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jorität auf Grund eingehender Erwägungen beschlossen hat. Die Kommission hat in die Reichsversicherungsordnung Bestimmungen aufgenommen, welche eine zweckmäßige Auswahl und Kontrolle der Angestellten der Krankenkassen und eine neutrale Führung der Verwaltung sicherstellen sollen. Das ist die Tendenz der Be⸗ schlüsse, die Ihre Kommission gefaßt hat. Sind diese Beschlüsse be⸗ rechtigt — und sie sind es meines Erachtens — so ist es selbstver— ständlich, daß das Einführungsgesetz dafür Vorsorge treffen muß, daß diese Beschlüsse nicht für die nächsten 25 Jahre auf dem Papier stehen bleiben, sondern daß sie, soweit notwendig, alsbald nach dem Inkrafttreten der Veisicherungsordnung in Wirksamkeit gesetzt werden können. Deswegen bedurften die von dem Herrn Abg. Hoch in seinen längeren Ausführungen beinahe ausschließlich kritisierten Bestimmungen der Artikel 29 ff. des Einführungsgesetzes keiner eingehenderen Begründung, sie finden ihre Begründung in den Beschlüssen der Kommission zu den betreffenden Paragraphen über die Krankenversicherung.
Nun hat aber der Herr Abg. Hoch eine ganz unzutreffende Vor— stellung von der Tendenz dieser Bestimmungen und von den Möglich⸗ keiten ihrer Anwendung. Wenn man die Ausführungen des Herrn Vor— redners gehört hat, dann könnte man glauben, es sollten nun beinahe sämtliche Beamten der Krankenkassen entlassen werden oder zum mindesten sämtliche Beamten, die der sozialdemokratischen Partei an⸗ gehören. Ja, meine Herren, wo steht denn das? (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Wie sollten wir das überhaupt machen? Es ist vorgesehen der Erlaß von Dienstordnungen, und diejenigen Beamten, die bei den Kassen bleiben sollen, müssen auf diese Dienst⸗ ordnungen verpflichtet werden. Die Angestellten der Kassen sind aber kraft Gesetzes in der freien Ausübung ihrer religiösen und politischen Anschauungen und Pflichten außerhalb des Dienstes geschützt. Ich halte es also für ausgeschlossen, daß etwa auf Grund der von dem Herrn Vorredner angefochtenen Bestimmungen in Zukunft brauch— bare, tüchtige und nützliche Beamte der Kassen entlassen werden. Es kommt dazu, daß doch die Kassenorgane selbst zunächst die Dienst⸗— ordnungen zu erlassen haben. Es ist doch nicht anzunehmen, daß eine Kasse sich brauchbarer und tüchtiger Beamter entäußert.
Es ist dann die Frage aufgeworfen worden, ob es berechtigt sei, die Beamten in ihren wohlerworbenen Rechten zu schädigen, inso⸗ welt es sich um vertragsmäßige Bezüge handelt. Nun, meine Herren, wenn Sie die Bestimmungen des Entwurfs ansehen, so werden Sie finden, daß zunächst durch die neue Dienstordnung die Bezüge festgestellt werden. Die neue Dienstordnung, die, wie gesagt, die Kassenorgane selbst aufstellen, wird schwerlich angemessene Beträge und angemessene Bezüge kürzen. Sie finden ferner, daß die Beamten unter allen Umständen für zwei Jahre Anspruch auf ihre bisherigen Bezüge haben, und daß weiter die Aufsichtsbehörde in der Lage ist, die bis⸗ herigen höheren Bezüge bis zum Ablauf des Vertrages weiter zu be⸗ willigen, wenn sie nicht ungebührlich hoch erscheinen.
Die verbündeten Regierungen haben geglaubt, daß in all diesen Bestimmungen eine hinreichende Sicherheit dafür liegt, daß wohl⸗ erworbene Rechte nicht verletzt werden, und daß nicht Verträge geändert und angegriffen werden, gegen deren Inhalt gewichtige sach— liche Einwendungen nicht zu erheben sind.
Wenn der Herr Abg. Trimborn der Meinung ist, daß man hin— sichtlich der Bezüge der Kassenangestellten vielleicht die Rechte der Beamten etwas umfangreicher schützen kännte, als das — ich will mal sagen nach der Fassung des Entwurfs — den Anschein hat, so würde ja darüber zu reden sein, wenn die an sich in Betracht kommenden Bestimmungen der Versicherungsordnung selbst in allen Punkten unverändert zur Annahme gelangen.
Nun, meine Herren (zu den Sozialdemokraten), Sie glauben, wir wollen sämtliche Beamten der bestehenden Kassen oder — der Herr Abg. Hoch scheidet ja grundsätzlich sozialdemokratische Kassen und andere Kassen —, also der sozialdemokratischen Kassen beseitigen. Meine Herren, wir denken gar nicht daran. Anlaß zu den Be⸗ stimmungen hier und in der Veisicherungsordnung sind doch schließlich vor allem die vielfach besprochenen Verträge gewesen (Abg. Hoch: die sind doch ungültig! — darauf werde ich gleich kommen —, Verträge, die zweifellos nach dem allgemeinen Urteil Bestimmungen enthalten, die mit den guten Sitten unvereinbar sind. Wenn in diesen Verträgen beispielsweise Bestrafungen wegen eines politischen oder religiösen De iktes oder die Verbüßung einer derartigen Strafe, ohne Rücksicht auf deren Dauer, ganz allgemein keinen Kündigungs⸗ oder Entlassungs⸗ grund abgeben dürfen, so werden mir die Herren zweifellos zugeben, daß das eine Abmachung ist, die auch nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts den guten Sitten zuwiderläuft (Lachen und Widerspruch bei den Sozialdemokraten) und infolgedessen, wie der Herr Abg. Hoch bereits ausgeführt hat, ungültig ist.
Meine Herren, nun würde man sich ja mit dieser Tatsache be⸗
zen können, wenn es sich um einen rein privatrechtlichen Vertrag
der zwischen zwei Privatpersonen zur Verfolgung und Sicher⸗
g ihrer Privatinteressen und Ansprüche geschlossen ist. Aber,
Herren, um was handelt es sich hier? Es handelt sich hier um
Vertrag, den eine Krankenkasse abgeschlossen hat zur Erfüllung
n ffentlichen Rechts auferlegter Verpflichtungen, einen „der nur mit den Mitteln der auf Grund reichsgesetzlicher Bestimmungen zur Versicherung verpflichteten Mitglieder der Kassen erfüllt kann. Aus diesen beiden Gründen ergibt sich die Frage, ob unter den gegebenen Verhältnissen die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts hinreichend sind oder ob nicht die Aufsichts behörde oder die Gesetzgebung das Recht und die Pflicht hat, ihrerseits Vor⸗ sorge zu treffen, daß solche Verträge nicht wieder geschlossen werden können, und Vorsorge zu treffen, daß solche Verträge, soweit sie be⸗ stehen, aus der Welt geschafft werden. Das werde aber ohne ein Eingreifen der Gesetzgebung nach Lage der Dinge kaum geschehen. Die Angestellten werden kein Interesse haben, sie anzufechten. Die Kassenvorstände, an denen es wäre, diese den guten Sitten zuwider laufenden Verträge anzufechten, werden dafür wenig Eifer zeigen, da sie selbst diese Verträge geschlossen haben, die Aufsichtsbehörde aber kann es nicht tun.
Meine Herren, das sind die Gründe, die die verbündeten Re gierungen mit Erfolg für diejenigen gesetzlichen Bestimmungen glauben ins Feld führen zu können, die wir Ihnen heute zur Annahme empfehlen.
Nun ist von seiten det Herrn Hoch eingewandt worden, es sei völlig undenkbar, daß im Wege des Gesetzes geltendes Recht, vertrag⸗ lich festgelegtes Recht beseitigt werden könnte. Ja, meine Herren, das ist doch nicht der Fall. Ich will mich hier auf Einzelheiten nicht einlassen;
werden
ih behalte mir vor, diese unsere Rechtsauffassung in der Kommission unter Berufung auf eine Reihe juristischer Autoritäten zu belegen. Ich möchte hier nur die Ausführungen eines angesehenen Privat- rechtslehrers wiedergeben, des Geheimrats Dernburg. Er stellt zunächst den Grundsatz fest, daß in der Regel eine rückwirkende Kraft der Gesetze nicht anzunehmen sei, und fährt dann fort:
Jedoch schließt dies eine Aufhebung bestehender Rechte in außer⸗ gewöhnlichen Fällen vermöge eines staatlichen Notrechts nicht aus, wenn die wirtschaftliche oder politische Entwicklung oder auch ethische und religiöse Ueberzeugungen eine solche Maßregel verlangen, und die fraglichen Privatrechte demgemäß nach meiner allgemeinen Ueberzeugung veraltet sind oder auf materiellem Unrecht beruhen. Was aber auch die materiellen Anforderungen an den Gesetzgeber sein mögen, formell ist er unbedingt befugt, seinen Gesetzen rück⸗ wirkende Kraft zu geben; denn niemand hat die Macht, über den Staat zu Gericht zu sitzen, wenn er sich dafür entscheidet, die Rechte der einzelnen zur Notwendigkeit des öffentlichen Wohles zu opfern.“
(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Das bestreiten wir auch gar nicht)!) — Ja, meine Herren, Sie bestreiten es nicht; ünd der Herr Hoch, der erkennt selbst an, daß es sich um vertragliche Bestimmungen handelt, die ungültig sind, weil sie den guten Sitten zuwiderlaufen, denn wir wollen doch nicht alle an sich zulässigen Bestimmungen dieser Verträge aus der Welt schaffen, sondern diese werden doch naturgemäß in die Dienstordnungen usw. der betreffenden Kassen wieder aufgenommen werden, also für alle Beamten weiter gelten. Es handelt sich lediglich darum, eine sichere Handhabe zu schaffen, aus den bestehenden Verträgen diejenigen Bestimmungen zu elimi— nieren, die den guten Sitten widersprechen, die mit den Zwecken der Kassen und mit der notwendigen Unparteilichkeit der Krankenversiche⸗ rung in Widerspruch stehen. Weiter soll durch diese gesetzlichen Be⸗ stimmungen nichts erreicht werden, und diesen Zweck können wir nur erreichen, wenn wir die Möglichkeit haben, jetzt durch die Vorschriften des Gesetzes diese Verträge aus der Welt zu schaffen.
Aber, wie gesagt, meine Herren, wenn es sich darum handelt, die Bestimmungen des Entwurfs in der Richtung zu prüfen, die der Herr Abg. Trimborn vorhin angegeben hat, so trage ich kein Bedenken, auf dieser Grundlage mit Ihnen in der Kommission zu verhandeln. Es liegt mir völlig fern, erworbene Rechte in einem weiteren Umfange zu beschränken, als das nach den eben von mir gemachten Ausführungen unerläßlich ist.
Nun, meine Herren, möchte ich noch mit wenig Worten auf einige andere Ausführungen des Herrn Abg. Trimborn eingehen. Der Herr Abg. Trimborn hat den Wunsch, eine rückwirkende Kraft der Hinterbliebenenversicherung in dem Umfange zu statuieren, daß die in der Zeit vom 1. Januar 1910 bis 1. Januar 1912 eingetretenen Fälle von Ansprüchen auf Hinterbliebenen versicherung, die hätten berücksichtigt werden müssen, wenn das Gesetz bereits am 1. Januar 1910 in Kraft getreten wäre, auch durch das Gesetz berücksichtigt werden. Meine Herren, wir haben von seiten der verbündeten Regierungen diese Frage eingehend ge⸗ prüft. Wir sind zu der Auffassung gekommen, daß zweifellos der §z 15 des Zolltarifgesetzes einen Rechtsanspruch auf eine derartige Berücksichtigung nicht enthält, sondern es kann sich höchstens um einen Billigkeitsanspruch handeln. Aber wenn man auch nur einen Billigkeiteanspruch anerkennt, so darf man immer nicht vergessen, daß das, was in dem 8§z 15 des Zolltarifgesetzes versprochen war, nicht das ist und weniger ist als das, was auf Grund der Reichsversicherungsordnung den Hinterbliebenen ver⸗ storbener Arbeiter geboten wird.
Nun kommt ferner dazu, daß es außerordentlich schwer sein würde, nachträglich überhaupt die Fälle festzustellen, in denen rückwirkend eine Hinterbliebenenversorgung einzutreten habe. Dem sitehen erhebliche technische Schwierigkeiten gegenüber. Wir werden uns ja hierüber in der Kommission noch unterhalten können.
Es kommt endlich hinzu, daß für diese Mehrleistungen Mittel aufgewendet werden müssen, die nach sorgsamer Berechnung uns und den Versicherungsträgern nicht zur Verfügung stehen; und die ver⸗— bündeten Regierungen haben mich mit der bestimmten Weisung hier in den Reichstag geschickt, allen weiteren Belastungen des Reiches, aber auch allen weiteren Belastungen der Produktion entgegen⸗ zutreten, die eventuell hier im Reichstag beschlossen werden könnten. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten und links.)
Ich kann unter diesen Umständen nicht in Aussicht stellen, daß die verbündeten Regierungen über das hinaus gehen würden, was sie bereits konzediert haben; und, meine Herren, ich bitte, nicht zu ver⸗ gessen, daß in der Anrechnungsfähigkeit der vorgesetzlichen, geringeren Invalidenbeiträge tatsächlich ein starkes Entgegenkommen der ver— bündeten Regierungen gerade in der Richtung der rückwirkenden Kraft der Gesetze gegeben ist.
Was mm endlich die von dem Herrn Abg. Trimborn vorgetragenen Wünsche hinsichtlich der den verbündeten Regierungen gegebenen Voll— macht über den Erlaß weiterer Ausführungevorschriften betrifft, so hat der Herr Abgeordnete ja selbst schon anerkannt, daß wir einer der⸗ artigen Blankovollmacht kaum werden entbehren können; denn wir können nicht alle Einzelheiten übersehen, in denen etwa der Erlaß von Aus⸗ führungsbestimmungen notwendig sein könnte. Daß wichtige, weit— tragende Fragen außer acht gelassen sein sollten bel dem Entwurfe, glaube ich nicht, aber ich würde für meine Person keine Bedenken gegen eine Vorschrift haben, wonach derartige vom Bundesrat erlassene Uebergangsbestimmungen dem Reichstage alsbald mitzuteilen sind. Ob es zweckmäßig ist, sie von der nachträglichen Zustimmung des Reichstags abhängig zu machen, ist mir zweifelhaft, da es sich ja unter allen Umständen nur um vorübergehende Anordnungen handeln kann.
Abg. Horn-Reuß (nl. ): Die Vorlage hat mit den materiellen Fragen, die in der Reichsversicherungsordnung geregelt werden, nur äußerlich zusammenhang. Die Gefahr, beide Vorlagen miteinander zu verwechseln, liegt sehr nahe, und der Abg. Hoch ist offenbar unter⸗— legen, namentlich in bezug auf die Lage der Krankenkassen⸗ angestellten. Wir werden bestrebt sein, unsere Entschließungen nach Gerechtigkeit, Billigkeit und mit Wohlwollen gegen die Kassen⸗ heamten zu freffen. Grundsätzliche Bedenken haben wir gegen den Entwurf nicht, auf Einzelheiten werden wir in der Kommission ein⸗ gehen. Aus dem Wortlaut des Art. 13 leiten die Beamten der Schiedsgerichte die Befürchtung her, daß sie nach 2 Jahren wieder verfügbar sein werden. Ich halte diese Befürchtung nicht für be⸗ gründet, aber vielleicht könnten wir in der Kommission eine Sicher⸗ stellung vorsehen. Bei der Anregung des Abg. Trimborn ist auf die hohe finanzielle Belastung Bedacht zu nehmen. In der Kommission wird auch diese Frage zu erörtern sein.
Abg. Behrens (Wirtsch. V Er. Die Befürchtung, die die Be⸗ amten der Schiedsgerichte hegen, ist in zahlreichen Petitionen, nament- lich aus Thüringen, zum Ausdruck gekommen, die auch mir zugegangen sind. Ich halte sie für berechtigt, und es wird in der Kommission eine günstigere Fassung des Art. 13 zu suchen sein. Die Frage der sozialdemokratischen Vorherrschaft in den Krankenkassen ist schon aus— giebig genug erörtert; es könnten doch nur dieselben Reden wieder gehalten werden. Wir wollen durchaus nichts unternehmen, was irgendwie in wohlerworbene Rechte eingreift, aber wirklichen Miß⸗ staͤnden, die sich in der Praxis gezeigt haben, wollen wir entgegentreten. Sozialdemokiatische Interessen mögen vielleicht auf dem Spiele stehen, aber die berechtigten Interessen der Arbeiter werden nicht be—⸗ rührt, sonst wären wir die ersten, die dagegen Protest erhöben. Selbst unter den sozialdemokratischen Arbeitern ist die Entrüstung nicht so groß, wie es hier der Abg. Hoch hingestellt hat. Man beurteist im Gegenteil die Sache sehr nüchtern dahin, daß die Kommission die Bestimmungen so getroffen hat, daß die Arbeiter⸗ interessen gewahrt bleiben. ;
Abg. Dove (fortschr. Volksp.): Wir kommen immer mehr dahin, daß wir in unseren Gesetzen nur die allgemeinen Richtlinien feststellen, die Ausführung aber den anderen Faktoren, dem Bundesrat und Kaiser⸗ licher Verordnung überlassen. Damit gewinnt der Bundesrat eine besondere Bedeutung, und um so mehr ist es unsere Aufgabe, im Gesetz dafür zu sorgen, daß die wesentlichen Grundsätze als unverrückbar festgelegt werden. Die ganze Tendenz der Reichsversicherungs ordnung
eht ja dahin, bei Gelegenheit der Zusammenfassung der verschiedenen zersicherungszweige und ihrer Ausgestaltung gleichzeitig das Element des staatlichen Einflusses erheblich zu stärken. Die Sozialdemokratie gerät dadurch in einen eigentümlichen Widerspruch. Denn die Tendenz, die öffentliche Gewalt zu stärken, entspricht dem Partei⸗ programm der Sozialdemokraten, andererseits aber bekämpft sie grundsätzlich die gegenwärtigen Organe der öffentlichen Gewalt. Wenn man diese Organe stärkt, so müssen allerdings Kautelen geschaffen werden, und da müssen die erheblichsten Bedenken auftauchen, ob die Regelung, wie sie in den Artikeln 20 bis 32 vorgeseben ist, in der Tat mit unseren Parteigrundsätzen und der Rechts— ordnung, an der wir festhalten zu müssen glauben, vereinhar ist. Der Sitgatssekretär hat als Grund für ein solches Eingreifen die Beschlüsse der Kommission zur Reichsversicherungs ordnung angeführt. Diese Bestimmungen bedürfen doch noch der Nachprüfung durch das Plenum, man kann sich obne weiteres auf diese Regelung nicht fest⸗ legen. Das Ziel ist aber allerdings durchaus billigenswert, ein Miß⸗ brauch der Krankenkassenorganisationen zu politischen Parteibestrebungen muß, verhütet werden. Ein anderes ist es aber dech, wenn man diese Bestimmung benutzt, um mit der Staatsgewalt in bestehende Ver⸗ träge einzugreifen. Der Staatssekretär meinte ferner, es verstießen diese Verträge gegen die guten Sitten. Der Verstoß gegen die guten Sitten ist aber im Bürgerlichen Gesetzbuch als Grund für die Nichtigkeit von Verträgen statuiert, und damit werden diese Verträge gleichzeitig auch unter den Schutz des Bürgerlichen Gesetzbuches gestellt. Daß die Verträge obne Entschädigung der Angeftellten aufgehoben werden könnten, ist keineswegs ohne weiteres gegeben. Bei der Verstaatlichung der Eisenbahnen sind die An⸗ gestellten der Privatbahnen entweder übernommen oder entschädigt worden. Auch das Verfahren bei der Entfernung eines Beamten wegen Unfähigkeit muß mit den gewöhnlichen Rechtsgarantien um— geben werden; der bloße Antrag des Kassenvorstandes oder des Ver⸗ sicherungsamtes genügt nicht, denn auch hier liegt die Gefahr des Mißbrauchs zu politischen Zwecken vor, und für den einzelnen handelt es sich doch dabei um eine Lebensfrage. Es muß nach Mitteln ge— sucht werden, die den Zweck des Gesetzes erreichen, ohne die bis— herige Selbstverwaltung der Krankenkassen im wesentlichen zu ge⸗ fährden, wenn ich auch nicht soweit gehe, das Gesetz als Ausnahme— gesetz gegen die Arbeiter zu bezeichnen. ;
Abg. Schultz (Rp.): Der Kollege Hoch hat ausgeführt, daß das Verfahren der Kommission bei Feststellung des Berichtes unerhört und eine Komödie gewesen sei. Ich verwahre mich und die Kommission gegen diesen Angriff. In der Kommision war der Voersitzenge aus— drücklich ermächtigt, die Sitzung schon etwa eine Woche früher an— zuberaumen, als sie wirklich stattgefunden hatte; ich habe nach Ein—⸗ bernehmen mit dem Bureau des Reichstags die Sitzung um 5 bis 6 Tage verschoben und hatte dabei nur die Befürchtung, daß man mir den entgegengesetzten Vorwurf machen würde, nämlich, daß ich, um meine Ferien nicht zu unterbrechen, die Sitzung hinausgeschoben hätte. Die Berichte sind eingehend beraten, und sehr erheb⸗ liche redaktionelle Aenderungen sind gemacht worden; auch haben die Parteigenossen des Abg. Hoch, die der Kommission angehörten, diese Komödie mitgemacht! Ich bin aufs äußerste über den von dem Kollegen Hoch erhobenen Vorwurf erstaunt. Er hat jeden falls seine Ferien nicht unterbrochen. Ueber die Vorlage sind aus den Kreisen der Arbeiterschaft selbst auch so anerkennende Urteile laut geworden, daß man die scharfe Kritik des Abg. Hoch nicht unbedingt gelten lassen darf. Die Bestimungen der Art. 29 bis 31 werden wir durchaus porurteilslos prüfen, hat aber eine Kasse mit einem Beamten einen Vertrag geschlossen, der sich als ein Mißbrauch charakterisiert, so mögen diese auch die Suppe allein ausessen, die sie sich eingebrockt haben. In diesem Sinne werden wir in der Kommission wirken.
Abg. Schmi dt-Berlin (Soz.): Die Berichte der Reichs⸗ versicherungsordnungskommission sind viel zu umfangreich, die Zeit war viel zu kurz, als daß sie eingehend hätten geprüft werden können; der Bericht über die Krankenkassen allein érforderte einen Tag zu seiner Verlesung. Auch standen wir einer so kompakten Mehrheit aus Konservativen, Zentrum und Nationalliberalen gegenüber, daß es gänzlich zwecklos ge— wesen wäre, zu versuchen, gegen sie bei der Berichtfeststellung noch etwas auszurichten. Unzweifelhaft geht aus der Vorlage hervor, daß die Absicht besteht, bestehende Verträge aufzuheben, dafür spricht auch die Argumentation, die wir soeben von dem Staats⸗ sekretär gehört haben. Um so schärfer müssen wir darauf achten, welche Machtbefugnisse wir in die Hände der Verwaltung legen. Wer bei der Formulierung der Vorlage eigentlich die treibende Kraft ist, steht fest: es sind die Scharfmacher, es ist der Zentralverband Deutscher Industrieller, der auf seiner jüngsten Berliner Versammlung sich dahin vernehmen ließ, daß der Referent des Reichkamts des Innern für die Vorlage sich mit ihm ausführlich darüber verstaͤndigt habe. Wenn jetzt betont wird, auch dieser Verband sei mit der Vorlage nicht zufrieden, so ist das als politischer Theaterdonner; man weiß ja, was dahinter steckt, auch wenn der Staatssekretär die ihm sehr erwünschte Gelegen⸗ heit freudig ergreift, diesen Theaterdonner hier zu verwerten. Das Zentrum hat lediglich politischer Zwecke wegen die Interessen der Arbeiter in dieser Frage preitgegeben. Wo haben sich denn etwa die christlichen Arbeiter über die sozialdemokratische Kassenverwaltung beschwert? Die hier vorgeschlagene Maßregel richtet sich gegen die gesamte Arbeiterschaft; sie öffnet der Willkür der Aufsichtsbehörde Tür und Tor.
Damit schließt die Generaldiskussion. Die Vorlage geht an die Reichsversicherungsordnungskommission.
Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aufhebung des Hilfskassengesetzes.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Delbrück:
Meine Herren! Es ist das dritte Mal, daß die verbündeten Re— gierungen mit einem Gesetzentwurf an Sie herantreten, der eine Aufhebung des Hilfskassengesetzes und die Unterstellung der Hilfskassen unter das Versicherungsaufsichtsgesetz in Aussicht nimmt. Der erste Entwurf hat dem Reichstage im Jahre 1905 vorgelegen. Er ist von der damaligen XIII. Kommission durchberaten und hat in allen wesentlichen Punkten die Zustimmung dieser Kommission ge— funden. Der Entwurf ist nicht zur Verabschiedung gekommen, weil der Reichstag aufgelöst wurde. Der folgende Entwurf ist in der ersten
nichts
Session der laufenden Legislaturperiode wieder vorgelegt worden, aber nicht zur Beratung gekommen.
Der jetzt vorliegende Entwurf unterscheidet sich von seinen Vor- gängern durch eine erheblich größere Einfachheit. Es scheiden nämlich aus dem Entwurfe im Vergleich mit den früheren diejenigen Be⸗ stimmungen aus, die sich auf die Beziehungen der Hilfskassen zur öffentlich⸗rechtlichen Krankenversicherung bezieben. Diese Bestimmungen sind in die Neichsversicherungserdnung über nommen und von Ihrer Kommission bereits gutgeheißen. Es bleiben also für den jetzt vorliegenden Entwurf lediglich zu regeln: erstens die Stellung der Kassen zu der Staatsaufsicht, zweitens ihre Verfassung, soweit sie nicht. durch die Reichsversicherungsordnung geregelt wird, und drittens die Verhältnisse derjenigen Hilfskassen, die für diejenigen Personen errichlet werden, welche der öffentlich rechtlichen Kranken⸗ versicherung nicht unterliegen, und die Verhältnisse der Zuschußkassen.
Meine Herren, wir schlagen vor, das Hilfskassengesetz aufzuheben. Man könnte ja die Frage aufwerfen, ob man die zweifellos bestehenden Mißstände ausräumen könnte durch ene Umarbeitung des bestehenden Gesetzes. Das würde aber lediglich darauf hinauskommen, die Be⸗ stimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes einzuarbeiten in das Hilfskassengesetz. Wir würden also an Stelle eines brauchbaren und leicht anwendbaren Gesetzes zwei Gesetze nebeneinander besteben haben, die im wesentlichen auf denselben Grundsätzen aufgebaut sind. Aus diesem Grunde ziehen wir die Aufhebung des Hilfskassengesetzes einer Umarbeitung vor.
Die Mißstände, die sich ja in hohem Maße bei der Handhabung dieses Gesetzes gezeigt haben, beruhen, wie sich immer mehr heraus— gestellt hat, auf dem System des Gesetzes. Die Zulassung einer Kasse kann nur versagt werden, wenn das Statut den ganz bestimmt vorgeschriebenen formalen Normativbestimmungen nicht entspricht. Sind diese Bedingungen erfüllt, so muß die Zulassung erteilt werden. Auch die Zuständigkeit der Aufsichtsbebörde zur Aufsicht über den zugelassenen Geschäftsbetrieb beschränkt sich lediglich auf die Prüfung, ob das Gebaren der Kassen den gesetzlichen Bestimmungen ent⸗ spricht. Ein diskretionäres Ermessen darüber hinaus ist weder der Zulassungs⸗ noch der Aufsichtsbehörde gegeben. Die Zulassungsbehörde ist nicht in der Lage, zu prüfen, ob der Geschäftsplan angemessen ist. Sie ist nicht in der Lage, zu prüfen, ob ein ausreichender Betrtebs— fonds vorhanden ist. Sie kann bei ihrer Entscheidung nicht Rücksicht nehmen auf die Zuverlässigkeit der leitenden Personen, sondern sie ist lediglich darauf beschränkt, zu prüfen, ob den formalen Vorschriften des Gesetzes über den Inhalt des Statuts genügt ist. Ebensowenig ist die Aufsichtsbehörde in der Lage, unter Zweckmäßigkeitsgesichts⸗ punkten irgendwie einzugreifen in die Verwaltung der Kassen und die Tätigkeit ihrer Organe. Sie ist also nicht in der Lage, das zu tun, was nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz eine der vornehmsten Auf— gaben der Aufsichts behörden ist, nämlich Mißstände zu beseitigen, durch welche das Interesse der Versicherten gefährdet wird oder der Geschäfts⸗ betrieb mit den guten Sitten in Widerspruch gerät.
Welcher Art diese Mißstände sind, will ich hier im einzelnen nicht ausführen. Ich möchte Sie bitten, das Material durchzusehen, das im Jahre 1906 seitens der verbündeten Regierungen vorgelegt worden ist und als Anlage 2 der jetzigen Vorlage wieder beigefügt ist. Das gibt ein deutliches Bild von den unerträglichen Zuständen, die unter der Herrschaft des jetzt geltenden Gesetzes eingerissen sind. Diese Zustände haben sich seit 1906 nicht gebessert, und sie können sich nicht bessern, solange die Bestimmungen des jetzt geltenden Rechtes bestehen bleiben.
Ich möchte nur
Verhältnisse auf eins
zur Illustration der jetzt bestehenden
binweisen. Es ist nicht einmal, sondern es ist oft vorgekommen, daß die Zulassungebebörde unmittelbar nach der Zulassung einer Kasse öffentlich vor dem Beitritt zu diesen Kassen gewarnt hat, weil sie der Ueberzeugung war, daß es sich um ein Schwindelunternehmen bandelt. Nun, meine Herren, ich hoffe, daß Sie durch die Beratungen der Kommission ebenso, wie das im Jahre 1906 der Fall gewesen ist, sich werden davon überzeugen lassen, daß ein Wandel hier nur geschaffen werden kann durch die Unterstellung der Hilfékassen unter das Versicherungs— aufsichtsgesetz, und daß unter der Herrschaft dieses Gesetzes sich die Kassen freier und erfolgreicher werden entwickeln können, als das bisher unter der mehr formal geregelten Aufsicht der Fall gewesen ist.
Abg. Trimborn (Zentr.): Mißstände sind erwiesen und sie sind allgemein ekannt. Ich brauche nur das Wort „Schwindelkassen ' zu nennen. ie heutige Vorlage ist in der Hauptsache eine Wiedergabe der früheren, wie sie die bürgerlichen 4. in der Kommission ge— faßt hatten. Trotzdem aber ist eine Rachprüfung in der Kommission angebracht. Ich beantrage Verweisung an die Kommission.
Ein Vertagungsantrag wird angenommen.
Vizepräsident Schultz schlägt vor, die nächste Sitzung morgen, Mittwoch, 1 Uhr, abzuhalten mit der Tagesordnung: Enischeidung über die Beschwerde des Abg. Severing, uber den am 4. April ihm erteilten Ordnungsruf; Rest der heutigen Tagesordnung, sämtliche vorliegende Berichte der Petitionskommission.
Zur Geschäftsordnung gibt der Abg. Severing (Soz.) folgende Erklärung ab: Den in meinen Ausführungen über die „Marine⸗Rundschau“ erhobenen Vorwurf der Lüge, der sich auch auf die unrichtigen Mitteilungen der Marine⸗Rundschau“ über die Geschichte der Heizerzulagen bezog, habe ich nicht gegen das Reichsmarineamt richten wollen. Gegen den Staatssekretär des Reichsmarineamts konnte ich den Vorwurf schon deswegen nicht richten wollen, als mir bekannt war, daß der Staatssekretär durch die Verhandlungen in der Zudgetkommissien und hier im Reichstage über den tatsächlichen Ursprung der Ab— striche an den Heizerzulagen unterrichtet sein mußte.
Vizepräsident Schultz: Ich habe annehmen müssen, daß Ihr Vorwurf der Lüge gegen das Marineamt gerichtet war. Hätten Sie damals wie heute durch eine einwandfreie Erklärung die Unrichtigkeit dieser Annahme klargestellt, so würde ein Anlaß zu einem Ordnungsruf nicht vorgelegen und ich würde Ihnen einen solchen nicht erteilt haben. Abg. Se vering (Soz.): Nach dieser Erklärung des Präsidenten ziehe ich meine Beschwerde gegen den Ordnungsruf zurück.
Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Vorlage wegen Aufhebung des Hilfskassengesetzes; Petitionen.)
Preuszischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. 64. Sitzung vom 2. Mai 1911, Mittags 12 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Auf der Tagesordnung steht die erste Beratung des bereits vom Herrenhause angenommenen Gesetzentwurfs,
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betreffend Abänderung der Gemeindeordnung für die Rheinprovinz vom 3. Juli 1845. 15. Mai 1856.
Abg. Linz (Zentr.) unterzieht den Entwurf einer eingebenden Kritik. Wenn irgend eine Provinz, so verdiente gerade die Rheinprovinz, mit der Selbstverwaltung etwas mehr bedacht zu werden, namentlich sollten sich die Staatsbehörden mehr befleißigen, der steigenden Ent⸗ wicklung dieser Prorinz mehr Rechnung zu tragen. Seit längeren Jahren habe man sich in der Rheinprovin; bemüht, eine Reform der Gemeindeordnung durchzusetzen, die gerechten Anforderungen entspricht; die Reform sei aber von den Behörden hinter verschlossenen Türen beraten worden. Wie der Entwurf jetzt vorliege, genüge er nicht; es sei nur zu hoffen, daß er in der Kommission eine Gestalt gewinnen werde, die ihn für die Rheinprovinz als annehmbar erscheinen lasse. In bobem Grade sei zu bedauern, daß durch die Vorlage den juristischen Personen, Aktiengesellschaften usw.', in den Gemeinde⸗ vertretungen ein zu weit gehender Einfluß gegeben werde. Gegen die Privilegierung der Industrie müßten sich seine Freunde ganz entschieden aussprechen. Die Regierungsvorlage habe für die Sitzungen des Gemeinderats nur eine beschränkte Oeffentlichkeit zugelassen, aber selbst diese habe das Herrenhaus abgelehnt. Das ( pital und die Kapitalsrente blieben bevorzugt, es bleibe große Anzahl von Privilegierten bestehen, insbesondere auch nach dem dorgeschlagenen Vertretungssystem, welches schwere B rufen müsse. Die Verdienste der Industrie würden dankbar anerkannt, aber der Privilegierung der Industrie mi durchaus widerstreben. Soweit die Industrie berechtig i, eine Vertretung zu fordern, werde ihr auch schon das heutige Rech und das heutige Wahlverfahren gerecht. Angesichts der statistis festgestellten starken Verschiebung der Bevölkerung wie des Werte det Bodenrente sei es um so bedenklicher, auch die Gewerbesteue allein als Kriterium für die Mitgliedschaft in den Gemeinde vertretungen zuzulassen. Den richtigen Grundsatz, die landwirt— schaftliche Bevölkerung als das stabile Element zu bevorzugen, da doch die Industrie gerade die Fluktuation der Bevölkerung bedinge, habe die Staatsregierung in ihrer ersten Vorlage noch selbst vertreten. Der Redner verliest die hierher gehörigen Vorschläge aus dem früheren Entwurf und die ihm beigegebene Begründung.) Ein weiteres Be— denken müßten seine politischen Freunde aus den neuen Bestimmungen über die juristischen Persenen herleiten; in zahlreichen Gemeinden würde damit eine Reihe neuer Vertreter, insbesondere auch der Industrie, in die Gemeindevertretungen ihren Einzug halten. Das sei ein viel zu weit gehendes Entgegenkommen gegen die Industrie. Der alte Wunsch, daß die Gemeinden ihre Bürgermeister selbst wählen können, sei leider auch in dieser Vorlage unberücksichtigt geblieben. Stichhaltige Gründe gegen diese Forderung ließen sich nicht vorbringen und seien auch nicht vorgebracht worden. Des Rätsels Lösung sei vielmehr darin zu finden, daß man den angeblichen klerikalen Einfluß beseitigen will. Hatten sich denn nicht die Männer, die dem Zentrum angehörten, eminent sachlich bewährt, hätten sie nicht jederzeit ihre Pflicht getäan? So werde gegen das Zentrum die Sturmfahne auf— gehißt: centrum esse delendum. Die katholische Bevölkerung stärke durch das Interesse für die christlichen Ideale auch die Autorität des — 4 z — ? Stagtes; darum könne es auch beanspruchen, daß es als vollkommen gleichwertig aufgenommen werde. Das Zentrum kämpfe um sein gutes Recht und werde seinen Standpunkt so lange betonen, bis auch am Ministertische eine andere Auffassung berrsche.
Minister des Innern von Dallwitz:
Melne Herren! Der Herr Abg. Linz hat zueist sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß die Königliche Staatsregierung nicht eine allgemeine organische Abänderung der rheinischen Landgemeindeordnung vorgeschlagen hat. Demgegenüber möchte ich darauf hinweisen, daß dieses hohe Haus im Jahre 1907 ausdrücklich gegenüber weitergehenden Anträgen folgende Resolution angenommen hat:
Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, in Erwägungen darüber einzutreten, inwieweit die Abänderung einzelner Be⸗ stimmungen der Landgemeindeordnung für die Rheinprovinz ge— boten ist.
Dieses hohe Haus hat daher im Jahre 1907 gegenüber weitergehenden Anregungen selbst die Marschroute festgelegt und gewünscht, daß von einer allgemeinen Revision, die allerdings nicht in so kurzer Zeit zu⸗ stande kommen könnte, abgesehen werden solle, und daß die Staats— regierung sich zunächst damit begnügen möchte, diejenigen Punkte herauszugreifen, bei denen ein sachliches Bedürfnis zu einer Abände⸗ rung unwidersprochen besteht, um eine Abänderung derselben vor— zuschlagen.
Demgemäß verfolgt der vorliegende Gesetzentwurf in erster Reihe den Zweck, die Unzuträglichkeiten zu beseitigen, die sich infolge der Einführung einer besonderen Gebäudesteuer in Verbindung mit dem Uebergreifen der Industrie auf das platte Land im Laufe der Jabre in sehr vielen Landgemeinden der Rheinprovinz bei dem Institut der Meistbegüterten herausgebildet haben. Der Herr Vorredner hat die Vorschläge, die nach der Richtung gemacht worden sind, nicht un— bedingt mißbilligt, aber doch ihre Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Ich glaube, wir werden uns wohl in der Kommission näher darüber unterhalten können. Dagegen hat er die Gewähr eines Stimmrechts an die jurististischen Personen oder, wle er sich ausdrückte, an die Industrie, in der Kategorie der Meistbegüterten, wenn ich ihn richtig verstanden habe, bekämpft. Ich glaube, daß er dabei doch von zum Teil nicht zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist. Er hat beispielsweise ausgeführt, daß das Vorrecht der Meisibegüterten den seßhaften Elementen einen Vorzug vor den fluktuierenden Elementen in den Gemeinden gerade im Gegensatz zur Industrie verschaffen solle; es werde diese Tendenz des Instituts der Meistbegüterten in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man jetzt der Industrie in der Klasse der Meistbegüterten ein Stimmrecht verleihe. Ich glaube, er übersieht, daß es sich hier nicht um die fluktuierenden Elemente der Industrie handelt, sondern um die juristischen Personen, die Erwerbsgesellschaften, die man unmöglich zu den fluktuierenden Elementen der Gemeinden rechnen kann; denn sie sind meines Dafürhaltens mindestens ebenso seßhaft, wie es die landwirtschaftliche Bevölkerung in der Regel ist.
Meine Herren, angesichts der Tatsache, daß in allen Teilen der Monarchie längst schon den juristischen Personen in den Landgemeinden ein Stimm⸗ und Wahlrecht zugebilligt worden ist, würde es als eine sachlich nicht gerechtfertigte Zurücksetzung und Unbilligkeit empfunden werden, wenn man jetzt bet der Revision der rheinischen Landgemeinde⸗ ordnung gerade den rheinischen Erwerbsgesellschaften, die vielfach zu Hauptträgern der Gemeindelasten geworden sind, ferner nech eine in beschränkten Grenzen gehaltene Mitwirkung in den Versammlungen und Verhandlungen des Gemeinderats vorenthalten wollte. Entspricht es aber der Billigkeit, den rbeinischen Erwerbsgesellschaften im Hin— blick auf ihre sehr erheblichen Leistungen für Gemeindezwecke eine beschränkte Mitwirkung im Gemeinderat einzuräumen, so muß, glaube ich, der Lösung, die in dem Entwurf vorgeschlagen ist, der Vorzug gegeben werden gegenüber der Einführung eines der beiden anderen Systeme, die innerhalb der Monarchle für die Teilnahme der juristschen Persenen an der Verwaltung der Gemeinden bestehen. Dann, wie in der Be—
1 . ö edenken bervor⸗ 22 vom Zentrum
gründung ausführlich dargelegt ist, würde die Einführung des für die
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Landgemeinden der östlichen Provinzen, von Schleswig ⸗ PVolstein und
Westfalen geltenden Systems vielfach zu einem einseitigen Uebergewicht der juristischen Personen zuungunsten aller sonstigen Wählerkategorien führen, während umgekehrt die Einführung des hessen⸗nassauischen Systems den Einfluß der juristischen Personen in zweckwidriger Weise auf ein Minimum reduzieren würde. Ich glaube daher, daß der Vor⸗ schlag der Regierungẽsvorlage, der einen Mittelweg bedeutet, doch wobl die Billigung dieses hohen Haufes verdient. Abgeseben von der Reform des Instituts der Meisibegüterten und der den Wünschen des Pro— vinziallandtags entsprechenden Einführung eines Stimmrechts für die Erwerbagesellschaften, abgeseben ferner von einigen mehr formalen Aenderungen sieht der Gesetzentwurf ferner noch vor die Beseitigung der Anomalie, daß in den Fällen wiederholter Beschlußunfähigkeit im Gemeinderat die Beschlußfassung des Kreisausschusses einzutreten hat. Zu elner weitgehenden Aenderung grundlegender Bestimmungen der Landzemeindeordnung lag nach Ansicht der Regierung ein prakiisches Bedürfnis nicht vor. Insbesondere stehen dem Wunsche des Herrn Abg. Linz, der demgegenüber das für die Bürgermeister geltende Er— nennungssystem durch ein Wablspstem ersetzen will, ganz erhebliche Bedenken entgegen.
. F 6 * 2886 Mar rSerimeistor Meine Herren, die Bezugnahme auf die städtischen Bůrgermeister und auf die Gemeindevorsteher in den anderen Provinzen kann in
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denn ganz abgesehen davon, ste äbl 12
diesem Falle nicht ausschlaggebend sein. daß in der Rheinprovinz die Gemeindevorsteber jetzt schon gewählt werden, während umgekehrt in Westfalen die Amtmänner nicht ge— wählt, sondern ernannt werden, ist doch durch die Stellung der rhei⸗ nischen Landbürgermeister das Amt dieser Bärgermeister von dem Amt der sonstigen Bürgermeister und Gemeindevorsteher so wesentlich ver⸗ schieden, daß ein Vergleich dieser ganz verschiedenen Beamtenkategorien nur in ganz beschränktem Maße zulässig erscheint. Die Hauptunter schiede beruhen darauf, daß der rheinische Landbürgermeister als solcher nicht der Vorsteher einer einzelnen Gemeinde ist, sondern eines mehr oder weniger großen Komplexes von Gemeinden, derart, daß in der Rbelnprovinz sogar bis zu 23 einem elnzigen Bürgermeister unter— stellt sind. Diese Unterschiede treten aber um so schärfer hervor, je stärker in neuerer Zeit in diesem hohen Hause das Bestreben sich geltend ge⸗ macht hat und geltend macht, die dem Landbürgermeister unterstellten Gemeindevorsteher in den kommunalen Angelegenheiten selbständig und unabhängig zu stellen. Das gilt z. B. von den erst kürzlich bei der Beratung des Zweckverbandgesetzes gefaßten Kommissionsbeschlüssen, nach denen die Vertretung der einzelnen Gemeinden im Verbands—⸗ ausschuß nicht durch den Landbürgermeister, sondern durch den Gemeindevorsteher erfolgen soll. Das gilt ferner auch von der Jagd—⸗ ordnung vom Jahre 1907, nach welcher Jagdvorsteher des gemein— schaftlichen Jagdbezirks nicht der Bürgermeister, sondern der Gemeinde⸗ vorsteher der Einzelgemeinde ist. Meine Herren, es ist aber auch deshalb nicht angängig, den rheinischen Landbürgermeister mit den städtischen Bürgermeistern und mit den Gemeindevorstehern in den anderen Provinzen zu vergleichen, weil der rbeinische Landbürgermeister eine in den andern Provinzen überhaupt nicht bekannte Zwischeninstanz zwischen dem Landrat und den zur Bürgermeisterei gehörenden Einzel— gemeinden bildet. Gerade diese eigenartige, ganz singuläre Stellung der rbeinischen Landbürgermeister zu den staatlichen Behörden einer seits und zu den Gemeinden andererseits in Verbindung mit den sehr weitgehenden, ihnen übertragenen staatlichen Funktionen läßt eine Aenderung der bestehenden Anstellungsmodalitäten für die Landbürger— meister nicht angängig erscheinen.
Eine Aenderung in der Stellung des Landbürgermeisters und in seinen Kompetenzen würde aber einen durchaus sachwidrigen und durch nichts begründeten Eingriff in die seit mehr denn 100 Jahren bestehende, in der Praxis vortrefflich bewährte Ordnung der Dinge bedeuten. Denn, wie von Herrn Abg. Linz vorhin schon sehr richtig ausgeführt worden ist, hat die rheinische Lokalverwaltung, wie sie sich unter der Herrschaft der noch aus der französischen Zeit übernommenen Bürgermeistereiverfassung nun einmal entwickelt hat, sich in der Praxis so außerordentlich bewährt, und sie ist so zweck⸗ mäßig und nützlich nach allen Richtungen hin, daß sie in vielen anderen As Muster dienen könnte. Aus reln theoretischen Gründen an diesen Verbältnissen zu rütteln, das würde mit den
n einer rationellen, auf sachliche Erwägungen und auf das
Gesetzgebung nicht wohl
Grundsãtze praktische Bedürfnis si stũtzenden vereinbar sein.
Der Herr erwähnt, daß in irgend einer verstanden habe, als Motiv Wahl der Landbürger⸗
Abg. Linz bat nun Zeitung, deren Namen ich nicht auch angeführt worden sei, daß die meister nicht opportun sei, weil eine gewisse Vetternwirtschaft sich herausbilden würde und weil zweitens ein Vordringen klerikaler Einflüsse befürchtet werde. Meine Herren, darüber, ob in ländlicher Bezirken, wie sie hier zum Teil in Frage stehen, tatsächlich die Sachlichkeit und die Unabhängigkeit des leitenden Beamten nicht besser gewahrt ist, wenn er auf Lebenszeit ernannt wird, als wenn er periodisch gewäblt wird, das kann dahingestellt bleiben, darüber können die Ansichten sehr wohl auseinandergehen; je kleiner die Ge meinde ist, umsomehr können derartige Abhängigkeiten sich entwickeln und von Einfluß auf die Leitung der Gemeinde oder der Gemeinden sein. Dagegen muß ich mit aller Entschiedenheit bestreiten, daß andere Gründe als die, die ich eben ausgeführt habe, mindestens f die Staatsregierung bei ihrer Absicht, es in dieser Beziehung bei
bestehenden Zustande bewenden zu lassen, obgewaltet haben.
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Abg. Oeckenroth (kons. : Wir haben schwerwiegende Bede gegen die Wahl der Bürgermeister aus den Gründen, die der R entwickelt hat. Eine Erweiterung der Selbstrerwaltüung? nur wünschen; wir haben in der Rheinprovinz noch verwaltung, die wir wünschen könnten. Die Stella vorstehers könnte selbständiger gemacht werden sitzende des Gemeinderats werden, wenn uch = meister das Recht erhalten muß, den Rerns ; könnte also den einzelnen Gemeinden mebr Seld nder mit dieser Frage bat der vorliegende Sefer Frage der Oeffentlichkeit der Verband ban keine endgültige Stellung die Oeffentlichkeit Gründe geltend e müssen. In der Kemmisstea erden! Reiter darüber verbandeln
t er Meist begüterten
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