Oesterreich⸗Ungarn.
Auf Grund Kaiserlicher Entschließung ist der Reichsrat estern vertagt worden. Wie „W. T. B.“ meldet, war diese 5 notwendig geworden, weil sich ein Teil der oppo⸗ sitionellen Parteien entschlossen zeigte, die rechtzeitige Erledigung des Budgeiprovisoriums zu verhindern und Mehrheit und Re⸗ gierung unter allen Umständen in einen Exlexzustand zu drängen. Da infolgedessen auf eine gedeihliche Arbeit des Parlaments nicht zu rechnen war, andererseits aber zu besorgen stand, daß durch Versuche, den Widerstand zu brechen, nur eine Verschärfung der Gegensätze hervorgerufen werden könnte, hätte eine weitere Fortsetzung der Verhandlungen keinen Zweck gehabt.
— In der gestrigen Kon ferenz der Mehrheits parteien erklärte der Ministerpräsident Freiherr von Bienerth, obiger Quelle zufolge, nach seinen Informationen wäre eine Aenderung in der Haltung der tschechischen Parteien gegenüber dem Budget⸗ provisorium nur dann zu erwarten, wenn eine ihren Wünschen entsprechende Rekonstruktion des Kabinetts schon jetzt er— folgte oder für die allernächste Zeit in bestimmte Aussicht ge— stellt würde, anderenfalls würde der Eintritt des Exlexzustandes erzwungen werden. Der Ministerpräsident bezeichnete die Re—⸗ konstruktion gegenwärtig und aus diesem Anlaß als aus⸗ geschlossen. Er verurteilte auch grundsätzlich jeden Exlex zustand.
Das ungarische Abgeordnetenhaus hat gestern eine Resolution Gießwein angenommen, auf der nächsten Haager Konferenz einen Antrag zur Beschränkung der Rüstungen zu stellen. Der Ministerpräsident Graf Khuen Hedervary erklärte, „W. T. B.“ zufolge, daß er gegen die Resolution nichts einzuwenden habe, da die Regierung alle Bestrebungen zur Einschränkung der Rüstungen bereitwillig unterstütze.
Frankreich.
Die Deputiertenkammer hat nach einer Meldung des
„W. T. B.“ gestern mit 429 gegen 74 Stimmen zwei weitere
provisorische Budgetzwölftel angenommen.
Rußland.
In der gestrigen Nummer der Gesetzsammlung wird auf Grundlage des Artikels 87 der Staatsgrundgesetze das Gesetz, betreffend Einführung der Semstwos in den sechs Westgouvernements, und zwar in der Fassung des in der Reichsduma angenommenen Entwurfs, veröffentlicht.
Der Präsident der Reichs uma Gutsch kow hat gestern, „W. T. B.“ zufolge, die offizielle Erklärung eingereicht, daß er sein Amt als Präsident niederlege.
Der Marineminister Wojewodski hat, wie die St. Petersburger Blätter melden, um seinen Abschied gebeten. 3. Nach einer Meldung der „St. Petersburger Telegraphen⸗ Agentur“ wird in der nächsten Zeit in der Reichs duma ein Gesetzentwurf eingebracht werden, der die Ergreifung von Maßregeln vorsieht, die eine zuverlässige Handelsverbindung West-Sibiriens mit West-Europa durch das sibirische Eismeer sichern. Es wird u. a. die Exrichtung von vier Funkenstationen an den Gestaden des Karischen und des Weißen Meeres geplant sowie der Bau einer Eisenbahn vom Ob-Flusse nach dem Gestade des sibirischen Eismeers.
Italien. 1
Mit ungewöhnlichem Glanze fand gestern vormittag im Senatspalast auf dem Kapitol die Festsitzung zur Fünfzig⸗ jahrfeier des Königreichs Italien statt. Der Bürger— meister Nathan mit den Vizebürgermeistern und Gemeinderäten, die Präsidenten des Senats und der Kammer mit Deputationen der beiden Häuser des Parlaments, der Ministerpräsident und alle Mitglieder der Regierung erwarteten die Majestäten am Portal des Museumspalastes, die, von Trompetenfanfaren der Kürassiere und von der städtischen Kapelle mit der Königs⸗ hymne begrüßt, kurz nach 10 Uhr dort eintrafen. Stürmische Kundgebungen wurden dem Herrscherpaar bei seiner Ankunft wie beim Eintritt in den Festsaal bereitet, wo sich auch das diplomatische Korps, die Ritter des Annunziatenordens, die Spitzen der Be— amtenschaft sowie der Offizierkorps des Heeres und der Marine und die Bürgermeister von neunundsechzig großen Provinz städten eingefunden hatten. Sobald die Ovationen verrauscht waren, ergriff der König Viktor Emanuel unter andächtigem Schweigen der Versammlung das Wort zu einer Ansprache, die mehrfach von Beifall unterbrochen wurde und am Schluß stürmische Begeisterungskundgebungen hervor rief. Die Rede des Königs lautete „W. T. B.“ zufolge:
Auf dem Kapitol, dem der größte lateinische Dichter prophezeit hat, daß es ewig sein werde wie Rom, scharen sich heute um den König die freien Vertreter des Parlaments und der Gemeindebehörden, lebendige Symbole der unauflösbaren politischen Einheit und der örtlichen Freiheiten. Ich grüße Sie, indem ich die Erinnerung wach— rufe an die Denker, Helden und Märtyrer, denen wir unser Vaterland verdanken. In dieser Nationalversammlung entringt sich das Gelöbnis, Italien immer freier, glücklicher und geachteter in der Welt zu machen, unwiderstehlich und glühend unseren Herzen in der berechtigten Ungeduld, die nach einer besseren Zukunft strebt. Man muß anerkennen, daß nicht in kurzer Zeit die Wirkungen langer, in Spaltung und Knechtung ver— lebter Jahrhunderte wieder gut zu machen sind. Unser Land hat sogar eine noch unglückseligere Epoche durchgemacht, als sie der florentinische Staatssekretär Macchiavelli geschildert hat, nämlich damals, als man, weil die Harmonie der Herzen ebenso fehlte wie die der Waffen, die Zucht des Charakters ebenso wie der freiwillige Gehorsam gegen die Gesetze, die das Wesen des Lebens und das Heil bedeuten, dem besiegten und, gebändigten Italien jede Kraft des Gedankens und jede militärische und bürgerliche Macht entriß. Man muß den Blick auf diese unglücklichen Tiefen richten um zu ermessen, welcher titanischen Anstrengung die National seele sich fähig gezeigt hat, um das Los eines erniedrigten Pöbels in das eines frelen, auf seine Rechte eifersüchtigen Volkes um⸗ jzuwandeln. Ich vergesse in unserer mannhaften Bescheidenheit die Rolle nicht, die die Geschichte Italien zugewiesen hat. Sie drückt in dem Zusammenschluß unglücklicher getrennter Stämme das unantastbare Recht der Nationen aus, in Unabhängigkeit zu leben. Italien mit Rom als Hauptstadt bedeutet das ruhige Bestehen der Kirchen neben dem Staat, der der Religion ebenso wie der Wissenschaft ihre volle fruchtbare Freiheit verbürgt. Dieses Werk unserer Väter, der Befreier unseres Vaterlandes erscheint nicht minder erhaben als das der beiden voran⸗ gehenden Zeitalter Roms. Mein verehrter verewigter Vater hat in einer feierlichen Rede gesagt, daß unter den majestätischen Ueberresten der alten Größe die neue Größe uns nicht bescheiden erscheinen darf. Die alte war kraft des Geistes der Zeit universal, die neue ist national. Zur ersteren gehört daß römische Italien, zur letzteren das italienische Rom. Jene war der Ausdruck der Macht, diese ist der Ausdruck des Rechts, und wie jedes Recht ist das italienische Rom unverletzlich. Italien, das sich der Unabhängigkeit des ganzen Volkes geweiht hat, wird seine eigene Unabhängigkeit zu wahren wissen, die das Erbe seiner ganzen alten und neuen Geschichte ist, und wird durch Werke des Friedens zu Lem allgemeinen Fortschritt beitragen in stetigem Emporsteigen zu immer höheren
D
Idealen, und es ist wie eine Vorbedeutung, daß von so vielen Kaisern auf diesem weltgeschichtlichen Hügel einzig und allein das von dem ernsten Lichte der stoischen Tugend verklärte Bild des triumphierenden Mare Aurel stehen geblieben ist, dieses heilige Gnadenbild des Kultus des sittlichen und bürgerlichen Gesetzes, dem unser Vaterland treu bleiben will, im festen Glauben an eine Zukunft des Glücks und des Ruhmes.
Hierauf verlasen die Präsidenten des Senats und der Kammer ihre Huldigungsadressen, die mit warmer Zustimmung aufgenommen wurden.
In der vom Präsidenten der Deputiertenkammer Marcora ver⸗ lesenen Adresse wird daran erinnert, daß heute fünfzig Jahre verflossen seien, seitdem im ersten Parlament die Stimme Italiens sich erhoben habe, um ein Recht zu verkünden, das Jahrhunderte der Weisheit, des Heldentums und Opfermuts zu einem geschichtlichen Gesetz hätten werden lassen. Indem die Kammer diesen feierlichen Tag ihrer parlamentarischen Geschichte auf diesem geheiligten Boden festlich begehe, werde sie von der Majestät der Erinnerung bewegt, aber nicht erschreckt. Die Eilösung eines Volkes stehe der Eroberung einer Welt an Bedeutung nicht nach. Hier in Rom, dessen Eroberung im Urtell der Zukunft das größte Ereignis des gegenwärtigen Zeitalters und eines der erhabensten Geschehnisse in der Geschichte der mensch⸗ lichen Zivilisation überhaupt sein werde, in dieser Hauptstadt, die lange und mit Ungeduld ersehnt worden sei, habe Italien seinem alten Streben zum Rechte verholfen. Es sei das geworden, was es sich vor den Volkern zu werden vorgenommen habe: ein Faktor der Zivilisation und des Friedens, und habe mit Klugheit und Weisheit eine politische Formel aufstellen und verwirklichen können, um die sich neun Jahrhunderte lang der Geist der Politiker und Denker fruchtlos bemüht habe. Die AÄdresse schließt: ‚Wie Dante es prophetisch vorausgesagt, sahen wir Rom für immer unser werden. In der Erinnerung an diesen Schicksalstag huldigen die Vertreter der Nation hier dem König, dem treuen Hüter freiheitlicher Institutionen, der sich der Notwendigkeiten der neuen Zeit bewußt ist. Von hier aus senden Fürst und Volk dem Vaterlande ihre Wünsche für sein Glück und seine Größe.“
Nach der Verlesung der Huldigungsadressen kehrten die Majestäten unter begeisterten Huldigungen der Bevölkerung nach dem Quirinal zurück und wohnten später mit dem Herzog von Aosta, dem Grafen von Turin und dem Herzog von Genug der feierlichen Eröffnung der Internationalen Ausstellung der schönen Künste in dem neuen Aus— stellungspalast bei. An der Feier nahmen ferner die Minister, die Präsidien des Senats und der Kammer, das diplomatische Korps, die fremden Ausstellungskommissare und andere Würdenträger teil. Nach einer Ansprache des Grafen San Martino ergriff der Minister des Aeußern Marquis di San Giuliano das Wort. Der Minister hob in seiner Rede die Bedeutung des Festes hervor, wies auf den Anteil hin, den Wissenschaft und Kunst an der Einigung der Völker haben, und sprach den Souveränen und Staatsoberhäuptern der ver tretenen Nationen im Namen des Königs, der Regierung und des italienischen Volkes warmen Dank aus. Der französische Bot— schafter Barrére erwiderte im Namen des diplomatischen Korps. Nach Beendigung der Reden unterhielt sich der König mit den Botschaftern und den ausländischen Ausstellungs⸗ kommissaren, während die Königin die Damen des diplomatischen Korps begrüßte. Sodann verließen die Majestäten den Aus⸗ stellungspalaft;, der nunmehr für das Publikum freigegeben wurde.
Am Abend begaben sich der König und die Königin mit den Prinzen des Königlichen Hauses zu dem vom Magistrat veranstalteten feierlihem Ü n im Kapitol, dessen Säle von einer 5000 Köpfe zählenden , He angefüllt waren, in der die hervorragenden Perfönlicht ien der t, der Verwaltung, der Kunst und der Wissenschaft sowie des Adels, das diploma— tische Korps, Offiziere der Armee und Marine und zahlreiche Angehörige der fremden Kolonien vertreten waren. Die Stadt war Abends prächtig beleuchtet, und eine ungeheure Menschen⸗ menge durchflutete die Hauptstraßen.
In allen Provinzen fanden patriotische Kundgebungen und Festlichkeiten statt, bei denen außerordentliche Begeisterung unter lebhafter Teilnahme der Fremden zutage trat. Zu der. Jubiläumsfeier in Venedig hatte der Deutsche Kaiser den Generaladjutanten von Scholl, die Kommandanten der drei deutschen Schiffe sowie die deutschen Attachés in Rom, Obersten Freiherrn von Hammerstein und Fregattenkapitän Fuchs, entsandt. Abends hatten der Kaiser und die Kaiserin aus Anlaß der nationalen Feier eine größere Reihe von Ein⸗ ladungen zu einem Tee auf der „Hohenzollern“ an die venezianische Gesellschaft und die Spitzen der Militär- und Zivil— behörden mit ihren Damen ergehen lassen. vom Kaiser Wilhelm an
gesandte Telegramm hat B.“ folgenden Wortlaut: Seiner Majestät dem König!
den König Victor laut Meldung des
Das Emanuel W. T.
r 3 Rom.
Die Kaiserin und ich sind glücklich, Dir vom gastlichen Boden Deines schönen Landes unsere aufrichtigsten und herzlichsten Wünsche auszudrücken, die wir mit ganz Deutschland für Dich und für die befreundete und verbündete Nation zu der heutigen Feier des fünfzigsten Jahrestages hegen. Wir nehmen den lebhaftesten Anteil an der Erinnerungsfeier, die dem Werke Deines erlauchten Großvaters, des Schöpfers des Königreichs und der Einheit Italiens gilt. Wir bitten Gott, daß er all seinen Segen auf Dich, Dein Haus und Deine Regierung ausbreite und daß er stets seine mächtige Hilfe leihe zum wachsenden Gedeihen und zum Ruhme Italiens. Unsere herzlichsten Grüße der Königin.
Wilhelm.
Vom Kaiser Franz Joseph war nachstehendes Tele⸗ gramm eingetroffen:
Die Feier der Proklamierung des Königreichs Italien gibt mir Gelegenbelt, Eurer Majestät meine aufrichtigen Glückwünsche mit den besten Wünschen für die Wohlfahrt Ihres Landes darzubringen. Ich bin überzeugt, daß die enge Freundschaft, die in so glücklicher Weise unsere Staaten verbindet, dazu beitragen wird wie in der Vergangen— heit so auch in der Zukunft ihre gegenseitigen Beziehungen zu ent⸗ wickeln, und daß sie ein weiteres Unterpfand zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens sein wird.
Der König hat ferner vom Sultan, dem König von Dänemark, dem König von Montenegro, dem Groß— herzog von Sachsen und dem Präsidenten von Chile Glückwunschtelegramme erhalten.
Der Ministerpräsident und der Minister des Aeußern haben von den fremden Souveränen und Staatsoberhäuptern in warmem Ton gehaltene Glückwunschdepeschen empfangen, ebenso von den fremden Regierungen, den italienischen Kolonien im Auslande und allen italienischen Städten. Der deutsche Reichs⸗ kanzler Dr. von Bethmann Hollweg hat an den Marquis di 6. Giuliano, obiger Quelle zufolge, nachstehende Depesche gerichtet:
Aus Anlaß des fünfzigjährigen Jubiläums, welches das geeinigte Italien heute feiert, drängt es mich, im Namen der deutschen Re⸗ gierung und für meine Person die aufrichtigsten Glückwünsche an Sie
zu richten. Ich bitte Eure Exzellenz, bei der Königlichen Regierun⸗
der Dolmetsch der Wünsche sei ü ie di iserli Regierun . u fn n h ü . dic od e e en eg g bei d f hen Gelegenheit für das fortdauernde 6G deihen des Königreichs und seiner glorreichen Dynastie ausspricht . ebenso für das Glück des italienischen Volkes, das mit der deutsche Nation, durch Bande des Bündnisses und der Freundschaft v ö. fnüpft ist. 3
Der Marquis di San Giuliano antwortete hierauf:
Ich bringe Ihnen meinen Dank und den der Königlichen HRꝛegie rung zum Ausdruck für die Gefühle, die Sie mir zu übermitteln pi Güte hatten und die ein aufrichtiges Echo in dem Herjen der italienischen Nation finden werden, die mik der deutschen Matth. durch die Bande des Bündnisses und der gegenseitigen Sympathie . durch die gemeinsame Arbeit für Frieden und Fortschritt verknüpft is
Auch der österreichisch ungarische Minister des Auswärtigen Graf Aehrenthal hat aus Abbazia ein in herzlichen Worten abgefaßtes Begrüßungstelegramm an den italienischen Minister des Aeußern gerichtet.
Spanien.
In der Deputierten kammer begann gestern die Debatte über den Prozeß Ferrer.
Laut Bericht des W. T. B.“ erklärte der Abg. Soriang (Republikaner), die Debatte werde nicht nur von dem ganzen Lande sondern auch von Europa mit Spannung erwartet und bezwecke, in. Revision des Prozesses zu erlangen, denn Ferrer sei das unschuldige Opfer eines furchtbaren Justizirrtums gewesen. Der Redner wies daran hin, daß das Kriegsgericht das 1260 Seiten umfassende Aktenftüch Ferrer in vier Stunden durchgeprüft habe und daß der Verteidsger Ferrers für das Studium der Akten nicht mehr Zeit gehabt habe alt das Gericht. Dieses habe zudem die Zulassung zahlreicher Entlastungt⸗ zeugen abgelehnt. Soriano sprach seine feste Ueberzeugung von der Unschuld Ferters aus und erklärte, in jedem Fall habe Ferrer nur als Anstifter einer Auflehnung gegen die Militärb hörde von Matar— verurteilt werden können, ein Delikt, das nur mit Zuchthaus zu be— strafen sei. Statt dessen sei Ferrer für ein Verbrechen ab— geurteilt worden, worauf die Todesstrafe stehe. Dies sei auf das aus politischen Motiven erfolgte Eingreifen der Gxekuts! gewalt zurückzuführen, für das die ganze konserbative Partei die Ver— antwortung trage. Der Gouverneur von Barcelona habe zur Zeit des Ausbruchs der Unruhen kein Beweismaterial entdeckt, das zu der Annahme berechtigt hätte, daß Ferrer der Führer des Aufstands ge— wesen sei. Soriano bemühte sich schließlich, zu zeigen, daß Ferrer nicht den geringsten Anteil an den. Creignissen in Barcelona genommen habe und daß die gegen ihn vorgebrachten Zeugenaussagen unbestimmt und wertlos gewesen seien.
Türkei.
Ueher den gestern gemeldeten Zwischenfall an der türkisch⸗montenegrinischen Grenze sind dem Ministerium des Innern, „W. T. B.“ zufolge, Depeschen zugegangen, nach denen nach Montenegro geflüchtete Albanesen gemeinsam mit Montenegrinern mehrere türkische Grenzposten in Kaza und Tuzi angegriffen, mehrere Soldaten getötet und viele gefangen genommen haben. Die Zahl der Angreifer wird auf 3000 an— gegeben. Aus Ipek sind drei Bataillone nach Skutari entsandt worden; außerdem sollen zwei Rediffbrigaden dahin abgehen. . Die Deputiertenkammer hat in der gestrigen Sitzung das Marinebudget angenommen. .
Amerila. Gestern hat sich das neue mexikanische Kabinett gebildet. Wie „W. T. B.“ meldet, setzt es sich folgender— maßen zusammen: F Barra, Justiz So di, Verkehrswesen Domin gu ez, Krieg Cosio, Unterricht Estanol, Inneres vorläufig unbesetzt.
. Asien.
Nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ wird von chinesischer Seite offiziell erklärt, daß die Antwort auf die letzte Note der russischen Regierung in höchst versöhn— lichem und nachgiebigem Tone gehalten ist. Die von der russischen Regierung aufgestellten Punkte werden in unzwei⸗ deutiger Weise angenommen und der Versuch gemacht, die früheren Antworten der chinesischen Regierung durch den Nach— weis zu rechtfertigen, daß sie die sechs Punkte bereits zu—
gestanden hatte. Afrika.
Vom „W. T. B.“ verbreiteten Meldungen aus Fes vom 22. d. M. zufolge herrschte auch an diesem Tage Ruhe. Die Beraber blieben in abwartender Haltung, nachdem sie tags zuvor in einem Gefecht bei Raselma 12 Tote und 20 Ver— wundete gehabt hatten. Oberstleutnant Mangin ist nach Fes zurückgekehrt, um über die Lage im Scherardagebiet Bericht zu erstatten. Die Beni Mter verweigern, nachdem sie die Frei lassung ihrer Gefangenen erwirkt, sich Munition verschafft und Verstärkungen erhalten haben, ihre Unterwerfung und erklären, den Kampf wieder ausnehmen zu wollen.
5 inanzen Limantour, Aeußeres de la i
Parlamentarische Nachrichten.
In der heutigen (187.) Sitzung
de des Reichstags, der der Minister der
öffentlichen Arbeiten, Chef des Reichs— amts für die Verwaltung der Reichseisenbahnen von Breitenbach, der Staatssekretär des Reichsschatzamts Wermuth und der Staatssekretär des Reichskolonial amts Dr. von Lindequist beiwohnten, zweite Nachtrag zum Haushaltsetat für die Schutzgebiete auf 1910 ohne Diskussion nach dem Antrage der Budgetkommission unverändert in zweiter Lesung und darauf auch, da aus dem Hause niemand widersprach, in
dritter Lesung auf Antrag Bassermann (nl. endgültig an⸗
genommen.
Darauf setzte das Haus die zweite Beratung des Reichs— haushaltsetats für 1911 fort und begann mit dem Etat der Verwaltung der Reichseisenbahnen. Referent der Budgetkommission ist der Abg. Schwab ach (nl..
Bei den einmaligen Ausgaben hat die Kommission als Folgerate für den Umbau des Der than e Straßburg statt 100 000 M nur 340 000 S bewilligt, dagegen der Schlußrate für Dichtung und Ausbesserung des alten Tunnels bei Teterchen 60 000 S zugesetzt und statt 170 000 6 230 000 „ zu be⸗ willigen beantragt.
Abg. Dr. Wil l-Straßburg (Zentr.): Bei der Reichteisen, bahnverwaltung herrscht auch das Prinzip, überall zu sparen, und eb sind daher die 109. und 15⸗Tonnenwagen durch 20⸗Tonnenwagen ersetzt worden. Darüber beschweren fich die kleinen Geschästs, leute, die auf 10 Tonnenwagen angewiesen sind und so ges— idigt werden. Der Müttelstand muß auch bei dem Gütertgrif be— rücksichtigt werden. Die großen Wagen dienen lediglich ju gunsten des Kohlensyndikats, die kleinen Gewerbetreibenden wünschen aber, daß wieder mehr 10 Tonnenwagen eingestellt werden. Die Steigerung des Verkehrs ist insofern sehr erfreulich gewesen als sie der Reichseisenbahnverwaltung die Aufbesserung der Arbeiter⸗
wurde der
gemacht hat, und die Verwaltung steht, auch in wieweit noch , ,, möglich sind. Die Löhne der Streckenarbeiter und der jüngeren. nfänger in den Werk- alten sind noch vollständig unzureichend. Die Rottenarbeiter haben ein Durchschnittseinkommen von 768 M, mehr als zwei hriltel von ihnen sind verheiratet, 40 0/0 haben noch UI bis 2 Personen 1 untersti en, sodaß ihre Familie in der Regel 5 bis 6 Personen umfaßt ie Betriehsarbeiter haben ein Durchschnitts einkommen pon 1029 „M, die Werkstättena beiter stehen. etwas besser mit Il 4, aber auch diese Kategorien müssen bessere Löhne erstreben, m ihre Familien anständig ernähren zu können. Die Arbeiter haben
Petitionen eine allgemeine Lohnrevision gewünscht; außerdem wünschen die meisten Arbeiter die Abschaffung der Akkordarbeit, die eigentlich nur in Fabriken durchgeführt werden könne. Bezüglich des Aufrückens im Kohn gilt als Regel, daß ein Arbeiter jährlich um einen Pfennig im Stundenlohn aufgebessert wird; manche, die be— sonders angesehen sind, bekommen die Aufbessexung aber schon nach mem halben Jahre, andere erst nach drei Jahren, und dadurch ist große Ünzufriedenheit entstanden, ebenso wie dadurch, daß es Arbeiter mit 24 Jahren Dienstzeit gibt, die noch nicht den höchsten, Lohn erreicht haben, während andere den Höchstsatz schon mit 12 Jahren halten. Wir machen die Eisenbahnverwaltung drin gend, auf ziese Ungleichheiten aufmerksam. Die neunstündige Arbeitszeit müßte auch in den Eisenbahnwerkstätten eingeführt werden, und sir die Sonntagtarbeit müßte ein Zuschlag gewährt werden. Bezüglich des Urlaubs is gewiß ein Fortschritt zu verzeichnen, zber es sollte doch wenigstens schon nach 5 Jahren der Urlaub erteilt und seine Höchstdauer auf 10 Tage festgesetzt werden. In Bischheim sind die Schmiede, die eigenes Feuerwerk haben, noch — schlecht gelohnt. Von einem Verband wird ferner die bessere Aus⸗ zessaltung der Pensionskasse B gewünscht. Die Wiedereinstellung der heservissen müßte erleichtert werden; es sollten wenigstens alle Reserpisten in den Werkstätten wieder eingestellt werden,. die mindestens ein Jahr lang por der Militärzeit in den Werkstätten gearbeitet haben. Wenn dig Arheiter sich an ihre Abgeordneten wenden, wird ihnen von gewissen Vorgesetzten, mittleren und oberen Beamten, direkt mit Entlassung gedroht; gegen ein solches Verfahren müssen wir schärfsten Protest einlegen. Die Arbeiter sind meistens nicht so schriftgewandt, daß sie mit ihren Wünschen, Beschwerden und Vor— ssellungen direkt an die Verwaltung gehen; der Chef der Reichs⸗ isenbahnverwaltung muß in dieser Beziehung gründlich Wandel schaffen. Die Besoldungsreform darf bei dieser Gelegenheit allerdings nicht ieder aufgerollt werden; die Wünsche und Bitten der Beamten sollten, soweit sich ihre Anträge als begründet erweisen, auf dem Wege der Zulage erfüllt werden. Eine große Anzahl Schaffner, Weichensteller, Vremfer, Heizer usw. müssen viel zu lange auf Anstellung warten; noch stärker ist die Verschlechterung des Avancements bei den Bahnhofsassistenten. Man hat früher eben viel zu viel An⸗ wärter angenommen; es gibt Zivilsupernumergre, die schon 1398 eingetreten sind und noch immer keine feste Anstellung haben. Auch die Dienstzeit ist für viele Beamtenkategorien viel zu lang, sie verlangen in dieser Beziehung denselben Schutz wie die Arbeiter. Manche Lokomotivführer haben über 14 Stunden lang effektiv Dienst. Wir bitten den Chef der Verwaltung, in eine ganz genaue Prüfung aller diefer Fragen einzutreten. Seit Beginn des Jahres ist die Ge— währung von Freifahrtscheinen für manche mittleren und unteren Beamtenkategorlen und für die Arbeiter ganz erheblich eingeschränkt worden; wir erwarten, daß das rückgängig gemacht und die Gewährung in der alten Weise gehandhabt wird.
(Schluß des Blattes.)
ohne möalich Crwägungen⸗
Der Schlußericht über die gestrige Sitzung des Hauses der Abgeordneten befindet sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
Dem Reichstag ist der Entwurf einer zweiten Er— gänzung des Besoldungsgesetzes zugegangen.
Wohlfahrtspflege.
Die Victoria⸗National⸗Invalidenstiftung für die In—⸗ validen vom Feldzuge 1866 und deren Hinterbliebene hat ihren (43.) Bericht über ihre Wirksamkeit in der Zeit vom 3. August 1909 bis dahin 1910 erstattet. In der genannten Zeit gingen 507 Unter⸗ stützungsgesuche ein, von denen nach Ausscheidung der nicht berücksichtbaren, 284 durch laufende oder einmalige Benilli⸗ gungen berücksichtigt, 33 an die Zweigvereine der Stiftung weitergegeben und 126 wegen mangelnder Hilfsbedürftigkeit, Unwürdigkeit oder aus anderen Gründen abgewiesen wurden. Das der Kaiser Wilhelm-⸗Stiftung gehörige Invaliden⸗ heim zu Neubabelsberg wurde wieder mit einem Jabreszuschuß unterstützt, wofür die Victoria⸗Stiftung als Entgelt 7 invalide Krieger, die den Feldzug von 1866 mitgemacht haben, in dem Heim unterbringen konnte. Die gesamten Einnahmen der Stiftung, ein⸗ schließlich der Zuwendungen ihrer Zweigvereine, beliefen sich auf 13 652 Se, die Gesamtausgaben auf 34202 S6. Der Mehibedarf wurde aus dem Vereinsvermögen, das sich im August 1910 auf noch 360 702 57 M belief, gedeckt. Unter Zugrundelegung der gegen⸗ wärtig zur Zahlung gelangenden laufenden Unterstützungen und des Lebensalters der Empfänger ist der Ausgabebedarf der Stiftung auf weitere zehn Jahre bis 1920 21 überschläglich ermittelt worden. Die Berechnung hat ergeben, daß nicht nur der Bedarf durch die in jedem Jahre zur Verfügung bleibenden Mittel gedeckt wird, sondern noch ein Ueberschuß von rund 169 000 ½ verbleibt, der genügende Mittel bietet, um die länger lebenden Invaliden von 1866 und deren Hinterbliebenen bis zu ihrem Tode in der bisherigen Weise unter⸗ stützen zu können.
Kunst und Wissenschaft.
A. F. Bei Beginn der ordentlichen Märzsitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie gedachte der Vorsitzende, Geheimrat Virchow des Todes zweier hochgeschätzter Mitglieder: des Assyriologen Dr. Messerschmidt und des Geheimen Medizinalrats Dr. Lucas. Vor Eintritt in die Tagesordnung erhielt das Wort der Professor Dr. Klaatsch aus Breslau, um gegen die Ausführungen Pro—⸗ sessor von Luschans in letzter Sitzung seinen abweichenden Standpunkt in Sachen der anthropologischen Stellung der Tas manier zu er⸗ klaͤren. Die Basedowsche Arbeit über diese Frage hält er für einen durchaus ernst zu nehmenden Versuch, die Abstammung des seit 35 Jahren ausgestorbenen Volkes zu ermitteln. Sie sei begründet auf sorgfältige Untersuchung des in der Zahl 36 vorhandenen gesamten Schädel⸗ materials von Tasmaniern unter Vergleichung mit 130 australischen Schädeln. Das Ergebnis der Basedowschen Untersuchungen, die auf nahe Verwandtschaft zwischen Tasmaniern und Australiern hinaus⸗— laufen, dünkt Professor Klaatsch gegenüber der Inanspruch— nahme der Tasmanier als Melanesier so unwahrscheinlich und hiermit unvereinbar nicht, da auch Australier und Melanesier sich doch nicht so fern stehen. Jedenfalls bringe die Basedowsche Veröffentlichung in der ihr beigefügten Zahlentabelle ein wertvolles Material. e fer von Luschan versprach, auf den Gegen⸗ stand in der Zeitschrift der Gesellschaft ausführlich zurückzukommen. — Den ersten Vortrag des Abends hielt der Professor Dr. Augustin Kraemer-Bannow über „»Die Hamburger Südsee-Expedition 1999/10 nach den Karolinen“. Es ist bekannt, so begann der Redner, von dessen Vortrag über Neu— Mecklenburg“ in der Gesellschaft für Erdkunde in Nr. 291 v. 12. Dezbr. v. J. berichtet worden ist, daß nach der Gründung des Kolonialinstituts im Jahre 1908 in Hamburg beschlossen worden war, an der ethnographischen Erforschung der deutschen Kolonien tätigen Anteil zu nehmen. Ein
Ergebnis dieses Beschlusseß war der im Sommer 1909 aus⸗ eführte Plan einer gründlichen Untersuchung der Palau⸗ und ö Professor Kraemer befand sich, als die Auf⸗ forderung zur Teilnahme an dieser Expedition an ihn erging, in Gesellschaft seiner Gattin als derzeitiger verantwortlicher Leiter der nach dem Tode von Dr. Stephan verwaisten Marineexpedition in Neu⸗ Mecklenburg. Er zögerte nicht, dem an ihn ergangenen Rufe zu folgen, zumal n, die Forschungen in Neu⸗Mecklenburg zu einem gewissen Abschluß gelangt waren, und vereinigte sich mit der Hamburger Expeditlon, die am 1. Juli 1909 auf dem Dampfer „Peiho“ Hongkong verlassen hatte, auf den Palau⸗Inseln. Das Personal der Expedition bestand einschließlich Frau Professor Kraemer aus 12 Personen. (Der durch große Umsicht in den schwierigen Ge⸗ wässern der Karolinen ausgezeichnete Kapitän der ‚Peiho“ wird dem⸗ nächst das Schiff führen, das die bevorstehende deutsche Südpolar— expedition zur Antarktis bringen soll) Es war keine geringe Auf⸗ gabe, welche der Expedition gestellt war, „sämtliche bewohnten Inseln der Karolinengruppe zu besuchen“; denn die Zahl aller Inseln, allerdings einschließlich kleiner Felseneilande, die häufig nur mit üppigstem Baumwuchs bedeckt sind, beträgt etwa 500, einschließlich auch der häufig „Westkarolinen“ genannten Palau⸗Inseln, die unter 13290 östlicher Länge von Greenwich und 890 nördlicher Breite den Westflügel der Gruppe bilden. Erwägt man, daß das große „Deutsche Reich“ sich über sechzehn 64— 7? km voneinander entfernte Längen⸗ grade und 10 Breitengrade erstreckt, die Karolinen“' aber vom 132. zum 164. Grade, somit über 32 165 km voneinander entfernte Längengrade und zugleich über nahezu 10 Breitengrade bis nahe zum Aequator, daß also von der Insel Palau bis zur östlichsten Insel der Gruppe fast dreimal die Entfernung von Aachen nach Memel zu durchmessen ist, so erhält man einen Begriff von den auf diesem weiten Gebiet maßgebenden Entfernungen. Freilich überwiegt der Ozean darin in so hohem Grade das vorhandene Land, daß alle Inseln zusammen⸗ genommen nicht mehr als 1450 qkm messen und nur 4 je etwa 200 km erreichen, und man versteht es, daß die Auffindung der einzelnen Inseln in der großen Wasserwüste häufig ziemlich schwer ist, und beispielsweise eine davon, die zur Vollständigkeit des zu erstatten den Berichtes noch fehlte, lange Zeit überhaupt nicht gefunden werden konnte, bis es endlich gelang. Die Forschungsreise, welche den einzelnen bewohnten Inseln stets mehrere Tage des Besuches an Land, bis zu 16 Tagen, in einem Falle bis zu drei Wochen, widmete, verließ mit im allgemeinen östlichem Kurse die Palau⸗Inseln am 24. August 1909. Die Reiseroute wird ungefähr durch die Namen folgender Inseln, die nacheinander besucht wurden, bezeichnet: Ngulu, Jap (wo die landesübliche Münze der Mühlstein ist), Oleai, Lamutrkk, Truk (wo man den am 9. November fälligen Dampfer „Germania“ abwarteteR, Satawal, Namoi, zurück nach Truk, Ponape (wo man den Kaiserlichen Geburtstag feierte). Auch die östlichste und zwei ganz in der Nähe des Aequators gelegene, der Gruppe hinzuzurechnende Inseln wurden besucht. Von der Tätigkeit der Expedition wird demnächst das seiner nahen Veröffentlichung ent⸗ gegenreifende ausführliche Werk berichten. Es verspricht hochinter—⸗ essante und gründlichste Belehrung über Land und Leute. Der Redner erklärte indessen, man habe nicht zu erwarten, über die Insulaner wesentlich Neues und von dem erheblich Abweichendes zu erfahren, was im 18. Jahrhundert von ihnen ein französischer Reisender, und im 19. Jahrhundert Chamisso und Kotzebue berichtet haben, denn an Sitten und Gebräuchen, Vorstellungen und Beschäftigungen beginnt erst die neueste Zeit zu rütteln. Es sei deshalb auch höchste Zeit gewesen, den gegenwärtigen, vermutlich bald Aenderungen er— fahrenden Zustand festzulegen, sowohl in genauer Berichterstattung, als mittels photographischer und kinematographischer Aufnahmen. Fur erstere haben Professor Kraemer und seine Gattin eine außerordentliche Tätigkeit entfaltet, ihre Zahl beträgt über 1100! Die zum Schluß auch vorgeführten kinematographischen Aufnahmen haben an der Schärfe, wodurch die Kraemerschen Photographien sich auszeichnen, durch die Länge der Zeit zwischen Aufnahme und Entwicklung der Films verloren. Immerhin gaben sie gute Vorstellungen von den Beschäftigungen der Eingeborenen (z. B. der von ihnen geübten Weberel und Holz— bearbeitung), ihrer Geselligkeit, ihren Vergnügungen, Spielen und Tänzen. Als interessanter und erfreulicher wurden von den Hörern jedenfalls die nicht viel weniger als hundert Photographien und die zu ihnen gegebenen Erläuterungen eingeschätzt, welche, Professor Kraemer in schneller Folge vorführte. Ueberaus zahlreich waren darunter die Eingeborenentypen vertreten: Männer, Frauen und Kinder. Sie ließen vor allem mit Befriedigung erkennen, daß wider⸗ natürliche Verzerrungen und Entstellungen, wie das Beladen der herabgezerrten Ohrlappen mit Schmuck, große Ausnahmen sind, wie es scheint, von dem jungen Nachwuchs sogar gemieden werden. Bei der großen Ausdehnung des Gebiets der Inselgruppe erscheint es auch nicht zu verwundern, daß sich beträchtliche Verschiedenheiten augenfällig ergeben, sowohl in der schlichten Gewandung und Tracht, als im Bau und in der Einrichtung der hochgiebeligen, durch Schnitzwerk häufig verzierten Häuser. Die Unterschiede sind jedoch nicht so groß, als sie sein müßten, wenn gar keine Verbindung zwischen den so weit von einander geschiedenen Inseln des Archipels bestände und seit lange bestanden hätte. Solche Verbindung besteht jedoch, denn die Ein— geborenen der Karolinen sind ebenso geschickte Schiffbauer als kühne Seefahrer, ja es scheint, da auch viel weiter reichende Verbindungen der mikronesischen Bevölkerung der Karolinen mit anderen entlegeneren Inseln der Südsee bestehen. So ist die Kawabereitung auf den Karolinen so gut bekannt wie auf Samoa, und manche andere eigenartige Sitte mindestens über alle Inseln der Gruppe verbreitet, wie die Sitte der Totenbestattung Er⸗ wachsener in schweren Holzsärgen in der See, während die Kinder auf besonderen Kinderfriedhöfen auf dem Lande beerdigt werden. Im all— gemeinen ist von den Eingeborenen der Karolinen zu sagen, daß sie auf einer höheren Kulturssufe stehen als viele andere Insulaner der Südsee, und daß sich hübsche Männer und Frauen nicht selten finden. Gar nicht weit liegt die Zeit zurück, daß tüchtige Häuptlinge bei ihren Stammesgenossen beinahe königliches Ansehen genossen und daß eine gewisse Rltterlichkeit der Männer häufiger in die Erscheinung trat, als es jetzt geschieht, wo das Streben nach Erwerb mehr in den Vordergrund zu treten beginnt.
Auf den mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag Professor Kraemers folgte ein Bericht von Dr. K. Th. Preuß über Die Opferblutschale der alten Mexikaner, erläutert durch die heutigen Cora-⸗Indianer“: Es ist aus der Geschichte der Eroberung Mexikos durch Cortez bekannt, daß die Priester der Azteken die 6 Grausamkeit an den Gefangenen begingen, ihnen das Herz aus dem 5 und es noch dampfend den Göttern als Opfer darzubringen. Die Darbietung geschah auf kunstvoll hergestellten und verzierten Schalen, deren sich mehrere in mexikanischen Sammlungen erhalten haben. Es ist nun dem Vortragenden auf seinen Forschungsreisen in Mexlko begegnet, daß er bei dem Stamm der Cora⸗Indianer, die in der Provinz Tepic am Stillen Ozean in sehr entlegener Gegend hausen, solche Schalen noch in verschiedenen Exemplaren fand. Sie tragen ausnahmslos das für sie ganz en eff sogenannte Ollizeichen (in dessen ein⸗ fachster Form zwei im rechten Winkel, gebogene Hölzer, etwa dem Winkelmaß der Tischler gleichend, die so übereinander geschoben sind, daß sie in der Mitte eine quadratische Oeffnung freilassen) und werden auch heute noch als Opferschalen, freilich von tierischen Herzen und Lebern benutzt; denn diese Cora— Indianer hängen, obgleich offiziell selt lange Christen, ihren Feidnischen Gebräuchen noch unverhrüchlich an und veranstalten ohne sonderliche Heimlichkeit heute noch Feste im Urwalde oder auf Wald⸗ blößen, bei denen den alten Göttern Brandopfer dargebracht werden, namentlich dann, wenn nach langer Trockenheit Regen von ihnen zu erflehen ist. Dr. Preuß ist es gelungen, an solchen Festen nicht nur teilzunehmen, sondern auch Photo— graphische Aufnahmen von ihnen zu fertigen. Er zeigte mittels des Bildwerfers mehrere Blätter davon vor, die ebenso wegen der dar⸗ gestellten zeremoniellen Handlung und deren malerischer ie mg durch die tropische Natur als wegen ihrer besonderen Schönheit als
Leibe zu reißen
Photographien Beifall fanden. Br. Preuß erläuterte noch ausführlich
die symbolische Bedeutung der seltsamen, auf bestimmte Mythen sich beziehenden Verzierungen solcher Schalen, aus deren Uebereinstimmung mit altmexikanischen hervorzugehen scheint, daß in der vorkolumbischen Zeit auch zwischen Indianerstämmern, die sprachlich gar nicht ver— wandt waren, das Band eines gleichartigen Götterkultus bestand.
Literatur.
Von der bekannten Sammlung wissenschaftlich⸗ gemeinverftänd⸗ licher Darstellungen, die unter dem gemeinsamen Titel Aus Natur und Geisteswelt“ im Verlag von B. G. Teubner in Leipzig erscheinen, liegt wieder eine Reihe neuer oder in neuer Auflage herausgegebener Bändchen vor. Auf einige sei hier kurz hingewiesen. Das Bändchen ?, in dem J. W. Bruinier „Das deutsche Volkslied“ behandelt, konnte bereits in 4. umgearbeiteter Auflage erscheinen. Das mit warm⸗ herzigem Verständnis geschriebene Büchlein geht von der Pflege des deutschen Volksliedes in der Gegenwart aus, behandelt dann das Wesen des deutschen Volksgesangs, Echtes von Unechtem scheidend, beleuchtet das Verhältnis von Kunstlied und Volkslied, um dann vom Ursprung des deutschen Volksgesanges, vom Preissingen der alten Germanen, vom Skop und Spielmann, von älteren und jüngeren Heldengesängen zu berichten. Anschließend bietet der Verfasser einen Ueberblick über die Entwicklung des geschichtlichen und des geistlichen Volksliedes, um sich eingehender der Märe, dem erzählenden balladen⸗ mäßigen Spielmannsliede, zuzuwenden, dessen Kunst und Stil erörtert wird; endlich wird die Poesie des „Schreibers“ (des Studenten) und die des „Reiters“ (Soldaten) eingehend behandelt. Die einzelnen Abschnitte des klar und anregend geschriebenen Büchleins sind mit gut gewählten Proben aus dem Schatz des deutschen Volksliedes trefflich ausgestattet.
Auf literarisch⸗kulturgeschichtliches Gebiet führt auch das 293. Bändchen, in dem eine von Anna Grundtvig besorgte deutsche Uebersetzung einer Schrift des Dozenten an der Universität in Kopen⸗ hagen Dr. Veld⸗Vedel über Ritterromantik geboten wird. Datz Büchlein bildet den zweiten Teil einer kleinen, „Mittelalterliche Kulturideale“ betitelten Reihe von Schriften, die die Haupttypen des mittelalterlichen Geisteslebens zu kennzeichnen beabsichtigen. Es zeigt, wie die ritterliche Kultur, die an fürstlichen und adeligen Höfen Frankreichs und Deutschlands im 12. und 13. Jahrhundert blühte, aus dem aristokratischen, geselligen Hofleben emporwuchs und wie wesens⸗ verwandt sie mit jenen Kulturformen ist, die wir auch sonst an Höfen und in aristokratischen Gesellschaftskreisen aufblühen sehen. War im ersten Teil der kriegerische Gesellschaftstypus behandelt, so behandelt der vorliegende das Kulturideal, das sich in der Troubadourerotik und in den Ritterromanen offenbart. Wie dort der kriegerische Gesell— schaftstppus, so wird auch hier das höfische Rittertum weniger in seiner geschichtlichen Wirklichkeit, als in seiner idealen Selbstabspiege lung, in seiner dichterischen Selbstverklärung geschildert. Andererseits wird diese ritterliche Kultur des Mittelalters zeitpspchologisch als aus geprägt romantisch bestimmt. Als romantisch läßt sich deshalb auch die Dichtung jener Zeit bezeichnen. Der Verfasser legt dann dar, wie ihre Stoffe und Motive aus antiken und christlichen, aus keltischen, byzantinischen und orientalischen Bestandteilen zusammengewebt sind, wie ihre Ehrmoral und ihre Gefühlsweichheit, ihre Auffassung von Weib und Liebe aus mehreren Quellen zusammenfließen, und wie alle diese verschiedenartigen Elemente sich bald zu nur barocken Legierungen, bald aber auch zu organischen Neuschöpfungen verbinden. — In zwei weiteren Bändchen sollen die klösterliche Kultur und die bürgerlich⸗ städtische Kultur des Mittelalters darstellt werden.
In 328. Bändchen endlich behandelt Dr. Hermann Diez de Zeitungswesen, das er zunächst in seiner vielgegliederten Ver⸗ breitung statistisch zu erfassen und sodann in seiner kulturellen Bedeu⸗ tung kritisch zu würdigen unternimmt. Einleitend wird eine Geschichte des Zeitungswesens bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts geboten, ein zweiter Abschnitt behandelt dann die Presse der Gegenwart. Im dritten, kritischen Teil würdigt der Verfasser schließlich die Presse als sozial politischen Faktor, in ihrem Einfluß auf das Staatsleben, als Geschichts⸗ quelle, ihren Zusammenhang mit dem geschäftlichen Leben und ihren Einfluß auf die geistige Kultur überhaupt. Das Büchlein, das sich im wesentlichen nur mit den Preßverhältnissen in Deutschland beschäftigt, ist nicht nur mit einer eingehenden fachmännischen Kenntnis des eigent⸗ lichen Zeitungsbetriebes geschrieben, sein Verfasser verfügt vielmehr auch über einen objektiv⸗kritischen Blick, der ihn in den Stand setzt, die Vorteile und Nachteile, die unserem stagtlichen und kulturellen Leben aus der Presse erwachsen, richtig einzuschätzen und darzulegen. Man kann der Schrift daher recht viele Leser wünschen, zumal über das Zeitungswesen in den weitesten Kreisen auch des gebildeten Publikums eine ebenso auffällige wie bedauerliche Unkenntnis herrscht.
— Von der zweiten Folge Farbiger Tierbilder von Wil⸗ helm Kuhnert, die der Verlag von Martin Oldenbourg in Berlin herausgibt und zu denen Oswald Großmann den Text liefert, liegen jetzt die Hefte 3 und 4 vor. Sie enthalten trefflich beobachtete Bilder vom Mohrenkopfpapagei, Dachs, Riesenreiher, Schreiadler, roten Flußschwein, Schabrackentapir, Eisvogel, Vielfraß, Mandschuren⸗ kranich, der Kuduantilope und dem roten Rüsselbär. Der Preis des einzelnen Heftes beträgt 2,50 66. Im Abonnement kostet jedes Heft der auf 10 Hefte berechneten Folge 2 (.
— Von dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm ist soeben die erste Lieferung des 14. Bandes erschienen (Verlag von S. Hirzel in Leipzig). Sie enthält die Wörter Weh bis Wehr und ist von Dr. A. Götze bearbeitet. Im Druck befinden sich die 12. Lieferung des 4. Bandes (G), die 8 Lieferungen des 10. und 12. Bandes (8 u. V), sowie die 10. Liefe rung des 13. Bandes (W).
— Süd- und Mittelamerika. Illustrierte Halbmonats⸗ schrift für das Deutschtum und die deutschen Interessen in Süd⸗ und Mittelamerika und Mexiko. Herausgegeben von Dr. P. Traeger, Berlin 8W. 11. — Aus dem Inhalt der vorliegenden Nummer 5 erwähnen wir folgende größere Arbeiten: Die Kursfixierung in Brasilien. — Telefunken in Süd- und Mittelamerika. — Der Staats⸗ streich in Paraguay. Von Legationsrat Dr. Olshausen. — Honduras oder das Versuchskaninchen amerikanischer Machthaber. Zur inner⸗ politischen Lage in Kolumbien. — Die Unruhen in Mexiko. — Steinkohlenlager in Chile. Im Urwalde. Aus einer deutschen Kolonie in Paraguay. — Die Mobilmachung in Nordamerika.
— Kosmos, Handweiser für Naturfreunde. Heraus⸗ gegeben vom „Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde“, Stuttgart. Jährlich 12 reich illustrierte Hefte mit den Beiblättern; Wandern und Reisen. Aus Wald und Heide. Photographie und Naturwissen⸗ schaft. Haus, Garten und Feld. Die Natur in der Kunst. 2,80 S. (Mitglieder erhalten die Zeitschrift nebst 5 Bänden der ordentlichen Veröffentlichungen für den Jahresbeitrag von 4,80 kostenfrei geliefert,. Mit dem vorliegenden Hefte beginnt die Zeit⸗ schrift ihren achten Jahrgang. Sie bringt allmonatlich gemeinver⸗ ständlich geschriebene, dabei aber wissenschaftlich einwandfreie . namhafter Autoren aus allen Gebieten der Naturwissenschaft, und ist bisher mit Erfolg bestrebt gewesen, sich von Einseitigkeit und Partei⸗ nahme für eine bestimmte Richtung innerhalb der Naturerforschung frei zu halten.
Theater und Musik. Königliches Opernhaus.
Im Königlichen Opernhause sang Arno Ackts, die berühmte, an der Pariser Großen Oper wirkende finnische Sängerin, als Gast die Titel parsie von Richard Strauß? „Salome“. Die Künstlerin ist in dieser Rolle, die sie zu ihren besten zählen darf, hier schon bekannt; sie gab sie vor zwei Jahren in der Gura-⸗Oper im Neuen Königlichen Operntheater, und die Anerkennung, die ihr damals gezollt wurde, kann man heute nur wiederholen. Wir haben die Salome hier schon schöner singen hören, besonders von Emmy Destinn; aber eine voll= kommenere Verkörperung der Prinzessin von Judäa als durch Aino Ackts ist kaum zu denken. Sie hat die Rolle zu einem Spezialstudium ge⸗ macht; die grausame Sinnlichkeit der orientalischen Königstochter
findet in ihrem Mienenspiel und in jeder Bewegung ihres schlangen⸗