dann noch etwa differente Auffassungen fiber die Auslegung des Vereinsgesetzes zwischen uns ergeben sollten, dann werde ich die erforderlichen Schritte zu tun nicht unterlassen.
Nun hat der Herr Abg. Albrecht die Güte gehabt, mir eine Auslese derjenigen Fälle zugänglich zu machen, die er zum Ausgangs⸗ punkt seiner heutigen Anfrage an den Herrn Reichskanzler genommen hat. Ich kann natürlich auch auf diese einzelnen Fälle hier nicht ein⸗ gehen. Zum Teil ist der Tatbestand so knapp gehalten, daß ich gar nicht in der Lage bin, eine Kritik zu üben, zum Teil sind diese Fälle bereits Gegenstand einer gerichtlichen, letztinstanzlichen Entscheidung geworden, haben also ihre Erledigung gefunden. Zum Teil sind sie mit wenigen Ausnahmen nicht aus der provinziellen oder lokalen Instanz herausgekommen. Es ist mir also schon aus diesem Grunde gar nicht möglich gewesen, mich über die Einzelheiten so zu informieren, daß ich heute in der Lage wäre, mich über die einzelnen Fille zu äußern. Immerhin habe ich mir die Fälle auch noch unter einem anderen Gesichtsvunkt angesehen, und da ergibt sich nun, daß von diesen 50 Fällen 23 Fälle anscheinend mit einem Rechtsmittel überhaupt nicht angefochten sind (hört! hört! rechts), daß ferner in 13 Fällen Beschwerde erhoben worden ist, welcher in 4 Fällen stattgegeben worden ist. In 8 Fällen ist die Beschwerde in unterer Instanz abgelehnt und auch nicht weiter verfolgt. Man kann also jedenfalls den Landeszentralbehörden keine Vorwürfe über die Be⸗ handlung der Dinge insoweit machen, als sie nicht direkt damit be⸗ faßt gewesen sind. In einem Falle, in welchem die Abweisung der Beschwerde in letzter Instanz erfolgte, und in dem eine Beschwerde direkt an den preußischen Herrn Minister des Innern gegangen ist, hat der Regierungepräsident, an den die Sache abgegeben worden ist, im Sinne der Beschwerdeführer Remedur eintreten lassen. In 11 Fällen ist Klage erhoben, in 8 von diesen 11 Fällen ist der Klage stattgegeben, in 3 Fällen ist Abweisung erfolgt, und in 3 Fällen schwebt das Rechtsmittelverfahren noch.
Wenn man sich diese Zahlen, die ich gegeben habe, ansieht, so ersieht man daraus, daß das, was ich im vorigen und im vorvorigen Jahre immer empfohlen habe, nämlich den strittigen Fall zur Enscheidung der zuständigen Gerichte oder der letzten Instanz zu bringen, der einzige Weg ist, wie man die Schwierigkeit beseitigen, und wie man Klarheit über die juristische Auffassung der immerhin nicht ganz ein · fachen Bestimmungen des Reichsvereinsgesetzes gewinnen kann. Es ist immerhin interessant festzustellen, daß in den einzelnen Fällen die kechtsmittel in überwiegendem Maße zugunsten der Beschwerde— führer ausgeschlagen haben, woraus sich also ergibt, daß, wenn Miß⸗ griffe in den Unterinstanzen vorkommen — und daß sie vorkommen, kann kein Mensch bestreiten; sie werden auch in Zukunft vorkommen — , dies nicht damit zusammenhängt, daß die Bundesregierungen und die Landes entralbehörden nicht die Absicht hätten, ihrerseits dem Ge⸗ setze zur Geltung zu verhelfen.
Nun ist ja zweifellos in einer Reihe von Fällen die Aus⸗ le gu ᷣ In einer Reihe ron Fällen haben die höchsten Gerichtshöfe von einander ab— weichende Entscheidungen getroffen. Alle diese Fälle hier von der Tribũne Reichstags zu entscheiden, bin ich völlig außer stande. Wir werden nach meiner Ansicht abwarten müssen, daß die Judikatur auch bier Klarheit schafft, und ich hoffe, daß das bald geschieht. (Zu⸗ ruf bei den Sozialdemokraten: Das Abwarten wird geschehen) — Ja, meine Herren, wie soll ich denn das anders machen? Ich kann
ng des Vereinsgesetzes heute noch strittig.
ö
. 8
doch keine Entscheidung der höchsten Gerichtshöfe über Streitfãlle prohozieren, wenn nicht aus den Kreisen der unmittelbar Beteiligten das Rechtsmittel eingelegt wird.
Nun, meine Herren, ich sagte vorhin, daß in einer Reihe von Fällen Streit zwischen den Gerichten, zwischen den Behörden, zwischen um und den Bebörden über die Auslegung des Vereins— h eht, und ich möchte mir, statt auf Einzelfälle einzugehen, gestatten, bier unter diesem Gesichtsvunkte eine Reihe von grund— sätlichen Fragen zu erörtern, die in den Ausführungen des Herrn Vorredners im Wege der Detailarbeit auch eingehend behandelt sind.
Es gehen durch die Presse und es gingen durch die Ausführungen des Herrn Vorredners dauernd Klagen darüber, daß die Polizeibehörden Versammlungen schicken, in die sie nach dem Vereintgesetz (Sehr richtig! bei den Polen.)
5M ter in Vertreter
11 —
8 218 hat den Kreis
sammlungen in gewissen Grenzen eingeschränkt. Das Reichsgericht
36 36
bat demgegenüber in einem Erkenntnis vom 25. April 1911 den Standrunkt daß die Polizeibehörde befugt ist, gemäß 8 13 des Vereinsgeset alle öffentlichen Versammlungen Beauftragte zu entsenden, und begründet das mit folgendem Satze:
Mithin umfaßt s 13 des Reichsvereinsgesetzes alle überhaupt
fallenden öffentlichen Versammlungen, mögen sie iche oder unvrolitische sein.
ffassung wird nebenbei von dem Kammergericht, von den und von dem Königlich
eslsau und Celle i
altungsgericht geteilt. Meine Herren, solange diese Entscheidung des Reichsgerichts zu Recht besteht, wind niemand darüber Beschwerde führen
deg böch die er hung eihoben werden, sind nach meiner Ansicht begründet. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: So machen die Richter neue Gesetze) — Meine Herren, wenn wir nicht die Ent— beidungen der höchsten Gerichts höfe zur Richtschnur unseres Handelns machen wollen, dann würden wir allerdings zu einer Wüllkũr kommen, über die Sie mit Recht sich beschweren können. (Zuruf bei den Serialdemokraten: Beim Erlaß des Vereinsgesetzes hat die Reg entgegenstehende Erklärungen abgegeben) — Meine Herren, ich kann mich hier auch auf die Autorität des Reichstags be⸗ * n Herrn Müller (Meiningen). (Aha! bei den Sozial⸗ demokta Soviel ich weiß, steht sein Kommentar auf demselben Bod n wie die reichsgerichtliche Entscheidung. (Zuruf bei den 80 aldemekraten: Damals war er noch bei der Blockpartei, das rächt sich jetzt! — Große Heiterkeit.
Nun, meine Herren, im Zusammenhang damit steht eine zweite age, nämlich die, wie die Versammlungen geschlossener Vereine zu behandeln sind . Auck bier besteht grundsätzlich bei niemandem Zweifel darüber, daß * 4 4 * lungen g 7 1
jeschlossener Vereine Beauftragte der Polizei⸗ d dürfen. (Zurufe bei den Sozial—
nakraten
im einzelnen Fall sehr zweifelhaft sein kann, ob die Versammlung eines geschlossenen Vereins nicht eine öffentliche Versammlung ist (aha! und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten und bei den Polen); denn, meine Herren, in demselben Augenblick, wo sich aus der Art der Einberufung, aus der Art der Verhandlungen, aus der Art der Tagesordnung ergibt, daß sich an den Erörterungen dieser Versammlung Leute beteiligen sollen und beteiligen, die nicht Mitglieder des be⸗ treffenden Vereins sind, dann ist die Versammlung eben eine
öffentliche, und in diesem Falle ist die Entsendung eines Beauftragten der Polizeibehörde zulässig. (Zustimmung rechts.)
Diese Rechtsauffassung ist nach meiner Ansicht so klar, daß dagegen überhaupt nicht anzukommen ist. (Zuruf des Abgeordenten Emmel: Merkwürdig ist, daß die Polizei nie gegen die bürgerlichen Vereine, immer nur gegen Sozialdemokraten vorgeht) — Meine Herren, das ist eine zweite Frage. (Zuüuruf bei den Sozialdemokraten: Aber eine sehr wichtige) — Erlauben Sie einmal! — Die Polizei ist nicht verpflichtet zu überwachen, sondern es ist ihrem Ermessen überlassen, inwieweit sie Beauftragte entsenden will. Wenn also die Polizei nicht in allen Versammlungen erscheint, so wird sie dafür ihre Gründe haben (Lachen bei den Sozialdemokraten), die hier nachzuprüfen ich selbstverständlich nicht in der Lage bin. (Sehr gut! und Deiter⸗ kelt rechts. — Zuruf bei den Sozialdemokraten: die reine Polizeiwillkür!) — Nein, Herr Ledebour, wenn ich von einem Recht, das mir zusteht, nach meinem freien Ermessen Gebrauch mache oder nicht, begründet das nicht den Vorwurf der Willkür. (Zuruf bei den Sozial— demokraten.) Genau so liegt nun die Sache bezüglich der Gewerkschafts⸗ und sonstigen Koalitionsversammlungen. Selbstverständlich ist die Gewerkschaftsversammlung als solche nicht der polizeilichen Ueber⸗ wachung unterworfen. Wenn aber nach Lage der Verhältnisse fest⸗ steht, daß, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Gewerkschaft nur eingeladen hat, aber jedermann, den die Sache interessiert, sich an den Erörterungen beteiligen kann und sich beteiligt, dann sst die Ver⸗ sammlung eine öffentliche; die Polizei ist befugt, Beauftragte zu entsenden. Ob diese Voraussetzungen im einzelnen vorliegen oder nicht, kann nicht in allgemeinen Normen festgestellt werden. Werden sie nach Ihrer Auffassung (zu den Sozialdemokraten) zu Unrecht angenommen, dann stehen Ihnen die Rechtsgarantien des Gesetzes zur Verfügung, um eine derartige willkürliche Handhabung zu beseitigen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Dann, meine Herren, besteht noch eine Frage, die heute hier nicht erörtert ist, die aber, wie mir aus der Presse bekannt ist, die Gemüter sehr lebhaft bewegt: das ist die Frage, inwieweit die Polizeistunde einen Einfluß auf öffentliche Versammlungen bat Nun, hier liegen die Entscheldungen verschieden. Eine böchstinstanliche Entscheidung ist nicht ergangen. Es liegen aber vor eine Entscheidung des Kammergerichts, eine Entscheidung des Oberlandesgerichts in Breslau, eine Entscheidung des Oberlandesgerichts in Hamm, vor denen die letztere die Auffassung, daß die Polizeistunde auch das Ver sammlungsrecht beschränken kann, verneint, während die beiden anderen Ent scheidungen diese Frage bejahen, und zwar in Uebereinstimmung mit der vor dem Erlaß des Vereinsgesetzes in Preußen bestehenden Praxis, die dahin ging, daß der geltenden Polizeistunde auch unterworfen sind die Mitgliede einer öffentlichen Versammlung, daß aber eine Polizeistunde nicht be. sonders für eine öffentliche Versammlung angeordnet werden kann d. h. die Mitglieder einer öffentlichen Versammlung sind den allge meinen Staatsgesetzen und allgemeinen voltzeilchen Anordnungen unter worfen, aber man soll nicht sür sie speziell Anordnungen treffen, deren Rechtsgrund und deren Ziele andere sind als die der Vereinsgesetzgebung. Nach dem Erlaß des Vereintgesetzes liegt die Sache anders. Nach dem 81 des Gesetzes unterliegt die Ausübung des Versammlungt rechtes nur denjenigen Beschränkungen, die in dem Vereinsgesetze und anderen Reichsgesetzen ihre Begründung haben. Die Mehrzahl der Gelehrten und die Mehrzahl der Gerichte, die zu der Sache gesprochen baben, stehen auf dem Standpunkt, daß der S 365 des ? St. ⸗G⸗B ein solches Reichsgesetz ist, und daß er Anwendung zu finden hat, mit Räckicht darauf, daß er nicht ein reines Blankettgesetz sondern ein Gesetz mit einem ganz fest umrissenen Tatbestand ist und daß selbstverständlich die auf Grund dieses Reichsgesetzes erlassenen Bestimmungen auch bindend sind für diejenigen Leute, die sich auf Grund ihres Vereins- und Versammlungẽsrechtes zusammengefunden haben. Es kommt dazu — das ist die Auffassung des Kammer— gerichtes —, daß schließlich die Vorschrift des 5 1 des Vereins— gesetzes doch nicht so aufgefaßt werden kann, daß alle Landesgesetze für diejenigen Personen außer Kraft treten, welche sich zufällig in der Ausübung ihres durch Reichsgesetz garantierten Vereins⸗ und Ver⸗ sammlungsrechtes befinden. Das Kammergericht sagt in dieser Be⸗ ziehung folgendes: Die in 8 1 des Vereinsgesetzes ausgesprochene Begrenzung der Anwendbarkeit polizeilicher Vorschriften ist nicht dahin aufzufassen, daß Polizeivorschriften, landesgesetzliche Bestimmungen, j welch gegenüber allen Staatsbürgern erlassen sind, in bejug auf solch Personen nicht anzuwenden sind, die in Ausübung ihres Vereins⸗ und Versammlungsrechtes begriffen sind. Wie im § 1 Satz 1 der Grundsatz der Vereins- und Versammlungsfreiheit aufgestellt ist, so bezieht sich auch die Beschränkung des Satzes 2 nur auf solche Polizeivorschriften, die eine Beschränkung der Vereins⸗ und Ver⸗ sammlungsfreibeit bezwecken oder in sich tragen; ganz allgemeine Befugnisse der Polizei, die nicht vereinsgesetzlicher Natur sind, sollen nicht deshalb außer Kraft treten, weil die davon betroffenen Personen sich gerade in der Ausübung ihres Vereins- und Versammlungsrechtes befinden. Nun, meine Herren, wir werden abwarten müssen, welche Ent— scheidungen letztinstanzlich getroffen werden. Niemand aber wird den Behörden einen Vorwurf daraus machen dürfen, wenn sie sich z. B. in Preußen der Entscheidung des Kammergerichts in der Auslegung des Gesetzes anschließen, zumal diese Auslegung auch mit der bisher in Preußen bestehenden Praxis im Einklang steht. Eine andere Frage ist es, ob man eine Versammlung auflösen kann, weil sie üper die gebotene Polizeistunde hinaus tagt. Die Frage wird nach der herrschenden Meinung zu verneinen sein; denn die Voraussetzungen, unter denen aufgelöst werden kann, sind in 14 des Vereinsgesetzes erschöpfend geregelt. Es können also auf Mit: glieder einer öffentlichen Versammlung, die über die Polizelstunde hinaus tagen, nur diejenigen Zwangtmitel angewendet werden, die sich aus dem 5 365 R. St.⸗G. B. bezw. den landesgesetzlichen Bestimmungen
führungen des Herrn Vorredners eins aufgefallen:
Dann ist eine weitere Frage Gegenstand der Erörterungen gewesen,
ob das Vorgehen der Polizeibehörden gegen die sogenannten Jugendorganisationen der Sozialdemokratie berechtigt ist
Nun, meine Herren, ist mir bei den diesbezuglichen Aus⸗ ich habe schon öfter gefunden, daß man sich darüber beschwert, wenn sich die Ver⸗ waltungs⸗ und die Polizeibehörden mit letztinstanzlichen Entscheidungen der Gerichte in Widerspruch setzen, daß man aber eine Behörde des⸗ wegen anklagt, weil sie es den ihr nachgeordneten Behörden zur Pflicht macht, eine Entscheidung des höchsten Gerichtshofes zu beachten, wie das in dem vorhin angegriffenen Erlaß des Herrn Ministers des Innern in Preußen geschehen ist, das ist mir noch nicht vorgekommen! (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Ich kann nur wiederholen: die Behörden sind verpflichtet, neben den Gesetzen die Entscheidungen der höchsten Gerichtshöfe zu berücksichtigen, und man kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen, daß sie das tun und es ihren nachgeordneten Behörden zur Pflicht machen. (Sehr richtig! rechts.) Der preußische Herr Minister des Innern hat also in diesem Fall lediglich seine Pflicht getan, wenn er dle Behörden auf die Entscheidung des Ober⸗ verwaltungẽgerichts aufmerksam gemacht hat. . Nun liegt die Sache hier wieder so: über den Grundsatz ist kein Streit; Schwierigkeiten machen die tatsächlichen Verhãltnisse des einzelnen Falles, die naturgemäß die Entscheidung beeinflussen müssen. Das Oberverwaltungsgericht stellt nach meiner Ansicht auf diesem Gebiete einen ganz unbestreitbaren Gedankengang fest. Es sagt: nach 8 2 kann ein Verein, der den Strafgesetzen zuwiderläuft, auf⸗ gelöst werden. Es heißt dann in 817:
Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, dürfen nicht Mitglieder von politischen Vereinen sein und weder in den Versammlungen solcher Vereine, sofern es sich nicht um Ver⸗ anstaltungen zu geselligen Zwecken handelt, noch in öffentlichen politischen Versammlungen anwesend sein.
Und § 18 3iffer 5 und 6 stellen Zuwiderhandlungen gegen diese Be⸗ stimmungen unter Strafe. Daraus ergibt sich klar, daß ein Verein, der sich mit politischen Angelegenheiten beschäftigt, der also ein politischer Verein ist (Zuruf von den Sozialdemokraten: Radfahrer), wenn er Personen unter achtzehn Jahren aufnimmt, sich mit dem Strafrecht in Widerspruch setzt, und daß deshalb die Auflösung nach 5 2 Abs. 1 gerechtfertigt ist.
Nun wurde mir zugerufen, ein Radfahrerverein könne doch unmöglich politische Zwecke verfolgen. Meine Herren, wenn das harmlose Radfahrer sind, die Morgens bei Sonnenaufgang zusammentreffen, um in den Grunewald zu fahren und dort eine Tasse Kaffee zu trinken, und die darauf in ihr Bureau gehen, so ist der Einwand gerechtfertigt. Aber darüber kann doch auch kein Zweifel bestehen, daß nicht der Name eines Vereins, nicht seine Satzungen und die gelegentliche Beschäftigung seiner Mitglieder auf dem Boden ihrer Vereinsbetätigung maßgebend sind dafür, ob ein Verein ein politischer ist oder nicht, sondern daß festzustellen ist, ob der Verein eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten bezweckt. Zuruf links: Rote Radler) Ob das im einzelnen Falle geschieht der nicht, ob ein Verein ein politischer ist oder nicht, das kann nicht rundsätzlich festgestellt werden, sondern das kann nur im einzelnen Falle festgestellt werden auf Grund der Betätigung des Vereins, die sich neben dem Radfahren vollzieht. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.)
Eine zweite Frage ist die, ob die Polizei auch unter dem geltenden Recht noch befugt ist, Anfragen an Vereine zu richten. Bisher waren nach dem Gesetz die Vereine bezw. ihre Organe verpflichtet, alle Infragen der Polizei zu beantworten. Das ist beseitigt. Nach der herrschenden Meinung besteht aber eine Verpflichtung der Vereine und der Vereinevorstände zu Auskunftserteilungen an die Polizei insoweit, als die Polizei überhaupt befugt ist, Auskünfte zu verlangen. Denn auch hier liegt die Sache so, daß die Tatsache, daß man sich in Ausübung des Vereins⸗ und Versammlungẽrechts befindet, nicht be reien kann von der Befolgung allgemeiner, für alle Staatsbürger geltender Rechte und Verpflichtungen.
Meine Herren, ich glaube, daß ich mit diesen grundsätzlichen Erörterungen im wesentlichen alle die Fragen berührt habe, die sich durch die Einzelausführungen des Herrn Vorredners hindurch⸗ gezogen haben. Sie werden aus meinen Ausführungen entnommen haben, daß sich die Klärung der Meinungen durch die Ent⸗
oder nicht.
scheidungen der Gerichte in erfreulicher Weise weiter ent⸗ wickelt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß in allererster nie die Tätigkeit der Gerichte dazu beitragen wird, daß
die zahlreichen Beschwerden über die Handhabung des Vereins⸗ gesetzes geringer werden. Ich kann meinerseits nur erklären: ich werde ebenso, wie es bisher geschehen ist, auch in Zukunft, soweit das meines Amtes ist und soweit das in den Grenzen meiner Befugnisse ist, verfolgen, wie das Vereinsgesetz ausgelegt und angewendet ist, und, wenn die Möglichkeit eines Einschreitens gegen eine unan⸗ gemessene Anwendung in den Grenzen meiner verfassungsmäßigen Be⸗ fugnisse liegt, nicht unterlassen, dahin zu wirken, daß derartige fehlsame Auslegungen des Gesetzes in Zukunft unterblelben. (Bravo! rechts.)
Auf Antrag des Abg. Bebel (Soz.) tritt das Haus in die Besprechung der Interpellation ein. .
Abg. Gröber (Zentr. ): Der Staatssekretär berief sich darauf, daß die Anklagen gegen die Behörden wegen der Handhabung des Vereinsgefetzes vor kas Forum der Landtage gehörten. Rein wörtlich sst das richtig. Der Staatssekretär hat uns mit dieser selbstver⸗ ständlichen Bemerkung imponieren wollen. Eine formelle Beschwerde gegen Leine Landes bebörde können wir freilich nicht annehmen. Wir haben nicht die Disziplinargewalt gegen die Landesstaatsbehörden. Was uns aber zusteht, und was ich als ein wichtiges Recht des Reichstages in Anspruch nehmen muß, das ist die Besprechung dieser Uebelstände, die durch die Landesorgane hervorgetufen sind. Dem Reiche untersteht ausdrücklich das Verwaltungs- und Versammlungs. recht nicht nur hinsichtlich der Gesetzgebung, londern auch hinsichtlich
der Bewufsichtigung seiner Ausführung. Die, Ausführungen des Staatsfekretärs waren vollkommen seibstwverständlich, aber gerade
deswegen irreführend. Im übrigen bewegt sich die ganze Debatte in einem seltsamen Koatrast. Die Interpellanten sagen uns, es handelt sich um Verstöße gegen den k!laren Wortlaut des Ge— setzes, gegen den klaren Wortlaut; klar ist der Wortlaut nur für den? Abg. Müller⸗Meiningen, dessen Kind das Gesetz ist. Aber bis hinauf in die höchsten Behörden und die obersten Gerichts⸗ böfe gehen die Anschauungen über die Klarheit des Gesetzes ausein,⸗ ander? (Zuruf von den Sozialdemokraten: Das haben wir damals vorausgesagt!! Ja, aber viele haben damals auch gesagt, das ist der Zweck des Gesetzes, nicht, so viel Klarheit, damit die Polizei um Y so leichter Überall hinelnreden kann! Da haben wir die Bescherung, Herr Müller⸗Meiningen! Man hat die Polizei- behörden auf die Entscheidungen der höchsten Instanzen verwiesen.
über die Anwendung von Zwang ergeben.
iß geschieht es, und zwar um deswillen, weil es
demokraten.,
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
Zweite Beilage zum Dentschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
M 247.
Berlin, Donnerstag den 19. Oltober
1911.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Aber was macht man, wenn die beiden böchsten Instanzen sich wider⸗ sprechen? Das ist eine höchst peinliche Situation, wenn die höchsten richterlichen Behörden ganz diametral entgegengesetzte Entscheidungen treffen, und die Polizeibehörden im Zweifel sind. Dieser Widerspruch zwischen den höchsten gerichtlichen Entscheidungen ist tatsächlich eine sehr peinliche Tatsache. Abzuwarten, bis auf diesem Wege eine Einheitlichkeit des Rechts erlangt ist, erscheint außer— ordentlich mißlich. Ebenso schwierig ist die praktische Frage der Polizeistunde. Schon haben wir auch hier ganz verschiedene Aus— egungen. (Zuruf des Abg. Dr. M rr, , nn Heiterkeit. Präsident: Herr Abg. Dr. Müller⸗-Meiningen, Sie haben sich ja selbst zum Worte gemeldet! Erneute Heiterkeit Ueber die ganz eben so wichtige, ja noch viel wichtigere Frage, wie es bei den Wahl⸗ versammlungen damit zu halten sei, hat der Staatssekretär kein Wort verloren; aber in diesem Punkte müssen wir doch wissen, woran wir sind; daran haben alle Parteien das gleiche Interesse, aß genau feststeht: inwieweit gelten die Bestimmungen über die Auflösung von Versammlungen bezüglich der Polizeistunde? Wenn bei irgendeinem Gesetz, so bei dem Vereinsgesetz, das so tief in alle Verhältnisse des täglichen Lebens eingreift, ist es notwendig, darüber klar zu sein, was das Gesetz will. Darum ist eine baldige Revisien des Gesetzes eine Notwendigkeit, damit die Lokal⸗ und Pro— vin ialbehörden wissen, wie sie es auszulegen und anzuwenden haben; nur auf diese Weise wird es möglich sein, den schweren Fehlern des Gesetzes abzuhelfen.
Abg. Dr. Junk (nl): Es ist uns außerordentlich unsympathisch, über ein solches Thema in einem Augenblick sprechen zu müssen, wo unser Herz von ganz anderen Dingen, von der deutschen aus— wärtigen Politik bewegt wird. Darüber haben wir uns nicht aus— sprechen können. Ein Staat, der auf seine Reputation nach außen Wert legt, muß allerdings auch darauf halten, daß die Gesetze respektiert werden, und das ist ja wohl der Grundton der Beschwerden im deutschen Volke, ob das Vereinsgesetz wirklich mit der Energie gehandhabt wird, daß seine Autorität nicht erschüttert wird. Auf die Bedenken, die der Staatssekretär gegenüber der Interpellation vorgehracht hat, will ich nicht näher eingehen. Die grundsätzliche Uebereinstimmung der Reichsleitung und der Bundesstagten nützt ung eigentlich wenig, wenn über die Auslegung des Gesetzes zwischen ihnen keine Einigkeit besteht. Auch Beschwerden gegen die Behörden baben keinen Wert, denn den Betreffenden kommt es darauf an, daß sie augenblicklich zu ihrem Recht kommen, nicht erst nach Wochen. Der scharfe Ton, den der Vorredner gegen das Vereins⸗
daß
gesetz ang schlagen hat, erklärt sich wohl daraus, daß es ein Blockgesetz ist, an dem mitzuwirken seiner Partei versagt war. Jedenfalls bedeutet es einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustand. Wir lassen uns die Befriedigung an dieser liberalen Blocffrucht nicht nehmen, und wir muͤssen nur darauf dringen, daß dieses gute Gesetz in seiner Aus—
führung nicht so vielfach durch die Behörden entstellt wird. Wir ver⸗ langen, daß es in demselben liberalen Sinne und Geiste ausgeführt wird, in dem es erlassen ist. Die von dem Interpellanten vor— gebrachten Beschwerdefälle können wir selbstverständlich nicht im einzelnen nachprüfen. Wenn aber auch nur ein Teil davon richtig ist, so handelt es sich um eine auffallende irrtümliche Auslegung des Ge— setzes durch Behörden. Ein großer Teil der Beschwerden Über die sächsische Polizei ist inzwischen binfällig geworden; einzelne Ueber- tretungen durch die unteren Bebörden lassen sich ja nicht vermeiden. Ein preußisches Schöffengericht hat ein Urteil erlassen, das doch höchst bedenklich ist Nach diesem Urteil soll eine Trennung wirtschaftlicher Bestrebungen der Gewerkschaften von denen der Sozialdemokratie überhaupt unmöglich und deshalb jede Versammlung einer Gewerk— schaft als eine sozialdemokratische und politische anzusehen sein. Mit einer solchen Auslegung liefert man nur den Sozialdemokraten einen Agitationsstoff. Das Oberverwaltungsgericht hat erklärt, daß die allgemeine Ausübung der Polizeigewalt durch das Vereins— gesetz nicht aufgehoben sei. Ich meine, das Vereinsgesetz hat die Frage der Sicherheit erschöpfend geregelt. Deshalb ist mir auch bedenklich, was der Staatssekretär über die Polizeistunde aus geführt hat. Nach meiner Ueberzeugung duldet das Gesetz eine Be— schränkung des Vereins- und Versammlungsrechts durch die Polizei.
stunde nicht. Das war schon nach dem älteren Gesetz nicht ge—⸗ stattet. Ich möchte nur noch dem dringenden herzlichen Wunsche
Ausdruck geben, daß es doch dem Reichstage zukünftig erspart bleibe, daß immer wieder Beschwerden über Verletzung des Vereins⸗ und Versammlungsrechts vorgebracht werden müssen. Was soll man dazu sagen, wenn in Oberschlesien ein Amtsvorsteher sein Verbot einer Versammlung unter freiem Himmel damit begründete, daß durch die Versammlung die Fasanen des Jagdpächters gestört würden. Noch schlimmer ist ein Fall aus Krangen im Kreise Neu— stettin. Dort versagte der Amtsvorsteher die Genehmigung, weil auf dem Versammlungsplatz Kartoffelkraut liegen könne, und ein Versammlungsteilnehmer einen brennenden Zigarren⸗ stummel wegwerfen und das Kartoffelkraut Feuer fangen und die umliegenden Gehöfte in Brand geraten könnten. Solche Verhöhnungen des Gesetzes sollten in Zukunft nicht mehr vorkommen. Das liegt gewiß auch in den Intentionen des Reichskanzlers.
Abg. Gans Edler Herr zu Putlitz (8dkons.): Ich teile den Wunsch, daß wir mit den alljährlichen Interpellationen verschont werden, und ich habe diesen Wunsch schon einmal 1909 zum Ausdruck gebracht; damals handelte es sich um eine Interpellation des Zentrums, und der Abg. Junck hatte damals noch nicht den Standpunkt wie heute, er hat ihn geändert, denn damals sang er ein Loblied auf die Handhabung des Vereinsgesetzes. Die Interpellation ist nach ihrem Wortlaut überflüssig gewesen, denn der Staatssekretär hat erklärt, daß in so und so vielen Fällen Entscheidungen getroffen sind die Remedur geschaffen haben; der Interpellant konnte also wissen, daß die maßgebenden Behörden unterrichtet sind und das Ihrige getan haben. Der Staatssekretär hat in zutreffender Weise gesagt, daß er auf die richterlichen Entscheidungen keinen Ein⸗ fluß ausüben könnte. Wenn der Abg. Junck die richterlichen Ent⸗ scheidungen kritisiert, so ist das sein Recht, aber er hat dann auch die Pflicht, uns Mittel und Wege anzugeben, wie wir aus den Schwierigkeiten herauskommen. Die heutige Verhandlung hat dasselbe erwiesen, was bereits vor einem und vor zwei Jahren für mich er⸗ wiesen war, daß von seiten der Aufsichtsbehörden in loyalster Weise alles getan wird, um das Vereinsgesetz nach seinem Wortlaut durch— zuführen. Wenn die Herren in so vielen Fällen eine Beschwerde über⸗ haupt nicht eingereicht haben, so ist das ihr Fehler; sie hätten es tun können. Allerdings haben, wenn Remedur geschaffen wurde, die Versammlungen doch nicht stattfinden können, die hätten stattfinden
sollen, aber solche Fälle werden bei den unteren Verwaltung⸗ behörden immer vorkommen können. Wenn aber gesagt wird, daß
von den Verwaltungs⸗ und Aufsichtsbehörden nicht genügend geschehen ist, so ist man dafür den Beweis vollkommen schuldig geblieben. Ich glaube, daß wir uns mit der bisherigen Handhabung des Gesetzes zufrieden erklären müssen. (Lachen und Zwischenrufe bei den Sozial⸗ demokraten.) Auf diesen Einwurf war ich vorbereitet. Aber er trifft nicht zu, denn ich habe gerade die Ueberzeugung, daß der Staatssekretär bemüht ist, auf die Verwaltungsbehörden so einzuwirken, daß sie ihre volle Schuldigkeit tun, und wenn ihm das im ersten Jahre nicht ge— lungen ist, so wird es ibm ganz überhaupt nicht gelingen. (Lachen bei den Sozialdemokraten. Zwischenruf des Abg. Feg ter.) Glauben Sie, Herr Fegter, daß, wenn Sie an der Regierung wären, wir so viele Freihein hätten, wie jetzt Ihre Leute haben? Auf die allgemeinen Vorwürfe, daß, der Geist des Gesetzes nicht gewahrt würde, kommt
Himmel möchte ich den Staatssekretär bitten, darauf zu halten, daß in den Fällen, wo derartige Versammlungen stattfinden, ohne daß sie genebmigt waren, die behördlichen Organe ihre Schuldigkeit tun, denn wenn solche Versammlungen nicht genehmigt sind, sind sie gesetzwidrig. Weiter bitte ich darum, daß, wenn solche Aufzüge und Versammlungen stattfinden, man nicht den Ordnern einen Einfluß und ein Aufsichtsrecht über das Publikum gibt, denn nicht die Ordner, sondern die staatlichen Behörden haben das staatliche Aufsichtsrecht. Ich schließe mit dem Wunsche, daß wir nicht jedes Jahr mit der⸗ artigen Interpellationen uns zu befassen haben. Falls wirklich begründete Ursachen vorliegen, gehören sie hierher, aber das ist nur dann der Fall, wenn der Staatsregierung auch nur im leisesten nach— gewiesen werden kann, daß sie irgend etwas versäumt hat, um dem Gesetz die richtige Geltung zu verschaffen, und ein solcher Beweis ist heute nicht nur nicht erbracht, sondern nicht einmal versucht worden.
Abg. Korfanty (Pole): Wir haben alle Veranlassung, über die Handhabung dieses sogenannten liberalen Gesetzes zu klagen, und ich werde auch den Nachweis führen, daß die preußiscke Regierung ihre Pflicht nicht erfüllt hat. Ich habe dem preußischen Mi— nister des Innern wiederholt solche Fälle mitgeteilt, und er ist nicht eingeschritten. Es waren Fälle in Wescpreußen und im Großherzogtum Posen. Allein im letzten Jahre sind eirca 300 Verbote von Versammlungen unter freiem Himmel ergangen; ich lege die Akten darüber auf den Tisch des Hauses, damit auch der Abg. von Putlitz sich von der liberalen Handhabung des Gesetzes überzeugen kann. Wenn auch keine Meinungeverschiedenheiten über die Prinzipien des Versammlungsrechts zwischen der Reichsregierung und den Landesregierungen bestehen, so bestehen doch prinzipielle Gegensätze zwischen dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg oder seinem Stellvertreter Delbrück und dem ehemaligen Staatssekretär von Bethmann Hollweg, als er das Vereinsgesetz verteidigte, um es uns schmackhaft zu machen. Er spielte damals, um das Gesetz durch— zudrücken, den liberalsten Mann und versicherte uns, daß das Gesetz liberal gehandhabt werden und die polizeilichen Schikanen aufbören sollen. Es ist einfach unmöglich, sich über jeden einzelnen Fall zu beschweren oder zu klagen. Die polnischen Vereine haben im letzten Jahre an Prozeß⸗ und Anwaltekosten auf diesem Gebiete uͤber 60060 ƽ zu tragen gehabt. Mit der Zeit habe ich es langweilig gefunden, mich über jeden einzelnen Fall zu beschweren, zumal die Be⸗ schwerden meist von allen Instanzen zurückgewiesen werden, und man auf die Antwort des Ministers in Preußen unendliche Monate warten muß. Welcher Mißbrauch ist mit dem Vereinsgesetz durch die Polizei ent— gegen höchstgerichtlichen Entscheidungen gegen wissenschafiliche Vor— trage, gegen Vorträge über Kunst usw. in den früher polnischen Landesteilen getrieben worden, wenn es sich um Vorträge in polnischer Sprache bandelte! In Oberschlesien wirtschaften die Polizeibehörden mit großer Willkür; Hunderte von Versammlungen werden verboten, weil die Gefahr für die öffentliche Sicherbeit daraus konstruiert wird, daß die Leute sich betrinken könnten, und es dann eventuell zu Schlägereien käme. Es ist geradezu schamles, der ganzen Bevölkerung auf diesem Wege die öffentliche Ehre abzuschneiden. Das Oberverwaltungegericht hat solcke Verbote als ungesetzlich erklärt; man sollte erwarten, daß der Minister auch diese Entscheidung sofort den nachgeordneten Behörden mitteilte. Tatsächlich finden aber noch heute derartige Verbote statt; die untersten Polizeiorgane kehren sich eben nicht im geringsten an solche Entscheidungen. Der Glück— liche, der von dem vorhin erwähnten Versammlungeverbot betroffen wurde, weil die Fasanen und Hasen des benachbarten Jagdpächters, nämlich des Fürsten Henckel von Donnersmarck, gestört würden, war ich; der Amtsvorsteher bat jedenfalls ahgewogen, welche Interessen die
wichtigeren wären, und so mußte ich den Fasonen und Hasen weichen. Wenn in einem Lokale, wo eine polnische Versammlung angemeldet wird, zu einer späteren Stunde ein Krieger— vereinsfest stattfinden soll, so genügt das durchaus, um die Ver—
sammlung zu verbieten, denn es könnte ja zu „Reibereien“ kommen. Besonders erfindungsreich sind die Herren Amtevorsteher und dergleichen auf dem Gebiete des Verbots von Versammlungen unter freiem Himmel. Es wird verlangt, daß der Einberufer die Zahl der Teil— nehmer, den Zweck der Versammlung und das wahrscheinliche Ende der Versammlung angeben soll. Das Oberverwaltungegericht hat dieses Verlangen für ungesetzlich erklärt; die Versammlungspraxis
aber hat auch Mittel gefunden, diese Entscheidung unwirksam zu machen. Es ist da der böse Wille vorhanden, den Bürgern die ibnen reichsgesetzlich garantierte Versammlungsfreibeit zu nehmen. Eine Versammlung wurde verboten, weil sie auf einem Stoppelfelde stattfinden sollte, das in Brand geraten könnte, wenn aus der Pfeife eines Rauchers ein Funke fiele. Solche Fälle wie dieser
sind nur in Preußen möglich. Dem Minister sind die Fälle mit— geteilt; er hat bis heute darauf geschwiegen. Jede Bestimmung des Vereinsrechts wird in Oberschlesien mit Füßen getreten. Eine Anzahl der allermarkantesten Fälle stelle ich dem Staatssekretär zur Verfügung. In Obeischlesien bekommen wir keine Säle zu Ver— sammlungen; entgegen den feierlichen Versprechungen des damaligen Staatssekretärs von Bethmann Hollweg werden uns die Säle durch die Einwirkung der Polizeibebörde abgetrieben. Wir sind dadurch direkt gezwungen worden, zu Versammlungen unter freiem Himmel überzugeben. In dem Krelse Kreuzburg⸗Rosenberg, der uns Polen von Rechts wegen gehört, sind mir bei der Wahlagitation in einem Monat 40 Versammlungen verboten worden, und der Landrat und der Regierungspräsident von Schwerin, jetzt der Oberpräsident
den Regierungspraͤsidenten zur Bescheidung gegeben habe. In den meisten Fällen wurde als Grund die Maul⸗ und Klauenseuche angegeben, trotzdem ich feststellen konnte, daß in den meisten Ort⸗ schaften die Maul⸗ und Klauenseuche gar nicht verbreitet war. Aber auch Scharlach, Diphtherie und die Geflügelcholera mußten herhalten. Schließlich hat man aber auf meine Anträge gar nicht mehr geantwortet. Einem Grundbesitzer, der sein Grundstück zur Verfügung gestellt hatte, hat der Amtsvorsteher sogar einen Brief zur Unterzeichnung vorgelegt, worin sich dieser die Benutzung des Grundstücks in wenig höflicher Form verbeten haben sollte. Ich muß dieses Verbalten des Landrats des Kreises Rosenberg als eine infame Rechtsbeugung bezeichnen. (Der Präsident Graf von Schwerin ⸗Töwitz ruft den Redner zur Ordnung.) Wenn hier das Recht mit Füßen getreten wird, und wenn ich mich gewandt habe, und der Minister hat nicht das Nötige veranlaßt, so habe ich keinen anderen Ausdruck für diesen Mann. (Ver Präsident Graf von Schwerin-⸗Löwitz ruft den Redner wegen dieser Wiederholung des Vorwurfs nochmals zur Ordnung und macht ihn auf die Folgen des dritten Ordnungsrufes aufmerksam.) Der Landrat des Kreises Zabrze hält
der polnischen Berufsvereinigung, die den Arbeitgebern anzuzeigen. Das gehört nach seiner Meinung zu den Aufgaben der Polizei, die Ordnung zu schützen. Es ist jetzt dahin gekommen, daß jeder polnische Verein zum politischen Verein, erklärt wird. Es genügt einfach die Tatsache, daß in einem Verein Polnisch gesprochen wird. So sind sämtliche polnischen Gesangvereine zu politischen Vereinen gestempelt worden. Nach dieser Logik kann man alles beweisen. Mit demselben Recht könnte die Polizei auch jede polnische Ehe für einen polnischen⸗politischen Verein erklären, Statuten ein fordern usn. Unter den Sprachenparagraphen, dessen liberale Aus— führung uns von der Regierung seierlich versprochen worden ist, fallen in Posen auch alle polnischen Gewerkschafts- und Belegschafts⸗ versammlungen. Die Schikanen der Behörden müssen die Polen mit Haß und steigender Verachtung erfüllen. Soll es besser werden, so müssen diese Mißbräuche beseitigt werden; das liegt nicht nur im Interesse der Polen, sondern auch der Deutschen.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern
Mr S . Dr elb ü * Abg. Dr. So effel (Rp.): Aus der Mitteilung des Staatssekretärs
hat sich ergeben, daß die von dem Abg. Albrecht gebrachten fünfzig Fälle von Verstößen gege in der Mehrzahl Remedur erfahren haben.
klagematerial des
LC
ihm zur Kenntnis n das Reiche vereinsgesetz Damit hat sich das An Abg. Albrecht schon erheblich verringert. Wenn nun
der Vertreter der Interpellation die sozialdemokratischen Jugend— organisationen als harmlos bezeichnet, so wird er damit wenig Glauben finden. Die alte sozialdemokratische Agitation wird unter dieser Jugend lediglich in einer in Ferm fortgesetzt, die Sozialdemokratie gebt doch darauf aus die arbeitende Jugend von allen Einflüssen der übrigen bürgerlichen Welt abzuschließen; diesem Zwecke dienen auch die lich wissenschaftlichen und
Bildungszwecke, die da verfolgt mon die Vaterlandsliebe und jeden Glauben an die Es ist Pflicht der Regierung, Ausschreitungen Dand entgegenzuarbeiten. Nach unseren Erfahrungen in Süddeutsch⸗ land sind ganz besonders die früher wegen des 5 12, des Sprachen paragraphen, gehegten Befürchtungen nicht eingetroffen. Er wird, sagen muß, loyal ausgeführt. wie das Gesetz ihn herbei⸗
will dieser Jugend die Auterität rauben. solcher Art mit starker
. Umschwung,
. . iEalon Bei einem so radikalen
führte, kann man doch nicht verlangen, daß sich das Gesetz von heute auf morgen einbürgert haben auch die Sozial demokraten die „klare“ Fassun setzes anerkannt; ich boffe, 1den sich mit n Jahre verringern werden. dis Staatssekretärs entnebmen wir mit Befriedi—⸗ ale A ng des Gesetzes alle verbündeten
Reichskanzler einig sind.
wird
Hierauf tagung beschlossen.
Präsidenten Ver⸗
ur Mari -KIA 2 auf Vorschlag des
Persönlich bemerkt der
Abg. Frohme (Soz.), daß er mit seinem Zwischenruf nur habe sagen wollen, daß der Kanzler eine so weitgehende Rücksicht auf die Entscheidungen der Gerichte nicht zu nehmen brauche; es
* 12 11
habe ihm aber sehr fern gelegen, ihn zum
Eingreifen ir katur aufzufordern.
ie Judi⸗ Es sind während der Sitzung seitens des Zentrums und der Volkspartei i Interpellationen eingelaufen, die sich auf die behördlichen Maßnahmen gegen die Maul— und Klauenseuche beziehen.
2 nuol Mel
Schluß 5e Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Fortsetzung der eben abgebrochenen Besprechung; Inter⸗ pellationen, betr. die Maul- und Klauenseuche; erste Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend die Privatbeamtenversicherung.)
) Wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms kann die Rede
Berlin, den 18. Oktober 1911.
s nicht im geringsten an. Bezüglich der Versammlungen unter freiem
von Posen, haben meine Beschwerden zurückgewiesen, und der des Staatssekretärs des Innern r. Delbrück erst morgen im Wort Minister teilte mir mit, daß er meine Beschwerden an l laut mitgeteilt werden. z Statistik und Volkswirtschaft. Ertrag der Zigarettensteuer im deutschen Zollgebiete. Steuerwert der verkauften Zigarettensteuerzeichen A. für Zigaretten . 3eit raum - , im Kleinverkaufspreise F ö. bis zu süber 13 bis über 23 bis über 33 bis über 5 bis! über z isemmen in 8 w sR , 823 das Stück * Mb Mb Mb s6 H. ,,, M6 Im 2. Viertel des Rechnungsjahres 1911 1856 605 2 670 371 1747701 1699 414 192769 — 3 8s Rech ) h DJ 1856605 267 ‚ 39 92 769 186 454 8 353 317 J e 3522 070 5251 564 3 439 297 3336999 401 855 3836216 340 442 B. für Zigarettentabak ere, n, 1 — —— Gesamt⸗ im Kleinverkaufspreise ] 6. steuer⸗ über 350 über 5 über 10 über 20 über Bu⸗ für Ziga pre. bis bis bis bis uber sammen retten⸗ 6. ö M 10 20 M 36 ½ 30 „ * hallen (AER ö B züllen 0 das Kilogramm ) . . ö . 40. 9. Im 2. Viertel des Nechnungs jahres 11IlIJIJ... . 35 275 28 228 23 516 10549 6537 109105 S3 620] 8 546 042 . , 77 340 51 561 6564 6650 19054 12 512 215117 150 909116 706 468
Kaiserliches Statistisches Amt. van der Borght.