konsequenz auf Tiere bezogen worden und recht häufig auch nicht auf Menschen. Namentlich hielten sich die Großen nicht an das Bilderverbot, dort vor allem, wo Schiiten an der Regierung waren. Es gab zwar eine mit Saladin beginnende sunnitische Reaktionszeit, in der selbst Tierdarstellungen nur als Wappen oder Talismane Verwendung finden durften. Andererseits haben sich die indischen Großmogule Akbar und Dijihangir im 17. Jahrhundert voll ständig über das Verbot, hinweggesetzt und der eistere z. B. von sich und seinem Hofstagt ein figurenreiches Bild anfertigen lassen, das wohlgetroffene Porträts aller Dargestellten enthalten soll und in München wegen der hohen Feinheit seiner Ausführung viel Bewunderung erregte. An anderer Stelle ist auch der große Eroberer Timur mehrfach dargestellt. Endlich sei noch auf einen dem Orient eigentümlichen Zug hingewiesen, die „dekorative Verwendung der Schrift‘ auf deren Ausbildung auch noch heute großer Wert gelegt wird. Die Darstellung der Entwicklung der arabischen Schön schrift war deshalb neben den in großartiger Sammlung vorgeführten persischen Miniaturen einer besonderen Abteilung in München geteilt. Auch Bücher fanden sich hier vertreten. Nur die Zahl der schön geschriebenen, reich illuminierten Korane war nscht, erhehlich, dafür aher gab es z. B. ein Exemplar von Firdusi und einen Band von Hafiz' Gedichten, beide von einem ausgezeichneten Kalligraphen geschrieben und illustriert.

21. 911

Die philosophische Fakultät der Universität Königsberg hat den Leiter der neuen deutschen Südpolarerpedition, Oberleutnant Wilhelm Filchner zum Ehrendoktor ernannt.

Land⸗ und Forstwirtschaft.

Die Deutsche Gesellschaft für Züchtungs kunde wird in der landwirtschaftlichen Woche am 21.8 M., Vormittags 9 Uhr,

in Berlin, Bellevuestraße 3, im großen Saale des Künstlerhauses ihre