Großhandelspreise von Getreide an deutschen und fremden Börsenplãͤtzen für die Woche vom 6. bis 11. März 1911 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. 1000 kg in Mark. (Preise für greifbare Ware, soweit nicht etwas anderes bemerkt.)
Woche Da⸗ 6.11. gegen März Vor⸗ Berlin. 1911 woche Wen guter, gesunder, mindestens 712 g das 1 150,25 150,58
Wellen, ö. 5 755 g das 1 198,83 199,17 . ö ' . 4650 g das 156,42 154,00
Mannheim.
Roggen, Pfälzer, russischer, mittel.... . 6438 16438 w., . russischer, amerik., rumäͤn., mittel 21781 21 . 1 Hafer, badischer, russischer, mittel... .... 168, 13 167,550 Gerst badbssche, Pfälzer, mittel.. ..... 139 0909 189 09
erste russische Futter, mittel ...... 133,B75 133,75
Wien. Roggen, Pester Boden .. . 149,00 14 ĩ
7,34 Welzen, , J . 21 53 d . 133633 155.9] Gerste, slovakische. .... ö 16332 583 36 Mais, ungarischer, neuer. . 113,24 113,28
Budapest.
Roggen, Mittelware. ... . . 137,098 135,16 ö. ö . 199, 14 196,40 Hafer, J 15L63 151,18 Gerste, Futter⸗ k ; 140 06 140, 19 Mals, 100,7? 99,48
O dessa. Roggen, 71 bis 72 Kg das hl.. 38,49 99,16 Weljen Ulka 75 bis 76 kg das hl 5 139,02
Ri ga. Roggen, 71 bis 72 kg das hl.. 3 10s, 06! Welzen, 78 bis 79 kg das ble. . 41,7
Paris.
Roggen] re M Wee lieferbare Ware des laufenden Monat
Antwerpen.
Donau⸗, mittel ... ,, roter Winter⸗ Nr. 2 J 6, 98 ö 149,31 ane, n z 153,35 Am sterdam. 1 3 St. Petersburger. ö amerikanischer Winter⸗ amerikanischer, bunt. e
London.
engl. weiß . ö 148,86
y Man Lane) J.... leb b Id, &
Weizen englisches Getreide, 141,42 141,02 Hafer Mittelpreis aus 196 Marktorten 125,96 125,96 Gerste s (Gazette averages) 141,02 141,02
Liverpool. e 2 159,83 1 n 2 ö 66,42 163,36 i 3/2 153.72 a, . G . 1331. 158,89 e 166,06 166,89 k — 129,93 123,53 Gerste, Futter ⸗ Schwarze Meer.... .... 11438 116573
Dbdes el 192901 19291
Mais J 3213 91,67
La Plata, gelber 107,65 108,24 Chicago.
Nat. .. 13992 13891
Weizen, Lieferungsware J Juli.... . . . . 137.55 136,91
September —. 136,53 135,75
35,75 Mais .
Weizen
Sl 25 79, 45h
Neu Jork. n roter Winter⸗ Nr. 2. J 146,57 145,09 Weizen . I Mat. 148,85 147,98 zen s Lieferungsware at...: 1 3 Iz Mais . 11 g3, 14 9146 Buenos Aires.
Weizen 138,53 14076 Mal Durchschnittsware .. .
y Angaben liegen nicht vor.
Bemerkungen.
1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Produktenbörse — Ho Pfund engl. gerechnet; für die aus den Um⸗ sätzen an 196 Merktorten des Königreichs ermittelten Durchschnitts. preise für einheimisches Getreide (Gazette avoragos) ist 1 Imperial Quarter Weizen — 450, Hafer — 312, Gerste — 400 Pfund engl. angesetzt; 1 Bushel Weizen — 60, 1 Bushel Mais — 56 Pfund englisch, 1 Pfund englisch — 453,6 g; 1 Last Roggen — Alco, Weljen — 2400, Mais — 2009 kg.
Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im „Reichsanzeiger⸗ ermittelten wöchent⸗ lichen Durchschnittswechselkurse an der Berliner i zugrunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und e n die Kurse auf London, für Chicago und Neu Pork die Kurse guf Neu Jork, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Peters⸗ burg, für Paris, Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze. Preise in Buenos Aires unter Berücksichtigung der Goldprämie.
Berlin, den 15. März 1911.
Kaiserliches Statistisches Amt. J. R: Dr. Zacher.
Deutscher Reichstag. . air. Sitzung vom 14. März 1911, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Das Haus setzt die Spezialberatung des Etats für das Reichsamt des Innern beim Kapiteh ? Titel 1 der fort— dauernden Ausgaben (Staatssekretär) fort
Ueber den Anfang der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. . Eke Abg. Graf von Kanitz (Ekons.: Wenn so weiter geredet wird, wie seitens des ersten Aufgebots der Redner, so wird der Wunsch des Staatssekretärs, sein sauer verdientes Gehalt noch in dieser Woche zu erhalten, kaum in Erfüllung gehen. Ich beschränke mich auf ein enges Gebiet. Der Abg. Stresemann hat gestern gesagt, daß die nationalliberale Partei einstünmig der Landwirtschaft den nötigen Zollschutz gewähren wolle. Dlese Ausführungen stehen in wohl tuendem Gegensatz zu den Ausführungen des freisinnigen Redners, des Ahg. Dr. Wiemer, vor drei Monaten. Zwischen dem Programm des Abg. Wiemer und dem des Abg. Stresemann scheint mir eine unüberbrückbare Kluft zu bestehen. Trotzdem hoffe ich, daß die freisinnige Partei sich dem Standpunkt des Abg. Stresemann nähert, damit die Bürgerlichen bei den nächsten Reichstags⸗ wahlen zusammengehen können. Gegen die Forderung des nationalliberalen Antrags auf Einführung eines Reichspetroleum monopols würden wir uns nicht ablehnend verhalten. Dieser Gedanke ist nicht neu. Ich selbst habe vor Jahren einen gleichen Antrag in bezug auf den Getreidehandel eingebracht. Leider ist er abgelehnt worden. Im Jahre 1897 hat der Abg. Bassermann hier eine Interpellation eingebracht, die sich in, gleicher Linie hewegte wie die jetzige Resolution der nationalliberalen Partei. Der Abg. Bassermann hielt damals eine lange Rede. Ich habe sie und die Antwort des Staatssekretärs Grafen Posadowsky durchzulesen nicht Zeit gehabt. Ich selbst habe mich sehr dringlich für eine Emanzipation von der Standard Oil Company eingesetzt. Ich habe verwiesen auf das Gutachten einer Kommission, wonach europäisches Petroleum durchaus geeignet ist, das amerikanische Petroleum zu ersetzen. Die jetzige Resolution Stresemann ist etwas präziser gefaßt als die damalige Interpellation. Fraglich ist es aber, ob es gut ist, eine solche Resolution hier öffentlich vor aller Welt zu diskutieren. Die Außenwelt müßte von den Vorbereitungen zu einem solchen Monopol nichts erfahren. Ich kann es deshalb auch nicht billigen, daß der Abg. Stresemann den Staatssekretär aufgefordert hat, seine Karten offen darzulegen. Ich möchte nun den Staats sekretär auf gewisse Vorgänge auf dem Gebiete des Bankwesens hin weisen, auf den Schaden, der durch den Zusammenbruch vieler Banken hervorgerufen worden ist. Ich habe eine Liste vor mir, die 85 Bank zusammenbrüche seit 1901 aufweist. Wie viel von den so verloren gegangenen Summen auf Depots fallen, ist schwer zu berechnen. Ein Derr Salomonski hat auf dem Banktage in Hamburg 1907 die Verluste bei Depots auf 24 Millionen geschätzt, das würde allerdings kaum 10 sein. In den meisten Fällen hat es sich da um betrügerische Manipulationen der Bankleitung gehandelt; wertlose Effekten wurden jahrelang durch die Bilanzen geschleppt, und bei der Frankfurter Vereinsbank hat sich herausgestellt, daß die als Unterlage dienenden Hypotheken wertlos, ja zum Teil bei Subhastationen bereits ausgefallen waren. Die Frankfurter Vereinsbank wurde noch im Dezember 1910 durch einen vereideten Revisor der Dresdner Bank revidiert, der zu dem Ergebnis kam, daß 1,9 Millionen der Effekten wertlos seien; bald darauf fand eine nochmalige Revision statt durch einen Revisor der 3 s f
andvereinigung, und dieser fand, daß nicht 1,9, sondern 4 Millionen Effekten wertlos waren und abgeschrieben werden mußten; Aktienkapital, Reserven und 20 υͤ der Depots waren nach seiner Meinung verloren. Ganz neuerdings aber haben wir erfahren, daß nicht 26, sondern 0— 60 ,½ der Depots verloren sind. Also auch diese Revisionen bieten absolut keine Sicherheit. Gehen wir der Sache auf den Grund, so finden wir, daß immer wieder Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit des Publikums die Hauptschuld an diesen Kalamitäten tragen. Trotzdem es so viele sichere Staatspapiere gibt, fallen die Leute immer wieder in die Hände von Spekulanten, die ihre Unerfahrenheit auszunutzen wissen und, um einen möglichst weiten Wirkungskreis in diesem Sinne sich zu schaffen, auch die kleinsten Landstädtchen mit Filialen und. Agenturen ausstatten; ich nenne nur Driesen, Zossen, Wriezen usw. usw. Die Bankenquete von 1908 hat sich mit der Frage einer gesetzlichen Regelung des Depositenwesens zu befassen gebabt. Es wurde die Beschaffung weiteren Materials beschlossen. Bald darauf hat der Reichstag 1909 eine Resolution angenommen, die eine solche gesetzliche Regelung verlangte, und die Bankenguete, die im Herbst 1909 wieder zusammentrat, hatte eine ganze Menge von Spezialvorschlägen zu diskutieren. Gegenüber dem Hinweis auf Eng— land wurde erwähnt, daß Geheimrat Rießer in seinem Buch über die Entwicklung des Bankwesens gezeigt hat, daß England durch sein Depositengesetz auch nicht vor großen Bankbrüchen geschützt gewesen sei, und man glaubte, das englische Beispiel nicht nachahmen zu sollen. Es wurde dann vorgeschlagen, ein gewisser Prozentsatz der Depositen sollte in bar bei der Reichsbank deponiert werden; man konnte sich aber nicht über die Höhe des Satzes einigen. Dann sollte ein Teil der Depositen, etwa 40 ½, in Primawechseln gedeckt werden; aber da fehlte es wieder an genauer Definition des Begriffs „Primawechsel“!“. Man empfahl dann die Veröffentlichung der Zwischenbilanz und schließlich die Errichtung einer Zentralkontroll— kommission für das Bankwesen; dieser letztere Vorschlag fand ungeteilten Beifall. Es sollte eine Kommission aus etwa 20 Mit⸗ gliedern bestellt werden, wovon ein Drittel vom Reichstag zu wählen wäre. Die Kommission sollte alle 3 Monate zusammentreten und nicht bloß Gutachten zu erstatten, sondern auch aus eigener Initiative mit Revisionen vorzugehen haben. Sehr populär würde eine solche Kommission wohl nicht geworden sein. Der Vorschlag der Veröffentlichung von Zwischenbilanzen ist ja so weit gediehen, daß sich die großen Banken über ein einheitliches Bilanzschema geeinigt haben und danach alle zwei Monate Bilanzen veröffentlichen wollen. Nur die Berliner Handelsgesellschaft hat sich bis jetzt ausgeschlossen. Aber ein Radikalmittel ist diese Bilanzveröffentlichung auch nicht, da unter 10090 noch nicht einer eine Bilanz lesen kann. Das Publikum sollte sich selbst dadurch schützen, daß es sich nicht leichtsinnig durch hohe Zinsen blenden läßt. Die baldige Einrichtung der erwähnten Kommissinn wäre aber sehr erwägens wert. Angesichts der Ver heerungen der neueren Bankbrüche sollte kein Mittel unversucht bleiben. Schäffle hat gesagt, die Börse wird zum Grabe zahlreicher Familienvermögen mit . des gesetzlichen Diebstahls in größter Ausdehnung. Diese Worte passen besser auf die Börse als auf die Auswüchse des Börsenwesens, auf die zweifelhaften Bankinstitute, mit denen wir es hier zu tun haben. Diesen mit allen Mitteln zu Leibe zu gehen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gesetzgebung.
Abg. Hoch (Soz.): Für die sozialpolitische 3. kommt sogar besonders in Betracht, daß wir am Schlusse einer Legislaturperiode stehen, und daß die Parteien deshalb die Pflicht haben, ihren Wählern Rede und Antwort zu stehen über das, was sie auf sozialpolitischem Gebiete geleistet haben. Die Redner der bürgerlichen Parteien haben es nicht für nötig gehalten, sich zu exkulpieren. Man hat nun den Spieß umgedreht und uns gefragt, was wir denn geleistet hätten. Der Abg. Rieseberg meinte, wir hätten nur Anträge gestellt, von denen wir gewußt hätten, daß sie doch nicht angenommen werden würden. Weil die bürgerlichen Parteien nichts taten, mußten wir Anträge stellen, wenn wir auch darauf gefaßt sein mußten, daß sie nicht angenommen werden würden. Der Abg. Rieseberg hat allerdings einen Antrag gestellt, aber den hat er unter allgemeiner Heiterkeit zurückgezogen. Der Staatssekretär hat sich für verpflichtet gehalten, mit einigen Worten auf die Angriffe meines Parteifreundes Fischer einzugehen. Er berief sich auf die Fülle der sozialpolitischen Gesetze, die der Reichstag kaum bewältigen könne. Sehr bezeichnend ist, daß das Arbeitskammergesetz nicht zustande kommen werde, weil die Arbeiter sekretäre als Vertreter der Arbeiter dem Zentralverband und damit der egi Der Staatssekretär verwies auf die Aus—
7 nicht passen.
dehnung der Gewerbeaufsicht. Die Gewerbheinspektoren sind geknebelt worden, ihre Berichte werden nur zur Schönfärberei, zur Täuschung der Arbeiter benutzt. Wie es mit der sozialen Fürsorge der Regierung und der Mehrheit steht, beweist die Ablehnung weiterer Mittel zum Bau von kleinen Wohnungen für Arbeiter. In diesem Etat sind nur 2 Millionen ausgeworfen, obwohl das Bedürfnis für 4 Millionen vorhanden ist. Der Führer des Zentrums hat erklärt, daß für solche Zwecke kein Geld vorhanden sei. Es ist bezeichnend, wie die Mehrheitsparteien Sozialpolitik treiben. Auch auf dem Ge⸗ biete der Fürsorge für die Handlungsgehilfen kommen wir nicht weiter. Die Regelung der Sonntagsruhe für Handlungs⸗ gehilfen ist wiederholt versprochen worden. Was ist ge⸗ geschehen? „Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.“ Wenn Fälle von Terrorismus bei den Arbeitern vorkommen, so be dauern wir das und bekämpfen es, aber was tut man denn auf Ihrer Seite? Werden die Sozialdemokraten nicht überall hinausgeworfen, nur weil sie Sozialdemokraten sind? In der Neichsversicherungs⸗ kommission hat man unsere Anträge, die die ehrenamtlich tätigen Arbeiter vor Maßregelungen schützen sollten, abgelehnt. Wird nicht über diejenigen Arbeitgeber, die die Forderungen der Arbeiter erfüllen, die Materialsperre verhängt? Das Hefesyndikat hat diese Praxis beim Bäckerstreik geübt. Der Staatssekretär hat nur die Gesamt⸗ aufwendungen für sozialpolitische Zwecke genannt, aber nicht, was der einzelne bekommt. Das Wort eines sozialdemokratischen Blattes: Man läßt die Arbeiter nicht mehr verhungern, sondern nur noch hungern, ist eigentlich zu schwach. Die Invalidenrente beträgt für den Tag 76 5. Davon müssen Mann und Frau leben. Die Witwen⸗ rente, die erst bei völliger Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird, beträgt für den Tag 33 5. Bei der Waisenrente ist zu berücksichtigen, daß Mutter und Kinder davon leben müssen. So entfällt bei einem Kinde 13 3 auf die Person und den Tag. Jemehr Kinder vorhanden sind, desto geringer ist der Betrag für den Kopf. Nun hat das Zentrum großartige Verbesserungen vorgeschlagen. (Vize präsident Dr. Spahn bittet den Redner, nicht auf die Einzel heiten der Reichsversicherungsordnung einzugehen. Wenn ich von den Leistungen der Invalidenversicherung spreche, muß ich loyalerweise auch von den Verbesserungen sprechen, sonst macht man mir den Vorwurf, unrichtige Ziffern genannt zu haben. Nach dem Zentrumsantrag soll für jedes Kind ein Zehntel zu den 76 Xzugeschlagen werden. Danach würde entfallen auf den Kopf und Tag bei einem Kinde 28 8, bei zwei Kindern 23 „5, bei drei Kindern 20 3, bei vler Kindern 18 8 Rente. Das sind die großen Renten, von denen man hier im Lande erzählt. Be— sonderen Grund zur Beschwerde haben die Privatbeamten. Die ver⸗ schiedensten Organisationen haben sich mit den Darbietungen des Gefetzentwurfs nicht einverstanden erklärt, selbst die Arbeitgeber organisationen nicht. Der Deutschnationale Handlungsgehilfen verband hat eine Resolution gefaßt, worin er aufs tiefste beklagt, daß seit Jahren ein Stillstand in der sozialpolitischen Gesetz⸗ gebung für die Handlungsgehilfen eingetreten ist, also selbst die Herren um Schack können nicht mehr wagen, ihren Leuten das Blaue vom Himmel herunterzuerzählen, sondern müssen auch einiges Bedauern über den Stillstand der Sozialpolitik laut werden lassen. Damit glaube auch ich dem Staatssekretär gegenüber dargelegt zu haben, daß alle den Arbeitern gegebenen Versprechungen von der Mehrheit des Reichstags nicht erfüllt worden sind. Desto ein gehender hat man von den großkapitalistischen Institutionen, von den Trusts, den Kartellen und Syndikaten, gesprochen. In der Tat haben wir ein erstaunliches Anwachsen des Großkapitals und der Riesenbetriebe in den letzten Jahren festzustellen. 1895 gab es 208, 1907 385 Riesenbetriebe, d. h. Betriebe mit über tausend Arbeitern. Die Riesenbetriebe haben sich um 85 οS, die sämtlichen Betriebe nur um 10 .σ‛ vermehrt, die Pferdestärken um 230 gegen 130 0. In der Montanindustrie entfallen von 1000 Betrieben 1907 schon 717 auf die Riesenbetriebe, also fast g; die Pferdestärken gehen noch über R hinaus. In den Händen der Großbanken sind unglaublich kolossale Kapitalien vereinigt; die 9 Berliner großen D⸗Banken und die von ihnen abhängigen Institute arbeiten mit einem Kapital von 5 Milliarden. Fast der gesamte deutsche Geldmarkt hängt von diesem kleinen Häuflein von Kapitalisten ab. Der Umsatz der 8 Großbanken ohne die Darmstädter Bank betrug 1910 nicht weniger als 400 Milliarden! Das Großkapital steht also unbestritten als Alleinherrscher da. Wird heute nun einer jener wunderbaren Heiligen von rechts auftreten und wie früher ausführen, wie falsch die Theorie von Karl Marx sei? Bisher ist es nicht geschehen, es wird auch nicht geschehen. In einem Organ des Bundes der Landwirte, das in Friedberg in Hessen erscheint, wird die Marxistische Lehre vom Kapital völlig zu Recht bestehend anerkannt. Was soll nun gegen die Syndikate und Grosibanken, diesen Staat im Staate, geschehen? Richtig ist, daß sich die Privatwirtschaft auf diesem Gebiete bereits abgewirtschaft hat: es ist nur noch eine Gemeinwirtschaft von wenigen Leufen und zum Schaden und Fluch für die gesamten Betriebe vorhanden. Gäben wir aber heute dem Staate die Waffen zur Ablösung dieser Gemeinwirtschaft weniger zugunsten der arbeitenden Gesamtheit in die Hand
was ist dann der heutige Staat anders als das Organ, der Beauf tragte der ausbeutenden Klasse? Der Direktor der Deutschen Bank, der vor seine Gesellschaft treten würde mit der Erklärung, es könne keine Dividende geben, weil auch auf die Gesamtheit Rück— sicht genommen werden müßte, würde hinausgeworfen werden, wie der vorige Reichskanzler hinausgeworfen wurde, als er die Geschäfte der Mehrheit nicht mehr führen wollte. Der Graf Kanit zog gegen betrügerische Manipulationen der Börse zu Felde. Ich verurteile solche Manipulationen wie er. Aber was war der letzte Kern seiner Ausführungen? Das Publikum
will höhere Prozente haben und greift deshalb zu unsicheren Papieren. Aber tun Sie denn das nicht alle? Mit solchen Moralpredigten gegen die kleinen Leute ist nichts gemacht. Auf die Ausführungen meines Freundes Fischer über die Stellung des Staatssekretärs zum Zentralverband der deutschen Industriellen hat der Staatssekretär kein Sterbenswörtchen gesagt, wie überhaupt das viel interessanter war, was er nicht gesagt hat. War das Anstandsgefühl oder was war es? Ob er sich sehr wohl fühlt in der Gesellschaft, di— Parole ausgibt, die Gewerkschaften müssen vernichtet werden? Welche Enthüllungen hat nicht die letzte Verhandlung der Budgetkommission über das Kalisyndikat gebracht! Natürlich hat nicht der Staat das Kalisyndikat, sondern dieses hat den Staat in der Tasche. Es wird ja darüber noch ein kräftig Wörtlein zu reden sein. Die bürger lichen Parteien haben diesmal in der Debatte die Handwerksmeister vorgeschickt, und die haben sehr schöne Reden zur Rettung des Mittel standes gehalten. Was ist denn tatsächlich für den Mittelstand er reicht? Die Unzufriedenheit der Wähler ist darauf zurückzuführen, daß auch die kleinen Leute erkennen, unter welch' ungeheurem Joch des Großkapitals sie stehen. Mit allen Innungsgeschichten usm. ist den kleinen Leuten gar nicht geholfen. Gegen die Kartelle der Groß— industriellen ist das Kleinkapital ganz wehrlos. Man hat vorgeschlagen, den kleinen Leuten billiges Geld zu verschaffen. Ich möchte wissen, wie man dieses Kunststück fertig bringen will. Der einzige Wider stand, der dem Großkapital geleistet wird, geht von den Arbeitern aus. Daher die Wut des Großkapitals gegen die Arbeiter organisationen. Man hat ein ganzes System ausgebaut, um durch den Legitimationszwang mit Hilfe der deutschen Feldarbeiterzentrale einerseits die ausländischen Arbeiter heranzulocken und sie anderseits zu verhindern, sich an einer Lohnarbeiterbewegung zu beteiligen. Es kann nicht so weitergehen, daß die Arbeiter nicht ihren ent sprechenden Anteil an den Produktionsgewinnen haben. Der Rück gang des Geburtsüberschusses und die damit verbundene Degeneration sind bedenkliche Zeichen. Glücklicherweise läßt sich die Sozial demokratie in der Erreichung ihrer Ziele, ihrer Kulturhöhe durch Ausnahmegesetze und durch lächerliche Polizeimaßnahmen gegen die Jugendorganisationen nicht aufhalten.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Delbrück:
Der Herr Vorredner hat am Schlusse seiner Ausführung dem Gedanken Ausdruck gegeben, das, was ich gesagt, hätte ihn eigentlich
2 die
wenig interessiert, aber das, was ich nicht gesagt hätte, das wäre für ihn von Interesse gewesen. Ich war nun sehr gespannt — ich habe ja auf viele der Anregungen, die mir im Laufe der letzten Tage ge— kommen sind, nicht antworten können —, auf welchen Punkt sich denn das dem Herrn Abg. Hoch so interessante Schweigen meinerseits be— zogen haben könnte, und da habe ich nun gehört: ihn hat am meisten interessiert, daß ich mich über die Tatsache nicht ausgelassen habe, daß ich beim Zentralverband Deutscher Industrieller zu Gast gewesen bin. (Heiterkeit)
Meine Herren, auf den ersten Blick muß man doch mit einem gewissen Staunen fragen, was für ein Interesse das Parlament daran hat, wo ein Minister einmal zu Gaste gewesen ist (Heiterkeit und sehr richtig! rechts), und in welcher Weise der Minister die Repräsentations— pflichten erfüllt, die er nun einmal zu erfüllen hat. (Sehr richtig! rechts Ich würde aber darauf weiter nicht eingegangen sein, wenn nicht damit eine ganze Reihe von anderen Ausführungen des Herrn Abg. Hoch in engem Zusammenhange stünde, die nach meiner Ansicht auf einem unrichtigen Gedankengange beruhen.
Was der Herr Abg. Fischer neulich in bezug auf meinen Besuch bei dem Zentralverbande Deutscher Industrieller gesagt hat, widerlegt sich ja von selbst. Der Herr Abg. Fischer hat gesagt: weil der Herr Staatssekretär des Innern beim Zentralverbande Deutscher In— dustrieller gewesen ist, und weil Herr Bueck zwischen ihm und dem preußischen Haudelsminister gesessen hat, ist zweifellog erwiesen, daß die Regierung in absoluter Abhängigkeit vom Zentralverbande Deutscher Industrieller steht. (Heiterkeit. — Zuruf bei den Sozialdemokraten: Stand schon lange fest — Wenn es für Sie schon lange feststand, dann hätten Sie nicht so fadenscheinige Beweise dafür anführen sollen, denn diese Art der Beweisführung ist nicht geeignet, die für Sie fest— stehende Tatsache in den Augen anderer Leute glaubhafter zu machen. (Sehr richtig! und Heiterkeit rechts.) Meine Herren, daß jedenfalls diese Momente nicht geeignet sind, eine Auffassung zu beweisen, die ja nach Ihrer Auffassung nicht mehr zu beweisen ist, ergibt sich aus den eigenen Ausführungen des Herrn Abg. Fischer, welcher, nachdem er die mangelhafte Tätigkeit der Re gierung auf sozialpolitischem Gebiete einerseits beleuchtet hatte, auf der anderen Seite darauf hinwies, daß Herr Bueck sich in über— aus abfälliger Weise über die augenblickliche Regierung und ihre Stellung zur Sozialpolitik ausgesprochen hätte.
Nun, meine Herren, damit komme ich auf das, was mich in erster Linie veranlaßt hat, dem Herrn Abg. Hoch zu antworten. Meine Herren, wir, die Regierung und die einzelnen Parteien dleses hohen Hauses gehen gewiß in der Beurteilung des Maßes dessen auseinander, was man für die arbeitende Bevölkerung tun kann und was man für sie nicht tun kann. Ich habe aber noch niemals in diesem hohen Hause oder anderwärts eine Auffassung aussprechen hören, die mit dem in Widerspruch stand, was der Herr Abg. Hoch eben als eine, besonders erleuchtete Anschauung seiner eigenen politischen Freunde hingestellt hat, nämlich, daß wir an der kulturellen Hebung unseres Arbeiterstandes und an der wirt— schaftlichen Hebung unseres Arbeiterstandes ein lebhaftes Interesse haben. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. Das wollte ich hier nur ausdrücklich auch im Namen der Parteien feststellen, mit denen wir gewohnt sind, auf sozialpolitischem Gebiete zusammen zu arbeiten. Ich kann auch heute nur darauf hinweisen, daß das, was auf sozialpolitischem Gebiete bisher geschehen ist, nicht von Ihrer Seite mit beschlossen ist (Widerspruch bei den Sozial— demokraten), sondern von den anderen Parteien hier im Hause und von der Regierung, weil sie grundsätzlich auf dem Standpunkt steht, den ich hier eben festzustellen die Ehre hatte.
Also, meine Herren, wir sind uns alle, namentlich diejenigen Parteien, mit denen ich gelegentlich diniere (Heiterkeit), darüber einig, daß es unsere erste Pflicht ist, für die kulturelle, soziale und wirt— schaftliche Hebung des ganzen Volkes und in erster Linie auch des Arbeiters zu sorgen. Wir sind uns — diese Auffassungen sind mir aus allen Teilen dieses Hauses gelegentlich entgegengekommen darüber einig, daß ein gutgelohnter Arbeiter das Beste ist, was sich ein Volk für seine wirtschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung wünschen kann. Danach haben wir auch verfahren.
Wenn nun Herr Hoch ferner gesagt hat: ja, Sie können knechten und entrechten, soviel Sie wollen, die Kultur des deutschen Arbeiters ist zu hoch gestiegen, als daß Sie ihn von der Richtung abwendig machen könnten, auf der er sich bewegt da stelle ich die Frage: Wo ist denn diese Kultur hergekommen und warum erfreut sich in vieler Beziehung der deutsche Arbeiter einer höheren Kultur als die Arbeiter anderer Länder? Warum verfügt er über das Maß von Bildung, auf das Sie eben stolz waren, und das Sle in die Lage versetzt, mit immer wachsendem Eifer Ihre Ideen zu propagieren? Wem anders als dem uneigennützigen deutschen Staate! (Lebhaftes Sehr richtig! Widerspruch und Lachen bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, das ist absolut richtig. Mir ist oft gesagt: Ihr habt Euch ja Eure Opposition groß gezogen in der Sozialdemokratie und speziell in Preußen in den polnischen Landesteilen. Wenn ihr nicht unablässig ven Staats wegen gearbeitet hättet an der Hebung der Kultur und an der Ver— breitung der Intelligenz speziell auch in den polnischen Landesteilen, dann würdet Ihr nicht annähernd mit den Schwierigkeiten zu kämpfen haben, mit denen Ihr jetzt zu kämpfen habt. (3Zwischenruf des Abg. Tedebour.) — Herr Ledebour, das ist mir sehr oft gesagt, und zwar auch von Leuten, die mit der Polenpolitik der preußischen Regierung unzufrieden waren. Ich habe aber die Polenfrage hier nur als Beispiel angeführt.
Meine Herren, es unterliegt gar keinem Zweifel: das Maß von Bildung, die Möglichkeit, zu lesen und zu schreiben, die Möglichkeit, Zeitungen zu lesen und zu bedienen, das Maß von technischer Leistungs— fähigkeit, die Fähigkeit, wirtschaftliche, technische und physikalische Probleme, soweit sie für die arbeitenden Klassen ein Interesse haben, zu verstehen, ist zurückzuführen auf die Fürsorge des Staates, ins— besondere seines weitverzweigten Schulwesens, und, meine Herren, ein Zeichen für die Unbefangenheit, mit der das Deutsche Reich und die Bundesstaaten und speziell das viel angefochtene Preußen die Kultur aufgaben eines Staates zu lösen versucht haben, sind eben die außer— ordentlichen kulturellen Fortschritte der breiten Massen des Volkes, deren Sie sich eben besonders gefreut haben und deren ich mich mit Ihnen freue. Deshalb möchte ich die Legende zerstören, als wenn das Ihr Werk wäre, und als ob das nicht in allererster Linie das Werk der Bundes staaten und des Reiches wäre. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, Sie irren, wenn Sie von der Entrechtung des Volkes sprechen! Was ist denn im Laufe der letzten Zeit hier im Reichstag geschehen. Wir
haben ein außerordentlich liberales Vereinsgesetz verabschiedet (Widerspruch bei den Sozialdemokraten), welches eine große Anzahl Freiheiten gibt. Ich habe bereits gestern die Ehre gehabt, hier fest— zustellen, daß Sie auch nicht in der Lage sind, sich über die Durch— führung dieses Gesetzes zu beschweren. Daß im einzelnen Mißgriffe vorkommen, ist doch nicht verwunderlich.
Nun hat Herr Abg. Hoch in demselben Gedankengange, an die Ausführungen des Herrn Grafen von Kanitz anknüpfend, gesagt: der Herr Graf von Kanitz hat eine Reihe von Mißständen in unserer Börsengesetzgebung und in unserer wirtschaftlichen Entwicklung aufgedeckt. Ich habe aber rergeblich darauf gewartet, daß er Vorschläge gemacht hat, wie der Staat eingreifen soll. Der Herr Abg. Hoch hat dann speziell darauf hin— gewiesen, daß ich bei der Erörterung der Frage der Syndi— kate mich auch auf den Standpunkt gestellt hätte, man sollte sich hüten, hier mit der Gesetzgebung zu weit einzugreifen, man müsse hier der Entwicklung freien Lauf lassen, und der Herr Abg. Hoch hat diese beiden ihm auffallenden Vorkommnisse wieder mit der oft gehörten Wendung zu erklären gesucht, daß wir in vollständiger Sklaverei unseres Großkapitals und unserer Großindustrie wären. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Und der Junker) — Das hat er nicht ge⸗ sagt! (Heiterkeit Aber, meine Herren, nehmen wir einmal an, er hätte es gesagt, so würde das an der Tatsache nichts ändern, daß er hier doch die Ursachen unseres Verhaltens an der falschen Stelle ge— sucht hat. Was uns hier scheidet, ist die grundsätzliche Stellung, die wir wirtschaftlichen Fragen gegenüber überhaupt einnehmen, und die Stellung, die wir auch den Problemen des Augenblicks gegenüber, namentlich als Regierung einzunehmen haben. Wir sind nicht in der Lage, volkswirtschaftliche Probleme aufzufassen vom Standpunkt einer wirtschaftlichen Anschauung, die außerhalb unserer gegebenen Wittschaftsberhältnisse liegt (sehr gut! rechts und in der Mitte), sondern wir sind genötigt, die Dinge, die wir vor uns haben, in einer dem Wohle des Ganzen angemessenen Richtung vorwärts zu schieben, und das können wir nicht tun, indem wir einer vorläufig nicht adoptierten und auch in unseren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zum Ausdruck kommenden wirtschaftlichen Anschauung huldigen. Wir sind der Meinung, daß es im Rahmen unserer jetzigen wirt— schaftlichen Verhältnisse und im Rahmen unserer jetzigen Staats- und Wirtschaftßordnung, im Rahmen der Gewaltsverteilung, wie sie zwischen Regierung und Parlament gegeben ist, ein schweres Unrecht an unserer wirtschaftlichen Entwicklung sein würde, wenn wir in alle Dinge hereinregieren wollten. Gewiß, die Aufgaben des Staates wachsen dauernd. Die Ingerenz des Staates in alle möglichen Ver⸗ zweigungen unseres wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens wird immer größer. Um so mehr soll man darauf bedacht sein, darauf zu sehen, daß diese Ingerenz nicht zu groß wird, denn sonst hört die Möglichkeit der freien Entwicklung auf, nicht bloß in wirt— schaftlicher Beziehung, sondern auch die Möglichkeit der freien Ent— wicklung des Individuums (sehr richtig! rechts), welche die Voraus— setzung unserer politischen Verhältnisse ist und die fällt, wenn die Freiheit des Individuums in der Herrschaft der Masse untergeht. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)
Das, meine Herren, sind die allgemeinen Ausführungen, die ich mir gestatten wollte zu dem zu machen, was der Herr Abg. Hoch gesagt hat. Ich kann von mir mit voller Sicherheit behaupten, daß ich von niemand abhängig bin, sondern daß ich bestrebt bin, die mir anvertrauten Geschäfte so zu führen, wie ich es für notwendig und nützlich halte. Aber ich bin auch so erzogen, daß mich Differenzen in der politischen Auffassung nicht hindern, mit jedermann, der mich dazu auffordert, an einem Tisch zu sitzen, und ich bin nicht einseitig genug, um, weil vielleicht die Industrie in diesem und jenem Punkte anderer Meinung ist als ich und das in einer Tischrede zum Ausdruck kommen kann (Heiterkeit), nicht doch anzuerkennen, was unsere Industrie und ihre führenden Männer geleistet haben, was sie für unsere wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung bedeutet und was sie auch für die äußere Wehrhaftigkeit unseres Vaterlandes ist. (Bravo! rechts und in der Mitte und bei den Nationalliberalen.) Aus diesem Grunde werde ich mir die Freiheit nehmen, die Interessen der Industrie ebenso sehr zu fördern wie die aller anderen der Für— sorge meines Ressorts anvertrauten Zweige unseres wirtschaftlichen und politischen Lebens. (Bravo! rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.)
Nun, meine Herren, da ich am Worte bin, noch einige kurze Ausführungen zu den Erörterungen des Herrn Grafen von Kanitz. Die unerfreulichen Vorkommnisse, die der Herr Graf von Kanitz vor⸗ hin erörtert hat — der Zusammenbruch der Niederdeutschen Bank, der Zusammenbruch der Frankfurter Vereinsbank —, sind von uns selbstverständlich mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt und haben uns Veranlassung gegeben, alle diejenigen Erörterungen und Wünsche vor unserem geistigen Auge vorüberziehen zu lassen, die die Verhandlungen in der Bankenquete, speziell im vorigen Herbste, gebracht haben. 2
Aus den Ausführungen des Herrn Grafen von Kanitz kann ich nun zunächst als erfreulich feststellen, daß man allerseits von dem Gedanken abgekommen zu sein scheint, eine Trennung der Effekten— und der Depositenbanken zu betreiben, daß auch Herr Graf von Kanitz unsere Auffassung dahin teilt, daß es mit der ganzen Entwicklung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse zurzeit und für absehbare Zeit zunächst nicht wohl vereinbar sein würde, hier einen Schnitt zu machen, etwa nach englischem Muster.
Wir haben aber weiterhin geprüft, ob denn die Vorkommnisse bei der Niederdeutschen Bank und bei der Frankfurter Vereinsbank etwa zurückzuführen sind auf Mängel in unserer Gesetzgebung, im Aktienrecht, in unserem Strafrecht, im Konkursrecht und was dergleichen mehr ist. Das Ergebnis der Untersuchungen — die gerichtlichen Untersuchungen sind ja noch nicht abgeschlossen, ich will also auf Einzelheiten nicht eingehen — ist doch zweifellos gewesen, daß diese beiden Zusammenbrüche nur möglich gewesen sind infolge einer Kette von unredlichen Handlungen der Leiter. Gegen derartige unredliche Handlungsweisen kann man sich nicht schützen, und derartige Unredlichkeiten festzustellen, wird natürlich um so schwieriger, je größer und komplizierter ein Geschäft ist. Es ist sehr charakteristisch, daß es in beiden Fällen erst ganz allmählich ge— lungen ist, sich ein Bild von dem Umfang der betrügerischen Handlungen zu verschaffen, die jahrelang in der Leitung dieser Banken möglich gewesen sind. Die Treuhandgesellschaft, die die Verhältnisse der Niederdeutschen Bank geprüft hat, hat zunächst ein ungleich gün
stigeres Ergebnis über den Stand der Dinge gewonnen, als es ihr
schließlich im Laufe monatelanger Arbeiten und unter Zuhilfenahme von Sachverständigen und Praktikern in großer Zahl möglich gewesen ist.
Also, meine Herren, gegen die Unredlichkeit an sich ist kein Kraut gewachsen, und es ist namentlich sehr schwierig, sie durch Gesetze un⸗ möglich zu machen. Wir haben erwogen, ob man etwa nach englischem Muster die Bestellung von Revisoren für die Aktienbanken anordnen soll. Wir sind aber nach eingehender Prüfung zu dem Er⸗ gebnis gekommen, daß das in ugser Aktienrecht nicht ohne weiteres passen würde, und wir haben vor allen Dingen dabei im Auge gehabt, daß die Generalversammlungen ja jetzt schon in der Lage sind, derartige Revisoren zu be stellen. Wir haben vor allen Dingen auch berücksichtigt, daß ein großer Teil unserer großen Banken selbst schon über derartige Re⸗ visionsorgane in beträchtlichem Umfange verfügt, die dauernd in Tätigkeit sind. Aber gerade auch die Erfahrungen, die wir mit den beiden zusammengebrochenen Banken gemacht haben, haben in uns die Ueberzeugung begründet, daß ein derartiges Institut von Revisoren wahrscheinlich nicht in der Lage sein würde, geschickt vor⸗ genommene Unredlichkeiten rasch aufzudecken, wohl aber geeignet sein würde, lediglich durch seine Existenz die Aktionäre und das Publikum in eine unberechtigte Sicherheit über die Zuverlässigkeit der Ver⸗ waltung hineinzuwiegen. (Sehr richtig! links und in der Mitte) Das sind Momente, die sehr ernstlich erwogen werden müssen.
Nun ist zweitens in der Bankenquetekommission die Frage er— örtert worden, ob man einen Bankbeirat oder einen Bankausschuß bilden sollte. Meine Herren, auch diese Frage ist von mir in aller— letzter Zeit noch einmal zum Gegenstand eingehender Erörterungen, namentlich mit dem Herrn Präsidenten der Reichsbank, gemacht worden, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Ein⸗ richtung nicht geeignet sein würde, diejenigen Mängel zu beseitigen, die der Herr Graf Kanitz und gewiß im Prinzip wir alle mit ihm be seitigt wissen möchten. Ein derartiger Bankausschuß würde schwer— lich in der Lage sein, im geeign ten Momente und hinreichend ein⸗ gehend einzelne Banken heraus zugreifen und zu prüfen. Aber seine Existenz, die Möglichkeit, daß er das tun könnte, würde auf der anderen Seite das Publikum noch leichtsinniger machen, als es augen— blicklich schon ist. (Zustimmung.) Es ist vor allen Dingen zu be⸗ fürchten, daß auch doch schließlich dieser Bankausschuß eine Ver— antwortung auf sich nehmen würde, die er tatsächlich zu tragen völlig außer stande ist. (Sehr richtig! links.)
Ich will auf Einzelheiten in dieser Frage nicht eingehen. Ich behalte mir vor, über diese, wie ich ohne weiteres anerlenne, wichtige Angelegenheit eventuell im Laufe unserer Erörterungen noch den Herrn Präsidenten der Reichsbank selbst zu Worte kommen zu lassen. Ich habe nur, da ich einmal das Wort hatte, diese Ausführungen machen wollen, damit die Herren sehen, daß wir an den Vorgängen, die der Herr Graf Kanitz mit Recht beklagt hat, nicht achtlos vorüber— gegangen sind. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)
Abg. Wieland (fortschr. Vollsp.): Ich kehre zu den Mittelstands—⸗ fragen zurück. Die Aktion gegen die Fleischteuerung ist ohne Er gebnis geblieben; sang⸗ und klanglos sind die bezüglichen Petitionen von der Kommission ad acta gelegt worden. Jetzt liegt uns ein Antrag der Deutschkonservativen vor, „den Reichskanzler zu ersuchen, die notwendigen Verfügungen zu erlassen, durch welche dem in
erteilt werden.“
Note auf. Von einem unaufhaltsamen Niedergang des Handwerks ist übrigens nicht zu reden; die Verhältnisse haben sich wohl geändert, aber nicht allgemein verschlechtert. Die Zahl der in mitt— leren Handwerksbetrieben beschäftigten Personen hat sich nicht unwesentlich ,, Immerhin ist seine Lage durch die neuzeit liche Entwicklung worden, ebenso auch durch die Lasten der sozialen Gesetzgebung hohen Lebensmittelpreise. Mit dem guten Rat der Selbsthilfe allein ist dem Handwerk nicht gedient. Die Handwerkskammern haben auf manchen Gebieten schon recht Ersprießliches geleistet. Der riel verspottete kleine Befähigungs—
nachweis hat auch schon manches Gute geschaffen, indem er die jungen Leute wenigstens zum Lernen zwingt. Vor Einführung des allgemeinen großen Befähigungsnachweises, wie ihr d
schien, möchte ich dringend warnen
schon selbst den richtigen Weg zu seiner
soweit ihm nur die nötige Bewegungsft
Einer sofortigen ausnahmslosen Einführun Bauhandwerkerschutzgesetzes möchte ich
Answüchse der Konsumvereinsbewegung
beseitigt werden. Direkt schädlich für
Wanderlager und zum Teil auch Versatzgeschäfte
schaden für den ehrlich ringenden Mittelstand sollte die
so bald als möglich scharf zu Leibe rü in
kräftige ausgiebige Besteuerung. Dem
von Hilfsmaschinen die Möglichkeit ge werden
billigem Zinsfuß zu erlangen, dann wird seine Kon nzfähigkeit gegenüber den Großbetrieben entschieden verstä verden. Die Hroßindustrie sollte auf gewisse Nebenbetriebe zu Gunsten des Handwerks verzichten. Die Lehrlinge im Handwerk sind ebenso gut und besser dran als in den Großbetri ie dreijährige Lehrzeit ist ziemlich allgemein durchgeführt. landläufigen Klagen über Ausnutzung der Lehrlinge im Handwerk entsprechen im allgemeinen nicht den Tatsachen. Die eranziel er Groß industrie zu den Handwerkskammerumlagen, sofern solche Fabriken Arbeiter handwerksmäßig beschäftigen, ungerechtfertigt, wird aber schwerlich das Handwerk in dem Maße entlasten, wie viel fach gehofft wird. Allerdings sollte diese umstrittene Frage endlich zur Ruhe kommen, desgleichen Abgrenzung von Fabrik und Handwerk; die Tatsache der Verwendung von Hilfs maschinen sollte dabei weniger in Betracht gezogen werden. Auch die auf die Beseitigung des 5 10904 der Gewerbeordnung gesetzten Hoffnungen dürften schwerlich in Erfüll l die Zwangs innungen wollen seine Aufhebung. T einige Betriebe, Bäcker, Fleischer, Friseure möchte sie vielleicht obwohl auch hier starke Bedenken bestehen. Im ke in den meisten Handwerken angesichts der großen Alitätsunterschiede der Waren von Gleichwertigkeit bestimmter keine Rede sein. Die Förderung des Handwerks, namentlich im Süden, wird viel eher erreicht durch freie Innungen und durch Selbstversicherung, wozu ja Gelegenheit genug geboten ist. Die Heranziehung weiterer Hand werkerkreise bei staatlichen Vergebungen ist dringend erwünscht. Bei Vergebung von Arbeiten und Lieferungen sollte auf das Handwerk durch freizügige Ausschreibungen und darauf gebührende Rücksicht ge nommen werden, daß bei den angesetz breisen das Handwerk auch bestehen kann, denn die Handwerker icht immer hierin die nötige Einsicht und die ztige Ke ähigkeit. Offerten, bei denen die Unternehmer und Arbeiter zu kurz kämen, sollten die Behörden, Staats Gemeindebehörden, ohne weiteres zurückweisen. Selbstverständlich haben auch die Hand werker zur Lösung der Frage beizutragen. Sie müssen lernen gewissen⸗ haft zu kalkulieren. Durch Fortbildungsschulen unter Berücksichtigung der fachlichen Interessen kann vieles dafür geschehen. Bei Festsetzung des Stundenplanes solllen aber die Gewerbe, besonders diejenigen, die Saisonarbeiten machen, berücksichtigt werden. Notwendig ist für das Handwerk vor allem ein fester genossenschaftlicher Zufammen schluß. Wenn die sozialdemokratischen Redner von einein vollständigen