1911 / 255 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 28 Oct 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Unter Bezugnahme auf meinen erh vom 1. November 1906 U IIIA Nr. 3209 ꝛc. weise ich ausdrücklich darauf hin, daß zu dieser Prüfung nur in der Provinz Brandenburg oder in einer solchen Provinz wohnende Bewerberinnen zuge⸗ lassen werden, in der eine Prüfungskommission für Turn⸗— lehrerinnen noch nicht besteht. Ausnahmen von dieser Be⸗ timmung sind nur zulässig, wenn die bezüglichen Anträge urch besondere Verhältniffe, z. B. durch den Ort der Aus— bildung für die Prüfung, begründet sind.

Meldungen der in einem Lehramte stehenden Bewerberinnen sind bei der vorgesetzten Dienstbehörde bis zum 10. Januar 1912, Meldungen anderer Bewerberinnen bei derjenigen König⸗ lichen Regierung, in deren Bezirk die Betreffende . in Berlin bei dem Herrn Polizeipräsidenten —, ebenfalls bis zu diesem Tage anzubringen.

Ist der Aufenthaltsort der Bewerberin zur Zeit ihrer Meldung nicht ihr eigentlicher Wohnsitz, so ist auch der letztere anzugeben.

Die Meldungen können nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie genau der Prüfungsordnung vom 15. Mai 1894 entsprechen und mit den im 8 4 derselben vorgeschriebenen Schriftstücken ordnungsmäßig versehen sind.

Bei denjenigen Bewerberinnen, die eine y Prüfung noch nicht abgelegt haben, erstreckt sich die mündliche Prüfung auch auf die Kenntnis der wichtigsten Erziehungs⸗ und Unterrichtsgrundsätze.

In dem Gesuche ist anzugeben, ob die Bewerberin sich zum ersten Male zur Prüfung meldet, oder ob und wann sie sich bereits der Turnlehrerinnenprüfung unterzogen hat.

Die über Gesundheit, Führung und Lehrtätigkeit beizu— bringenden Zeugnisse müssen in neuerer Zeit ausgestellt sein. Aus dem ärztlichen Zeugnis muß hervorgehen, daß die be⸗ treffende Bewerberin körperlich zur Turnlehrerin geeignet ist.

Das Zeugnis über die Turn- bezw. Schwimmfertigkeit ist von der Ausstellerin eigenhändig zu unterschreiben.

Die Anlagen jedes Gesuches sind zu einem Hefte vereinigt einzureichen.

Berlin, den 13. Oktober 1911.

Der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten. Im Auftrage: Altmann.

Der bisherige Professor an der Königlichen Akademie zu Posen Dr. Ritter und Edler von Hoffmann ist zum außer⸗ ordentlichen Professor in der juristischen Fakultät der Universität zu Greifswald ernannt worden.

Königliche Akademie der Künste.

Bekanntmachung.

Aus dem für das Jahr 1912 auf dem Gebiete der Architektur und Bildhauerei ausgeschriebenen Wett— bewerbe um den Großen Staatspreis im Betrage von j 3300 „6 zu einer einjährigen Studienreise sind als Sieger ervorgegangen:

1) der Architekt aver Henselmann in Dresden,

2) der Bildhauer Richard Langer in Wilmersdorf.

Dem Bildhauer Gustav Koenig in Charlottenburg wird in Anerkennung seiner guten Leistungen von der Akademie eine Prämie gewährt werden.

Die zu diesem Wettbewerbe eingegangenen Arbeiten sind in Verbindung mit den Konkurrenzarbeiten um den Schmidt⸗ Michelsen⸗Preis bis 29. d. M. von 10 bis 4 Uhr in den Aus⸗ stellungssälen der Akademie, Pariser Platz 4, öffentlich aus⸗ gestellt.

Berlin, den 28. Oktober 1911.

Der Senat, Sektion für die bildenden Künste. A. Kampf.

Nichtamtliches. Deutsches Reich. Preußen. Berlin, 28. Oktober.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Zoll—⸗ und Steuerwesen und für Handel und Verkehr, die vereinigten Ausschüsse für Zoll⸗ und Steuerwesen und für Justizwesen so⸗ wie der Ausschuß für Zoll⸗ und Steuerwesen hielten heute Sitzungen.

Nachdem durch den Tod des Bischofs Dr. Dingelstad der bischöfliche Stuhl von Münster zur Erledigung gekommen, hat nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften am 6. Juni 1911 durch das Domkapitel zu Münster die Wahl eines neuen Bischofs stattgefunden, die auf den Kapitularvikar, Domdechanten Dr. Felix von Hartmann gefallen ist. Dieser hat durch Päpstliches Breve vom 27. Juli 1911 die Bestätigung zur Ausübung seines bischöflichen Amts erhalten.

Seine Majestät der Kaiser und König haben mittels Allerhöchster Urkunde vom 18. September 1911 dem Bischof Dr. Felix von Hartmann die nachgesuchte landesherrliche Anerkennung als Bischof von Münster zu erteilen geruht. Die Urkunde ist dem Bischof am 25. Oktober d. J. durch den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen ausgehändigt worden, nachdem der Bischof den durch die Verordnung vom 13. Fe⸗ bruar 1887 vorgeschriebenen Eid abgeleistet hat.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Loreley“ vorgestern in Galata angekommen.

Oesterreich⸗ Ungarn.

Das österreichische Abgeordnetenhaus setzte in der gestrigen Sitzung die erste Lesung des Budgets fort.

Nach dem Bericht des W. T. B.“ sprach der Ministerpräsident Freiherr von Gautsch sein Bedauern aus, daß die alle Bevölkerungs—⸗ schichten gleich treffende Teuerung von einzelnen Parteien zu partei politischen Zwecken ausgenũtzt wurde. (Sehr richtig! Stürmische Unterbrechung von seiten der Sozialdemokraten.) Der Ministerpraͤsident

den Verträgen gegenüber Ungarn unbedingt festhalte. Die Haltung der Beamtenschaft, insbesondere der Eisenbahner, die sie in den Verhand⸗ lungen zur Geltendmachung ihrer Forderungen an den Tag gelegt habe, sei das Allerbedauerlichste, was seit einer langen Reihe von Jahren im öffentlichen Leben vorgekommen sei. Wenn die Drohung ausgesprochen werde, daß, falls die Forderungen der Arbeiterschaft zu einem gewissen Termin nicht erfüllt würden, ‚englisch‘ gearbeitet würde, könne eine solche Haltung nicht geduldet werden. Das sei ein Ver— brechen gegenüber dem Kaufmannsstand, dem Handel und der Industrie. (Anhaltende Zwischenrufe, Lärm und Zustimmung.) Angesichts der dringenden, vom Parlament zu lösenden Aufgaben müßte die Re⸗ gierung zur Bildung einer Arbeitsmehrheit schreiten. Er habe sich zunächst an jene Parteien gewendet, die mit Rücksicht auf ihre Tradition, auf ibre Zahl und Bedeutung an den politischen Staatsgeschäften stets teilgenommen hätten und immer teilnehmen würden. Dann aber habe er sich an die Tschechen gewandt in der Ueberzeugung, daß kein österreichisches Programm die Vertreter einer so kräftigen und hochentwickelten Nation von der Teilnahme an den staäatlichen Aufgaben augschließen könne, wobei er ausdrücklich er— klären müsse, daß die Tschechen sich nicht an die Regierung heran— gedrängt hätten. Die Regierung wolle vielmehr den loyalen Ver- mittler zwischen den großen Gruppen des Hauses machen. Die Ver⸗ handlung habe bisher zu keinem Ziele geführt. Dies könne aber an seiner ie Ueberzeugung nichts ändern, daß eine gedeihliche parla— mentarische Tätigkeit in diesem Hause ohne Heranzlehung der Ver— treter der fir hen Nation unmöglich sei. Aus den Ereignissen im Monat September, fuhr der Ministerpräsident fort, könne nur eine Lehre gezogen werden: Zusammenschluß aller derjenigen, die noch Ordnung in diesem Staate wollten (Lärm), die sich dem Terro— rismus nicht unterwürfen, der in diesem Hause ununterbrochen geübt werde. FZustimmung, lebhafte Zwischenrufe bei den Sozial⸗ demokraten. Wlewohl er sich als aufrichtiger Freund des Parla⸗ mentarismus ernster Befürchtungen nicht entschlagen könne, halte er doch an der Hoffnung fest, daß auch für dieses Haus der Tag kommen werde, an dem die Hoffnungen der österreichischen Völker in Erfüllung gehen würden, mit denen sie das neue Parlament bei seiner Geburt . haͤtten. Der Abg. Dr. Stein wender (Deutsch. nationaler Verband) erklärte in Besprechung der bisber gescheiterten Versuche zur Bildung einer Mehrheit, daß die Tschechen nicht für die Deutschen einfach unannehm—= bare ae, stellen dürften, und fuhr dann fort: „Wir laden die Tschechen ein, mit uns für sich und den Staat zu arbeiten. Wir brauchen nicht Freunde zu werden; aber vertragen müssen wir uns einmal. Wir wien nichts gegen Minister tschechischer Nationalität einzuwenden, aber diese dürsen nicht tschechische Nationalminister, sondern müssen im Amte österreichische Minister sein. Wenn die Tschechen den Deutschen in Böhmen ihr Recht und die Be

dingungen ihrer Existenz geben und mit uns jeder für sein Volk für den Gesamtsiaat arbeiten, dann erhalten die Tschechen ohne Widerspruch, was recht und billig ist. Der deutsch-nationale Verband wird für das Budgetprovisorium stimmen; er behält sich aber in allen Einzelheiten vollständig freie Hand vor. Der Abg. Bilinski (Obmann des Polenklubs) betonte, der Polenklub werde

die Bündnispolitik des Ministeriums des Aeußern unterstützen und alle auf die Wehrmacht bezüglichen Fragen erledigen.

Der Redner erklärte sich für eine Koalition der Deutschen, Tschechen und Polen und für eine parlamentarische Regierung. Da ein nationaler Friede als ewiger Friede undenkbar sei, müsse man sich damit begnügen, die Möglichkeit der Emwicklung neben einander zu schaffen. In der Besprechung des deutsch⸗böhmischen Ausgleichs betonte der Redner die Notwendigkeit der Schaffung einer Mehrheit unter Teilnahme der Tschechen behufs Erledigung der dringenden Staats⸗ und Volksnotwendigkeiten. Da die Deutschen und Tschechen nicht allein zusammenkommen könnten, möge sie der Ministerpräsident zusammenführen.

Der Teuerungsausschuß des Abgeordneten— hauses hat, obiger Quelle zufolge, gestern mit 20 gegen 17 Stimmen einen Antrag angenommen, worin die Regierung aufgefordert wird, die Verordnung, betreffend den Verkehr mit Saccharin, unverzüglich aufzuheben, ferner mit der Regierung Verhandlungen üer die Aufhebung des Saccharineinfuhrverbots aus dem Auslande eirzuleiten und sofort an das Zuckerkartell wegen Herabsetzung der Zuckerpreise heranzutreten. Im Laufe der Debatte hatten sich der Finanzminister und ein Regierungs—⸗ vertreter gegen den Antrag auf Einfuhr von Saccharin aus— gesprochen, indem sie betonten, daß die Saccharineinfuhr auf die Volkswirtschaft katastrophal wirken müsse, im übrigen eine einseitige Aufhebung des im Einvernehmen mit Ungarn er— lassenen Saccharinverbots ausgeschlossen sei.

Rußland.

Der Ministerrat hat, wie „W. T. B.“ meldet, be⸗ schlossen, der Reichsduma einen Gesetzentwurf, betreffend Ein— führung der Semstwos in den Gouvernements Astrachan, Orenburg und Stawropol, vorzulegen. Der Ministerrat hat ferner für achtzehn von der Mißernte be— troffene Gouvernements Ostrußlands und Sibiriens eine Summe von 93 Millionen Rubel für erforderlich erachtet, die teilweise für öffentliche Arbeiten, teilweise als Verpflegungs⸗ vorschuß anzuweisen ist.

Niederlande.

In dem Sektionsbericht der Zweiten Kam mer über das Budget des Auswärtigen sprechen mehrere Mitglieder ihre Unzufriedenheit über den Verlauf der Unterhandlungen mit Venezuela aus. In dem Bericht heißt es dann, wie „W. T. B.“ meldet, weiter:

Man habe mit Genugtuung von dem herzlichen Empfang, der der Königin und dem Prinzen der Niederlande gelegentlich ihres Be— suches in Brüssel zuteil geworden sei, Kenntnis genommen, sei aber sehr erstaunt, daß die ausgezeichneten Beziehungen zwischen den Nieder— landen und Belgien feine besseren Früchte in der Praxis getragen bätten und daß die Vorschläge der holländisch⸗belgischen Kommission, die vor zwei Jahren dem Minister gemacht worden seien, noch kein Resultat gezeitigt hätten. Dagegen stelle man mit Genugtuung fest, daß die Aufmersamkeit der Regierung auf die Wahrung der Interessen Hollands in Marokko gerichtet sei.

Amerika.

Die brasilignische Deputierten kamm er hat in letzter Lesung einen Gesetzentwurf angenommen, durch den die Re— gierung ermächtigt wird, ausländische Offiziere als Instrukteure für die brasilianische Flotte anzustellen.

Asien.

In dem bereits gemeldeten Gefecht bei Gjas überfiel, wie die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ aus Asterabad berichtet, der Bruder des früheren Schahs Schua es Saltaneh die 1509 Mann starken Regierungstruppen Serdar Mochis und schlug sie nach etwa dreistündigem hartnäckigem Gefecht in die Flucht. Das gesamte Lager mit den Geschützen fiel den Siegern in die Hände. Ein Teil der Regierungstruppen fand bei der russischen Diskontobank Zuflucht; die Verwundeten er⸗ hielten auf der russischen Seestation ärztliche Hilfe.

Der Führer der chinesischen Revolutionäre Liyuanheng hat, wie das „Reutersche Bureau“ meldet, den fremden Konsuln in Hankau mitgeteilt, daß er zum Präsidenten der chinesi⸗ schen Republik ausgerufen worden sei. Die fremden Gesandten in Peking, denen die Ankündigung übermittelt wurde,

betonte sodann neuerdings, daß in der Fleischfrage die Regierung an 9 6

Vorschlag gemacht, daß er die Verwaltung der Zoll— ämter in Tschangscha und in anderen im Besitz der Auf⸗ ständischen befindlichen Häfen übernehmen wolle. Die Ge sandten haben jedoch dagegen Einspruch erhoben und darauf hingewiesen, daß die Zölle bereits verpfändet seien. E. wurde daher vereinbart, daß die Zölle zur Verfügung des Generalinspekteurs bleiben sollen.

Durch ein Edikt vom gestrigen Tage ist Juanschikai der Titel eines Allerhöchsten Bevollmächtigten verliehen worden Gleichzeitig sind ihm laut Meldung der „St. Petersburger Telegraphenagentur“ alle gegen die Aufständischen operierenden Truppen zu Lande und zu Wasser unterstellt, und es ist ihm überlassen worden, alle zur Unterdrückung des Auf andes geeigneten Maßregeln nach eigenem Ermessen, una hängig vom Kriegsminister Jintschang, zu ergreifen. Dieser hat den Befehl erhalten, das Kommando über die Armee dem Direktor der Adelsschule Fengkuochang zu übergeben und nach der Ankunft Juanschikais nach Peking zurückzukehren. Juanschikai wird sich heute nach Sinjangschan begeben, um den Oberbefehl zu übernehmen. Er drängt auf die Reorganisatlon der Armee, da er den Truppen jetzt in die Front folgen will, und wünscht, alle Offiziere vom Regimentskommandeur auf— wärts selbst zu ernennen und sich eine besondere Leibwache bilden zu dürfen.

Nach etwas unbestimmt gehaltenen amtlichen Berichten sollen die Regierungstruppen die Aufständischen vorgestern ge— schlagen und Tschangtoefu eingenommen haben, wobei die Auf. ständischen siebenhundert Mann an Toten verloren haben sollen.

Die Beziehungen zwischen Mandschus und Chinesen in Peking werden immer gespannter. Die National versamm— lung empfiehlt die , Bildung eines Parlaments und die Rekonstruktion des Kabinetts unter Ausschluß der Adligen, sowie Amnestie für alle politischen Vergehen.

Gestern wurde, wie das „Reutersche Bureau“ meldet, in Peking ein Anschlag auf den eben abgesetzten Verkehrs— minister Scheng kungpao verübt. Er konnte sich nur mit genauer Not in die Gesandtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika retten, von wo aus er sich unter dem Geleit von zehn Soldaten nach Tientsin begab. Die diplomatischen Ver— treter mehrerer europäischer Großmächte und der Vereinigten Staaten haben bei der chinesischen Regierung Vorstellungen er— hoben, um die mögliche Enthauptung Schengkungpaos zu ver

hindern. Afrika.

Ueber das vorgestrige Gefecht vor Tripolis verbreitet die „Agenzia Stefani“ folgenden Bericht:

Nach einer durchwachten, aber ruhig verlaufenen Nacht bemerkten die Italiener ann 6 Uhr früh, daß die Türken, gestützt auf be— trächtliche Araberkontingente einen neuen Angriff planten. Es handelte sich zweifellos um eine große Menge Bewaffneter, um mehr als 6000, die schon durch Flugzeuge auf dem Wege von Azizia her ge— meldet worden waren. Der Angriff wurde durch starke Reitergruppen begonnen. Araber und Türken erschienen hier und dort auf der ganzen von den Italienern um Tripolis gehaltenen Linie, von Gamgaresk am rechten Flügel bis hinauf zum Rande der Dase, bei den Stellungen von Bumeliana, Sidimesri, dem kleinen Fort Meri und dann hinunter bis zum Meere bei Henni und Scharaschat. Jenseits dieser letzttön Punkte, zur Linken der Italiener, breitet sich noch ein großer Teil der Dase aus, in deren Innern man seit dem 25. d. M. nicht unbeträchtliche Massen sich sammeln sah. Gegen diese richtete man zunächst einige Schüsse aus den Kruppkanonen, worauf sie sich außer Schußweite zurückzogen. Als die feindlichen Reiter angriffen, wurden sie unter Verlusten zurückgeschlagen. Sie kamen aber mit Unterstützung zahlreicher Abteilungen regulärer und irregulärer Infanterie wieder, und der Angriff wurde in verstärktem Maße an der Front, dann auf dem link Flügel wiederholt, den der Feind zu umgeben versuchte, während er sich auf dem rechten Flügel nur gerade be— haupten konnte Nach Sonnenaufgang konnten Flugzeuge sofort die feindlichen Stellungen feststellen und dadurch die italienische Artillerie instand setzen, mit großer Wirksamkeit in den Kampf einzugreifen. Auf dem rechten Fluͤgel nahm das Linienschiff Sicilia“, das bei Gamgaresk ankerte, an der Schlacht teil. Der Kampf verschärfte sich. Der Feind drang erbittert bis knapp an die erste italieniiche Linie vor. Er erhielt, wie ein Aeroplan fesistellte, von zwei großen Reserven, deren größere auf der Straße ben Azizia, ungefähr fünf Kilometer entfernt, stand, bedeutende Verstärkungen. Die Angreifer versuchten, die Linie der Italiener zu durchbrechen, aber sie wurden auf der ganzen Front mit sehr bedeutenden Verlusten zurückgeschlagen. Auch auf dem italienischen äußeren linken Flügel war der Kampf sehr lebbaft, aber der Versuch einer Umgehung gelang nicht, und die Angreifer mußten sich mit ernsten Verlusten zurückziehen, verfolgt von dem Feuer vier italienischer Kruppbatterien. Immerhin gelang es einigen arabischen Abteilungen in den Rücken der italienischen Front zu kommen, aber sie wurden sogleich umzingelt und aufgerieben. Einige Abteilungen des 40 Infanterieregiments ließen die Araber bis zu den Schützengräben herankommen, dann eröffneten sie ein sehr heftiges Feuer auf die Araber, zwangen sie, unter großen Verlusten zu fliehen, und verfolgten sie mit dem Bajonett. Die Tavallerie war vom Pferde gestiegen und batte das Zentrum verstärkt. Der Angriff in der Front begann schwächer zu werden. Ter rechte italienische Flügel machte einen erfolgreichen Gegenangriff auf den linken Flügel des Feindes. Bei dem Bajonettangriff wurde eine grüne arabische Fahne erobert und die Araber bis auf die Dünen zurückgetrieben, wo die Italiener Stellung nahmen. Zwei Bataillone der Landungetrur pen befinden sich nändig in der Oase unter dem Schutz der Artillerie der ‚Sieilia“. Die türkische Artillerie versuchte einzugreifen, hatte jedoch keinen Erfolg; eine Batterie wurde vernichtet. Die Verluste des Feindes waren außer⸗ ordentlich schwer, sie überschreiten sicherlich 1000 Tote und umsassen ent⸗ sprechend viele Lerwundete. Bei den Türken, von denen ewal 00am Kampfe teilnahmen, muß ein hoher Offizier gefallen sein, denn sein Leichnam wurde unter heftigem italtenischen Feuer und großen Verlusten fort— getragen. Die itallenischen Verluste dürften hundert Tote und Ver— wundete nicht überschreiten. Einige Italiener fielen durch verräterische Schüsse der Araber von hinterrücks. Die Maßnahmen zur Säuberung der Oase werden daher energisch fortgesetzt. Alle, die dort mit Waffen in der Hand gefunden werden, werden erschossen; alle dortigen Häuser und Hütten sowie das Beduinendorf vor den Toren von Tripolis wurden verbrannt. Man kann jetzt die Sicherheit haben, daß im Rücken der italienischen Stellungen die Gefahr beseitigt ist. Die Stadt Tripolis ist ruhig, die Lage in Homs andauernd gut.

Gestern haben die italienischen Truppen in Tripolis, laut Meldung des „W. T. B.“, eine Verteidigungslinie, die hinter der während der letzten Tage innegehabten liegt, eingenommen, weil die Leichname, die vor der alten Linie liegen, die Luft verpesteten und das Wasser in einen gesundheitsschädlichen Zustand versetzten. Die neue Front ist kürzer und bietet daher den Vorteil, daß Truppen in Reserve gehalten werden können.

Eine amtliche Mitteilung aus Konstantinopel über den Kampf in Tripolis vom 23. Oktober berichtet, W. T. B.“ zufolge, auf Grund einer Depesche des Obersten Nachet Bei, daß der Kampf, an dem die Küstenbevölkerung auf türkischer Seite teilnahm, zehn Stunden dauerte. Die Zahl der Toten auf italienischer Seite überschreitet 400, dazu kommen viele Verwundete. Die Türken eroberten etwa 100 Maultiere und eine große Anzahl Gewehre und Lebens⸗

haben sie unbeantwortet gelassen. Liyuanheng hat ferner den

mittel.

Wie die Konstantinopeler Blätter melden, hat der Scheik der Senussi an den Mutessarif von Benghasi ein Schreiben gerichtet, in dem er tapferen Widerstand gegen die Italiener empfiehlt und die staffelweise Entsendung von Freiwilligen an⸗ eigt. Er werde alle gegen die Franzosen bestimmten militärischen

orbereitungen nunmehr gegen die Italiener anwenden. Der heilige Krieg würde in der ganzen Sahara und dem übrigen mohammedanischen Afrika erklärt werden.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Reichs⸗ tags befindet sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

Bei der gestrigen Reichstagsersatzwahl im Wahl⸗ kreise Oppeln 8 (Ratibor) erhielten nach der vorläufigen amtlichen Feststellung, wie „W. T. B.“ meldet, von 18357 abgegebenen Stimmen der Grundbesitzer Sapletta⸗Ratibor Zentrum) 8675, der Pfarrer Banas⸗Lubowitz (Pole) 4341, der Regierungsrat a. D. Lüdke⸗Ratibor (Reichsparteis 3445, der Gewerkschaftssekretär Schwab⸗Kattowitz (Sozialdemokrat 1793 Stimmen; zersplittert waren drei Stimmen. Ein Wahl⸗ bezirk steht noch aus. Es findet somit Stichwahl Wzwischen Sapletta und Banas statt.

Bei der gestrigen Reichstagsstichwahl im ersten badischen Wahlkreis erhielten, laut Meldung des, W. T. B.“, der Gärtner Schmid (liberaler Block 15 114 Stimmen und der Landgerichtsdirektor Freiherr von Rüpplin Gentr.) 14045 Stimmen. Schi ng ist somit gewählt.

Kunft und Wissenschaft.

A. F. Die Berliner Gesellschaft für Anthropologie begann am vorletzten Sonnabend ihr Wintersemester mit dem inter— essanten Bericht ihres Vorsitzenden, des Geheimrats Hans Virchow, über den gemeinsamen n ei den die Deutsche und die Wiener Anthropologische Gesellschaft im August in Heilbronn, Stuttgart und Tübingen abgehalten haben. Die ungewöhnlich umfangreiche Tagung begann in wHeidel⸗ berg mit dem Besuch von Mauer, der Fundstätte des bisher wahrscheinlich ältesten Zeugnisses der Exssten; des Menschen auf unserem Planeten. Die Haupttagung erfolgte dann während dreier Tage in Heilbronn, ein Tag war der Besichtigung des neuen Museums in Stuttgart gewidmet, zwei Tage Tübingen und einem Ausfluge in die Schwäbische Alb und nach Heidenheim. An letzterem Orte, in dessen Nachbarschaft bei Ausuferungen des Gebirgsflusses Brenz häufig Steingeröll angeschwemmt wird, hatten die Prähistoriker eine Sammlung angeblicher Eolithe, also der ältesten von Menschen—⸗ band benatzt gewesenen und manchmal veränderten Steinwerkzeuge, zu begutachten. Sie wurden als Pseudoeolithe, somit als durch natürliche Ursachen werkzeugäbnlich gestaltet, eingeschätzt. Vor der Tagesordnung erhielt Dr. Kiekebusch das Wort zu Mitteilungen über von ihm an mehreren Stellen der Mark, nämlich beim Dorfe Hasenfelde, 12 km nordöstlich von Fürstenwalde, dann bei Niedergörsdorf, 6 km westlich von Jüterbog, und bei Nackel, 9 km nördlich von Friesack, festgestellte vorgeschichtliche Wohnplätze. Seine Entdeckungen bei Buch, wo der Redner allmählich über 80 Wohnstätten in ihren Umrissen allein an der Farbe (Schwärzung) des Erdreichs in den Pfosten⸗ löchern ermittelte, hatten ihm den Gedanken nahe gelegt, daß wohl auch in der Urzeit Begräbnis⸗ und Wohnstätten einander ebenso benachbart gewesen sein möchten wie in unseren Dörfern heute. Hierauf fußend, hat er in der Nähe bekannter Urnenfriedhöfe an den vorbezeichneten Orten mit dem oben erwähnten Erfolge geforscht. Eine Merkwürdigkeit ergab sich hierbei: zuerst von dem Pfarrer des Ortes entdeckt, für Nackel, wo sich die zweifellosen Spuren von 4—-— 5 Wohnstätten unter einer 3 4 m hohen Sanddüne fanden, deren Entstehung in geologisch so später Zeit ein Rätsel aufgibt, und dadurch noch merkwürdiger erscheint, daß sich etwa 1 m unter der Oberfläche der Düne, in der eine Kiefer wurzelt, eine Humusschicht und an sie angeschlossen eine ziemlich ausgedehnte Brand- schicht findet. Den ersten Vortrag des Abends hielt Dr. Eduard Hahn über ‚Wirtschaftliches zur Prähistorie!. Der auf diesem Forschungsgebiet hervorragend bewanderte Gelehrte erörterte eingehend die Frage, wie die Menschen wohl zum Feuer gelangt sein mögen? Die Prometheussage genügt ihm zur Erklärung ebensowenig, als die Att, wie Robinson durch einen Blitzschlag, der einen trockenen Baum entzündete, wieder zu Feuer gelangte, das ihm für lange Zeit ausgegangen war. Der Redner glaubt, daß Holzbearbeitung, die sehr früh dem Urmenschen nahelag, da seine Steinwerkseuge für manche schlichte Holzarbeit ausreichten, die Menschen auf das Feuer gebracht und sie zu⸗ fällig den Feuerbohrer hätten erfinden lassen. Fortan ging das Feuer ihnen nicht mehr verloren, da sie es selbst erzeugen konnten, nicht auf den Blitz zu warten hatten. Es erscheint zweifellos, daß hiermit einer der bedeutendsten Kulturfortschritte der Urmenschheit vollzogen war. Die von hier ihren Ausgang nehmende Beherrschung der Natur enifachte nicht nur Funken in der Körper-, sondern auch in der Geisteswelt. Mit Hilfe des Feuers wurden Einbäume ausgehöhlt und mittels der im Lagerfeuer erhitzten Kochsteine und Siedesteine die ersten Anfänge zu einer verbesserten Nährweise gemacht. Daß noch zu allerlei Zwecken das Feuer ursprüng— lich benutzt wurde, denen wir heute in anderer Weise genügen, lehren die Naturvölker, die manche altväterischen Verfahrungsweisen bei⸗ behalten, z. B. die sogenannte Linge“, darin bestehend, daß

das frisch geerntete Getreide in entsprechender, Entzündung ausschließender Höhe über offenem Feuer gedörrt wird, ehe es in die Scheuer kommt. Einen weiten wichtigen

Fortschritt, der noch dem Steinzeitalter und der ersten Holzbearbei⸗ tung angehört, erblickt Dr. Hahn in dem Grabstock oder Grabscheit und der wohl erheblich jüngeren Hacke, die nach dem Zeugnis ur— alter, im Bergwerk von n . in Schweden und in St. Moritz⸗ Graubünden gefundener Werkzeuge in ihrer ersten Gestalt auch von Holz war. Grabstock und Hacke waren die ersten Werkzeuge, mit denen die Frauen sich an der Kulturarheit beteiligten. Sie galten nach ägyptischen Bildern als das Symbol der Frau, in Aegypten aller⸗ dings jugleich als Königssombol mit Hinweis auf die Wichtigkeit deg Landbaues. In der Hand der Frau diente der Grabstock nicht bloß für die Bodenbearbeitung, sondern zuch zum Ausheben der Erdgruben, die als die ersten Kochvorrichtungen anzusprechen sind, welche mit Steinen aus⸗ gelegt beim Rösten, später auch beim Backen unde als man erst Ton⸗ gefäße hergestellt, auch zum Kochen flüssiger Nahrung Benutzung sanden. Bas Fleisch eines Rindes im eigenen Fett zu kochen, werden die Menschen bald gelernt haben. Vielleicht fand bei diesen ersten Fochleistungen auch das Leder Verwendung, das seiner Undurch⸗ lassigteit halber zur Aufnahme von Flüssigkeiten geeignet war. Ueberhaupt hat das Leder von jeher bei den Natur⸗ dölkern vielfache wirtschaftliche Verwendung gefunden, lange evor man Webstoffe herzustellen gelernt hatte. Wahrscheinlich waren auch die ersten Segel aus Leder oder Fell. Aus Leder mögen auch die ersten Schiffstaue gewesen sein. Von einer ledernen Brücke

in einer wendischen Sage die Rede. Welches mögen die ersten kulturgewãchse gewesen sein, die von den Menschen nicht bloß, wo sie dild wuchsen, verwertet, sondern soweit möglich planmãßig angebaut wurden? Vermutlich war es der Knöterich (Polygonum), auf den

man in Rußland heute noch bei drohender Hungergnot zurückgreift. Wurzeln, . Rüben spielten wohl eine große Rolle, auch

Farnwurzeln, nicht bloß die vom Adlerfarn, die heute noch als eßbar gilt. In Uegypten bildeten Seerosenwurzeln ein Nahrungsmittel. Einen Fingerzeig, was einst alles Volkgernährungs— oder Genußmittel war, geben die Gewohnheiten der Kinder. Hler besteht eine Ueberlieferung, die sich unbeirrt durch Aufklärung, die sie noch nicht besitzen, von Kindergeneration zu Kindergeneration fort, pflanzt, von den Erwachsenen als harmlose oder törichte Spielerei betrachtet, wohl auch den Kindern verboten wird, in letzterem Fall aber ein besonders zäbes Leben entwickelt. Hierfür selen als Bei- spiele angeführt die Blätenkätzchen der Haselnuß, die Blüten des weißen Klees, die jungen Triebe des Schilfs, Kalmus, und anderes. Nicht aufgeklärt ist, in welcher Art in einer früheren Vergangenheit die Brennessel zu Nahrungszwecken herangezogen wurde. Daß sie zu einer Zeit dem Flachs ähnliche Verwendung für Wehezweck fand, ist sicher. Frühzeitig scheinen die Menschen, um pflanzliche Nahrungsmittel schmackhafter und verdaulicher zu machen, auf. das Verfahren der Säuerung gekommen zu sein. Sauerkohl und saure Gurke sind bei uns der Rest des früher sich auch auf andere Pflanzenkost erstreckenden Verfahrens. In Süddeutschland säuert man in der gleichen Art auch Rüben für den Genuß durch den Menschen, als Viehnahrung wird in der Landwirtschaft mancherlei gesäuert mit ersichtlichem Vorteil für das Vieh, in Livland wendet man ein ähnliches Verfahren auch auf bestimmte Gräser an. Das Säuern selbst ist vielen entlegenen Naturbölkern bekannt. In Neuseeland zumal stellen die Maori aus Mais durch Säuerung ein schmackhaftes Gericht her. (Der Redner unterbrach hier seine beifällig aufgenommenen Mit- teilungen, sich vorbehaltend., später eine Fortsetzung davon zu geben.) Den zweiten Vortrag des Abends hielt Herr Sscar Iden Zeller über . Ethnographische Beobachtungen auf der Tschuk— tschen⸗Halbinsel“, bekanntlich der nordöstlichen Spitze Sibiriens, die sich, durchquert von einem westöstlich streichenden Gebirge über fast 26 Längengrade (170, bis 190. 6stlich von Greenwich) bis zur Beringstraße erstreckt und dort mit dem Ostkap endet. Dies aus— gedehnte, nördlich des Polarkreises gelegene Gebiet gehört wohl zu den trostlosesten Einsden der Erde; denn der Baumwuchs hört schon etwas südlich des Polarkreises auf, die nicht hohen Berge sind gänzlich kahl, und in dem von wenig kleinen Flüssen, die nördlich zum Eis— meer und südlich nach dem Beringsmeer gehen, durchquerten Flach— land von Tundracharakter gedeiht in den kurzen Sommermonaten nur ein höchst spärlicher Pflanzenwuchs. Dies Gebiet war bis vor 30 Jahren fast unbekannt. Erst Nordenskiöld, der es auf seiner Um⸗ seglung Asiens und Europas (1878679 mit der Vega“) genauerer Be⸗ sichtigung würdigte, hat darüber ausführlicher berichtet. Seitdem weiß man, daß es spärlich von einer etwa 100 900 Köpfe starken nomadi⸗ sierenden, dem mongolischen Stamm angehörigen Bevölkerung bewohnt wird, die noch heren f ist, dem Schamanen⸗ und Fetischdienst huldigt und um die sich die russische Regierung wenig oder gar nicht kümmert. Was den Redner veranlaßte, dies unwirtliche Land zu besuchen und sich freiwillig während sechs Monaten gewissermaßen aus dem Kultur⸗ leben ausschalten zu lassen, wurde von ihm dahin angedeutet, daß die Tschuktschen⸗Halbinsel geologisch die Fortsetzung des bon ihr nur durch die nur 80 km breite Beringstraße getrennten Alaska sei und erwarten lasse, daß sie dieselben Schätze an Kohlen und vielleicht an Gold berge wie Alaska. Auch mag Las steigende Interesse, das von Alaska aus zunächst dem Handel an der Beringstraßenküste der Halbinsel Niederlassung an der St. Lorenz ⸗Bay zugewandt wird, einen gewissen Reiz bilden, es den Amerikanern in deren gewinn— reichem Tauschhandel mit den Eingeborenen gleichzutun. Denn allem Anschein nach vollzieht sich hier eine Wandlung in den bisherigen Formen und Richtungen des allein für die Tschuktschen maßgebenden Tauschhandels. Vom Gelde machen sie keine Verwendung und kennen

es kaum. Während nämlich jetzt noch, aber seit einigen Jahren in immer schwächerem Grade, die im Innern der Halbinsel nomadisierenden Tschuktschen sie werden von den an der Küste lebenden, dort seßhaften und

durch Robbenfan sich nährenden, ein besseres Dasein führenden Stammesgenossen . den Namen ‚Tschantschu“ unterschieden —ů an den Besuch des all⸗ jährlich Anfang März stattfindenden Jahrmarktes in Nischne Kolymsk gebunden waren, um dort ihre Felle (Renntier, Blaufuchs, Zobel usf.) gegen Tabak, Zucker und Ziegeltee umzutauschen, scheint dieser Handel nunmehr ganz andere Wege einzuschlagen. Nischne Kolymek liegt westlich, unterm 162. Grad östlicher Länge von Greenwich, nahe der Mündung des Kolymastromes ins Eismeer. Die— jenigen unter den Stammesgenossen der Tschantschu, welche mitlen im Winter die beschwerliche Reise zum Jahrmarkt in Renntier, oder Hundeschlitten anzutreten hatten, mußten darauf bei den ungeheuren Entfernungen (etwa 20 Längengrade) nicht weniger als 120 Tage verwenden und ebensoviel zurück nach ihrer Halbinsel. Da ist es nun erklärlich, daß eine Gelegenheit zur Verwertung ihrer Produkte in größerer Nähe, wie die betriebsamen Amerikaner sie ihnen bieten, voraussichtlich bald den beschwerlichen Besuch jenes entfernten Jahrmarktes dauernd verhindern und ausschalten wird, zumal von russischer Seite nicht das Mindeste zugunsten der Tschuktschen geschieht. Eine bedauerliche Folge dieser Aenderung, wonach die Tschantschu ihre kostbaren Felle künftig ostwärts nach den ihnen viel näheren, sich in letzter Zeit weiter ausdehnenden Ansiedlungen am Beringsmeer bringen werden, besteht nur in der vermehrten Bekanntschaft mit dem Feuer— wasser, welche die smarten Amerikaner bereitwillig vermitteln. Herr Iden-Zeller hat jedenfalls das Verdienst, diese Verhältnisse gründlich untersucht zu haben. Er gab von seinen Erfahrungen mit den Tschantschu höchst anschauliche, später auch noch weiter durch Lichtbilder erläuterte Schilderungen, denen in Kürze folgende Einzelheiten entnommen sein mögen: Von den drei möglichen Wegen, nach der TschuktschenHalbinsel zu gelangen, über Alaska, über Wladiwostok bei Eröffnung der Frübjahrs— schiffahrt oder über Jakutskwählte er den letzteren, fraglos beschwerlichsten. Um Land und Leute gründlich kennen zu lernen, verdang er sich in Katschiga als Flößerknecht auf der Lena, gelangte so nach Jakutsk (130 östlicher Länge von Greenwich) und begleitete von hier aus 17 Tage lang den Konvoi eines russischen Polizeichefs nordostwärts, worauf er in sechstägiger Schlittenreise im Dienste eines Pelzbändlers Nischne Kolymek erreichte, wohin dieser sich zum Jahrmarkt begab, der vom 8. bis 13. März dauerte. Hier machte der Reisende zum ersten Male Bekanntschaft mit zum Ankauf bezw. Eintausch ihres bescheidenen Bedarfes anwesenden Tschuktschen und schloß sich ihnen für die nächsten s Monate an, um die arm— seligste menschliche Existen;z kennen zu lernen, von der er vorher keinerlei Vorstellung besessen hatte. Zunächst erklärten ihm seine neuen Gefährten, daß er sich in allen Stücken den Volksgebräuchen zu unterwerfen habe, und nahmen ihm in Ausführung dieses Gebots so— gleich seinen Löffel ab, da einen solchen zu benutzen nur einem Häupt— ling zustehe. So blieb dem Reisenden nichts übrig, als sein aus einer Suppe von Renntierblut, Fett und Tee, ganz ohne Salz, bestehendes, nur durch einige Kräuter und Wurzeln gewürztes, tägliches Mabt leich allen anderen, Männern, Frauen und Kindern, mit der hoblen Hand aus dem gemeinschaftlichen großen Topf zu schöpfen. Bedenkt man nun, daß es mit der Reinlichkeit der auch zu mancherlei sehr abweichenden Zwecken verwendeten Gefäße keineswegs gut bestellt war, daß auf der langen Schlittenfahrt und bei der täglichen Mübsal der Aufstellung und Wiedereinziehung der Zelte häufig für andere Arbeit kaum Zeit blieb, daß mit dem Brennmaterial für die not— wendigsten Zwecke so gespart werden mußte, daß für das Auftauen des Schnee zur Gewinnung von Waschwasser nichts hergegeben wurde (90 Tage lang vermochte sich der Reisende überhaupt nicht zu waschen), so bekommt man eine Vorstellung von der unsäglichen Pein dieser Reise und später dieses zu Unrecht so genannten „Aufenthalts“ im Tschukischen Lande. Denn zu längerem Aufenthalt an einer Stelle kam es bei den nomadisterenden Gewohnheiten dieses Volkes auch niemals. Hatten die einer Gruppe von 60 80 Personen, die sich zu⸗ sammenhielten, gehörigen Renntiere, Herden verschiedener Größe, in maximo 800, die Tundra in der Umgegend des Lagers von dem Renntiermoos , so wurde weitergezogen. Dabei

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man von dem Reisenden ziemlich viel. Vom ersten Tage ab waren i

12 Renntierschlitten übergeben, die er in allen Stücken, das Ab⸗ und

Aufladen und natürlich auch das Ein- und Ausspannen der Renntiere, zu versehen hatte. Am Morgen war man ziemlich früh auf, schon um 6 —7 Uhr, mit Sonnenuntergang zog man sich in die Zelte zurück. Hier wurde die nötige Erwärmung für die Nacht in der denklich einfachsten, aber auch denklich widerwärtigsten Art hergestellt. Jedem größeren, aus gegerbtem Leder bestehenden Zelt, dessen Ord— nung und Pflege ausschließlich der Frau unterstellt ist, die auch allein das Essen bereitet, ist eine nur mit dem Innenraume des Zeltes zu— sammenhängende Nachtkammer angehängt, aus Fellen, mit der be— haarten Seite nach innen gerichtet, so hergestellt, daß ein sehr dichter Abschluß gegen die Außenluft erreicht ist. Erleuchtet ist der Raum durch eine einzige Tranlampe. Bequem hätten in diesem Raum 5 bis 6 Personen Platz, aber 12 bis 18 müssen darin Platz finden zu dem Zweck, durch dies enge Zusammenhausen die nötige Wärme zu erzeugen. Das wird auch stets so ausgiebig erreicht, daß die Insassen vor dem Schlafengehen ihre aus Leder und Fell bestehenden Kleider ausziehen, mit denen sie sich, auf Fell liegend, bedecken. nachdem sie einer gewissen Funktion in ein größeres Gefäß genügt. Auf diese letztere Betätigung wird mit Strenge gehalten, weil die Renntiere den menschlichen Harn sehr lieben, abgesehen davon, daß dieser auch zum Waschen und zum Gerben der Felle Verwendung findet. Die Tschuktschen besitzen in ihrer Religion kein Hindernis, mehrere Frauen zu heiraten. Sie machen hiervon aber, wahrscheinlich der Armseligkeit ihrer Lebensführung wegen, höchst selten Gebrauch. Der Vortragende hat nur wenig Familien mit 2— 3 Frauen gefunden. Merkwürdige Gegensätze finden sich im Charakter des Volkes: Eine weitgetriebene Gastfreundschaft, die dem Gastfreund sogar den Ver— kehr mit der Hausfrau gestattet und beleidigt ist, wenn Ablehnung er—⸗ folgt, auf der anderen Seite eine furchtbare Grausamkeit gegen an⸗ scheinend unheilbar Kranke, die man nach Befragung des Familien rats zu erdrosseln beschließt, womit dann das älteste Familienmitglied für eine der nächsten Nächte beauftragt wird. Entsprechend roh ist die Beseitigung der Leichname, wenn auch von einigen Zeremonien begleitet, die auf einen Leichenschmaus von selten gebotenem Renntierfleisch hinauslaufen; Opferfeste mit ähn— lichen Extrafleischgenüssen werden auch zugunsten der vielen Götzen gefeiert, die man verehrt, wobei die betreffenden Götzenbilder, heißen sie nun Fluß⸗, Berg., Lager oder Hausgötter, auch ihr bescheidenes Teil bekommen, indem man ihnen Renntierblut in den Mund schmiert. Die Tschuktschen sind jeder abergläubischen Vorstellung zugängig. Dieser Eigentümlichkeit und der Benutzung der Leicht— gläubigkeit des Volkes batte es der Reisende zu verdanken, daß er bei einem ernstlichen, ihn befallenden Unwohlsein von dem Beschluß, ihm das Sterben in der oben angegebenen Art zu erleichtern, verschont blieb. In recht anschaulichen Licht bildern gab Herr Iden-Zeller noch Bilder von seiner oben geschilderten Reise bis Nischne Kolymsk mit interessanten Typen der hier hausenden Völkerschaften der christlichen Jakuten und Laputen. Einige der besten Bilder von der Tschuktschen-Halbinsel waren dem Nordenfskiöld— schen Werk entnommen, andere waren amerikanische Aufnahmen und zeigten jene heranwachsenden Niederlassungen am Beringsmeer und den Verkehr der Händler mit den Eingeborenen. Photographische Aufnahmen während seines sechsmonatigen Aufenthalts bei den Tschantschu zu machen, war dem Reisenden nicht vergönnt gewesen.

Jagd.

Dienstag, den 31. d. M., findet Königliche Parforce⸗ jagd statt. Stelldichein: Mittags 1 Uhr am Vorwerk Wolfsberg.

Theater und Musik.

Deutsches Theater.

Im deutschen Theater wurde gestern „Turandot“ zum ersten Male gegeben, aber nicht Schillers in die höhere dichterische Sphäre erhobene Bearbeitung des chinesischen Märchenspiels von Earlo Gezzi, sondern eine von Kar! Vollmoeller geschaffene getreue Uebertragung des Originals, das die Figuren der Commedia. dell'arte, des italienischen Hanswurst⸗ und Stegreifspiels, in die bunte und groteske Welt eines märchenhaften China versetzt. Reinhardt, der sich gern aller literarischen Fesseln entledigt, um seine Phantasie, die von der Malerei und Plastik die stärksten Anregungen empfängt, frei und unbehindert walten zu lassen, feierte gestern mit seiner Bühnenkunst einen Triumph, der vollständig ge⸗ wesen wäre, wenn nicht einige Längen der Aufführung das Publikum ermüdet und den Erfolg zeitweilig in Frage gestellt hätten. Immerhin war aber auch der Versuch literarisch und kulturgeschichtlich nicht ohne Inter⸗ esse, das Werk in seiner Urgestalt wieder aufleben zu lassen, das Schiller der deutschen Bühne zuzuführen für würdig hielt. Das drollige Gebaren der alten Maekenfiguren, die bald das Wort an das Publikum richteten, bald wieder als Träger der Handlung in diese eingriffen, bewirkte eine innige Gemeinschaft des Publikums mit der Bühne und ließe keinen Augenblick darüber in Zweifel, daß die Schrecknisse der Scheinwelt jenseits der Rampe nicht ernst zu nehmen seien. So wirkten die vor dem Palast auf— gepflanzten Köpfe der verschiedenen Bewerber um Turandots Hand nur phantastisch⸗grotest und das Zeremoniell am Hose Altoums erschien doppelt komisch. Die bunte, malerisch auf das feinste ab⸗ gestimmte Maskerade mit ihren Aufzügen und Gruppierungen erhielt noch eine besonders charakteristische Farbe durch Bu son is Orchester— musik, deren Bekanntschaft Oskar Fried, der sie auch gestern dirigierte, uns schon früher vermittelt hat. Mit ihren fremdartig anmutenden Tonfolgen, ihren auf der chinesischen Ganztonleiter sich aufbauenden Harmonien, ihren scharfen Rhythmen und ihrer glanzvollen Instrumentierung war diese Musik, die in Gemeinschaft mit dem Bühnenbild erst ganz verständlich wurde, ein wesentlicher Bestandteil der fesselnden Äuf⸗— führung. Das Bizarre, Fratzenhafte der chinesischen Bilder schien hier in Töne umgesetzt zu sein. Auch die Dekorationen zeigten in Farben und Formen uberall dieses Gepräge Unter den Darstellern gebührt Herrn Moissi als Kalaf die erste Stelle; er war in dieser Welt der Zerrbilder ein Märchenprinz von echtem Adel, der eher in die Sphäre Schillers als Gozzis gehörte. Aber gerade das Gegensätz— liche, das in seiner Leistung lag, wirkte wohltuend, und man hätte ge— wünscht, daß auch die Prinzessin Turandot von diesem Schlage gewesen wäre und nicht so gekünstelt chinesisch, wie Frau Eysoldt sie gab. Den alten Kaiser Altoum spielte Herr Diegelmann, der bei aller Komik eine gewisse Würde zu bewahren wußte. Die Dienerinnen Turandots fanden in den Damen Eibenschütz und Terwin gewandte und anmutige Vertreterinnen. Unwiderstehlich komisch waren in den Maskenrollen die Herren Waßmann, Arnold, Biensfeldt und Tiedtke. Auch die Herren Kühne (Barak) und Pagay (Kalafs Vater) sind mit An⸗ erkennung zu nennen. Zum Schluß rief lang andauernder Beifall außer den Mitwirkenden Reinhardt, Busoni, Vollmoeller und Oskar Fried auf die Bühne.

Berliner Theater.

„Coeur Aß“ betitelt sich eine vieraktige Komödie mit einem Vorspiel aus dem Englischen von E. Orezy, die gestern abend zum ersten Male aufgeführt wurde. Die Verfasser von Stücken, welche die französische Revolution behandeln, haben es leicht. Sie können alles mögliche geschehen lassen, die abenteuerlichsten Dinge, ohne daß man die Wahrscheinlichkeit bezweifeln oder Einspruch gegen Absonder⸗ lichkelten erheben kann. Aber wenn sie künstlerisch wirken wollen, so gan sie entweder über einen grotesken Humor verfügen, wie z. B. Schnitzler im „Grünen Kakadu“, oder sie müssen sich auf Seelenschilderung und große Konflikte verstehen, zum mindesten aber, wenn sie nur eine äußere Handlung zu ersinnen vermögen, müssen sie diese so geschickt und spannend zu führen wissen, daß man für den Augenblick über den Mangel tieferer Eigenschaften hinweggetäuscht wird. Keine dieser Forderungen wurde in dem gestrigen Stück hin— reichend berücksichtigt. Hinter dem Decknamen „Coeur Aß“ verbirgt sich ein englischer Edelmann, der in Gemeinschaft mit Freunden den Sport betreibt, französischen Aristokraten zur Flucht vor der

Guillotine zu verhelfen und sie über den Kanal in Sicherheit