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terroristisch bezeichnet worden, und die „Leipziger Neueste Nachrichten?
Vorwurf kann hier höchstens ethoben werden, wenn die Entlassung nicht früher erfolgt. Wenn in dem zitierten Falle der Entlassene dann hingeht und sich das Leben nimmt, so ist das sehr traurig, aber Ordnung mußte geschaffen werden, und es blieb nichts übrig, als den Mann zu entlassen. Konflikte sind in den Kassen äußerst selten gewesen, sie haben sich manchmal daraus er⸗ eben, daß ein Unternehmer einen Protegs unterbringen wollte. Müller hat in unverschämter Weise die Kassen beschuldigt, daß in ihnen Unterschlagungen vorgekommen seien. Die Betrügereien von Parteigenossen des Grafen Westary in den Kassen sind tausendmal zahlreich als die in unseren Reihen. Gerade Bürgerliche haben die Kassen zu selbstsüchtigen Zwecken benutzt. So ist es z. B. in Bielefeld geschehen, wo ein Kassenbeamter die Kassengeschäfte sozusagen in Entreprise hat; jetzt hat man ihn mit einem Jahresgehalt von 506 M abgefunden. Uns kommt es auf gute Kassenführung, nicht auf Parteistellung an; von einem Terrorismus kann in unseren Kassen nicht die Rede sein. Was speziell Leipzig betrifft, so ist die dortige Ortskrankenkasse in Verruf gebracht und als besonders
haben ihr die schärfsten Vorwürfe gemacht. Der . dixcktor ist kein Sozialdemokrat. Der Kassenvorstand hat die Leipziger Neueste Nachrichten verklagt, und der Redakteur wurde verurteilt. In zweiter Instanz kam ein Vergleich zu stande. Da der Bericht über diesen Vergleich gefälscht war, kam es zu einem zweiten Projeß. Die Leipziger Ünternehmer möchten, daß nur solche Leute Kaffenbeamte werden, die ihnen genehm sind, nach dem Motto; Wes Brot ich esse, des Lied ich singe. Der sozialdemokratische! Leipziger Srtskrankenkassenvorstand hat einstim mig beschlossen, aus seiner bisherigen strengen Neutralität im wirtschaftlichen Kampfe nicht herauszutreten. Es ist ihm gleichgültig, wie sich Line Beamten außerdienstlich politisch oder gewerkschaftlich betätigen. Das ist ein durchaus korrekter Stand- punkt. Zwei Leipziger Firmen und der Magistrat haben im Gegenteil inkorrekt gehandelt, indem sie die Maßregelung eines Beamten verlangten. Die Krankenkassen unter sozialdemokratischer Leitung haben sehr gut gewirtschaftet, die Rücklagen vermehrt, frühere ungünstige finanzielle Verhältnisse saniert. Es wird noch behauptet, die Unternehmer wären in den Kassen von den Arbeitern beschränkt, unterdrückt, zurückgedrängt worden. Diese Behauptung wird durch die Tatsachen widerlegt. (Der Redner sucht dies an Hand von Spezial fällen nach⸗ zuweisen und die in dem Müllerschen Buch angeführten Tatsachen richtig zu stellen. An dem Angriff gegen die sozialdemokratischen Kassen ist in der Tat nichts, was auch Arbeitgeber zugegeben haben. Ein Arbeitgeber in Crefeld, der wabrscheinlich ein Zentrumsanhänger und Vorstandsmitglied der dortigen Kasse ist, hat die Angriffe gegen die Kasse energisch zurückgewiesen, namentlich die gehässigen Angriffe gegen die Anstellungsverträge, die lediglich auf einer Verfügung des Handelsministers beruhen. Diese Verträge gelten für alle Kassen⸗ beamten, nicht nur für die Sozialdemokraten; sie sind nicht einseitig für diese gemacht worden. Die Verträge entstehen aus Notwehr egenüber den Hofmannschen Bestrebungen, die Krankenversicherung den ö anzugliedern. Da mußten die Kassen einschreiten, um ihre Angestellten möchglichst sicherzustellen, und wenn sie Lies getan haben, . sie nur ihre Pflicht getan. Es gehört in der Tat die Moral eines preußischen Junkers dazu, um den Ortskrankenkassen folche Dinge zu unterstellen, wie es der Graf Westarp getan hat. Die Leute, die die beanstandeten Verträge seinerzeit mit den Beamten und Organisationen abgeschlossen haben, haben in gutem Glauben ge⸗ handelt. Es handelte sich auch nicht um 750 Kassen, die Vertrage abgeschlossen haben, wie Graf Westarp es darstellte, sondern um 750 Einzelverträge, davon sind allein 150 in München abgeschlossen. Die Nationalliberale Correspondenz bat guch eine Reihe von Ver⸗ leumdungen gegen meine Partei erhoben. Wir haben sie aufgefordert, Namen zu nennen, sie wollte jedoch nur Vertrauensleuten Einblick in ihr Material gestatten. Nachdem mir auf telephonischen Anruf die Einsichtnahme gestattet war, erhielt ich am anderen Morgen eine schriftliche Antwort, daß die Einsicht einem Anhänger der Sozial⸗ demokratie leider nicht gestatiet werden könne. Auch dem Vorsitzenden der Zentrale für das deutsche Krankenkassenwesen Siemanowski, der, wenn überhaupt jemand, sicherlich legitimiert war, die Namen kennen zu lernen, wurde die Einsichtnahme verweigert. Es sei leider ver— gessen, die Bedingung zu erwähnen, daß die Nennung der Namen nicht zu Racheakten fübren dürfe. Diese Bedingung sei aber als nicht vorhanden anzusehen bei Sozialdemokraten und solchen, die diefer Partei naheständen. (Große Unruhe und, lebhafte Zwischen⸗ rufe bei den Sozialdemokraten. So sieht die ganze national⸗ liberale Gesellschaft aus. Herr Möller vom Reichsberband, Graf Westarp und die Nationalliberale Parteikorrespondenz sind ein würdiges Trifolium. Der Block der Rechtsräuber, dem sich die Nationalliberalen ja jetzt angeschlossen haben, wird seine Politik fortsetzen, auch wenn ich noch stundenlang redete. Wenn Sie klug sein wollen, verhindern Sie die geplante Entrechtung jetzt noch, wenn Sie es aber nicht wollen, so wird auch diese Saat einst zu Ihrem Verderben reifen. -
Vizepräsident Schultz: Sie haben im Zusammenhang mit dem Namen des Grafen Westarp von der „perversen Moral der Junker“ gesprochen. Ich nehme an, ß Sie nicht den Grafen Westarp haben meinen wollen. (Zuruf des Abg. Eichhorn: Doch!) Dann rufe ich Sie hiermit zur Ordnung. ͤ
Es sind inzwischen drei Anträge auf namentliche Ab⸗ stimmung eingelaufen, 2 von den Sozialdemokraten und ein polnischer, der noch nicht genügend unterstützt ist.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Delbrück:
Meine Herren! Die verbündeten Regierungen haben Ihnen eine Reihe von Vorschlägen zur anderweiten Regelung der Verwaltung der Krankenkassen gemacht. Diese Vorschläge haben in Ihrer Kom⸗ mission nur zum Teil Billigung gefunden, sie sind zum Teil in nicht unerheblichem Maße geändert. Ich werde mir gestatten, nachher auf diese Veränderungen und die Stellung der verbündeten Regierungen
zu ihnen einzugehen.
Die Vorschläge, die wir gemacht haben, und die Beschlüsse Ihrer Kommission, die der Tendenz dieser Vorschläge gefolgt sind, sind namentlich auf der linken Seite dieses Hauses einer scharfen Kritik unterworfen worden. Man hat behauptet, der Entwurf wolle die Selbstverwaltung der Krankenkassen zertrümmern, und hat von einer Entrechtung der Arbeiter, ich glaube, auch von einer Entrechtung be— sonders der sozialdemokratischen Arbeiter gesprochen. Nun, meine Herren, prüfen wir doch einmal ruhig und unbefangen, inwieweit diese Kritik und die Vorwürfe, die in dieser Kritik gegen die Vorschläge der verbündeten Regierungen und gegen die Beschlüsse der Kommission gerichtet sind, begründet sind oder nicht.
Meine Herren, die Frage ist nicht dadurch zu lösen, daß man eine Unzahl von Einzelfällen für und wider anführt, deren Richtigkeit bier nicht kontrolliert werden kann und auch nicht kontrolliert werden soll; denn wir sind außerstande, hier im Reichstag eine solche Fülle von Details auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Aber, meine Herren, der Grund für die Vorschläge der Regierung liegt auch auf nem anderen Gebiet. Unsere Vorschläge und Entschließungen sind auf der gesamten Entwicklung, die das Krankenkassenwesen im Laufe eines Menschenalters genommen hat, aufgebaut, auf den allgemeinen Grundsagen aufgebaut, die für die Selbstverwaltung öffentlich recht ; licker Toerrorationen im Deutschen Reich und in den einzelnen Barderstaaten auf Grund einer langjährigen Entwicklung bestehen, uad allseitig als richtig anerkannt sind.
Meine Herren, ich sagte eben, unsere Krankenkassen besteben seit
Gestalt gegründet wurden, hatte man als Vorbild kleine, örtlich, beruflich begrenzte Kassen, wie sie sich in einzelnen Betrieben unter der Hand vorsorglicher und humaner Arbeitgeber entwickelt batten. Man hatte zum Vorbild Kassen, zu welchen sich gewisse kleinere Gruppen von Arbeitern zusammengeschlossen hatten. Man versuchte, die Aufgabe der Versorgung der Arbeiter mit Kur und Medizin in Krankheitsfällen zu lösen, indem man an diese Vorgänge anknüpfte. Das Krankenkassengesetz geht zunächst von der Idee aus, daß für einzelne Orte, für einzelne Berufe, für einzelne Betriebe eine Summe von kleinen Kassen entstehen sollte. Unter diesem Gesichtspunkte sind damals die Kassen organisiert. Meine Herren, was ist inzwischen eingetreten?
Das Wachsen unserer Städte, das Wachsen der Industrie und ihrer Betriebe, der Drang nach Vervollkommnung in den Leistungen der Kassen haben dahin geführt, daß die Kassenverwaltungen un⸗ ablässig auf eine Zentralisation der Kassen drängen, und zwar, wie ich ohne weiteres anerkenne, mit einem gewissen Recht. Je größer die Kasse, um so erfolgreicher kann bei sonst normalen Verhältnissen auch die Verwaltung sein. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wir haben also an Stelle einer Anzahl kleiner Gebilde große, leistungsfähige Kassen, die einen erheblichen Verwaltungsapparat er⸗ fordern. Meine Herren, diese Kassen haben sich — ob das gesetz lich zulässig war oder nicht, will ich dahingestellt sein lassen — zusammengeschlossen zu großen Verbänden, und sie bilden in dieser ihrer Organisation eine Macht, die das ganze deutsche Vaterland umfaßt, eine Macht, die zweifellos auch zu anderen Zwecken gebraucht werden kann als denjenigen Zwecken, die der Gesetzgeber beim Erlaß des Krankenversicherungsgesetzes im Auge gehabt hat. Also, meine Herren, die Verhältnisse, unter denen die Selbstverwaltung der Kassen geschaffen wurde, und die Verhält⸗ nisse, wie sie heute liegen, sind total verschieden (sehr richtig! bei den Nationalliberalen), und schon allein die Verschiedenartigkeit dieser Verhältnisse berechtigt und verpflichtet die verbündeten Regierungen und die gesetzgeberischen Faktoren des Reiches, überhaupt zu prüfen: ist die damals geschaffene Organisation noch den Verhältnissen ge⸗ wachsen, vor denen wir augenblicklich stehen.
Nun frage ich: was ist denn eigentlich Selb stverwaltung? Ich will es einmal dahin definieren, daß ich sage: Selbstverwaltung nach unseren augenblicklichen Begriffen ist die Befugnis öffentlich⸗ rechtlicher Korporationen, ihre Angelegenheiten durch selbstgewählte Organe nach allgemeinen, vom Gesetzgeber aufgestellten Normen zu verwalten unter möglichstem Ausschluß überflüssiger Eingriffe der Staatsgewalt und ihrer Organe. Aber eine Selbstverwaltung in diesem Sinne ohne elne Staatsaufsicht und ohne die Möglichkeit eines Eingreifens des Staats gibt es nirgends (sehr wahr! rechte), und sie ist undenkbar; denn große öffentlich⸗rechtliche Organisationen, die sich des Schutzes des Gesetzgebers erfreuen, bedürfen auch seiner Aufsicht, wenn nicht die Gefahr eintreten soll, daß sie für Zwecke gebraucht werden, die mit den allgemeinen öffentlichen Interessen und den Zielen des Staats unvereinbar sind und die in keinem Zusammenhang stehen mit den Aufgaben, die den Korporationen selbst gestellt sind.
Das, meine Herren, müssen Sie im Auge behalten, und aus diesen grundsätzlichen Erwägungen, die ich hier eben angestellt habe, ergibt sich ohne weiteres, daß die Selbstverwaltung in den verschie⸗ denen öffentlichrechtlichen Korporationen nach Art und Umfang eine sehr verschiedene sein muß. Sie ist verschieden mit Rücksicht auf die Größe, verschieden mit Rücksicht auf die Aufgaben, verschieden mit Rücksicht auf die Macht und auf die Bedeutung dieser Organisationen. Sie bedarf einer anderen Staatsaufsicht für die Städte, einer anderen für die Provinzen, einer anderen für die Kreise und einer anderen für die Fülle von öffentlichrechtlichen Kor⸗ poratlonen, die unser modernes öffentliches Leben kennt, für die mannigfachen öffentlichen Korporationen, die aufgebaut sind auf Grund unserer sozialpolitischen Gesetze. Es ist also an sich absolut nichts Merkwürdiges und Wunderbares, wenn heute der Gesetzgeber kommt und frägt: Sind die Bestimmungen über die Selbstverwaltung der Kassen, die wir seinerzeit geschaffen haben, nach unseren allgemeinen Verwaltungegrundsätzen mit Rücksicht auf die Entwicklung noch gerechtfertigt, die die Dinge inzwischen genommen haben?
Nun, meine Herren, die Konsequenz der Entwicklung, die ich vorhin schon geschildert habe, äußert sich vor allem in zwei Punkten. Der eine ist die Lage der Angestellten, und der andere die Möglichkeit eines vom Gesetzgeber nicht gewollten unzweckmäßigen Einflusses dieser Organisation auf öffentliche Angelegenheiten.
Was die Angestellten betrifft, so liegt die Sache ja klar. Kleine Kassen ohne erhebliche territoriale Ausdehnung, mit wenigen Mitgliedern konnten ihre Geschäfte im wesentlichen durch die ehren—⸗ amtliche Tätigkeit ihrer Mitglieder verwalten. Dementsprechend bat man selbstverständlich bei Erlaß des Krankenversicherungsgesetzes nicht daran gedacht, die Verhältnisse von Beamten zu regeln, die in großen Scharen mit nicht unbeträchtlichen Gehältern von Korporationen an— gestellt werden, wie sie unsere großen Krankenkassen heute darstellen. Jetzt liegen die Dinge so, daß wir Krankenkassen haben mit einer ganzen Beamtenhierarchie, mit einer Beamtenhierarchie, die nicht un⸗ beträchtlich bezahlt ist, einer Beamtenhierarchie, die durch die Art ibrer Tätigkeit geradezu dazu prädestiniert ist — ob mit Absicht oder ohne Absicht ihrer Auftraggeber, will ich hier völlig unerörtert lassen —, Träger aller möglichen politischen Bestrebungen zu werden, die in keinem Einklang stehen mit ihren eigentlichen Aufgaben. (Sehr richtig! rechts und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Und dem⸗ entsprechend, meine Herren, müssen wir, wenn wir die Verhältnisse dieser Beamten regeln, uns auf ähnliche Grundlagen begeben, wie bei der Regelung der Beamten unserer anderen Selbstverwaltungsorgane, beispielsweise der Städte und der Kreise. Sowie von öffentlichen Beamten, von städtischen Beamten, von Kreis, Kommunalbeamten die Rede ist — das erste Wort, das mir aus allen Teilen dieses hohen Hauses entgegenschallt, ist: wir müssen eine Garantie haben, daß diese aus öffentlichen Mitteln bezahlten Leute in absoluter Unabhängigkeit amtieren (Zurufe bei den Sozialdemokraten), und ihre Tätigkeit beschränken auf die ihnen unmittelbar zustehenden Aufgaben. (Zurufe bei den Sozialdemokraten Meine Herren, wir sind darin völlig einig. Sie können sich nicht darüber wundern, wenn die ver⸗ bündeten Regierungen kommen und sagen: nun, da sich die Verhält⸗
nisse in den Krankenkassen so entwickelt haben, so wollen wir diese
etea nem Menschenalter. Als die Krankenkassen in ihrer jetzigen
verständigen und nützlichen Grundsätze auch für die Verwaltung dieser
Kassen sichern. (Sehr richtig! rechts und bei den N liberalen. Zurufe bei den Sozialdemokraten. Meine dahin gehört in erster Linie eine Sicherstellung der Beamp
61 ; en gegen Einflüsse von innen und von außen. Wir woll verhindern, daß nicht das eintritt, was man den derbůndet Regierungen so häufig mit Unrecht zum Vorwurf na (Zurufe bel den Sozialdemokraten: mit Recht!), daß sie Beam maßregeln oder entlassen, weil sie sich politisch mißliebig genan haben. Wir wollen verhindern, daß nicht in Stellen, die eine gewiss Vorbildung und Sachkunde erfordern, Persönlichkeiten geschchen werden, deren Verdienste und deren Qualifikation nicht auf dem Ge. biete liegen (sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen) auf dem zu wirken sie berufen sind. (Heiterkeit und Zustimmung recht und bei den Nationalliberalen. Zuruf bei den Sozialdemokraten. 12 Jahre Rekrutendriller) — Das ist möglich, aber das kann ö geprüft werden. Es handelt sich ja hier garnicht um die Frage, Militzr, anwärtern Stellen zu reservieren. (Zurufe bei den Soꝛialdemolraten — Sie wissen, daß das nicht in der Veisicherungsordnung steht. De Herr Graf Westarp hat sich nur gegen die Vorwürfe gewandt, die man den Militäranwärtern von der linken Seite gemacht ho (Zurufe bei den Sozialdemokraten — Meine Herren, es handelt sich garnicht um die Frage der Militäranwärter, sondern es handelt sit, wie ich wiederholen muß, lediglich darum, daß die verbündeten Re. gierungen der Meinung sind, daß die ganze Entwicklung der Kranken kassen dahin geführt hat, daß man die Anstellungeverhältnisse ihn Beamten den Grundsätzen nahebringt, wie sie im ganzen deutschen Vaterlande für große Organisationen mit öffentlichrechtliche Charakter bestehen. Das ist das Ziel der Gesetzgebung, um das ist ein Ziel, das gerechtfertigt eischeint ohne jede Rö sicht darauf, ob die Summe der Vorwürfe, die e herüber und hinüberschwirren, in allen Einzelheiten und h vollen Maße begründet sind oder nicht. Aber, meine Hen daß ein Vorgang wie das vielerörterte Vertragsfor mln mindestens alle ernsten und überlegenden Menschen vor die Fe stellen muß: wenn solche Vertragsformulare aufgestellt und angewan werden können, ist es dann nicht an der Zeit, daß die Gesetzgebm Vorsorge trifft? (sehr richtig! rechts und Zurufe bei den Sof, demokraten: Aufsichtsbehörde) — darauf komme ich gleich — * derartige Vertragsformulare nicht angewendet werden? (Zurufe he bei den Sozialdemokraten. Meine Herren, es handelt sich um Re Anwendung von Vertragsformularen, von denen der Herr Abg. Heh neulich ausdrücklich anerkannt hat, daß der Inhalt dieser Formulm zum Teil ungültig ist, weil er im Widerspruch steht mit den guten Sitten. (Zurufe bei den Sozialdemokraten: Sie konnten es dech verhindern! Sie haben das Recht dazu) Meine Herren, wir wolln lediglich Vorsorge treffen, daß derartige Vertragsformulare in Zukunst nicht mehr zur Anwendung kommen können. (Zuruf bei den Sojal— demokraten.) — Ja, das ist in höchstem Grade zweifelhaft, ob ni kein anderes Gesetz brauchen. Wenn die Behörden in diesen Fälle nicht eingeschritten sind, so ist es geschehen, erstens einmal, weil nah Lage der Verhältnisse Jahre vergehen konnten und vergangen swm, bis wir von dem Inhalt dieser Verträge Kenntnis bekommen habe (Zuruf von den Sozialdemokraten: Die Behörden!) — Daß einzehe Aufsichtsbehörden davon gewußt haben, mag sein; wir, die wirg leitender Stelle verantwortlich sind für die Gestaltung der Din haben erst später Kenntnis davon bekommen. (Zuruf von den Son demokraten: Eine schöne Organisation) Zweitens kann gar n Zweifel darüber bestehen, daß die Möglichkeit der Aufsichtsbehönde in solchen Fällen einzugreifen, nach dem geltenden Recht eine aufe ordentlich beschränkte und unzureichende ist. Wenn wir also eint sind, daß die Anwendung derartiger Verträge mit den guten Sitia unvereinbar ist, kann man uns unmöglich den Vorwurf der schwen Ungerechtigkeit machen, wenn wir sagen, wir wollen Vorsorge treff im Gesetz, daß derartige Verträge mit allen dahin gehörigen Fer sequenzen nicht wieder vorkommen. (Bravo! rechts und in der Mitt Zuruf von den Sozialdemokraten) Auf die Entrechtung der Arbeite werden wir nachher kommen. Es handelt sich bei der Angestelltenfrage un weiter nichts als das festzustellen, was in unseren Städte, Kreik ordnungen, was im Kommunalbeamtengesetz steht, nämlich welche Rechte um welche Pflichten sollen diese Beamten grundsätzlich haben, was fü eine Qualifikation soll man von ihnen verlangen, unter welchen Un ständen sollen sie angestellt, unter welchen Umständen sollen sie en lassen werden, in welchen Fällen sollen sie Beamtenqualität hab in welchen Fällen sollen sie Beamtenqualität nicht haben. Da meine Herren, ist alles und das soll nach objektiven Gesichtẽ punk hier im Gesetz geregelt werden. Ich werde auf die Einzelheit nachher zurückkommen.
Und nun, meine Herren, die zweite Frage. Daz ist die Fragt des öffentlichen Interesses! Ich habe vorhin schon darm hingewiesen, daß Kassen von der Größe unserer jetzigen Kassenorgan sationen, der bestehenden Kassenverbände, mit der Macht dien Organisationen Staaten im Staate werden können, die in alle Der hältnisse der Familien, in alle Verhältnisse des einzelnen Abel hereingreifen können und die umgekehrt in der Lage sind, auf die c Wege einen Einfluß auf die öffentlichen Verhältnisse zu nehmer zweifellos vom Gesetzgeber ihnen nicht zugedacht gewesen ist t richtig! rechts5 und den ihnen der Gesetzgeber niemals ae konnte, als er ihnen diese freie, unbeaufsichtigte Organisatth fan. Wir wollen also verhindern, wir wollen eine Sicherheit haben, na nicht die Einrichtungen der Kassen für Zwecke gebraucht werden, Mu die sie nicht bestimmt sind.
Wenn die Herren hier mit einer Fülle von Einzelheiten nat. zuweisen versuchen, daß in diesen Fällen ein Mißbrauch nicht. stut gefunden hat, ja, meine Herren, ich bin nicht in der Lage zu prũfen, eh bie Angaben, wie sie hier gemacht sind, richtig sind. Darauf kemmt auch nicht an. Ich gebe den Herren ohne weiteres zu, daß in diele Fällen die Arbeiter die technische Seite der Kassenverwaltung elnmande. frei geführt haben mögen (hört! hört! bei den Sozialdemokraten), das mag möglich sein; in anderen Fallen — das haben Sie selber zugegeben sind auch in diesen Kassen Mißstände vorgekommen. (Zuruf von ᷣ Soßialdemokraten: Bei den Behörden nicht) Bei den Behörden abe gesetzliche Bestimmungen, die den Chef in die Lage versetzen, ebnen h amten, der sich Mißgriffe zu schulden kommen läßt, seine Pflicht n tut, in eine Stelle ju setzen, wo er ferner verwendet werden n oder ihn aus dem Dienste zu entfernen; und diese Möglichkeit, wir bei den Beamten haben, wollen wir aus naturnotwend Gründen auch bel den Kassen haben. (Sehr gut! in der 2 rechts) Also von einer Unbiliigkeit, einer Entrechtung der A
atlonel
; fänden beim besten Willen nicht gesprochen kann 36 . Sozialdemokraten: Wahlrecht) . will meinerseits nicht auf alle die Einzelheiten eingehen, . im Laufe der Jahre in unseren Aktenschränken bis zu ge— die sich im ö b Berichte von Behörd Be⸗ ltiger Höhe ange sammelt haben. Berichte von Behörden, Be ö. erden von Kassenbeamten, Beschwerden von Angestelltenverbänden, e. znotijen, die von den Behörden geprüft und bestätigt sind — 2 ließen, daß — ch häug oder nicht bäuf Illes das läßt darauf schließen, ob häußg od . g, kann für unsere Entscheidung ganz gleichgültig sein — Fälle dor⸗ gekommen sind, die die Annahme rechtfertigen, daß mindestens die Möglichkeit vorliegt, daß die jetzigen Kasseneinrichtungen in erheb⸗ ; e gemißbraucht werden. (Lachen und Unruhe bei den lichen Maße g ; ; Sozialdemokraten. Da sind lahlreiche Beschwerden, in denen be— bauptet wird: es sind Beamte, die sich in langer Arbeit bewährt aben, entlassen worden, um einem anderen Beamten Platz zu machen, dessen Qualifikation durch nichts bewiesen ist, von dem man aber weiß, daß er sich im Interesse einer bestimmten Partei politisch be⸗ tätigt habe. (Hört, hört! rechts. — Zurufe von den Soʒialdemolraten ) Da sind Beschwerden an uns gelangt, in denen behauptet wird, daß die Kontrolleure der Kassen ihre Tätigkeit auch dazu benutzen, um »die Wäsche zu prüfen! — so heißt es ja wohl —, d. h. um festzustellen, ob die FKassen mitglieder auch in der richtigen Organi⸗ sation sind, und dergleichen. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Wenn die Beamten sich ferner beschweren über eine ungleichmäßige Behandlung der Beamten, je nach ihrem politischen Bekenntnis, und wenn die Beamten, die den Minoritäten innerhalb der Kassenverwal⸗ tung angehören, erklären: ‚Wir müssen heraus, wir halten es nicht mchr aus!“, so kann das nicht alles aus der Luft gegriffen sein! LZuftimmung rechts.) Es kommen überall Verstöße vor (Abg. Hoch: Am meisten bei Ihnen), innerhalb und außerhalb der Mauern —— — (Gloce des Präsidenten. )
Meine Herren, es gibt ein altes Sprichwort: wo viel Rauch ist, da ist auch Feuer. Nach der Masse des Rauches zu schließen, der hier aufsteigt, darf man wobl nicht mit Unrecht auf ein ganz beträcht⸗ liches Feuerchen schließen. (Heiterkeit. — Zustimmung rechts) Wir haben lediglich unsere Pflicht getan, wenn wir vom Reichstag die nötigen Maßnahmen verlangt haben, die dafür sorgen sollen, daß dieses Feuerchen sich nicht zu einem bedenklichen Feuer entwickle.
Und nun, meine Herren, schaden Ihnen denn die Maßnahmen? Ist denn überhaupt von einer Entrechtung der Arbeiter die Rede? Zuruf von den Sozialdemokraten: Natürlich) Ist denn ven einer Beschränkung der Arbeiter in bezug auf ihre politische Betätigung die Rede? Nein, in dem Gesetz, wie es aus der Kommission gekommen ist, steht eine Bestimmung, die Sie in keinem anderen Gesetz in dieser Form verbrieft finden, hinsichtlich der Freiheit der politischen und der religiösen Ueberzeugung; da ist ausdrücklich gesagt, daß keinem An⸗ gestellten einer Kasse die Stellung gekündigt werden soll mit Rücksicht auf seine politische oder religiöse Betätigung außerhalb des Dienstes. Und wenn die Aussichtsorgane zu der Auffassung kommen, daß ein Beamter über dieses Maß hinaus in Mißbrauch der amtlichen Be⸗ fugnisse eine politische Agitation oder eine Agitation für eine bestimmte kirchliche Partei entwickelt, dann soll der Mann zunächst einmal ver— warnt werden. Und auch im Wiederholungsfalle ist er zuvörderst anzuhören. Er ist also in der Lage, sich zu verwahren, seine Ein— wendungen geltend zu machen. Wird er gleichwohl entlassen, so gibt es dagegen für ihn noch ein geordnetes Rechtsmittel verfahren. Wie man also behaupten kann, daß gerade dieses Gesetz mit den Kautelen, die Ihre Kommission hineingebracht hat, eine Knebelung des Arbeiters und der Kassenbeamten in der Betäti⸗ gung ihrer politischen Ueberzeugung bedeute, ja, meine Herren, das verstehe ich nicht. (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, weiter! Sie sprechen immer von einer Be— schränkung der Selbstverwaltung. Wo liegt denn die Beschränkung der Selbstverwaltung? Wir haben mit vieler Ueberlegung die Kautelen nicht in eine verstärkte Aufsicht der Behörden gelegt, sondern wir haben sie in die Kassenorgane gelegt, und zwar dadurch, daß wir veisucht haben, den Einfluß der Arbeitgeber, die Möglichkeit der Be— tätigung der Arbeitgeber in der Vertretung ihrer Interessen zu stelgern. Also nicht der Landrat, nicht der Bürgermeister greift zunächst ein (Zuruf von den Sozialdemokraten: Zunächsth, sondern Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Kasse haben sich darüber zu einigen, ob der Beamte qualifiziert ist, ob er angestellt werden soll, ob er entlassen werden soll. Wenn dann, erst auf Grund eines ganz komplizierten Systems von Abstimmungen, eine Einigung nicht erzielt wird, wenn also die Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich nicht einigen können, dann tritt die Aufsichtsbehörde ein. (Zurufe von den Sozial— demokraten.)
Meine Herren, sehen Sie sich doch einmal unsere Städtever— assung an! In sämtlichen preußischen Städteordnungen besteht die Bestimmung: wenn sich Stadtverordnete und Magistrat nicht einigen konnen, entscheidet die Aufsichtsbehörde. (Sehr richtig rechts. — Zurufe von den Sozialdemokraten.) — Ja, meine Herren, das ist eine Bestimmung, die in all diesen Gesetzen steht, die aber fast niemals angewendet wird, weil die Beteiligten sagen: wir fahren besser, wenn wir uns unter uns einigen als wenn wir die Behörden in Anspruch nehmen (sehr richtig! rechts. — Zurufe von den Sozialdemokraten) ein Standpunkt, den ich als Oberbürgermeister stets vertreten habe.
Aber daraus folgt eben, daß es sich hier um eine Beschränkung Selbstverwaltung handelt, so milde, wie sie nur irgend gedacht 1 kann, und daß das Eingreifen der Aufsichtsbehörde und der ; cttregl erung in so weite Ferne geschoben ist, daß nach melner 2 erieugung bei gutem Willen der Beteiligten in den allerseltensten 2 eine Entscheidung der Aussichtsbehörde wird eingeholt werden . Herren, so liegt es — ich will auf die Einzelheiten nicht * 2 . bel allen den Fällen, die sich auf das Angestelltenrecht, * e Mitwirkung der Arbeiter usw. in den Kassen beziehen. Abg. uh Sie haben ja erst den Gegensatz durch die Hälftelung
eingebracht) — Auf die Hälftelung komme ich sogleich. ne 6. haben die verbündeten Regierungen, wie ich eben ausführte,
9. icht gehabt, nicht die Aufsichtsbehörden sofort in die Lage zu ue, . allen diesen Fällen einzugreifen, sondern sie haben sich . en Einfluß der Arbeitgeber zu steigern, und sie haben zu
Zweck vorgeschlagen — ich habe dag fuͤr billig gehalten —
d ; * man unter diesen Umständen auch die Beiträge halbiert und auf
16 dazu kommt, daß Arbeitgeber und Arbeltnehmer allent— und als gleichberechtigte Faktoren einander gegenüberstehen ementsprechend in allen Fällen eine itio in partes
eintreten muß. Nun, meine Herren, die Mehrheit der Kommission hat es nicht für zweckmäßig gehalten, diesen Weg zu gehen, und man hat versucht, auf andere Weise zu helfen. Die Kautelen, die Ihre Kommission geschaffen hat, bewegen sich ja wesentlich in derselben Richtung, wie sie die verbündeten Regierungen gewünscht haben; aber sie erleiden zugunsten der Arbeitnehmer mit Rücksicht darauf, daß eine Halbierung der Beiträge nicht eingetreten ist, insofern eine Ausnahme, als in bezug auf die Kassenleistung, also auf diejenigen Fälle, die für den Arbeiter in allererster Linie ein Interesse haben, die Rechte der Arbeiter voll gewahrt sind, daß also in diesem Falle eine itio in partes nicht eintreten kann.
Also, meine Herren, das Gesetz, das angeblich eine schwere Ent— rechtung der Arbeiter im Gefolge hat, hat die Möglichkeit eines Ein⸗ griffs der Aufsichtsbehörde so geregelt, daß in denjenigen Fragen der Krankenversicherung, welche die Arbeiter in erster Linie angehen, die Fürsorge in Krankheitsfällen, die Kassenleistungen, nicht die itio in partes eintritt, sondern diejenigen Bestimmungen bleiben, die sich aus der bisherigen Verteilung der Beiträge wie 1: 2 ergeben.
Meine Herren, ich habe eine endgültige Entscheidung der ver— bündeten Regierungen über diese Frage noch nicht extrahiert. Ich persönlich bin der Ansicht — das entnehmen Sie ja aus meinen Aus⸗ führungen —, daß der Weg, den Ihre Kommission gehen will, sehr wohl geeignet ist, zum Ziele zu führen, und ich werde ihn meiner seits auch einschließlich der Beibehaltung des bisherigen Verhältnisses in den Beiträgen bei den verbündeten Regierungen befürworten (na ja! bei den Sozialdemokraten); denn es handelt sich hier um eine der vielen Fragen, über die man verschiedener Meinung sein kann, über die man aber nicht ein Gesetz fallen läßt, das so bedeutende sozial— politische Vorteile mit sich bringt, wie der vorliegende Entwurf. (Bravo! rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen. Lachen bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Manz (fortschr. Volksp.): Wir legen, den größten Wert auf die Bestimmungen der Dienstordnung. Die Kommissions⸗ anträge wollen das bisherige Recht einschränken. Das hat einen tendenziösen Beigeschmack. Es ist ein eigentümliches Vor⸗ geben gegen bisher eingelebte Zustände. Es ist dies eine Art ugnahmeg ez, denn die bisherigen Grundlagen sollen verändert werden. Wir können grundsätzlich derartigen Ausnahmen nicht zustimmen. Wir wollen an den bewährten Grundlagen — von den auch von sozialdemokratischer Seite anerkannten Auswüchsen spreche ich nicht — festhalten. Ich fürchte, daß das neue Gesetz keine Ver— ständigung unter den Arbeitern und Arbeitgebern herbeiführen wird. Es handelt sich hier vielmehr um einen Verständigungszwang. (Sehr richtig! links. Der Vergleich mit der Städteordnung hinkt, denn die Verhältnisse in den Städten liegen ganz anders als bei den Kassen. Wir haben in unserem Antrag das Wort Ortskrankenkassen gestrichen, weil wir die Landkrankenkassen nicht verkümmern und herabdrücken lassen wollen. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, als wollte man ihre Selbstverwaltung stören. Auswüchse könnten in der Dienstordnung beschnitten werden. In Bezug auf die An— stellung der Beamten muß die bisherige Gepflogenheit neuerlich ge— wahrt werden.
Direktor im Reichsamt des Innern Caspar: Der Vorredner glaubt, daß man mit der Dienstordnung mehr erreichen könne. Ich kann ihm das nicht zugeben. Der Abg. Manz scheint den Arbeitgebern einen großen Einfluß nicht gewähren zu wollen; ich kann mir also von der Dienstordnung, wenn sie durchgreifen soll, einen Erfolg nicht ver⸗ sprechen. Der Abg. Eichhorn überschätzt die Bedeutung der Aufsichtsbehörde, wenn er glaubt, daß sie nicht einschreiten wolle. Die Verwaltungsbehörden erhielten überhaupt von den Verträgen erst sehr spät Kenntnis. Die Grundsätze, von denen der Abg. Eichhorn ausgeht, sind unvereinbar mit den Anschauungen, von denen andere Kreise ausgehen. Verlangt wird eine unparteiische Ver⸗— waltung. Die Sozialdemokraten alten es selber für zulässig, solche Verträge aufrecht zu erhalten, wie sie hier näher bezeichnet worden sind; in Cöln hat der Kassenvorstand einen solchen Vertrag ab⸗ geschlossen, obwohl er darauf aufmerksam gemacht wurde, daß der Vertrag gegen die guten Sitten verstoße. Klagen sind bei unseren Behörden über diese Mißstände in großer Zahl ein⸗ getroffen, auch von Kassenmitgliedern, aber von diesen mit der Bitte, die Namen von Personen und Orten nicht angeben zu brauchen, weil sie eine Maßregelung befürchteten. (Zurufe bei den Sozialdemokraten Solche Kündigungen kommen gewiß hundertfach vor. Daß nun in solchen Fällen vielfach parteimäßig politisch tätige Personen ohne besondere kassenmäßige Qualifikation angestellt worden sind, ist nicht zu bestreiten. Der Magistrat in Braunschweig hat sich in diesem Sinne geäußert: Man hat in Braun— schweig der Kasse einen sozialdemokratischen Charakter aufgedrückt. (Zu— ruf bei den Sozialdemokraten. — Präsident: Herr Heine, Sie sind ja zum Worte gemeldet und können dem Herrn Regierungsbertreter später erwidern; ich bitte Sie, Zwischenrufe zu unterlassen) Aus Breslau liegt ebenfalls eine solche Beschwerde vor von dem Vorstande der Ortskrankenkasse, dasselbe gilt auch von anderen Orten. Weitere Beschwerden liegen vor aus Kiel. Es ist eine unbillige Zumutung an die Arbeitgeber, daß sie ein Drittel der Beiträge tragen und so gut wie nichts zu sagen haben sollen. Hierin ist eine Aenderung not— wendig.
Abg. Beger, Arngcherg (Zentr.): Ueber die innere Organisation der Krankenkassen und die Verteilung der Rechte von Arbeitern und Arbeitgebern * in der Presse, in Versammlungen und in den Parla⸗ menten heftig gestritten worden. Ein lebhafter Bekämpfer der Mißbräuche in den jetzigen Ortskrankenkassen war ein Mitglied dieses Hauses, das der Linken angehört. Heute hat ein anderer Ver— treter dieser Partei eine eigentümliche Stellung eingenommen. Ich stelle fest, daß auch die Liberalen in der Kommission für die be⸗ treffenden Beschlüsse mit wenigen Abweichungen eingetreten sind. Gegen die sozialdemokratischen Kassen sind gewiß auch haltlose An⸗ griffe gerichtet worden. Die Kritik über diese Mißstände führte zu der Regierungsvorlage, die die Halbierung der Bꝛitrãge und Stimmen vorschlug. Nach dem bestehenden Recht haben die Arbeiter in den Krankenkassen die absolute Mehrheit. Sie können das Statut bestimmen, das eine ganze Menge von Vorschriften auch auf anderem Gebiete enthält. Mit dem Vorschlage der Vorlage würde die absolute Mehrheit der Arbeiter in den Krankenkassen gebrochen. Die weiteren Vorschläge der Regierung waren eine konsequente Durch— führung dieses Gedankens, soweit die Wahl des Vorsitzenden und die Anstellung der Beamten in Betracht kommt. Die Folge wäre gewesen, rag in den Krankenkassen die Arbeitgeber die absolute Mehrheit gehabt hätten, wenn der Vorsitzende Arbeitgeber wäre. Gegen diese Vorschrift erhob sich lebhafter Widerspruch in den Kreisen der Arbeiter und Arbeitgeber, und zwar der kleineren und mittleren Arbeitgeber, weil ihnen Mehrkosten von 56 Millionen erwachsen wären. Die Arbeiter waren einhellig oder fast einhellig entschiedene Gegner der Regierungsvorlage, weil sie befürchteten, daß die Halbierung die Bureaukratie in die Krankenkassen hineingebracht hätte, und eine durchaus unberechtigte Pfennigfuchserei. Die Arbeiter haben in den Knappschaftskassen im Ruhrgebiet die Erfahrung machen müssen, daß man sich bei der Halbierung um ein paar Pfennige mehr oder weniger herumstreitet. Nach Annahme der Vorlage würde die Arbeiter⸗ en ihren Einfluß auf die Festsetzung der Leistungen verlieren. Meine Partei konnte sich diesen Gründen gegen die Halbierung nicht entziehen und bekämpfte deshalb entschieden die Halbierung der Beiträge und nicht ohne Erfolg. Sie mußte aber zugeben, daß Maßnahmen zur Beseitigung der bestehenden Mißstände in den Krankenkassen notwendig seien, und deshalb stimmte sie den Kommissions⸗ beschlüssen zu. Die Versicherten haben danach das Recht, über die
Normierung des Grundlohns wie bisber mit absoluter Mehrheit zu
bestimmen. Das ist ein großer Vorteil in bezug auf die Leistungen der Kasse. Die christlichen Gewerkschaften legen mit Recht auf größtmöglichste Leistungen der Kasse bei geringen Beiträgen den größten Wert. Die Mindest⸗ und Mehrleistungen werden durch Statut festgestellt. Daraus folgt, welchen Wert die Arbeiter an der Bei⸗ behaltung der Zweidrittelmehrheit haben müssen. Den Versicherten selbst kommt es wesentlich darauf an, daß sie das Recht haben, über die Leistungen zu verfügen, erst in zweiter Linie kommt es für sie darauf an, ob Kunz oder Kraus die Kassenbücher führt. Die christ⸗ lichen Arbeiter haben eihe große Anzahl von Klagen über die Miß⸗ brauche in den sozialdemokratischen Ortskrankenkassen geführt, ebenso die nationalen Gewerkschaften. Ich will darauf nicht ausführlich eingehen, sonst müßte ich stundenlang hier reden. Wenn man mir meine Stellung auf dem Gewerkschaftskongreß in Cöln vorgehalten hat, so weise ich darauf hin, daß es sich damals um den ersten Vor— entwurf handelte. Als ich dort bon einem Mißbrauch durch die sozial— demokratischen Kassen sprach, wurden meine Ausführungen wiederholt durch Sehr richtig! begleitet; es handelt sich um Tatsachen, die nicht mehr statistisch festzustellen, aber trotzdem richtig sind. Die erste Voraussetzung muß die sein, daß der Kassenbeamte ein tüchtiger, braver und zuverlässiger Mensch ist, welcher politischen Rich— tung er angehört, ist ganz gleich, aber Ihre Parteigenossen (zu den Sozialdemokraten) sind die ersten gewesen, die die Kandidatenlisten für die Krankenkassenwablen lediglich nach dem Gesichtspunkt der Parteizugehörigkeit des Kandidaten zur sozialdemokratischen Partei und Gewerkschaft geprüft haben. Erst im Laufe der Zeit, als die christliche Arbeiterbewegung erstarkt war, machten wir diese Arbeiter darauf aufmerksam, daß sie sich nicht immer zurück— schieben lassen sollten. Ein Dresdner sozialdemokratisches Blatt hat offen zugegeben, daß die Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie vor allem zum Kassenbeamten qualifiziert. Da kann von einer un— parteiischen Kassenverwaltung nicht die Rede sein. Einem Sozial demokraten darf allerdings nur deshalb, weil er Sozialdemokrat ist, die Bestätigung als Kassenbeamter auch nach dem vorliegenden Gesetz nicht versagt werden. Wegen seiner politischen Ueberzeugung darf niemand gemaßregelt werden. Aber Mißbrauch in den Kassen selbst darf nicht getrieben werden. Das Merkwürdige bleibt doch, daß die ,, ,. immer wieder an solche Sozialdemo— kraten vergeben werden, die in der Partei und in den Gewerkschaften eine Rolle gespielt haben. Alle Achtung vor den Fähigkeiten der Gewerkschaftler, aber diese Fähigkeiten garantieren noch lange nicht eine genügende Kenntnis der Versicherungsgesetz! und der Krankenkassentätigkeit. (Zuruf) Allerdings, ein Sozialdemokrat kann alles. Bei ihm kommt mit dem Amt auch der Verstand. Die Fähigkeit, Kranke zu besuchen, zu sehen, ob sie zu Hause sind, ob sie arbeiten, ob sie simulieren, wird doch auch einem christ— lich organisierten Arbeiter nicht abgesprochen werden können. Nennen Sie mir einen einzigen Fall, in dem ein christlich organi— sierter Arbeiter auch nur als Kassenbeamter in untergeordneter Stellung verwendet wäre. Es gibt unter den Kassenbeamten frühere Arbeiter, vor deren Fahl keiten ich den allergrößten Respekt habe, mit denen ich noch heute Duzfreund bin, weil ich in derselben Stadt mit ihnen zusammen Arbeiter war. Aber daß die Sozialdemokraten alle fähig sein sollten und die anderen alle nicht, gebe ich nicht zu. Nach einem Aufsatz in einem Arbeiter— blatte sind bei den Kassen manche Beamte jahrelang angestellt, ohne je das Statut oder das Krankenversicherungsgesetz gelesen zu haben. Dabei handelt es sich nicht nur um solche, die schematische Arbeiten zu verrichten haben. Warum ist man nicht so schnell mit der Entlassung solcher Beamten bei der Hand? Die Fälle in Wendland und in Rheydt fallen in nichts zusammen. In Rheydt gibt es gar keinen Zentrumsstadtverordneten oder sonst dergleichen. Aus Wendland wird mir von einem Arbeiter brieflich mitgeteilt, daß Zentrumsleute an der Tätigung des Vertrages nicht beteiligt waren; weder ein Anhänger des Zentrums, nach der eth hen Gewerkschaften, noch des katholischen Arbeitervereins ist im Vorstand. Was würden im übrigen diese zwei Fälle bedeuten gegenüber den 1100 Verträgen, die die Regierung auf Grund des sozialdemokratischen Muster— vertrags entdeckt hat. Viele christliche Arbeiter haben an ihrem eigenen Leibe erfahren können, was es heißt, eine eigene Meinung gegenüber den Sozialdemokraten zu haben. Diesen würde es schlecht ergehen, wenn ich ihre Namen nennen wollte. Sie brauchen ja nicht gerade geprügelt zu werden; aber man würde ihnen das Leben so sauer machen, daß sie unter Umständen zum Selbstmord greifen würden. Man weiß ja auch, wie die sozial⸗ demokratischen Krankenkassenkontrolleure handeln, wenn sie Arbeiter schikanieren wollen, deren politische Gesinnung ihnen unbequem ist. Eine schlimmere tendenziöse Kontrolle läßt sich gar nicht denken. Dem christlichen Arbeiter traut man ohne weiteres Simulation zu. In den Knappschaftskassen des Ruhrgebiets ist es nicht besser als in den Ortskrankenkassen. Zur Beseitigung der Mißstände habe ich in Cöln das Proportionalwahlrecht und getrennte Abstimmung der Arbeitgeber und der Arbeiter vor geschlagen, woraus sich ergibt, daß ich mich später nicht in Widerspruch zu meinen f nn Aeußerungen gesetzt habe. Die Sozialdemokraten aber stellen natürlich auesichtslose Anträge, um die chrlstlichen Arbeiter zu diskreditieren. Die Neutralilät der Kassen ist das Ziel, das wir erstreben. Die Sozialdemokraten lassen ihren Haß gegen christlich-organisierte Arbeiter nicht einmal zu Hause, wenn sie das Krankenzimmer betreten. Sozial demokratische Versammlungen und die sozialdemokratische Presse fallen auch über die Hirsch⸗Dunckerschen Gewerkschaften her. Hier im Saale urteilen Sie ja anders. Aber draußen im Lande nennt man uns Verräter der Massen, des arbeitenden Volkes, ver— kommene Menschen, so daß eigentlich kein Hund ein Stück Brot von uns nehmen dürfte, und daß, obwohl zugestanden werden muß, daß die christlichen Organisationen für den wirtschaftlichen Aufstieg des Volkes entschieden gekämpft haben. Da ist es kein Wunder, wenn man sogar an Kranken sein Mütchen kühlt. Welche Formen der Kampf gegen die Reichsversicherungsordnung im Lande annimmt, zeigt eine Münchener Protestversammlung, wo der sozial⸗ demokratische Kassenbeamte Maurer höhnisch von christlichen Arbeiterführern sprach, die „ausgehauen! zu werden verdienten, wie, das wisse ja die Versammlung. Jawohl, das wissen wir. Ich möchte aber den Herren, die ihre Visitenkarte bei mir abgeben wollen, raten, ihre Visitenkarte nicht allein bei mir abzugeben, sondern einen Begleiter mitzunehmen. Ich sage Ibnen ganz offen: Ihre Hoffnung, daß infolge unserer Zustimmung zu dem Kommissionsbeschluß eine Flucht der christlichen Arbeiter aus unseren Reihen eintreten wird, wird enttäuscht werden. Unsere Mitgliederzahl hat zugenommen und wird weiter zunehmen, denn bei uns ist die Freiheit, bei uns ist das Recht.
Hierauf wird nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Manz, Hoch (Soz.), Eichhorn (Soz.) und Schirmer (Zentr.) gegen 7 Uhr die weitere Beratung auf Freitag 12 Uhr vertagt.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 72. Sitzung vom 11. Mai 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der zunächst über eine Reihe von Anträgen aus dem Hause verhandelt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die Beratung des Antrags der Abgg. Dr. Varenhorst (freikons) und Genossen, „die Regierung zu ersuchen, geeignete Maßregeln zur Förderung der Bienen⸗ zucht zu ergreifen“, fort. i. Abg. Kestern ich (Zentr.: Jeder Bienenzüchter wird bestätigen, daß er seine schönsten Stunden bei seinem Bienenstamm der
lebt hat. Dieses zarte Verhältnis des Bienenzüchters zu seinen