1911 / 256 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 30 Oct 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Ministerium der geistlichen und Unterrichts⸗ angelegenheiten.

Der Direktor des Kaiserlichen Instituts für Experimental⸗ medizin zu St. Petersburg, Professor Dr. Wladimir Valeriano⸗ witsch Po dyyzosky und der Direktor des „Kockefeller In- stitute for Medical Research“ zu New York, Professor Dr. Simon Flexner sind auf Grund Allerhöchster Ermächtigung Seiner Majestät des Königs zu ordentlichen Ehrenmit— gliedern des Instituts für experimentelle Therapie zu Frank—

rt a. M. ernannt worden.

Den Privatdozenten in der philosophischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg Dr. Ludwig Brüel und Dr. Otto Ritter ist das Prädikat Professor,

dem Pächter des unter staatlicher Verwaltung stehenden Gutes Blazejewo Julius Pülschen zu Blazejewo, Regierungs⸗ bezirk Posen, ist der Charakter als Königlicher Oberamtmann beigelegt worden.

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Der Regierungsbaumeister Jacoby, bisher beim Meliorationsbauamt in Marienwerder, ist nach Köslin als Vorstand des dortigen Meliorationsbauamts versetzt worden.

Ministerium des Innern.

Das Diphtherieheilse rum mit der Kontrollnummer 253 Zweihundertdreiundfünfzig aus der Chemischen Fabrik

von E. Merck-Darmstadt ist wegen Abschwächung zur Ein⸗

ziehung bestimmt.

Finanzministerium.

Das Kata steramt Königswinter im Regierungsbezirk Cöln ist zu besetzen.

r —— ———

Srrichtungsurkunde.

Mit Genehmigung des Herrn Ministers der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten und des Evangelischen 2

kirchenrats sowie n

t Anhörung der Beteiligten wird von den unterzeichneten Beh

hierdurch folgendes festgesetzt:

51.

In der evangelischen Kirchengemeinde Tegel, Disjese Berlin Land II, wird eine dritte Pfarrstelle errichtet.

Diese Urkunde tritt am 1. globember 1911 in Kraft. Berlin, den 12. Oktober 1911. Potsdam, den 17. Oktober 1911. 5 uche (L. S.) önigliches .

glich Königliche Regierung, der Provinz Brat urg, Abteilung für Kirchen- und

Abteilung Berlin. Schulwesen. Steinhausen. Witte.

Abgereist:

Seine Exzellenz der Staatsminister und Minister der d entlichen Arbeiten von Breitenbach, nach Dresden und Leipzig.

Aichtamtliches. Dentsches Reich.

Preußen. Berlin, 30. Oktober.

Seine Majestät der Kaiser und König hörten vor— gestern vormittag im Neuen Palais bei Potsdam die Vorträge des Chefs des Marinekabinetts, Admirals von Müller und des Staatssekretärs des Reichsmarineamts, Großadmirals von Tirpitz. Heute vormittag nahmen Seine Majestät im hiesigen Königlichen Schlosse den Vortrag des Chefs des Zivil⸗ kabinetts, Wirklichen Geheimen Rats von Valentini entgegen.

*

Uebersicht der Einnahmen an Zöllen, Steuern und Gebühren für die Zeit vom 1. April 1911

bis zum Schlusse des Monats September 1911.

h. Die Solleinnahme nach Abzug Die Isteinnahme ' der Ausfuhrvergütungen us. ö . 2 ; bat betragen hat betragen Im Reichzhaushalts⸗ S Bejeichnung vn n, . , ü, fin das ö. . echnungsjahrs Rechnungsjahrs Rechnungsjahr 159* 6 der Einnahmen m . S fusf im rn, , ,, echnungsjahr 1911 * Monat Seytemb. bis am G gl fe Monat Seytemb. bis nh Sc msse veranschlagt auf 5 September Seytember 6 6. ls 66 A 1 2 3 = 5 6 7 1. 2. JJ os dos zo z9ꝛ 48s 56. 63 Col 681 377 118 505 oss 291 ooo 1 S5 61 531536 33 19 914 066 458 14 546 Gos 3. are ten fleneerercr 2 9838 799 16715 614 2517 699 14189064 25 514 000 8e 15 466 347 90 723 924 12 920 343 S4 903 104 151 919099 ,,, 4833 61 26 598 606 6 22 26 653 552 58 250 0090 S. Verbrau abe für Branntwein. 19 334 256 343 34 83 D gh 535 753 d 165 765 5665 . L Gssigsãureverbrauchs abgabe... 198 41 447 235 18 5357 327 954 Sal 006 ei ,, 1134406 259 286 334 909 5 342 649 10576 0909 ö . . 1119 3 4 33333; 3265 13 3363 3 G KFeuer 15731896 9137 317 1614 869 9 134 296 15 775 000 r und Uebergangtabgabe von . 1 13 578 8õ3 60 901 887 12 1958 729 60 975 040 123 462 000 Splellartenstempe l... 159153 83 0686 1065 191 87 077 1852 450 13. Wechselstempelsieuer .... 1608 665 9 540 471 1576492 9 349 662 17 190 000 14. Reichsstempelabgaben: 3. A. von Wertpapieren.... 3 427 6883 27197 236 3 359 129 26 653 291 1 B. von Gewinnanteilschein⸗ und Zins⸗ J 49 000 000 ö ois oss 4 862 833 ois S301 4 897 62 IL C. von Rauf⸗ und sonstigen Anschaffungs⸗ . J ö 2 212 088 12 658 329 2167 377 12402086 15 430 000 D. von Lotterielosen: ö . a. für Staatslotterien.. 13330983 14740446 1333083 14740 446 36 605 500 b. für Privatlotterien . 1361243 71385 515 1334019 7237 904 8 330 0090 E. von Frachturkunden.. ..... 1716792 8 688 999 1682457 S 516199 14994000 F. von e, r, . w 2188 013 11 388 276 2144283 11 160511 19 600 000 G. von Erlaubniskarten für Kraftfahr⸗ J . 312578 2288 8122 306 3285 2 243 035 2352 000 H. von Vergütungen an Mitglieder k 131 854 2 964 847 19 2 905 550 4410000 e 261 882 1521 676 256 645 1491243 3724000 K. von Grundstücksübertragungen 2 686 634 19578 480 26321090 18183979 43 700000 1 2 060389 19099 206 2060399 19 099 206 39 000 009 16. Statistische Gebühr... 161 002 928 497 149 877 912 243 1536 950.

Die Strafrechtskom mission hat in den letzten Wochen den früher zurückgestellten Rest des 4. Abschnitts (Straf⸗ ausschließungs⸗ und Milderungsgründe), nämlich die Vor⸗ schriften über Notwehr, Notstand und jugendliches Alter, und 1. den 6. und 7. Abschnitt (Versuch und Teilnahme)

eraten.

Die Vorschriften über Notwehr (3 66) sind, abgesehen davon, daß die Notwehrhandlung ausdrücklich als nicht rechts⸗ widrig erklärt ist, unverändert angenommen worden. Bei der Beratung des Notstandes (3 67), die sich insbesondere auch auf die hierzu aus ärzlichen Kreisen geäußerten Wünsche er— streckt hat, hat die Kommission sich vorläufig auf folgenden grundsätzlichen Standpunkt geeinigt, ohne daß die Fassung der Vor⸗ schrift bereits endgültig fesigestellt wurde: Notstandshandlungen . wie nach dem Vorentwurf, nicht nur zur Rettung

er eigenen Person und der Person von Angehörigen, sondern

allgemein zugunsten Dritter und auch zur Rettung eigenen oder fremden Eigentums zugelassen werden. Abweichend vom Vorentwurf soll jedoch die Verhältnismäßigkeit des drohenden Schadens und des von der Notstandshandlung zu erwartenden Schadens auch für den Personennotstand gefordert werden. Die Voraussetzung, wonach die Gefahr unverschuldet sein muß, soll grundsätzlich in Wegfall kommen. Ferner sollen auch Eingriffe in die Rechtsgüter des Bedrohten selbst als durch den Notstand gedeckt angesehen werden, wodurch insbesondere die Interessen der Aerzte berücksichtigt werden, die sich zu Eingriffen an dem gefährdeten Kranken veranlaßt sehen. Andererseits ist im Interesse des Schutzes des Publikums vor willkürlichen Ein⸗ griffen eine Notstandshandlung gegen den rechtlich beachtlichen Willen des von der Gefahr Bedrohten für unzulässig erklärt. ee, e. ist die Rechtmäßigkeit der Notstandshandlung anerkannt worden.

Die fernere Frage, ob sonstige Gründe des Ausschlusses der Rechtswidrigkeit, wie die Fälle der Geschäftsführung ohne Auftrag, der Einwilligung des Verletzten usw., im Strafrechte zu regeln seien, ist eingehend geprüft worden. Die Kommission hat sich dahin schlüssig gemacht, in den Allgemeinen Teil keine Vorschriften hierüber aufzunehmen. Die Frage der Wirkung der Einwilligung soll aber bei den einzelnen in Betracht kommenden Delikten des besonderen Teils geprüft und dort auch gegebenenfalls bestimmt werden, inwieweit eine Vertretung bei der Erklärung der Einwilligung zulässig ist.

Hinsichtlich des Jugendstrafrechts (88 68 bis 70) hat sich die Kommission im allgemeinen dem Vorentwurf angeschlossen, insbesondere die Strafgrenze auf 14 Jahre heraufgesetzt. Für die Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren ist ebenso wie für Taubstumme —, abweichend vom Vorentwurf, aber in Anlehnung an das geltende Recht, Straflosig⸗ keit vorgesehen, wenn der Täter wegen zurückgebliebener Entwicklung oder mangels der erforderlichen geistigen oder sittlichen Reife nicht die Fähigkeit besaß, das Ungesetzliche seiner Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen. Die neben oder an die Stelle von Strafe tretenden Erziehungsmaßregeln sind wie im Entwurfe der St. P.⸗O. näher bezeichnet worden; sie sollen von der nach Landesgesetz zuständigen Behörde getroffen werden, doch soll der Strafrichter sie auch selbst anordnen dürfen. Auch ist eine Schutzaufsicht über Jugendliche bis zur Dauer von 2 4 jedoch nicht über das 20. Lebensjahr hinaus vor⸗ gesehen.

Bei der Regelung des Versuchs (85 75 bis 77) hat sich die Kommission der subjektiven Theorie angeschlossen und diesen Standpunkt durch folgende Fassung des 5 75 zum Ausdrucke gebracht: „Wer den auf Verübung eines Verbrechens oder

Vergehens gerichteten Vorsatz durch Handlungen betäti welche die Tat zur Ausführung bringen sollen, 1 , nicht vollendet wird, wegen Versuchs zu bestrafen.“ Etwaigen Härten, die sich aus der grundsätzlichen Strafbarkeit auch bet absolut untauglichen Versuchs ergeben können, ist durch eine Vorschrift vorgebeugt worden, wonach der Richter in diesen Fällen von Strafe absehen kann. .

Bei der Teilnahmelehre (85 78 bis 80) ist nach ein— gehender Würdigung der Kritik beschlossen worden, den Begriff des Anstifters beizubehalten. Eine Begriffsbestimmung der Täterschaft wurde nicht für angezeigt erachtet, wohl aber ift neben der schon im Vorentwurf enthaltenen Definition der An⸗ stiftung und Beihilfe, der Begriff der Mittäterschaft festgelegt worden. Daß Mittäter, Anstifter und Gehilfen strafbar sind auch wenn der Mittäter oder Täter nicht schuldhaft handelte, ist ausdrücklich bestimmt worden. . .

Die Dien sträume der Generalerdenskomm ission sind von Wilhelmstraße 63 nach Wilhelmstraße S889 verlegt worden. z

Der siamesische Gesandte Phya Sridhamasasana ißt nach Berlin zurückgekehrt und hat die Leitung der Gesandtschaft wieder übernommen.

Bromberg, 29. Oktober. Bei der gestrigen Präsen⸗ tationswahl für das Herrenhaus im Wahlkreise des Netzedistrikts, die in Bromberg stattfand, wurde, wie, W. T. B.“ meldet, für den verstorbenen Herrn von Koscielski der Oberst a. D. von Heydebreck, auf Markowitz mit 20 Stimmen ge—⸗ wählt. Sein Gegenkandidat Graf von Poninski auf Koscielee

erhielt 13 Stimmen.

Elsasß⸗Lothringen.

Gestern haben in 25 Wahlkreisen die Nach wahlen zur Zweiten Kammer stattgefunden. Laut Meldung des „W. T. B.“ wird die Parteizusammensetzung sich folgender⸗ maßen gestalten! 24 Mitglieder des Zentrums, 9 Liberal⸗ demokraten, 11 Sozialdemokraten, 19 Mitglieder des Lothringer Blocks, 6 Unabhängige, und zwar 4 liberale Unabhängige und 2 zentrumgesinnte Unabhängige, zusammen 60 Abgeordnete.

Oesterreich⸗Ungarn.

Der Kaiser Franz Joseph hat gestern, wie -W. T. B.“ meldet, den Ministerpräsidenten Freiherrn von Gautsch in einstündiger Audienz empfangen.

Im öösterreichischen Abgeordnetenhause wurde vorgestern die erste Lesung des Budgets fortgesetzt.

Der Finanzminister Dr. Meyer wandte sich im Laufe der De⸗ batte, obiger Quelle zufolge, gegen eine pessimistische Auffassung der Finanzlage. Wenn das Haus mit der Regierung zusammenarbeiten und sich weiter reformierend mit dem Budget beschäͤftigen würde, se würden die Besorgnisse um Kursverluste sich als grundlos erweisen. Der Abg. Dr. Lewyckyi (Ruthene) bekämpfte die Haltung der Re⸗ gierung, die er ruthenenfeindlich nannte. Die Abgg. Hummer deutschradika) und Freißler (deuische Arbeitspartei) sprachen sich für die Mitarbeit der Tschechen an den Aufgaben des Parlament aus ohne daß diesen jedoch hierfür ein Kaufpreis beiahlt werden oder die Reinheit der Verwaltung dabei leiden dürfe. Der Abg. Sedlak (Tscheche) erklärte, man möge es einmal auf die Mitarbeit der Tschechen ankommen lassen, dann werde man sich überzeugen, daß sie nicht danach trachteten, die Deutschen ju verspeisen; dann könnte es auch gelingen, zu einer Verständigung zu kommen.

Die nächste Sitzung wurde auf den 6. November an⸗

beraumt. Frankreich.

Der Präsident der Republik Fallières hat vorgestern einen Erlaß unterzeichnet, durch den die Anwendung der Taraordnung, die ursprünglich am 1. November in Kraft treten sollte, bis zum 1. Januar 1912 verschoben wird. In einer Note des Finanzministeriums wird hierzu, wie, W. T. B.“ meldet, bemerkt:

Die Regierung habe, da eine allzu eilige Anwendung der neuen Maßnahmen eine Schädigung des Einfuhrhandels hervorrufen könnte, es als richtig erachtet, einen Aufschub zu geben, um den Beteiligten die Abwicklung der laufenden Geschäfte obne Schwierigkeiten und Nachteile zu ermöglichen und ihnen Gelegenheit zu bieten, für die Zukunft alle zweckentsprechenden Vorkehrungen zu treffen.

Der Unterrichts minister Steeg hat gestern in Bordeauy in der Schlußsitzung der Unterrichtsliga, bei der er präsidierte, eine längere Rede gehalten, in der er, obiger Quelle zufolge, aus⸗ führte, daß die Regierung entschlossen sei, die gesetzliche Laien⸗ schule gegen jede Obstruktion zu verteidigen.

Nach einer Erklärung des Kriegsministers Messimy wird nunmehr die endgültige Organisierung des Militär⸗ flugwesens in Angriff genommen werden. Nach einer Meldung des „W. T. B.“ sollen in allen Teilen des Landes Militärflugschulen errichtet und die Militärflieger fortan nicht nur an den großen Manövern, sondern an allen im Laufe des Jahres stattfindenden Uebungen teilnehmen. In einer sehr nahen Zukunft schon werde jedes Armeekorps eine Fliegerabteilung zur Verfügung haben, ja es sei nicht unmög⸗ lich, daß einmal ein jedes Artillerieregiment eine Fliegergruppe besitzen werde. Schon nächstes Jahr werde man hundert Flieger brauchen und hierfür nicht nur die Offiziere, sondern auch die Unteroffiziere und die der Reserve und dem Landsturm angehörenden Zivilflieger in Anspruch nehmen, denen besondere Vergünstigungen gewährt werden sollen.

Rußland.

Der Konteradmiral Fürst Lieven ist, „W. T. B.“ zu⸗ folge, zum Chef des Marinegeneralstabes und der bisherige Chef des Marinegeneralstabes, Vizeadmiral Eberhard an Stelle des in den Ruhestand versetzten Vizeadmirals Bostroem zum Kommandeur der Schwarzmeerflotte ernannt worden.

Vorgestern ist die fünfte Session der dritten Du ma durch eine längere, dem Andenken Stolypins gewidmete Rede des Präsidenten eröffnet worden. Der Präsident führte, obiger Quelle zufolge, darin aus, Stolypin habe das schlummernde Nationalgefühl geweckt, ihm Sinn gegeben und es beseelt. Mit der Persönlichkeit des meuchlerisch Ermordeten sei ein großer russischer Bürger und ein großer Staats geist dahingegangen und habe ein charakterfester, erfahrener Staats⸗ baumeister Rußland verlassen. Nach der Rede fand eine

Lotenmesse statt, worauf die Duma zur Besprechung einer Fieihe von Interpellationen schritt.

Der Reichs rat hat seine Sitzungen vorgestern eben⸗ als wieder aufgenommen.

Italien.

Die Minister des Krieges und der Marine haben, wie W. T. B.“ e,, dn, Depesche an die in Tripolis Ind der Cyrenaika operierende Armee und Marine serichteet ö .

Seine Majestät der König drückt den Land- und Seestreitkräften, nie in Tripolis und der Cyrenaika gekämpft haben und noch kãmpfen, seine Genugtuung und seine hohe Bewunderung aus über den Mut nd die Kaltblütigkeit, von denen sie wiederholte Beweise abgelegt haben. Die Marine und die Armee, die in Zukunft immer mebr rerknüpft werden durch so heilige Bande, haben sich wiederum wohl⸗ perdient gemacht um König und Vaterland.

Schweiz.

Die Wahlen zum Nationalrgt haben gestern ohne zwischenfall stattgefunden. Wie „W T; B. meldet, zurden im ersten Wahlgange 35 Katholisch-Konservative, 09 Sozialisten, 10 Mitglieder des liberal-protestantischen entrums, 7 Angehörige der sozial⸗politischen Gruppe und M Mitglieder der radikalen Regierungspartei, im ganzen also ß) von 189 Abgeordneten gewählt. Die zwanzig Stichwahlen jaben namentlich in den Kantonen Basel, Bern, Neuenburg ind Genf stattzufinden.

Türkei.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Saloniki ist zer Abt des griechischen Klosters Prodromos in der Rähe von Serres ermordet an einem Baume hängend auf— zefunden worden. Der Täter ist unbekannt.

Bulgarien.

Die Sobranje ist vorgestern durch den König mit einer Thronrede eröffnet worden, in der es laut Meldung des W. T. B.“ heißt:

Die durch die große Nationalversammlung in die Verfassung in so glücklicher Weise aufgenommenen Aenderungen eröffneten eine neue zera für die friedliche Entwicklung und die wirkschaftliche und kulturelle TLitigkeit des Landes. Bulgarien habe im laufenden Jahre die freund- schaftlichen Beziehungen mit allen Ländern befestigt, indem es sich nöbesondere bemühte, die Beziehungen zu den benachbarten Ländern, zie wertvolle wirtschaftliche und politische Bande mit Bulgarien ver⸗ inden, aufs beste zu gestalten. Bulgarien hahe wieder bewiesen, naß es verdiene, ein gleichberechtigtes Glied in der Familie der zivili⸗ serten Staaten zu sein.

Afien.

Nach Meldungen des „Reuterschen Bureaus“ sind in Teheran Telegramme eingetroffen, wonach die Turkomanen des ehemaligen Schahs, die von russischen Truppen und dem euer russischer Kanonenboote unterstützt worden seien, in der hähe von Bandargas die persischen Regierungstruppen vollständig geschlagen und ihre Kanonen und ihr Lager erbeutet hätten.

* britische Transport- und zwei Kriegs⸗ schiffe mit indischen Truppen sind am Freitag voriger Woche in Abuschehr angekommen. Die Ausschiffung begann, ohne zatz tätlicher Widerstand geleistet wurde.

Wie aus Peking vom „Reuterschen Bure au“ gemeldet vird, besagt eine amtliche Bekanntmachung, daß das erste Armeekorps des Generals Jintschang am 2. d. M. mn Schekau gegen die Revolutionäre vorgerückt ist und diese bei Lutschiampiaa unter großen Verlusten jurückgeschlagen hat. Den Regierungstruppen sind zahl⸗ reiche Geschütze und große Mengen Munition in die Hände gefallen. Nach der Einnahme von Lutschiampiao gingen die Truppen, von ihrem Siege begeistert, weiter vor ind eroberten die Chinesenstadt von Hankau. Der General Mintschang weilt gegenwärttg mit Truppenverstärkungen in Schekau an der Bahnlinie, 20 Kilometer von Hankau ent⸗ jernt. Kaiserliche Truppenabteilungen sind nach Hau und Iingtschong abgesandt worden, wo sich die Revolutionäre ge⸗ sammelt haben sollen. Die abgesandten Abteilungen haben er giti Befehl erhalten, die Eisenbahnverbindungen zu schützen.

Omer weiteren Meldung des genannten Bureaus zufolge haben die Revolutionäre dem Vormarsch der Regierungstruppen auf Hankau nur geringen Widerstand entgegengesetzt. Beim Räumen ihrer Stellung bei Kilometer 10 ließen sie alle Kanonen und hre Feldausrüstung zurück und flohen in vollständiger Unordnung. Daraufhin hat der Admiral Sachenping den Konsuln seine Absicht bekannt gegeben, Wutschang und Hanjang am Sonnabend⸗ nachmittag zu beschießen, und verlangt, daß alle fremden Schiffe sch aus dem Bereich der Kanonen der Aufrührer begeben sollten. Die fremden Kolonien sind benachrichtigt und die not⸗ vendigen Vorsichtsmaßregeln getroffen. In Sinyang⸗chan finden täglich Scharmützel statt, in denen eine große Anzahl Faiserlicher Soldaten fallen.

Ein Kaiserliches Edikt befiehlt dem Vizekönig von Nanking, den Vizekönig von Hukuang Ju ichen g zu verhaften ind zur Bestrafung nach Peking zu senden. Das vizekönigliche Ziegel von Hukuang soll Muan-chi⸗kai übergeben werden.

Konsularberichte aus Nanking besagen, daß die Lage dort ingewisser geworden sei. Die neuangeworbenen Truppen hätten sich aus Furcht vor einem Angriff der alten Truppen an den Vizekönig um Munition gewandt. Dieser habe ihr Ersuchen jedoch 1bgelehnt. Als er den Truppen befohlen hätte, die Stadt zu ver⸗ laffen, hätten sich die Leute seinem Befehl widersetzt. Der britische Dampfer „Peiching“, den die Chinesen gechartert hätten, liege jur Verfügung des Vizekönigs auf dem Strome. Sechstausend Mann Truppen und die zwanzigste Division in Lanchau hätten sich geweigert, nach Hankau abzugehen, und dem Vizekönig eine Denkschrift übersandt, in der das dringende Ersuchen um sofortige Gewährung einer Verfassung ausgesprochen werde. . Nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ ist mit nem französisch belgischen Syndikat eine sechsprozentige Anleihe von 6 Millionen Pfund Sterling abgeschlossen worden. Der Emissionspreis ist auf g6 Prozent festgesetzt. Die Banken erhalten eine Kommission von 4 Prozent.

Afrika.

Der Oberkommandierende des tripolitanischen Operations⸗ lorps teilt in einem heute in Rom eingetroffenen Telegramm die Verluste mit, die die unter seinem Kommando stehenden Streitkräfte vom 23. bis einschließlich 26. Oktober in den Kämpfen vor Tripolis erlitten haben. Wie „W. T. B.“ meldet sind danach dreizehn Offiziere und 3565 Mann getötet, 16 Offiziere und 142 Mann verwundet worden. Das Mißverhältnis zwischen der Zahl der

Toten und Verwundeten ist aus der Tatsache zu erklären, daß einige Abteilungen, darunter das 11. Bersaglieriregiment, aus allernächster Nähe angegriffen wurden. Die Lücken in den verschiedenen Heeresabteilungen vor Tripolis sind bereits er⸗ gänzt worden.

Nach Meldungen der „Agenzia Stefani aus Tripolis ist in der Nacht zum Sonnabend gegen 2 Uhr auf die südliche Front der italienischen Stellungen ein neuer, nicht sehr be— deutender Angriff unternommen worden, der namentlich gegen den Brunnen von Bumeliana, gerichtet war und zurückgeschlagen wurde. Gegen 4 Uhr und gegen 6 Uhr wurde der Angriff wiederholt, aber ebenfalls abgewiesen. Sobald der Tag angebrochen war, stiegen Militär⸗ flieger zu Erkundungsflügen auf, die sie aber wegen des starken Windes nicht weiter als 10 oder 15 km ausdehnen konnten. Die Flieger berichteten, daß die Oase auf dem linken Flügel der Italiener noch von feindlichen Streitkräften besetzt sei, deren Stärke jedoch nicht abzuschätzen war, da sie von Bäumen und Gebüsch verborgen waren. Ferner wurden einige Haufen bemerkt, die sich aus mehreren hundert Mann zu Fuß und Reitern zusammensetzten und zwischen der Oase und Ain Zara eine an n,, einnahmen. Von diesen Aufklärungsscharen sind, wie es scheint, die drei während der Nacht zurückgeschlagenen Angriffe ausgegangen. Im Süden

und Südwesten konnten beträchtliche feindliche Abteilungen

wahrgenommen werden.

Das Blatt „Sabah“ veröffentlicht eine Depesche aus Tripolis vom 28. d. M., wonach eine italienische Division die Türken angegriffen habe. Als diese, durch Freiwillige verstärkt, ihrerseits kräftig vorgingen, hätten sich die Italiener aus Furcht, ihre Rückzugslinien könnten abgeschnitten werden, in Unordnung in die Stadt zurückgezogen. Die Meldung beziffert die Verluste der Italiener auf 300 Tote, darunter einige Offiziere, und 700 Verwundete. Einige italienische Verschanzungen sollen in die Hände der Türken gefallen sein. Nach Meldungen des „Ikdam“ über die Kämpfe bei Tripolis in den letzten fünf Tagen hätten die Türken zahlreiche Stellungen besetzt, Ver⸗ schanzungen aufgeworfen und, von Artillerie unterstützt, in vier Kolonnen die im Vormarsch befindlichen Italiener angegriffen. Diese seien geschlagen worden und hätten zahlreiche Gefangene, darunter drei Hauptleute und mehrere andere Offiziere, verloren.

Nach einer vom N. d. M. datierten Depesche des Blattes „Sabah“ hat zwischen italienischen Truppen, die mit Artillerie eine Erkundung außerhalb Benghasis unternahmen, und den Türken ein einstündiger Kampf stattgefunden. Die Italiener seien in Unordnung geflohen und hätten eine Kanone und mehrere Tote und Verwundete zurückgelassen.

Eine Depesche der „Agenzia Stefani“ aus Tobruk besagt, daß eine italienische Aufklärungsabteilung, die den Zu⸗ stand der Telegraphenleitung untersuchte, von Wo arabischen Reitern angegriffen worden sei. Die dortige Garnison, ver⸗ stärkt durch zwei Kompagnien von den Schiffen „Etna“ und „Piemonte“, ging, vom Feuer der Etna“ unterstützt, gegen die Angreifer vor und warf sie mit Verlusten zurück.

Nach einer Meldung Pariser Blätter aus Casablanca ist die Nachhut zweier aus Fußtruppen, Reiterei und Artillerie bestehenden Aufklärungsabteilungen bei Gelta el Fila von Zaers angegriffen worden. Die letzteren seien mit starken Verlusten zurückgeschlagen worden.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Im Betriebe des Berliner Fensterreinigungsinstituts Sta ehr u. Co. haben, wie die Voss. Ztg.“ mitteilt, etwa 120 Fensterputzer die Arbeit niedergelegt, weil sie die von der Firma gelieferte Uniform nicht länger tragen wollten.

In einer gestern morgen in Bremen abgehaltenen Versammlung des Staatsarbeiterverbandes, die keine bestimmte Ent- schließung annahm, wurde, W. T. B. zufolge, allgemein die Meinung ausgedrückt, daß die von den Behörden gemachten Zugeständnisse nicht ausreichend seien. Trotzdem soll aber auf eine ng des Kampfes verzichtet werden, da ein Streik zurzeit als aussichtslos an— zusehen sei. (Vgl. Nr. 250 d. Bl.)

In Reichenberg (Böhmen) haben, wie die Köln. Ztg.“ erfäbrt, die Webereiarbeiter den Fabrikanten die Forderung um 10. bis 15prozentige Lohnerböhung überreicht. Da keine Geneigtbeit auf Erfüllung dieses Verlangens besteht, dürfte es jum Ausstand kommen.

Gestern fanden, wie W. T. B. berichtet, in zablreichen Städten Englands Versammlungen der Eisenbahn— arbeiter statt, die sämtlich Entschließungen faßten, in denen der kürzlich erftattete Bericht der Eisenbahnkommission zurückgewiesen wird, weil er die Arbeitergewerkschaften nicht vollständig an⸗ erkenne. In einigen Versammlungen wurde dem Verlangen Ausdruck gegeben, der Vollzugs ausschuß der Gewerkschaften solle unverjuglich die allgemeine Forderung nach Erhöhung der Löhne und Verkürzung der Arbeitszeiten einreichen und, falls diese Forderungen nicht gewährt würden, den allgemeinen Ausstand erklären. In Crewe hielt das Mitglied des Unterbauses J. H. Thomas, der Sekretär des Syndikats der Eisenbahnangestellten, eine Rede, in der er erwähnte, daß in der vorigen Woche Hunderte von Entschließungen für den Auëstand gefaßt worden seien. Dies zeige die Stimmung der Arbeiter; er wende sich daher an die Eisenbahndirektoren, daß sie mit den Vertretern der Arbeiter zusammenkommen möchten, um den Bericht der Kommission zu erörtern und so zu verbessern, daß eine vollständigere Anerkennung der Gewerkschaften sichergestellt werde. Der Bericht müässe geändert werden, wenn der Ausstand vermieden werden solle.

Kunft und Wissenschaft.

Ueber die . . sreise des Kaiserlichen Minister⸗ residenten a. D. Sr. Max Freiherrn von Oppenheim berichtet die Kölnische n . daß die Arbeiten in Tell Halaf in Zentral⸗ mesopotamten begonnen haben. Es handelt sich um die Ausgrabung einer von Baron Oppenheim 1899 entdeckten Hetitischen Residenz. Mit dem Anmaisch zum Tell Halaf hat Freiherr von Oppen⸗ heim gleichzeitig eine neue Forschungsexvedition 693 das nördliche Syrien und westliche Mesopotamien verbunden, die auch diesmal von reichen wissenschaftlichen Ergebnissen gekrönt war. Seine Begleitung besteht aus vier Deutschen und der entsprechenden Dienerschast. Am Grabungsorte selher sind außerdem gegenwärtig bereits gegen 150 Arbeiter tätig. In Damascus, Homs und Aleppo wurden einige für die islamische Kunst wichtige Bauten: alte Privathäuser. Medressen, Moscheen, . usw. auf⸗ genommen. In Aleppo, wo - der deutsche Konsul Roesler sich als latkraͤftiger Helfer erwies, erfolgte die Zusammenstellung der Exrpeditionskarawane. Die Reisenden langten am 28. Juli am Tell Halaf an. Die Ergebnisse der Expedition waren sehr vielseitig. Eine ausführliche Karte wurde vorbereitet, zahlreiche architektonische und pbotographische Aufnahmen, Zeichnungen und dergleichen hergestellt, eine große Anzahl Inschriften in verschiedenen Sprachen abgeklatscht und kopiert usw. Die Ausarbeitung der Ausbeute dürfte in archäo⸗ logischer Hinsicht wichtige Neuheiten liefern.

Handel und Gewerbe.

In der heutigen Sitzung des Zentralausschusses der Reichsbank führte der Vorsitzende, Präsident des Reichs⸗ bankdirektoriums Havenstein bei Besprechung der Lage der Bank unter anderem folgendes aus:

Seit der letzten Einberufung des Zentralausschusses habe die Reichsbank die schärfste Anspannung erfahren, die bisher vorgekommen sei. Die letzte Septemberwoche brachte eine Spannung von über 772 Millionen und ging damit noch weit über die höchste Ziffer hinaus, die die in den letzten Jahren hervorgetretene sprunghafte Zunahme der an die Reichsbank an den Vierteljahrsschlüssen gestellten An⸗ sprüche bisher gezeigt habe. Er . an, wie er das auch schon im September hervorgehoben habe, daß sich die Lage des heimischen Geldmarktes durch das Zusammentreffen verschiedener mißlicher Umstände besonders schwierig gestaltet hätte, und er wolle deshalb keinen ins einzelne gehenden Vergleich mit der bisherigen Entwicklung anstellen. Aber auch hier wieder habe diese Gestaltung unseres Geldmarktes am Ultimo September und die voraufgegangene Entwicklung gezeigt, daß, wenn auch unsere wirtschaftliche Lage und im großen und ganzen auch unsere Kreditorganisation stark und gesund seien, doch unser Wirtschaftsleben und noch mehr der Börsen⸗ verkehr vielfach im Uebermaß auf Kredit aufgebaut, und daß dieser Kredit zum Teil ungesund sei. An der Zurück⸗ drängung dieser ungesunden Kreditwirtschaft zu arbeiten, sei die Pflicht aller Beteiligten, und das Reichsbankdirektorium würde die Schwierigkeiten des Geldmarktes, die hinter uns lägen, als ein besonderes Glück ansehen, wenn aus den dabei gemachten Erfahrungen allseitig die Folgerung gezogen würde, das Ungesunde mit Energie und Beharrlichkeit auch in Zeiten leichteren Geldstandes abzustoßen und einzuschränken und dadurch unsere Kreditorganisation und ihre Liquidität so zu gestalten, daß wir unter allen Umständen auf eigenen Füßen stehen können. Das sei bei zielbewußtem Wollen möglich, und er freue sich, anerkennen zu können, daß dieses Wollen sich vor wie nach dem Ultimo September in mancher Hinsicht bereits in die Tat umgesetzt habe. Trotz der Anspannung des heimischen und der auswärtigen Geldmärkte und trotz des starken An⸗ ziehens der meisten Devisenkurse sei es dank dem starken Portefeuille der Reichsbank gelungen, die Devisenkurse nicht uber den Goldpunkt steigen zu lassen und das von der Reichs⸗ bank eingeführte Gold ihr zu erhalten. Goldexporte seien außer kleinen Beträgen, wie sie jede Zeit des Jahres regel⸗ mäßig mit sich bringe, nicht erforderlich gewesen. Eingeführt seien seit dem Januar dieses Jahres insgesamt 170,3 Mill. Mark Gold, ausgeführt 61 Mill. Mark, mithin mehr eingeführt 109,3 Mill. Mark. Davon habe die Reichsbank 149,2 Mil. Mark erhalten und 48,9 Mill. Mark herausgegeben, ihren Goldbestand mithin um 100,3 Mill. Mark vergrößert. In⸗ zwischen habe sich die Lage des heimischen und des inter⸗ nationalen Geldmarktes wie auch der Kurs der entscheidenden Devisen einigermaßen erleichtert; der Stand der Reichsbank sei kräftig, der Gold⸗ und Metallbestand verhältnismäßig hoch und, abgeseher? von 1908, erheblich höher als in den Vorjahren. Eine Aenderung des Diskontsatzes werde unter diesen Umständen nicht vorgeschlagen.

(Weitere Nachrichten ber. Handel u. Gewerbe! s. i. d. Zweiten Beilage.)

Theater und Musik.

Königliches Opernhaus.

Enrico Caruso, der am Freitag sein Gastspiel in der fast in jedem Jahr bier gesungenen Partie des Herzogs in Rigoletto“ fortgesetzt batte, verabschiedete sich gestern als Canio in Leoncavollos. Bajazzi“ für dieses Jahr von den Berlinern, die sich auch diesmal trotz der bohen Preise zu seinen Gastspielen gedrängt hatten. Wie schon früher einmal hatte Caruso auch jetzt unter den Tücken unserer herbstlichen Witterung zu leiden, und die Schonung, die er sich not⸗ gedrungen auferlegen, die Vorsicht, mit. der er den Ton ansetzen mußte, warf, für den wenigstens, der weiß, welcher Wirkungen er besonders als Canio fäbig ist, einen kleinen Schatten über seine gesangliche Leistung. Die ungeheuere Leidenschaftesteigerung, die er sonst in der Arie Lache, Bajazjo‘ entwickelt, ersetzte er gestern durch einen gedämpfter gehaltenen Ausdruck tiefen Schmerzes, der aber nicht minder gut in die Situation paßte und das Publikum be⸗ geisternd in seinen Bann zwang. Eben darin liegt die Größe feiner gesanglichen Meisterschaft, daß er auch bei minder guter Dispositlon völlig Herr seiner Mittel bleibt, auch niemals allein stimmlich ju prunken sucht, sondern ganz in seiner künstlerischen Aufgabe aufgeht. Das ist es, was ihn von allen bloßen Gesangsvirtuosen wesentlich scheidet. So blieb denn auch diesmal der große Erfolg für ihn nicht auß. Von den anderen Mitwirkenden ist zunächst Fraäͤulein Dux, die in der Rolle der Nedda neu war, zu er⸗ wähnen. Ihre Leistung war besonders darstellerisch beachtens⸗ wert. Gesanglich war nicht alles sauber genug, namentlich an ihrem Triller wird sie noch zu arbeiten haben. Für den indisponierten Herrn Bischoff, der den Tonio gab, sang Herr Hoffmann, der Vertreter des Silvio, unvorbereitet den eigentlich dem Tonio zugedachten Prolog in anerkennenswerter Weise. Der Abend, der mit Delibes' anmutigem Ballett Coppelia“ eröffnet worden war, bot das bei den Caruso⸗Gastspielen gewohnte fesselnde großstädtische Gesellschaftsbild bis in die obersten Ränge hinauf. Fuch dieser Vorstellung wohnte Seine Majestät der Kaiser und König mit mehreren Mitgliedern der Königlichen Familie bei und beteiligte sich lebhaft an dem dem berühmten Gast gespendeten Beifall.

Neues Schauspielbaus.

Im Neuen Schauspielhause wurde am Sonnabend Hans Sonnenstößers Höllenfabrt“, ein heiteres Traumspiel von Paul Apel, zum ersten Male aufgeführt. Hans Sonnenstößer ist der Erfindung nach ein Verwandter des Grillparzerschen Rustan auch ihm wird ein im Wachen gehegtes Vorhaben im Traum zu einer verhängnisvolle Folgen nach sich ziehenden Tat, und als er auf— wacht, verzichtet er auf die Ausführung dessen, was er zuvor zu tan beinahe entschlossen war. Nur spielt sich in Apels Traumstück alles auf dem Gebiet des harmlos Heiteren und schreckbaft Komischen ab, was uns bei Grillparzer tiefsinnig berührt. Hans Sonnenstößer ist ein hoffnungsvoller junger Dichter, dem es, wie manchem seiner Genossen, an Geld feblt. Um aller Verlegenheit schnell ein Ende zu machen und sich ungehindert seinem Schaffen hingeben zu können, ist er nahe daran, seine Klavierschülerin Minchen, ein recht alltägliches, 16richtes Goldfischchen, ju heiraten. Für den Abend schon ist der Verlobungschmaus festgesetzt. Da schläft Sonnenstößer, der die Nacht hindurch geschriftstellert hat, am Nachmittage ein und hat gar sonderbare Träume. Es scheint ihm, als wäre er mit Minchen schon verheiratet, aber er füblt sich sterbensunglücklich in der Gesellschaft der überzärtlichen, alltäglichen Kleinen, die ihn nie zur Arbeit kommen läßt. Wie erlöst atmet er auf, wenn die feinfühlige kluge Else, die Nichte seiner Wirtin, an der sein Herz eigentlich . in traumhaftem Wandel vorübergehend an Minchens Stelle tritt. Aber das schrecklicbe Minchen ist immer wieder da und die spießbürgerliche Verwandt⸗ schaft der legitimen Traumgatttin treibt Hans Sonnenstößer vollends zur Verzweiflung. Als die ganze Gesellschaft schließlich zu den Klängen des verhaßten Grammophons vor den Augen des innerlich

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