Preußens irgend etwas zu ändern. Das hoffen und wünschen wir im Interesse des Reiches und des preußischen Staates.
Abg. Fischbeck (fortschr. Volksp.): Wir treten dem Antrage Friedberg bei. Der gegenwärtige Zustand kann nicht fortdauern, ohne das Ansehen des Parlaments aufs allerschwerste zu benachteiligen. Der Landtag muß früher berufen werden, und die Regierung muß ihre Vorlagen früher vorbereiten. Wir haben in diesem Winter ver⸗ hältnismäßig nur wenige Vorlagen bekommen und wissen doch nicht, wie wir fertig werden sollen. Anträge über Anträge kommen an das Haus, schließlich aber werden sie von der Tagesordnung abgesetzt, weil es an Zeit fehlt. Die Ausführungen, die wir heute von Herrn von Heydebrand gehört haben in bezug auf Elsaß⸗Lothringen, klangen ja sehr schön; aber ein gut Teil der Abneigung gegen diese An— gelegenheit ist auch wohl auf die Art zurückzuführen, wie das Wahlrecht dort geordnet werden soll. Wir wollen die reichsländische Angelegenheit nach Reichsinteressen geordnet wissen; wir können nicht fordern, daß der preußische Einfluß auch dort der allein maßgebende sein soll. Der Einfluß Preußens ist ohnehin groß genug; es ist ein nobile officium Preußens, hierin den berechtigten Ansprüchen der Elsaß-Lothringer gerecht zu werden. Die innere politische Lage Preußens ist eine höchst un⸗ befriedigende. Unsere Angriffe gegen die von der Regierung betriebene innere Politik sind bei der Regierung ohne Wider⸗ hall geblieben, und in diesem Jahre hat dabei auch das Zentrum völlig versagt. Die reaktionäre Tendenz der inneren Politik ist selten so klar und unzweideutig zum Ausdruck gekommen; der Vertrag zwischen Konserpativen und Zentrum dominiert in der Führung aller öffentlichen Angelegenheiten. Die Brannt— weinliebesgabe und ihre Erhaltung für die Agrarier durch die Hilfe des Zentrums ist der Brennpunkt der ganzen Reichsfinanz⸗ reform gewesen, die der heutigen politischen Lage die Signatur gibt. Wenn Herr von Heydebrand von Autorität der Regierung spricht, so stehen die Taten der Konservativen mit dieser Achtung vor der Regierungsautorität doch vielfach in krassem Widerspruch. Tatsächlich ist die Regierung nie so abhängig von den Parteien gewesen wie jetzt, das bat zumal die Verhandlung über den Antimodernisteneid ge— zelgt. Der Modernisteneid zwingt unter Umständen diejenigen, die ihn lseisten müssen, die Unwahrheit zu sagen. Evangelische Christen hätten so nicht handeln können. Wenn Herr von Zedlitz meinte, wir würden uns den Mund verbieten lassen für die parlamentarische Kritik, so weiß ich nicht, wozu die parlamentarischen Verhandlungen über— haupt noch nötig sein sollten. Ich bin der Meinung, auf diese Provokation wird das Volk bei den nächsten Wahlen die nötige Antwort geben.
Abg. Dr. Porsch (Z3entr): Das Volk wird bei den nächsten Wahlen dem Freisinn die Antwort geben, die er verdient. Erstaunt bin ich über die Art, wie der Vorredner den sogenannten Modernisteneid konfessionell ausgeschlachtet und gemeint hat, daß dieser Eid zwinge, die Unwahrheit zu sagen. Wir müssen uns das ernstlich verbitten. Herr Fischbeck, von diesen Dingen verstehen Sie nichts. Ueber die Wahlrechtsfrage habe ich mich bei der ersten Lesung schon genügend ausgesprochen. Mit Rücksicht auf die Ge schäftslage fasse ich mich kurz. Dem Antrag von Zedlitz stimmen wir zu und hoffen dies auch von der Regierung. Was die elsaß lothringische Frage betrifft, so halten wir es nicht für zweckmäßig, auf eine materielle Erörterung dieser Frage einzugehen. Wir ver trauen darauf, daß unsere Freunde im Reichstage die Sache zu einem für alle Teile befriedigenden Abschluß führen werden.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Der Antrag von Zedlitz ist sachlich durchaus berechtigt. Eine frühere Einberufung des Landtages ist not⸗ wendig. Der Parteistreit, dessen Vermeidung zu einer Verkürzung der Verhandlungen dienen soll, gehört aber gerade in das Parlament. Daß wir Reden zum Fenster hinaus halten, ist eine bloße Redensart. Selbstverständlich reden wir nicht für Sie, Sie selbst sprechen ja auch zum Fenster hinaus. Wir müssen das Volk für eine Umgestaltung der preußischen Verhältnisse zu gewinnen suchen. Alle Welt blickt auf die heutigen Verhandlungen, weil man einen Appell an die preußische Regierung und die Reichs regierung erwartet, mit der Abrüstung so bald als möglich vorzugehen. Statt dessen haben wir von der agrarpolitischen Seite ein Spektakel stück erlebt, um die Regierung ins Mauseloch zu treiben. Herr von Heydebrand sprach davon, daß die Regierung beabsichtige, die Stellung Preußens im Bundesrat zu schwächen. Die drei elsässischen Stimmen, venn sie gegen Preußen abgegeben würden, würden doch keine ernste Gefahr für das Deutsche Reich sein. Schließlich gehören doch die süddeutschen Regierungen auch zu Deutschland, und wenn es sich wirk— lich um das Wohl des ganzen Reiches handelte, so würden sie Preußen nicht in den Rücken fallen. Was die Rechte will, bedeutet die Pro klamation der Superiorität Preußens über die ganzen übrigen Bundes- staaten. Die Besorgnisse, die Herr von Heydebrand kundgegeben hat, sind keine Besorgnisse, die den Interessen des Deutschen Reiches entspringen, sondern es sind ausschließlich preußische Inter essen im engsten Sinne des Wortes. In der „Kreuzzeitung“ ist ja schon vor einigen Tagen zwischen den Zeilen diese heutige Aktion angekündigt worden. Die elsaß⸗lothringische Frage wird mit klein⸗ lichem Geiste behandelt. anders hat England unterdrückte Völker behandelt! Der Agitation unter den Elsaß⸗Lothringern könnte am besten durch Gewährung politischer Freiheit ent— gegengewirkt werden; statt dessen heirscht der preußische Polizei geist. Der Abg. von Zedlitz will sogar den preußischen Einfluß Süd deutschland gegenüber verstärken; er befürchtet von dem frei heitlichen süddeutschen Geiste eine Erschwerung der agrarischen Politik. Wie steht es mit der deutschen Bundestreue und dem Selbstvertrauen Preußens? Ich schätze das Selbstvertrauen der
eußischen Regierung nur noch sehr gering ein angesichts der lichkeit, Einflüsse von Preußen fernzuhalten.
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hat heute der Abg. von Heydebrand die Reichs⸗ regierung u die preußische Regierung vor seine Klinge gefordert! Mit dem apodiktischen Ton eines Regierenden ist der Abg. von Heyde brand aufgetreten; das war der energische Wille des reaktionären preußischen Gedankens. Es war der Ton eines Befehlenden. Die Rechte behandelt die Regierung wie einen Hund, der herauszukommen und seine Prügel zu empfangen hat. Heute hat die Regierung ihre Prügel bekommen. (Stürmische Unruhe rechts.)
Präsident von Kröcher: Dieser Ton ist unpassend, Herr Abg. Liebknecht, ich rufe Sie zur Ordnung!
Abg. Dr. Liebknecht (fortfahrend): Geschaffen ist die preußische Macht mit Blut und Eisen, d. h. mit Gewalt. Und die Faktoren, die die preußische Macht geschaffen haben, sind auch die einzigen, die ,, noch aufrechterhalten können. Man braucht nur an die Be— zandlung der Staatsarbeiter, der Eisenbahnarbeiter usw. zu denken, denen das Koalitionsrecht vorenthalten wird, an die Gesindeordnung, die Ausbeutung der Massen für das Wohlergehen der Großgrund⸗ besitzer usw. Ich erinnere an die Moabiter Prozesse, in denen sich einmal die Zügel lockerten, in denen man sonst auch die preuische Justiz hält. Wie oft haben wir hier vom Regierungstische die Pro⸗ klamation der Verwaltungswillkür gehört! Es ist nicht gelungen, jenen Mörder des Arbeiters Hermann in Moabit zu finden. Wir werden nicht rasten, bis die preußische Staatsverwaltung in dieser Beziehung ihre Schuldigkeit getan hat, und dieses Schandmal be seitigt ist, das sich die preußische Polizeiverwaltung gesetzt hat.
Präsident von Kröcher: Herr Abg. Liebknecht, Sie dürfen nicht von einer preußischen Verwaltung sagen, daß sie sich ein Schandmal gesetzt hat. Ich rufe Sie zum zweiten Male zur Ordnung und mache Sie auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen aufmerksam.
Abg. Dr. Uiebknecht (fortfahrend): Ich erinnere ferner an die gesetz⸗ widrigen Schulaufsichtsverfügungen der preußischen Kultusverwaltung gegen die Jugendorganisationen. Der Kultusminister ist das Schoß⸗ kind der reaktionären Parteien, er muß aber diese gesetzwidrigen Verfügungen aufheben. In Preußen ist charakteristisch nicht nur das, was geschieht, sondern auch das, was nicht geschieht. Das kommt daher, daß die Parteien der Rechten das Hest in der Hand haben. So haben wir eigentlich in Preußen eine wirkliche parla— mentarische Regierung, denn diese wird beherrscht von den Parteien der Mehrhelt. Und in allen Zweigen der Verwaltung draußen im
Lande steht die Regierung hinter diesen Parteien. In der Frage des Mittelland-Kanals ist seinerzeit die Regierung von diesen Parteien geradeju unwürdig behandelt worden. Eine konstante Ungesetzlichkeit zeichnet die Maßnahmen aller Verwaltungszweige aus, die Ver⸗ waltungswillkür setzt sich über die Gesetze hinweg. Es gilt das Wort: Du sollst den Kaiser verlassen und Herrn von Heyde⸗ brand anhangen. Adel verpflichtet, noblesse oblige, aber unser Adel will andere verpflichten. Symbolisch war jene Sitzung hier, als ein nationalliberaler Redner den Konservativen Mangel an Ge— setzlichkeit vorwarf, und dann sofort ein Redner des Zentrums sich erhob und eine Hetzrede gegen die Sozialdemokratie hielt. Die Nalionalliberalen wissen noch gar nicht recht, wohin fie gehören, das hat die Nachwahl in Gießen gezeigt. Das Zentrum ist mit allen Wassern gewaschen, aber von seinem Verhalten bei der Preisgabe sozialpolitischer Forderungen gegen kirchenpolitische Zugeständnisse kann es kein Wasser rein waschen. In der Wahlrechtsfrage hat die Re⸗ gierung vor der Rechten des Hauses kapituliert. Wir werden aber einen Appell an das Volk richten, damit der preußischen Junkerkaste das Knie auf die Brust gesetzt und die Faust auf die Stirn gedrückt wird.
Abg. Freiherr von Erffa (kons.): Nachdem dem Abg. Lieb⸗ knecht der Atem ausgegangen ist, wird wohl das Haus kaum erwarten, daß ich auf die alten Ladenhüter, die er vorgebracht hat, eingehe. Es hat sogar das Wort Liebesgabe in seiner Wahlrede nicht gefehlt. Es ist uns hier weiter der Vorwurf gemacht worden, daß wir der Re gierung, die die konservative Partei jederzeit zu stützen bereit wäre, einen Tadel ausgesprochen hätten. Sollen wir unsere Meinung nicht sagen? Das ist nur der alte Trick der freisinnigen Partei. Wenn die Konservativen die Regierung stützen, dann heißt es, sie sind Liebediener und Katzbuckler, wenn sie aber ihre Meinung sagen und einen berechtigten Tadel aussprechen, so sind sie in der Opposition. Das ist so oft angewandt worden, daß es heute nicht mehr zieht. Wir haben jederzeit unsere Meinung frei gesagt, auch der Regierung gegenüber Unangenehmes ausgesprochen, wenn wir mit ihr nicht einverstanden waren. Wir haben es allerdings in den Formen getan, die wir von unserer Kinderstube her gewöhnt sind. Ber Abg. Fischbeck hat hier eine Abrechnung mit der konservativen Partei halten wollen, zu einer Zeit, in der seine eigenen Fraktionsgenossen ein Bündnis auf Leben und Tod mit den Sozialdemokraten abgeschlossen haben. (Lebhafte Zustimmung rechts, Unruhe links.) Diese Verbrüderung leugnen Sie doch nicht mehr weg. Sie haben ein Bündnis mit den Sozialdemokraten ab geschlossen, mit einer Partei, die unsere ganze heutige Gesellschafts ordnung umstoßen will, die ganz offen und in der frechsten Weise (Große Unruhe links) die Republik propagiert. (Erregte Zurufe bei den Sozialdemokraten: Frechsten Weise! Lärm rechts. Rufe links: Wo ist der Präsident? Abg. Hoffmann: Die gute Er⸗ ziehung der Kinderstube! Präsident von Kröcher: Das Wort „frechste‘ habe ich nicht auf ein Mitglied des Hauses bezogen) Ver Abg. Fischbeck hat sich auch in seinen geschäftlichen Vorwürfen gegen uns auf einem Holzwege befunden. Ich fühle mich als Vorsitzender der Budgetkommission durch seine Vorwürfe getroffen, weil tat sächlich zweimal Sitzungen dieser Kommission während der Plenar sitzung getagt haben. Das hätte ich nicht getan, wenn wir uns nicht in einer Notlage befunden hätten, und es unbedingt nötig ge wesen wäre. Außerdem wird man als ein verständiger Vorsitzender den Herren in der Kommission sagen, daß man keine wichtige Ab— stimmung abhalten wird, sondern nur dann, wenn man sie im Plenum davon benachrichtigt hat. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Sie sind erst so kurze Zeit im Hause, Sie können doch keine Ahnung davon haben. Der vorliegende Antrag war nötig, weil, um es in zwei Worten zu sagen, in der jetzigen Zeit zu viel und zu lange ge redet wird. Ich habe verschiedene Sessionen erlebt, in denen wir auch erst am 10. Januar einberufen wurden und trotzdem zu Ostern fertig waren. Aber die Sozialdemokraten halten es für ein Verbrechen, wenn sie nicht eine Stunde sich hinstellen und ihre Weisheit produzieren. Die Herren haben kein Augenmaß und kein Verständnis für die Geschäftslage. Wenn Sie sich darüber beschweren, daß Abend sitzungen und Kommissionssitzungen gleichzeitig stattgefunden haben, so liegt das zum Teil daran, daß das Haus müde ist, sich zweistündige Reden anzuhören. Wir haben durchaus nicht Veranlassung, den
uns hier vorreden zu lassen. (Zurufe
Ich habe Sie nicht unterbrochen, Sie
können nachher noch genug reden. (Zuruf von den Sozialdemokraten:
Schulmeister sind Sie! Unruhe rechts. Glocke des Präsidenten.)
Ich bitte, daß die Herren zur Ruhe gebracht (Zurufe von den
Sozialdemokraten: Schulmeister! — Der Präsident schafft mit der
Glocke Ruhe.) Der Antrag wird keine sehr große Wirkung haben, wir
können höchstens einige Gesetzesporlagen vorher erledigen, aber ich bitte Sie, den Antrag anzunehmen.
Abg. Schiffer (nl. ): Auf den Begriff der Kinderstube will ich nicht näher eingehen, aber ich möchte doch an den Herrn der kon servativen Partei erinnein, der an dieser Stelle einem Königlich preußischen Staatsminister gegenüber mit der Faust auf das Redner pult geschlagen hat, was einigermaßen allerdings an die Kinderstube erinnert. In dem Vorgehen des Abg. von Heydebrand ist sicher eine starke Entschiedenheit zum Ausdruck gekommen. eine Inter pellation eingebracht hätte, oder ob er seine Beschwerden in dieser Form vorgebracht hat, ist dasselbe. Das zeigen seine ironischer Bemerkungen über die Pflicht der Staatsregierung. Wir wissen ebenso wie Herr von Heydebrand, was Deutschland Preußen zu verdanken hat, daß Deutschland nicht geworden wäre, wenn Preußen nicht das wäre, was es ist, daß Deutschland nicht sein kann, wenn Preußen aufhörte, seine stolze Eigenart zu behalten. Es kann sich nicht darum handeln, daß Preußen D aufgeht.
Leitartikel für den „Vorwärts“ zurufe von den Sozialdemokraten.)
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in Deutschland restlos Wir sind der Meinung, daß deutsches Wesen an preußischer Eigen art genesen ist und auch weiterhin gesund bleiben wird durch preußische Art und Weise. Von dem Abg. von Heydebrand sind gegen den preußischen Ministerpräsidenten die schwersten Vorwürfe erhoben worden, wenn ihm gesagt wird, daß er Preußens Stellung und Preußens Ehre nicht vollständig zu wahren verstanden hat. Ich kann mir einen schwereren Vorwurf gegen einen preußischen Staatsmann nicht denken, als wenn man sagt: Du, der Du berufen bist, an erster Stelle Preußens Recht und Preußens Ruf zu wahren, Du hast die vitalsten Interessen Preußens außer acht gelassen. Die ganze Aktion kann doch nicht anders verstanden werden, als daß ein Warn ruf erhoben wurde, die Regierung Preußens liegt nicht in den Händen, die imstande sind, die Aufgaben Preußens zu wahren. Der Vorwurf hält sich zunächst an das Wort Selbstverleugnung. Ich halte in Uebereinstimmung mit meinen poli tischen Freunden den Ausdruck gleichfalls für unglücklich, aber dieses Wort heißt doch nichts anderes, als daß Preußen hier eine Nach giebigkeit gezeigt hat, die nicht im Verhältnis mit seiner Macht steht. Ich erinnere in dieser Beziehung an das Wort eines der geistreichsten Staatsmänner, des österreichischen Justizministers Klein, der sagte: Herrschen bedeutet vielfach nichts anderes als klug nachgeben. Preußen hat immer den Beweis erbracht, daß es im Ver⸗ hältnis zu den anderen Bundesstaaten durch ein gutes und ein edles Nachgeben die Ziele erreicht hat, die nicht nur Deutschland, sondern auch ihm zu gute gekommen sind. Ich muß das Wort Selbstverleugnung im letzten Ende übersetzen mit deutschem Bundessinn, und dieser deutsche Bundessinn ist von jeher maßgebend gewesen. Wie hatte Bismarck gegenüber denjenigen zu kämpfen, die früher denselben Ton angeschlagen haben, wie jetzt Herr von Heydebrand! Denken Sie daran, daß der Mann, der das allerstärkste Nationalgefühl gehabt hat, der das stärkste Gefühl für Preußens Macht hatte, unser alter Kaiser, von den moralischen Er oberungen gesprochen hat, die Preußen gemacht hat. Auch hier handelt cs sich in der Hauptsache um moralische Eroberungen. Die Konzessionen in der elsaß⸗lothringischen Frage können ertragen werden, sie haben eine große praktische Bedeutung nicht. Der Fall der Ueberstimmung kann nur in zwei kalkulatorisch aus⸗ zurechnenden Fällen vorkommen; er wird kaum vorkommen. Der Statt— halter wird nicht gegen die preußische Regierung handeln. Der Landtag hat nur das Recht der nachträglichen Kritik, aber er kann
die Stimmen im Bundesrat vorher nicht beeinflussen. Wenn im
Bundesrat wirklich Majorisierungen mit gleichen Majoritäten die Regel bilden sollten, so wären wir am Anfang vom Ende. Im allgemeinen herrscht Einmütigkeit im Bundesrat. Die preußische Vormachtstellung, die wir von allen bürgerlichen Parteien zu er— halten wünschen, wird nicht gefährdet werden. Ein solcher genereller Vorwurf gegen die preußische Staatsregierung entbehrt der be— gründeten Unterlage. Schließlich meine ich, daß die Regierung dem einmütigen Wunsche des Hauses wegen der früheren Einberufung wird
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folgen können. Wenn .die einzelnen Vorlagen früher eingebracht werden, können die Kommissionen in Ruhe zhre Arbeiten erledigen; dann wird es nicht immer heißen:; dafür ist keine Zeit mehr. Die jetzige Art unserer Debatten beim Etat nützt nicht dem Ansehen des Hauses. Cx d 2 z * ne 2
Jeder hält seine Rede ohne Rücksicht auf das, was der Vorredner gesagt hat. Das Interesse der Oeffentlichkeit an unseren Verhand— lungen erlahmt, und wir schleppen einen unendlichen Ballast von alten Gedanken Jahr für Jahr durch die Verhandlungen, ohne daß ein neuer Gedanke ausgesprochen wind. Der Herr Finanzminister hat am Sonnabend gesagt, daß die Abhandlung über die Reichsfingnz— reform in einer bekannten Zeitung nicht von der Regierung veranlaßt sei. In einem Blatte ist das bestritten worden, wir müssen Auf— klärung darüber verlangen. Ich würde hitten, bei einer Neuauflage dieser Abhandlung auch das maßgebende Urteil des Abg. von Heyde— brand mitzuteilen, daß der springende Punkt der ganzen Finanz reform die Branntweinsteuer gewesen sei.
BPräsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg—
Meine Herren! Es ist mir nicht möglich gewesen, die Ausführungen persönlich zu hören, die die Herren Redner der konservativen und der freikonservativen Fraktion zur elsaß⸗lothringischen Verfassungsfrage gemacht haben. Ich kann nur auf das Bezug nehmen, was mir über diese Ausführungen berichtet worden ist. Danach hat der Redner der konservativen Partei den schweren Besorgnissen Ausdruck gegeben, von denen seine Freunde gegenüber der elsaß-lothringischen Frage erfüllt werden. Diese Besorgnisse stimmen überein mit der Haltung, die die konservative Partei im Reichstage dem Gesetzentwurf gegenüber ein— nimmt. Wenn sich nun zu meinem Bedauern die konservative Partei dort den Vorschlägen der verbündeten Regierungen gegenüber ab— lehnend verhält, so muß ich auf der anderen Seite doch anerkennen, daß es nur folgerichtig ist, wenn nun auch hier die konservative Partei rücksichtlich der Elsaß⸗Lothringen zuzubilligenden Bundesratsstimmen ihren Bedenken Ausdruck gibt.
Es ist mir aber auch mitgeteilt worden, der freikonservativen Partei in eine überaus scharfe Kritik der Stellung eingetreten ist, welche die Staatsregierung im Bundesrat bezüglich der elsaß⸗lothringischen Frage eingenommen hat, und daß er speziell, was die Verleihung von Bundesratsstimmen an Elsaß Lothringen betrifft, von einer Vernachlässigung, von einer Mißachtung preußischer Lebensinteressen gesprochen hat. Ich muß dieser Auffassung mit aller Entschiedenheit widersprechen.
Wenn ich soeben bezüglich der konservativen Partei, der rechten eine Uebereinstimmung in ihrer Haltung mit im Reichstage konstatieren konnte, so freikonservativen Partei und der
hört! links.) Wenn
der Herr Redner
Seite dieses Hauses der Haltung ihrer Freunde trifft das gleiche bezüglich der Deutschen Reichspartei nicht zu. (Hört, , Situation im Reichstage
ist die Deutsche Reichspartei bestrebt, einem positiven Abschluß zu bringen, Reichspartei ist es im Reichstag speziell gewesen, leihung von Bundesratsstimmen an Elsaß⸗-Lothringen als wendige Voraussetzung ihrer Zustimmung bezeichnet links.) Ich habe es deshalb nich s
der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz
verständigt worden bin geger
stimmen hier einen so scharfen Widerspruch und eine so ti erhoben hat. f bei den Freikonservativen.) Wenn ich falsch berichtet bin, so nehme ich diese gesagt, nur in der Lage, auf Grund mir gemachter (Zuruf links: Stimmt! Widerspruch bel de e Meine Herren, ich will nun darauf verzichten und muß
Ihnen heute die Gründe 8
9 C
Ausführunger
teikonservativen.)
darauf verzichten,
auseinanderzusetzen, aus denen die preußische dung der elsa
in der Richtung auf eine größere Verselbständigung der Reich
n Ho 1 For Mois Malar Interesse der Reichslan
i g 12 lande als
5 18 . U 1
ein Erfordernis sowohl im auch im Interesse des Reichs h nicht für opportun halten, diese grundsätzliche Seite der Angelegenheit in einem Augenblick hier zu erörtern, wo der voller Arbeit an diesem Entwurf steht. Ich habe meine Stellung in dieser grund sätzlichen Frage im Reichstage so ausführlich auseinandergesetzt, daß ich um die Erlaubnis bitten darf, hier in diesem hohen Hause auf meine Ausführungen dort drüben Bezug zu nehmen.
Wenn ich jetzt mit Bundesratsstimmen an
16 osokor ö 5 3 I selbst angesehen al. würde 68 61
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tag in
wenigen Worten die Verleihung Elsaß⸗Lothringen herausgreife, ich die Frage nur von dem Standpunkt aus daß ich grundsätzlich die größere Verselbständigung der Reichslande als einen Gewinn für die Reichslande selbst und für das Reich an— sehe. Wenn ich, meine Herren, von dieser Voraussetzung ausgehe, so ist der Wunsch Elsaß-Lothringens selbst nach einer Beteiligung am Bundesrat, wie mir scheint, auf verständlich. Elsaß-Lothringen erblickt in dieser Beteiligung nicht nur ein Ehrenrecht, das die Reichs⸗ lande in dieser Beziehung den übrigen Gliedstaaten des Reiches gleich berechtigt an die Seite stellt, sondern es erwartet darüber hinaus, daß die begehrten Bundesratsstimmen ihm die Möglichkeit geben werden, die Landesinteressen, namentlich die wirtschaftlichen Interessen in der Reichsgesetzgebung in einem Maße zur Geltung zu bringen, wie es der Bedeutung dieser Interessen entspricht.
Ich bedauere es, meine Herren, daß nicht heute hier im Hause, aber bei den sonstigen Diskussionen Gegner der Fortbildung der elsaß-lothringischen Verfassung die Bedeutung der Reichslande auf die Bedeutung eines Festungsglacis haben zurückschrauben wollen. Gewiß, meine Herren, sollten wir, was Gott verhüten möge, in einen Krieg mit Frankreich kommen, so würden die Reichslande auch in dieser Beziehung ihre Rolle zu spielen haben; das ergibt sich aus der geographischen und militärischen Lage der Reichslande ganz von selbst. Aber wir haben die Reichslande 1870/71 nicht erworben zu dem Zwecke, sie unter Rayonbeschränkungen zu stellen, sondern wir sehen in ihnen ein Land, das wir politisch, kulturell und wirtschaftlich so eng wie möglich mit dem deutschen Vaterlande verschmelzen müssen. (Bravo! Sehr richtig) Wenn wir das nicht tun, so ver— säumen wir eine Pflicht, welche dem Reiche seinem jüngsten Gliede gegenüber obliegt. (Sehr richtig!)
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Nun, meine Herren, wenn Elsaß⸗Lothringen in den Bundesrat eintritt, wenn es mit Abstimmungsrecht tätig an den Reichsgeschäften teilnimmt, so scheint es mir auf der Hand zu liegen, daß diese Be⸗ teiligung Elsaß-Lothringens an den Reichsgeschäften, an den Lebens⸗ interessen des Reiches geeignet ist, seine Verschmelzung mit dem Reiche weiter zu fördern (sehr richtig), und darum hat nicht nur Glsaß-Lothringen, sondern das Reich selbst ein selbständiges Interesse daran, Elsaß-Lothringen Bundesratsstimmen zu gewähren.
Meine Herren, ich habe auf diesem Standpunkt persönlich von Anfang an gestanden (Hört, hört! links), und wenn ich eine Mo⸗ dalität gefunden hätte, unter der es möglich gewesen wäre, dem Gesetzentwurf für Elsaß-Lothringen schon von vornherein eine Be— teiligung Elsaß-Lothringens am Bundesrat einzufügen, so hätte ich dafür votiert. (Hört, hört! links) Die Schwierigkeiten, welche einer solchen Formulierung entgegenstehen, sind bekannt; sie sind im Reichs⸗ tage ausführlich besprochen worden. Sie greifen im letzten Ende auf die Bedenken zurück, welche jeder Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb des Bundesrats entgegenstehen. Nun hat sich im Reichs⸗ tage die Sache so gestaltet, daß alle Parteien — ich habe das vorhin schon angedeutet — welche die Verabschiedung des Gesetzes wünschen, für die Bundesratsstimmen eintreten. Wenn ich mich persönlich geneigt gezeigt habe, diesen Wünschen entgegenzukommen, so habe ich damit kein sacrisicium intellectus gebracht, sondern ich habe ledig⸗ lich eine Ansicht vertreten, die ich von vornherein für die richtige an⸗ gesehen habe.
Meine Herren, die Lösung, welche nunmehr die verbündeten Re gierungen auf Antrag Preußens dem Reiche vorgeschlagen haben, dient nach meiner Ueberzeugung den Interessen der Reichslande und des
Fund ist für Preußen annehmbar. Gewiß, meine Herren,
von einem zahlenmäßigen Opfer sprechen, das Preußen dabei bringt; ie können auch von einer Selbstverleugnung sprechen. Ich will hnen den Ausdruck preisgeben. Aber, meine Herren, man soll doch untersuchen, inwieweit denn dieses zahlenmäßige Opfer ein reales Opfer ist (Sehr richtig! links); und man soll, selbst wenn es sich um ein Opfer handelt, dieses nicht einer Gefährdung staatlicher Lebensinteressen Preußens gleichstellen. (Sehr richtig! links.) Es ist falsch, das zu tun. Meine Herren, das Deutsche Reich ist auf ganz anderen Opfern der Einzelstaaten aufgebaut, als das Opfer ist, von dem Sie hier sprechen können. (Sehr richtig! links.) Preußen wird behaupten können, daß seine Opfer bei der Aufrichtung des Reiches sicher nicht die geringsten gewesen sind. (Sehr richtig!
Aber, meine Herren, eine Macht wie Preußen kann ihre Stellung im Reiche und die Prärogative, die ihr die Reichsverfassung zuspricht, nur wahren, wenn sie jetzt und in Zukunft jederzeit bereit ist, Opfer
bringen, die das Wohl des Reiches fordert. Meine Herren, wir keine kleinliche, rechnende Reichspolitik treiben. zut! links. Wenn wir das täten, dann würden wir das der Bevölkerung und das Vertrauen der Bundesstaaten in (Sehr richtig! links.)
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„ Grundfesten des Reiches untergraben. Meine Herren, um nun auf dieses Opfer selbst zu kommen um was für ein Opfer handelt es sich denn? Die Klausel, die an die Verleihung von Bundesratsstimmen an Elsaß-Lothringen geknüpft ist, daß in 2 oder 3 Fällen — um mehr handelt es
ich nicht wo die Stimmenkombination im Bundesrat auf des essers Schneide steht, die Abstimmung um ein kleines zuun— gunsten Preußens verschoben wird. So liegt die Situation tatsächlich; Aber ich muß doch gleich
hinzusetzen. Wer im Bundesrat gearbeitet hat ich möchte
zen: wer das Glück und die Ehre hat, in dieser Versammlung von rtretern deutscher Bundesstaaten zu arbeiten, der weiß, daß große igen des Reiches nicht wie Rechenexempel gelöst werden (sehr und Bravo! links); es gibt keine großen Fragen im Reiche, die
der Vergangenheit und Gegenwart nicht durch ein einstimmiges Votum im Bundesrat gelöst worden wären. Daran werden die drei timmen von Elsaß⸗-Lothringen nichts ändern (sehr richtig! links); lese drei Stimmen von Elsaß-Lothringen werden die Stellung und den Einfluß, den Preußen im Bundesrat hat und haben muß — da unterschreibe ich vollkommen das, was der Herr Abg. Schiffer gesagt hat nicht untergraben. Preußens Einfluß beruht nicht auf Additionen oder Subtraktionen von Bundesratsstimmen, sondern Preußens Einfluß beruht auf seinen geschichtlichen Leistungen und seiner geschichtlichen Mission. (Sehr richtig! links.) Und dieser Einfluß wird aufrecht erhalten bleiben, solange Preußen seine Mission weiter erfüllt. Preußen kann in seiner Reichspolitik nicht fragen: wie kann ich in dieser oder in jener Frage Sonder— interessen Preußens fördern? wie kann ich eventuell Opfer, die Preußen zugemutet werden, ablehnen? Ich kenne keinen solchen Gegensatz zwischen preußischen und Reichsinteressen; diese Interessen fließen, wenn sie richtig aufgefaßt werden, zusammen. Sie fließen zusammen das will ich den Herren von der linken Seite aber auch sagen — nur dann, wenn Preußen bestrebt ist, die Macht, die es hat, vermöge deren das Deutsche Reich gebildet worden ist, unversehrt aufrecht zu erhalten. (Lebhafte Bewegung.) Meine Herren, wenn man von dieser Auffassung ausgeht, soll man eben keine kleinliche Rechnung treiben. Wollte ich diese Rech— nung aufmachen, so würde schon gegenwärtig ohne die drei neuen elsaß⸗ lothringischen Stimmen die preußische Rechnung immer mit einem Minus abschließen, wofern man nämlich die Bedeutung, die Macht Preußens tatsächlich nach der Zahl der Bundesratsstimmen ab⸗ schätzen wollte. In einem solchen Sinne hat aber Bismarck, der unsere Verfassung gemacht hat, die Grundlagen der Verfassung nicht aufgefaßt. Wie hat er sich zu der Frage der Bundesratsstimmen
gestellt? Im Norddeutschen Bunde hatten wir im ganzen 43 Bundes
und das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu.
Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
n, 72.
Berlin, Freitag, den 24. März
Stimmenzuwachs konnte ja unzweifelhaft zu einer Schwächung des preußisch⸗norddeutschen Einflusses gegenüber Süddeutschland führen. Hat nun etwa Bismarck daran gedacht, im Jahre 1870671 die preußischen Stimmen zu vermehren? Er hat es nicht getan; er hat die 17 preußischen Stimmen unverändert beibehalten, obwohl die gesamte Stimmenzahl von 43 auf 58 stieg. Und nun soll ich be— sorgen, meine Herren, daß ich preußische Rechte, daß ich preußische Macht, daß ich Preußens Einfluß vergeude, wenn ich Elsaß Lothringen diese drei Stimmen zubillige mit der bekannten Klausel? Meine Herren, das ist eine Auffassung, die ich nicht zu der meinigen machen kann. Täte ich es, so würde ich den Geist verfälschen, in dem allein Preußen eine gesunde, zweckmäßige und kräftige Reichspolitik führen kann. (Hört, hört! Bravo! links.)
Meine Herren, gerade die elsaß⸗lothringische Frage ist eine Frage, welche nur in diesem Geiste, in diesem deutschen Geiste gelöst werden kann, und wenn Preußen bei dieser Gelegenheit seinerseits einen Schritt voran macht, dann verdient es nicht Vorwürfe, sondern dann erfüllt es die Aufgaben und die Pflichten, die es dem Reiche gegenüber hat. (Lebhafter Beifall links.)
Abg. Dr. von Woyna (frkons): Meine politischen Freunde be— grüßen es, daß der Reichskanzler besonders der Linken gegenüber be— kont hat, daß die preußische Regierung gewillt ist, im Bundesrat den preußischen Geist, die preußische Präponderanz, die Preußen nach feiner Geschichte und nach den Qpfern, die es gebracht hat, zu kommende Stellung zu erhalten. In diesem Punkte befinden sich die Mitglieder der Parteien der Rechten des Hauses mit dem Reichs kanzler in voller Uebereinstimmung; aber die Reichsregierung und der Ministerpräsident dürfen uns nicht verargen, daß wir doch von be rechtigter Besorgnis erfüllt gewesen sind, ob nicht von Preußens Vormachtstellung. wenn auch nur formell, abgegangen würde, was in der Zukunft unter Umständen bedenklich ist. Es ist zu hoffen, daß das vorzügliche Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Bundesrats, das wir allezeit beobachten konnten, bestehen bleibt. Es können aber auch einmal andere Zeiten kommen, und da kommt es auf formale Rechte an. Es kann uns nicht verargt werden, wenn wir von unserem konservativen Standpunkt aus verlangen, daß Maßregeln für die Zukunft ge troffen werden, damit nicht unsere Enkel und Urenkel Dinge erleben müssen, die der preußischen Entwicklung nicht günstig sind. Be— dauerlich finde ich in dieser Frage die Stellung der Nationalliberalen. Ich muß mich wundern, daß der Abg. Schiffer, der fünf, Minuten vorher dem Hause den Vorwurf gemacht hat, es brächte hier sehr wenig neue Gedanken zutage, selber dazu übergegangen ist, in seinen Ausführungen lauter lange abgetretene Gedanken vor— zuführen. (Lebhafte Zustimmung rechts; Widerspruch und große fort⸗ dauernde Unruhe links.) Es waren Gedanken, die in der Presse und im Reichstag so breit besprochen waren, daß ich dem Abg. Schiffer einen Vorwurf nicht ersparen kann, wenn er sich heute wieder in genau denselben Bahnen bewegte. Alle historischen Vergleiche, die er gezogen hat, hinkten. Er hat ausführen wollen, Preußen hätte immer nachgegeben, und hat sich auf die Geschichte des Zollvereins bezogen. Wie hat Preußen in dem Zollverein vorgehen müssen, um sich selbst wirtschaftlich weiter zu bringen! Dieser Vergleich ist abfolut unzutreffend. Solche Vergleiche sind so doktrinär und so theoretischer Natur, wie wir sie leider bei den Nationalliberalen sehr häufig haben. Was den sozialdemokratischen Redner betrifft, so fühle ich mich in Uebereinstimmung mit meinem Freunde Zedlitz, daß die Selbstüberhebung der Sozialdemokraten allmählich einen patho logischen Charakter angenommen hat. Menschen, die Anspruch darauf erheben, daß sie in der Lage sind, die Dinge zu erfassen, wie sie wirklich sind, die über das Erkenntnisvermögen verfügen, das ein gebildeter Mensch den tatsächlichen Verhältnissen des Lebens entgegenbringt, können in dieser Form hier nicht Kritik üben. Außerhalb dieses Hauses kann ich versichern würde ich mich schütteln, wenn ich gezwungen wäre, drei Stunden Reden anzuhören, wie wir sie hier haben anhören müssen. Daß dies auf die Dauer nicht geht, liegt auf der Hand. Ich bin gewiß nicht radikal in meinen Forderungen hinsichtlich einer Abänderung der Geschäfts ordnung, aber das müssen wir erreichen, daß wir hier nur vernünftige Reden hören. Weitere Ausführungen will ich wegen der Geschäfts lage unterlassen Aktion, die mit dem vorliegenden Antrage eingesetzt hat, wird dazu führen, daß unsere Verhandlungen auch auf die Nachwelt den Eindruck machen, daß wir hier stets verhandelt haben auf der Grundlage des gesunden Menschenverstandes.
Gegen die Stimmen der Linken wird auf Antrag des Abg. von Arnim (kons.) die Debatte geschlossen.
Persönlich bemerkt
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neu kirch (freikons. ): Der Ministerpraͤfident ist falsch unterrichtet. Ich habe mich lediglich da gegen gewendet, daß die Bundesratsstimmen von Elsaß Lothringen niemals für, sondern immer nur gegen Preußen gezählt werden sollen, und festgestellt, daß darin die erstmalige Abröckelung von der Macht⸗ stellung Preußens im Bundesrat liegt. Ich bin auch jetzt noch der Meinung, daß dies eine bedenkliche Schmälerung der Machtstellung Preußens bedeutet.
Der Antrag Friedberg wird hierauf einstimmig angenommen.
Eine Reihe kleinerer Etats wird ohne Debatte genehmigt.
Zum Etat des Ministeriums Angelegenheiten bemerkt Abg. vom Rath (ul.): Bei der zweiten Lesung hat der Abg. Dr. Friedberg dargelegt, daß wir von unserer Gesandtschaft bei der Kurie nicht den Nutzen haben, den wir davon erwarten könnten. Ein großer Teil der Unzutraͤglichkeiten ist dem Umstande zuzuschreiben, daß man sich dieser Einrichtung nicht sinngemäß bedient. Das Fehlen von diplomatischen Vertretern der Kurie in Berlin scheint im Laufe der Zeit immer wieder dazu veranlaßt zu haben, die Vermittlung der Bischöfe in Anspruch zu nehmen. Gewisse Regierungsstellen, die nicht dem Auswärtigen Amt angehören, scheinen der Kurie auf diesem Wege entgegengekommen zu sein, indem se ihrerseits Informationen gegeben und genommen und event. auch veihandelt haben. Bei dieser Art des geschaͤftlichen Verkehrs kommen unzutreffende Informationen zu stande. Der Kultusminister hat ja selbst zugeben müssen, daß seine In formationen sich nachträglich al, unrichtig herausgestellt haben. Ich mache daraus den Bischöfen keinen Vorwurf, denn sie mögen selbst über die letzten Absichten der Kurie nicht orientiert gewesen sein. Aber es liegt die Vermutung nahe, daß manchmal Ent scheidungen und Entschließungen Fefaßt werden, die auf nicht ganz zutreffenden Voraussetzungen beruhn, Nicht o genug kann man das Verdienst des Stäatsmannes änschätzen, der heute unser diplo— matisches Korps lestet, das darin besteht, daß er die in der Ver gangenheit gelockerte Disziplin lines Dienstbereichs wieder her estelt hat. Dieses anerkennenwerte Bestreben muß durch⸗ y. werden und wird durchkreuzt wenn auf seinem speziellen Ge
. Vie
der auswärtigen
1911.
Frieden, der wohl auch früher bestanden hat, in jüngster Zeit mit besonderem Nachdruck immer wieder betont ist. Auch für die Zukunft möchten wir Mißverständnisse vermieden wissen. Wir halten uns daher nicht nur für berechtigt, sondern auch für verpflichtet, von den in Frage kommenden Ressorts zu verlangen, daß sie sich bei politischen Verhandlungen eine größere Reserve auferlegen und alle Verhandlungen mit der Kurie auf den allein zuständigen Weg ver weisen, nämlich an das Ministerium des Aeußern und seine Organe.
Beim Etat der Do mänenverwaltung bittet
Abg. Heine (nl.) den Minister, noch einmal die Frage zu prüfen, ob für das Bad Rehburg nicht mehr geschehen könne als bisher. Die Bevölkerung glaube ein moralisches Recht, darauf zu haben, daß das Bad erhalten, bleibe, denn die han noversche Regierung habe die damoligen Ansiedler aufgefordert, sich dort niederzulassen, um die Anlage des Bades zu ermöflichen. Jetzt fürchteten die Einwohner für ihre Existenz. Man habe ver⸗ schiedene Vorschläge gemacht: dem Bade einen anderen Namen zu geben, eine Heilquelle zu erbohren, Schwefel⸗ und ähnliche Quellen nach Rehburg zu leiten, wie es in Nenndorf geschehen sei. Auch seitens verschiedener Patienten, die dort Heilung suchten, sei er ge⸗ beten worden, den Minister noch einmal dringend zu bitten, wenn irgend möglich, entgegenzukommen.
Abg. Leinert (Soz.): Auf Anordnung des Landrats von Baum⸗ garten ift dem Gemeindevorsteher untersagt worden, die Petition von Rehburg auch mir zuzusenden. Trotzdem habe ich sie gelesen und schließe mich den Wünschen des Vorredners an. Ueber die Verpachtung der Domänen ist mir eine ganze Reihe von Zuschriften zugegangen, die das bestätigen, was ich in zweiter Lesung darüber hier ausgeführt habe. Die Behauptungen des Abg. von Pappenheim mögen dem Inter⸗ esse der Domänenpächter entsprochen haben, aber zutreffend waren sie nicht. Aus dem Vortrage, den Ministerialdirektor Thiel im Klub der Landwirte über die Domänenpolitik der Regierung gehalten hat, und in dem er forderte, die Domänen sollten nicht für eine bestimmte Summe, sondern unter Berücksichtigung der Ernteerträgnisse verpachtet werden, geht deutlich hervor, daß die Domänen zu billig verpachtet sind. Man muß Rücksicht nehmen auf die Lage der ubrigen Bewohner, auf diejenigen, die ebenfalls ein kleines Stück Land pachten wollen. Abg. Enge lsmann (nl. ): Für die Domanialweinberge gan der Nahe muß die Regierung mehr tun. Ich möchte den Minister bitten, die Wünsche, die ich bei der zweiten Lesung vorgebracht habe, zu erfüllen.
Beim Etat der Forstverwaltung beklagt sich U Abg. Bu sch (entr) darüber, daß die Förster einen hochnotpein lichen Rachweis über das ihnen zur Verfügung stehende Brennholz erbringen müßten. .
Abg. Freiherr von Wolff-Metternich (Zentr.) wünscht Ver⸗ minderung des Schreibwerks der Oberförster, die durch den Außer dienst voll in Anspruch genommen seien. ; ö
Abg. Freiherr von Los (Zentr.) bittet die Forstverwaltung, sich bei etwaigen neuen Maßnahmen in der Bewirtschaftung des Tiergartens und des Reichswaldes bei Kleve mit den lokalen Instanzen in Ver⸗ bindung zu setzen.
Abg. Ströbel (Soz.) kritisiert die Haltung der Forstverwaltung bezüglich der hohen Preisforderung für die Ueberlassung fiskalischer Wälder an Berlin. Die Ansichten des Ministers über die Organisatien der Wald- und Forstarbeiter seien außerordentlich rückständig. Er müsse den schärfsten Protest dagegen einlegen, daß der Landwirtschafts⸗ minifter derartig scharfmacherische Erklärungen abgegeben habe. Das Zentrum trete nur für das Koalitionsrecht der christlichen Gewerk schaften ein, sonst wolle es aber vom Koalitionsrecht nichts wissen.
Abg. Bussch Zentr.):: Wenn die Sozialdemokratie offen für die Republik eintritt und freie Gewerkschaften und Sozialdemokratie sind ja dasselbe kann die Regierung solche Arbeiter nicht dulden. Zie reden von Freiheit. Sie rauben aber allen die Freiheit, sowie Sie die Macht haben. Wird etwa im Betriebe des „Vorwärts. irgendein christlicher Arbeiter eingestellt? Den müssen Sie erst einmal auf den Tisch des Hauses niederlegen, damit wir ihn von allen Seiten bewundern können. Von Freiheit wollen Sie nichts wissen. (Der Redner verliest einige Stellen aus einem Bericht der ‚Tremonia“. — Abg. Dr. Liebknecht: Schwindeln Sie nicht so dummes Zeug zusammen! Vizepräsident Dr. Porsch: Ich rufe Sie wegen dieser groben Beleidigung eines Abgeordneten zu!
Sie wollen ie christlichen Arbeiter bei allen
schalten. (Abg. D Unwahr, unwahr! Gewerkschaften sin s zi Partei zu füllen. nationalen Staat.
Abg. Ströbel (Soz.): Nicht die freien Gewer die Sozialdemokratie tätig, sondern umgekehrt. Die unterstüͤtzt die freien Gewerkschaften bei d
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r. Liebknecht: d nur dazu da, die Tasche Vorläufig leben w
den Streiks,
on den Geldern der Sozialdemokratie auch schon mancher Betrag die Taschen der christlich⸗nationalen Gewerkschaften geflossen, die gern genommen haben. Sie hat damit nur die Pflichten proletarif Solidarität erfüllt. Sie aber (zum Zentrum) handeln nicht au Grund des Rechtes, t
sondern auf Grund Ihrer brutalen Gewalt Sie stellen sich außerhalb des Gesetzes. ie haben ja gar keine Ahnung von Gesetzen. Sie haben die Regierung aufgefordert, die (Gesetze mit Füßen zu treten. (Rufe im Zentrum: Wo steht das?) Das berichtet die „‚Kölnische Zeitung“. Ich traue den National ssberalen sa auch nicht viel; ehrlicher als Sie sind sie aber. Das Vorgehen des Abg. Busch ist eine unsäglich schimpfliche Handlung.
Präsident von Kröcher ruft den Redner zur Ordnung.
Arg Ströbel (fortfahrend: Aber gehen Sie nur ruhig weiter so vor. Ihr läppisches Benehmen wird schon seine Folgen haben. . ; ;
Präsident von Kröcher ruft den Redner wegen des Ausdrucks läppisch“ zum zweiten Male zur Ordn nng.
Abg. Imbusch (Zentr.): In den freien Gewerkschaften wird für die Sozialdemokratie Propaganda gemacht. (Abg. Hoff⸗ m ann: Sie schließen von sich auf andere) Beweisen Sie uns das doch. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Beweisen Sie uns!! Bei uns ist das nicht der Fall, die christlichen Gewerkschaften' haben jede Bevormundung entschieden abgelehnt. Sorgen Sie (zu den Sozialdemokraten) doch dafür, daß Ihre Partei das Koasitionsrecht achtet. Aber Sie üben einen Terrorismus fondergleichen. Sie peinigen alle, die nicht so wollen wie Sie, bis auf das Blut. Wie hat sich der Buchdruckerverband gegen den Gutenbergbund benommen! Es ist knapp gelungen, diesen Bund mit in den Tarif zu bekommen. Wie ist das Verhalten des Metall⸗ arbeiterderbandes gewesen! (Präsident von Kröcher: Die Metall—= arbeiterorganisation gehört aber nicht zum Forstetat.) Sorgen Sie erst für rechte Koalitionsfreiheit!
Minister für Landwirtschaft, Dr. Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Wenn meine Hoffnung auch nicht ganz sicher ist, daß die Debatte sich nunmehr wieder ganz dem Etat der Forstver⸗ waltung zuwenden wird (Heiterkelth, so möchte ich doch nicht länger zögern, auf einige mir hier vorgelegte Fragen Antwort zu geben.
Der Herr Abgeordnete Freiherr von Los hat die Angelegenheit
1e es
Domänen und Forsten
blete Resforts einen inoffiziellen Verkehr pflegen, der sich seiner
ratzstimmen, von denen Preußen 17 führte. Im Jahre 187061 trat Süddeutschland hinzu mit 15 weiteren Stimmen. Dieser
Kontrolle entzieht. Erfreulich ist, daß der Wunsch nach
des Klever Reichswaldes bezw. des dortigen Tiergartens besprochen.