1911 / 57 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 07 Mar 1911 18:00:01 GMT) scan diff

verboten: Personen, von denen zu befürchten ist, daß sie der öffent⸗ lichen oder privaten Wohltätigkeit zur Last fallen werden, Geistes⸗ kranken und Idioten, Personen, die an einer gefährlichen oder ekel⸗ erregenden ansteckenden Krankheit leiden, Personen; die wegen eines snicht politischen) Verbrechens mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahre oder von längerer Duuer bestraft worden sind und diese noch nicht ver⸗ büßt haben, Proftituierten oder Personen, die von der Prostitutzion leben. Verboten ist ferner die Einwanderung solchen Personen, die nicht imstande sind, fünfzig Worte in einer von dem zuständigen Beamten bezeich⸗ neten, beliebigen Sprache nach Diktat niederzuschreiben (sog. dictation test)

Personen, die entgegen den gesetzlichen Vorschriften in das Bundesgebiet eingewandert sind, werden mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft und außer Landes gebracht (deportiert. Auf De⸗ portation kann auch ohne gleichzeitige Verurteilung zu einer Freiheits strafe erkannt werden.

Auch der Führer, Eigentümer, Agent und E harterer eines Schiffes, auf dem derartige ‚unerwünschte“ Einwanderer in das Bundesgebiet gekommen sind, unterliegen der Bestrafung, und zwar ist für jede Person, die dem Gesetze zuwider das Bundesgebiet be⸗ reten hat, eine Geldstrafe von 100 Pfd. Sterl. angedroht. Die Be⸗ strafung tritt auch dann ein, wenn der unerwünschte Einwanderer als leberschmuggler (3towe-a way) gelandet ist.

Eingewanderte nicht britische Personen, die wegen einer gegen eine Person verübten Gewalttätigkeit bestraft worden sind, haben sich nach Verbüßung der Strafe der Sprachenprüfung zu unterziehen und werden im Falke des Nichtbestehens als unerwünschte Einwanderer be handelt und deportiert. .

Rach der „Gontract Immigrants Act 1905 ist Handarbeitern, die auf Grund eines ArbeitsvertragZs im Bundesgebiete landen wollen, die Einwanderung nur dann erlaubt, wenn sie mit einem in Australien wohnenden Arbeitgeber einen schriftlichen Vertrag, der vom Minister der auswärtigen Angelegenheiten genehmigt ist, abgeschlossen haben. Der Minister darf solchen Verträgen nur dann die Genehmigung er⸗ teilen, wenn nach seiner Ansicht der Vertrag nicht mit Rücksicht auf einen Arbeiterausftand in Australien geschlossen worden ist, ferner wenn es schwierig ist, in Australien Arbeiter von gleicher Fertigkeit und Fähigkeit zu bekommen und endlich wenn die dem einzuführenden Arbeiter im Vertrage zugestandenen Löhne und sonstigen Vor⸗ teile den in Australlen üblichen Sätzen entsprechen. Wandert ein Kontraktarbeiter vor und ohne Erteilung der ministeriellen Genehmi⸗ gung ein, so ist der Vertrag nichtig; sowohl er wie der Arbeitgeber sind zu Geldstrafen zu verurteilen.

Während nach den bisherigen Bestimmungen jeder Einwanderer innerhalb eines Jahres nach seiner Landung im Bundesgebiete der Sprachenprüfung unterworfen werden konnte, ist die Frist für die Prüfung durch die Immigratien Restriction Act 1910 auf zwei Jahre ausgedehnt worden. Neu ist ferner die Bestimmung, wonach, falls gegen eine Person wegen Nichtbestehens der Sp chenprüfung auf Grund des Einwanderungsgesetzes vorgegangen werden soll, die Behauptung der verfolgenden Cinwanderungsbehörde, zaß die be⸗ schuldigte Person Einwanderer und innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren vor dem Nichtbestehen der Sprachenprüfung gelandet sei, bis zum Beweise des Gegenteils als wahr angenommen werden soll.

Nach dem neuen Gesetz wird auch jeder Ueberschmuggler, der in einem australischen Hafen an Bord eines Schiffes gelandet ist, so lange als „unerwünschter“ Einwanderer behandelt, als nicht nachgewiesen ist, daß er die Sprachenprüfung abgelegt oder von der Ein⸗ wanderungsbehörde die unbeschränkte Erlaubnis zur Landung er⸗ halten hat.

Durch das Gesetz von 1910 ist ferner folgendes bestimmt:

X. Wenn sich an Bord eines Schiffes, das, von einem nicht⸗ australischen Hafen kommend, einen australischen Hafen anläuft, eine Person befindet, die nicht zur eingetragenen Besatzung des Schiffes gehört oder die nicht ein „bona fide“ Passagier ist, so soll diese als feberschmuggler angesehen werden, wenn nicht der Schiffsführer der Ginwanderungsbehörde von der Anwesenheit der Person Meldung er⸗ staͤttet und sie nicht so lange an der Landung hindert, bis die Ein⸗ wanderungsbehörde Gelegenheit gehabt hat, zu prüfen, ob die Person zu den ‚unerwünschten“ Einwanderern zu rechnen ist.

B. Wer mittelbar oder unmittelbar dabei betroffen wird, daß er g. einen Einwanderer unter Umständen in das Bundesgebiet bringt, die die Vermutung nahe legen, daß der Einwanderer heimlich oder obne Kenntnis der Einwanderungsbehörde landen will, oder b. einen Ginwanderer in der Absicht verbirgt, damit er heimlich oder ohne Kenntnis der Einwanderungsbehörde landen kann, oder e. einen Ein⸗ wanderer in der Absicht verborgen hat, seine Entdeckung durch die EGinwanderungsbehörde zu vereiteln, wird wegen Vergehens gegen das Ginwanderungsgesetz mit einer Geldstrafe von 100 Pfd. Sterl. oder mit sechs Monaten Gefängnis oder mit beiden Strafen zugleich bedroht.

G. Wer im Bundesgebiet ankommt und a. ohne rechtsgültige Entschuldigung, deren Beweislast ihm obliegt, einen falschen Staats⸗ angehörigkeitsnachweis oder eine falsche Geburtsurkunde in seinem Besitz hat, oder b. fälschlich der Einwanderungsbehörde gegenüber behauptet, er sei die in einem Staatsangehörigkeitsnachweis oder in einer Geburtsurkunde bezeichnete Person, oder 6. der Einwanderungs behörde einen Staatsangehörigkeitsnachweis oder eine Geburtsurkunde in der Absicht vorweist, sie zu täuschen, wird wegen Vergehens gegen das Einwanderungsgesetz mit einer Geldstrafe von 100 Pfd, Sterl. oder mit 6 Monaten Gefängnis bedroht.

L. Die australischen Einwanderungsbeamten haben auf die be gründete Vermutung hin, daß sich in einem Schiff oder einem sonstigen Fahrzeug ein sunerwünschter“ Einwanderer befindet, die Befugnis, das Schiff oder Fahrzeug anzuhalten und zu durchsuchen. Ferner dürfen diese Beamten auf die begründete Vermutung hin, daß sich in einem Grundstücke, Gebäude oder sonstigen Raum ein „un erwünschter“ Einwanderer befindet, zu jeder angemessenen Tageszeit das Grundstück, das Gebäude oder den sonstigen Raum betreten, diese durchsuchen und sich vergewissern, ob sich eine Person der gedachten Art darin befindet.

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BVBahern.

Seine Königliche Hoheit der Prinz⸗Regent hat, „W. T. B.“ zufolge, aus Anlaß seines bevorstehenden 90. Ge burtsfestes seinen Urenkel, Seine Königliche Hoheit den Prinzen Luitpold von Bayern, zum Leutnant à la suite des ersten Feldartillerieregiments Prinz⸗Regent Luitpold und Seine Königliche Hoheit den Herzog von Calabrien zum Inhaber des sechsten Feldartillerieregiments ernannt, das fortan die Benennung Sechstes Feldartillerie Regiment Prinz Ferdinand von Bourbon Herzog von Falabrien führt, ferner den General der Kavallerie z. D. von ylander zum Generalobersten der Kavallerie befördert und einer größeren Anzahl von Offizieren und Sanitätsoffizieren, die an den Feldzügen teilgenommen haben, aber aus dem aktiven Dienst bereits ausgeschieden sind, den Charakter einer höheren Charge verliehen. Den Ministern von Miltner, von Wehner, von Frauendorfer und von Brettreich hat Seine Königliche Hoheit der Prinz Regent als Erinnerungs gabe an seinen 90. Geburtstag eine Platette mit seinem Bilde in Silber überreichen lassen und weitere Auszeichnungen an die obersten Hofchargen verliehen.

Aus dem gleichen Anlaß hat Seine Königliche Hoheit den beiden seinen Namen tragenden Feldartillerieregimentern, dem ersten und dem siebenten, zu den bereits früher von ihm ge machten Regimentsstiftungen je 25 000 M6, dem Verbande der Prinz⸗Regent Luitpold⸗Kanoniere in München 4000 S6 und dem Verein ehemaliger Prinz⸗Regent Luitpold⸗Kanoniere in Augsburg 1000 6 überwiesen.

Seine Königliche Hoheit der Prinz⸗-Regent Luitpold hat an den Kultusminister von Wehner, „W. T. B.“ zufolge, nachstehendes Handschreiben gerichtet:

Mein hohes und rüstiges Alter danke ich nächst Gott vor allem der Kräftigung und Stählung meines Körpers von früher Jugend auf. Ez ist mein Wunsch, daß der reiche Segen, der aus der körper⸗ lichen Ausbildung erblüht, auch der. Jugend meines Landes zuteil werde, Um in dieser Hinsicht die bereits bestehenden Ein⸗ richtungen in wirksamer Weise zu unterstützen, bestimme ich, daß an den Mittelschulen alljährlich zur Abhaltung eines Schulfestes im Sommerhalbjahr ein Tag vom Unterricht freigegeben werde, an dem der Erfolg der körperlichen Ausbildung durch öffentliche Turnvorführungen und Turnwettspiele dargetan werden soll. Zugleich stifte ich für jeden Ort, an dem sich eine oder mehrere Mittelschulen befinden, eine Medaille, die je für ein Jahr als Ehrenpreis derjenigen Austalt oder Anstaltsklasse zufallen soll, die bei diesem. Schulfest Siegerin in den turnerischen Vorführungen oder den Wettspielen ge⸗ worden ist

Sachsen⸗Weimar.

Der Landtag genehmigte, wie „W. T. B.“ meldet, in seiner gestrigen Sitzung einstimmig den Staatsvertrag wegen

Errichtung eines gemeinschaftlichen thüringischen Ober⸗ Hierbei wurde der Wunsch aus

verwaltungsgerichts-. rde insch gesprochen, daß es gelingen möge, sämtliche thüringischen Staaten zum Beitritt zu diesem Staatsvertrag zu bewegen.

Frankreich.

Im Senat und in der Deputiertenkammer ist gestern die Programmerklärung des neuen Kabinetts verlesen worden, in der es, „W. T. B.“ zufolge, heißt:

Unveränderlich wie die großen Interessen, auf denen sie beruht, wird unsere auswärtige Politik dafür Sorge tragen, unser Allianz und unsere Ententen zu pflegen, die es Frankreich bereits gestattet haben, wirksam zur Exhaltung des Friedentz beizutragen. Da wir von denselben Empfindungen getragen werden, die die Regierungen der anderen Mächte beseelen, und da wir, wie sie, in einer zuverlässigen militärischen Organisation eine der wichtigsten Friedensgarantien erblicken, werden wir unsere Streitkräfte zu Lande und zu Wasser zum Gegenstand unserer besonderen Fürsorge machen. Was die innere Politik an⸗— zelangt, so ist die Regierung entschlossen, alle republikanischen Er rungenschaften zu behaupten, in ihrer Entwicklung fortzufahren und ihr Vorgehen zu konzentrieren, um eine größere Wirksamkeit zu erzielen. Das Kabinett wird im Senat die Hauptzüge des in der Kammer angenommenen Finkommensteuerentwurfs vertreten und das Wahlgesetz schnell zur Abstimmung bringen, wobei sie den Entwurf in der Kom⸗ missionsfassung zur Grundlage der Debatte machen wird, Die Regie rung wird ferner die Abstimmung über das Budget beschleunigen und unmittelbar darauf die Vorlage zur Unterdrückung der Sabotage und des eigenmächtigen Verlassens des Dienstes zur Abstimmung bringen, sowie die Vorlage, die dem Pe nsionsgesetz der Eifenbahnbeamten rückwirkende Kraft verleiht ebenso die Vorlagen, betreffend Kollektivverträge und das Statut für die Beamten und die Arbeiter der Staats bahn sowie das Vermittlungs- und Schiedsgerichtsverfahren. Das Kabinett wird mit Güte und Duldsamkeit die Verwaltung der Staatsbahnen leiten, die bereits den größten Teil ihrer wegen Verx— gehens während des Ausstandes gemaßregelten Leute wieder angestellt haben. Sie wird die Prüfung der Akten fortsetzen und diejenigen ausschließen, die die Gerichle wegen gewalttätiger Handlungen oder anarchlst' cher Uritriebe bestraft hatten. Sie wird die An⸗ wendung bieses Systems auch vyn den Eisenbghn gesell⸗ schaften fordern, deren Verträge Fach gegenseitiger Vereinbarung einer Revision unterzogen werden können, um eine Verbesserung des Verkehrs sicher zu stellen, ohne den Aktionären zu schaden. Die Re⸗ gerung wird sich bemühen, die Anwendung des Arbeiterversicherungs⸗ gesetzes vom 3. Jull durchzusetzen. Sie wird endlich ohne Schwäche, aber auch ohne Härte die Gesetze über die Kongregationen und über die Trennung der Kirche vom Staate zur Anwendung bringen, die Lalenschulen vor Angriffen schützen und das Werk der Verweltlichung der Schulen verteidigen, nötigenfalls durch neue Gesetze.

Bei der Verlesung der ministeriellen Erklärung in der Deputiertenkammer nahm das Zentrum den Passus über die Einkommensteuer mit Hohnlachen auf, während die Linke lebhaft applaudierte. Die Versicherung der Regierung, daß die Aktionäre der Eisenbahnen keine Einbuße erfahren sollten, wurde ebenfalls seitens der Rechten und des Zentrums mit Hohnrufen begrüßt. Der Ankündigung neuer Gesetze gegen die Kongregationen zollte die Linke Beifall. Bei der Erklärung über die auswärtigen Beziehungen wurden allgemeine Beifalls—

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interpellierte der konservative Abg. Delahaye, wie W. T. iel über die Zusammen setzung des Kabinetts und erkl dem Schreiben Briands an den Präsidenten Falliores, das in Wahrheit eine Botschaft an die Nation bedeute, sei das Parlament in Mißkredit gekommen und die Republik habe sich überlebt. Beweis dafür sei der verfassungs— widrige Druck, der von der Minorität unter Mitwirkung des Präsidenten der Republik auf die Mehrheit ausgeübt worden sei. Der Redner kritisierte sodann die Wahl jedes einzelnen neuen Ministers. . r Abg. Berard (demokratische Linke) fragte, ob die Regierung die Mitarbeit der Sozialisten und also auch die Mitarbeit des Allgemeinen Arbeitsverbandes annehme. Golly sgeeinigter Sozialist) sprach die Befürchtung aus, daß die entlassenen Eisenbahner nicht wieder angestellt werden würden. Der Abg. Sembat (geeinigter Soziglisi)h tadelte Monis, weil er nicht dieselbe Sprache führe, wie sie Combes geführt haben würde. Der Ministerpräsident täusche sich, wenn er glaube, alle i zu können. Der Abg. Beauregard Progressist) Ausdruck, daß das Ministerium mehr nach rechts das Kabinett Briand. Das jetzige Kabinett sei gebildet worden. Nach⸗ el

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stimmte Erklärung über

dem ] Ministerpräsident

die Wahlreform gebeten Mons das Wort und führte aus, er wünsche jede zweldentige Auffassung über die Politik der Regierung zu zerstreuen. Tie Tatsache, daß die frühere Regierung nach einem Siege demissioniert habe, habe einige Verwirrung hervorgerufen. Cine Krise von dieser Art gebe keine genauen Fingerzeige. Die republikanische Mehrheit liege zwischen denen, die die republikanischen Institutionen hassen (der Ministerpräsident zeigte auf die Rechte), und denen, die die Gewalt wollen (er deutete auf die äußerste Linke). Der Ministerpräsident erklärte weiter, er werde die entlassenen Eisen⸗ bahner wieder anstellen, indem er die Gefühle der Menschlichkeit mit der Sorge um das nationale Wohl verbinden wolle, und werde im Senat die Steuerreform zur Erledigung bringen. Er be⸗ tonte schließlich, daß er mit der Beratung der Wahlreform auf der Grundlage des in der Kommission der Deputiertenkammer ausge⸗ arbeiteten Entwurfs einverstanden sei. Da Briand das Vertrauen der Kammer verloren habe, so könne man dem neuen Kabinett nicht vorwerfen, es habe dasselbe Programm wie er. Nach einer Antwort pon Charles Benoist wurde die Diskussion geschlossen.

Die Kammer nahm schließlich mit 309 gegen 114 Stimmen eine Tagesordnung an, in der der Regierung das Ver trauen ausgesprochen wird. Die Mehrheit bestand aus einem Progressisten, 30 unabhängigen Sozialisten, 414 Ange⸗

hatte, ergriff der

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hörigen der demokratischen Linken, 93 der radikalen Linken

und 141 Sozialistisch⸗Radikalen; die Minderheit aus 18 An⸗ gehörigen der Rechten, 26 Mitgliedern der action, libérale, 10 Unabhängigen, 57 Progressisten, einem Angehörigen der demokratischen Linken, einem Sozialistisch⸗Radikalen und einem unabhängigen Sozialisten. Der Abstimmung enthalten haben sich 2 Mitglieder der action liberale, 5 Unabhängige, 15 Progressisten, 21 Angehörige, der demokratischen Linken, 12 der radikalen Linken, 1 Sozialistisch⸗Radikaler, 1 unabhängiger Sozialist und 70 geeinigte Sozialisten.

Im Senat wurde die ministerielle Erklärung vom Justizminister unter dem Beifall der Linken und Protestrufen der Rechten verlesen. Der Konservative Gaudin de Villaine kündigte an, daß er die Regierung über die auswärtige Politik sowie über den gegenwärtigen Stand der diplomatischen Be⸗ ziehungen Frankreichs interpellieren wolle.

Rußland.

In der Reichsduma stand gestern die erste Beratung des Staatsbudgets für 1911 auf der Tagesordnung. Die Vorlage des Finanzministers sieht einen Ueherschuß von I 376 384 Rblk. vor. Nach dem Bericht der Budget⸗ kommission balancieren die Gesamteinnahmen und Gesamt⸗ ausgaben mit 2712 100 100 Rbl., wobei die Einnahmen die Ausgaben um 43 400 000 Rbl. übersteigen. Die Kommission schlägt vor, den Ueberschuß zur Tilgung von Staatsschulden zu verwenden. Die für das laufende Jahr erwarteten ordent⸗ lichen Einnahmen übersteigen die ordentlichen Ausgaben um 178 Millionen.

Wie „W. T. B.“ meldet, konstatierte der Berichterstatter Abg. Alexejenko in seinem Kommissionsbericht beim Etat für das Kriegs ministerium, daß dieses Ministerium bei den Kreditforderungen ohne feststehenden Plan gehandelt habe, vom vorgezeichneten Programm abgewichen sei und die Kredite nicht bestimmungsgemäß verwendet habe. Das erkläre sich wohl durch die enorme Arbeit der Reorgani⸗ fation der Armee, immerhin sei das Vorgehen der Verwaltung inkorrekt.

Zu Beginn der Nachmittagssitzung ergriff der Finanz— minisfter Kokowtzow das Wort und führte in zweistündiger Rede aus:

Seit 1909 würden sämtliche Staatsbedürfnisse nicht nur ohne Anleihe aus den ordentlichen Einnahmen gedeckt, vielmehr ergäben die Gefamteinnahmen jährlich einen Ueberschuß gegenüber den Gesamt⸗ ausgaben. Diese Gegenüberstellung rechtfertige keineswegs den üblichen Pessimismus sowie die ewigen Hinweise auf die un⸗ befriedigenden finanziellen Zustände Rußlands. Der Minister verglich darauf den Voranschlag für 1911 mit dem Etat des Vorjahrs und wies darauf hin, daß ein solcher Vergleich große Beruhigung hin⸗ sichtlich der Richtigkeit der Berechnung der Einnahmen bringen müsse. Auch das Ausgabebudget müsse das Gefühl vollster Befriedigung hervorrufen. Vom Jahre 1907 bis 1911 seien die Ausgaben für kulturelle Zwecke von 229 auf 368 Millionen Rubel angewachsen, das sei eine Zunahme in vier Jahren um 61 0½, während die Aus⸗ gaben der allgemeinen staatlichen Verwaltung und für die Landes⸗ verteidigung nur um 15,6 9 gestiegen seien. Indem er weiter die Gesamtziffern der Budgets der vier vorhergehenden Jahre und das Budget für 1911 mit demjenigen von 1908 verglich, das zu den pessimistischen Prophezeiungen Anlaß gegeben hatte, konstatierte der Minister, daß man nicht von einem Anwachsen der Staats⸗ bedürfnisse reden könne, und es lige kein Grund vor, von einer Steuerermüdung zu sprechen. Zur Frage des freien Barbestandes, dieses eigenartigen und der Mehrzahl der westeuropäischen Budgets unbekannken Teiles des Etats, übergehend, erklärte der Finanzminister, daß dieser Teil keineswegs einen Nachteil, sondern sogar einen großen Vorzug des russischen Budgets bilde. Gegenwärtig sei dieser freie Geldbestand, der bis zum Kriegsjahre auf 381 Millionen angewachsen und an dessen Stelle im Jahre 1906 ein Defizit von 158 Millionen Rubel gekreten sei, abermals auf 325 bis 330 Millionen ge stiegen. Dieser freie Geldbestand müsse als Hilfsquelle in schweren Zeiten des Staatslebens dienen und einer Ver⸗ größerung der Staatsschulden vorbeugen. Der Staat, der im Verlaufe dreier Jahre seine Schulden um drei Milliarden vermehrt habe, müsse bis zum äußersten sich weiterer Anleihen enthalten. Mit der Büdgetkommission stimme er darin überein, daß es wünschenswert fei, vor Ablauf des Termins einen Teil der Staatsanleihen zu amor— tisieren. Notwendig sei es, für wenigstens hundert Millionen Rubel während des Kriegsjahres ausgegebene vierprozentige Staatsschatz⸗ scheine dem Umlaufe zu entziehen. Bei Besprechung der wirtschaft lichen Seite des Budgets wies der Minister auf die stetig wachsende Bewertung der russischen Papiere sowie auf den Ueberfluß an Geldmitteln und den' niedrigen Diskontsatz hin. Bis Ende 1915 sei eine große Entwicklung der aktiven Opera- tionen der Staats, und Privatbanken eingetreten. Rußland schreite auf dem Wege der Festigung des Geldsystems immer weiter fort. Die Goldvorräte überttäfen das Emissionsgesetz von 1897 um bie Summe von 550 Millionen und erreichten den Betrag von S165 000 000 Rubel. Der Geldumlauf sei im Verlaufe zweier Jahre um die Summe von 241 Millionen angewachsen, davon habe sich der Goldumlauf um sI Millionen vergrößert. Am Schluß seiner Rede wies der Finanzminister darauf hin, daß die Finanzpolitik, die sich die Wahrung des Gleichgewichts des Budgets zur Aufgabe gestellt habe, die einzige Politik sei, die man eine richtige nennen dürfe, und die Rußland auf den Weg der Festigung und des Gedeihens führen könne.

Spanien.

Der Senat und die Kammer haben gestern ihre Arbeiten wieder aufgenommen. Der Ministerpräsident Canalejas kün digte, ‚W. T. B.“ zufolge, an, daß er der Kammer, die den Grafen Romanones einstimmig zum Präsidenten wiedergewählt hat, demnächst einen Gesetzentwurf zugehen lassen werde, der eine Abänderung der Bestimmungen über die parlamenta rische Immunität enthält.

Türkei.

In der Deputiertenkammer hat sich gestern im Laufe der Budgetdebatte ein Zwischenfall ereignet, über den n wie folgt, berichtet:

Der Führer der gemäßigten Liberalen, Ismail Kemal, machte im Laufe der Diskussion einen Zwischenruf, der so aufgefaßt wurde, als hätte Kemal angedeutet, daß die Regierung für die Erteilung von Eisenbahnkonzessionen Geld genommen hätte. Der Großwesir Hakki Pascha ging erregt auf Kemal zu und forderte ihn mehrere Male auf, feine Aeußerungen zu wiederholen. Um Kemal hatten sich inzwischen zahlreiche Deputierte versammelt. Der Groß⸗ wesir verfetzte Kemal einen Schlag auf die Hand, worauf dieser rief: Ihr Organ hat behauptet, daß ich Geld genommen habe.“ In diesem Moment gab ein Deputierter der Mehrheit Kemal eine Ohr feige, was heftige Lärmszenen verursachte. Nach der Sitzung berieten bie Minister und hervorragende Deputierte der Mehrheit über den Zwischenfall, der den peinlichsten Eindruck hervorgerufen hatte.

Afrika.

Der deutsche Kronprinz ist gestern in Kairo ein— getroffen und, „W. T. B.“ zufolge, auf dem Bahnhof von dem Khedive, den Ministern und Diplomaten empfangen worden. .

Wie die „Agence Havas“ meldet, gewinnt der Auf ruhr unter den Stämmen in der Um gebung von Fez, die' dem Sultan den Vorwurf machen, fremdenfreundlichen

Tendenzen zu huldigen, an Ausdehnung. Der Sultan hat

Mahallas gegen sie gesandt, doch sind, dem ‚„Reuterschen Bureau“ zufolge, in Tanger Berichte eingegangen, wonach zwei von diesen schwere Mißerfolge gehabt hätten. Viele Mannschaften seien getötet und verwundet worden, auch hätten sie ihre Artillerie verloren. Nach Meldungen des „W. T. B.“ vom 3. d. M. herrscht unter der Bevölkerung der Hauptstadt große Be⸗ stürzung, da die Straßen unsicher sind. Es beginnt an Lebensmitteln zu mangeln. Der französische Konsul hat sich nach Hammud begeben, wo die scherifische Mahalla lagert, um sich mit dem Leiter der französischen Militär— mission Mangin, zu besprechen, der Verstärkungen ver— langt, die ihm jedoch nicht gewährt werden, weil Fez voll— ständig von Truppen entblößt ist. Die Mahalla hat Befehl erhalten, vorläufig jede Offensive zu vermeiden. Seit mehreren Tagen ist man ohne jede Nachricht aus Tanger. Der deutsche der englische sowie drei französische Kuriere sind von auf⸗

rührerischen Stämmen angehalten und ausgeplündert worden.

Parlamentarische Nachrichten.

2 Non r hortiwgon S3 3 I 8 Zu Beginn der heutigen (141.) Sitzung des Reichstags,

welcher der Kriegsminister, General der Infanterie von Heeringen und der Staatssekretär des Reichsschatzamts Wermuth beiwohnten, kam der, den Vorsitz führende Erste Vizepräsident Dr. Spahn auf die letzte Sitzung zurück und brachte nach dem amtlichen Stenogramm zur Kenntnis, daß der Abg. Hue (Soz.) während der Rede des Abg. Behrens gerufen hatte: „Unverschämt sind Sie, verlegen sind Sie nie.“ Er würde den Abg. Hue, wenn er diesen Zwischenruf gehört hätte, zur Ordnung gerufen haben. ö Das Haus setzte darauf die Beratung des Militäretats bei den Einnahmen, Position: Erlöse aus dem Verkauf von Grundstücken, fort. Darunter befindet sich auch die erste Rate der Einnahme aus dem Verkauf des Tempelhofer Feldes bei Berlin an die Gemeinde Tempelhof. Dazu beantragt die Kommission: I) die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage baldigst einen Gesetzentwurf über die Einnahmen und Ausgaben des Reichs und des Rechnungshofs vorzulegen; ö 2 den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß

der Kaufpreis für das Tempelhofer Feld (22 Millionen Mark) durch die Art der Bebauung dem Reich nicht verkürzt werde. Von den Abgg. Dr. Wiem er u. Gen. (fortschr. Volksp.) ist die Annahme folgender Resolution beantragt: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, im Interesse einer groß zügigen, den Forderungen des öffentlichen Wohles entsprechenden Bebauung des Tempelhofer Feldes etwaige Bestrebungen auf Herbei⸗ führung einer Verständigung zwischen den Beteiligten und der Stadt Berlin unter der Vorgussetzung zu unterstützen, daß der Kaufpreis für das Tempelhofer Feld dem Reiche nicht verkürzt wird.

(Schluß des Blattes.)

Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Hauses Abgeordneten befindet sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen (43.) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordnetzen, welcher der Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg und der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegen⸗ heiten D. von Trott zu Solz beiwohnten, wurde die zweite Beratung des Staatshaushaltsetats für das Rech— nungsjahr 1911 bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegen⸗ heiten fortgesetzt.

Zunächst findet die bei dem ersten Titel der dauernden Ausgaben „Gehalt des Ministers“ übliche allgemeine Besprechung des gesamten Kultusetats statt. —ͤ

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.) bemerkt zur Geschäftsordnung: Es dürfte den bei der Etatsberatung ge— troffenen Abmachungen entsprechen, daß alle anderen Fragen größerer Art, die bei einzelnen Titeln erledigt werden können, in der allgemeinen Diskussion beim Gehalt des Kultusministers nur gestreift, aber nicht eingehend erörtert werden, daß wir auch den Professorenstreit an der Berliner Universitãt höchstens streifen, seine gründliche Behandlung aber in die Diskussion über das Kapital „Universitäten“ verweisen.

. Abg. Dr. von Heydebrand und der Lgsa (kons.): Bei meinen politischen Freunden besteht allerdings die Absicht, die Frage des Professorenstreits mit einigen Worten zu erwähnen. Dle Kom missionserörterung hat die Sache nech nicht so weit geklärt, daß man auf die Einzelheiten eingehen kann; aber gewisse allgemeine Er— wägungen aus zusprechen, muß doch vorbehalten bleiben.

Abg. T r. Porsch (Zentr.): Wir werden unsererseits den Professorenstreit bei der allgemeinen Debatte nicht erwähnen. 24 Abg. Dr. Friedberg (nl. : Ich kann für meine politischen Freunde dasselbe erklären.

. . Funck (fortschr. Volksp.): dasselbe.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch: Auch meine Freunde werden ihn nicht berühren. k

Präsident von Kröcher: Es scheint der Wunsch der über— wiegenden Mehrheit des Hauses zu sein, diesen Punkt jetzt nicht zu berühren; es muß aber jedem Redner überlassen bleiben, ihn kurz zu 'rwähnen.

Das Haus tritt hierauf in die sachliche Diskussion ein.

. Abg. Graf Clairon d'Haussonville (kons.) berichtet kurz iber die Kommissionsverhandlungen. ; (Schluß des Blattes.)

Für meine Freunde erkläre ich

. 286 ch 6 3 71 y 5 5 z 2 1 Dem Reichstage ist der Entwurf eines Gesetzes, be

treffend die Tagegelder, die Fuhrkosten und Umzugs⸗ kosten der Kolonialbeamten, nebst Begründung zugegangen.

Statistik und Volkswirtschaft.

Die Insassen der preußischen Strafanstalten und Gefängnisse im Rechnungsjahre 1909/10.

Die Verwaltung des preußischen Gefängniswesens untersteht be— lanntlich zum Teil dem Ministerium des Innern, zum Teil dem Justizministerium, und jede der beiden Verwaltungen veröffentlicht auch gesonderte Jahresstatistiken über die ihr unterstellten Anftalten bon Denen die neuesten auf das Rechnungsjahr vom 1. April 1909 bis 31. Mär; 1910 sich beziehen. Die Zahl der in den Anstalten der Verwaltung des Innern untergebrachten Gefangenen bildet, so be— deutend sie immerhin ist, doch nur einen kleinen Teil der Bevölkerung . preußischen Strafanstalten und Gefängnisse; der weitaus größte eil befindet sich in den Gefängnissen der Justizverwaltung. Zum Ressort der Verwaltung des Innern gehören die sämtlichen zur Voll⸗ streckung von Zuchthausstrafen bestimmten 32 Strafanstalten, ferner 21 größere Gefängnisse zur Aufnahme von Gefängnis⸗, Haft- und Unter⸗ uchungsgefangenen, vornehmlich aber zur Vollstreckung der Gefängnis⸗ krafen von längerer Dauer und in dem früher französisch rechtlichen Teile der Rheinprovinz die kleinen sogenannten Kantongefängnisse, welche

Kulturstaaten und drängt. mit zwingender Notwendigkeit zu einer anderen strafrechtlichen Behandlung der Rückfälligen.

3 So Fefangere t 3 Q . unter den Gefangenen mit jedem Jahre sich steigert. Es mag dies zunächst seinen Grund darin haben, daß die Strafanstaltsbeamten insbesondere die Aerzte, die geistigen De felt zu achten, ihre Ursachen und ihre Entwicklung zu erforschen; aber die Tatsache ist nicht wegzuleugnen, daß heutigen sozialen Verhältnisse, namentlich in den breiten Schichten der Bevölkerung der

deren Strafdauer 14 Tage nicht übersteigt, aufnehmen, am 31. März 1910 47 (mit nur 255 Gefangenen). Dem Justizministerium nter! stehen alle übrigen Gefängnisse Preußens, deren Zahl am 31. März 1910 1064 betrug (darunter gol Gefängnisse mit einer Belegunge— fähigkeit von weniger als 50 Köpfen). Im folgenden mögen die wichtigsten Ergebnisse der von den beiden Ministerien beröffentlichten Statistiken für das Rechnungsjahr 1909.10 zu einem Gesamtüberblick zusammengefaßt werden.

In den dem Ministertum des Innern unterstellten Anstalten waren im Rechnungsjahre 1909/19 ins gesamt 112117 (im Vorsje 5. 15 117) Gefangene untergebracht, wobei 8674 (9464) im Laufe des Jahres aus einer Kategorie in die andere übergetretene Ge— sangene doppelt gezählt sind und zwar 18 680 (4. Vorj 18901) Zuchthausgefangene, 36 587 (36 557 zu Gefän— i von einem Tage bis zu fünf, gelegentlich auch mehr Jahren Ver⸗ urteilte, 13 097 (14 292) zu geschärfter und 5134 (5317) zu einfacher Haft von einem Tag bis zu sechs Wochen Verurteilte, 17 461 (18 156 Untersuchungsgefangene, 21 h31 (21 757) Polizeigefangene einschließ— lich der Transporigefangenen und 25 (27) Schuldgefangene im Tagesdurchschnitt 30692 (im Vorjahre 20727) G fangene nämlich. 112090 (11361) Zuchthausgefangene, 7420 (7292) zu 366. fängnisstrafe Verurteilte, 453 (455) zu geschärfter Haft und 1435 (1160) zu einfacher Haft Verurteilte, 13068 (1360) Untersuchungs— und 168 (149) Polizei- (einschließlich Transport-) Gefangene. Dagegen befanden sich in den Gefängnissen der Ju stiz erwaltung in demselben Etatjahre insgesamt nicht weniger als 459 4239 (im Vorjahre 476 667) Gefangene 154 609 (163 933) Untersuchungs—⸗ gefangene, 186 620 (189 H25) zu Gefängnisstrafe, 75 951 79 gh) Hu geschärfter Haft, 39 431 (460 493) zu einfacher Haft Verurteilte und 2515 (2810) Zivilhaftgefangene im Tagesdurchschnitt 51 385 (i. Vori. 32 111) Gefangene, darunter 7988 8466) Untersuchungs— gefangene. In den Anstalten beider Verw altungen“ (he Ministertumß des Innern und des. Justizministeriums omit im Rechnungsjahre 1909610 insgesamt 571 Vorjahr 591 784) Gefangene 18 680 (18901) Zucht— hause sangene, 223 207 (226182) zu, Gefängnisstrafe, 85 ots (94198) zu geschärfter Haft, 44 5655 (45 810) zu einfacher Haft Ver urteilte, 172 070 (182 099) Untersuchungè⸗ . ; seinschließlich Trantport) und 2843 (2837) tkm Tagesdurchschnitt 52074 (im Vo fangene, nämlich 11 200 (11 361) Zuchthausgefangene und 40 874 (41 520) Gefängnis⸗, unter den letzteren 9296 (9826) Untersuchun gefangene unterzubringen. Setzt man diese Tagesdurchschni . in Verhältnis zur mittleren Bevölkerung Preußens

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52 881)

95 nittszahl atsjahre im Vor⸗ I / 9

dem Beginn der Reichskriminalstatistik haben en zu Freiheitsstrafen wegen Zuwiderhandlung geger mit ganz geringen Ausnahmen zwar nicht imme doch relativ abgenommen. Während die Kriminalitäts er, d. h. die Zahl der zu Fretheitsstrafen Verurteilten auf, 100 000 Personen der strafmündigen, über 12 Jahre e Zivilbepölkerung im Jahre 1882 755,86 betrug, war fi ö. 1908 692,2, d. h. um 26057 geringer. Seit dem Jahre 1962 ist die Zahl der wegen Zuwiderhandlung gegen Reichsgesetze Ver⸗ urteilten aber auch absolut, erheblich, gesunken, von 278 48 auf 566 27 z J. 1908, Am. stärksten zeigt sich die Abnahme bei den Verurteilungen zu Zuchthaus, die von 13 417 mit einer Kriminalitäts⸗ ziffer von 42.3 i. J. 18382 auf 7780 mit einer Kriminalitätsziffer von 17,6 i. J. 1908 oder um 58,4 6,0 gesunken ist. Aber auch hier hat die stärkste Abnahme in den letzten Jahren stattgẽhabt: bon 10 938 i. J. 195061 auf 7ab3 i. J. Igo7 und F780 1. S. 19gos. Ob die Ursache davon in den günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen der letzten Jahre oder in einer Steigerung des Rechtsgefühltz in den breiten Schichten des Volkes oder in dem gegen die Freiheitsftrafen gerichteten Angriffe der neuen Strafrechtsschule liegt, mag dahin⸗ gestellt sein. Jedenfalls ist die Folge davon ein erhebliches Herab— gehen der Gefangenenzahl sowohl in den Strafanstalten wie in den Gefängnissen. Es betrug der tägliche Durchschnittsbestand, nach Ge— schlechtern geschieden, in den zum Ressort des Ministeriums des Innern gehörenden Strafanstalten (Zuchthäusern) und Gefängnissen welche letztere, wie schon eingangs bemerkt, vornehmlich zur Voll⸗ streckung der Gefängnisstrafen von längerer Dauer dienen: . in den Strafanstalten 1908/09 10484 Männer und 877 Weiber 169 io 10349 . in den Gefängnissen 1908/09 8395 61 . . e ,, 667 4 , . der Justizverwaltung: einschl. 466 bezw. 7988 . k . e. 09 293651 Männer und 2760 Weiber, in beiden Jahren 190910 28 640

Auch im Jahre 19609 macht sich ein, wenn auch geringes Abnehmen der Verurteilungen zu Freiheitsstrafen bemerklich. ö Der Charakter der Zuchthaus bevölkerung dürfte unter der Herrschaft des heutigen Strafrechts derselbe wie früher bleiben. Die zu Zuchthaus strafe Verurteilten, von denen im Etatjahre 1508 os 4418. im Jahre 1990910 4266, auf je 10 000 Köpfe der 18 Jahre und darüber alten Bevölkerung Preußens (gegen die allein auf Jucht⸗ hausstrafe erkannt werden kann) 201 bezw. „86 in Zugang amen stellen mit geringen Ausnahmen das gewerbs⸗ und gewohnheiksmäßige Verbrechertum dar. Von 3874 im Jahre 190916 neueingelieferten männlichen Zuchthausgefangenen hatten nicht weniger als 3556 schon vorher Freiheitsstrafen erlitten, davon 3—5 mal S802, 6 - 10 mal 1079, 11 30 mal 854, 31 mal und noch öfter 75. Nach den im St rafvollzuge gemachten Erfahrungen muß man annehmen daß die mehr als 6 mal mit Freiheitsstrafen belegten 2008 Perfonen, wenn überhaupt, dann jedenfalls nur durch langdauernde strenge Zucht und sorgfältige, fürsorgliche Behandlung für ein geordnetes, foziales wieder zu gewinnen sind. Dasselbe wird in der Regel auch von den 892 3—ů mal mit Freiheitsstrafe Vorbestraften gelten können. Mn ist es aber Tatsache, daß nach dem geltenden Strafrecht und der Gewohnheit unserer Gerichte gegen diese Personen nur verhältnis— mäßig kurze Strafen verhängt werden. Von den 3874 neue ingelleferten männlichen Zuchthausgefangenen wa pon d Jahren

absolut,

/

, 1

n. * ,

; Leben

58 I ; Jahren nur 271 zu über 10 bis 15 Jahren nur 32 und 11 zu lebenslänglichem zuchthaus. . ersten 2198 Strafen von 2 Jahren und weniger sind aber in der Regel für die Lösung der Aufgabe, die Verurteilten zu einem gesetzmäßigen Leben nach Ve der Strafe zurückzufübren bei den wiederholt Vorbestraften so gut wie wertlos; und init den 135 Strafen von über 2 bis 5 Jahren steht es nicht viel besser. Diet ergibt sich, wie, in der Statistik der dem Ministerium des Innern untersteh nden Anstalten mitgeteilt wird, uch aus den sorgfältig geführten Zählkarten über diejenigen neueingelieferten Zuchthausgefangenen, die wenigstens drei Freiheitsstrafen (Zuchthaus, Gefängnis, K orrekitonshaus) darunter eine oder ehr re von 6 Monaten und darüber verbüßt haben erartige männliche Personer 3 6 , . 5 w

. . un ,, ee, eingeliefert 205 von ben mnönnil kn R r , n., sel, dahin, gh bei 2105 von den männlichen Zuchthausgesangenen Rückfall mit Sicherheit anzunehmen ist, daß er bei 132 zweifelhaft und nur bei 82 augsgeschlossen erscheint. Bei den weiblichen Gefangenen sind die entfbrechen den Zahlen 2712, 4 und 15. Dieselbe Erscheinung zeigt sich in allen

19

Fine weitere Fatsacke ift 6 , 2 Xn ; . Eine weitere Tatsache ist, daß die 3 ihl der geistig Minderwertigen

gelernt und sich gewöhnt haben, stärker auf unsere

Großstädte und der Industriezentren, den

bio 5 * . 1 * . die amtegerichtlichen Untersuchungs⸗, Haft- und Gefängnisgefangenen,

SN enscHeo noistiago wofertn ; z 3 16 5 . Menschen geistige Defekte als ein verhängnisvolles Erbteil auf die Welt mitgeben oder geistig gesunde ink

daß die geistige und sittliche Widerstandskraft fehlt, den Anreizungen zum. Rechtsbruch zu widerstehen. Diese ganz besonders zu Rechtshrüchen schwerster Art geneigten geistig Minderwertigen in allen ihren Abstufungen bis zu den voll Geisteskranken hinab sind aber eine erhebliche Gefahr für die Gesellschaft. Hier „versagt“ wie die Verwaltung des Innern in ihrer Statistik bemerkt unserẽ strafrechtliche Behandlung vollständig, zumal wenn die geistige Minderwertigkeit als strafmildernd bei der Verurteilung an⸗ erkannt wird“. J k Zusammenhang von Alkohol ind Verbrechen noch ein Wor zu verlieren, erscheint überflüssig, aber es mag doch darauf hin⸗ gewicsen werden, daß unter den 3874 neu eingelieferten männlichen Zuchthausgefangenen sich 599 Gewohnheitstrinker befanden und 1036 ,,, bei weitem nicht die ganze verwüstende Arbeit des Alkohols auf dem Gebiete der Fiminalitãt darstellen, liegt auf der Hand; aber sie geben doch ein Bild von der Menge der Personen, von denen die Gesellschaft immer aufs neue schwere Straftaten zu gewärtigen hat. In den , . unseres Volkes gilt die Trunkenheit noch immer als ein Milderungsgrund bei Beurteilung der Straftaten, und wie es scheint, können sich auch die Richter dieser Anschauung nicht entziehen und doch ist der Alkohr sowohl der gewohnheitsmäßige als auch der gelegentliche, viel licher als der Nüchterne, weil ihm alle die Vemmungen fehlen, klarem Verstande von ver⸗ brecherischen Auss

2 5) krocharr den Berbrecherr

biete d

um Re her

8. De

in . 9yeosla zr (Statisti einer Beilage zur Stati r zun l des Ministeriums des Innern gehörenden Stra zusammeng stellt Wie die Perfonal istik der Zuck gnisse zusammengeßtellt. 6 . Pe sona sti der Zuchthausgefangenen ergibt, ist die landwirtschaftliche Bepöllerun— hr viel geringe 9 (. 1 hs n , Hevillerung sehr viel geringer an Verhrechen be— teiligt als die industrielle. Von den 4266 neu eingelieferten Zuchthaus fangene , ,, en, ,, ; ; ö ic gefangenen gehörten dem landwirtschaftlichen Berufe 692, dem in⸗ dustriellen 2569 an. ; . Die Gefängnis insassen sind chen wie in den Vorjahren. Neueir

harakter nach ebenfalls die e n ,,, elief ert, wurden im Etats e 1999/10 ohn die Zivilhaftgefangenen in die zum Ressort des . 3 des Innern gehörenden Gefängnisse: 25 165 zu Ge⸗ zu geschärfter Haft, 4563 zu einfacher Haft Polizei- (einschließlich Transport-) und ls Ft. Unterfuchungsgefangeng, in die Gefängnisse der Justiz berwaltung: 167 045 (im Vorjahre 169 814) zu Gefängnisstrafe geschärfter Haft, 38 965 (39 967) zu einfacher 147719 (156 636) Untersuchungsgefangene, in beider Verwaltungen zusammen: 19 211 zu Ge 85 813. zu geschärfter Haft, 4356 zu ein⸗ erurteilte, 19 393 Polizei⸗ (einsch Trans⸗ 59 Untersuchungsgefangene. Eine eingehende persönlichen Verhältnisse der Gefaͤngnis⸗ über die Zuchthausgefangenen gegeben ist, Auch die Angaben der Reichskriminalstatistik

n Verhältnisse dieser Gefangenen bieten dafür doch wäre es für die Erkenntnis der Ursachen der Kriminal ihre ? zeiterentwicklung und ihre Bekämpfung von hohem Wert, über die zu Gefängnisstrafe verurteilten Personen, von denen Lin großer Teil zum ersten Male mit dem Etraf⸗ e e such in Konflikt gekommen ist, genauere Auskunft zu er⸗ hel en.. In seiner Beilage zum Bericht über die Anstalten der Verwaltung des Innern ist der Versuch einer solchen Statistik , sich auf. die Gefängnisgefangenen in den Gefängnissen der Rt heinproinz beschränkt, von denen die größeren nit Ausnahme von 8 refeld und Duisburg sämtlich, von den kleinen 47 in der Verwaltung des Innern stehen, und deren Insassen zum überwiegenden Teil aus der Rheinprevinz stammen oder dort ihren Unterhalt gefunden und ihre Straftat begangen haben. Die sich auf das Etatssahr 1909/10 beßiel ende Stati beschränkt sich ferner auf die zu einer Gefängnis⸗ ine j Monaten und mehr Verurteilten, 3902 an der Zahl. e. wi 2 nun seh t. sein, aus dieser beschränkten Statistik irgend . zende Schlüsse ziehen zu wollen, aber es ergeben sich aus , , Gesicht' punkte, die für einen weiteren Ausbau olcher Untersu n von Wert sein können. Zunächst fällt ins Auge, weiblichen Gefangenen nur 1si der Gesamtzahl be⸗

ie von der Gesamtkriminalität - /s bildet. Von

Fefangenen, auf die sich die folgenden Bemerkungen

ur 60. der ländlichen Bevölkerung an, während 77 0o entfallen. Auffallend hoch ist die Zahl der eine Freiheitsstrafe erlitten hatten: 69,2 Coo, „die schon 23, und 159, die schon 6 —– 16 büßt hatten. Ob für diese Elemente, denen die ie Rechtsordnung schon zur Gewohnheit geworden ist, milde Gefängnißstrafe geeignet ist, muß

zumal da von den Vorbestraften

1128 innerhalb Jahresfrist nach Verhüßung der traffällig geworden waren. 513 oder 15,7 60 hatten 18. Lebensjahre erlitten; das ist

die Wirkung unserer Freiheits⸗

Cas 36. SGesangnis be ignisstrafe,

11

. 191

Kriminalität,

waren, r wohl als ein gutes

ürde irgebnis hervortreten, wenn

er bis zu 25 Jahren stehenden

waren wegen Stittlichkeits⸗

derbre und. wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Von den 3902 Gefangenen waren 2897 in der Rheinprovinz geboren,

68. stammen, ug dem Auslande. 527 standen im Alter bis zu

21 Jahren, 827 im Al er ven. 25 Jahren. Anscheinend gering ehelich Geborenen, 34 0/0 gegenüber 96,6 oso der

he He ährend die Geburtsziffer der Unehelichen im allge⸗ meinen 7,4, beträgt. Einen sicheren Beweis würde man erst dann daraus ziehen können, wenn feststände, wie das Verhältnis der lebenden une dem der ehelichen im Alter von 12 Jahren sich stellte. Gefangene waren ohne Schulbildung, und 2448 oder oe hatten ein Einkommen von über 900 bis 309g0 S. Materielle scheint demnach in den meisten Fällen nicht Ursache der Straftat

i; dies zeigt sich auch darin, daß 3734 voll arbeitsfähig waren.

Die Zahl der Fugendlichen ist in den Gefängnissen beider

ngen zurückgegangen. Die Ursache hiervon liegt darin, daß

bon der Strafaussetzung bei Jugendlichen in immer größerem Maße Gebrauch gemacht wird. Von den gegen Jugendliche verhängten Strafen sind die Hälfte Freiheitsstrafen und unter diesen wieder 86 o/o kurze Strafen von weniger als 3 Monaten, obgleich das Nichtsnutzende ja Schädliche der kurzen Freiheitsstrafen gegen Jugendliche heute von

niemand mehr ernstlich bestritten wird.

Die Disziplin in den Gefängnissen handhabt sich leicht; von

54 663 männlichen Gefangenen der der Verwaltung des Innern unterstehenden Gefängnisse sind 2391, von 13 027 weiblichen Ig mit Disziplinarstrafen belegt, schwere Arreststrafen von 7—14 Tagen sind gegen männliche Gefangene nur 131, gegen weibliche nur 10 verhängt worden. Die Gefangenen fügen sich leicht in die Ordnung des Hauses nur hin und wieder glaubt ein jüngerer Gefangener sich eine Ungebhr gegen die Beamten erlauben zu dürfen, wie er es in der Freiheit gegen Arbeitgeber oder Polizeibeamte gewohnt war; er gewöhnt es sich aber unter ernster und gerechter Behandlung bald ab.

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