Evangelischer Oberkirchenrat.
Mit Allerhöchster Genehmigung Seiner Majestät des Königs ist mit der kommissarischen Wahrnehmung der General— superintendenturgeschäfte von Berlin für den Bereich des Stadt⸗ synodalverbandes der für die Dauer dieses Kommissoriums in seiner Stellung als Mitglied des Evangelischen Oberkirchenrats beurlaubte Geheime Konsistorialrat und Pfarrer an der Drei⸗ faltigkeitskirche in Berlin D. La hu sen beauftragt worden.
Aichtamtliches. Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 6. November.
Seine Majestät der Kaiser und König hörten heute vormittag im Neuen Palais bei Potsdam den Vortrag des Chefs des Zivilkabinetts, Wirklichen Geheimen Rats von Valentini.
Vorgestern nachmittag hat im hiesigen Auswärtigen Amt, „W. T. B.“ zufolge, die Unterzeichnung des Marokko⸗ Congo⸗Abkommens stattgefunden.
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ teilt über das Congo⸗Abkom men noch folgendes mit:
In Ergänzung des mit Frankreich über Marokko abgeschlossenen Abkommens und als Kompensation für die unserseits Frank eich in Marokko zugestandenen Befugnisse tritt Frankreich im franzhsischen Congo folgendes Gebiet an uns ab:
Das neue Gebiet geht aus vom Atlantischen Ozean am stlichen Ufer der Bai von Monda; die Grenze verläuft dann zunächst auf deren östlicher Seite nach der Mündung des Massolis und von dort nord— östlich nach Spanisch⸗Guinea umbiegend; sie schneidet den Ivondofluß bei seiner Vereinigung mit dem Dschua, folgt diesem bis zum franzöfisch bleibenden Madjingo und dann weiter gegen Osten bis zur Vereinigung des Ngoko und des Sangha, im Norden des Ortes Wesso. Südlich dieser französisch bleibenden Stadt, und zwar mindeftens 5 und höchstens 12 km von ihr entfernt, verläßt die Grenze den Sangha, biegt nach Südwesten ab und begleitet das Tal des Kandeko bis zu seiner Vereinigung mit dem Bokiba. Sie folgt nun diesem und später dem Likugla abwärts bis zum rechten Ufer des Congo. Von hier ab bis zur Mündung des Sangha bildet der Congo die Grenze, die 6 bis 12 km betragen wird. Dann folgt die Grenze dem Laufe des Sangha aufwärts bis zum Einfluß des Likuala⸗-auxäherbes den sie bis Botungo begleitet. Von diesem Orte verläuft die Grenze in ungefähr gerader Richtung von Süden nach Norden bis Berg Ngoko und biegt dann in der Richtung auf den Zusammenfluß des Bodinga und des Lobaye ab, um dem letzteren talabwärts zu folgen bis zum Ubanghi, nördlich von Mon— gumba. Weiter bildet nun der Ubanghi die Grenze auf eine Strecke von mindestens 6 und höchstens 12 km; die Grenze setzt sich in nord— westlicher Richtung fort, erreicht den Paꝛama an einer noch zu be— stimmenden Stelle westlich von seiner Vereinigung mit dem Mbi. Die Grenze geht dann den Pama aufwärts bis zum Ost-Logone, den sie ungefähr am 8. Parallelkreise in der Höhe von Gois trifft. Diesem folgt sie von hier ab nach Norden bis zu seiner Vereinigung mit dem Schari.
Anderselts tritt Deutschland an Frankreich das zwischen dem Schari im Osten und dem Logone im Westen gelegene Stück Kameruns ab nördlich der jetzigen französischen Besitzungen.
Innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden des Abkommens begibt sich eine technische Kommission, bestehend aus elner Anzahl Delegierter beider Re⸗ gierungen, an Ort und Stelle, um die Grenze den vorgenannten Ab⸗ machungen entsprechend festzulegen. Spätestens 18 Monate nach Beendigung der Arbeiten dieser Kommission soll die Vermarkung der Grenzen vorgenommen werden.
Der vereinbarte Gebietsaustausch erfolgt auf Grund der im Moment des Vertragsabschlusses bestehenden Verbältnisse. Es gilt dies insbesondere auch für die vorhandenen Konzessionen, bezüglich deren anderseits die beiden Regierungen wechselseitig alle Vorteile und Rechte erwerben, die sich aus den Konzessionsurkunden ergeben. Es versteht sich von selbst, daß die Gesellschaften unter die Skaats— hoheit, Staatsgewalt und Gerichtsbarkeit desjenigen Staats treten, dem das fragliche Gebiet durch den Vertrag zufällt.
Beide Regierungen räumen sich unter bestimmten Modalltäten das Recht ein, ihre Eisenbahnen gegenseitig durch das Gebiet des anderen zu verlängern. Für Deutschland hat dies die besondere Be⸗ deutung, daß die etwaigen Kamerunbahnen nach dem Ubanghi durch geführt werden können.
Deutscherseits ist die pachtweise Ucberlassung kleiner Komplexe an die französische Regierung längs des Benus, des Mavo Köbi und weiter nach dem Logone hin vorgesehen, um letzterer die Errichtung einer Etappenstraße zu ermöglichen. Auch wird die Deutsche Regierung der französischen Regierung keine Hindernisse in den Weg legen, falls sie in Zukunft zwischen dem Benus und dem Logone südlich oder nördlich des Mayo Kéöbi eine Eisenbahn oder Landstraße sollte an— legen wollen, bei der sich jedoch die Deutsche Regierung die Mit— wirkung vorbehält.
In Artikel Xl sichern sich die Regierungen gegenseitig den Durchzug durch ihre Gebiete zu für den Fall der Einstellung der Schiffahrt auf dem Congo und dem Ubanghi.
Beide Regierungen erneuern ausdrücklich die in der Berliner Akte vom 26. Februar 18355 enthaltene Bestimmung über Handels— und Schiffahrtsfreiheit auf dem Congo und seinen Nebenflüssen sowie auf den Nebenflüssen des Niger. Desgleichen wird eine dem⸗ entsprechende gegenseitige Abgabenfreiheit für den Transitverkehr durch die an den genannten Flüssen gelegenen beiderseitigen Gebiete fest· gelegt. Nähere Bestimmungen über den Durchfuhrverkehr bleiben vorbehalten. Es sind noch besondere, auf Gegenseitigkeit beruhende Bestimmungen über wechselieitige Truppendurchmärsche getroffen.
Es ist zum Schluß noch der Fall vorgese hen, daß die terrttorialen Verhältnisse des in der Berliner Congoakte festgeleslten Congobeckens in der Zukunft verändert werden könnten. Dis beiden Regierungen werden in diesem Falle sowohl miteinander wie mit den übrigen Signatarmächten der Congoakte ins Benehmen treten.
Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. Tpdbt. „8. 90* am 3. November in Schanghai eingetroffen.
HSessen. Das Endergebnis der Landtagswahlen ist laut Meldung des „W. T. B.“ folgendes: Es sind 6 Angehörige des entrums, 6 Bauernbündler, 4 Sozialdemokraten, 3 National⸗ iberale und 2 Mitglieder der Fortschrittlichen Volkspartei ge⸗ wählt worden. Außerdem finden zwölf Stichwahlen statt.
Oesterreich⸗Ungarn.
Das Kaiserliche Handschreiben, betreffend die Enthebung des Kabinetts Gautsch und die Ernennung des Kabinetts Stürghk, ist vorgestern amtlich veröffentlicht worden.
Das Handschreiben des Kaisers Franz Joseph an den Freiherrn von Gautsch lautet der Wiener Zeitung“ zufolge:
Lieber Freiherr von Gautsch!
Zum dritten Male meinem Rufe folgend, waren Sie unter schwierigen Verhältnissen mit dem vollen Einsatze Ihrer Persönlich— keit unablässig bemüht, den geordnelen Gang der Staategeschäfte zu sichern. Indem ich nunmehr in Würdigung der von Ihnen dar— gelegten Gründe Ihrer Bitte um Enthebung von dem Amte meines Ministerpräsidenten für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder in Gnaden willfahre, gedenke ich mit wärmstem Dank Ihrer bei Uebernahme dieses Amtes mit Außerachtlassung persönlicher Rücksichten neuerlich bekundeten vorbildlichen Pflichttreue und selbstlosen Hin— gebung an die Interessen des staatlichen Dienstes. Ihr aus— gezeichnetes, durch so viele Jahre in wichtigen Stellungen eiprobtes Wirken sichert Ihnen meine stete Erkenntlichkeit und mein unein— geschränktes Vertrauen. Als blelbendes Zeichen meiner fortdauernden Gewogenheit verleihe ich Ihnen die Brillanten zum Großkreuz meines St. Stefansordens.
— Der ungarische Ministerpräsident hat, wie „W. T. B.“ meldet, gestern im Klub der Regierungspartei die Erklärung abgegeben, daß die Verhandlungen mit den oppositionellen Parteien zum Zwecke der Einstellung der technischen Obstruktion gescheltert seien. Die Negierung dürfe daher nicht davor zurückschrecken, diejenigen Entschlüsse zu fassen, die ihr von ihrer Verantwortlichkeit diktiert seien und zum Erfolge führen würden. Die Erklärung wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen.
Frankreich.
Bei einem gestern ihm zu Ehren in Saint-Calais ver— anstalteten Festmahl besprach der Ministerpräsident Caillaux in längerer Rede auch die Marokkoangelegenheit und sagte laut Bericht des „W. T. B.“:
Die Regierung hat bas Bewußtsein, seit vier Monaten eine in hohem Grade wirklich natignale Politik verfolgt zu haben, indem sie zum größten Nutzen Frankreichs die sehr verwickelte Lage ordnete, der sie sich gegenüber gestellt fand, als sie an die Macht gelangte. Im Verlaufe der zum Teil mühsamen Unterredungen, in welchen unsere Diplomatie die großen Interessen, die wir ihr anvertraut haben, Schritt für Schritt berteidigte und zu schützen hatte, haben wir vor allem und ganz besonders geglaubt, daß auf keinen Fall und in welcher Form dies auch sei, Frankreich die Anwesenheit einer der europäischen Großmächte in Marolko zulassen könnte. Wir haben geglaubt, daß wir die schwerste Unklugheit begehen und uns einer Art Verrat schuldig machen würden, wenn wir zum Vorteil einer dieser Mächte in ganz Marokko oder einem Teil desselben einer Festlegung wirtschaftlicher Privilegien zustimmten, die in einer Zeit, wo die wirtschaftlichen Fragen in dem Verhalten der Völker eine überragende Rolle spielen, unahwendbar eines Tages eine andere poll— kommenere Herrschaft nach sich gezogen hätte. Wir haben gewollt, daß Frankreich in Marokko volle Handlungefreiheit habe. Es wäre kindisch zu glauben, daß an den Ufern des Mittelmeeres und angrenzend an unser Algerien, das wir mit unserem Mutter— lande fast verschmolzen haben, ein großes Land beftehen sollte und könnte, das sich systema isch der Zivilisation verschließt. Das Gesetz der historischen Entwicklung stellt sich dem ebenso entgegen, wie eß Frankreich, als ez c i von Algier geworden war, gebot, sein Reich auf Tunit auszudehn Men Diefes Gesetz befahl Frankreich eines Tages Marokko zu organisieren und endgültig in Nordafrika mit Ausschluß aller rivalisierenden Unternehmungen seine Hegemonie als musel— manische Großmacht aufzurichten. Aber um ein so dauerndes Ergebnis zu erreichen und Frankreich eines solchen Kräfte— zuwachses teilhaftig werden zu lassen, hätte es möglich sein müssen zu handeln — und das ist das Moment, das gewisse Leut- leicht oder allzu schnell aus dem Auge verloren haben — als wenn wir allein auf der Welt wären. Man mußte sich mit anderen auseinandersetzen und über ihre Zustimmung unterhandeln. Ich erinnere daran, daß die früheren Regierungen uns auf dieser Bahn vorangeschritten si d, da sie, um namentlich das Desinteressement Englands und gleichzeitig eine wünschenswerte Annäherung zu erlangen, auf Jahrhunderte alte Rechte verzichtet haben. Damlt auch Deutschland seinerseits uns in Marokko freie Hand lasse, und damit es auf die Vorteile verzichte, die es sich geschaffen zu haben glaubte, haben wir ihm gewisse Ent— schädigungen eingeräumt. Es ist nicht meine Absicht, diese herab— zusetzen, aber ich bin berechtist zu sagen, daß sie Frankreich in keinem seiner zum Leben unbedingt nötigen Teile treffen, daß sie seine wesent— lichen Interessen nicht berühren. In Zentralafrika können die Stellungen nicht als endgültig betrachtet werden. Es wird Aufgabe einer klugen, voraussehenden Politit für viele europäiscke Mächte sein, eine Abrechnung vorzuberelten, in der jeder der verschiedenen vertragschließenden Teile seinen Vorteil zu finden hat. Um zu schließen, so erscheint mir der Charakter des Vertrages, den wir soeben unterzeichneten, und der so glücklich zur Aufrechterhaltung des Friedens führt, dahinzugehen, daß er keiner der beiden in Betracht kommenden großen Nationen schadet, und daß er vollkommen be— friedigend ist für die eine wie für die andere. Er ist zu unserem Vor— teile, weil wir befreit werden von einem Widerstande, der für uns ein Hindernis war, da wir Marokko von einer der schwersten Hypotheken, die auf ihm lagen, ertlastet haben. Wir können unter der einzigen Bedingung, die wirtscaftliche Gleichheit zu achten, unsere Aklien auf ein Land ausdehnen, das geiäumiger, fruchtbarer und bevölkerter ist, als Algerien und Tunesien zusammen genommen, und das ohne Zweifel in der Zukunft die schönste Blume in unserem kolonialen Kranze bilden wird. Das Abkommen ist ebenso für Deutichland von Vorteil, dessen Festsetzung in Marokko wir nicht ins Auge fassen konnten, und das zu seinem größten Vorteil die kommerzielle und industrielle Tätigkeit s iner Be— sitzungen im äquatorialen Afrika erweitert. Endlich gibt es da einen Gesicht'punkt, der über die Fragen des Tausch's hinaus— geht. Wit haben geglaubt, daß wir der Sache des Fort— schrittes und der allgemeinen Zivilisation in der Welt nützlich dienen würden, indem wir zu einer Abrechnung gelangen, die ein für alle Mal mit der Marokkoangelegenheit zwischen Frankreich und Deutsch⸗ land Schluß macht und die es — um mich eines Ausdrucks zu be— dienen, den jüngst in Dundee ein Minißer eines Landes gebraucht hat, mit dem uns so wer wolle freun schaftliche Bande veikaupfen — den beiden großen Stagen, die der Mensch heit unschätzbare Dienste ge— leistet haben und noch leisten, erlaubt, in gezenseitiger Achtung Seite an Seite zu leben. Gehe ich zuweit, werde ich der Ueber treibung geziehen werden, wenn ich angebe, daß es schwer war für Frankreich, einen ehrenvolleren und vorteilhafteren Ausgang zu er— hoffen in einer Frage, die der Zwang der Dinge zu Lquidieren und zu regeln heischte? Ich scheue mich nicht, zu behaupten, daß auf jeden Fall die überragende Mehrheit der Nationen sich heute zu der Lösung heglückwänscht, die sie mit Ruhe und Würde, den Kennzeichen starker Völker, erwa tet hat, mit derselhen Ruhe und derselben Würde, von der sich die Regierung erfüllen lassen wird; denselben Geist von Festigkeit und Mäßigung werde ich bei der Regelung aller auswärtigen Fragen zeigen.
Nußland.
Der deutsche und der französische Geschäftsträger über⸗ reichten, wie, W. T. B“ meldet, heute dem Ministerium des Aeußern den Text des Marokkoabkommens mit der Bitte um Zustimmung der russischen Regierung.
Italien.
Der König hat, wie die „Agenzia Stefani“ meldet, gestern nachstehende Verfügung unterzeichnet:
Auf Vorschlag des Ministerpräsidenten und des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten verfüßgen wir: Tripolis und Eyre; naika werden unter die volle und ganze Oberhoheit det Königreichs Italien gestellt. Die endgültigen Bestimmungen für die Verwaltung der genannten Gebiete werden' durch Gesetz fest⸗ gelegt werden. Bis zur Verabschiedung dieses Gesetzes wird durch Königliche Erlasse regiert werden. Vorstehende Verfügung wird dem Parlament unterbreitet werden, um Gesetz zu werden.
Der Minister des Auswärtigen di San Giuliano hat, obiger Quelle zufolge, die nachstehende Depesche an die italienischen Botschafter im Auslande gerichtet:
Die Besitznahme der wichtigsten Städte von Tripolis und Cyrenaika, die andauernden Erfolge unserer Waffen, die überwältigenden Streitkräfte, die wir dort versammelt haben und die anderen, die wir uns noch anschicken, hinzusenden, haben jeden weiteren Widerstand der Türkei unwirksam gemacht. Um andererseits unnützem Blutvergießen ein Ende zu machen, ist es dringend notwendig, jede gefaͤhrliche Unsicher heit in der Stimmung der dortigen Bevölkerung zu zerstreuen. Daher sind durch ein Königliches Dekret Tripolis und Cytengika endgültig und unwider— ruflich unter die volle und ganze Oberhoheit des Königreichs Italien gestellt worden. Jede andere, weniger radikale Lösung, die dem Sultan auch nur den Schatten einer nominellen Oberhoheit über die ge— nannten Provinzen gelassen hätte, hätte eine dauernde Ursache für künftige 3asammenstöße zwischen Italien und der Türkei gebildet, die später verhängnisvollerweise selhst gegen den Willen der Regierenden in einem für den europäischen Frieden noch gefähr— licheren Augenblick hätten ausbrechen können. Die von ung gewählte Lösung ist die einzige, die endgültig die Interessen Italiens und Europas und selbst der Türkei king. Ein auf dieser Grundlage unterzeichneter Frieden wird jede stefe Ursache einer Meinungsverschiedenheit zwischen Italien und der Türkei beseitigen, und wir werden leichter in der Lage sein, unsere ganze Politik von dem großen Interesse geleitet sein zu lassen, das wir an der Auf— rechterhaltung des territorialen status quo auf der Balkanhalbinsel baben, für deren Konsolidierung das oitomanische Reich eine wefent— liche Bedingung ist. Wir wünschen daher lebhaft, wofern das Ver— halten der Türkei uns dies nicht unmöglich macht, daß die Friedenz— bedingungen so weit als möglich mit ihren legitimen Interessen und ihrem Prestige in Einklang stehen. Tripolis und Cyrenaifa haben aufgehört, einen Teil des Ottomanischen Reichs zu bilden, aber wir sind heute geneigt, mit weitherziger Versöhnlichkeit die Mittel zu prüfen, um auf die für die Türkei zweckmäßigste und ehrenvolle Weise die Folgen von unwiderruflich vollzogenen Tatsachen zu regeln. Sicherlich würde es uns nicht möglich sein, diese versöhnlichen Ab— sichlen auftecht zu eihalten, wenn die Türkei hartnäckig den Krieg unnützerweise in die Länge ziehen würde. Wir haben jedoch das Vertrauen, daß die einträchtliche Arbeit der Großmächte die Türkei dazu führen wird, ohne Verzug jene vernünftigen und ent— scheidenden Beschlüsse zu fassen, die ihren wahren Inkeressen und denen der ganzen zwilisierten Welt entsprechen. Auf jeden Fall wird Italien an diesen Ergebnissen mitarbeiten, Italien, das ebenso geneigt ill zu billigen Friedensbedingungen als entschlossen zu den wirksamsten Mitteln, um diesen Frieden so balo als möglich aufzunötigen.
Die „Agenzia Stefani“ veröffentlicht den Armee— befehl, den der General Caneva am 9. Oktober in Neapel erlassen hat, da er der beste Beweis sei für die Gefühle der Menschlichkeit, von der das italienische Besatzungskorps in Tripolis sich leiten lasse, und die beste Antwort auf die Be— schuldigungen auswärtiger Blätter, daß die Italiener in Tripolis Ausschreitungen begangen hätten. In dem Armeebefehl wird Offizieren und Soldaten eingeschärft 1) Achtung vor Privat— eigentum jeder Art; 2) Achtung vor dem mohammedanischen Glauben; 3) keine Belästigung der Frauen; ) billiges Ver halten gegenüber den eingeborenen Kaufleuten, die, wie es im Kiege nun einmal sei, häufig übermäßig hoch erscheinende Preise fordern dürften.
Türkei.
Die Pforte veröffentlicht laut Meldung des „W. T. B.“ den Text einer Protestnote, die sich gegen italienische Grausamkeiten in Tripolis wendet. Die Note ist an alle Re gierungen gerichtet, die an der Haager Konferenz von 190 beteiligt waren, und weist auf die Artikel 1 und 2 der Vor schriften über Kriegsgebräuche hin, worin die Bevölkerung, die vor der Okkupation eines Landes freiwillig zu den Waffen greift, als kriegführender Teil anerkannt wird.
Duich seine Handlungsweise gegen die Bevölkerung von Tripolis und Bengtasi habe Italien, so heißt es in der Note, die pon ihm selbst zugelassenen Grund säße mit Füßen getreten. Das Gewissen der Welt schreie auf vor Entsetzen bei den von unpartelischen Ze agen ver— öffentlicht n Einzelheiten über die Kriegführung der Itallener, die die Bewohner der Dörfer bei Tripolis ohne hnterschied des Alters und Geschlechts unkarmhenzig niedergeschossen hätten, weil einige patr otische Osmanen in Tipolis die um die Befreiung der Stadt kämpfende Armee hätten unterstützen wollen. Der italienische Generalstab, so fährt die Note fort, habe Tod und Verderben unter die Einwohner säen, Unschuldige niederschießen und kranke Türken in Massen auf die Schiffe bringen lassen. Dle Pforte hätte sich für berechtigt halten können, die Vorschriften der Haager Akte gegenüber Italien nicht zu beachten, sie habe diesen Weg aber nicht eingeschlagen, sie habe es vermieden, die Massen der Italiener aus dem Lande zu weisen, und Befehl gegeben, de in Gefangenschaft geratenen Italiener gut zu behandeln und sich nicht an den in der Türkei lebenden Italienern zu vergreifen. Die Note betont schließ lich, daß die Pforte mit ihrem Protest gegen die Grausamkeiten und Metzeleien der Italiener nicht nur eine Pflicht der Selbstverteidigung erfülle, sondern auch ine höhere Pflicht gegenüber den solidarisch u Nationen, weil die Zipilisation der Gegenwart Gefahr laufe, ein leeres Wort zu werden.
Infolge des Versuchs des Kriegsgerichts, den Ab geordneten Lutfi wegen seiner oppositionellen publizistischen Tätigkeit verhaften zu lassen, hat vorgestern in der Deputiertenkammer eine lebhafte Interpellationsdebatte stattgefunden. Der Kriegsminister wurde, wie „W. T. B.“ meldet, aufgefordert, sofort vor der Kammer zu erscheinen, um Aufklärung zu geben. Da der Minister bis 6is, Uhr Abends nicht erschien, vertagte sich die inzwischen beschlußunfähig ge wordene Kammer mit einer von der Opposition durchgesetzten Erklärung, die Kammer werde keines Abgeordneten Verhaftung zulassen. Während der Kammersitzung beriet der Ministerrat über die Angelegenheit.
Asien.
Die chinesische Regierung hat, wie „W. T. B.“ meldet, die Nationalversammlung aufgefordert, ein Wahl gesetz für das Parlament zu verfassen und die Wahlen vorzunehmen. Die Regierung hat auch eingewilligt, die von den Revolutionären gebildete politische Partei anzuerkennen.
Ein vorgestern erlassenes Edikt fordert zur Eintracht zwischen Chinesen und Mandschus auf und billigt den Entschluß Yuanschikais, die Feindseligkeiten für einige Zeit einzustellen. Ein anderes Edikt erklärt sich nicht einverstanden damit, daß YJuanschikai den Vorsitz im Kabinett ablehnt.
Dem „Reuterschen Bureau“ wird über Wuhun aus Hankau
gemeldet, daß die Feuersbrunst, die die Geschosse der zatterien der Kaiserlichen verursacht hatten, von einem heftigen Wind geschürt wurde und sich schnell in der Richtung auf Hanyang verbreitete, das auch von den Flammen ergriffen wurde. Der Hauptherd der Feuerssbrunst, durch die auch ver— schiedene Fremden gehörige Häuser außerhalb der Konzessionen zerstört worden sind, hatte eine Front von einer Meile; der Schaden wird auf 4 bis 5 Millionen Taels Gold geschätzt. Bei dem Bombardement von Hanyang, das am Donnerstag erneuert wurde, ist auch die englische Niederlassung von mehreren Ge— schossen getroffen worden. In der darauffolgenden Nacht brach aufs neue eine Feuersbrunst aus, die eine Fläche von zwei Meilen Länge und einer halben Meile Breite verwüstete. Offiziere teilten der Gesellschaft vom Roten Kreuz mit, daß sie beabsichtigten, Hankau völlig zu zerstören.
In Schanghaj ist die Ordnung bisher nicht gestört worden. Im Arsenal werden Waffen und Munition unter die Rekruten der Aufständischen verteilt, die allen Schichten der Bevölkerung, besonders studentischen und Handelskreisen an— gehören. Die Umgebung der Stadt sowie die von Wusung, Hangtschou und Sungkiang ist, „W. T. B.“ zufolge, in den Händen der Revolutionäre. Sutschou ist zu ihnen über— gegangen.
Die Aufständischen haben Proklamationen erlassen, durch die die Likinzölle aufgehoben werden und nur die See— zölle aufrecht erhalten bleiben.
Afrika.
Nach Meldungen der „Agenzia Stefani“ aus Tripolis ist vorgestern von ungefähr 200 Arabern und einigen Abteilungen regulärer türkischer Truppen ein Angriff auf die ö stliche italienische Front in dem Abschnitt zwischen Scharaschat und dem kleinen Fort Mesri unternommen worden. Der Angriff, der sich gegen eine Stellung der Bersaglieri und Grenadiere richtete, wurde nicht mit Nachdruck durchgeführt und von zwei Kompagnien des 63. Infanterieregiments zurückgewiesen. Der Feind hatte schwere Verluste, das 63. In⸗ fanterieregiment einen Toten. Die in den letzten Tagen von den Türken mit Artillerie und mit kleinen Gruppen Bewaffneter unternommenen Vorstöße dürften, obiger Quelle zufolge, nur den Zweck gehabt haben, die Aufloͤsung der arabisch⸗türkischen Streitkräfte zu decken, die in der Um— gebung von Tripolis zusammengezogen waren. Diese Auf⸗ lösung ist zurückzuführen auf die wiederholten Mißerfolge vor den italienischen Verschanzungen, ebenso wie auf die Cholera⸗ epidemie, die unter den feindlichen Streitkräften wütet. Die selben Ursachen verhindern auch, daß andere arabische Streit⸗ kräfte aus dem Innern herbeikommen. Nachrichten von der ägyptischen Grenze zufolge sind die Hilfskräfte sehr gering, die diese Grenze überschritten haben, um die Bildung von Streitkräften, die nach den angeblichen türkischen Plänen sich um Tobruk, Derna und Benghasi zusammenziehen sollten, zu unterstützen. Auch von der tunesischen Grenze, über die, wie behauptet wurde, Waffen und Vorräte für den Feind gingen, liegen Nachrichten vor. Am Freitag und Sonnabend bombardierte die „Liguria“ Suara und zerstörte die Befestigungen vollständig, ohne auf Widerstand zu stoßen. Außerdem überwachte die „Liguria“ in den letzten Tagen sorg⸗ fällig die Küste bis zur Grenze, konnte aber auf der sehr gut sichtbaren Karawanenstraße nichts von Bedeutung wahrnehmen. In direkt aus Tunis stammenden Meldungen wird versichert, daß die französischen Behörden die Grenze sorgsam überwachen. In Homs ist die Lage unverändert, in Benghasi und Derna ist alles ruhig.
Statistik und Volkswirtschaft. der bei den preußischen Justizbehörden im 1911 beschäftigten Referendare und ihre Zu— nahme seit 1900.
Nach einer im „Justizministerialblatt“ veröffentlichten Nach⸗ weisung der Zahl der bei den preußischen Justizbehörden in den Jahren 1899 bis 1911 beschäftigten Referendare waren bei diesen Behörden am 1. August 1911 insgesamt 7612 Justizreferendare vorhanden gegen 7701 zu derselben Zeit des Vorjahres 1910, s6ö?4 am 1. August 1905 und 4602 am 1. August 1900. Ihre Zahl ist also, nachdem sie von 1909 bis 1910 um 3099, und zwar von 1900 bis 1905 um 1922, von 1905 bis 1916 noch um 1177 gestiegen war, von August 1910 bis dahin 1911 um 89 zurückgegangen. Immerhin erglbt sich für den Zeit— raum von 1900 bis 1911 eine Zunahme von 3010 Referendaren k ; z : ö : ⸗ — ö oder 6h,4 0/9“, für die Zeit von 1965 bis 1911 noch eine solche von 1(88 Referendaren oder 16,B,? 9. Im Kammergerichtsbezirk erhöhte sich die Zahl der bei den Justizbehörden beschäftigten Referendare von 845 im Jahre 1900 auf 1033 im Jahre 1965, 1338 im Jahre 1910 und 1358 im Jahre 1911; im Oberlandes« gerichtsbezirk Cöln, von dem im Jahre 19966 größere Gebiete abgetrennt und dem Bezirk des neu errichteten Oberlandesgerichts Düsseldorf zugeteilt worden sind, betrug sie am 1. August 1906 645, 1905 906, 1910 9g22, am 1. August 1511 912, im Oberlandesz? gerichte bezirk Damm, von dem im Jahre 19606 kleine Gebiet? abgetrennt und ebenfalls dem Bezirke des neu errichteten Oberlandesgerichts Düssel.⸗ dorf zugeteilt worden sind, zu denselben Zeitpunkten 471 (1900), 743 (1905), 926 (1910), 889 (1911), im Obersandeggerichts beit Breslau 331, 752, 85ßz, 856, im Oberlandesgerichtsbezirk Naumburg 411, sö2, 653, 612, im Oberlandesgerichtsbezik Celle 379, 6160. 566, s4l, in dem 1906 neugebildeten Oberlandesgerichte bezirk Düssel⸗ dorf 1907 381, 1910 450, 1911 471, im Oberlandesgerichtsbezirk rankfurt a4. M. 1900 208, 1905 301, 1910 396, 1911 417, im berlandesg erichtsbezirk Königsberg in denselben Jahren 241, 366, 375, 351, im Oberlandesgerichtsbezick Cassel 165, 239, 2565, 268, im Oberlandesgericht- bezirk Stettin 21h, 310, 269, 267, im Oberlandesgerichtsbezirk Kiel 147, 187, 240, 242, n Oberlandesgerichtẽ bezirk Pofen 263, . , des, un Aberlandesgerichte bezirk Marienwerder 133, 226, 213, 192. Verminderungen der Zahl der beschäftigten Justizreferendare weisen für das letzte Jahr (910 / 11) 8 von den 14 Oberlandesgerichtes⸗ bezir ken auf: Naumburg ( 41), Hamm (— 373, Celle ( — 25), VMarienwen der (— 21), Cassel — 17), Königsberg ( 14), Eöln — 10) und Stettin (— 2). Unter den bei den preußischen Instiz⸗ ehörden des Oberlandesgerichtebezirks Naumburg beschäftsgten Mefe⸗ rendaren befanden sich am 1. August 1911, wie in den letzten Vor— jabren, 25 aus dem Herzogtum Anhalt und 7 aus dem Fürstentum chwarzburg⸗Sonderhausen, unter den im Oberlandesgerichtsbezirk . beschäftigten Referendaren 1 aus dem Fürstentum Schaumburg⸗ XE E.
Zur Arbeiterbewegung.
Aus Lan don wird dem W. T. B. berichtet:; Die Konferenz der Eisenbghnangestellten. erklärt, da die Regierung nicht im⸗ tande gewesen sei, die Eisenbahngesellschaften zu einer Be— sprechung über die Vorschläge der Eisenbahnuntersuchungskommission
mit den Vertretern der Acheiter zu bewegen, um eine neue, für beide Teile befriedigende Regelung zu vereinbaren, so habe die Konferenz beschlossen, die Eisenbahner darüber ab stimm en zu lassen, ob sie die Vorlage der Kommission annehmen wollten oder ob sie im entgegengesetzten Falle Pereit feien, in einen Ausftand zu treten um eine Anerkennung der Trade Unions zu erreichen. Die Ab“ stimmung solle bis zum 5. Dezember beendet sein (gl. Nr. 258 d. Bl.).
In Antwerpen sind, wie die ‚Frkf. Ztg. erfährt, die Hafen⸗
arbeiter am 4. d. M. aufs neue in eine Aussta nds bewegung getreten. Sie verlangen sofortige Lohnerhöhung, einen neuen Tarif⸗ bertrag und Einsetzung eines Einigungsamts. Die Reeder erklären sich außerstande, zurzeit in eine neue Lohnerhöhung einwilligen zu können. Infolgedessen ist ein Ausstand wahrscheinlich. . In NYUmuiden hat, wie W. T. B.“ erfährt, am Sonnabend eine Persammlung der Schleppnetzfischer mit 5) gegen 10 Stimmen beschlossen, den Ausstand fortzusetzen, da die Schiffseigner die Unterzeichnung eines Lohntarifs verlangen und mehrere Seeleute ihre alten Stellungen nicht wieder erhalten haben. (Vgl. Ne. 260 d. Bl)
Der Ausstand der Werftarbeiter in Sydney ist, wie die Frkf. Ztg.“ meldet, nach einem bei ber Yeussch. Australischen Dampfschiffahrtsgesellschaft eingegangenen Telegramm beendigt. (Vgl. Nr. 260 d. Bl)
(Weitere „ Statistische Nachrichten“ s. i. d. Ersten Beilage.)
Wohlfahrtspflege.
Die Notwendigkeit der Belehrung der in der Jugend⸗ fürsorge arbeitenden freiwilligen Helfer und Berufsarbester hat die Deutsche Zentrale für Jugendfürforge veranlaßt, ihren mit guten Erfolgen im Jahre 1965 veranstalteten Unterweisu ngskurfus über Fragen der Jugendfürsorge, insbefondere der Jugend⸗ gerichtshilfe, zu wiederholen. Der Kursus beginnt am 6. d. M. 8 Uhr, im großen Hörsaal des Kaiserin Friedrich Hauses mit einem Vortrag von Fräulein Dr. jur. Frieda Duenfing über das Thema: „Funktionen und Ziele des Jugendgerichts und der Jugendgerichtshilfe“. An den folgenden Montagen finden Vor⸗ träge von Amtsgerichtsrat Dr. Köhne, Amtegericht rat Sr. Friedeberg, Dr. Alexander, Dr. Bender u. A. statt. Sie Teilnahme ist für Helfer der Berliner Jugendgerichtshilfe unentgeltlich. Sonstige Teilnehmer erhalten Einzelkarten zu 50 oder Karten zu 2 6 für den ganzen Kursus an der Abendkasse oder im Bureau der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge, CG. 19, Wall⸗ straße 89. Es ist zu wünschen, daß der Kursus nicht nur bon den Jugendgerichtshelfern, sondern von allen in der sozialen Arbeit stehenden und an der Jugendfürsorge interessierten Persönlichkeiten besucht wird, da die vielfachen Belehrungen und Anregungen der Vor— träge sicherlich dazu beitragen werden, die Arbeit des Einzelnen wert⸗ voll zu vertiefen.
Kunst und Wissenschaft.
„Das Kaiser Friedrich Museum ist durch Schenkung in den Pesttz dreier meisterhafter kleinplastischer Arbeiten der deutschen Frührenaissance gelangt, deren eine, ein in Apfelbaumholz geschnittenes Relief, die Beweinung Christi darstellend, ein Werk des niederbayerischen Holzschnitzers Hans Leinberger ist. Das Werk dürfte um 1516 entstanden sein und bildet ein Gegenstück zu einer schon seit Jahren im Besitz des genannten Museums befindlichen Kreuzabnahme desselben Meisters. Beide Schnitzwerke sind gegen 15 em hoch und 11 em breit. Vor der Beweinung hat die Kreuz- abnahme den wundervoll warmen, kastanienbraunen? Ton des Holzes voraus, dagegen ist die Komposition der Beweinung bildmäßiger und malerischer. In der Kreuzabnahme wird die Wucht Grün⸗ waldscher Charakteristik lebendig, namentlich in den von wildem Schmerz erschütterten Gestalten und vor allem 'in dem in seiner Starrheit meisterhaft wiedergegebenen Leichnam Christi. An einen Zusammenhang Leinbergers mit dem mittelrheinischen Maler kann aber, wie in einem Aufsatz im Novemberheft der „Amt⸗ lichen Berichte aus den Königlichen Museen“ hervorgehoben wird, nicht gedacht werden, vielmehr hat sich jener ganz aus der heimatlichen Kunstweise entwickelt. Nur daß Leinberger dem Streben nach Drastik, das sie kennzeichnet mit wesentlich abgeklärteren Mltteln, als sie der Tafelmalerei und Plastik jener Zeit und Gegend eignet, gerecht zu verden versucht hat. Der Zeit der Entstehung nach gehören die Werke Leinbergers zur Frührengissance, ihr künstlerischer Charakter aber weist sie in die Spätgotik, in die selbständigste, kräftigste Periode sübdeutscher Plastik. Das zweite, durch Schenkung in den Besitz des Museums gelangte Werk ist ein charakteristisches Erzeugnis der dent schen Renaissance, und zwar eines der ältesten. Es ist ein Relief bon Hans Schwarz, das in einem reichen Renalssance ahmen eine Grablegung Christi zeigt; das Werk ist aus Birnbaumholz, 28.6 em hoch, 20,8 em breit und mit dem Monogramm des Künstlers und der Jahreszahl 1516 versehen. Es ist aus amerika“ vischem Privatbesitz wieder nach Deutschland zurückgekemmen. Für die Berliner Sammlung ist das sehr wertvolle Stück um so bedeutsamer, als sie schon drei signierte Reliefs von Schwarz besaß, durch das neue Stück also diese Seite seiner Kunst noch anschaulicher dargestellt werden kann. Das Relief hat ursprünglich als Füllung fur ein Möbelstück gedient. Mit lber— legenem Realismus und mit vollkommener Beherrschung der Technik schildert Schwarz die ergreifende Szene des Passionsdramas. Die Wirkung der einheitlich, geschlossen und frisch dargestellten Szene wird noch durch den Gegensatz des in reinster augsburgischer Renaissance gehaltenen Rahmens gesteigert, der das Relief in seiner plaslischen Kraft dem Beschauer förmlich entgegen zudrängen scheint. Die deutsche Menaissance, die sich im Schwarzschen Relief noch in ihrer ursprüng⸗ lichen Frische zeigt, ist bald zu glatter Formalist k verflacht. Es ent- standen noch technisch wundervolle Arbeiten, aber die innere Kraft ließ bald nach, die Fähigkeit, überlieferte Typen weiterzubilden ging derloren Zu den technisch meisterhaften Werken der Kleinkunst jener Nachblütezeit gehört die dritte Neuerwerbung, ein Relief in Soln⸗ hofer Stein, das einen Liebesgarten darstellt (23 em hoch, 20 em breit). Es ist eine Arbeit des in Kaufbeuren geborenen Lo d. b. Eligius) Hering, eines Schülers des Augeburgers Hans Peuerlin; er war seit 1519 in Eichstätt tätig, wo er in mehr als 35 Jahren zahlreiche tüchtige Werke, namentlich Grabmäler, schuf. Er war sowohl Steinbildhauer, wie Holzschnitzer. Hering ist bei seiner großen Fruchtbarkeit nicht immer selbständig gewesen. In seinen Epitaphien kehrt die bekannte prachtvolle Gruppe der Drei⸗ einigkeit von Dürer mehrfach wieder. Auch in seinem Liebesgarten findet man Anlehnungen, doch sind die auf dem Relief wiedergegebenen Figuren voll plastischen Lebens und namentlich mit Rücksicht auf die Tiefenwirkung geschickt gruppiert.
In der ägyptischen Abteilung der Königlichen Museen ist eine Zierinschrift aus einem Tempel des 19. Jahr⸗ hunderts v. Chr., die schon vor einigen Jahren erworben wurde, jetzt durch Aufhängen im richtigen Licht zu rechter Wirkung gebracht worden. Die Inschrift befindet sich auf einer mächtigen, 2,16 m langen und 1,04 m breiten Platte aus feinem Kalkstein. Sie ist unter König Amenemhöt III. setwa 1850 —- 1800 v. Chr.) entsfanden und entstammt einem Tempel des krokodilgestaltigen Wassergottes Sobk. Der Tempel lag, wie aus der Inschrift weiter hervorgeht, in der altäfvptischen Provinz Seeland‘, dem heutigen Faijum, deren fruchtbares Gelände durch das Geschlecht König Ame nemhéts 1II. dem Wasser und Sumpf erst abgerungen wurde. Wie auf einer großen Halbinsel lag damals mit ihren reichen Aeckem die Hauptstadt der neuen Provinz, mit ihrem griechischen Namen Krokodilopoliß. Aus dem Goßen Tempel dieser Stadt stammt wahrscheinlich unsere Inschrift. Sie ist e ne prunkvolle Zierinschrift in Hieroglyphen und besteht aus einer senkrechten Mittel. zeile und zwei völlig symmetrischen Hälften, die sich wieder aus je vier Zeilen zusammensetzen. Die inneren beiden Zeilen wenden die Köpfe ihrer Schriftbilder der Mittelzeile zu, die beiden äußeren
Jilenpag e sind in sich dadurch zusammengefaßt, daß die Köpfe der Zeichen einander zugewandt sind. Die Mittelzeile enthält den Kamen und Titel des Königs, abgeschlossen durch den sogenannten Königs⸗ ring“. Alle übrigen Zeichen sind symbolisch zu deuten, nicht a u hestimmt, vom Leser in Worten wiedergegeben zu werden. An dieser Stelle verbietet es sich, auf diese interessante Sprache in Symbolen einzugehen, da sie nur bei gleichzeitiger Betrachtung der Hieroglyphen— zeichen verständlich ist. Inhaltlich Wichtiges enthält die Inschrift nicht, sie sollte ein Prunkstäck sein, das mit Bedeutung auch gef illig sei; und diese Aufgabe erfüllt sie meisterhaft. Die edlen, stilr inen und doch naturwahren Schriftbilder sind technisch ausgezeichnet be⸗ handelt, Ebene und Rundung des Reliefs bieten die schönsten Schatten wirkungen, nirgends ist eine störende Leere oder eine gedrängte Fülle. Inieressant ist es, daß an der Vollendung dieses Relief? offenbar zwei Künstler gearbeitet haben. Ursprünglich war die Tafel bis in alle Einzelheiten bemalt. Die Inschrift saß wohk ein st über einer Tür, und nicht vereinzelt, sondern rings umgeben von anderen In—⸗ schriften und Varstellungen.
Sammlung von Briefen, Tagebüchern und dergl. aus Kriegszeiten. Der ehemalige Direktor der Zeughaus⸗ verwaltung in Berlin, Geheime Regierungsrat Dr. von Ubisch, ver— öffentlichte vor einiger Zeit in den „Grenzboten“ einen Artikel, in dem er zur Sammlung von Originalhriefen, Tagebüchern, Soldaten liederbüchern und sonstigen Schriftstücken aus Kriegszeiten auffordert, aus denen man erkennen könne, was während des letzten großen Krieges unser Volk erfüllt und am tiefsten bewegt habe. Diefe An⸗ regung ist allenthalben auf fruchtharen Boden gefallen, und neuerdings hat auch der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten sich dieser Frage angenommen. Er hat zur Durchführung des Unternehmens, ‚W. T. B.“ zufolge, eine besondere Kommission ein— gesetzt und zu deren Mitgliedern die Gehei nen Regierungsräte Dr. von Ubisch und Profesfor Dr. Hans Delbrück sowie den Ab⸗ teilungsdirelter an der Königlichen Bibliothek, Professor Dr. Perlbach ernannt. Außerdem sind eigene Sammel = und Aufbewahrungestell⸗n eingerichtet worden; in der Königlichen Bibliothek in Berlin, in der Königlichen und Universitätsbibliothek in Königsberg i. Pr., in der Bibliothek der Königlichen Technischen Hochschule in Danzig, in der Königlichen Un wersitäte bibliothek in Greifswald, in der Kaiser Wilhelms⸗Bibliothek in Posen, in der Königlichen und Universitäts⸗ bibliothek in. Breslau sowie in den Königlichen Universit i e— hibliotheken in Halle a. S., Göttingen, Kiel, Münster i. W., Bonn und Marburg. Besonderer Wert wird dabei auf die Mitarbeit der Geistlichkeit und Lehrerschaft, der Selbstverwaltungsorgane sowie der Krieger⸗, Geschichts- und sonstiger Probinzialpvereine gelegt und gehofft, daß sie sich recht zahlreich an diefer ebenfo wichtigen mie interessanten kulturhistorischen Arbeit beteiligen werden. Die Scheift— stücke können sowohl geschenkweise wie auch unter Vorbehalt des Eigentumsrechts an die genannten Sammelstellen abgegeben werden, und es wird — wenn gewünscht — in den amtlichen Organen auch der Empfang der Schriftstücke unter Nennung des Namens der Geber bestätigt werden. Für Berlin sind auch die Polizeireviere ange⸗ wiesen worden, derartige Schriftstücke gegen Empfangsbescheinigung entgegenzunehmen. kö —
Literatur.
Mentor für die Reichtags wahlen 1912. Verlag von Gerhard Stalling, Oldenburg i. Großh. Geb l,„0 M6. — Daz in Taschenformat gehaltene Buch unterrichtet in übersichtlichen Tabellen über die Stimmenverteilung bei allen Reichstags⸗Haupt⸗ und Stich⸗ wahlen, die seit 1893 stattgefunden haben. Die Einzelstaaten, die preußischen Provinzen und deren Reichstagswahfkreise folgen in alpha⸗ betischer Ordnung In der ersten Spalte der Tabellen gibt eine über dem Namen des Wahlkreises in Fettdruck aufgeführte Jahl die amt= liche Ziffer für den Wahlkreis des Einzelstaats bezw. Regierungs⸗ bezirks an. Für die nächsten Reichstagswahlen ist in den Tabellen eine Spalte für Eintragungen freigelasffen, die Raum für die Namen der verschiedenen Kandidaten eines Wahlkreifes, für Angaben über ibre Parteistellung und die auf sie entfallende Stimmenzahl bietet. Ein am Schlusse beigefügles alphabetisches Verzeichnis fämtlicher Relchs⸗ tagswahlkreise erleichtert die Benutzung dieses praktischen Nachschlage⸗ und Notizbuches.
— Im 1. Heft des 31. Jahrganges der „Veröffentlichungen aus dem Archiv der Deutschen Seewarte“ ist ein Bericht über die Er— ebnisse einer ozeanographischen Forschungsreise in dem Atlantischen und dem füdöstlichen Stillen Ozean von Dr. Rudolf Lütgens erschienen.
Theater und Musik.
Im Königlichen Opernhause findet morgen, Diens ag, eine Wiederholung von „Cavalleria rusticana“, mit den Damen Salbatini, Andrejewa⸗Skilondz, von Scheele-Müller, den Herren Maclennan und Habich in den Hauptrollen, in Verbindung mit Bajgzzi⸗ mit Fräulein Dux, den Herren Berger, Bronsgeest, Hoffmann und Schöffel besetzt, statt. Dirigent ist der Kapellmeister Sr. BesJ. — Wegen der außerordentlich siarken Nachfrage nach Eintrittskarten zur hiesigen Erstaufführ ung des Straußschen Rofen“ kavaliers' sieht sich die Generalintendantur der Königlichen Schauspiele genötigt, das Abonnement und die ständigen Reservate für diese Aufführung aufzuheben. Für die Erstaufführung, die am 14. November stattfinden soll, gelten aus den angeführten Gründen im allgemeinen dieselben Eintrittspreise, wie sie bel der Uraufführung seinerzeit am Königlichen Hoftheater in Dresden in Ansatz gekommen sind, nämlich: Fremdenloge 40 6, Orchesterloge 30 S6, J. Rang und Parkett 25 6, II. Rang 18 M, 1I1I. Rang 12 6, 1V. Rang Sitz 6 „M, IV. Rang Stehplatz 3 6, zuzüglich der üblichen Vorverkaufs⸗ gebühr von 50 4 für jeden Sitzplatz. Voꝛbestellungen können weder berücksichtigt noch beantwortet werden. Der Vorverkauf beginnt am 12. November, 104 Uhr Vormittags, und zwar für alle Platz⸗ gattungen an der Kasse 111 des Königlichen Opernhauses, wo außerdem auch für alle bis 20 d. M. stattfindenden Wiederholungen des ‚Rofen⸗ kavaliers' die Eintrittekarten zu haben sein werden. An der Kasse J werden also am 12. November nur Karten für die übrigen Vor—⸗ stellungen des Wochenspielplans zu haben sein.
Im Königlichen Schauspilhause wird morgen H. von Kleists ‚Penthestlea“', mit Frau Willig in der Titelrolle, wiederholt.
Am Freitag, den 17. d. M., gibt der Berliner Sänger— verein (Dirigent: Koniglicher Musikdirektor Max Esch ke) im großen Saale der Philharmonie sein diesjähriges J. Wnter— konzert. Das Progamm enthält Chöre von Nicodé, Hegar, Wilh. Berger, Kempter, Hummel, Taper Scharwenka, Fritz Fuhrmeister, Mendelssohn, de la Hale und Kremser. Solistisch wirken mit: die Damen Elfriede Ulrich (Gesang), Radwaner-Bünbaum Violine), die. Herren Professor Hummel (Harfe), Paul Bauer (Gesang) und Fritz Fuhrmeister (Klavier). Eintrittskarten zu 4, 3, 2,5, 1,56 und O6 M sind bei. Bote u. Bock (Leipziger Straße 37 und Tauentzienstraße 7CE, bei A. Wertkeim (Leipziger Platz und Kant. straße 3) sowie an der Abendkasse käuflich.
Mannigfaltiges. Berlin, 6. November 1911.
Die Wiedereröffnung der 1726 erbauten, jetzt völlig wieder bergestellten französischen reformierten Klosterkirche fand gestern, am Reformationsfeste, mit einer Feier statt, der in Vertretung Seiner. Majestät des Kaisers und Königs Seine Königliche Hoheit der Prinz Fitel-⸗Friedrich beiwohnte; außerdem waren bei der Feier u. 4. noch zugegen der Minister der geistlichen ꝛc. Ange⸗ legenheiten von Trott zu Solz, der Polizeipräsident von Jagow und der Konsistorialpräsident Steinhausen. Die Weiherede bielt der Gengralsuperintendent D. Koehler, die Liturgie der Prediger
de Bourdeaux, die Festpredigt der Konsistorialrat Devaranne.
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