1911 / 42 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Feb 1911 18:00:01 GMT) scan diff

übermäßig geschädigt werden, meinen privaten Einfluß in der Richtung geltend machen. Staatlich kann ich nichts tun, weil es eben ein privater Verein ist.

Abg. Dr. Semler (ul) bittet den Staatssekretär, dann eben auf pribatem Wege einzuwirken, um die schwere Benachteiligung der Detaillisten zu beseitigen.

Staatssekretär des Reichsmarineamts, Großadmiral von Tirpitz:

Meine Herren! Ich möchte das ja sehr gerne tun. Ich habe vorhin schon gesagt, daß ich durchaus der Ansicht bin, daß das lokale Geschäft in Wilhelmshaven gefördert werde. Aber es ist doch bei solchen Sachen immer ein eigen Ding. Es handelt sich da um Privatangelegenheiten der Betreffenden, und da staatlich einzugreifen, ist nicht möglich. Deshalb habe ich es für meine Person damals bedauert, daß wir gezwungen worden waxen, die kleinen Räume, die wir den Leuten gegeben hatten, ihnen zu kündigen. Früher hatten wir es in der Hand, zu sagen: Ihr dürft das und das, einige Kleinig⸗ keiten, verkaufen, und mehr nicht. Sowie Sie uns aber die einzige administrative Waffe nahmen, standen wir ohne Einfluß einem Pripatunternehmen gegenüber. Aber, wie gesagt, ich werde mir über— legen, ob ich durch privaten Einfluß die Wünsche, die hier soeben ausgesprochen worden sind, fördern kann. . Abg. Ahlhorn fortschr. Volksp.): Ich bedauere, keine präzise Antwort bekommen zu haben. Daß man auf diese Sache, die man selbst ins Leben gerufen hat, jetzt keinen Einfluß mehr ausüben kann, ist sehr bedenklich. Vie Kaufleute sind so weit heruntergedrückt, daß sie ihren Betrieb einstellen müssen.

Wirklicher Geheimer Admiralitätsrat Harms: Der Verein erhält keinen Pfennig. Vie Beamten sind, soweit sie dafür tätig sind, außer⸗ halb ihrer Dienstzeit tätig, und die Waren werden nicht zum Militär⸗ tarif befördert.

Abg. Be bel (Soz.): Ich bitte den Staatssekretär, seine Finger von einer Sache zu lassen, die ihn nicht angeht. Es handelt sich um eine Privatorganisation, und wenn er sich auch noch so privatim ein— mischt, so bekommt sie in den Augen der Leute einen offiziellen Charakter. Dann wird die Wirkung eintreten, die von dem Abg. Ählhorn verlangt wird, die wir aber nicht wünschen. Es gab einmal eine Zeit, wo die Liberalen auf demselben Standpunkt standen wie wir, und wenn Schulze Delitzsch Sie jetzt hörte, so würde er sich im Grabe umdrehen. Ich kann mich der Zeit, noch entsinnen und bin selbst Schulze-Delitzsch nachgel gqufen als Gegner von Lassalle, der uns sagte, daß im Wege der Selbsthilfe nichts zu erreichen sei. Heute vertreten die Liberalen die rücständigsten Anschauungen des Kleinbürgertums. Sie schädigen 4 566. 23 3 2 P d . doch Jelbst eine ganze Reihe von Handwerkern und Kaufleuten durch den Bezug aus Konsumvereinen.

Abg. Ahlhorn (sortschr. Volksp.): Die Sozialdemokratie hätte alle Veranlassung, die Konsumpereine vor dem Untergange zu schützen. Dem Bundeskommissar bemerke ich, daß früher wenigstens Beamte fast den ganzen Tag hindurch in den Verkaufsräumen beschäftigt waren.

Bei den Ausgaben für den „Betrieb des Werft—

. 5 z 3 I . . krankenhauses“ in Wilhelmshaven bemerkt der

Staatgsekretär von Tirpitz auf 9 xy. 3 . 6 8 Abg. Dr. Leonhart (fortschr. Volksp.) :

Meine Herren! Ich möchte die Anfrage des Herrn Abg. Dr. Leonhart kurz beantworten.

Was zunächst das Werftkrankenhaus in Wilhelmshaven so erhält es keine Mittel aus Kap. 57 Tit. 8.

Was das Lazarett in Jokohama angeht, so ist diese Frage in der Kommission eingehend behandelt worden. Die im Marineetat dafür aufgeworfenen Mittel werden diesem vom Etat des Auswärtigen Amts erstattet. Ich habe früher schon einmal ausgeführt, daß ein spezielles Interesse der Marine an diesem Lazarett nicht mehr vor— liege. Die Budgetkommission war übrigens einig darüber, daß diese Angelegenheit nicht im Plenum behandelt werden solle, sondern in der Budgetkommission beim Etat des Auswärtigen Amtes. Ich möchte also vorschlagen, daß Herr Dr. Leonhart vielleicht bis dahin wartet.

Der Rest des Ordinariums wird bewilligt.

An den „Einmaligen Aus gaben“ hat die Kommission eine Reihe von Abstrichen vorgenommen. Sie hat u. a. vor— geschlagen, die Forderung von 120 000 6 zum Bau von Wohnhäusern für verheiratete Unteroffiziere in Cuxhaven, erste Rate, zu streichen und dafür den Reichskanzler zu ersuchen, im Interesse der Sparsamkeit neue Vorschriften für den Bau von genügenden Unteroffizierwohnungen festzustellen.

Das Haus beschließt demgemäß.

Zum weiteren Ausbau der Mürwik werden 260000 S6 gefordert.

Abg. Ledebour (Soz.) fragt den Staatssekretär, wie weit die Nachforschungen gediehen seien, die der Staatssekretär in der Kom mission darüber versprochen habe, inwieweit die Fischerei der Flens burger Förde durch den Ausbau der Marineschule geschädigt sei.

Abg. Dr. Struwe (fortschr. Volksp.) weist darauf hin, wie hohe Mittel für die Ausbildung des Unteroffizierersatzes ausgegeben werden. Ex fühlt sich dadurch ermutigt, in der dritten Lesung' den Antrag zu stellen, die Zulage für die Heizer in vollem Umfange wieder herzustellen. ;

Staatssekretär des Reichsmarineamts, Großadmiral von Tirpitz:

Meine Herren! Was das Gesuch der Fischer anbetrifft bezüg— lich der Schäden, die sie dadurch gehabt haben wollen, daß wir eine Marineschule an der Flensburger Föhrde errichtet haben, so befindet sich die Angelegenheit anscheinend augenblicklich noch bei der Behörde, an die die Fischer das Gesuch gerichtet haben; an das Reichsmarine— amt ist bisher nichts gelangt. Wenn die Eingabe den Tatsachen ent— spricht, wie der Herr Abg. Ledebour gesagt hat, was ich keinen Augenblick bezweifle aber ich muß doch erst die Stellung der Be⸗ hörde zu dieser Frage abwarten, um wirklich ein Urteil zu haben —, und wenn die Sache dann an mich gelangt, so werde ich zweifellos der Frage wohlwollend gegenübertreten.

Ferner möchte ich dabei bemerken: soweit es sich um gesetzliche Entschädigungen handelt, ist es selbstverständlich, daß sie gewährt werden. Inwieweit ich da Billigkeitsgründen nachgeben kann und es mir möglich ist, zu helfen, muß ich natürlich von Fall zu Fall beurteilen; ich kann auch nicht ohne weiteres übersehen, ob ich an der betreffenden Stelle das Geld zur Verfügung habe. Allgemein kann ich aber nur wiederholen, daß ich den Klagen der Fischer mit großem Wohlwollen gegenübertreten werde. Das tun wir Seeoffiziere sämtlich den Fischern gegenüber (sehr richtig), und die Admirale haben ihrerseits ganz von sich selbst aus den Befehl gegeben, die Fischgründe und die Fischer nach Möglichkeit zu schonen.

Abg. Ledebour (Soz ): Die Behörde, von der der Staats— sekretär gesprochen hat, ist die Stadtverwaltung von Flensburg. Ist

eine Anregung des

Marineschule in

Bei den Ausgaben für den „Bau eines Dienst— gebäudes für die obersten Marinebehörden ein— schließlich Geräteausstattung, zweite Rate 450 000 S6“ bittet der Abg. Pau li⸗ Potsdam (dkons.), die Submissionsordnung so zu ge— stalten, daß auch die kleinen und mittleren Handwerker be— teiligt werden, und nicht den ganzen Bau in Generalentreprise zu vergeben. Nach den Verdingungsbestimmungen, die der Reichskanzler herausgegeben habe, solle eine Vergebung in Generalentreprise nur in Ausnahmefällen gestattet sein. Bie Großbetriebe gingen ihrerseits mit Ausschreibungen vor, und die Handwerker hätten oft erfahren müssen, wie rigoros diese Firmen seien. Die Verträge, die sie mit den Unter⸗Unternehmern machten, seien mit Blut ge— schrieben. Es gäbe Baufirmen in Berlin, die von den Lieferanten 14 und 3 /g. Nachlaß verlangten, sodaß sie von dieser Ersparnis jhre ganzen Bureautosten usw. decken könnten. Hier wolle man die Ausnahme zur Negel machen. Er richte an die Marineverwaltung die dringende Bitte, einzelne kleine Unternehmer heranzuziehen, damit das Handwerk sehe, daß die Marineverwaltung ein Herz“ für das⸗ selbe habe.

Der Rest der einmaligen Ausgaben wird genehmigt, die Einnahmen werden ohne Debatte erledigt.

Es folgen die Petitionen.

. Abg. Nos ke (Soz.) begründet einen sozialdemokratischen Antrag, der hinsichtlich verschiedener Petitionen eine andere Beschlußfassung wünscht.

„Nachdem der Abg. Dr. Struve ffortschr. Volksp.) ihm teilweise zugestimmt hat, werden entsprechend dem sozial⸗ demokratischen Antrage und entgegen dem auf Uebergang zur Tagesordnung lautenden Kommissionsbeschluß die Petition des Deutschen Technikerverbandes in Berlin um Regelung der Besoldungs⸗ und Dienstverhältnisse der bei der Torpedowerkstatt in Friedrichsort auf Privatdienstvertrag beschäftigten Techniker, sowie die Petition der technisch-industriellen Beamten in Berlin und endlich die des Deutschen Technikerverbandes in Berlin, soweit sie sich auf Erhöhung der Bezüge für die Werfthilfs— techniker bezieht, dem Reichskanzler als Material überwiesen.

Dahingegen verbleibt es entgegen dem auf Ueberweisung zur Berücksichtigung lautenden sozialdemokratischen Antrage hinsichtlich der Petitionen des Bundes der technisch industriellen Beamten auf Einrichtung von Beamtenausschüssen, Sicherung des Koalitionsrechts und Anerkennung der Organisation der Techniker beim Uebergang zur Tagesordnung.

Damit ist die zweite Beratung des Etats der Marine— verwaltung erledigt.

Schluß gegen 64 Uhr.

. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr (Etat für das Schutzgebiet Kiautschou, Etat des Reichssustizamts). .

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 28. Sitzung vom 16. Februar 1911, Vormittags 11 Uhr. Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Es werden zunächst die Anträge der Abgg. Bartling (nl. und Genossen und der Abgg. Dr. von Woyna ffreikons.) und Genossen, betreffend die Winzernot, beraten.

Die besondere Kommission, der die Anträge zur Vor— beratung überwiesen worden waren, beantragt folgende Resolution:

* Königliche Staatsregierung aufzufordern, schleunigst Geld⸗ mittel zur Unterstützung der Winzer in sämtlichen westlichen Wein— baugebieten bereitzustellen zur Bekämpfung des Heu- und Sauer— wurms und, soweit dies sonst erforderlich ist, der pflanzlichen Reb⸗ schädlinge, Peronospora usw. Die bewilligte Summe ist an die betroffenen Gemeinden und zwar an deren Vorstände zur Ver wendung unter staatlicher Kontrolle zu überweisen. Bei Be— messung der Summe ist davon auszugehen, daß den betreffenden Gemeinden staatlicherseits 60 6 pro Morgen Überwiesen werden. T le Hälfte der Summe ist spätestens zum 1. März, der Rest zum 1. Juni d. J. zu zahlen. .

Die Abgg. Ahrens⸗Klein⸗Flöthe (kons. und Genossen beg ntragen an Stelle der Kommissionsresolution die folgende Resolution:

die Königliche Staats regierung aufzufordern, schleunigst Geldmittel

zur Unterstützung der Winzer in den notleidenden Weinbaugebieten zur Erhaltung derselben in ihrem Erwerbs- und Nahrungsstand und zur Bekämpfung des Deu und Sauerwurms und, soweit dies sonst erforderlich, der pflanzlichen Rebschädlinge, Peronospora usw. bereitzustellen. Die bewilligte Summe ist an die betreffenden Kreise zur Verwendung unter staatlicher Kontrolle zu überweisen. Voraus⸗ etßzung zur Gewährung von Staatsmitteln ist die Gewährung von Mitteln seitens der Provinzial⸗ bezw. Bezirksverbände mindestens in gleicher Höhe und zum gleichen Zwecke.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Wenn ich auch die guten Absichten keineswegs verkenne, die in dem Beschlusse der XI. Kommission zutage getreten sind, so muß ich doch in Uebereinstimmung mit den Erklärungen, die ich in der Sitzung dieser Kommission am 10. Februar d. J. abgegeben habe, auch heute den Kommissionsbeschluß als unannehmbar bezeichnen. Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, daß die Durchführung dieses Beschlusses, unter Berücksichtigung des ganzen preußischen Weinbaugebiets, ungefähr eine Summe von 4200000 erfordern würde. Eine solche Staatsbeihilfe ist gegenüber dem wirklich vor⸗ handenen Notstande entschieden zu hoch. Der Beschluß der Kom— mission leidet außerdem aber an dem ganz besonderen Mangel, daß in demselben eine finanzielle Mitwirkung der Beteiligten, des Pro vinzial⸗ und Kommunalverbandes, nicht vorgesehen ist, und daß er auch schon aus diesem Grunde für die Staatsregierung aus grund sätzlichen Erwägungen unannehmbar bleibt.

Ich bin, in Uebereinstimmung mit dem Herrn Finanzminister, auch heute noch der Ansicht, daß im großen und ganzen für die Be— kämpfung des Heu- und Sauerwurms im laufenden Jahre diejenigen Summen als ausreichend anzusehen sind, welche wir bereits zur Ver— fügung gestellt haben unter der Voraussetzung, daß sich in gleicher Weise der Provinzialverband der Rheinprovinz und der Kommunal— verband Wiesbaden und ebenso die in Betracht kommenden Kreise an dieser Beihilfe beteiligen. Ich möchte nochmals wieder— holen, daß es sich dabei für die Rheinprovinz bezüglich der Winterbekämpfung um eine Summe von 100 000 K handelt, an welcher der Staat mit o, die Provinz mit 1s und die in Betracht kommenden Kreise mit us sich beteiligen sollen. Für den Rheingau kommt ebenfalls ausschließlich für die Winterbekämpfung eine Summe

inzwischen von dieser eine Entscheidung nicht getroffen?

Regierungsbezirks Wiesbaden entfallen sollen. Für die Sommer⸗ bekämpfung ist das Doppelte der genannten Summen vorgesehen, sodaß also für das ganze Jahr für die Winter- und Sommer— bekämpfung für die Rheinprovinz 300 000 S und für den Regierungs⸗ bezirk Wiesbaden zirka 145 000 ½νς zur Verfügung stehen würden. Von dieser Summe trägt der Staat 16, welches er unentgeltlich her⸗ gibt, also im ganzen eine Summe von 145 000 9.

Bei Bemessung dieser Beihilfen darf nicht außer acht gelassen

werden, daß es sich bei der Winterbekämpfung nur um eine Zeit von einem bis anderthalb Monaten handelt, und daß es auch bei ent⸗ sprechender Ermahnung seitens der Behörden und der landwirtschaft⸗ lichen Korporationen kaum möglich sein wird, die Winterbekämpfung noch in dem ganzen Weinbaugebiete gleichmäßig zu organisieren. Es kommt aber außerdem auch in Betracht, daß ein großer Teil des Weinbau⸗ gebiets, besonders an der Mosel, nach den Ausführungen, die in der Kommission der Weinbaulehrer Neumann gemacht hat, für die Winter⸗ bekämpfung ausscheidet, weil es dort infolge der steilen Lagen kaum möglich ist, sowohl das Abreiben der Stöcke wie auch insbesondere das Herausnehmen der Weinbergspfähle auszuführen. . Leider hat sich dabei auch herausgestellt, daß es kaum möglich sein wird, in der noch zur Verfügung stehenden Zeit eine ausreichende Belehrung der Winzerkreise vorzunehmen. Auch in den letzten Tagen sind mir noch Zuschriften zugegangen, in welchen gerade die Winzer sich dagegen verwahren, daß in dieser Weise an ihren Rebstöcken ge⸗ arbeitet, von fremden Leuten das Abreiben der Stöcke vorgenommen werde. Meine Herren, ich teile diese Auffassung keineswegs, aber ich führe diese Aeußerungen zum Beweise dafür an, daß wir uns immerhin, wie ich schon früher betont habe, noch Versuchen gegen⸗ über befinden, die erst, wenn sie in größerem Maßstabe wiederholt sein werden, dazu beitragen werden, die Winzerbevölkerung über die richtigen Mittel zur Bekämpfung des Heu- und Sauerwurms zu belehren. Deshalb habe ich ja auch davon abgeraten, Polizeiver⸗ ordnungen in größerem Umfange zu erlassen. Ich verkenne durchaus nicht den Wert solcher Polizeiverordnungen, und ich gebe ohne weiteres zu, daß Polizeiverordnungen in solchen Bezirken, wo die Winzer über die ihnen zu Gebote stehenden Hilfsmittel genügend belehrt sind, am Platze sind. Aber es war für die Staatsregierung unmöglich, auf den weiteren Erlaß solcher Polizeiverordnungen hinzuwirken, weil sie eben, wie sich jetzt auch bestätigt hat, auf Widerstand in den Kreisen der Winzer gefaßt sein mußte.

Eine nicht außer acht zu lassende Maßnahme bei Bekämpfung des Heu⸗ und Sauerwurms ist für die landwirtschaftliche Verwaltung die Beteiligung der Winzer selbst. Wir sind bei Bewilligung der Beihilfe davon ausgegangen, daß es im wesentlichen die Sache der Winzer sein und bleiben müsse, die Arbeit im Weinberg selbst auszu⸗ führen, und daß diese Mitarbeit auch nur dann gesichert erschien, wenn die Kreise und Gemeinden die Bekämpfung organisieren und durch Beihilfen auch die richtige und vollständige Arbeit sicherstellen. In dem Erlaß, der den Oberpräsidenten der Rheinprovinz und von Hessen⸗Nassau zugegangen ist, habe ich auch den Gemeinden an— empfohlen, wenn möglich durch ein Ortsstatut die Bekämpfung des Heu⸗ und Sauerwurms zu regeln. Ich möchte ausdrücklich bemerken, daß dieses Ortsstatut keine zwingende Bedingung der Beihilfe sein kann. Wo es möglich ist, die allgemeinv Bekämpfung auch ohne Erlaß eines Ortsstatuts zu sichern, kann von dem Erlaß eines solchen Abstand genommen werden.

Wenn nun mit Recht hervorgehoben ist, daß in einzelnen Weinbar treibenden Bezirken ein Notstand sich herausgestellt hat, und daß es in diesen Bezirken den Winzern kaum möglich sein würde, aus eigenen Kräften die erforderliche Arbeit zu leisten und die zur Bekämpfung des Heu⸗ und Sauerwurms notwendigen Hilfsmittel sich zu beschaffen, so hat die Königliche Staatsregierung auch diesem Umstande schon Rechnung getragen. Ich verweise auf die Erklärung, die ich am 10. Februar in der 11. Kommission abgegeben und in der ich aus⸗ geführt habe, daß, nachdem anerkannt worden sei, daß in einzelnen Bezirken ein Notstand vorhanden wäre, die diesbezüglichen Ermittelungen bereits veranlaßt worden seien. Ich habe dann gesagt:

Sobald diese Ermittelungen beendet sind, wird die Königliche Staatsregierung für die Bereitstellung der Hilfsmittel in der bei Notständen bisher stets beobachteten und bewährten Form Sorge tragen. Danach werden den Kreisen zinslose Darlehen gegeben, die unter 15 ½i Nachlaß nach Verlauf einiger Freijahre in Jahresraten zu erstatten sind. Die Darlehnsmittel würden der Staat und der beteiligte Provinzial⸗ bezw. Bezirksverband je zu gleichen Teilen aufzubringen haben. Den Kreisen bleibt es überlassen, ob und inwieweit sie die einzelnen Winzer mit zinslosen Amortisations⸗ darlehen oder Schenkbeihilfen unterstützen wollen.

Meine Herren, diese von der Staatsregierung in Aussicht genommene Hilftzaktion deckt sich im wesentlichen mit dem Antrage, der eben im Hause vorgelegt worden ist und der nach der Erklärung des Herrn Abg. von Woyna die Zustimmung seiner Parteifreunde gefunden hat. Wir sind bereit, für die in Aussicht genommenen zins— losen Darlehen an die Kreise die Hälfte beizusteuern, falls der Provinzialverband der Rheinprovinz und der Kommunalverband von Wiesbaden sich bereit erklären, die andere Hälfte zu geben. Von diesen zinslosen Darlehen sollen, wie ich erklärt habe, 15 0 o den Kreisen erlassen werden; im übrigen sind sie, wie ich bemerke, zinslos und sollen erst nach Ablauf einiger Freijahre in mehrjährigen Raten zurückgezahlt werden.

Mit dieser Form der Beihilfe hat die Königliche Staatsregierung nicht den bereits in langen Jahren erprobten und bewährten Weg verlassen, daß sie auch in Fällen des Notstandes eine Beteiligung der zunächst Interessierten fordern und in der Beteiligung des Provinzial⸗ verbandes bezw. des Kommunalverbandes eine Anerkennung seitens dieser Verbände dafür erblicken muß, daß es sich in ihrem Bezirk wirklich um einen Notstand handelt. Meine Herren, es stehen bei dieser Beihilfe keineswegs unbedeutende Summen in Frage. Wir rechnen mit der Möglichkeit, daß seitens der Staatsregierung, falls die bisherigen Ermittelungen das erwartete Ergebnis haben, eine Summe von mehreren Hunderttausend, vielleicht von mehr als einer halben Million Mark zur Verfügung gestellt werden muß, und wir sind auch bereit, diese Summe zu bewilligen. Mit dieser Hilfsaktion kommen wir durchaus gleich, ja wir übersteigen sogar noch die Bei— hilfen, welche in anderen weinbautreibenden Staaten für den gleichen Zweck bewilligt bezw. in Aussicht genommen worden sind—

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

von 45 000 M in Betracht, von welcher in gleicher Weise zu je ,

auf den Staat, den Kommunalverband Wiesbaden und die Kreise des

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ich glaube deshalb, meine Herren, wiederholen zu können, was ich bereits in der Kommissionssitzung vom 10. d. M. ausgesprochen habe: Die pon der Staatsregierung in Aussicht genommene Hilfsaktion ist als ausreichend zur Beseitigung des Notstandes anzuerkennen, und da sie nicht auf den gegenwärtigen Augenblick beschränkt ist, sondern meines Erachtens solange fortgesetzt werden muß, bis der Notstand beseitigt ist (Abg. von Pappenheim: sehr richtig, so dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, daß mit den von der Königlichen Staatsregierung in Aussicht gestellten Mitteln eine Besserung der gegenwärtigen Lage des Winzerstandes zu erreichen sein wird.

Der Herr Berichterstatter hat noch darauf aufmerksam gemacht, daß ich davor gewarnt habe, mit der Hilfsaktion besondere Notstands⸗ arbeiten zu verbinden, welche durch die Herstellung des Weges auf dem rechten Rheinufer und von anderer Seite auch durch den bal— digen Bau eines Justizgebäudes in Rüdesheim in Aussicht genommen waren. Meine Herren, ich darf in dieser Beziehung hinweisen auf das, was ich bereits bei der ersten Besprechung der Lage der Winzer zum Ausdruck gebracht habe: unser ganzes Bestreben muß dahin gehen, die Winzer in ihrem Nahrungs⸗ und Erwerbsstande zu erhalten und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auch fernerhin dem Weinbau zu widmen. Wenn ich an Stelle einer dahin gehenden Bei⸗ hilfe den Winzern die Möglichkeit, ja, ich möchte sagen, die Not— wendigkeit gebe, sich anderwärts lohnende Arbeit zu suchen, wie es bei dem Bau von Wegen und von Gebäuden der Fall sein würde, ja, dann entfremde ich sie gerade ihrem Berufe lsehr richtig! rechts) und erreiche nicht das Ziel, das ich im Auge gehabt habe. (Bravo! rechts) Ich bitte nochmals, meine Herren, sich mit dem Standpunkt der Staatsregierung einverstanden erklären und den Antrag, der Ihnen eben vorgelegt worden ist, annehmen zu wollen. (Bravo! rechts.)

Abg. Müller⸗Koblenz (Zentr.): Einig ist man darüber, daß in diesem Jahre der Notstand besonders groß ist. Es handelt sich nicht bloß um die Erhaltung von Tausenden braver, fleißiger Winzer, sondern um die Erhaltung des gesamten rheinischen Weinbaues. Es wird auch darüber Einigkeit im Hause herrschen, daß eine energische Bekämpfung der Würmer. Läuse und Pilze notwendig ist; eine wirksame Bekämpfung ist aber nur möglich, wenn sie ein-. heitlich ist und eine großzügige Aktion ins Werk gesetzt wird. Die Sachverständigen sind übereinstimmend der Ansicht, daß, wenn nicht Hunderttausende dafür aufgewendet werden, eine wirksame Abhilfe nicht möglich ist. Die von der Regierung in Aussicht ge— stelltrle Beihilfe reicht zur wirksamen Bekämpfung des Heu- und Sauerwurms nicht aus. Der Staat will nur 150 000 Sa geben und stellt noch die Bedingung, daß die gleiche Summe von den Pro— sinzen und Kreisen aufgebracht wird. Damit können wir nicht

derstanden sein, denn danach würde unter Umständen die Staats⸗ hilfe überhaupt nicht in Frage kommen. Die Kreise sind ja durch en Notstand der Winzer selbst in eine Notlage gebracht rden. Und wenn die Provinzialverbände nichts geben, so be⸗ kommen die armen Winzer also überhaupt nichts, auch vom Ztaate nichts, und die Not der Winzer wird nur noch größer. Wenn sich aber der Staat trotzdem entschließen sollte, die 150 000 , zu geben, so ist mit dieser Summe ein wirklicher Erfolg überhaupt nicht zu erreichen. Bei den Hochwasserschäden in Schlesien hat der Staat viele Millionen gegeben, zum Teil sogar geschenkweise. Der Antrag Ahrens stellt eigentlich alles in das Ermessen der Regierung. Eine ausreichende Hilfe wünscht ja auch die konservative Partei. Die von der Staatsregierung in Aussicht gestellte Hilfe reicht aber nicht aus. Ich bitte Sie also, auf den Boden des Antrags der Kommission zu treten. Helfen Sie der heimischen Produktion, helfen Sie unseren heimischen Winzern.

Abg. Dr. Crüger (fortschr. Volksp.): Weshalb hat die Regierung nicht schon vor Monaten das Haus zusammengerufen und

ihm die erforderlichen Mittel gefordert? Es ist ihr in dieser ziehung ein Vorwurf nicht zu ersparen. Daß es sich hier um noch nicht abgeschlossene Versuche handeln soll, verstehe ich nicht. Es muß doch das ganze Weinbergsgebiet gereinigt werden; mit welchem Erfolg, ist abzuwarten. Nicht der Staat soll die ganzen Kosten tragen, den Gemeinden bleiben noch Opfer genug übrig, da die 60 „6 pro Morgen nur die Hälfte der Kosten decken. Die Unterstützung der Winzer zur Behebung ihres Notstandes ist von der Bekämpfung 's Heu⸗ und Sauerwurms zu trennen. Wenn es sich um einen irklichen Notstand handelt, dann darf die Regierung ihre Hilfe doch icht erst dann in Aussicht stellen, wenn auch die Kommunalverbände e Beihilfe leisten. Durch Notstandsarbeiten sollen die Winzer ht ihrem Beruf entzogen werden; es ist dabei vielmehr an die

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Il Forderungen der Handwerker gedacht, die durch den Notstand der

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Winzer in Mitleidenschaft gezogen sind. Meine politischen Freunde meinen, daß ganze Arbeit gemacht werden muß, und diese kostet außer⸗ ordentliche Opfer. Der Staat hat die moralische Pflicht, hier ein⸗ zugreifen. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag der Kommission anzunehmen.

Abg. Engelsmann (nl.): Als wirklicher Winzer, der schon seit Jahren im Weinberge des Herrn arbeitet, möchte ich auch meinen Senf dazu geben. Die letzte Mißernte des Jahres 1910 ist auch hervorgerufen durch den Heu⸗ und Sauerwurm. Alle chemischen Mittel haben nichts gefruchtet. Der einzelne kann sich nicht helfen, es ist eine ge⸗ meinschaftliche Bekämpfung notwendig. Versuche sind nicht mehr nötig, wir müssen gegen den Heu⸗ und Sauerwurm geschlossen vor— gehen durch Sommer und Winterbekämpfung. Der Staat muß Geld dazu hergeben, mindestens 60 ½ pro Morgen. Der ganze Rheingau wartet auf die heutige Abstimmung um morgen schon ans Werk zu gehen. Ich möchte deshalb dringend bitten, den Antrag der Kommission an— junehmen. (Der Redner verliest ein launiges Schreiben aus Rüdesheim, das ihm gestern zugegangen ist, und worin die Hoffnung ausgesprochen wird, daß auch das Plenum nicht so sehr Antialkoholiker sein werde, um Wasser in den Wein der Winzer zu gießen; Die Summe, um die es sich hier handelt, ist nicht bedeutend. Es kommen. 40 0900 preußische Morgen, höchstens 45 000 in Frage. Die staatliche Bei⸗ hilfe würde sich also auf etwa 2 Millionen bei 60 AM pro Morgen belaufen. Deshalb bitte ich die Staatsregierung dringend, den am Hungertuche nagenden Winzern nach Kräften zu helfen. Wenn wir dem Heu- und Sauerwurm energisch zu Leibe gehen, dann sind wir ihn vielleicht in acht bis zehn Jahren los.

Abg. von Pappenheim (kons.): Die Herren, die unmittelbar beteiligt sind und das Elend in ihrer nächsten Nähe sehen, sind nicht s ebiektike Richter wie ein Unbeteiligter. Ich verstehe es, daß die Not der Winzer, die jetzt zu verzweiflungsvollen Zuständen geführt hat, zu solchen Anträgen Veranlasfung gibt, aber wir müssen doch uns mit den nüchternen Verhältnissen ö und mit ruhiger Ueber⸗ legung untersuchen, was zu erreichen ist. Gerade bei, meinem herzlichen. Mitteid mit den Winzern will, ich nicht das

Berlin, Freitag, den 17. Februar

den alten Grundsätzen festhalten, nach denen wir bisher die Not stände bekämpft haben. Der Antrag ist schon in seiner Form unannehmbar; denn er schreibt ganz genau vor, wie und mit welcher Summe jede einzelne Gemeinde unterstützt werden soll. Von hier aus ist unmöglich zu beurteilen, ob die Summe richtig gegriffen ist, und ob die Verhältnisse so liegen, daß wir überall dieselbe Summe bewilligen sollen. Warum wollen Sie den alten Grundsatz verlassen, daß die Provinzen sich ebenso beteiligen müssen? Haben Sie solches Mißtrauen gegen Ihre Provinzialvertretung, daß sie sich dieser Not nicht annehmen wird? Das ist doch ein kleinliches Mißtrauen. Es handelt sich hier lediglich darum, den Maßstab der Betelligung der Staatsunterstützung an der Beteiligung der Provinzial- und Bezirksverbände abzumessen. Bei ruhiger Ueberlegung müssen Sie sich doch sagen, daß keine Provinzialvertretung oder Bezirksvertretung, die einen solchen Notstand sieht, sich weigern wird, zu helfen. Der Grundsatz, daß die Nichtbeteiligten sich an der Ab⸗ wendung solcher Notstände beteiligen müssen, ist dadurch gerecht⸗ fertigt, daß die Staatsmittel nur in Anspruch genommen werden können, wenn eine öffentliche Notlage nachgewiesen ist, und diese wird durch die Beteiligung der Nächstbeteiligten nachgewiesen. Daß die kapitalkräftige Rheinprovinz nicht den guten Willen haben könnte, zu helfen, wird doch niemand sagen können. Die Zahlen des Ministers sind nur als Beispiel für das angeführt, was zunächst und augenblicklich zu bewilligen ist; ich bin überzeugt, daß die Staatsmittel in Anspruch genommen werden müssen für die dauernde Erhaltung des Winzerstandes. Ich hitte, praktische Politik zu treiben. Was haben Sie davon, wenn Sie bei Ihrem Antrag beharren und der Minister ihn für unannehmbar erklärt? Wir haben unseren Vermittlungsantrag gestellt, um weitere Verhandlungen zwischen dem Staat, der Provinz und den Nächstbeteiligten offen zu halten; das ist der Weg, den Zweck zu erreichen. In Hessen⸗ Nassau und in der Provinz Sachsen hat es keine Schwierigkeiten emacht, bei früheren Notständen die Provinzialverwaltung und die Interessenten heranzuziehen. Es werden sich auch in diesem Falle einzelne Kreise, die nicht so sehr geschädigt sind, an der Hilfe beteiligen können. Auf Grund unseres Antrages läßt sich ein Mittelweg finden zwischen Ihren Wünschen und den Wünschen der Regierung. Beharren Sie aber auf Ihrem Antrag, so muß durch neue Ver⸗ handlungen eine Einigung erzielt werden, und dann muß die Sache nochmals in die Kommission zurück. Für die Interessen der Winzer ist der richtige Weg der Antrag Ahrens.

Darauf wird die Debatte geschlossen.

Der Antrag der Kommission wird mit der aus dem Zentrum und der gesamten Linken bestehenden Mehrheit angenommen. Die zu dieser Materie eingegangenen Petitionen werden für erledigt erklärt.

Darauf setzt das Haus die Beratung des Etats des Ministeriums des Innern, und zwar die gestern abge⸗ brochene Debatte bei dem Kapitel der Polizeiverwaltung in Berlin und Umgebung fort.

Abg. Rosenow lfortschr. Volksp.): Wir haben den neuen Polizei⸗ präsidenten von Berlin bei seiner Ernennung mit Vertrauen empfangen, er hat aber diesem Vertrauen nicht entsprochen. Höhere Polizeioffizlere haben Studien über die Regelung des Straßenverkehrs in größeren Städten des Auslandes gemacht, namentlich in England. Danach ist die Regelung des Straßenverkehrs in Berlin an manchen Punkten besser geworden, aber die Regelung des Wagenverkehrs in der Friedrich straße ist doch eine zweifelhafte Maßnahme, und der Magistrat hat diesen Versuchen nur zögernd zugestimmt. Die Bevölkerung hatte bereits größeres Vertrauen zur Polizei in Berlin bekommen, aber manche Maßnahmen des neuen Polizeipräsidenten zur Wahrung der Staatsautorität haben dieses Vertrauen nicht befestigt. In London dient die Polizei wesentlich zum Schutze des Publikums. Es wird lange dauern, bis die Berliner Bevölkerung wieder Vertrauen zur Polizei bekommt. Der Polizeipräsident hat mit Bezug auf Auf läufe und Straßendemonstrationen gesagt: „Ich warne Neugierige.“ Die Berliner Stadtverordnetenversammlung hat dagegen in einer Resolution gewünscht, daß bei solchen Gelegenheiten Unbeteiligte von der Polizei geschützt werden. Ich kann den Minister nur dringend bitten, in dieser Richtung Maßnahmen zu treffen. Bei den Moabiter Vorgängen sind tatsächlich Uebergriffe der Polizei gerichtlich fest—⸗ gestellt worden. Die Berliner Bevölkerung ist im allgemeinen durchaus ruhig und friedliebend, aber sie hat das Gefühl, in der Polizei einen Bedrücker zu haben. Die Polizei soll die Bevölkerung schützen, aber nicht dauernd gegen die Bevölkerung arbeiten. Es darf auch nicht Aufgabe des Polizeipräsidenten sein, die Stadt Berlin in der Anlegung von Verkehrsmitteln zu behindern. Der Polizeipräsident will aber die Konzession für die Nord⸗Südbahn nicht geben, wenn sich nicht die Stadt mit der Gemeinde Tempelhof ver ständigt hat. Dieser Standpunkt, der nur den im Hintergrunde stehenden Kapitalisten dient, ist nicht haltbar. Der Polizeipraͤsident scheint das jetzt selbst eingesehen zu haben, denn er hat jetzt an die Verkehrsdeputation den Wunsch gerichtet, daß die Pläne in ver⸗ schiedenen Kleinigkeiten noch geändert und umgezeichnet werden. Bei einem so großen Unternehmen kann es auf solche Kleinigkeiten nicht ankommen. Ich bitte den Minister, den Polizeipräsidenten zu ver anlassen, die Konzession zu erteilen. Der Wunsch der Stadt Berlin, daß ihr die Wohlfahrtspolizei übertragen werde, ist vom Oberpräsidenten ohne Angabe von Gründen einfach ab⸗ gelehnt worden. Ein solches Verfahren ist nicht zu billigen. Die Darstellung des Ministers über die früheren Verhandlungen be treffs Uebernahme von einzelnen Polizeizweigen ist recht ungenau ge wesen. Nicht der Magistrat ist mit Antworten im Rückstande geblieben, sondern die Regierung. Freiwillig hat die Regierung nichts getan, sondern die Stadt Berlin hat fortwährend gedrängt. Wo wird z. B. der preußische Staat in seinen Grundfesten erschüttert werden,

enn Berlin die Marktpolizei übertragen würde; so muß jetzt Berlin seine Beamten und Inspektoren unterhalten, und außerdem sind noch die Königlichen Beamten da. Wo es irgend möglich ist, muß die Re⸗ gierung der Stadt die Polizeigewalt abtreten. Sie wird sich gut dabei stehen. Wir haben auch unseren Bürgerstolz, wir sind stolz auf unsere Vorfahren, wenigstens ebenso stolz wie Sie (rechts). Unsere Vorfahren haben gearbeitet, Ihre Vorfahren haben aber auf den Burgen gesessen und die Landstraße unsicher gemacht. Ueben Sie der Stadt Berlin gegenüber Gerechtigkeit! Minister des Innern von Dallwitz: Der Herr Abg. Rosenow hat in Abrede gestellt, daß der Magistrat von Berlin auf den Antrag, ihm Zweige der Wohlfahrtspolizei zu übertragen, keine Antwort erteilt habe. Mitte der 90 er Jahre ist seitens der Staatsregierung dem Magistrat mitgeteilt worden, daß sie bereit sei, einzelne Zweige der Wohlfahrtspolizei dem Magistrat zu übertragen, und es sind ihm die Bedingungen, unter denen das ge— schehen sollte, mitgeteilt worden. Es ist darauf seitens des Magistrats beschlossen worden, eine Kommission einzusetzen, die darüber beraten solle. Die Kommission hat soweit mir bekannt bis zum Jahre 1897 getagt; von dem Ergebnis der Kommissionsberatungen ist jedoch der Staatsregierung keine Mitteilung gemacht worden. (Hört, hört!

EHI.

Die Frage der Konzession von Eisenbahnen berührt mein Ressort nicht; ich bin daher nicht in der Lage, dieserhalb Weisungen an die beteiligten Behörden zu erlassen. Der Abg. Rosenow ist daß es Pflicht der Polizei sei, Sorge zu tragen. Die Polizei und der Polizeipräsident sind sich ihrer Pflicht, das Publikum zu schützen, voll bewußt. In erster Reihe gehört dazu, daß, wenn zahlreiche Mißhandlungen von Personen, arbeitswilliger Arbeiter vorkommen, die Polizei die Pflicht hat, diese gegen solche Mißhandlungen und Gewalttaten zu schützen. (Sehr richtig! rechts) Wenn daraus sich Ausschreitungen entwickeln, die in hellen Aufruhr ausarten, so ist es ferner Pflicht der Polizei, die Ordnung wieder herzustellen und den Aufruhr zu unter⸗ drücken. (Sehr richtig! rechts) Daß es bedauerlich ist, wenn hierbei Unbeteiligte zu Schaden gekommen sind, habe ich bei der ersten Lesung ausdrücklich gesagt; daß aber bei nächtlichen Straßenkämpfen und bei einem Aufruhr, wie er tatsächlich sich in Moabit abgespielt hat (Abg. Hoffmann: Fall Herrmann, unbeteiligte Personen zu Schaden kommen, läßt sich nicht vermeiden. (Bravo! rechts.)

dann darauf zu sprechen gekommen, für den Schutz des Publikums

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Ich habe seinerzeit nur dargelegt, daß die Konzessionsverlängerung an die Große Berliner Straßenbahn der Regierung nach dem Eisenbahngesetz voll— kommen zusteht, und daß außerdem diese Verlängerung durchaus im Sinne und in der Absicht des Gesetzgebers lag. Darin lag nicht, wie zu meinem Bedauern der Abg. Cassel ausgesprochen hat, die Absicht, die Straßenbahn oder die hinter ihr stehenden Kapitalisten in Schutz zu nehmen, sondern eine Forderung der Gerechtigkeit. Da ich besondere Kenntnis von dem Inhalt der Gesetzgebung und der Absicht des Gesetzgebers hatte, so war es nicht nur mein Recht, sondern ich hatte auch die Pflicht, diesen Standpunkt einzunehmen. Der Abg. Cassel hat zu meinem Bedauern außerdem noch gesagt, daß ich auch anderswo die Interessen dieser Erwerbsgesellschaft ge⸗ fördert habe. Ich möchte ihn fragen, wo das geschehen sein soll. Aus der Rede des Abg. Liebknecht war mir seine Bemerkung über Gottesfurcht, Königstreue und Vaterlandsliebe besonders interessant. Er hat damit anerkannt, daß die Sozialdemokratie diesen Tendenzen in unlösbarem Gegensatz gegenübersteht. Er hat damit ferner Be⸗ strebungen, die eine Kulturaufgabe höchsten Ranges darstellen, die gleichmäßig alle Teile des Volkes angeht, als Parteipolitik bezeichnet. Recht bezeichnend für ihn war die ganze Art, wie er sich an dieser Stelle hatte. Aus der Begründung des Moabiter Urteils geht mit Deutlichkeit hervor, daß eine sozialdemokratische Suggestion obgewaltet hat. Diese Behauptung halte ich auf der ganzen Linie aufrecht. Der Haß ist eine schlechte Unterlage für eine Beurteilung der Dinge. ß die Sozialdemokratie den Haß erregt hat, das weiß alle Welt. In dem von der Sozialdemokratie unterwühlten

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Das, was der Abg. Liebknecht gestern über die

Moabiter Vorgänge gesagt hat, ist völlig wahrheitswidrig. Wenn so auf die Arbeiter eingewirkt wird, dann unterliegt es keinem Zweifel, daß sie unter sozialdemokrat cher Suggestion sachlich nicht wahrheitsgemäß aussagen können. Man könnte den Ring sogar noch etwas weiter ziehen. Erst hat die Sozialdemokratie den Haß erregt, dann hat sie durch planmäßige Suggestion die Zeugen zu für die Polizei ungünstigen Aussagen veranlaßt (Abg. Hoffmann: Unerhört h), damit sie dann das Material gegen die Polizei verwenden kann. (Abg. Hoff mann: Das ist unerhört Ich gehe zwar nicht so weit, aber das unterliegt keinem Zweifel, daß, wer die Beschuldigungen erhebt, nicht nur unkontrollierbare Beschuldigungen, sondern auch leichtfertige Be schuldigungen ausspricht. (Abg. Hoffmann: Das tun Sie!) Wer die Darlegungen des Abg. Liebknecht über die Vorgänge in Moabit angehört hat, kann keinen Zweifel mehr daran hegen, daß die Stim mung, aus der die Unruhen entstanden sind, durch sozialdemokratische Verhetzung entstanden ist, daß die Sozialdemokratie also die Haupt schuld an den Moabiter Vorgängen hat. Der Abg. Cassel hat sich hier sehr aufgeregt. (Zuruf des Abg. Cassel.) Mir ist das so er⸗ zählt worden. Ich könnte den Beweis führen, daß die Stadt⸗ verwaltung nicht nach allen Richtum Höhe der Zeit ist, und daß sie nach gewissen R Prädikat ückständig“ erhalten muß. 3 iere nur die Be Frage des Tempelhofer Feldes. or mir lieg

des Bürgervereins von Pankow, aus der hervor die Stadt Berlin sieben Jahre Pankow ohne eine Ent⸗

scheidung gelassen hat. Daß Berlin nur freisinnige hat, muß ich aufrechterhalten. Forckenbeck war nationalliberal. er Bürger meister wurde, hatte er aber schon sein jungliberales Herz ent deckt. Ich erinnere nur an seinen Einwurf gegen die Ernennung Bennigsens zum Minister. Er stand schon im Mai 1889 bei seiner Rede auf dem großen zoologischen Gartenfest auf diesem Standpunkt. Der jetzige Kämmerer ist zwar konservativ. Aber er ist nur Konzessionsschulze. Weil bekanntlich in Geldsachen die Gemütlichkeit aufhört, hat man ausnahmsweise einmal von der Parteirichtung abgesehen und einen Mann aus einer anderen politischen Richtung genommen, weil man annahm, daß er die Vermögensverhältnisse der Stadt Berlin in ausgezeichneter Weise wahrnehmen kann. (Vizepräsident Dr. Krause: Ich möchte dem Redner mitteilen, daß ich schon seit längerer Zeit auf den Zusammenhang mit der Polizeiverwaltung Berlin warte) Meine Ausführungen gipfeln darin, daß Berlin in der jetzigen Lage kaum imstande ist, weitere Zweige der Wohlfahrtspolizei zu übernehmen. Wenn der Stadt Polizeizweige übertragen werden, muß der Bürgermeister eine größere Initiative und eine stärkere Stellung haben, als es jetzt der Fall ist. Wenn ich an den Berliner Verhältnissen Kritik übe, so geschieht es in dem lebhaften Wunsch, daß die Berliner Stadtverwaltung wirklich auf der Höhe sein möge, aus Interesse und Liebe zur Residenzstadt. Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Ich bedauere, daß der Abg. von Zedlitz meine neulichen Ausführungen nicht hat anhören können, sonst hätte er nicht falsche Meinungen darüber bekommen können. Ich habe durch⸗ aus nicht gesagt, daß die Stadt Berlin nicht kritisiert werden dürfe, und daß Berlin in jeder Hinsicht auf der Höhe stehe. Wenn der Abg. von Zedlitz sich auf meine Behauptungen stützen will, so muß er doch ihren genauen Wortlaut kennen. Wenn ein Journalist auf der Tribüne etwas Falsches gehört hat, was ich nicht gesagt habe, so kann doch der Abg. von Zedlitz nicht sagen, es sei bezeichnend, daß ein Journalist das gehört zu haben glaubte. Ich habe nicht gesagt, daß die Stadt Berlin über die Kritik des Abg. von Zedlitz erhaben sei. Bei der Akustik des Hauses wird wohl der Abg. von Zedlitz solche Mißverständnisse der Presse schon in andern Fällen erfahren haben. Ich bleibe dabei, daß die Konzessionsverlängerung der Großen Berliner Straßenbahn hinter dem Rücken Berlins eine große Schädigung der Stadt gewesen ist. Nach dem Kleinbahngesetz durfte die Regierung nach unserer Ansicht die Konzession erst nach der Genehmigung durch den Wegeunterhaltungspflichtigen erteilen; der Wegeunterhaltungspflichtige ist die Stadt Berlin, diese hatte die Ge⸗ nehmigung nur zu der Konzession bis 1919 erteilt, die Regierung verlängerte aber die Konzession bis 1949. Die Cempelhoser An⸗

Unerreichbare verlangen. Der Antrag der Kommission ist nicht nur für die Regierung, sondern auch für alle diejenigen unannehmbar, die an

rechts. Ganz unrichtig! links.)

gelegenheit behandelt der Abg. von Zedlitz sehr leicht; ich weiß nicht, ob