1911 / 67 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 18 Mar 1911 18:00:01 GMT) scan diff

1) Die Studierenden, welche die Universitätsstudien erst beg in nen:

a. Angehörige des Deutschen Reichs: dasjenige Reife⸗ zeugnis einer höheren Lehranstalt, welches für die Zulassung zu den ihrem Studienfach entsprechenden Berufsprüfungen in ihrem Heimatstaate vorgeschrieben ist. Genügt nach den bestehenden Bestimmungen für ein Berufsstudium der Nach⸗ weis der Reife für die Prima einer neunstufigen höheren Lehranstalt, so reicht das auch für die Immatrikulation aus.

b. Ausländer: ausreichende Legitimationspapiere, Paß zc. und amtliche Zeugnisse über die erlangte Schulbildung.

2) Die Studierenden, welche von einer anderen Universität kommen: die zu 1 geforderten Zeugnisse und ein Abgangszeugnis jeder der früher besuchten Universitäten.

3) Außerdem hat jeder eine sorgfältig ausgefüllte Personalkarte mit den Jeugnissen abzugeben. Formulare sind bei dem Pförtner zu haben.

Sonstige männliche Angehörige des Deutschen Reichs, welche ein Reifezeugnis nicht erworben, jedoch wenigstens das⸗ jenige Maß der Schulbildung erreicht haben, welches für die Er⸗ . der Berechtigung zum einjährig⸗freiwilligen Militärdienst vor⸗ geschrieben ist, können mit besonderer Erlaubnis der unterzeichneten Kommission auf vier Semester immatrikuliert und bei der philosophischen Fakultät eingetragen werden. . .

Die bezüglichen Gesuche sind unter Beifügung der Zeugnisse persönlich an den Universitätssekretär abzugeben. Formulare zu den⸗ selben können bei dem Oberpedell in Empfang genommen werden.

Reich sinländerinnen dagegen, im Falle sie nicht das Reife⸗ zeugnis bezw. das Zeugnis der Reife für die Prima besitzen, sowie Ausländerinnen in allen Fällen bedürfen zur Inmmatrikulation der Genehmigung des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten.

Die Gesuche, denen alle Zeugnisse beizufügen sind, sind im Zimmer Nr. 8 der Universität abzugeben.

Berlin, den 17. März 1911.

Die Immatrikulationskommission der Königlichen Friedrich Wilhelms -Universität. Rubner. Daude.

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen

und Forsten. .

Die Oberförsterstelle Neuhof

Cassel ist zum 1. Juni 1911 zu besetzen. bis zum 10. April eingehen.

im Regierungsbezirk Bewerbungen müssen

Finanzministerium. Das Katasteramt Cöln III im Regierungsbezirk Cöln ist zu besetzen.

Evangelischer Oberkirchenrat.

Der in die erste Pfarr⸗ und Ephoralstelle zu Rastenburg berufene Pfarrer und Superintendent Dolina, hisher in Briesen, Westpr., ist zum Superintendenten der Diözese Rasten⸗ burg, Regierungsbezirk Königsberg, bestellt worden.

Aichtamtliches. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 18. März.

Seine Majestät der Kaiser und König nahmen heute vormittag im hiesigen Königlichen Schlosse die Vorträge des Staatssekretärs des Reichsmarineamts, Großadmirals von Tirpitz und des Chefs des Marinekabinetts, Admirals von Müller entgegen.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Zoll⸗ und Steuerwesen und für Justizwesen sowie die vereinigten Ausschüsse für Zoll! und Steuerwesen, für Handel und Ver⸗

kehr, für Justizwesen und für Rechnungswesen hielten heute Sitzungen.

Die Verkehrseinnahmen deutscher Eisenbahnen für Februar 19111è betrugen nach der im Reichseisenbahn⸗ amt aufgestellten Uebersicht:

gegen das Vorjahr (mehr, weniger)

im ganzen auf 1 km Ml 2 M0 M6

gos 4 1186 0254

2 6291 4 10 508 861 4 1

auf

im ganzen 12

46 285 7160 157 173 866

6

üterverkehr

, ,

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Tiger“ gestern in Makassar auf Celebes eingetroffen und geht heute von dort wieder in See.

Oesterreich⸗Ungarn.

Der Budgetausschuß des österreichischen Abgeordneten—⸗ hauses hat in der gestrigen Sitzung das Budget des Landes— verteidigungsministeriums angenommen.

Wie W. T. B.“ meldet, erwiderte der Landesverteidigungs⸗ minister von Georgi auf die im Laufe der Debatte vorgebrachten Anregungen und erklärte, die Aeußerungen des Abg. Schilinger über den Weltfrieden und die Abrüstung hätten seine volle Zustimmung gefunden. Trotzhem in Deutschland die letzten glücklichen Kriege gewiß zur Hebung des Volkswohlstandes beigetragen hätten, af f jeder Vernünftige zugeben, daß ein ewiger Friede in volks⸗ wirtschaftlicher Beziehung der ideale Zustand für die Völker wäre. Die Erfahrung in der Geschichte zeige, daß dieser Zustand un— erreichbar sei. Gegenüber dem Hinweis des Abg. Schilinger auf die Friedensbestrebungen Englands und Nordamerikas wies der Minister auf die kolossalen Schiffebauten Englands hin, das den Schiffsbau der anderen Staaten genau verfolge und sofort überbiete, ferner auf dag Modernisierungsbestreben der englischen Armee, um die Armeen des Festlandes einzuholen, und schließlich auf die Rede Roosevelts in der Berliner Universität im Mai 1919, sowie darauf, wie energisch gerade jetzt die Union Teile ihrer Wehrmacht mobilisiere.

Großbritannien und Irland.

Gestern abend fand in London das Jahresbankett der Interngtionalen Schiedsgerichtsliga statt, bei dem der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Sir Edward Grey

eine Rede hielt, in der er laut Bericht des „W. T. B.“ folgendes e,

Ich bemerke, daß einige Worte, die ich neulich geäußert habe, so ausgelegt worden sind, als ob ich behauptet hätte, daß ein all— gemeiner Schiedsgerichtsvertrag zwischen zwei großen Nationen gleichbedeutend mit einem Defensivbuͤndnis zwischen ihnen sei. Wenn ein allgemeiner Schiedsgerichtsvertrag zwischen zwei großen Nationen abgeschlossen und feste Wurzeln in dem Empfinden der Bevölkerung beider Länder schlagen würde, dann aber eines von beiden im Lauf der Zeit infolge eines Streites mit einer dritten Macht angegriffen werden sollte, in welchem Streit dieser dritten Macht eine schiedsgerichtliche Entscheidung vorgeschlagen und von ihr abgelehnt worden wäre, so würde meiner Ansicht nach sicherlich eine starke Sympathie zwischen den beiden Mächten bestehen, die den allgemeinen Schiedsgerichtsvertrag mit einander abgeschlossen haben. Aber das ist eine Angelegenheit, die von der öffentlichen Meinung abhängt. Die Bedingung oder Bestimmung eines Defensivbündnisses in einen Schiedsgerichtsvertrag einfügen, hieße seine Aussichten hier und anderswo verschlechtern. Sie könnte sogar andere Länder zu der Annahme verleiten, daß der Vertrag zwischen den beiden Mächten gegen eine oder mehrere der anderen Mächte gerichtet sei. Das würde seine mögliche Wirkung auf eine Verminderung der allgemeinen Rüstungsausgaben vollständig vernichten. Wenn ein Schiedsgerichts—⸗ vertrag zwischen zwei großen Ländern geschlossen wird nach den Grund⸗ linien, wie sie der Präͤsident der Vereinigten Staaten als möglich entworfen hat, so lassen Sie ihn von den beteiligten Mächten ohne Hintergedanken abschließen, aber lassen Sie die Mächte keine engen Grenzen setzen für ihre Hoffnung auf die wohltätigen Folgen, die sich aus dem Vertrage im Laufe der Zeit ergeben können. Folgen, die sich, wie ich denke, weit über die beiden ursprünglich in Betracht kommenden Länder hinaus ausdehnen müssen. Die Wirkung eines solchen Beispiels auf die ganze Welt würde unbedingt von wohltätigen Folgen sein müssen. Ein gutes Beispiel geben, heißt hoffen, daß andere ihm folgen werden; und wenn andere Großmächte folgen, so wird es schließlich etwas wie eine Friedeneliga geben. Diese Binge müssen sich jedoch ihren Weg durch ihr eigenes Gewicht bahnen. Sie können nicht erzwungen werden. Man muß einen Anfang machen, bevor es irgend einen Fortschritt geben kann, und hat man begonnen, so muß das Tempo des weiteren Fortschritts von den Umständen abhängen und davon, daß Ebbe und Flut in den Gefühlen und Ideen der Menschen sich nicht zergliedern lassen und Dinge zu einer Zeit möglich machen, die zu einer anderen Zeit un möglich sind. Ich möchte aber die Idee des Präsidenten Taft nicht beschweren durch zu vieles Grübeln darüber, was alles aus ihr ent— stehen könnte.

Ueber die Londoner Deklaration sagte Sir Edward Grey, er bestreite, daß sie in Deutschland gemacht sei. Deutschland sei nicht besonders an ihr interessiert; alle Lander wünschten in gleicher Weise, sie zu ratifizieren. Wenn England sie nicht ratifizieren sollte, so würde das für die anderen Signatarmächte, die sie als einen entschiedenen Schritt nach vorwärts betrachteten, eine große Enttäuschung sein.

Frankreich.

Die Deputiertenkammer wählte gestern mit 314 von 358 Stimmen Klotz an Stelle von Berteaur zum Vize— präsidenten und setzte sodann die Beratung des Kriegs— budgets fort.

Der Berichterstatter Clementel erklärte laut Bericht des W. T. B.“, daß die Schwäche der Bestände eine Folge der geringen Geburtenziffer sei, die im Gegensatz stehe zu dem Anwachsen der Geburtenziffer in Deutschland. Der Effektivbestand der Infanterie habe trotz Einstellung von Mindertauglichen seit zehn Jahren be⸗ trächtlich abgenommen. Der Redner erinnerte dann daran, daß man als Heilmittel die Einstellung von schwarzen und algerischen Truppen vorgeschlagen habe. Das Parlament müsse sich über diesen Punkt aussprechen; denn diese Vorschläge seien auch auf der anderen Seite der Grenzen gehört worden und dienten dort als Votwaͤnd, die Bestände zu erhöhen. Man müsse die Mannschaften zur Kapitulation ermutigen. Das Parlament werde die notwendigen Kredite nicht verweigern. Clementel führte dann aus, die Ausgaben für das Militär seien in anderen Ländern viel höher. Deutschland habe seine Heeresausgaben um 195 vermehrt, Frankreich nur um 39 0/9. Der Redner bat den Minister, er möge erklären, ob im Kriegsfalle Munitionsvorräte in ausreichendem Maße vorhanden seien. Die Militärausgaben seien infolge der Einführung des jweijährigen Dienstes, der Erhöhung des Soldes der Offiziere und der Unteroffiziere und des Steigens der Lebensmittelpreise angewachsen, trotzdem sei die neue Forderung, die nur auf die Erhaltung des Effektivbestandes und die notwendige Vermehrung der Ausrüstung abziele, im Vergleich zu den Aufwendungen, die Deutschland mache, minimal. Frankreich müsse zweifellos nach Frieden streben, aber es dürfe nicht einschlafen in trügerischer Sorglosigkeit. Es sei aus dieser Sorglosigkeit vor einigen Jahren rauh herausgerissen worden, als es am Tage nach einer Rede Jaurés', die die Vision des Friedens gezeichnet hätte, in aller Eile seine Rüstungen wieder habe vervollständigen müssen, die es ein wenig vernachlässigt hätte. Heute könne Frankreich der Zukunft mit vollem Vertrauen entgegensehen, um so mehr, als es dem Auslande in sich geeinigt gegenüberstehe.

Rußland.

Reichsrat beriet gestern die Vorlage treffend die Semstwoinstitutionen in den gouvernem ents. Der Ministerpräsident Stolypin gründete, wie „W. T. B.“ meldet, die darin vorgesehene Einführung nationaler Wahlkurien damit, daß sonst die Polen, die die einflußreichste Bevölkerungsschicht in den Westgouverne— ments bildeten, die Wahlen nach ihren nationalen Interessen beeinflussen würden. Der Reichsrat verwarf mit 92 gegen 68 Stimmen die Einführung nationaler Wahlkurien und nahm einen Abänderungsantrag, betreffend gesetzliche Festlegung der Höchstzahl polnischer Semstwoabgeordneter, an.

Die Reichs du ma hat wegen der Lärmszenen in der Duma am 15. d. M. den Sozialdemokraten Jegorow auf fünf Sitzungen, und die Mitglieder der extremen Rechten Obraszow und Samyslowski auf drei Sitzungen aus⸗ geschlossen.

Der

Italien.

Die 50. Wiederkehr des Jahrestages der Be— gründung des Königreichs Italien wurde gestern in Turin durch eine glänzende Versammlung der Bürger⸗ meister aller Gemeinwesen des ehemaligen Königreichs Sardinien gefeiert. Nach dem Empfange im Rat— haus begaben sich die Bürgermeister, „W. T. B.“ zu⸗ folge, im Festzuge nach der Mole Antonelliana, wo in Gegenwart der Prinzessin Lätitia, des Herzogs von Genua, des Finanzministers Facta als Vertreters der Re⸗ gierung und der Vertreter von Rom und Florenz eine Ge dächtnisfeier abgehalten wurde. Sodann vereinigte ein großes Bankett auf dem Gelände der Ausstellung 1911 die Bürger⸗ meister und die Spitzen der Behörden. Auch in Mailand, Bologna, Genua und anderen Städten ist der Tag festlich be⸗ gangen worden.

In der Deputiertenkammer wurde gestern aus dem Hause angeregt, daß der Stadt Turin aus Anlaß der 50. Wiederkehr des Jahrestages der Begründung des König— reichs Italien der Gruß des Hauses entboten werde. Der Präsident Marcora erklärte sich, obiger Quelle zufolge, bereit, der Dolmetsch der Gefühle lebhaftester Dankbarkeit und Zu⸗

neigung zu sein, die das Haus gegen die ehemalige Hauptstadt be⸗ seelten. Der Ministerpräsident Luzzatti schloß sich mit bewegten Worten der Turin gewidmeten Begrüßung an, wobei er darauf hinwies, daß die Herzen der Italiener einmütig höher schlügen, wenn man die Erinnerung an die glorreichen Tage der Wieder— geburt Italiens wachrufe. (Stürmischer Beifall) Hierauf verlas der Präsident Marcora die Glückwunsch-Depesche des Präsidenten des Deutschen Reichstags. Der Präsident und alle Deputierten erhoben sich von ihren Sitzen. (Wiederholter enthusiastischer Beifall. Der Prä—⸗ sident erklärte im Anschluß an die Verlesung des Tele⸗ gramms: nach dieser Kundgebung, die ein Zeugnis dafür sei, wie das italienische Parlament und ganz Italien des Bandes gedächten, das Italien mit der edlen deutschen Nation verknüpft, erachte er sich ohne weiteres für beauftragt, dem Reichstag durch ein Telegramm die Gefühle der Freundschaft Italiens zum Ausdruck zu bringen. Der AUnterstaats—⸗ sekretär Fürst di Scalea schloß sich im Namen der Reglerung den erhebenden Worten des Präsidenten und der Kundgebung an, mit der die italienische Kammer den Gruß des großen be— freundeten und verbündeten Volkes erwidert.

Im weiteren Verlauf der Sitzung teilte der Unterstaats—⸗ sekretär Fürst di Scalea in Erwiderung einer Anfrage des Deputierten Galli mit, daß Grünbücher, die die Schriftstücke über Kreta und Marokko bis 31. Dezember 1910 enthielten, vorbereitet worden seien und die üblichen Verhandlungen mit den anderen Regierungen zum Zweck ihrer Veröffentlichung im Gange wären.

Türkei.

Wie die „Frankfurter Zeitung“ meldet, hat sich die Lage im westlichen Albanien verschlimm ert. An 2000 be⸗ waffnete Miriditen sowie Angehörige anderer, auch mohamme—⸗ danischer, albanesischer Stämme befinden sich im Gebirge, um mit dem Einsetzen milderen Wetters die aufständische Bewegung zu beginnen.

Rumänien.

Nach den nunmehr vorliegenden Wahlergebnissen zählt die Kammer, „W. T. B.“ zufolge, 161 Konservative und Mitglieder der Regierungspartei und 21 Oppositionelle, der Senat 85 Mitglieder der Regierungspartei und N Oppo⸗ sitionelle.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs⸗ tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in

der Ersten und Zweiten Beilage.

X In der heutigen (151.) Sitzung des Reichstags, der der Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück beiwohnte, wurde die zweite Beratung des Reichshaushaltsetats für 1911 fort⸗ gesetzt im Speziale tat für das Reichsamt des Innern, und zwar mit den fortdauernden Ausgaben für das „Gesund⸗ heitsamt!.

Abg. Ranner (Zentr.) begründete folgende Resolution seiner Partei: „Die verbündeten Regierungen um Einbringung eines Gesetz⸗ entwurfs zur Abänderung des Gesetzes, betreffend das Viehseuchen⸗ gesetz, vom 26. Juni 1909, zu ersuchen, in dem die Entschädigungs pflicht des Staates ausgedehnt wird auf Viehverluste, die durch Maul⸗ und Klauenseuche und deren Folgen herbeigeführt werden.“ Der Redner verwies auf die großen Verluste, die die deutsche Land wirtschaft durch die Ausführung des Viehseuchengesetzes erlitten habe, und bat um Annahme der Resolution.

Abg. Graf von Kanitz (dkons.): Diese Resolulion entspricht den Wüͤnschen der Landwirtschaft namentlich in den östlichen Pro— vinzen. Der größte Schaden erwächst den Landwirten durch die Sperrmaßregeln. Dieser Schaden beträgt nach der Berechnung eines ostpreußischen Besitzers das Dreifache des Schadens, der durch die Maul⸗ und Klauenseuche entsteht. Dier muß die Allgemeinheit helfend eintreten. Ich bitte Sie, die Resolution anzunehmen.

Abg. Zietsch (Soz.): Die Tuberkulose, diese schreckliche Seuche,

ieser Würgeengel der Menschheit, greift mit ihren volksverheerenden Virkungen trotz aller bisher getroffenen Abwehrmaßregeln immer weiter um sich. Das Reich tut entschieden zu wenig, um dieser das ganze Volk bedrohenden Gefahr vorsubeugen; es gibt dem Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose 60 000 „, und außerdem das Reichsgesundheitsamt mit seinen Mitteln in demselben Sinne; aber sonst geschieht nichts von Reichs wegen. Weiter gehen schon die Kommunen durch Errichtung von Heilstätten, ebenso die Landesversicherungsanstalten und die Gewerkschaften. Das Privatunternehmen des Zentralkomitees sieht sich leider in der Haupt sache auf die Erträgnisse einer Lotterie angewiesen, ein für den deutschen Gemeinsinn wirklich beschämendes Zeugnis. Di

8 R

1 arbeitet

Die Be kämpfung dieser Seuche steht denn auch noch nicht auf einem be⸗ sonders hohen Niveau. Es fehlt noch immer an der genügenden Zahl von Heilstätten; noch immer muß der größte Teil der Tuberkulösen in den Wohnungen bleiben. Die letzten Ursachen der entsetzlichen Krankheit sind in den ungenügenden Wohn- und Ernährungsverhältnissen und in der ungenügenden Beschaffenheit der Arbeitsstätten zu suchen. Von den Tuberkulosekranken sterben in der Landwirtschast 159, in Handel und Verkehr 20, in der Industrie aber 35 0/9. Je mehr ein Betrieb Staub entwickelt, desto zahlreicher sind die Todesfälle an Lungenschwindsucht. Am schlimmsten daran unter den industriellen Arbeitern sind die Porzellanarbeiter, die Glasschleifer und die Steinmetzen. Das Durchschnittsalter dieser Arbeiterkate⸗ gorien ist erschrecklich niedrig, z geht bei den zellanarbeitern bis auf 36 Jahre und noch weniger Trotzdem denken die Unternehmer vielfach gar nicht daran, die vorhandenen Schutzvorschriften auch zu beobachten. Die Arbeiterschutzgesetzzebung hat immerhin den Fortschritt gemacht, daß die Beschäftigung von Kindern in den Porzellanfabriken ver⸗ boten ist; aber man hat den Teufel durch Beelzebub ausgetrieben, an die Stelle der Kinder sind Frauen und Mädchen getreten. Die Gießereien und Verputzereien stellen bis zu 70 6 der überhaupt vorkommenden Tuberkuloseerkrankungsfälle. Auch die Porzellanmaler, die doch mit der Fabrikation direkt nichts mehr zu tun haben, müssen schwer unter ihrem Berufe leiden, da der Staub der Be— triebsräume auch in ihre Arbeitsstätten eindringt. In Thüringen in den Gebirgsdörfern von Schwarzburg-Rudolstadt sind ganze BVörfer, in denen die Porzellanindustrie amn ist, namentlich durch die elenden Wohnungsverhältnisse, die das Zusammenschlafen ganzer Familien in einem einzigen Raume zur Notwendigkeit machen, voll— ständig durchseucht, wie der Fabrikinspektor selbst in seinem Bericht festgestellt hat. In den neueren Berichten findet man ja dergleichen Feststellungen nicht mehr, weil das Reichsamt des Innern ihnen abgewinkt hat, ihnen verboten hat, über solche Erfahrungen sich auszulassen, weil die Oeffentlichkeit daraus Rück—⸗ schlüsse auf das Wohnungselend ziehen und Remedur fordern könnte. Wie trübe es mit der Reinigung dieser gesundheits⸗ gefährlichen Betriebe aussieht, darüber hat die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft ganz einwandfreie Ermittlungen angestellt. Daß die Porzellanarbeiter nicht in der Lage sind, ihren Körper durch Zu sührung ausreichender Ernährung gegen die Krankheitskeime wider standsfähiger zu machen, ergibt sich aus den geradezu erbärmlichen Löhnen, die die Porzellanarbeiter beziehen. Diese Löhne über⸗

herab.

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3

steigen vielfach wöchentlich nicht den Betrag von 10 „68, die Porzellan⸗ arbeiterinnen, insbesondere die Dreherinnen, bringen es gar nur auf 8 A6. Ebenso verheerend wirkt auf diese Arbeiterkategorie die übermäßig lange Arbeitszeit. Auch da wird diesen Arbeitern kein Schutz durch die Behörden zu teil, und die Unternehmer gehen gegen die Selbsthilfe der Arbeiter mit den brutalsten Maßregeln und mit einem durchgebildeten System schwarzer Tisten vor, das ihre Organisation zu einer statutarischen Ginrichtung gemacht hat. Die Behörden aber bleiben dabei, daß es schwarze Listen überhaupt nicht gibt. Die Reichsinstanzen müffen auf dem Gebiet der Porzellan. und Steingut industrie entschieden energischer vorgehen als bisher, wenn diese. Industrie nicht der Konkurrenz auf dem Weltmarkte infolge wachsender Leistungsun fähigkeit ihrer Arbeiterschaft erliegen soll, Daß ich diese Dinge Fo ausführlich hier vortrage, hat seinen Grund mit darin, daß anf der bevor stehenden Autͤsellung für Hygiene und sanitäre Einrichtungen in Drebden der Arbeiterschaft jede Deitwirkung infolge des Widerstandes des Unternehmertumz verwehrt worden ist. Das Unternehmertum hatte Angst vor der öffentlichen Feststellung der sanitären Unkultur, die in vielen Betrieben, zumal uf dem Gebiete der Seimarbeit, zu Hause ist. Mit geradezu kleinlichen Mitteln hat hier da Unter— nehmertum zum Teil im Bunde mit der sächsischen Regierung ge— arbeitet; die Heimarbeiterausstellumg in Brüssel hat ihnen 'eben einen heillosen Schrecken eingejagt. (Schluß des Blattes.)

Dag haus der Ab geordneten erledigte in der heutigen (62. Sitzung, welcher der Minister des Innern von Dal witz und, der Finanzminister Dr. Lentze beiwohnten, zunächst in Fertsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs des Staatshaushaltsetat s für das Rechnungsjahr 1911 den Spezialetat des Ministeriums der auswär— tigen Angelegenheiten, der ohne Debatte bewilligt wurde, und ging dann zur ersten Beratung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum Reichszu wachs steuergesetz vom 14. Februar 1911 über. ö

Abg. Marx (Zentr): Es ist notwendig, daß dieses Ausführungs—⸗ gesetz zugleich mit dem Reichsgesetz am 1. April in Kraft tritt. Das Ausführungsgesetz beschäftigt sich nr mit wenigen Materien: mit den Veranlagungsbehörden, mit den Rechtsmitteln, mit der Verteilung des Anteils an den Steuerbeträgen zwischen Kreis umd Gemeinden und mit den Uebergangwbestimmurtgen. Wir haben Bedenken gegen die Verteilung des Anteils nicht, wohl aber gegen die won der Vor— lage bestimmten Veranlagungs behörden in Stadtgemeinden und größeren Landgemeinden mit über 3000 Einwohnern und in Rheinland und Westfalen. In allen diesen Gemein den soll die Veranlagung durch eine einzige Person, den Gemeindevorstand oder den Larrdbuürgermeister bezw. Amtmann, stattfinden. Die se Bestimmung müssen wir noch näher prüfen. Ferner haben wir Bedenken bezüglich der Be— handlung der Parzellen in wirtschaftlichem Zufammenhang mit den Grundstücken, obwohl im Oieichstage gesagt worden ist, daß dieser Begriff dem Richter geläufig sei— Es ist für die Personen, die die Veranlagung vornehmen sollen, über aus schwierig, sich in diese Bestimmungen hin einzuarbeiten. Auch die vom Reichsgesetz vorgesehene Bestimmung über die Er— mittlung des Wertes den ein Grundstück im Jahre 1885 gehabt hat bietet die größten Schwierigkeiten. In vielen Gegenden im Rhein“ land und auch in Westfalen sind die Landbürgermeister den Gemeinden zugewiesen worden, und sie besitzen nicht überall das Vertrauen ihrer Gemeindeeingesessenen; deshalb ist es bedenklich ihnen die Veranlagung zu übertragen. Die verschiedenartigste Auslegung des Gesetzeßs in den (inzelnen Gemeinden, besonders im Anfang, ist nicht ausgeschlossen. Man könnte deshalb erwägen, ob man nicht lieber eine besondere Behörde aus verschiedenen Personen bildet, die die Veranlagungen vornimmt. Es könnte auch der Kreisausschuß, der nach der Vorlage für die Gemeinden mit weniger als 3605 Ein— wohnern die Veranlagungen vornimmt, an die Stelle der Landbürger⸗ meister gesetzt werden. Nach der Vorlage soll nur der Einspruch gegen die Veranlagung nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes zulässig sein, und auch Revisionen soll das Oberverwastungegericht entscheiden. Es ist zu erwägen, ob man nicht auch den Rechts weg zulassen kann, so daß in letzter Instanz das Reichsgericht entscheiden könnte. Im Reichstage haben meine Freunde dahingehende Anträge gestellt, sie sind aber abge Lehnt worden. Die Veranlagung wird vielfach auf Schätzung beruhen ; deshalb wird zu erwägen sein, ob man nicht, wenn man den Rechtsweg ausschließt, den Bezirks⸗ ausschuß wenigstens verpflichten soll, die von den Parteien benannten Sachverständigen über die Abschätzung zu hören. (Sroße Be⸗ denken haben wir dagegen, daß in der Revisionsinstanz des Oberverwaltungsgerichts nur eine beschränkte Verhandlung stattfinden soll, daß die Verhandlung nicht öffentlich fein und in der Regel ohne mündliche Anhörung der Parteien entschieden werden soll. Die Rechtssicherheit muß auf jeden Fall gewahrt werden. Es müßten auch Anwälte zugelassen werden und diese neue Gesichtspunkte in die Verhandlung bringen können. Nach dem Reichsgesetz können die Gemeinden durch die Satzung Zuschläge zu der Reichssteuer er— heben; die Begründung unserer Vorlage sagt, daß sie durch Landes— gesez nicht geregelt zu werden branche, weil die Genehnnigung der Satzung durch die Regierungsbehörde erfolge. Wir müssen feststellen, welche Behörden das sein sollen; vielleicht könnte man den Minister mit der Genehmigung beauftragen. Diese Bedenken müssen in einer Kommission geprüft werden, wir Beantragen deshalb die Ueber— weisung der Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern.

Hierauf nimmt der Minister des Innern von Dallwitz das Wort, dessen Rde in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaut wiedergegeben werden wird.

(Schluß des Blattes.)

Nr. 22 des Zentralblatts der Bauverwaltung, heraus⸗ gegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 15. März bat solgenden Inhalt: Ueber kranke Metalle. Betriebsergebnisse von Baggerarbelten in den Regierungsbezirken Stettin und Stralsund für daß, Betriebsjahr 1908. Vermischtes: Wettbewerb für Miet⸗ Kleinwohnungen im Einzelgrundstück für sächsische Städte. Er— maͤßigung bei Benutzung von Bädern in Bad Schmiedeberg (Bez. Halle). Achte Versammlung von Heizungs⸗ und ftungdfach⸗ männern in Dresden. 21. Abgeordnetenversammlung des Verbandes deutscher Kunstgewerbepereine in Meaagdeburg. Förderung der Wandbaumzucht an Staatsgebäuderr in Bayern. Er danker. Bücherschau.

Statistik und Bolkswirtschaft. Zur Arbeiter bewegung.

Durch Abschluß eines Tarifvertrages ist, der Rh.⸗Westf. Itg.“ zufolge, am 16. d. M. die Arbeiterbewegung im Schreinergewerbe Solingens zu Ende geführt worden. Der Tarif ist auf 4 Jahre ib eschlossen worden, sein Geltungsbereich soll sich erstrecken auf alle Schreinereibetriebe von Solingen, Wald, Höhscheid und Sräfrath. Verhandlungen zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern in Schneiderge werbe Kiels, die eingeleitet wurden, nachdem die Arbeitnehmer den Lohntarif gekündigt hatten, sind, wie die „Köln. i erfährt, völlig gescheitert. Man befürchtet, daß es zum Aus⸗ tand kommen wird. Die Arbeitgeber verweigern die geforderte Lohn—

erhöhung.

Die Gehilfen sämtlicher Tapezier⸗ und Möbel— geschäfte in Lübeck haben, wie der „Köln. Ztg. gemendet wird, die Verhandlungen wegen des neuen Sohntarifs abgebrochen und die Anbest niedergelegt. (Vgl. Ri. 66 d. Bl) e

Aus Viry⸗Chätiklon wird dem W. T. B.“ telegraphiert, daß bel Draveil eiwa 150 Erdarb eiter eine Gruppe von Stein?

brucharbeitern überfielen, weil diese sich keinem Syndikat an— schließen wollten. Zehn Steinbrucharbeiter wurden durch Knüttel— hiebe verwundet. Drei Angreifer wurden verhaftet.

In Lissabon haben, W. T. B. zufolge, die Vertreter der Arbeiter verhände die allgemeine Einstellung der Arbeit für Montag beschlossen, um gegen die Vorgänge in Setubal zu pro⸗ estieren. (Vgl. Nr. 63 d. Bl).

Aus Wheeling (Westvirgini) wird dem „W. T. meldet: Der Präsident der vereinigten Grubengrbeit die Arbeitseinstellung in einem Distrikt von Ohio an. tausend Grubenarbeiter werden in den Ausstand treten.

(Weltere Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage.)

Kunst und Wissenschaft.

Rin In der Galerie Schulte, ist eine Nachlgßsammlung von Hildern des vor zwei Jahren in Bexhill (Susser) verstorbenen August Neven du Mont auggestellt, eines geborenen Cölnerg, der sich in Düsseldorf ausgebildet hat. Seine elegante Technik erinnert etwas an den Düsseldorfer Wilhelm Schreuer, vor dem er jedoch größere Trockenheit in der Farbengebung und ausschließlichen Sinn für das Gegenwartgmilieu voraus hat. Er hatte seine Kunst völlig der vornehmen englischen Sport- und Jagdgesellschaft und ihren Ver gnügungen angepaßt und setzte so einen alteingewurzelten Zweig der englischen Malerei fort: Jagden im Gelände, Halaliszenen, Reiter— bildnisse und Bildnisse smarter Lords und Ladyz bilden sein Werk. Heinrich Hellhoff zeigt sich mit seinen Bildnissen als beliebter Salonmaler der Berliner Gesellschaft. Von Georg Schuster⸗Woldgu-⸗Bildntssen ist nichts neues zu sagen. Viele seiner ausgestellten Werke sind schon bekannt. Seine in ihrer Art reizvollen Kinderbildnisse werden ehrgeizigen Eltern gewiß schmeicheln. Sehr interessant ist dagegen die Ausstellung einer größeren Anzahl ben Werken Eugen Spiros, der seine Münchner Schulung bei Stuck in Paris wesentlich geläutert und farbig vertieft hat und nun sehr schöne Ergebnisse erzielt. Der dauernd in Partenkirchen lebende Grazer Charles S' Lynch of Town stand in früheren Jahren, da er vorwiegend Seestücke malte, künstlerisch höher. E

B., .

B. ter ordnete Zehn⸗

vor Sein heutiger Stil ist sichtlich dem Münchner Jugendstil angepaßt, und der Künstker mußte aus dieser Wandlung auch die Folgerung ziehen und sich auf das Gebiet der farbigen Lithographie zurückziehen. Den dreiund« dreißig Werken der Künstlerinnen des Deutschen Lyceum-Clubs läßt sich wenig Gutes nachsagen. Viele werden erstaunt sein, in dieser Damengesellschaft auch Dora Hitz mit einem gefüblsseligen dekorativen Bild anzutreffen, das von den gewohnten malerischen Ge— bärden dieser von der Sezession her bekannten Künstlerin bemerkens— wert brav und bürgerlich absticht. Wollte sie sich der Umgebung anpassen? Auch die Künstlergruppe „Pankraz“ in Berlin bermag kaum unser Interesse zu fesseln; nur Paul Schröters farbenkräftige Naturausschnitte unterbrechen die Langeweile des Ganzen.

Im Salon Gurlitt macht eine recht umfangreiche Sammlung vorwiegend tahitischer Bilder von Paul Gauguin berechtigtes Auf— sehen. Die Werke dieses modernsten aller Orientmaler, der es als erster verstanden hat, uns die Tropenlandschaft und ihre Bewohner gesühlsmäßig und rein menschlich ohne exotischen Beigeschmack nahe zu bringen, betrachtet man immer wieder mit großem Genuß. Die wenn man so sagen darf geographische Neugierde, die sonst einen großen Anteil an unserem Interesse für fremdländische Bilder bildet, schwindet vor seinen Werken, die trotz aller fremden und befremdenden Farbenpracht bon einem persönlichen Heimatsgefühl durchdrungen erscheinen und dieses auch in uns ahnen lassen. Besonders die paradiesische Ruhe und tieftonige Ausgeglichenheit, die seine tahitischen Landschaften be— herrschen, und die urweltliche Einfalt und gesunde Sinnlichkeit ihrer Bewohner fesseln uns und erwecken unsere Teilnahme an jenen un glaublichen Ländern, „wo Pantheraugen aus den Blumen glühen“.

. Vr. B.

Außer dem Standbild Seiner Majestät des Kaisers wird auf der diessährigen Großen Berliner Kunstausstellung noch ein anderes interessantes Reiterstandbild ausgestellt werden. Es handelt sich um das Bremer Bismarckdenkmal von Adolf Hildebrandt. Als eine besonders interessante Abteilung der Ausstellung dürfte die geschlossene Ausstellung Elsässischer und Lothringischer Kunst erscheinen, auf der die hervorragendsten Künstler der Reichslande mit ihren besten Werken vertreten sein werden. Es wird dadurch zum ersten Male die Elsässisch⸗-Lothringische Kunst in größerem Umfang in Berlin gezeigt werden. 9.

Am 22. d. M., Abends 84 Uhr, spricht im großen Festsaale des

Künstlerhauses, Bellevuestraße 3, vor den Mitgliedern des Vereins für deutsches Kun st gewerbe der Hofrat Dr. Eduard Leisching Direktor des K. K. Museums für Kunst und Industrie in Wien, über das Kunstgewerbe im heutigen Oesterreich. Der Vor? trag wird durch Lichtbilder erläutert.

Technik.

A. F. In, der 305. Versammlung des Berliner Vereins für Luftschiffahrt nahm nach Aufnahme von 11 neuen Mit— gliedern der Vorsitzende, Geheimrat Miethe das Wort, um ge— wissen irrigen Behauptungen entgegenzutreten, die sich an die Kata“ strophe des Ballons „Hildebrandt“ knüpfen. Es hat zu deren Widerlegung eine Vernehmung von Zeugen stattgefunden, die bei Abfahrt des Ballons am Abend des 29. Dezember gegen⸗ wärtig, gewesen sind. Sie wußten übereinstimmend zu bekunden, daß keinerlei Druck oder Zwang zum Antritt der Fahrt durch den Vertreter des Fahrtenausschusses, Dr. Elias auf den Rechtsanwalt Kohrs geübt worden ist, vielmehr wurde ihm anheimgegeben, die Fahrt bis 8 Uhr am nächsten Morgen zu verschieben. Auch war eine gründliche Belehrung über die Wetterlage erfolgt. Einen von zahlreichen Lichtbildern erläuterten Vortrag hielt sodann der Ingenieur Fekd= haus über die ältere Technik des Schwebeflüges, der an 25 durch bildliche Darstellungen oder urkundliche Nachrichten belegten Fällen den Nachweis führte, daß bis zum Jahre 1782, dem Jahre der Erfindung der Mongolflere, alle Flugversuche sich ausschließlich auf das Herabschweben aus der Höhe durch fallschirmartige Konstruktionen beschränkt haben, Versuche, an denen nicht nur alle europäischen Nationen, sondern auch Mongolen und Araber teilgenommen. Es ist dem Redner ge⸗ lungen, ein sehr reichhaltiges und den Gegenstand wahrscheinlich ziemlich 3 Material herbeizuschaffen, beginnend mit einem aus Niniveh stammenden Relief, das einen mit großen Schwingen ausgestatteten assyrischen Krieger darstellt. Die Chinesen, als zweifel sose Erfinder des Kinderdrachens, der laut Zeugnis eines holländischen Kupferstiches von 1610, damals schon in seiner heutigen Gestalt in Europa bekannt war, sind natürlich unter den ältesten Nachrichten von Versuchen, dem Vogel nachzuahmen, vertreten. Merkwürdige Vasen⸗ bilder wissen vom Drachenspiel schon 200 vor Ehristo zu erzählen. Ein Sage berichtet, daß in der Mongolenschlacht bei Liegnitz am 9. April 1241 ein mit Feuer gefüllter schwebender Kopf am Himmel gesehen worden sei“, die zeitgenössischen Nachrichten wissen aber nichts davon. Vielleicht gehörte dieser leuchtende Kopf dem merkwürdigen Kriegsgerät an, von dem wir zwei Darstellungen aug 1490 und 1540 besitzen und das aus einem in die Gestalt eines Drachens gebrachten ledernen Schlauche von mehr als Meterlänge bestand. Ber vorn offene nach hinten sich verjüngende, am Hinterende geschlossene Schlauch trug im geöffneten Maul des Drachens eine brennende Lampe und wurde an einer langen Stange gleich einer Fahne von einem Reiter getragen scheint also zugleich Fahne und Wegleuchte gewesen zu sein. Bie HYondschrift von 1640 zeigt in dem die Beschreibung begleitenden Bilde, daß dies Kriegsgerät auch mittels einer um eine Winde ge⸗ legten Schnur in größere Höhen aufgelassen und von da wieder eln geholt werden konnte. Man war sich also vollkommen darüber im klaren, daß der Drachenschlauch mit der brennenden Lampe im Maul

Auftrieb besaß, sich in der Luft schwebend erhielt und unter Äuf—

wendung von Keaft herabgeholt werden mußte. Es ist höchst merkwürdig, daß etwa 300 Jahre vergehen mußten, bis der Zusammen hang zwischen Isfterth er mung mittels der Lampe und Auftrieb erkannt und in der Nongolfiere praktisch verwertet wurde ein Beispiel mehr dafür, daß Denkfähigkeit und Logik erst sehr allmählich, auch innerhalb der europätschen Nationen, Besitz eines größeren Kreiseg von Menschen wurden und daß auch von den Erfindungen das Wort gilt, daß sie ltr in die Erscheinung treten, wenn ihre Zeit erfüsst ift, im gegebenen Falle, als durch die Wissenschaft im letzten Brittel des 13. Jahr— hunderts das Interesse der Menschen für die Natur der gasförmigen Stoffe erweckt war. An letztere Erfahrungstatsache erinnert gauche was Ingenieur Feldhaus von der Beschäftigung Lionardo da Jincie⸗ eines der genialsten Menschen aller Zeiten, mit der Frage . Veogelfluge⸗ zu berichten wußte. Den großen Italiener interessierte

16 Flugborbild der Fledermaus vor allem, und seine zahlreichen, diesem Gebiet gewidmeten Skizzen scheinen eines besonderen Studiums sehr wert. Ist, was Lionardo auf fast allen Gebieten der Technik an Entwürfen hinterlassen hat, ihre Gesamtzahl beziffert sich auf mehrere tausend doch wiederholt schon anregend zu Neu.? oder Nacherfindu ngen geworden war, wie z. B. die rotierende Schneidemaschine in ihren verschiedenen Anwendungen als Schermaschlne und Gras— schneidemaschine beweist. Es wäre so unwahrscheinlich nicht, Lionardosche Erfindungegedan ken jetzt zur Verwirklichung zu führen, was ihnen bei em damaligen Tiefstand der Technik versagt war. Leider ist das Studium der beigefügten Beschreibungen erschwert durch die sehr kleine Schrift, die außerdem noch Spiegelschrift ist. Eine recht sonderbare Idee hat im 16. und 17. Jahrhundert in n, und Italien Vertreter gefunden, wonach ein Mensch in der gleichen Art, wie eine Rakete, emporgeschossen werden und dann im Fallschirm sich zur Erde senken follte. 9 . . benannte der italienische, pDrachetes der deutsche Eifinder. dies Hirngespinst, was wohl praktisch nie auch nur versucht worden ist. Auch die Namen des deutschen Paters Athanasius Kirchner und des neuerdings auf die Bretter gebrachten Cyrano de Bergerac haben einen Platz im Verzeichnis der mit der Flugfrage sich ernstlich beschäftigenden Männer, und nicht zu vergessen ist, daß ein Jahr vor Mongolfieri (1781) der hadische Forstmeister Meerding in Emmen dingen den gleichen Gedanken wie jener praktisch gestaltet haben soll, was ein neuer Beleg für die Erfahrung sein würde, daß eine Erfindung, »wenn ihre Zeit erfüllet“, manchmal gleichzeitig an voneinander sehr entfernten Orten das Licht der Welt erblickt. Auf den beifällig gif rnoramenen Vortrag folgte eine Aussprache, in der u. a. vom Maler Katsch auf ein im Antiquarium unseres Museums befindliches Relief aus dem H. oder 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ufmerksam gemacht wurde, das Triptolemos, einen Liebling der Demeter, darstellt, wie er in einem mit geflügelten Drachen be⸗ spaännten Wagen über die Erde fährt, um den von der Göttin empfangenen Getreidesamen auszustreuen.

„Eine hierauf folgende Besprechung über die Aufgaben des neu⸗ gestalteten Flugausschusses des Vereins ergab nahezu völlige Ueber⸗ einstimmung mit den vom Schriftführer Max Krause dargelegten Absichten, welche darauf hinausgehen, weitere Kreise für den Fliege⸗ sport zu gewinnen, um hiermit auch der Flugmaschineninduftrie förderlich zu sein. Als eines unter mehreren ins Auge gefaßten Mitteln hierfür ist für den bevorstehenden Sommer ein sechs mal zu wiederholender Dauerflug Berlin Hamburg Hannover in das Pro⸗ gramm aufgenommen, wofür mehrere Preise gestiftet sind. Angelpunkt dieser Bestrebungen ist, keinen anderen Rekord zu fuchen, als den der Zuverlässigkeit und Unfallfreihett. Auch eine Reihe weiterer, dem Flugausschuß zufallender Aufgaben, die vom Kapitän zur See von Pustau in Vorschlag gebracht wurden, fanden Zuflimmung. Bei dieser Gelegenheit konnte Professor Berson mittellen, daß für die Höhenmessung der Berograph neuerdings eine solche ' Verfeine— rung, der, Herstellung erfahren hat, daß er in seiner Zu⸗ berlässigkeit dem umständlichen Visierungsberfahren mittels des Theodoliten vorzuziehen ist. Ein Vorschlag des In— genieurs Vorreiter, dem Unternehmen des Baumeisters Gusfav Lilienthal, das auf die Erfindung des motorlosen, durch Schwingen bewegten Flugzeuges gerichtet ist, Interesse zuzuwenden und Unter- stützung angedeihen zu lassen, fand allseitigen Beifall. Noch ist zu erwähnen, daß der vom Verein für die weiteste Vereinsfahrt im Jahre 1910 ausgesetzt gewesene Preis von Ingenieur Berliner, der für die längste Vereinsdauerfahrt von Ingenieur Gericke gewonnen worden ist. Die betreffenden Rekordziffern sind: 587 km und 21 Stunden 59 Minuten.

Theater und Musik.

Schillertheater 0O. (Wallnertheaten. Gabriello der Fischer“, eine Burlestke in vier Akten von Ernst Preczang, fand bei ihrer gestrigen Uraufführung im Schiller⸗ theater eine günstige Aufnahme. Die in gefällige Versform gekleidete Bühnendichtung ist hauptsächlich darum bemerkenswert, weil ihr Ver⸗ fasser ehemals am Setzerkasten tätig war. Im ührigen wendet sie sich mit ihrem Verivechslungsspiel zweier Zwillingsbrüder an ein naives Publikum und ist infolgedessen im Schillertheater auch nicht fehl am Ort“. Der Bruder Ratsherr und der Bruder Fischer kommen in die Lage, die Rollen zu vertauschen, bis alles ins dot kommt und der reiche Bruder dem armen Bruder das Erbteil herausgibt, das er ihm zu Unrecht vorenthalten hatte. Gespielt wurde don den Herren Köstlin und Wiene in den beiden Hauptrollen gut. Mit ihnen vereinigten sich die Damen Hold, Wyda, Gundra u. a. unter der Regie des Herrn Röntz zu trefflichem Zusammenspiel.

Volksoper.

Daß in der Volksoper ständig mit Hingebung und Fleiß arbeitet wird, bewies wieder die Neueinstudierung von Verdi Der Maskenball“ am Donnerstag. Allen voran gebührt da Verdienst Herrn Rünger, der sich wieder als tüchtiger Regisseur un geschmackvoller, stimmbegabter Sänger und Darsteller bewährte. Ebenfalls war Frau Frease⸗Green, die sich stimmlich allerdings zuerst etwas übernahm, später auf der Höhe ihrer Aufgabe. Anerkennung verdienten ferner Herr Maikl als Graf Richard und Fräulein Funck, deren Page viel Sympathie zu erwecken vermochte. Eine darstellerisch wie gesanglich völlig einwandfreie Leistung bot rau hse⸗J als Wahrsagerin Ulrika. Der Kapellmeister z Vorstellung mit Schwung, die denn auch viel Beif

Im Königlichen Opernhause fin morgen, Sonntag, eine Aufführung von „Figaros Hochzeit“ statt, in den Hauptrollen durch die Damen Denera, Hempel, Artöt⸗de Padilla, von Scheele— Müller, Gates, sowie durch die Herren Bronsgeest, Knüpfer, Lieban, Bachmann, Krasa und Philipp besetzt. Montag wird „Die Zauberflöt«“, mit den Damen Andrejewa⸗Skilondz, Böhm-⸗van Endert, Artht⸗de Padilla, den Herren von Schwind, Berger, Habich, Lieban und Bachmann in den Hauptrollen, gegeben.

Im Köntglichen Schauspielhause geht morgen Lessings „Minna von Barnhelm“, mit Fräulein Arnstädt in der Titelrolle, in Sjene. Im übrigen lautet die Besetzung: Tellheim: Herr Sommerstorff; Franziska: Fräulein Heisler; ist: Herr Zeisler; Wirth: Herr Vollmer; Werner: Herr Patry; Dame in Trauer: Frau Willig; Riccaut:; Herr Geisendörfer. Am Montag wird „Maria Stuart“ aufgeführt. Die Titelrolle spielt Frau Willig, die Elisabeth Frau Poppe. In den männlichen Hauptrollen wirken die Herren Sommerstorff, Pohl, Nesper. Mannstädt und Geisendörfer mit. Die Vorstellung beginnt um 7 Uhr.

Für die morgen im Neuen Königlichen Operntheater statt⸗ findenden beiden Vorstellungen: 34 Uhr: „Der Dorfspfarrer“, 8 Uhr: „Der Stammhalter“, findet der Billettverkauf nur am Schalter III des Königlichen Schauspielhauses von 10 bis 1 Uhr statt. Von 23 bis 4 und von 64 bis 8 Uhr Abends ist die Kasse im Neuen Königlichen Operntheater geöffnet.

Das Lesfingtheatzer bringt in nächster Woche Wiederholungen

von „Glaube und Heimat“ außer am morgigen Sonntagabend noch