1911 / 121 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Und besteht denn nicht mehr das Wort vom „Schutz der

nationalen Produktion?“ Dazu gehört doch auch unsere Preißelbeer⸗ und unsere Pflastersteinproduktion. Will man konsequent sein, dann muß man auch den Zoll auf die fertigen Preißelbeeren⸗ konserven aufheben; ich möchte nur sehen, was unsere Kon⸗ serbenfabrikanten dazu sagen würden. Die Pflasterstein frage hat ja der Reichstag wiederholt eingehend, erörtert. Die Wirkung eines Zolles auf diese steht doch gewiß i. rage, denn sonft dätte doch Schweden nicht auf der Zollfreiheit bestanden. Auch die Pflastersteinindustriearbeiter haben bei uns und speziell bei mir die Einführung eines Zolles gegenüber Schweden. dringend befürwortet, da diese Industrie sonst konkurrenzunfähig würde und sie dann ihr Brot verlieren müßten. Warum nimmt fich die Regierung dieser Arbeiter nicht an, warum beugt sie nicht hier der AÄrbeitelosigkeit vor, während sie doch für die arbeitslos gewordenen Tabak- und Zündholzarbeiter Maßnahmen getroffen hat. Etwas ganz neues hat man in dem schwedischen Handelsvertrag ein⸗ geführt mit der sogenannten relativen Bindung, der estlegung, daß bei künftigen Zollerböhungen über eine gewisse stgrenze nicht hinausgegangen werden darf. Dadurch ist man dazu gekommen, daß, wie der Staatssekretär fagte, rund 107,5 Mill. Mark oder 68,8 Cso unferer gésamten Ausfuhr nach Schweden im Handelsvertrage zoll⸗ begünstigt oder gebunden sind. Es kommt aber auf den materiellen Inhalt dieser Bestimmung an. Wenn Schweden sich verpflichtet, für Feines der deutschen Produkte einen höheren Zoll als 200 , vom Wert einzuführen, so hat dies für den deutschen Export gar keine Bedeutung, denn bei einem solchen Zollsatz ist ein Export über⸗ Paupt nicht mehr möglich. Anzuerkennen ist die Beschränkung von Einfuhrverboten für schwedisches Vieh. Ich kann nicht umhin, den Unterhändlern für diesen Erfolg den Dank der Viehzüchter aus⸗ zusprechen. Sie werden daraus schließen können, daß die deutsche Reichsberwaltung sich, was die Einfuhr von Tieren anbetrifft, volle Selbftändigkeit vorbehält und die Seuchenkontralle in, vollem Um⸗ fange aufrechtzuerhalten gedenkt. Ich beantrage Verweisung an eine Fommission von 21 Mitgliedern. Es wird auch dort die Frage zu erörtern sein, ob, wenn sich eine Differenz bezüglich einzelner Positionen ergibt; die ja durch ein Schiedsgerichts verfahren, Eventuell aber auch vielleicht vor den ordentlichen Gerichten zum Austrag kommen wird, der deutsche oder der schwedische Vertragstert bei der Möglichkeit verschiedener Auslegung ausschlaggebend ist. Meine Freunde weiden es von dem Ausgang der Kommisstonsverhandlungen abhängig machen, ob sie schließlich dem Handelsvertrage ihre Zu⸗ stimmung geben oder nicht. . ,

Abg. von Vollmar (Soz): Der Vertrag ist, obwohl es mir in Zollsachen durchaus nicht angenehm ist, mit dem Abg. Speck überein- zuftimmen, ausgesprochen schlecht. Der Hauptgrund des Mißerfolgs, den unsere Unterhändler davongetragen, haben, liegt für jeden Denkenden auf der Hand. Beim Zolltarif hat man uns erklärt, daß wir einen lückenlofen Zollschutz haben müßten, weil man sonst keine Handelsverträge abschließen könnte. Man hat damals gemeint, wir Allein könnten? solche Kunststücke machen; die anderen aber haben es uns nicht nur nachgemacht, sondern uns noch übertrumpft. Die Tage unserer Unterhändler ist allerdings dadurch verschlechtert, daß wir in der Hauvtsache Fertigfabrikate ausführen, die in Schweden teilweise entbehrt werden oder aus anderen Ländern be— zögen werden können. Ümgekehrt aber beziehen wir von Schweden zum größten Teil Produkte, die wir für unsere Produktion notwendig brauchen. Gleichwohl sind wir der Ansicht, daß, wenn die Verhand⸗ lungen anders geführt worden wären, auch das Ergebnis günstiger wäre. Der Staatsfekretär meinte, wir müßten anerkennen, daß er sich die größte Mühe gegeben hat. Mit der Mühe allein ist es nicht getan. Es ist eine alte Erfahrung, die wir im Reichstage immer wieder bestätigt gefunden haben, daß viele Länder, die mit uns Vertrage abgeschlossen haben, in der Auswahl ihrer Unterhändler sehr viel glück⸗ licher sind als wir. Diesmal hat man es nun besser machen wollen und hat auf Wunsch des Reichstages den Wirtschaftlichen Ausschuß berangezogen. Vier Mitglieder desselben sind nach Stockholm ge⸗

schickt' und haben den Gang der Verhandlungen fortgesetzt überwacht.

Wie sich zeigt, ist damit nichts erreicht, im Gegenteil, diese Mit⸗ gsieder haben sich als einseitige Interessenbertreter erwiesen. Die Schweden sind insbefondere sehr bald darauf gekommen, wer die erste Geige spielt. Dies taten die Vertreter der großen rheinischen Industrie, und nachdem die Schweden dies einmal erkannt hatten, war es leicht für sie, zu wissen, wie sie sich einzurichten hatten. Es war verkehrt, wenn man gleich von vorn herein die Eisenerze zum Schwerpunkt der Verhandlungen machte und dadurch zum Ausdruck brachte, daß die übrigen Dinge verhältnismäßig unwichtig seien. Ungeheuer sind vor allem auch die Strafen von 100 bis 509 Kronen, die? deutschen Handlungzreisenden bei Uehertretung der schwedischen Reglements auferlegt werden, und das Schönste dabei ist, daß die Hälfte davon dem Denunzianten zufällt. Für uns Seo ial demokraten spricht eine Reihe von Gründen für, die Zollfreiheit in Pflastersteinen. In Bayern haben wir sehr wert— vollen! Granit und bei dessen Ausbeutung sind Tausende von Arbeitern beschäftigt. Aber auch in den 90er Jahren ist es niemand im ganzen Hause eingefallen, einen Zoll auf Steinmetzarbeiten gegen Desterreich einzuführen. Man sollte nicht gegen die Konkurrenz des Juslandes Front machen, sondern gegen die Schmutzkonkurrenz im Inlande, diese ruiniert die Industrie. Von klerikaler Seite wird der Zoll auf Pflastersteine mit absonderlichen Gründen verteidigt, man Fat u. a. geschrieben: Sandsteine und Lava: Modernismus, und Wahrheit. Die Arbeiter sind. durch die. Arbeitgeber hinters ÄVicht geführt und durch falsche Vorspiegelungen veranlaßt worden, Petitionen für den Pflastersteinzoll zu unterschreiben. Wenn Schiffahrtsabgaben eingeführt werden, wird diese Steinkrisis erst recht gesteigert werden. Die Arbeiter in der Stein— inbustrie beklagen sich namentlich über das Feblen von Tarif⸗= verträgen; in keinem Gewerbe sind die Löhne so gedrückt, wie in der Stein ndustrie. Ich muß wiederholen: der Entwurf ist schlecht, aber ein Zollkrseg wäre noch schlechter als der. Vertrag. Wir gehören nicht zu denen, die leichtsinnig das Gespenst eines Zollkrieges an die Wand malen. Die Fortsetzung des Freundschafts⸗ Ferbältniffes zu dem schwedischen Brudervolk wollen wir nicht gestört wissen und wollen trotz alledem dem Vertrag zustimmen. Es ist aber die höchste Zeit, daß Deutschland auf dem Wege seiner verkehrten Schutzzollpolitik Halt macht.

Das Haus nimmt hierauf die noch ausstehende nament⸗ liche Abstimmung über 81341 der Reichsversiche⸗ rungsordnung vor, der nach den Beschlüssen der Kommission der Aufsichtsbehörde das Recht, den Vor⸗ anschlag des Ausschusses der Versicherungsanstalt, zu bean⸗ standen, auch dann gibt, wenn die Leistungsfähigkeit der Ver⸗ sicherungsanstalt dadurch gefährdet erscheint. Der Antrag Albrecht ging auf Wiederherstellung der ursprünglichen Vor⸗ lage. Die Abstimmung erfolgt über den 8 1341 nach der Kommissionsfassung und ergibt dessen Annahme mit 184 gegen IG5 Stimmen bei einer Stimmenthaltung.

Präsident Graf von Schwerin: Die Herren Kollegen werden alle init herzlicher Teilnahme Kenntnis erhalten haben von dem schweren Unglück, das die französische Regierung durch den Absturz eines Aeroplans in Issy betroffen hat, ein Unfall, dem der französische Kriegsminsster zum Opfer gefallen ist und bei dem der französische Ministerpräsident eine schwere Verletzung erlitten hat. Ich habe geglaubt, in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich unserer all⸗ seitigen Anteilnahme zugleich mit den besten Wünschen für die Wickerherstellung des französischen Ministerpräsidenten auch an dieser Stelle Ausdruck gebe. (ebhafter allseitiger Beifall, die Mitglieder des Reichstages und des Bundesrats haben sich während der Ansprache des Präsidenten erhoben.,

Darauf wird die vorhin, abgebrochene Beratung des schwedischen Handelsvertrages wieder wr ge e,, ;

Abg. Dr. Roe icke (vkons.) vermag sich bei der herrschenden großen

fragt sich, wie hoch uns die Vorteile, die uns der schwedische Handels

verkrag bietet, zu stehen kommen. Es ist schon auf die Zollfreiheit

fuͤr Pflastersteine, auf die Aufrechterhaltung des Zolles auf Tischler⸗

waren ihn der bisherigen Höhe hingewiesen worden. Die Bindung

erstreckt sich auch auf 9. enftände der landwirtschaftlichen Produktion.

Befonderz“ belastend iff die Abgabe der deutschen Handlungs-

reisenden, wodurch unfer Handel erschwert und verteuert wird.

Ich stelle anheim, eine gleiche Abgabe auch von den schwedischen

Dandlungsreisenden bei uns zu erheben. Am schlimmsten ist die

Zollfreibeit der Pflastersteine, worüber sich unsere Industrie mit

Recht beschwert und wogegen sie in Petitionen protestiert hat.

Der Reichstag hat seinerseitg den Schutz der deutschen Stein⸗

sndustrie in einer Resolution verlangt. Lelder ist es nicht gelungen,

dies zu erreichen. Es fragt sich, ob es bei den Verhandlungen

nicht möglich war, besseres zu erreichen. Nach meiner Auffassung

hatte in der Tat besseres erreicht werden können. Der Fehler war,

daß man bei uns in dem Moment, wo der Vertrag ablief,

Schweden gegenüber gewartet hat, bis es seinen neuen Zolltarif unter Dach und Fach brachte. Amerika hätte nicht gewartet, bis

der Gegner seine Waffen geschliffen und scharf gemacht hatte,

sondern ' hätte zugeschlagen. Das ist bei uns versäumt. worden. Man hat den Standpunkt des Gegners von vornherein nicht richtig angefehen. Es ist immer zu berücksichtigen, daß der wichtigste Abfatzmarkt das Inland ist. Mit der Kommissionsberatung sind wir einverftanden, well meine Freunde eine Reihe von Aufklärungen für wünschenswert erachten. 6 Abg. Dr. Stresem ann (ul.): Meine politischen Freunde stimmen der Ueberweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern ebenfalls zu und behalten sich ihre Entscheidung vor. Der Vertrag ist sorg⸗ fältig vorbereitet. Wir können diesmal eine intensive Fühlungnahme bes Reichsamtes des Innern mit allen beteiligten Kreisen fest⸗ stellen. Der Wirtschaftliche Ausschuß hat in seiner überwiegenden Mehrheit zugestimmt, aber ebenso wie bei früheren Gelegenheiten möchte ich zum Ausdruck bringen, daß der Reichstag den verbündeten Regierungen gegenüber in einer viel ungünstigeren Lage ist als der Wuürtschaftliche Ausschuß. Es ist sehr oft der Fall, daß bei solchen Handelsverträgen, denen uns nur Lie Möglichkeit der Annahme oder Ablehnung blebt, bei einer großen Zahl der Abgeordneten ein Gefühl der' Unbestimmtheit vorherrscht über das, was ein der— artiger Vertrag für die gesamte deutsche Volkswirtschaft bedeutet. Deshalb ist es wünschenswert, daß wir Näheres erfahren über die Verhandlungen mit derjenigen Organisation, die allein in der Lage ist, sich zu den einzelnen Positionen eines Handes vertrages zu äußern. Der Reichstag bat viel geringeren Einfluß auf die Gestaltung eines solchen Vertrages als der Wirtschaftliche Ausschuß. Im Lande nimmt man vielfach an, daß wir in der Lage sind, den Vertrag im einzelnen zu ändern, und wir. be⸗ kommen noch in letzter Stunde Telegramme mit solchen Wünschen. Diese kann nur der Wirtschaftliche Ausschuß erfüllen, und wenn er mit entscheidend ist, so müssen seine Ansichten auch dem Reichstage in größerem Maße als bisher zur Kenntnis gebracht werden, Den vorliegenden Handelspertrag können wir nicht als Einzelerscheinung betrachten, er ist ein Glied in einer langen Kette. Es geht heute eine Schutzzollwelle durch die ganze Welt. Schweden und Portugal haben uns diese Tendenz gezeigt, auch Japan wird sie uns zeigen. Daß die großen. Wirtschaftsgebiete Mitteleuropas damit voran- gegangen sind, ist richtig, aber bei den Milliardenwerten, die auf dem Spiele stehen, hat man sich doch bemüht, eine mittlere Linie zu finden zwischen Produktions- und Konsumtionsinteresse. Diejenigen aber, die das Beispiel nachahmen, bleiben nicht auf dem Boden eines maßvollen Schutzzolls, sondern je weniger bedeutend das Land ist innerhalb des Ausgleichs der ganzen Produktionsmenge der Welt, desto mehr wird mit dem Schutz;ollgedanken erperimentiert und erorbitante Schutzzollfysteme aufgestellt. Die Zahl der Positionen nun, bei denen es gelungen ist, im schwedischen Zolltarif eine Er⸗ mäßigung durchzusetzen, ist doch recht bedeutend. Das wird auch von unserer Exportindustrie anerkannt. Unsere Textilindustrie in Elber⸗ feld, die Seidenindustrie in Crefeld, auch die Tertilindustrie im sächsischen und in anderen Gebieten geben zu, daß bei den Ver⸗ handlungen ins Detail gehende, Wünsche ihre Erfüllung gefunden haben. Wir sehen allerdings einen gewissen Fatalismus bei unserer Exportindustrie; sie hat sich daran gewöhnt, daß ihr der Export immmer mehr erschwert wird und ist schon damit zufrieden, wenn sie die Wirtschaftsgebiete nicht ganz verschlossen sieht. Wir sind tatsächlich auch hier der gebende Teil. Der sind wir aber schon oft gewesen und werden es auch in Zukunft sein; das erweckt doch bedenkliche Perspektiven. Die Meistbegünstigung ist nicht dagsenige, was jeder auswärtige Staat von Deutschland ohne weiteres verlangen könnte; ich verweise nur auf das Beispiel, das die amerikanische Union uns gibt. Abzuwehren, daß der neue schwedische autonome Tarif gegen Deutschland zur Anwendung gelangt, ist zwar gelungen, aber sonst ist nicht viel Rühmens mit dem Vertrag zu machen. Im Anschluß an die. Eisenerzfrage fordere ich den deutschen Stagtesekretär des Auswärtigen auf, auch über die Interessen der deutschen Erzmineninteressenten ein wachsames Auge zu haben. Der deutschen Pflastersteinindustrie muß man mindestens auf dem Wege der deutschen Frachtpolitik, entgegenkommen, um die ungänstige Lage auszugleichen, in die sie durch die Zollfreiheit der schwedischen Pflastersteine gekommen ist. Die Kommission muß in diesem Punkte energisch arbeiten und darf sich nicht mit 16 Resolutionen begnügen; es muß versucht werden, bindende Zu⸗ sagen auf diesem Gebiete zu erreichen; sonst können einzelne meiner Freunde den Vertrag überhaupt nicht akzeptieren. Die Industrie der Tischlerwaren ist keine um Schutz flehende Großindustrie, sondern es handelt sich hier vielfach um mittlere und kleine Fahri⸗ kanten; sowelt es irgendmöglich ist, sollte ihren Wünschen entsprochen werden.

Abg. Oe ser (fortschr. Volksp. :

Es ist eine melancholische Aufgabe, die Einzelheiten des Vertrages an der Hand des Leitmotips Besserung der Beziehungen zu Schweden“ zu diskutieren. Die Verhandlungen sind ja lange genug gepflogen worden, sie haben über! Jahr gedauert; auch die Denkschrift ist sehr fleißig ausgearbeitet; aber eine Erleichte⸗ rung und Besserung der deutschen Handelsbeziehungen zu Schweden hat sich nicht ergeben. Das ungünstige Resultat darf niemand überraschen; es ist begründet in dem deutschen Zolltarif pon 1967. Man verhandelt jetzt auf der Basis „keine Kon⸗ zession und keine Gegenkonzession“: es können natürlich keine großen Refultate erzielt werden, wenn jeder Unterhändler seinen Stolz darein setzt, dem Gegner keine Konzession zu machen. Die Schweden haben sich erfolgreich bemüht, dem deutschen Lehrmeister zu folgen; das ergibt die Denkschrift mit größter Klarheit. Der schwedische Reichstag hat schon seinerselts einige der Zollvorschläge der schwedischen Regierung, die ihm zu hoch erschienen, herabgesetzt, so beim Leder, und da stellt denn die Denkschrift bedauernd fest, daß es nicht gelungen ist, eine weitere Ermäßigung zu erreichen; also wenn nicht schon der schwedische Reichstag den Zoll berabgesetzt hätte, wäre unferen Unterhaäͤndlern vielleicht ein Erfolg beschieden gewesen. Die von dem Abg. von Vollmar vorgebrachten Bedenken bezüglich der Handlungsreisenden sind so schwerwiegend, daß in diesem Punkte ein Erfolg unserer Unterhändler wahrlich sehr notwendig gewesen wãre. Ueber' die Schiedsgerichtsklausel können wir nur unsere Be⸗ friedigung aussprechen. Die Bemerkung des Abg. Speck über die Meislbegünstigung im Verhältnis zu Norwegen trifft in ihrer All— gemeinheit nicht zu. Die Erzfrage hat die große Bedeutung, die sie noch 1906 hatte, inzwischen großenteils verloren. Dadurch, daß Deutschland auf diese Klausel ein Gewicht gelegt hat, hat sich das Verhältnis zu unseren Ungunsten verschoben. Die Konzessionen, die wir Schweden gewährt haben, sind eigentlich recht bescheiden; 5 Konzessionen, die wir früher Schweden , haben, beftehen nicht mehr. Die Zollfreiheit auf Prelßelbeeren ist ausgedehnt auf die ohne Zucker eingekochten Preißelheeren. Unsere Landwirtschaft macht mit dem Vertrag kein schlechtes Geschäft, jedenfalls ein besseres als die Industrie. Die Einfuhr der schwedischen Preißelbeeren tut dem Einsammeln durch die minderbemittelte Be⸗

Aufregung und Unruhe nur mit Mühe Gehör zu vperschaffen. Es

ölkerung keinen Eintrag. Es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, daß

deutschen Industrie ermäßigt worden. Ich

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auf die minderbemittelte Konsumentenbevöltkerung,. Es win

wenigstens für die Kompottschüssel des deutschen Volks gesorgt.

Die Steinindustrie beklagt sich mit einigem Recht über die Ver,

teuerung ihrer Werkzeuge und die Verteuerung anderer Gegenstände, Ich verstehe es auch, wenn sie sich darüber beklagt, daß sie keinen

Jollvorteil erhalten soll; nur fragt es sich, ob der geringe Zoll

don 20 3 ihr wirklich einen Vorkeil bringen würde. Schweden

würde auch mit dem Zoll mit unserer Industrie konkurrieren

können. Desterreich ist berechtigt, 350 990 da, zollfrei nach Deutfchland einzuführen; auf Grund der Meistbegünstigung hätte Schweden dasselbe Recht. Auf Grund dieser Zollfreiheit würden die Schweden das Material gerade in die Uumstrittenen Gebiete zollfrei hineinbringen können, und dann ist der Wert eines Zolles für die deutschen Pflastersteinindustriellen doch wesenklich herabgemindert. Es fragt sich, ob die Lage der deutschen Steinindustrie durch eine anderwelte Tarifierung verbessert werden kann. Preußen hat den Tarif schon ermäßigt, was, zur Folge gehabt hat, daß ein Teil der Industrie dem Essenbahnminister Vor, würfe, gemacht hat, daß er einen anderen Teil begünstigt hat. Ich bin 'aber keineswegs gegen eine Ermäßigung der Eisenbahntarhe. Man sollte der Industrie den Zugang zu den Kanälen möglicht erleichtern. Eine ganze Reihe von Positionen ist zu Gunsten der bedauere, daß ez Portefeuilleindustrie günstigere

nicht gelungen ist, für die ich bedauere das namentlich

Bedingungen herauszuschlagen; im Interesfe meines Wahlkreises; ebenso ist zu bedauern, daß gut die Kleineisenindustrie nicht besser weggekommen ist. Ein schlechtz Trost ist es für sie, daß die Sr ele n n besser fährt. N mehr Verträge das Deutsche Reich abschließt, um so hen Freude hat man daran. Wie unbedeutend ist heute, der Ab, schluß eines Handesvertrages gegenüber der napoleonischen Zeit in Len SG er Jahren. Deutschland ist unbesriedigt, Schweden ist unbefriedigt. Das ist kein Wunder, sondern nur eine natürliche Folge der Ueberspannung des Zollbogens. Wir werden aber trotzdem den Vertrag nicht ablehnen, weil wir nicht wünschen, daß die Industrie noch schlechter gestellt würde, als auf Grund dieses Ver⸗ trages, denn der autonome schwedische Tarif wäre noch schlimmer. Wir wünschen auch keinen Zolltrieg mit Schweden, möge. die Ausfuhr im einzelnen auch noch so gering sein. Einen Zellkrieg hat man nicht in der Hand. Wie wenig 9 Frankreich in seinem Zollkriege mit der Schweiz und Desterreich-Ungarn gegenüber Numänien er— reicht! Meine politischen Freunde legen auch keinen Wert auf eine Kommisstonsperhandlung, die den Vertrag auch nicht verbessern und& neue Mitteilungen von der Regierung nicht ertrahieren wirt. Wir werden aber einer Kommisstönsberatung nicht, widersprechen; vielleicht ist für das eine oder andere Mitglied im Hause noch eine Quarantänezeit notwendig, um sich zu entscheiden. Wir stimmen für den Vertrag nicht freudig, sondern unter dem starken Druck des Zoll⸗ farifs von 1962, ein starker Brocken, mit dem die deutsche Industrie fertig geworden ist und hoffentlich auch in Zukunft fertig werden wird. . ö. es e ö —ᷣ. einmal gelingen, der jetzigen Zollgesetzgebung ein Ende zu bereiten, ; -. ö. Abg. ö von Gamp (NRp.): Ich möchte mich zunächst den anerkennenden Worten des Abg. Dr. Stresemann über die Art und Weise, wie der Handelsvertrag vorbereitet ist, anschließen. Die Vorwürfe des Abg. von Vollmar in dieser Beziehung sind nicht berechtigt. Die verbündeten Regierungen haben sich in dauernder Fühlung mit den verschiedenen Industriezweigen gehalten. Damit - ist der Abg. von Vollmar unzufrieden, aber einen anderen Weg hat er nicht vorgeschlagen. Es waren Verdächtigungen, die er gegen die Männer der Industrie ausgesprochen hat, die in Stockholm waren. (Präsident Graf von Schwerin? Verdächtigungen sind nicht ausgesprochen; sonst hätte ich sie gerügt.) Der Abg. von Vollmar hat erklärt, die Schweden hätten den Vertreter der Grohßeisen industrie für sich zu gewinnen verstanden, um Konzessionen z erzielen. Ich gebe zu, Herr Präsident, daß es keinen pParla⸗ mentarischen Ausdruck gibt, um, diesen Vorwurf zu kem— zeichnen. Es ist überhaupt kein Vertreter der Großeisen⸗ industrie in Stockholm gewesen. Es waren dort der Geheimrat Wachle⸗ Mitglied des Herrenbauses, der überhaupt nicht mehr der M dustrie angehört, der Reeder Bohlen aus Hamburg, Graf Shu der die Landwirtschaft vertrat, und der Geheimrat Vogel aus Chemnz Abgefehen davon, daß diese vier Männer üher jeden Vorwurf e haben find, haben sie die Industrie gar nicht in der Weise vertreten, wie der Abg. von Vollmar andeutete. Der Abg. Oeser erhob den Vorwurf gegen unsere Vertreter, sie hätten zu wenig Konzessionen gi; macht und dadurch keine großen Gegenkonzessionen erreicht. Ich bin nicht im Zweifel, daß, wenn der Abg. Deser als Vertreter der verbündeten Regierungen so operiert hätte, der Vertrag günstiger ausgefallen wäre. Aber daß es ein schlechtes Handelsprinzih il, zeigen die Erfahrungen mit den Unterhändlern beim Caprivischen Handelsvertrag mit Desterreich.

Es ist auch ein Irrtum, daß di Indußtrie schlechter fortgekommen sei. Man hat sich vielleicht zu die Inficht bestimmen lassen, dadurch, daß in dem Vertrage die Ill auf Getreide, Mühlenfabrikate und Hülsenfrüchte gebunden sind. Ven dieser Bindung hat die deutsche Landwirtschaft aber verhãltnie⸗ mäßig geringen Vorteil, weil sie überhaupt nicht in der Lage ist/ das zu produzieren, was im Inlande gebraucht wird. Zuruf links: Warum fuhren Sie aus? Einfuhrscheine) Weil wir dieselben Mengen an anderer Stelle von Rußland und anderen Staaten b kommen. Die Einrichtung der Einfuhrscheine ist wesentlich eine Forde rung der ostdeutschen Handelswelt, die eine schwere She igunh e, Interessen erfahren würde, wenn man diese Einrichtung aufhobe. sieber die Behandlung anderer landwirtschaftlicher Artikel in 5 Vertrage braucht man nicht gerade erfreut zu sein. Bei den Preißel⸗ Decren handelt es sich darum, daß die Aermsten der Armen in ihrem Erwerb durch die Zollfreiheit geschädigt werden. Die gani Arbeitsunfähigen finden durch das Suchen von Preißelbeeren immer och einen Erwerb und sind sehr dankbar, wenn die hwerisß⸗ Konkurren; ihnen vom Halse gehalten wird. Was der Fiskus dabei verdient ist ganz minimal. Die Verhandlungen sind in kor Geiste geführt, ich habe selbst Gelegenheit gehabt, mit, * schwedischen Herren zusammenzukommen, und den Eindruck 9. wonnen, daß sie den Vertrag ; biin wollten. Wenn er nicht so so konn

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greichen Manu⸗ (Er wird schließlich pom Herr Abgeordneten die ihre erste Rede bier n

aufmerksam machen, daß nur den

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Werner, nuß verbitten. Sie

mächtig sind.) habe

abgelel en. et äsiden 9 ö mir eine Kritik meiner Amts rochen haben mich unterbrochen, ich K. Den katte, fonst hätte ich Ihnen geiagt⸗ daß ich , müßte, nicht so viel vorzulesen. Sie fingen aber u. Hell ver reden, bevor ich ausgesprochen hatte. Sie haben große *

( . n. lesen, wenn Sie auch zwischendurch wieder frei gesprochen haben)

(Schluß lu der Zwelten Bellage)

Dr.

die Regierung selt langer Zeit zum ersten Male Rücksicht hn, .

ösei es kein die Gefolgschaft kündigten.

Mitteilungen gemacht und ist mir eine Reihe von Kopien von Briefen vorgelegt worden. erreichten“, so ist das nicht meine Schuld.

in Staatsdienst

eignet

ib die Rolle der spröden Schönen richtig ist, weiß ich nicht, aber ich nächte die Regierung jedenfalls davor warnen, die Rolle des stürmischen

ndikat stärkt, die Hüttenzechen wollen sich aber mit ihrem eigenen

nehmen.

zum Deutschen Neichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

M 121.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Der Redner tritt sodann lebhaft für die deutsche Pflastersteinindustrie ein und kritisiert darauf unter großer Unruhe der Linken die Stellung der Sozialdemokraten zu dem Handelsbertrage; bei dieser Haltung Wunder, wenn die Arbeiter der Sozialdemofratie Der Abg. von Vollmar habe heute genau dieselbe Stellung zu dem Vertrage eingenommen, wie 1906 der Abg. Gothein. Sozialdemokratie und Freisinn förderten bewußt oder unbewußt das Ausland, gerade so wie beim Zolltarif. Hierauf wird ein Schlußantrag angenommen.

Persönlich bemerkt der

Abg. Molkenbuhr (Soz.): Der Verfasser der soeben be⸗ endeten Vorlesung (sstürmischer Widerspruch und Zurufe rechts) ist, unrichtig berichtet, wenn er sagt. es seien an mich Briefe von Steinarbeitern gelangt mit der Aufforderung, gegen den schwedischen Handelsvertrag zu stimmen. Solche Briefe habe ich bis heute nicht erhalten, wohl aber ist mir heute morgen eine Depesche zugegangen, worin es heißt: Opfern Sie nicht Hunderttausende von deutschen Steinarbeitern. Dieser Depesche habe ich keine Bedeutung beigelegt, weil nach meiner Kenntnis die deutsche Steinindustrie im ganzen 161 090 Arbeiter beschäftigt.

Abg. Dr. Werner (wirtsch. Vgg.): Erst gestern sind mir diese Wenn diese zu denen gehören, „die ihn nicht seine Aus⸗

Mit⸗

Abg, Gräfe (d Reformp.) bedauert zur Geschäftsordnung, Geanerschaft gegen den schwedischen Handelsvertrag nicht zum druck haben bringen zu können.

Der Vertrag geht an eine Kommission von 21 gliedern.

Darauf wird Vertagung beschlossen.

Schluß gegen 6. Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 12 Uhr. ö . der Vorlage, betreffend die Elsaß⸗Lothringische Derfassung. .

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 82. Sitzung vom 22. Mai 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung, in der zunächst die Be ratung des im Bericht über die 81. Sitzung ausführlich mit— geteilten Antrages der Budgetkommission, betreffend die Lage der staatlichen Bergwerke (Beseitigung der Mängel n den Verhältnissen der Beamten und Arbeiter, Lohnpolitik, Preispolitik, Tarifpolitik, Beteiligung am Kohlensyndikat, über⸗ sichtlichere Aufstellung des Etats, Feststellung des Anlagekapitals), sortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichten worden.

Abg. Gyßling (fortschr. Volksp.) bemerkt, in seiner Rede sortfahrend: Die Budgetkommission hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß den Bergwerksdirektoren höhere Gehälter nicht zu ge— währen sind. Wenn man diese höheren Beamten aber wirklich 1 enst, erhalten will. muß man diesen Weg gehen. Der Abg. Röchling hat dem Abg. Brust in der Beamtenfrage inen Umfall vorgeworfen. Ob gerade die Nationalliberalen ge⸗ iet sind, einen solchen Vorwurf zu erheben, möchte ich noch dahingestellt sein lassen. Aber zu tragisch ist dieser. Vorwurf Hhließlich auch nicht zu nehmen; wir fallen ja alle einmal um. Den leitenden Beamten Tantiemen zu geben, hält die Regierung nicht für möglich, weil die Verhältnisse im Staatsbetriebe anders liegen als in der Privatindustrie. Die Gewährung von Gratifikation hat aber einen großen Nachteil; da ist leicht der Willkür Tür und Tor geöffnet. Wenn wir einen Teil der Beamten in das Priwat— denstherhältnis übernehmen würden, so würden wir an demselben Werk Beamte und Privatangestellte haben; zur Zufriedenheit würde das sicherlich nicht beitragen. Die Verwaltung und der Betrieb müssen und können vereinfacht werden; ist es denn nötig, daß in allen in zelnen Fälle die hohe Staatsregierung die Disziplinarbehörde ist? ie Löhne müssen erhöht und gerecht verteilt werden, es müssen den arbeitern auch Vorschüsse gegeben werden, damit sie nicht in üble Lage geraten. Für die Materialienbeschaffung muß eine Zentrali, sieiung eintreten wie bei der Eisenbahnverwaltung. In bezug auf die Clektrizitätspersorgung hat der Abg. Oeser im Reichstage eine leußerung getan, die ihm zu Unrecht Angriffe in der Presse zugezogen hat; er hat nur gesagt, daß durch ein Elektrizitätsmonopol die Gewerbefreiheit beschränkt werde, und diese Anschauung ist be⸗ üchtigt. Es muß ein besonderes Elektrizitätsgesetz erlassen werden. Die Handwerker leiden schon sehr unter den monopolisierenden Be⸗ strebungen in der Elektrizitätsindustrie. Ueber die Teilnahme am Kohlensyndikat läßt sich heute eigentlich noch gar nichts sagen; wir haben noch keine Kenntnis von den künftigen Plänen des Syndikats. herr von Pappenheim sagte, daß in diese Frage keine Parteipolitik neinspiele aber die Rede des Herrn von Pappenheim war gerade harteipolitik, denn sie war dazu bestimmt, die Großindustrie und die Agrarier zusammenzuführen. Wenn Herr von Kröcher die Reise nach dem Westen auf einem leichten Kavalleriepferd gemacht hat, so hat derr von Pappenheim am Sonnabend ein kräftiges Artilleriepferd ge⸗ nutten. Ich weiß nicht, wie der Graf Kanitz über diese Rede des Herrn bon Pappenheim denken wird. (Abg. von Pappenheim: Er ist damit einverstanden! Wenn ich bedenke, wie scharf Graf Kanitz immer gen das Kohlensyndikat vorgegangen ist, so scheint mir hier eine

andlung bei den Konservativen vorzuliegen. Herr von Pappenheim Ut die Regierung zur Teilnahme am Kohlensyndikat aufgefordert. Die Regierung scheint hier die Rolle der spröden Schönen zu spielen;

bhabers zu spielen. Die Regierung hat die Verpflichtung, alle utlichen Interessen gegenüber dem Kohlensyndikat wahrzunehmen. e Interessen der Reinzechen und die der Hüttenzechen kollidieren; Reinzechen erwarten, daß die Regierung ihre Interessen im

brauch nicht kontingentieren lassen, und dasselbe Inter⸗ bat auch die Regierung bezüglich der Staatseisenbahnen. br hrinister, wandte sich gegen die Forderung der Kommission, daß . Anlagekapital geschätzt werden solle. Er, berief sich dabei auf das dels ge setzbuch. Nach dem § 261 H.⸗G.⸗B. ist die Regierung er doch berechtigt, das Anlagekapital so weit zu schätzen, als es ruht auf Regalen, auf Erwerbungen, die keine Kosten verursacht . Den einzelnen Ausführungen des Referenten der Kommisfion . ich nicht zustimmen, wohl aber der Resolution, die nur all⸗ nenn, gehalten ist, Wenn die Eisenbahnverwaltung, die Berg⸗

waltung usw. wirklich die Grundlage unserer Finanzen sind, dann

muß in . 217 * . 542 1 2. r* ß die allgemeine Finanzverwaltung Rücksicht auf diese Verhältnisse

Zweite Beilage

Abg. Korfanty (Pole): Staatliche Unternehmungen können nicht so wie Privatunternehmungen angesehen werden; wir müssen verlangen, daß der Fiskus bei seinen Unternehmungen auf das all⸗ gemeine Wohl Rücksicht nimmt. Dem Arbeiter ist nicht damst ge⸗ dient, daß er zuzeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur höhere Löhne erhält und dann wieder unter schlechten wirtschaftlichen Zeiten zu leiden hat. Der Staat muß vielmehr für eine Stetigkeit in der Lohnpolitik sorgen.

Abg. Leinert (Soz): Die staatlichen Betriebe sollen Muster⸗ betriebe sein; darüber, was Musterbetriebe sind, gehen die Meinungen weit auseinander. Die von den Konservativen beantragte Unter⸗ suchung der Rentabilität der staatlichen Bergwerke scheint den Zweck zu haben, den Staat in die Fußstapfen der größten und schlimmsten Großkapitalisten zu bringen. Trotz der schlechten Verhältnisse der Arbeiter in den Staatsbetrieben ist gesagt worden, daß die soziale Fürsorge in den Staatsbetrieben weit über die gesetzlichen Ver⸗ pflichtungen hinausgegangen sei. Dieses Märchen ist aber durch die Kom missionsberatungen vollständig zerstört worden, und mit dem Renommieren mit, der Sozialpolitik in den Staatsbetrieben ist 58 nach dieser Kommissionsberatung vorbei. Was es mit den Arbeiterausschüssen und den Sicherheitsmännern im Saargebiet auf sich hat, das hat der Geheime Bergrat Hilger seinerzeit trefflich gesagt, als er davon sprach, daß die ganzen Einrichtungen der Arbeiterausschüsse weiter nichts als weiße Salbe“ eien. Die Wirkung der Arbeiterausschüsse und der Sicherheitsmänner ist gleich Null geblieben, dem Staate sind keinerlei Unkosten dadurch erwachsen. Die Arbeiter tragen leinerlei Schuld an der geringen Rentabilität der Saarbergwerke. Die Kommission hätte wirklich Wert darauf legen müssen, die Arbeiterverhältnisse des Saargebiets näher zu untersuchen. Kadavergehorsam will man von den Arbeitern haben. Von einer Gleich macherei in den Löhnen kann keine Rede sein. 1909 waren die Sohne im Saarrepigr um 1 niedriger als im Jahre 1891. Weil die Ausbeutung der Arbeiter nicht mit voller Rücksichtslosigkeit vor— genommen worden ist, richtet sich die Verstimmung in der Kom— mission gegen die den Beamtencharakter besitzenden Steiger. Man will ihnen das Beamtenverhältnis nehmen. Bei den höheren Beamten denkt man aber nicht daran; diese will man durch Tantiemen und Gratifikatienen beglücken, damit sie die Arbeiter mehr schikanieren. Von dieser Prämiengewährung auf die Aus⸗ beutung muß unbedingt Abstand genommen werden. Man spricht davon, daß die Disziplin der Arbeiter sich gelockert hat. Das ist gleichbedeutend mit der Forderung, gegen die Arbeiter mit größerer Brutalität vorzugehen, ihnen die Nechte abzuschneiden. Auch ich kann mir die wesentlich andere Haltung des Ahg. Brust nur aus wahltaktischen Gründen erklären. In der Kommission hat man mit Verdächtigungen und Beschimpfungen der Arbeiter viel geleistet. Durch die Ausführungen des Oberberghauptmanns hat eine gewisse Humanität durchgeklungen; aber wir bezweifeln, daß sich die in der Zentralinstanz vorhandene Humanität bis unten durchsetzt. Die Saar⸗ brücker Selbstyerwaltung hat dazu beigetragen, daß ein ursprünglich gesunder und kräftiger Menschenschlag degeneriert ist. Wir hoffen und wünschen, daß die Unzufriedenheit der Bergleute an der Saar sich steigert, so hohe Potenz annimmt, wie die Unzufriedenheit der Agrarier. Die Agrarier haben nicht nachgelassen, bis sie alles erhielten; den staatlichen Bergarbeitern aber empfehlen diese Herren, Ruhe zu halten, Kirchhofsruhe zu halten. Unerhört ist es, daß auf den Arbeitern die Unrentabilät der Bergwerke sitzen geblieben ist. Dagegen pro— testieren wir. Wenn man immer die Schuld auf die Arbeiter ab— wälzt, dann werden wir auch einmal Momentbilder aus der Tätig⸗ keit der höheren Beamten bringen. Vom großkapitalistischen Stand⸗ punkt aus ist es verständlich, daß man den Staat in das Kohlensyndikat hineinbringen will. Wir werden dem aber nur zustimmen, wenn der Eintritt des Staats an den Abschluß von Tarifoerträgen gebunden wird. Leicht kann der Eintritt des Staats in das Syndikat aber dazu führen, daß der Staat nicht das Syndikat, sondern das Syndikat den Staat in der Hand hat. Das Ziel der ganzen Aktign muß es sein, den Staat von den Scharfmachern zu emanzipieren. Daß dieser Umschwung in der Ansicht der Konservativen über das Synditat ein getreten ist, ist höchst sonderbar, nachdem Herr von Kanitz noch so scharfe Stellung im Reichstage genommen hatte. Das hängt mit dem Ritt nach dem Westen zusammen. Dort hat man sich mit den Nationalliberalen geeinigt, die zur freikonservativen Partei hinneigen, zur freikonservativen Partei, die nur bier im Hause, aber nicht im Lande besteht. (Widerspruch des Abg. Spinzůig.) Nennen Sie mir doch nur einen einzigen freikonservativen Wähler, der Sie gewählt hat. Freikonserpatipe gibt es nur im Parlament, aber nicht im Lande. Sie sind in einer nationalliberalen Versammlung aufgestellt worden, und nachdem Sie gewählt waren, haben Sie erklärt, daß Sie sich der freikonservativen Partei anschließen. Da hätten Sie die langen Gesichter der Nationalliberalen sehen sollen. Das Zentrum ist hinter verschlossenen Türen arbeiterfeindlich, in der Oeffentlichkeit zeigt es sich arbeiterfreundlich. Wir verlangen, daß den Arbeitern gegenüber auch vom Staate Gerechtigkeit geübt wird.

Abg. Spinzig (freikons. : Ich führe die Sache auf die rein sach= lichen Erörterungen zurück. Herr Leinert hat sie fast ausschließlich vom Standpunkt des Arbeitervertreters behandelt, die Kommission hat aber noch andere außerordentlich wichtige Fragen behandelt. Persönlich will ich Herrn Leinert über das Zustandekommen meiner Wahl aufklären. Ich habe die Erklärung, daß ich mich der frei konservativen Partei aus ze, abgegeben, ehe ich offiziell als Kandidat aufgestellt wurde; es konnte also für die Nationalliberalen keine Ueber raschung sein, und sie haben, obwohl sie wußten, daß ich frei⸗ konservativ bin, meine Wahl unterstützt. Ich bin Mitglied der Unterkommission gewesen, Herr Leinert sieht die fünf Mitglieder der Unterkommission als Scharfmacher an, ich muß das für mich ent schieden zurückweisen, ich stehe den Arbeitern mit demselben freundlichen Herzen gegenüber wie Herr Leinert, und sämtliche Mit glieder der Kommission sind nach Möglichkeit, für die Wünsche der Arbeiter eingetreten. Ich möchte den Dank meiner Freunde dem Abg. von Pappenheim, der den Bericht der Kommission angeregt hat, und besonders dem Berichterstatter aussprechen. Der Bericht ist eine ganz hervorragende Arbeit und bietet reiches Material allen denen, die sich selbst ein Urteil bilden wollen. Ein außerordent licher Rückgang der Rente der staatlichen Bergbetriebe ist nicht zu leugnen. Der Ueberschuß betrug 1890 24 Millionen, 1909 47 Millionen und ging dann im Jahre 1909 auf 17 Millionen zurück, oder, auf einen Mann der Belegschaft berechnet, ist der Ueberschuß von 433 ½ im Jahre 1890 und 647 ½ im Jahre 19090 auf 166 ½ im Jahre 1909 zurückgegangen. In dieser Zeit hat sich die Belegschaft verdoppelt. Als vorübergehender Grund des Rückgangs ist anzusehen, daß wir uns in den letzten zehn Jahren in der Bergverwaltung in der Periode der Neubauten befunden haben. Dafür ist bis 1900 außerordentlich wenig verwandt worden; eine Erneuerung der Staatsbetriebe war aber notwendig, und wir sind der Regierung dafür dankbar, daß sie sie erfolgreich durchgeführt hat. Als dauernde Gründe für den Rückgang sind an— zusehen die Aufwendungen für soziale Zwecke, das Anwachsen der Steuerbelastung, die Erhöhung der Löhne und der Materialkosten, der Rückgang der Leistungen. Die Kommission hat anerkannt, daß diese Gründe auch bei den Privatwerken vorliegen und daß der halb für den Rückgang der Staatswerke noch besondere Gründe vorliegen müssen. Die Kommission hat sie in einer salschen Organisation der Beamten und in dem Rückgang der Leistungen

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der Arbeiter gesehen. In der Beamtenfrage stehen meine Freunde

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auf dem Standpunkt, daß es kein Vorzug sür einen Preußen und Deutschen ist, ein Beamter zu sein, denn das würde eine Zuruͤck⸗ setzung für die große Mehrzahl der Bevölkerung sein. Darum ver⸗ stehe ich es nicht, weshalb so außerordentlicher Wert auf die Beamtenstellung gelegt wird. Wenn man aber nun einmal die große Masse zu Staatsbeamten gemacht hat und es später nicht mehr tun will, so würde ich die Erregung darüber verstehen. Eine Aenderung wäre möglich, ohne diese Kreise zu erregen, indem man sie überzeugt, daß das für sie keine Zurücksetzung sein würde. Die Mitglieder der Kommission waren der Meinung, daß sich unter den Be— amten keine Erregung fühlbar machen sollte; sie haben gar nicht daran gedacht, den Beamten unterzuschieben, sie hätten ihre Pflicht nicht getan und sollten deshalb von dem Staatsbeamten—⸗ charakter ausgeschlossen werden. Wir haben nicht im entferntesten daran gedacht, den Beamten ein Mißtrauensvotum auszusprechen, Sollten die Beamten aber so erregt werden, so steht meine Partei auf dem Standpunkt, daß es vorteilhafter ist, sie in ihrem jetzigen Verhältnis zu belassen und daran nichts zu ändern. Bezüglich der höheren Beamten wurde in der Unterkommission vorgeschlagen, diesen eine unabhängigere Stellung zu geben, um sie länger in ihren Stellen zu erhalten, durch höheres Gehalt oder Tantieme oder Prämien. Ein Beamter kann aber ungewöhnlich tüchtig sein, und doch keinen Ueberschuß herauswirtschaften, denn die Verhältnisse der einzelnen Werke sind sehr verschieden, und man kann nicht die Fähigkeit eines Beamten nach der Rentabilität beurteilen. Prämien oder Remunerationen wären nur dann zulässig, wenn sie jeder Bergwerksdirektor in bestimmter Form erhielte, wenn sie also nicht von dem abhingen, was aus dem Betrieb herausgewirt— schaftet wird. Damit nicht bei einer Gehaltserhöhung für die Berg werksdirektoren andere Beamte von gleichem Rang Erhöhungen ver⸗ langen könnten, hat die Unterkommission sich erfreulicherweise auf den Standpunkt gestellt, daß die staatlichen Bergwerksdirektoren mit keiner anderen Beamtenklasse zu vergleichen sind. Die Bergwerks— direktoren müssen ferner eine andere Stellung gegenüber der vor⸗ gesetzten Behörde erhalten, es ist nicht richtig, daß sie die Oberberg⸗ ämter als ihre vorgesetzte Behörde betrachten, wir müssen sie aus jeder Verbindung mit den Oberbergämtern herausnehmen und sie rein formell und direkt dem Minister unterstellen; wir müssen eine rein verwaltende und eine technische Bergbehörde schaffen, die Haupt- tätigkeit der verwaltenden Bergbehörde ist polizeilicher Natur. Dann hat man über die Stetigkeit der Löhne gesprochen. Ich meine, wenn die Arbeiter sich an ein höheres Einkommen ge— wöhnt haben, ist es außerordentlich schwer für sie, sich wieder an ge⸗ ringeres Einkommen zu gewöhnen; haben sie in der Hochkonjunktur höhere Löhne bekommen, so sind sie über geringere Löhne bei der zurückgehenden Konjunktur unzufrieden. Das allmähliche Anwachsen im Lohn, wie im Saarrevier, ist das Richtige. Auch im Erzbergbau im Harz bestand früher die Gleichmacherei der Löhne, das ist aber heute zum Vorteil der Arbeiter geändert, wenn auch eine gewisse mittlere Höhe festgehalten ist. Wir dürfen nicht nur auf Massenneid hinwirken, sondern auch auf Qualitätsleistungen. Der Oberberg⸗ hauptmann hat die Kommission gefragt, ob sie auf dem Stand— punkt stehe, daß die staatliche Verwaltung keine besonderen volkswirtschaftlichen Aufgaben habe; die Kommission hat sich wohl gehütet, die Frage zu verneinen, sondern dem staat— lichen Bergbau im Gegenteil solche Aufgaben zugeschoben. In zwanzig Jahren wird im Erzbergbau im Harz nichts mehr herauszuholen sein. Ich möchte deshalb die Regierung dringend bitten, nicht nur nach einer Rente zu streben, sondern der dortigen Bevölkerung möglichst lange diese einzige Nährquelle zu erhalten. Es fragt sich nun: welche Rente können wir aus den Staatsberg— werken erwarten? Nach vorsichtiger Schätzung kann man das in Bergwerken investierte Kapital auf. 550. Millionen schätzen. Zu 40,0 verzinst, ergäbe das jährlich einen Ueberschuß von 22 Mill. Mark, wovon die Verwaltungskosten und die Kosten für Erweiterungsbauten abgehen würden. Dem Abg. Leinert möchte ich doch erwidern, daß Deutschland von keinem Lande der Welt in der praktischen Fürsorge für die Arbeiter übertroffen wird. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten) Das wollen Sie nie anerkennen; wenn Sie aufrichtig sein wollen, müssen Sie das aber tun. Die Sozialdemokratie steht auf dem Standpunkt: alles oder nichts! Wenn praktische Gesetze kommen, stimmen Sie dagegen. Bei der

ö Arbeiterschutzgesetzgebung stellten Sie Angäge, die Unmöglich angenommen werden konnten. (Abg. Hoffmann: Unerhört Sie können mich ja nachher wider legen! (Abg. Hoffmann: Das geht ja nicht, der Schluß⸗ antrag ist ja schon wieder eingegangen!) Es wäre vielleicht möglich, zur Abstellung der Klagen der Arbeiter eine Beschwerdeinstanz zu schaffen, bestehend aus fünf Knappschafts— ältesten, fünf Zechenvertretern und einem Regierungsbeamten. Aber eine solche Instanz wollen Sie (zu den Sozialdemokraten) gar nicht; Sie wollen nur die Unzufriedenheit unter den Arbeitern. Sie verlassen sich einfach auf alle möglichen Zuträgereien, ohne sich auch bei der anderen Seite zu erkundigen, wie die Lage des Betriebes ist und ob die Wünsche und Forderungen erfüllt werden können. Ich möchte befürworten, daß regelmäßige Betriebskonferenzen nicht nur zwischen den höheren Beamten abgehalten werden, sondern auch mit den mittleren Beamten, mit den Steigern. Dadurch könnte manche Unzufriedenheit beseitigt werden.

Abg. Imbusch (Gentr.): Durch den schnellen Wechsel in den höheren Beamtenstellen geht die Fühlung der Leitung mit dem Betrieb ver⸗ loren. Zurückweisen muß ich aber die Bemerkung des Abg. Leinert von dem Prämiensystem. Diese Aeußerung zeigt nur, daß der Abg. Leinert keinerlei Sachkenntnis hat. Niemand wird den Grundsatz auf stellen, daß die Eisenhahn nur eine Erwerbsquelle für den Staat sei. Hier auf dem Gebiete des Bergbaues versucht mans aber. Von einer Gleichmacherei der Löhne kann keine Rede sein. Die Löhne schwanken zwischen 3,40 und 620 „, die Löhne der Hauer allein zwischen 4,40 S½½ und h,„40 (. Die Löhne an der Saar müßten unbedingt erhöht werden. Auch Tarifverträge lassen sich im Bergbau durchführen. Selbst die ‚Deutsche Bergwerkszeitung“ hat einiges Gute für den Abschluß von Tarifverträgen angeführt. Man sollte damit einen Versuch machen; ich bin überzeugt, daß er gelingen würde. Die Schlepper beklagen sich darüber, daß sie zu spät Hauer werden. In den staatlichen Betrieben herrscht zweifellos ein zu weit gehender Assessorismus. Da sollte man sich die praktischen Erfahrungen noch mehr zu nutze machen.

Auf Antrag des Abg. von Pappenheim (kons) wird die Debatte geschlossen.

Persönlich bedauert .

Abg. Bartscher (Zentr.), daß es ihm durch Schließung der Debatte unmöglich gemacht sei, den Vorwurf gegen die Grubenarbeiter zurück⸗ zuweisen, daß sie für die mangelnde Rentabilität verantwortlich ge⸗ macht würden.

Abg. Goebel (Zentr.) bedauert, daß er nicht mehr äber die ober⸗ schlesischen Arbeiterverhältnisse sprechen könne. Beim Etat habe er dies unterlassen, weil man ihn auf diese Verhandlung vertröstet habe. Abg. Dr. Glattfelter (Zentr) bedauert, daß es ihm unmöglich gemacht sei, die Behauptung der Resolution zurückzuweisen, daß die Arbeiter und Beamten an der schlechten Lage der Bergwerks—⸗ verwaltung Schuld trügen.

Abg. Brust (Zentr.) bedauert, daß er nicht mehr die Angriffe

des Abg. Leinert zurückweisen könne.