Dann, meine Herren, komme ich zu der Frage einer Erhöhung der Zeugen⸗ und Sachverständigengebühren. Ich kann hier nur Bezug nehmen auf die Erklärungen, die ich im vorigen Jahre bei der Etats⸗ beratung abgegeben habe. Wie ich dort bereits bemerkt habe, war ein Entwurf, der eine Erhöhung der Gebühren der Zeugen nnd Sach⸗ verständigen vorsah, von dem Reichsjustizamt und dem preußischen Justiz⸗ ministerium ausgearbeitet worden, bei dessen näherer Prüfung sich aber ergeben hat, daß seine Durchführung den Bundesstaaten und den Prozeßparteien Mehraufwendungen verursachen würde, die sich auf Millionen belaufen. Deshalb habe ich damals erklärt, daß der Herr Reichskanzler Bedenken trage, eine Vorlage von so großer finanzieller Tragweite zu einer Zeit einzubringen, wo das Reich und die ver⸗ bündeten Regierungen zur äußersten Sparsamkeit gezwungen sind, und daß der Entwurf daher einstweilen zurückgestellt worden sei.
Im wesentlichen steht die Reichsregierung noch auf demselben Standpunkt. Wenn aber das hohe Haus es wünscht, werden wir in Erwägungen darüber eintreten, ob es vielleicht möglich ist, im nächsten Winter einen derartigen Gesetzentwurf vorzulegen.
Abg. Dr. Ablaß (fortschr. Volksp.): Ich halte mich verpflichtet, auf den Fall Becker einzugehen. Im preußischen Abgeordnetenhause sind darüber recht merkwürdige Anschauungen zum Ausdruck ge⸗ kommen. Wir haben den Vorwurf der Klassenjustiz immer zurückgewiesen. Wenn aber Fälle wie der Fall Becker sich wieder⸗ holen? sollten, dann müßten auch wir diesen Vorwurf erheben. Becker hat nach meiner Auffassung zwar sehr scharf kritisiert, ist vielleicht auch über die Grenze des Zulässigen hinausgegangen, er ist aber aus dem Prozeß hervorgegangen als ein durch und durch unantastbarer Ehrenmann; wir sprechen ihm sogar für seinen Frei⸗ mut, für seinen Bekennermut unseren Dank aus. Wir tun das um so lieber, als ihm im preußischen Abgeordnetenhause eine Kritik zu⸗ teil geworden ist, die ihm eine Fülle von Schlechtigkeiten nach⸗ sagte. Diese Stellungnahme der konservativen Partei ist ja nicht auffällig, wenn man sich ihre Presse ansieht, da möchte man das Auftreten der Partei da drüben fast noch zart nennen. Die „Kreuzzeitung“, das Blatt des Deklarantentums, über die schon Fuüuͤrst Bismarck die ganze Schale seines sittlichen Zorns aus⸗ gegossen hat, ist noch dieselbe, wie sie damals war. Einen vommerschen Dreyfus hat sie Becker genannt, die ganze liberale Juden⸗ schaft hätte sich verpflichtet gefühlt, für Becker eine Art Blutrache zu nehmen. Die „Kreuzzeitung“ hat ihn auch mit dem herumziehenden Schuster von Köpenick verglichen. Darüber kann man nur physischen Widerwillen empfinden, und das ist das Blatt, das heuchlerisch nach den schärfsten Strafen für diejenigen ruft, die sich vermessen, die Ehre ihrer Mitmenschen anzutasten! Der Prozeß Becker ist nur zu verstehen, wenn man das Milieu würdigt in dem er sich abgespielt hat. Auffälligerweise hat der preußische Justizminister sich lebhaft dafür eingesetzt, die Rechte der Verteidigung in der neuen Straf— prozeßordnung einzuschränken; der Abg. Varenhorst hat heute sofort die⸗ felbe Melodie weiter gesponnen. Gerade dieser Prozeß also gibt dem Minisfter Anlaß zu folcher Stellungnahme. Angeklagt war Becker wegen Verleumdung; verurteilt worden ist er wegen Beleidigung Wagt der preußische Justizminister zu behaupten, daß er zu Recht wegen Verleumdung verurteilt worden wäre, wenn es gelungen wäre, ihm den Zeugenbeweis abzuschneiden, wie es das Gericht ur⸗ sprünglich tat? Becker war ursprünglich nationalliberal, trat aber 'später der Freifinnigen Vereinigung bei und agitierte für die Wahl von Dr. Dohrn im Jahre 18958. Da ging unter der Führung des Landrats Freiherrn von Maltzahn die offizielle Hetze gegen Becker in Kreise Grimmen los; gegen Becker und seinen Freund Wendorff wurde Beleidigungsklage über Beleidigungsklaͤge angestrengt; disziplinarisch wurde er seines Amtes als Gutsvorsteher enthoben. Der gegenwärtige Nachfolger wurde vom Landrat nicht bestätigt, weil er liberal war. (Zuruf rechts,.) Ich muß Sie schon bitten, Herr Abg. Dr. Wagner, diese Sache ausführlicher besprechen zu dürfen; Ihnen und Ihren Freunden wäre es ja wahrscheinlich angenehmer, wenn sie ein stilles Begräbnis erführe. Der Tandrat von Maltzahn hat sich auf einen liberalen Kronzeugen, Wägler, berufen; aber dessen Bekundungen fielen ganz und gar nicht zu Gunsten des Landrats aus. In dem Disziplinar⸗ verfahren gegen Becker ist gerichtlich festgestellt worden, daß der An geklagte sich in den drei Jahren von 1897— 1899 46 Ordnungs⸗ strafen zugezogen habe, Exekutivstrafen im Gesamtbetrage von 2310 6 hätten vom Landrat damals der bekannte Herr Osterroht gegen ihn fesigesetzt werden müssen. Alle diese Ordnungs- und Exekutiv strafen betreffen zum größten Teile Kleinigkeiten, aus denen Pflicht⸗ verletzungen nur bei äͤußerster politischer Voreingenommenheit ge⸗ folgert werden können, es war eine Polltik der Nadelstiche, be⸗ stimmt, den Mann nervös zu machen und zur Verzweiflung zu bringen. In einzelnen dieser Fälle hatte der Landrat gar nicht das Recht, mit Exekutivstrafen vorzugehen. Mit Recht hat Becker das Vor gehen des Amtsvorstehers in einer Armensache als einen ungesetz⸗ lichen Gewaltakt bezeichnet, und das Oberverwaltungsgericht und das Oberlandesgericht hat diese Auffassung bestätigt. In Pommern setzt sich aber die Verwaltungsbehörde souverän über solche Gerichte hinweg. Man hat es nun Becker besonders zum Vor wurf gemacht, daß er in einem Brief erklärt hat, er könne so lange mit dem Landratsamte nicht verkehren, solange der Landrat Sstferroht Landrat sei. Es war schon damals stadt⸗ und landbekannt, daß der Landrat Osterroht sich, schwerer sittlicher Verfehlungen gegen den 5175 St.⸗G.-B. schuldig gemacht hatte. Das Disziplinar— urteil schreitet über diesen Fall Osterroht nur ganz flüchtig hinweg. Schon damals wurde dem damaligen Assessor von Maltzahn das Land⸗ rattamt in Grimmen übergeben, obwohl Osterroht noch im Amte war. 1559 wurde von der Staatsanwaltschaft gegen Ssterroht ein Steckbrief erlassen; der Beleidigungsprozeß gegen Becker wurde eingestellt. 1900 übernahm von Maltzahn die kommissarische Verwaltung des Landratsamtes. Im „Greifswalder Tageblatt‘ fragte im Sprechsaal Becker, warum der Fall Osterroht nicht aufgeklärt sei, und machte den Regierungspräsidenten Scheller dafür verantwortlich. Der Redakteur wurde zu 300 MS½ Geldstrafe verurteilt, Becker erhielt einen Monat Gefängnis. Osterroht zog nach Steglitz und verführte dort junge Burschen. Der „Steglitzer Anzeiger! hat diese Sachen aufgedeckt. Ich will hoffen, daß dies dem „Steglitzer Anzeiger“ nicht schlecht bekommen ist. Es wird nun behauptet, ich möchte nicht daran glauben, daß er jetzt noch aus einem staatlichen Fonds Bezüge hat. Derselbe Osterroht ist in Karlsruhe wegen Beleidigung eines Zöglings eines Pädagogiums zu 200 ( Geldftrafe verurteilt worden. So sieht der Tobfeind Beckers aus! Becker wurde vorgeworfen, er habe bei dem Absingen des bekannten Landratsliedes kein Zeichen sittlicher Entrüstung gezeigt, sondern die Dreistigkeit gehabt, zu schmunzeln. Es kam schließlich zur Anklage, und der Staatsanwalt beantragte vier Monate Gefängnis.. wegen Schmunzelns! Das Disziplinargerichtsurteil enthält persönliche Gehässigkeiten gegen den Beschuldigten, deren sich ein Gericht niemals schuldig machen sollte. Becker hatte durchaus recht, sich gegen den Vorwurf des Querulantentums energisch zu verwahren. Disziplinarrichter in diesem Prozeß war Oekonomierat Hecht, von dem gerichtlich festgestellt wurde, daß er in einem Pferdehandel mit Becker gegen Treu und Glauben
gehandelt hatte! Becker hat aller⸗ dings das Urteil sehr scharf kritisiert in Ausdrücken, die ich nicht billigen kann. Aber wenn man, das Material abwägt, so muß man feststellen, daß er haufenweise Anlaß hatte, dem Ver⸗ waltungsorgan die Fähigkeit abzusprechen, über politische Gegner zu Gericht zu sitzen. Der Landrat von Maltzahn hat die Begriffe zwischen liberal. und sozialdemoktratisch ver⸗ schoben, dadurch, daß er diejenigen Liberalen, gegen, die er nichts machen konnte, für versteckte Sozialdemokraten erklärte. Um einer Verschleierung des Tatbestandes in Zukunft besser be⸗ gegnen zu können, ist festzustellen, daß bereits im Oktober 1899
des Kreisausschusses ergangen war, Genehmigung erteilt war, die Be⸗ stätigung als stellvertretendem Gutsvorsteher jeder Person, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Becker stand, zu versagen. Ein derartiger genereller Beschluß ist, geradezu ungeheuerlich. Hatte Becker nicht recht, wenn er diese Zustände geißelte? In Betracht kommt nur die Frage, ob Becker zu dem Vorwurf, der Landrat nehme sein Amt wahr als politischer Agent des agrarischen Demagogentums, berechtigt war oder nicht. Das aber kann nachgewiesen werden. Freiherr v. Malßahn hat den politischen Bohkott zu einem politischen System erhoben. Er ist überhaupt ein politischer Temperamentsmensch ersten Ranges. Der Redner erörtert ausführlich einen Einzelfall, um das zu beweisen. (Der Vize⸗ präfident Schultz unterbricht den. Redner und bittet ihn, sich an die Sache zu halten.) Dieser Fall ist ein typischer Beweis für meine Behauptung; Sie können mich nicht hindern, ihn vorzubringen, da er im Zusammenhang mit dem Prozeß Becker steht. Vizepräsident Schultz: Das hätten Sie zunächst er⸗ wähnen müssen. Dann hat der Präsident nicht zugehört. (Vize— präsident Schultz: Ich verbitte mir die Kritik meiner Geschäfts⸗ führung. Ich höre seit zwei Stunden Ihren in sehr losem Zusammenhang mit dem Justizetat stehenden Ausführungen genau zu und habe bisher das vermißt, was ich erst jetzt aus Ihrer Bemerkung erfahre, nämlich die Begründung des Zu⸗ sammenhanges.) Der Redner führt weitere Vorkommnisse an und fährt fort: Liegt nicht in dem ganzen System eine Gesinnungs⸗ riecherei; ist es nicht ein derartig verabscheuungswürdiges System, daß man sich nur wundern kann, daß nicht durch den
ein amtlicher Beschluß durch den dem Landrat die
Unwillen der ge⸗ samten Bevölkerung derartige, Regierungsmaximen beseitigt werden? Der konfervative Parteisekretär Brehm hat auf Veranlassung des Landrats von Maltzahn die beschimpfende Artikel gegen Becker ver⸗ öffentlicht; ihm stand sogar das Archiv des Landrats dafür zu Ge bote. Das schlimmste Beweisstück des Prozesses ist der 1906 unter⸗ nommene Annäherungsbersuch an Becker., Im Sommer 19606 sprach der Landrat Becker auf dem Wochenmarkt in Grimmen sehr freundlich an und lud ihn zu einer Rücksprache auf dem Landratsamt ein. Becker sagte zu, ging aber nicht hin und reagierte auch nicht auf nochmalige schriftliche Einladung. Das nützte der Landrat aus; Becker, habe die dargebotene Hand rücksichtslos ausgeschlagen. Becker erklärte, er sei nicht gegangen, weil er befürchtet habe, auf das erwartete schimpfliche Ansinnen, seine bisherige Gesinnung zu verraten, nicht mehr Herr seiner Entrüstung bleiben zu können. Die Aussage des Landrats, daß ihm das durchaus ferngelegen habe, ist durch die Beweisaufnahme widerlegt, denn es gelang dem Verteidiger, den geheimen Bericht des Landrats an den Regierungspräsidenten vor Gericht zur Verlesung zu bringen. (Der Redner perkiest diefen Bericht. Der Bericht stellt fest, daß Becker sich neuerdings der liberalen Agitation enthalte, im Verkehr mit den Behörden wieder einen höflichen Ton anschlage, sich auch in vorsichtiger Weise wieder den nicht zu seiner Partei gehörigen Kreisen der landwirtschaftlichen Be völkerung zu nähern beginne; der Landrat rechne mit der Möglichkeit, ihn durch richtige Behandlung aus dem ultrafreisinnigen Fahrwasser abzulenken oder ihn wenigstens zu einem „loyaleren“ Verhalten zu veranlassen; folge er der Einladung nicht, so falle das Odium auf ihn. Zuletzt wird der Regierungspräsident um Bescheid ge⸗ beten, wie weit der Landrat dem Becker entgegenkommen dürfe. Zu bedenken bleibe allerdings, daß Becker vielleicht in der Wahl⸗ kampagne wieder in seinen alten Fehler zurückverfalle; es wäre daher vielleicht ratsam, ihm die Gutsvorstehergeschäfte erst nach den Wahlen wieder zu übertragen. Der Regierungspräsident erteilte ganz in dem gewünschten Sinne die erbetene Er⸗ mächtigung. Ist dieser ungeheuerliche Bericht nicht der klassische Beweis für die Behauptung Beckers, daß Landrat der politische Agent der Agrarier sei? Es wird bei Becker politische Besserung konstatiert; der Landrat, nennt das: „Herr Becker versucht sich zu rehabilitieren. Das ist die schlimmste Beleidigung und Beschimpfung eines Ehrenmannes. Ist solche agrarische Proselytenmacherei die Aufgabe preußischer Behörden? Es war sehr dankenswert, daß wir in den Besitz eines solchen Berichts gekommen sind; ein Bild der höchsten politischen Ent artung entfaltet sich hier vor unserem geistigen Auge. Wirt schaftlicher und gesellschaftlicher Boykott, Knebelung der freien Meinungsäußerung und Rachsucht zeigen sich hier vereinigt als die Mittel, deren sich die Agrarier und ihre Agenten gegen einen politischen Gegner bedienen. Nicht für den Landrat, sondern für Becker ist der Prozeß die glänzendste Rechtfertigung gewesen. Die Akten des liberalen Vereins haben nicht vorgelegt werden dürfen, was mag da erst drin gestanden haben, wenn man diesen Geheim bericht ruhig der Oeffentlichkeit übergab? Becker hat sich seine zolitische Unabhängigkeit nicht für das Linsengericht freund sichen Verkehrs mit der agrarischen Beamtenschaft und den Kon serbativen abkaufen lassen. Ich bilde mir nicht ein, dem Landrat mit diesen Darlegungen zu schaden; ich weiß ja, daß Landräte dadurch in gewissen Sphären nur an Respekt gewinnen können. Auch dieser Fall beweist, wie weit die politische Korruption in Preußen ihre Kreise zieht. Becker hat es mit der Verfassung ernst
der
des
der genommen, der Landrat von Maltzahn hat sie verletzt, indem er die Gleichheit der Staatsbürger verleüt hat. Becker ist Mu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Dieses exorbitante Strafmaß steht in einem bemerkenswerten Gegensatz zu dem milden Urteil, daß der Lord Oberrichter in England gegen Mylius gefällt hat, der den König von England der Bigamie beschuldigt hat, und zu dem ebenso milden Urteil gegen den betrunkenen Schiffskoch, der die Nachtwache von Rembrandt in Amsterdam durchlöchert hatte. Der Sieg des Landrats von Maltzahn war ein Pyrrhussieg; noch ein solcher Sieg, und die preußische Verwaltung ist, verloren. Wenn sie aber zusammenstürzen sollte, so wünsche ich, daß sie in ihren Fall nicht mit hineinrisse das Vertrauen der Bevölkerung zur Unabhängigkeit der Gerichte. Damit wäre dieser Sieg zu teuer erkauft. 3
Abg. Roth (Wirtsch. Vgg: Ich habe erst nicht begriffen, weshalb die Liberalen sich Beckers so sehr annahmen, mir ist aber gesagt worden, daß Becker früher Bernstein hieß, und das erklärt manches. Es steht eine allgemeine Revision des Strafrechts bevor, bis aber das neue Strafgesetzhuch zustande kommt, dürften 10 bis 20 Jabre verfließen. Deshalb halte ich, es für richtig, daß schon jetzt eine Reform des Strafvollzugs in Angriff genommen wird, ebenso not wendig ist eine andere Regelung der Gebühren für Zeugen und Sachverständige. Die Kosten, die manche Prozesse, namentlich die Nahrungsmittelverfälschungsprozesse verursachen, stehen oft nicht im rechten Verhältnis zu der Höhe der Objekte, um die es sich handelt. Dagegen finden manche Beleidigungen in solchen Fällen keine rechte Sühne, wo die Beleidiger die Geldstrafe nicht aufbringen können. Einer tatsächlichen Schimpffreiheit erfreuen sich auch gewisse sozial demokratische Redakteure, die ungestraft die größten Beschimpfungen aussprechen können, weil die Partei mit. ihrer Kasse für sie eintritt. Der Redner fragt dann noch, wie weit die Vorarbeiten einer Reform auf dem Gebiete der Konkurrenzklausel gediehen seien, und äußert sich dann über die Termine beim Reichsgericht. Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco: Meine Herren! Von dem Herrn Vorredner bin ich wohl bezüglich weit ausstehenden Termine beim Reichsgericht mißverstanden worden. Meine Ausführungen bezogen sich natürlich nur auf die Termine in Zivilsachen. In Strafsachen steht die Sache ganz anders. Nach dem letzten, hier am 1. Februar d. J. eingegangenen Bericht standen damals in den meisten Strafsenaten die Termine nur etwa 6 Wochen aus; bekanntlich waren nur in den Zivilsenaten die Reste während der letzten Jahre so groß geworden, daß Abhilfe geschafft werden mußte, und hier wird auch mit der Zeit eine erhebliche Ver⸗ kürzung der Frist von 9 auf 6 Monate — ich hoffe, später auf 3 Monate — erreicht werden.
Der Herr Abg. Roth ist dann noch eingegangen auf das Straf⸗
der
vollzugsgesetz und hat gemeint, es würde die Revision des Straf., gesetzbuchs wohl 10 oder 20 Jahre dauern, und deshalb könnte ein Strafvollzugsgesetz schon vor der Strafrechtsreform erlassen werden. Meine Herren, ich habe bereits im vorigen Jahre erklart daß das Strafvollzugsgesetz sich zweckmäßig erst an da neue Strafgesetzbuch angliedern könne, und ich hoffe be— stimmt, daß die Revision des Strafgesetzbuchs nicht erst in so langer Frist erfolgen wird, wie der Herr Abg. Roth meint. Ihh denke, daß wir in wenigen Jahren in der Lage sein werden, dem hohen Reichstage den Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs vor, zulegen.
Dann hat der Herr Abg. Roth noch gefragt, wie es um die Konkurrenzklausel stände. Im Februar vorigen Jahres hat der Herr Staatssekretär Delbrück hier eine Erklärung darüber abgegeben. Ich kann nur bemerken, daß innerhalb der Bundesregierungen in dieser Richtung Erörterungen schwebten. Insonderheit ist der Gedanke der sogenannten bejahlten Karenz zur Erwägung gestellt. Wir sind ernstlich bemüht, die Frage einer Klärung entgegenzuführen. Die Prüfung, ob der Grundsatz der bezahlten Karenz, der von selhs eine sehr erhebliche Einschränkung der Konkurrenzklausel zur Folge haben würde, durchführbar sei, ist aber noch nicht zum Abschluß ge— kommen. Ich muß bemerken, daß sich die Angestelltenverbände, de sich auch über diese Frage geäußert haben, leider diesem Vorschlage gegenüber im wesentlichen ablehnend verhalten haben. Ich wiederhole, die Erörterungen über die Frage sind im Fluß, aber biz jetzt noch nicht zum Abschluß gelangt.
Hierauf wird nach 6½ Uhr Mittwoch, 1 Uhr, vertagt.
die Weiterberatung auf
Preußischer Landtag. Herrenhaus. Sitzung vom 21. Februar 1911, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Manteuffel teilt mit, daß
Der Präsident Freiherr von der Vizepräsident Freiherr von Landsberg⸗Steinfurt Seiner Majestät dem Kaiser und König zu Allerhöchstdessen Geburts—⸗ tage die Glückwünsche des Hauses übermittelt habe.
Das Andenken des verstorbenen Mitglieds Grafen Dietrich von der Schulenburg-Lieberose ehrt das Haus in der üblichen Weise.
In das Haus neu berufen sind Generalfeldmarschal von Bock und Polach, Generaloberst von Lindeguist, Generalleutnant z. D. Graf von Kanitz, Konteradmiral z. D, Rittergutsbesittzer von Grum me, Geheimer Medizinalrat, Professor Dr. Waldeyer, Klempnermeister Plate⸗Hannover, Sberbürgermeister Dr. Eich ho ff-Dortmund und Oberbürger meister Reimarus⸗Magdeburg.
Der Verordnung vom 21. Juni 1910 zur Bekämpfung der Krätze auf der Insel Rügen erteilt das Haus nach dem Antrage des Berichterstatters Herrn von Esbeck⸗Platen die Zustimmung, ebenso der Verordnung zur Bekämpfung der akuten Polyomyelitis (Kinderlähmung) in der zrovinz Branden burg und dem Stadtkreise Berlin nach dem Antrag des Be richlerstatters Herrn von Klitzing sowie der Verordnung zur Bekämpfung der akuten spinalen Kinderlähmung im Regierungs bezirk Schleswig nach dem Antrag des Berichterstatters Herm Dr. Todsen.
Dann folgt die Beratung des Gesetzentwurfs über die Reinigung öffentlicher Wege auf Grund des e richts der Kommunalkommission.
Unkerstaatsfekretär Dr. Freiherr von Coels von der Brügghen. Das Gefetz hat dem Hause schon in der vorigen Session vorgelegen sein Zweck ist, einen festen Rechtszustand zu schaffen gegenüber der heute vielfach auseinandergehenden Rechtsprechung, und zwar Grund eines Gesetzes. Es liegt heute dem Hause nicht in der gleich Form vor, wie im Vorjahre. Die damaligen Beschlüsse des Haufe sind berücksichtigt worden. Die Aenderungen gehen in der Haupt fache dahin, daß die Befugnisse der Gemeinden ausgedehnt wurden indem fie die Berechtigung erhielten, die Straßenreinigung nicht i Form von Leistungen, sondern auch in der von Geldbeträgen z bewirken. Dann hatte man die Abwälzung der Gemeindekosten fu die Reinigungspflicht auf die Straßen innerhalb der geschlossene Ortschaften und die dem inneren Ortsverkehr dienenden Strang beschränkt. Beide Wünsche des Hauses haben wir in das Gesetz au genommen. Es haben sich mancherlei Ausstellungen erhoben, namenth von Vereinen und einzelnen Grundbesitzern. Wir empfehlen abel dem Hause seine Annahme 5s M legt die polizeimäßige Reinigung der
ich Ill
Wege den meinden auf und überläßt die Entscheidung, welche Wege inne halb der geschlossenen Ortslage dem inneren Verkehr der Ol schaft dienen und daher der Reinigungspflicht unterliegen, den Kreis⸗ bezw. Bezirksausschuß.
Herr Dr. Bender⸗Breslau: Ich habe gegen diese Bestimmum einige Bedenken. Derartige kleine Fragen find geeignet, von diu Gemeindebehörden selbständig geordnet zu werden, also reine Lokn fragen. .
Geheimer Oberregierungsrat Dr. Hecht hält es aus praklischen Gründen für richtig, daß es bei der Kommissionsfassung bleibt.
Nach einer Erwiderung des Oberbürgermeisters Dr. Bendel wird 51 und der übrige Teil des Gesetzes nach den Beschlüsse⸗ der Kommission angenommen. .
Während der Sitzung ist dem Hause ein Antrag des Gruset von Mirbach-Sorquitten zugegangen, die Königliche Stan regierung zu ersuchen, in geeigneten, insbesondere lein Organen eine offizielle, gemeinverständliche Darstellung de Inhalts der Reichsfinanzreform von 1909 sowie der durch de Steuersätze bedingten Preiserhöhungen im Gebiete der Konsum steuern zu geben. . h
Letzter Gegenstand der Tagesordnung ist die erahm des Entwurfs einer Wegeordnung für die Provin Ostpreußen. .
Unterstaatssekretär Dr. Freiherr von Coels von der Brüg gb Der Entwurf regelt die Wegeverhältnisse Ostpreußens nach dem Mu der Wegeordnung für Westpreußen, wobei die besonderen Verhaltu Ostpreußens berücksichtigt werden, und mit ihnen zugleich,, Aenderungen, die die Rechtsprechung getroffen hat. Auf diele ele, bringt er einen Fortschritt in das Gesetz. Die wichtigste lende wurde im S5 vorgenommen. Nach der früheren Wegeordnung hahn die Kreis- bezw. Bezirksausschüsse zu disponieren über die Wege Gemeinden und Städte im Interesse der besonderen Anlagen, die getroffen hatten. Dazu gehörten Wasseranlagen, Brücken nsw, un auch die Wasser⸗ und Gasleitungen, Anlagen, die Jetzt in ihrer. mn dehnung ganz außerordentlich gewachsen sind und für die Gem ng allmählich an Bedeutung ganz ungeheuer gewonnen *
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
.
lich war,
zum Deutschen Reichsanzei
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Die Kommission war der Ansicht, daß es in A ; 8 s An Anbetracht der Bedeutung dieser Anlagen nicht richtig sei, ihre Ve ha ttn ff so, nebenher mit einer Bestimmung der Wegeordnung zu regeln. Diese Regelung müsse, wenn sie überhaupt erforderlich erscheine, in gnein besonderen Gesetz, in einem staatlichen Wegegesetz erfolgen. Die eln . , nicht nachdrücklich entgegentreten Die Vorlage hat übrigens dem ostpreußischen Provinziallandta— ken dortigen Behörden vorgelegen. . . Na h 5 5 hat der Wegebaupflichtige die Ausführung und Veränderung der festgestellten Bahnübergänge, Brückenanlagen und Drainagen innerhalb des Wegegebiets zu gestatten. Herr E hlenther beantragt, daß für Brücken. Durchlässe und Drainagen im Landes⸗ und Kulturinteresse eine gewisse Bevorzugung geschaffen werde. Gerade in Ostpreußen seien Drainagen von größte Wichtigkeit und sollten möglichst gefördert werden. ö. . lunlerstaatẽ sekrglar Dr. Freiherr von Coels von der Brügghen: 2 ie Richtung des Antrages ist durchaus sympathisch. Er mag im Melioration intz resse zweckmäßig sein, paßt aber nicht in eine Wege— nung, die Wegerecht und Wegebaulasten ordnet. Wenn man a kütrnmanlagen und dergleichen nicht in, das Gesetz hineinnahm n dürfen auch diese Bestimmungen nicht hineinkommen; sie gehören etwa in , Wassergesetz. Herr Schlenther stellt fest, daß die Halt er Regi Herr Schl e Haltung der Regierun nicht grundsätzlich ablehnend sei. . i k Dow . * 7 Der Antrag wird angenommen, die Abstimmung wird morgen wiederholt werden, da der Antrag noch nicht im Wort laut vorliegt. ö ö. 61 sio 10 90 s⸗ 5 . 9 stelt die Vegebaulasten fest; dazu gehört die Ver— yslichtung, Verkehrshindernisse auf den Wegen zu beseitigen Auf, eine Anregung des Herrn Schlent her erklärt Geheimer O berregierungsrat Dr. Hecht, daß auch die Beseitigung von Schnee unter jene Bestimmung falle. . 3 2. 4 * 2 9 2 * * 3 5s Itz wird ein Antrag der Herren von Batocki— Fr eb; mg Schlenther angenommen, nach dem auch särtnerische Anlagen in einer bestimmten Entfernung vom Wege zu bleiben haben. ; , , , n, . Der Nest wird ohne Debatte erledigt. . Nächste Sitzung: Mittwoch 2 Uhr (Vereidigung neuer Mit— glieder, Abstimmung über den Antrag Schlenther, Gemeinde—
ordnung für die Rheinprovinz). Schluß Z3i½ Uhr.
Haus der Abgeordneten. 2. Sitzung vom 21. Februar 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) . Ueber den Beginn der Sitzung, in der die Beratung des Etats der Eisenbahnverwaltung fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Es findet zunächst eine Besprechung der Einnahmen
aus dem Personen⸗ und Gepäckverkehr, 621 200 000 (gegenüber dem Vorjahr plus 44 180 000 S), und derjenigen aus, dem Güterverkehr, 1424 500 000 Sv splus 9I 760 000 M), statt. Eine Petition um Ermäßigung des Eisenbahnfahrpreises für Schulkinder bei Massenausflügen beantragt die Budget lammission der Regierung als Material zu überweisen; be⸗ züglich einer Petition um Fahrpreisermäßigung im Stadt Ringhahn⸗ und Vorortverkehr bei Schulausflügen von Volks . beantragt die Kommission Uebergang zur Tages⸗ rdnung. ;
Auf Ausführungen der Abgg. Graf Henckel von Donners— marck (3entr. und Goebel (Zentr.),, die Tarifermäßigungen für die Verfrachtung der Produkte der oberschlesischen In— dustrie insbesondere der Kohlenindustrie nach Berlin und den Ostseeprovinzen befürwortet haben, erwidert der
Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach:
. Meine Derren! Die Frage der Ermäßigung der oberschlesischen askohlentarife nach Berlin hat mich in den letzten Jahren zweimal beschäftigt: bereits im Jahre 1906 lag ein Antrag vor, der ober⸗ lei cen Gaskohle in Konkurrenz mit der englischen Kohle ermäßigte ue nahmetarif zu gewähren. Ein gleicher Antrag hat mich auch im Jahre 1909 beschäftigt und ist Ende 1910 erledigt worden. In beiden Fällen ist nach einer sehr gründlichen Enquete der Landeseisenbahnrat befragt worden, und er hat sich in beiden Fällen mit einer nicht un— erheblichen Stimmenmehrheit gegen die Ermäßigung ausgesprochen. Die Sachlage ist nach unseren Feststellungen folgende. Es ist richtig, daß die oberschlesische Gaskohle vom Berliner Markt so gut wie der chwunden ist. Das zweifellose Zurückdrängen der oberschlesischen Haslohle vom Berliner Markt ist indes nicht der Tariflage zuzu— schreiben. Denn die englische Hausbrand und Industriekohle kommt nur in verhältnismäßig geringen Mengen nach Berlin, obwohl sie mit den selben Frachtsätzen von den englischen Gruben nach Berlin zu rechnen . Ueberdies steht fest, daß die Frachtsätze der oberschlesischen Gruben nach Berlin unter Zuhilfenahme des Koseler Umschlags den Frachtsãtzen von den englischen Gruben nach Berlin gleichstehen, zeitweise sogar geringer sind. Richtig ist, daß die Eisenbahnfrachtsätze bon den oberschlesischen Gruben nach Berlin höher sind als die Frächt—⸗ . mit denen die englischen Gruben ab den Versandorten zu rechnen haben.
3 Grund, aus welchem die oberschlesische Gaskohle vom 2. erliner Markt verdrängt worden ist, ist ein ganz anderer. England konkurriert hier am Berliner Markte mit einer Abfallkohle, einer Staubkohle, die lange Zeit als unverwendbar sür die Gasbereitung galt. Aber die technischen Fortschritte auf diesem Gebiete haben ez ermöglicht, diese geringwertige Abfallkohle, die auf den Halden lag, mit großem Nutzen für die Gasbereitung zu verwerten. Gegen dieses minderwertige Abfallprodukt konkurriert das hochwertigste produkt der oberschlesischen Kohlenindustrie, die oberschlesische stück— 1. Gaskohle. Wir haben bereits aus den Ausführungen des 8 ern Vorredners gehört, daß es, um nach den Auffassungen der ober— shlesischen Kohlenindustrie den Berliner Markt zu erobern, erforder⸗
Zweite Beilage ger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Fehruar
Berli
1911.
selbst das genügte noch nicht. Es wurde von der Staateisenbahn⸗ . eine Frachtermäßigung verlangt, die etwa 3, 10 bis 320 M für die Tonne, also 31 bis 32 „6 für den Doppellader betrug. Meine Herren, ich darf im vorweg bemerken, daß diese 9. sic erhebliche Ermäßigung die Königliche Staatsregierung kelneswegs H ö m,. obwohl uns durch Verfrachtung ven ü . . n . en ent völlige Sicherung gegeben war, daß wir keine usfälle erlitten, haben wir nicht die Ueberzeugung gewinnen können daß durch die Ermäßigung des Grundpreises und durch die Fracht? ermäßigung der Berliner Markt gewonnen werden könnte; aber selbst wenn er hätte gewonnen werden können, haben wir nicht die Ueber— V idr I Maße gefördert worden wären, daß ihnen entgegenstehende Interessen eine erhebliche Schädigang hinnehmen . Diele entgegenstehenden Interessen waren die Interessen der innenschiffahrt, zum Teil auch der Seeschiffahrt und des Handels an unseren Seeplätzen. Diese Interessen haben sich in schärfster Weise lur Geltung gebracht, nicht nur die Interessen der Oderschiffer, die . . ö 6 ö wal nach Berlin gen, so⸗ e Interessen der Binnenschiffahrt von Hamburg durch die Havel nach Berlin und ebenso die Interessen der Binnen— schiffahrt von Stettin durch den Finow⸗-Kanal nach Berlin. Wer mit Aufmertsamkeit der Erörterung dieser Frage in der Presse und in öffentlichen Blättern folgte, mußte davon überzeugt sein, daß es sich um sehr erhebliche Interessen unserer Binnenschiffahrt han , die Interessen der Seeschiffahrt traten hinzu. Denn die englische Kohle wird ganz überwiegend von deutschen Schiffen nach unseren Häfen nach Hamburg und Stettin, die hier in Frage kommen, gebracht. . t So mußte ich mich, nachdem der Landeseisenbahnrat wiederholt mit großer Majoritãt in der letzten Sitzung mit 30 gegen 16 Stimmen — sein Gutachten abgegeben hatte, schweren Herzens entschließen, den Antrag abzulehnen. Ich würde es mit großer Freude begrüßt haben, wenn es mir möglich gewesen wäre, hier der ober⸗ schlesischen Kohlenindustrle zu helfen. Denn es ist eine wenig erfreuliche Tatsache, daß der Berliner Gaskohlenmarkt auf Grund der Umstände, die ich soeben hier mitgeteilt habe, zurzeit für die oberschlesische Kohle verloren ist. Dieser gewaltige Wechsel in der Versorgung Berlins durch Gaskohle vollzog sich in den Jahren, in denen die oberschlesische Kohlenindustrie auf das äußerste angespannt war, infolge der Versorgung des inländischen und auch des österreichischen Marktes in den Jahren 1907 bis in das Jahr 1908 hinein, . Meine Herren, ich darf bemerken, daß mir diese Entscheidung um so schwerer geworden ist, als daraus der Schluß gezogen werden könnte, daß ich unter allen Umständen bei der Entschließung über die Gewährung von Tarifermäßigungen das Interesse der Schiffahrt vor⸗ gehen lassen müsse. So liegt die Sache nicht. Die preußischen Staatsbahnen haben es sich zu keiner Zeit zu ihrer Aufgabe gemacht, den Schiffahrtswegen durch die Bemessung ihrer Tarife Konkurrenz zu machen. Das können wir nach allen Richtungen hin belegen und nachweisen. Aber wenn die Interessen der allgemeinen Landeswohl fahrt in Frage kommen und kamen, dann haben wir Tarifermäßigunge gewährt, die schließlich für den einen oder anderen Stromlauf kurrierend wirkten. Das werden wir auch in der Zukunft tun müsse und es kann sich nur darum handeln: wo liegen die größeren Inter— essen? Und in diesem Falle schienen doch die größeren Interessen auf seiten der Binnenschiffahrt zu liegen. Meine Herren! Herr Abg. Graf Henckel und Herr Abg. Goebel haben sich mit der Lage Oberschlesiens im allgemeinen beschäftigt. Herr Abg. Graf Henckel sagte, die wirtschaftliche Lage Oberschlesiens wäre schwierig. Ich erkenne ohne weiteres an, daß die geogra Lage Oberschlesiens unter allen Umständen weniger gůnstig ist anderer Industriereviere. Lage Oberschlesiens gerade im Laufe des letzten Jahres sehr ein— gehend befaßt und befassen müssen. Die oberschlesische Eisenindustrie hatte im Herst 1909 in einer umfangreichen Eingabe an das Staats— ministerium eine Notlage behauptet und gewünscht, daß sowohl aus meinem Ressort heraus durch Tarifermäßigungen wie aus dem Ressort des derrn Handelsministers durch Gewährung von Ermäßigungen der Kohlenpreise Erleichterungen geschaffen werden möchten. Diese Wünsche der oberschlesischen Eisenindustrie sind an die beiden zuständigen Ressorts abgegangen, eingehend geprüft und an Ort und Stelle untersucht worden. Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen. Es hat sich aber auf Grund dieser Feststellungen ergeben, daß, wenn auch schwierige Verhältnisse vorliegen, die sic durch den Konjunkturrückgang verschärst haben, eine eigentliche Not⸗ lage nicht anzuerkennen ist. Es ist festgestellt, daß Oberschlesiens Produktion und Absatz in stark steigendem Maße sich vermehrt haben. Die Roheisenerzeugung ist heute doppelt so groß, die Ausfuhr an Fertigeisen dreifach so hoch wie im Jahre 1887. Richtig ist, daß die Produktlon und der Absatz von Oberschlesien sich verhältnismäßig nicht in dem Umfange entwickelt haben wie in den konkurrierenden k Wer Tkuhr und auch n Lothringen und Luremburg. ? ut ist die Steigerung recht erheblich. Es ist ohne weiteres anzuerkennen, daß eine wesentliche Schwierigkeit für Oberschlesien darin liegt, daß die Beschaffung des Schmelzmaterials für ihre Eisen— produktion mit erheblich höheren Kosten rechnen muß als die anderer Reviere; aber diese Umstände bilden doch immer nur mitwirkende Ursachen für die jetzige Situation, die die Herren Vorredner gekenn— zeichnet haben. Den Hauptanteil an der nicht günstigen Lage tragen die großen Erweiterungen der oberschlesischen Werke, wie auch Herr Abg. Graf Henckel bereits hervorgehoben hat, die zu einer außerordent— lichen Produktionssteigerung nicht nur anreizten, sondern geradezu nötigten. Diese Erweiterungen haben bisher noch keinen Erfolg zeitigen können, weil sie in einer Zeit ausgeführt wurden, wo wir unter einem wirtschaftlichen Niedergang litten. Ein anderer Grund, der noch nicht hervorgehoben ist, scheint mir in der herrschenden Uneinig⸗
6; daß die oberschlesische Kohlenindustrie mit ihren rundpreisen bis hart an die Selbstkosten zurückging, aber
keit und in dem Wettbewerb der Werke untereinander zu liegen. Hler lst ja eine geringe Besserung dadurch eingetreten, daß inzwischen der
Essener Roheisenverband zustande gekommen ist. Aber was für Ober⸗ schlesien sehr viel wichtiger ist: für die Fabrikation von Fertigeisen ist eine Verständigung noch nicht erzielt, und gerade auf dem Markt für Fertigeisen entwickelt sich eine erhebliche Konkurrenz. Wie sich die Verhältnisse in Oberschlesien augenblicklich entwickeln — ich werde darauf noch näher eingehen —, ist es nach unserer Meinung notwendig, abzuwarten, ob sich die Situation nicht ganz von selbst aus sich heraus klären wird, und ich glaube, daß die Beunruhigung in Oberschlesien in der Tat abnimmt. Vorsichtig müssen wir unter allen Umständen sein. dürfen nicht durch Gewährung weitgreifender Tarif— ermäßigungen geradezu weitere umfängliche Erweiterungen der Werke unterstützen oder sie dazu verleiten; denn dann würde der Kampf nur noch weiter um sich greifen und noch schädlicher werden können. . Es ist nun mit Recht darauf hingewiesen worden, daß Situation .
Wir
die für die oberschlesische Kohlenindustrie dadurch schwierig geworden ist, daß ihr der österreichische Markt in geringerem Maße zugänglich ist als früher. In der Tat österreichische Markt dem Absatz der oberschlesischen Kohle nicht mehr das geboten, was er in früheren Jahren bieten konnte. Es ist im Jahre 1910 eine Abnahme des Kohlenabsatzes in Oesterreich von etwas über 4 0ͤ½ zu verzeichnen. Diese Abnahme beschränkt sich aber nur auf Galizien und Böhmen — ich glaube, Herr Graf Henckel hat das auch seinerseits schon ausgeführt —; nach Galizien deshalb, weil die österreichischen Bahnen sich in steigendem Maße mit Rohöl ver⸗ sehen, und auch deshalb, weil die österreichtschen Staatsbahnen, was man ihnen keinesfalls verdenken kann, ihre Regiekohlen tunlichst aus inländischen Gruben decken; nach Böhmen deshalb, weil die öster⸗ reichische Staatsbahn wiederum bemüht ist, auch durch Herabsetzung der Tarife die inländische Kohlenproduktion zu heben. ö . Das sind drei Umstände, gegen die wir wenig ausrichten können, weil die Entfernung vom oberschlesischen Bezirk bis zur Landesgrenze so gering ist, daß gegen die Tarifherabsetzung nichts zu machen ist, sonst würden wir unter allen Umständen im Interesse unserer Kohlenindustrie eingreifen. Im übrigen hat sich der Verkehr nach dem übrigen Oesterreich, obwohl die österreichische Industrie noch in einem Zustande des Niederganges sich befindet, nicht wie bei uns im Zustande des Ansteigens, um 1,4 0 gesteigert. ; Wir sind überzeugt, daß es sich hier nur um ein Uebergangs⸗ stadium handelt, und daß der Absatz oberschlesischer Kohle nach Dester⸗ reich wie wir ihn im Jahre 1910 zu verzeichnen hatten, nicht zum kleinsten Teile darauf zurückzuführen ist, daß im Jahre 1909 starke Voreinfuhren nach Oesterreich erfolgt sind, weil am 1. Januar 1910 der erhöhte österreichische Kohlentarif in Kraft getreten ist, der gerade die oberschlesische Kohle empfindlich traf. . übrigen Absatzgebiete für oberschlesische Kohle betrifft, so kann ich nur feststellen, daß der inländische Absatz — wenn ich von dem Verluste an Gaskohle am Berliner Markt absehe — in ständigem, starkem Ansteigen sich befindet. Hier sind die Wagen⸗ gestellungsziffern vom Jahre 1904 bis zum Jahre 1910 lehrreich. Im Jahre 1904 stellten wir für Oberschlesien 1700 000 Wagen, im Jahre 1910 dagegen haben wir 2 600 000 Wagen gestellt. Die Steigerung von 1904 zu 1905 über 10 0½, von 1905 von 1906 zu 1907 fast 9 o, von 1907 zu 1908 fast tritt im Jahre 1908 der Rückgang ein, der in dem Rück⸗ gang unserer ganzen Industrie und in den schwierigen Absatzverhält⸗ nissen nach Oesterreich seine Erklärung findet. Das Jahr 1909 weist nur eine Steigerung von 1 9½ auf, das Jahr 1910 eine solche von l, J; aber vom letzten Quartal Jahres 1910 ab zeigt sich wieder eine ganz ungewöhnliche Entwicklung, die sich bis zum heutigen rage fortgesetzt hat. Ich habe gestern bereits die Wagengestellungs⸗ ziffern bekannt gegeben; es werden sehr große Anforderungen in Ober⸗ schlesien an uns gestellt.
Ferner möchte ich bemerken, meine Herren, daß Oberschlesien jetzt durch die an der Oder zwischen Kosel und Breslau von , ausgeführten Anlagen sehr stark unterstützt wird, was sich ohne weiteres
der Entwicklung des Koseler Oderumschlages ergibt. Ich darf bemerken, daß im Jahre 1910, nachdem bereits ein Teil der Schlepp⸗ zugschleusen von 12 bereits 5 in Betrieb ist, der Koseler Umschlag gegen 1909 um nicht weniger als 642 000 Tonnen gleich 450 ½ gestiegen ist. Hiermit ist der Jahresumschlag auf über 1 2 gestiegen Also die Oder bestãtigt nach ihrem Ausbau das, was von ihr erwartet wurde. Bei dieser Gelegenheit muß ich auf die Bemerkungen Herrn Grafen Henckel eingehen, die dahin gingen, daß die Staatseisenbahnverwaltung gehalten wäre, im Hinblick auf die gesteigerte Konkurrenz, die der Großschiffahrtsweg dem Absatz Oberschlesiens nach Berlin und Umgegend bereiten werde, alsbald mit Tarifermäßigungen vorzugehen. Meine Herren, das ist nicht die Meinung derjenigen gewesen, die das wasserwirtschaftliche Gesetz im Jahre 1905 verabschiedeten. Ueber diese Frage haben sehr lebhafte Diskussionen in der Kommission stattgefunden, die sich zu Resolutionen verdichteten und schließlich zu der Aufnahme eines Paragraphen in das wasserwirtschaftliche Gesetz führten, der ausdrück⸗ lich folgendes besagt — ich bitte mir zu gestatten, es zu verlesen —:
Wenn und insoweit durch die Inbetriebnahme des Groß⸗ schiffahrtsweges Berlin — Stettin die Wettbewerbsverhältnisse der schlesischen Montanindustrie, insbesondere für Steinkohle und Eisen, trotz der für die Oder vorgesehenen, bis dahin durchgeführten Ver⸗ besserungen gegenüber anderen in⸗ und ausländischen Montan⸗ erzeugnissen ungünstig verschoben werden, sind alsbald diejenigen weiteren Maßnahmen zu treffen, welche geeignet sind, die vorhanden gewesenen Frachtenspannungen in dem Schnittpunkte Berlin zwischen den schlesischen Revieren einerseits und den konkurrierenden Revieren (für England ab Stettin gerechnet) anderseits aufrecht zu erhalten. Hier ist mit keinem Wort auf die Eisenbahntarife hingewiesen, und zwar deshalb nicht, weil der damals das Ressort vertretende Staats—⸗ minister von Budde und der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben sich dagegen verwahrten und ausführten, der Ausgleich müsse in der
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