1911 / 266 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 10 Nov 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Standpunkte Aus ganz außerordentlich große politische Konzessionen macht, wo ist da. die Sonderstellung des Deutschen Reiches? Sind wir bloß die Mandatare Europas, oder hätte das Deutsche Reich nicht einen Anspruch darguf, ein Sonderrecht zu versangen? Darn schweigt vollständig des Sängers Höflichkeit. Was man' da frreicht hat, können ja gewiß fehr beachtenswerte und wertvolle Dinge sein, G. wäre vermessen, zu fagen, daß sie keinen Wert haben, abor eine Sicherheit ist dafür nicht vorhanden. Was nun die Konzessionen auf dem Kongo anlangt, so hat ja der Reichskanzler felbst bereitg die schweren Bedenken hervorgehoben, die auf diesem Gebiete vorliegen. Nach den Informationen meiner Politischen Freunde ist daz, waz un da zugewiesen worden sst, doch in klimatischer, sanitärer und wirtichaftlicher Beziehung ein fragwürdiges Objekt. Wir natürlich von unserem Standpunkt können und wollen nicht be⸗ streiten, daß diese Wüsten und Sümpfe schließlich entwicklungsfähig sind, aber manche sagen doch, daß es verständlich ist, wenn! der Staats selretãr des Kolonialamts genlaubt hat, das nicht mit seiner Verantwortung vertreten zu können. Wir bleiben deshalb der Meinung, daß man da zu wenig herausgeholt hat. Vielleicht wird man, vom Negierungstisch einwenden, es sei furchtbar leicht, in solchen Fragen zu kritisieren, besonders, wenn niemand etwas Bestimmtes darüber weiß. aber es besser zu machen, sei sehr schwer. Das gehe ich vollständig zu, aber wir meinen, daß, wenn wir uns vollständig freie Hand gehalten hätten für unsere Ansprüche in der Zukunft, auch den Willen und den Entschluß hätten, in ge⸗ gebener Zeit und in gegebener Situation sie geltend zu machen, das mehr Bedeutung hätte als das, was uns bier vorgelegt worden ist. Der, Reichskanzler hat besonders betont, wie wertvoll es sei, und welche große politische Bedeutung es habe, daß es uns gelungen ist, zum . Malt mit Frankreich zusammen auf friedlichem Wege zu einem ve tragsmäßigen Abschluß zu gelangen, von dem er sagt, daß er beide Teile befriedige und einen Fortschritt bedeute auf dem Wege zu einer dauernden Annäherung dieser beiden großen Völker. Nun, diese Ansicht kann ich für meine Person nicht ganz teilen. Man kann es Perstehen, daß Frankreich sich bei der jetzigen Situation ganz wohl befindet. Aber ich gebe mich der Illuston nicht hin, daß dadurch Hoffnungen begraben werden, die heute noch in Frankreich leben. Was uns den Frieden sichert, das sind nicht Verständigungen, sondern es ist unser gutes deutsches Schwert, und wir sind gewillt, ven diesem Schwert im gegebenen Moment auch Gebrauch zu machen. Ich enthalte mich, einen Vorwurf zu erheben, wie solche in der Presse und in Versfammlungen seit beinahe einem halben Jahre hageldicht auf unsere deutsche Reichsregierung gefallen ind. (Zurufe links: Breslau! Haben Sie Breslau schon vergessen?) Was meinen Sie damit? Das: Breslau! Breglau! Breslau! beweist gar nichts! (Große Unruhe; der Präsident bittet, den Redner nicht duich Zurufe zu unterbrechen. Es handelt sich jetzt darum, ob es xichtig ist, in der gegenwärtigen ernsten Situation unsere deutsche Regierung vor dem Auslande herunterzureißen. Was ich in Breslau gesagt habe, halte ich in diesem Augenblicke vollständig auf— recht, (Zustimmung rechts. Zuruf des Abg. David. Rräsident: Ich bitte Sie, den Redner nicht zu unterbrechen.) Daß. die Reichsleitung demgegenüber ein großes Maß von Geduld, Arbeitskraft und Pflichterfüllung gezeigt hat, ist durchaus anerkenneng— wert, und diese Anerkennung wollen wir in diesem Augenblick doch nicht ganz unter den Tisch fallen lassen. Das entbindet uns aber nicht, ein scharfes Urteil zu fällen über die Art, wie verfahren worden sst, wenn dieses Urteil tatsächlich voll berechtigt ist. Wir wollen aber nicht vergessen, daß die Regierung nicht ganz allein die Verhält— nisse von zwei Jahren zu regulieren hatte, fondern einer Slstuation gegenüberstand, in der sie nicht ganz frei war, daß es nicht ganz leicht war, Zugeständnisse zu fordern und zu sichern, wenn sie sich bereits Positionen gegenüber befand, in denen manches von dem viel— leicht aufgegeben war, was man erreichen wollte. Die Gerechtigkeit verlangt, das festzustellen. Die Würde der Nation verlangt noch eins; gerade, wenn man die Empfindung hat, in einer wie schweren Lage unser Volk sich befindet, muß man davon Abstand nehmen, in der Vergangenheit herumzugraben. Die Situation gebietet, und die Würde des Landes erfordert, den Blick nach vorwärts zu richten. Ich muß in diesem Zusammenhang nech auf eine Rede zu sprechen kommen, die seitens des Reichskanzlers vorhin als Tischrede bezeichnet worden ist, der aber meine politischen Freunde nicht bloß, sondern das ganze deutsche Volk eine etwas weitergehende Bedeutung beimißt und ' bei— messen muß. Der Reichskanzler hat vorhin gesagt, daß als wir das Schiff, nach Agadir sandten, allen europätschen Nationen die Mitteilung gemacht sei, daß wir nicht beabsichtigten, mit Land— erwerb dort vorzugehen; man kann darüber verschiedener Meinung sein. Wenn es auch der engllschen Regierung mitgeteilt worden ist, so ist jenür Ausspruch nicht als Tischrede zu bezeichnen, sondern als ein Aus— spruch, der auf einer Beratung des ganzen Ministeriums beruht. Wir haben da eine Sprache gehört, die man als eine Demütigung und Herausforderung des deutschen Volkes bezeichnen muß, eine kriegerische Herausforderung. Darüber kann man nicht so leicht hinweggehen und sagen, das sind Tischreden gewesen. Das sind ganz sonderbare Tischreden gewesen, solche Tischreden verbittet sich das deutsche Volk. Daß es jetzt den Herren Engländern gefällt, diese Dinge zu vergessen und von nichts zu wissen, nachdem es nicht gelungen ist, Frankreich und Deutsch— Üand in einen Krieg zu verwickeln, der vielleicht England nicht zum Nachteil gewesen wäre, kann man ja vom englischen Standpunkt aus verstehen. Aber wir Deutschen haben es noch nicht vergessen und wir fragen uns, ob wir geträumt haben, ob es wirklich nicht in der Welt passiert ist. Ob der englische Botschafter an einem europäischen Hof sich wirklich nicht in einer Weise über uns ausgelassen hat, die unseren deutschen Politikern die Scham— röte ins Gesicht treibt, das kann man nicht damit aus der Welt schaffen, daß man nichts wissen will Wir wissen es, und wie ein Blitz in der Nacht hat es dem deutschen Volke gezeigt, wo sein Feind fitzt. Das Ldeutsche Volk weiß jetzt, wenn es sich ausbreiten will in der. Welt, wenn es seinen Platz an der Sonne sucht, wo der— jenige steht, der darüber zu befinden haben will. Das sind wir Deutsche nicht gewobnt uns gefallen zu lassen, und das deutsche Volk wird die Antwort zu geben wissen, eine deutsche Antwort auf diese englische Frage. Die Regierung wird wissen, wenn die Stunde kommt, wie die Antwort zu lauten hat. Es handelt sich um die letzte Konsequenz, und die läßt sich kein Volk, am wenigsten das deutsche, nehmen. Wann die Stunde kommt, ist Sache der Regierung, sie hat das Recht, aber auch die Pflicht, die Entscheidung zu treffen zur Ehre der deutschen Nation. Wir Deutschen werden bereit sein, das erkläre ich hier, soweit es erforderlich ist, Opfer dafür zu bringen. (Große, andauernde Bewegung. Zurufe links. Warten Sie nur ab, Sie werden meine Antwort hören. (Präsident: Ich bitte um Ruhe, ich glaube, die heutige Ver— handlung erfordert, man mag über diese Dinge denken, wie man will, unter allen Umständen eine würdige Behandlung. Zustimmung. Ich bitte, derartige stürmische Unterbrechungen zu unterlassen, das entspricht der Würde des Reichs und des Reichstags). Ich kann im Namen meiner sämtlichen politischen Freunde erkläen, daß wir bereit sind, wenn es unsere Ehre erfordert, nicht bloß Opfer zu bringen an Blut, sondern auch an Gut. Wenn es von ung gefordert wird, ind wir auch bereit, die Vermögen der Besitzenden zu opfern. Aber es soll das Vermögen der Lebendigen sein, nicht der Toten. Man kann ja über die Erbschaftssteuer verschiedener Meinung sein, aher ich glauhe, daß, nachdem jahrelang über diese Frage sich eine Kluft in der bürgerlichen Gesellschaft zum Schaden des ganzen inneren Vaterlandes und des Volkslebens aufgetan hat, nicht ein neuer Streit heraufbeschworen werden darf, wenn eine nationale Tat herausgeboren werden soll. Das würde nicht gut tun, wenn es sich um die nationale Entwicklung, Ehre und Existenz bandelt. Ich mill nur noch eins sagen: wir sind bereit, die Konsequenzen der ernsten Situation zu ziehen, von denen ich gesprochen babe, wir sind aber überzeugt, und wir eiwarten nach den Worten, die der Reichskanzler vorhin gesprochen hat, daß auch die Reichsregierung sich von diesem Gefühl leiten lassen wird. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Regserung, Neichstag, Herrn und Knecht; unwürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles setzt an ihre Ehre.

Staalssekretär des Auswärtigen Amts von Kiderlen— Waechter: .

Auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Zuruf links: Auf die Tribüne ) muß ich nur in einem Punkte sofort eine Ant— wort geben. Es ist in der „Neuen Freien Presse“ ein Artikel er— schienen, welcher dem englischen Botschafter in Wien zugeschrieben worden ist. Wir haben bei der englischen Regierung, da ein Dementi

nicht sofort erfolgte, darüber angefragt. Die englische Regierung hat

uns amtlich erklärt und ausdrücklich ermächtigt, diese amtliche Er⸗ klärung zu veröffentlichen, daß der Botschafter weder zu der Ver— öffentlichung des Artikels in irgendeiner Beziehung stehe, noch daß er die Aeußerungen, die ihm in dem Artikel zugeschrieben wurden, getan habe. (Zuruf rechts: Was hat er denn gesagt? Gar nichts. (Stürmische Heiterkeit) Wenn uns die englische Regierung das amtlich erklärt, das zu glauben, verlangt doch, wie Sie, Herr Ab— geordneter, mir doch auch zugeben werden, die allermindeste inter⸗ nationale Courtoisie, und es ist selbstverständlich, daß ich dem ent— gegentrete, daß die Wahrheit einer amtlichen Mitteilung einer fremden Regierung an uns bestritten wird, und daß Mißtrauen in eine solche Erklärung gesetzt werde.

Abg. Bebel (Soz.): Der Abg. Heydebrand hat erwähnt, wie notwendig es ist, daß in dieser Angelegenheit der Reichstag ein Urteil fällen müsse. Er ist der Meinung, daß die Angelegenheit und die sämtlichen Anträge, die vorliegen, einer bestimmten Kommission über— wiesen werden sollen. In diesen Tagen wird die französische Kammer in die Lage kommen, ihr Urteil abgeben zu können. Die französische Kammer ist im Gegenfatz zu uns in der Lage, alle Informationen zu bekommen, die fie in dieser Angelegenheit wünscht. Das ist in Frankreich bei dem dortigen Regierungssystem selbst⸗ verständlich, und es ist bei Ueberweifung dieser Vorlage an die Kammer ausdrücklich zugesagt worden. Herr Heydebrand, der Sie heute zur Ehre der deutschen Nation gesproöͤchen haben, erkennen Sie jetzt, daß es eine Schmach für den Deutschen Reichstag ist, daß er kein Urteil in dieser Angelegenheit fällen darf? Ber Abg. bon Heyde⸗ brand hält es nicht für angezeigt, jetzt die deutsche Reichepolitik herunterzureißen. Was war denn Feine heutige Rede anders als eine Herabsetzung der Regierung, wie es schlimmer nicht gedacht werden kann? In Breslau hat der Abg. von Heydebrand von der Re— gerung als von dem Beauftragten der guten Patrioten gesprochen. Das ist ja weiter nichts als eine Bestätigung eines Satzes des von Marx und Engels 1847 verfaßten kommunistischen Manifestes, wonach die Regierung der Verwaltungsausschuß der besitzenden Klassen ist. Der Abg. von Heydebrand preist die Opferwilligkeit der Konservativen an. Diese Ihre (nach rechts) Opferwilligkeit hat sich gerade beim Steuerzahlen gezeigt; Sie burden den Armen?“ und Unbemittelten alle Lasten auf; Sie verwerfen die Reichs⸗ einkommensteuer, der Abg. von Oldenburg hat es nackt und dürre ausgesprochen: einem Reichstag, der aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangen ist, vertrauen wir unsere Portemonnaies nicht an. Das sind die so patriotischen und opferwilligen Herren! Eine Partei wie die Ihre (nach rechts), die das allgemeine Wahlrecht verweigert, während sie die große Masse die Reichslaften tragen läßt, sollte, wenn von Patriotismus die Rede ist, den Mund halten. Der Abg. von Heyde⸗ brand tadelt das Abkommen, meint aber, es fei schwer, etwas anderes, was hätte geschehen sollen, vorzuschlagen, wenn man nicht in der Macht sitze. Was Sie wollten, ging aber unzweifelhaft auf den Krieg hin, denn was wäre die Folge gewesen, wenn die Verhandlungen ohne Resultat abgebrochen worden wären? Wäre die Hetze in tollster Weise los— gangen, dann hätte man mit aller Gewalt auf den Krieg gedrängt. ö bitte also zunächst, unseren Antrag anzunehmen. Wir können uns ferner nicht gefallen lassen, als quantité négligeable behandelt zu werden. Von allen Seiten hat es in diesem Sommer getönt, daß das Volk und der Reichstag in den Hintergrund gedrängt seien, daß dieser Zustand unerträglich sei; und jetzt, wo Sie Gelegenbeit haben, der Erregung des Volkes Geltung zu verschaffen, ihm sein Recht endlich einzuräumen, sind Sie die ersten, die sich dessen weigern, Sie, die Sie vorher am meisten über Zurücksetzung geschrien haben. In allen europäischen Kulturstaaten, auch in der Türkei, demnächst sogar in China, wird das Parlament das Recht haben, bei allen internationalen Verträgen nicht nur darüber zu reden, sondern auch darüber abzustimmen; also selbst in China gibt es das, was die Herren ostwärts der Elbe, die Junker, dem deutschen Parlament nach wie vor vorenthalten wollen. Viel wichtiger als Marokko find uns die Zustände in den preußischen Ostprovinzen, das ist unser Marokko. Es könnte doch einmal ein Kaiser sein, der sehr schenkungsbedürftig ist, der gern Geschenke macht, der eine Kolonie an einen anderen Staat verschenkt. Da haben wir denn nichts zu sagen. Wollen Sie dergleichen hindern, so müssen Sie über solche internationalen Verträge nicht nur reden, sondern auch abstimmen können. Dem vorgelegten Vertrag gegen⸗ über ist unsere Lage eine höchst eigentümliche. Wir sind ja durchaus nicht um jeden Preis, aus Prinzsp oppositionell; wir gehen auch mit der Regierung, wenn sie mal vernünftig ist, wir haben doch z. B. den russischen Handelsvertrag gegen die Konservativen für die Regierung gerettet. Hier aber handelt es sich bei der Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich um ein Land, über das wir gar kein Verfügungsrecht haben. Die Selb— ständiakeit des Landes und seines Oberhauptes wird ignoriert, mit brutaler Räcksichtslosigkeit wird darüber verfügt, genau fo wie Italien über Tripolis räuberisch herfällt und dann auch noch die Maßlosigkeit besitzt, das Land für annektiert zu erklären, ohne irgend—⸗ einen Schimmer des Vorrechtes zu besitzen. Unsere Marbkko— politik hat seit 30 Jahren, seit der Madrider Konvention, viele Wandlungen durchgemacht. Wenn der Abg. von Hertling meint, 1905 hätte uns Rouvier einen Kolonialvertrag mit viel größeren Zugeständnissen angeboten, so muß doch beachtet werden, daß 4 Monate vorher die Reise des Kaisers nach Tanger statt' gefunden hatte, wo der Kgiser jene Rede hielt, die der Hoffnung Ausdruck gab, daß das Land sich unter der Souveränstät des Sultans ohne Monopole weiter gedeihlich entwickeln werde. Damals hat der Deutsche Kaiser den Marokkanern erklärt, daß er zu allen Zeiten ihr Freund sein würde. Wie mag es aber nach den jetzigen Vorkommnissen in Marokko und nach dem Vorgehen von Italien in der mohammedanischen Bevölkerung aussehen? Die Sympathien, die wir uns erworben hatten, gehen verloren, und auf der anderen Seite steht kein Gewinn. Als der Reichskanzler Bülow hier erklärte, daß Deutschland die vier Punkte verfolge: Keine Ge— bietsabtretung, Achtung der hestehenden Verträge, Achtung der Selbständigkeit Marokkos und Achtung der wirtschaftlichen Gleich⸗ berechtigung, da hat niemand von den bürgerlichen Parteien hier Protest erhoben. Aber die jetzige Meinung im Reichstag sticht von der damaligen wesentlich ab. Der Abg. von Hertling erklärte seiner⸗ zeit, daß er keinen Krieg wegen Marokko‘ wünsche, und der Abg. Bassermann hat sich nachdrücklichst mit dem Ab— kommen von 1999 einveistanden erklärt, und er wünschte, daß es gelänge, durch diesen Vertrag bessere Beziehungen mit Frank— reich berbeizuführen. Die Franzosen haben lediglich das Abkommen bon 1909 ausgeführt, das ganz zugunsten Frankreichs abgefaßt war. Allerdings die Kolonialpolitik ist in Wahrheit Kapitalistenpolitik. Fürst Bismaick sagte am Beginn unserer Kolonialpolitik, es handle sich nur darum, Millionäre zu züchten. Auf der einen Seite stehen jetzt die Gebrüder Mann smann, auf der anderen Seite Schneider— Creuzot. Bei den Verhandlungen über die Ngoko⸗Sanga⸗ Gesellschaft hat sich herausgestellt, daß auch unser Kollege Semler dort ein Eckchen hat. Es gibt nichts Internationaleres als das. Kapital. Mulay Hafid soll bereit gewesen sein, für Geld seine ganzen Sonveränitätsrechte an die Franzofen zu verkaufen; die „Rheinisch⸗Westfälische Zeitung“ schrieb in diesem Jahre, die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit des Landes sei unmöglich, man müsse Anteil an diesen Ländern haben.

Hier taucht zum ersten Mal der Gedanke auf, Besitz in Marokko zu erwerben. Der „Panther“ wurde nach Agadir geschickt, um den Franzosen zu zeigen, daß man unter allen Ümständen gehört werden wolle. Dieser Pantherspaziergang nach Agadir hat mit einem Mal der Frage ein anderes Gesicht gegeben. Die deutsche Kolonialpresse schrieb: Endlich einmal, die Stagnation der deutschen Politik hört auf! Die Einmischung Englands wurde zurückgewiesen; aber was würden wir denn gesagk haben, wenn wir an Englands (telle gewesen wären, wenn eine solche Veränderung der Machtstellung zur See herbei— geführt würde? England konnte gar nicht anders handeln, und wir hätten keine größere Dummheit machen können, als wenn wir uns in Agadir fest⸗ gesetzt haͤtten, dann hätten wir 50 bis 60 Millionen für den' Ausbau des Hafens verwenden müssen, wir hätten zwei Armeekorps ständig dort haben müssen, unsere Flotte würde aber im Falle eines Krieges keine Möglichkeit haben, in Agadir einzutreffen,; denn sie müßte zwischen England und Frankreich durch den Kanal fahren. In ber deutschen Presse war aber die Auffassung verbreftet, der Panther“ sei nach Agadir geschickt worden, um dort festen Fuß zu fassen. Als dann aber in Swinemünde der Kaiser auf den Vortrag des Reichs⸗ kanzlers und des Staatssekretärs erklärte, daß er keinen Krieg wegen Marokko anfangen wolle, da wurde in der Presse die Person des Kaisers in einer Weise angegriffen, daß, wenn ein sozialdemokratischer Redakteur sich das erlaubt hätte, es mit Jahren Gefängnis geahndet worden wäre. So erschien am 4. August der bekannte Artiket der Post“, und am 14. August veröffentlichte die Post“ eine ganze Reihe von Zustimmungserklärungen dazu, darunter auch von einem Generalleutnant a. D. und einem Hofprediger a. D. Die „Evangelische Kirchenzeitung“ schrieb: Ueberall erwartet man die Antwort auf die Frage: „Wann marschieren wir?“ Erst am 24. August erklärte der Chefredakteur der „Post“, daß der Artikel ohne seinen Willen aufgenommen und ein. Fehlgriff sei. Dazu hat er also zwanzig Tage gebraucht. So ging es aber wochenlang in der Presse. Die „Rheinisch-Westfälische Zeitung“ behauptete, der Staats⸗ sekretär hahe eine ganze Reihe von Redakteuren und Führern der politischen Parteien in Berlin zusammenkommen lassen und durch seinen Vertreter erklären lassen, die Entsendung des „Panther“ nach Agadir habe nichts anderes bedeutet, als daß man dort festen Fuß fassen wolle. Der Redner verliest nech eine Reihe von Blätter? stimmen zugunsten eines Krieges. Der Abg. v. Heydebrand sprach heute von der Opferwilligkeit des Landes. Es gibt keine größere Lüge, keine größere Heuchelei, als durch einen Krieg materielle Ordnung in ein Land bringen zu wollen. Das Zenkrum hat auch nicht gerade immer Opferwilligkeit bewiesen. Wir haben heute ein Reich der Reichen, die ganze Steuergesetzgebung, Zollgesetzgebung, die Liebesgabenpolitik kommt nicht dem Volke, fondern' den Besitzenden zugute. Neben vierhundert Millionen indirekter Steuern sind nur hundert Millionen direkter Steuern gemacht worden. Der Abg. von Heydebrand sagt, England sei der Feind. Wir sind nicht england— feindlich, aber wir haben auch bedauert, daß ein englischer Minister sich in unsere Verhandlungen mit Frankreich eingemischt hat. Wir haben schon in den 90er Jahren immer empfohlen, uns mit England zu verständigen und aus dem Dreibund einen Vierbund zu machen. Der Abg. Freiherr von Hertling hat sich heute, allerdings in in⸗ direkter Weise, über die Stellung seiner Fraktion zu neuen Rüstungs⸗ plänen ausgelassen. Wenn die neue Flottenvorlage kommt, wird sie schon von Ihnen (zum Zentrum) genau so bewilligt werden wie die früberen. Jetzt möchten Sie das bestreiten, aber warten wir erst, nach den Wahlen! Die Reaktion hat bei Ihnen die Oberhand ge⸗ wonnen. Es geht bei Ihnen nicht vorwärts, sondern immer mehr rückwärts. Der englische Marineminister hat sehr deutlich die Ant. wort gegeben, daß auf jedes Schiff, das Deutschland baut, selbst⸗ verständlich neue englische Schiffe folgen werden. Durch den ersten Artikel, des Vertrages geben wir Frankreich Marokko“ voll. ständig in die Hand Es ist ebenso, als wenn die Annerion Marotkos durch Frankreich ausgesprochen wird. Nur scheinbar läßt man Mulay. Hafid auf dem Thron sitzen, gibt ihm die Mittel, damit er sich einen stattlichen Harem halten kann, wenn auch weiter nichts, was ja für orientalische Despoten die Hauptsache ist. Der Sultan von Marokko ist einfach eine Puppe in der Hand des französischen Präsidenten. Irgendeine Gefahr für Deutschland ist nicht daraus zu befürchten, daß man daran erinnert, daß Frankreich 50⸗ bis 69 009 arabische Soldaten gegen Deutschland verwenden könnte. Frankreich muß zuerst 50 bis 60 000 Soldaten nach Marokko werfen. In der auswärtigen Politik ist der Vertrag nicht eine Stärkung, sondern eine Schwächung der französischen Stellung. Jetzt versuchen die Italiener, Tripolis zu unterwerfen. Das gesamte Nordafrika ist dann durch europäische Staaten be— herrscht. Aber ganz Nordafrika hat eine einheitliche Bevölkerung, alle europäischen Staaten haben gegen sich den gleichen gemein⸗ samen Feind, und wir werden in absehbarer Zeit einen ge⸗ waltigen Aufstand gegen die europäische Bevölkerung kommen sehen. Genau dasselbe, was England in Kanada, in Südafrika und in Aegypten bevorsteht, wird auch Frankreich in den nächsten Jahren bevorstehen. Was soll man zu dem Kongovertrage noch weiter sagen, wo ein so ausgezeichneter Kenner der Verhältnisse wie Lindequist diese neue Kolonie verworfen hat? Wenn dieser Mann, der der Leiter der Kolonialpolitik ist und der sich ehrlich bemüht hat, die Kolonien kennen zu lernen und auch menschlich in den Kolonien aufzutreten, wenn ein solcher Mann in der Weise, wie der Reichskanzler es vorgeführt hat, sich gegen die Erwerbung aus⸗ gesprochen hat, dann haben wir keine Veranlassung, noch mehr gegen den Vertrag zu sprechen. Aber der Vertrag wird ja angenommen werden, man wird in derselben Politik weiter fortfahren, man wird von allen Seiten rüsten und wieder rüsten, man wird rüsten bis zu einem Punkte, wo man schließlich sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Es wird die große Katastrophe kommen, wo alles unter den Waffen steht. Aber hinter diesem großen Generalmarsch kommt dann auch der große Kladderadatsch, er kommt, er muß kommen, nicht von uns, sondern durch sich selber. Die Götterdämmerung der Völker ist im Anzuge. Sie untergraben selbst die Staats. und Gefsellschafts— ordnung, Ihre eigene Staats, und Gesellschaftsordnung. Der Massen— bankrott wird lommen. Man denke nur an den Run auf die Spar— fassen, das Fallen der Papiere; das war schon bei einem fo kseinen Anlaß! Der Bankrott wird kommen, nicht durch unsere Schuld, durch Ihre Schuld. Discite moniti!

Abg. Ba ssermann (nul): Bebel und mit ihm seine Partei wird die weltwirtschaftliche Entwicklung der Völker nicht ändern können. Die Kulturvölker mit ihrer stacken Bevölterungszunahme sind darauf angewiesen, Weltpolitik zu treiben. Sie müssen den Kampf um die großen aue ländischen Märkte aufnehmen und fortführen, und dadurch ergibt sich als unvermeidlich die Weltpolitik, die auch das Programm der Sozialdemokratie nicht beseitigen kann. Meine politischen Freunde stimmen der Ueberweisung der Denkschrift und der Verfassungs⸗ anregungen an die Budgetkommissien zu und erachten eine eingehende Etörterung der Grundlagen des Abkommens über Marokko und den Kongo, vor allem aber der Verfassungsfragen für nützlich und not⸗ wendig. Die Vorbereitung dieser Bebatte ist durchaus ungenügend. Wir haben nichts bekommen als den Vertragstext, dann eine un— jureichende Karte; das Weißbuch, das uns über die Verhandlungen mit Frankreich Auskunft geben sollte, haben wir nicht bekommen, auch keinerlei Schriftstücke üher die Verhandlungen mit England, die sich aus Anlaß der wiederholt berührten englischen Ministerreden er— geben haben. Ich möchte den Wunsch aussprechen, daß, nachdem die Verfassungsfrage auch seitens der verbündeten Regierungen bezüglich des Erwerbs und der Veräußerung von Kolonien angeschnitten worden ist, uns das Gutachten des Reichsjustizamts zugänglich gemacht wird.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Das Fehlen des ausführlichen Materials macht den Eindruck, daß ine gewisse, Mißachtung des Reichstags , Diese ganze Frage hat die Reformbedürftigkeit unferes Interpellationsrechtes u. a. auch erwiesen. So kann es nicht bleiben, daß es ausschließlich in der Hand der Regierung liegt, zu bestimmen, wann eine Interpellation beantwortet werden soll. Wir werden auch auf die verschiedenen An—⸗ regungen zurückkommen müssen, die nach dieser Richtung hin von ver— schiedenen Parteien dem Hause gegeben worden sind, auf diesem Ge— biete der Interpellationen, aber auch auf dem Gebiete der Verant— wortlichkeit des Reichskanzlers und der Ministeranklage. Die Frage, ob das Marokko⸗, ob das Kongoabkommen der Genehmigung des Reichs⸗ tags hedarf, wird in der Kommission eingehend behandelt werden. Uns scheint, daß das Marokkoabkommen der Henehmigung des Reichs— tags nicht bedarf. Wenn wir die Vorlegung im Seniorenkonvent wünschten, so geschah das in Rücksicht auf die Wichtigkeit der ganzen Materie. Auch aus Aeußerungen des Fürsten Bismarck läßt fich folgern, daß es auch für die Kolonialpolitik richtiger wäre, unter Verzicht auf die Prärogative den Weg der Reichsgesetzgebung zu be— schreiten. Daß das Abkommen in zwei Teile zerrissen ist, die doch zusammengehören, ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß man auch bei der Regierung die Verfassungsfrage bezüglich des Erwerbes und der Veräußerung von Kolonialland für zweifelhaft erachtete und sich erst durch das Gutachten des Reichsjustizamts be— lehren ließ. Für uns wird die Forderung, den Weg der Gesetz⸗ gebung zu wählen, auch dadurch unterstützt, daß das Kongoabkommen sinanzielle Konsequenzen für Deutschland hat, daß es durchaus der Billigkeit entspräche, für die Grundlage der aufzuwendenden materiellen Opfer die Bewilligung durch das Parlament zu besitzen. Man soll sich da nicht lediglich von juristisch-tatsächlichen Erwägungen leiten lassen, nicht lediglich von bureaukratischen Rücksichten, sondern man soll da auch dem Empfinden des deutschen Volkes Rechnung tragen, das sein Recht heischt, auch wenn es nicht in der Verfassung steht, und in den nationalen Fragen mitsprechen will. Nachdem die An— gelegenheit viele Monate erörtert ist, und die Erregung darüber noch heute nachzittert, erachte ich eine Besprechung und aus— giebige Kritik der Handlungsweise der Regierung nicht nur als unser Recht, sondern als unsere patriotische Pflicht. Das Ansehen der Regierung wird durch eine sachliche Kritik nicht geschädigt. Aus allen Parteien heraus, jedenfalls aus allen bürger— lichen Parteien erschallt seit langem der Notschrei über das, was hier zu unserm Nachteil zum Abschluß gekommen ist. Davon, der Regierung in den Rücken zu fallen, wie der Abg. v. Heydebrand meinte, ist nicht die Rede; wir verlangen eine sachliche und objektive Kritik und Erwägung dessen, was Deutschland genützt hätte, und dieses Programm ist auch von dem Abg. v. Heydebrand akzeptiert. Er selbst hat in Breslau auch kein Blatt vor den Mund genommen, er hat in Tönen schärfster Kritik dort von der Regierung, von dem, was aus dem Ansehen Deutschlands in der Welt geworden sei, gesprochen. Agadir und seine Folgen und das jetzige Doppelabkommen sind nach meiner Meinung nicht der Abschluß der bisherigen Marokkopolitik. Der Abg. von Hertling warf der Bülowpolitik gegenüber Marokko In⸗ onsequenz vor. Das ist nicht der Fall; sie mag in manchen Punkten nicht ichtig gewesen sein aber sie ist konsequent durchgehalten worden, und s war die Fortführung der Bismarckschen Marokkovolitik. Sb Bismarck heute noch daran festhielte, ist eine andere Frage. Man konnte damals nicht voraus sehen, welches große Soldatenreservoir Marokko bildet, welche wirtschaftlichen Werte in Marokko stecken, daß Frankreich zur islamitischen Vormacht in Nordafrika werden würde. Fürst Bülow hat 1905 und 1907 immer wieder die Grundzüge der Marokkopolitik auseinandergesetzt: keine territoriale Erwerbung, An— erkinnung der Souveränität des Sultans und der Integrität des Scherifischen Reiches, die offene Tür für uns. Mit diesem klaren

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Programm waren auch die großen Parteien des Reichstags einver— standen. Auch was der Kaiser in Tanger gesagt und wiederholt hat, ist vorher und nachber von dem Fürsten Bülow gesagt worden; daß diese Aeußerung des Monarchen den mächtigsten Eindruck in der ganzen islamitischen Welt machen mußte, ist selbstverständlich. Heute ist diese Polittk preisgegeben, wir haben ein franzoöͤsisches Protektorat über Marokko, wir . dort unsere Position geräumt. In der Oeffentlichkeit, in Aeußerungen der Presse und von Parlamentariern setzte nunmehr eine gewisse Tendenz ein, die ganze Misere, die sich in diesem Abkommen widerspiegelt, auf die frühere Periode Bülowscher Politik zurückzuführen. Sollte Fürst Bülow 1905 den richtigen Moment versäumt haben, hätte er damals ein günstigeres Abkommen mit Rouvier schließen können? Diese Frage ist zu ver⸗ neinen, sie ist auch vom Fürsten Bülow verneint worden, der das angesichts der allgemeinen politischen Situgtion für unmöglich hielt. Zunächst war das Programm durch die Rede des Kaisers feierlich sestgelegt worden, dann aber verboten auch unsere ganzen Be⸗ ziehungen gegenüber der Türkei und dem Islam eine Politik, die in der Aneignung eines Stückes von Marokko bestand. Das war der größte Gesichtspunkt des Fürsten Bismarck, der ist heute bei der Rede des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg nicht mehr zutage ge⸗ treten. Es gibt eben nicht nur Kongofragen, es gibt auch eine große Orientpolitik, die wir seit 220 Jahren muhsam aufgebaut haben, und die heute durch dieses Abkommen zerstört ist. Ein Augebot Frank— reichs lag aber damals gar nicht vor, Las ist ein Irrtum; aber selbst wenn es der Fall war, glauben Sie, daß das England des Eduard VII. geduldet hätte, daß wir uns dort festsetzten? Es kamen die mühseligen Verhandlungen von Algeciras, wo uns Italien im Stiche ließ; das Ergebnis war kein erfreuliches. Aber Frank⸗ reich hat die Algecirasakte als eine Unheguemlichkeit betrachtet, es hat sie zu durchlöchern versucht. Das Abkommen ven 1909 hat noch an den Grundlagen der Bülowpolitik festgehalten. Von einer besonderen Freude darüber bei uns ist seinerzeit keine Rede gewesen; die daran geknüpften Hoffnungen sind enttäuscht worden; die Franzosen haben sich an die Integrität Marokkos nicht gekehrt. Es kam Casahblanca, es kam der Vormarsch auf Fez, Die Ver⸗ letzungen der Algecirasakte fallen in dieselbe Zeit, wo die Franzosen mit Mulay Hafid den Geheimvertrag gegen die Akte schlossen, durch den er seine Vorrechte preisgab und ein gewisses Protektorat Frank reichs zuließ. Damit war eine völlig neue Situation eingetreren und darauf hat sich wohl auch jene Bemerkung der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ in diesem Sieht bezogen, daß wir nun freie Dand hätten, und eine neue Phase der Marokkopolitik gegeben sei. Wenn dem aber so ist, dann ist es einerlei, ob es richtig oder falsch war, wenn Fürst Bülow in irgendeinem Zeitpunkt auf eine territoriale Erwerbung losgesteuert wäre; denn durch den Bruch der Verträge seitens Frankreichs begann eine neue Orientierung der deutschen Politik, und auf neuer Basis konnte weiter gearbeitet werden. Wie ist denn eigentlich das große Aufsehen zu erklären, welches das Erscheinen des „Panther“ vor Agadir vor allem in unserem Vater⸗ lande erweckt hat? Die n ig über die wirtschaftliche Be⸗ deutung Marokkos hat sich im Laufe der Jahre zweifellos gzbessert. le ganze Frage ist erst in Fluß gekommen durch die Gebrüder Wannesmann, aber weit darüber hinaus dadurch, daß in der deutschen Industrie ein großer Erihunger einsetzte. Die Aufmerksamkeit auf die Ersschätze bon Marokko wurde durch die Erschöpfung unserer bisherigen Bezugz⸗ quellen gelenkt. Als der „Panther“ vor Agadir erschlen da ging ein Jubel durch ganz Deutschland, aber als bald darauf die Reden der

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Zweite Beilage zum Deutschen Reichsan

Berlin, Freitag, den 10. Nobenber

englischen Minister bekannt wurden, da machte dieser Jubel Platz wachsender Entrüstung über die Eingriffe englischer Staatsmänner, über die Tatsache, daß uns hier ein „hands off zugerufen wurde. Die ganze Einmischung von England bei dem Eintreffen des „Panther“ vor Agadir wird unerklärlich, wenn keine territoriale Besitzergreifung von uns beabsichtigt war. Die ganzen Proteste in der englischen Presse waren darauf gegründet, daß Deutschland in Marokko Land— erwerb vornehmen und sich eine Interessensphäre dort schaffen wollte. Wie ist, nun diese ganze Attion vorbereitet worden? Ist darüber Gewißheit geschaffen worden, daß wir unter der Zustimmung Englands die Schiffe entsandt haben, wie uns unser Botschafter darüber berichtet, oder sind wir völlig überrascht worden von der üblen Stimmung in England nach dem Erscheinen des „Panther“ in Agadir? Man könnte ja dieselbe Anfrage stellen auch bezilglich der Tripolis— affäre. Auch hierüber lesen wir in den Zeitungen, daß die beiden anderen Staaten überrascht worden sind. Das kann man sich doch eigentlich denken: Botschafter, Militärbevollmächtigte, das ganze Personal muß doch naturgemäß von den Vorbereitungen eines der— artigen Feldzuges Kenntnis bekommen. Als dann bald darauf die Kunde kam, daß wir keine territorialen Erwerbungen beabsichtigten, da ist ja zweifellos in Deutschland eine große Ernüchterung und Ent— täuschung eingetreten. Das Nationalgefühl war mächtig aufgeflammt. Man rechnete mit der Möglichkeit eines Krieges. Plötzlich kommt die Mitteilung: wir suchen Erwerbungen nicht in Marokko, sondern am Kongo. Ich möchte in dieser Richtung die Frage an das Auswärtige Amt richten: ist das alles unrichtig, was in der Presse stand, sind von keiner Seite, von keinem Beamten Hoffnungen in der Weise genährt worden, wie dies behauptet ist? Ueber die Haltung der Presse— abteilung des Auswärtigen Amtes ist die ganze Presse einig, daß da eine absolute Unzuverlässigkeit in Frage kommt. Das hat die ‚Kölnische Zeitung“ wiederholt ausgeführt, das haben die „Kreuz— zeitung“ und die „Deutsche Tageszeitung“ gesagt. Hier dürfte eine Reform notwendig sein. Ich wende mich nun zu dem Abkommen selbst. Das Abkommen hat hier am heutigen Tage eine freundliche Be— urteilung nicht gefunden. Es wurden eine Reihe von Zweifeln geäußert. Der Abg. von Heydebrand hat mit vielem Ja, Wenn und Aber sehr kräftig die großen Schäden des ganzen Abkommens beleuchtet. Der einzige Freund war eigentlich der Abg. Bebel. Das ist kein besonders günstiges Zeugnis für die Regierung. Wir finden das Resultat von Agadir nicht erfreulich, und wenn wir über dieses Abkommen zu entscheiden hätten, dann würden meine politischen Freunde diefes Ab— kommen ablehnen. Es scheint uns nicht, daß dieses Abkommen den deutschen Interessen entspricht und der Machtstellung, die Deutsch— land hat. Frankreich erhält durch diesen Vertrag ein neues großes Land, von dem man behauptet, daß es von größtem Werte ist, daß es ju einer großen landwirtschaftlichen Ausdehnung Gelegenheit gibt. Und jedenfalls sind die Behauptungen zum Teil auf Wahrheit beruhend. Das, was wir bekommen, steht in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, den Frankreich davon hat, nämlich eine neue Provinz. Ohne politischen Einfluß ist auch der wirtschaftliche in Marokko nicht aufrecht zu 1 Die deutschen Industriellen haben darüber keinen Zweifel gelassen. Der Abg. Kirdorf sprach von einer politischen Niederlage Deutschlands. Ich verweise auf die Resolution des Zentralverbandes deutscher Industrieller, auf Aeußerungen sächsischer Industrieller. Auch wenn die Regierung bemüht war, eine Reihe von Kautelen zu schaffen und da und dort feste Regelungen zu machen, viel erreicht ist nicht. Ueber die Kompensationen ist uns eine Denkschrift des Kolonialamts gegeben worden. Da steben manche merkwürdige Dinge. So wie der Reichskanzler die Sache be— handelt hat, kann man sie doch nicht behandeln. Alle Gebiets abtretungen können nichts an der Tatsache ändern, daß wir schließlich Marokko Frankreich als Provinz überlassen. Nun sollen wir uns auch mit den französischen Konzessionsgesellschifsen herum— schlagen. Die Regierung soll die Verhandlungen mit ihnen auf— nehmen und mit Energie durchsetzen, daß die betreffenden Bestimmungen auch richtig in praxi gehandhabt werden. Wenn man das so liest, da muß man doch sagen, es werden die Reibungsflächen nur ver— schärft. Wenn man den französischen Konzessionegesellschaften recht auf die Füße treten will, dann werden sie sofort nach Paris laufen und sagen: So geht der Deutsche mit wohlerworbenen Rechten um. An der Verbreiterung der sogenannten Würgstelle und ähnlichem hat das deutsche Volk sehr wenig Interesse. Es besteht sehr wenig Sebnsucht, gewisse Kongoteile unserem Besitz an zugliedern. Diese Erwerbungen sind jedenfals kein Aequivalent für das, was wir aufgeben. Man sollte meinen, daß die Deutsche Kolonialgesellschaft, in der doch hervorragende Sachverständige sind, von diesem neuen Kolonialland besonders erfreut wäre Und nun überall Proteste, das Bedauern, daß wir unsere Stellung in Marokko vollständig aufgeben, daß wir deutsches Schutzgebiet auf geben, daß wir dafür einen kleinen Teil des Kongo eintauschen, über dessen Qualität auch der Reichskanzler keinen Zweifel gelassen hat. Was den Fall Lindequist betrifft, so haben wir den Ausführungen des Reichskanzlers entnommen, daß der Staatssekretär von Lindequist vollständig korrekt gehandelt hat. Herr von Lindequist wollte von dieser ganzen Sache offenbar nichts wissen, dasselbe wird vielleicht bei allen anderen Kolonialbeamten der Fall gewesen sein. Es ist schließlich nicht wunderbar, wenn es burchsickert, daß das ganze Koölonialamt anders denkt in dieser Frage der Kolonial⸗ politik als das Auswärtige Amt. Lindequist hat sich als charaktervoller, aufrechter Mann erwiesen. Er hat gezeigt, daß er kein Kleber und kein Streber ist, daß er sein Amt verlassen hat in dem Augenblick, in dem er den ein geschlagenen Kurs nicht als den richtigen erkannte. Ich bedauere nur, daß die offiziöse Presse zum Teil über ihn hergefallen ist und versucht hat, ihn als untauglich hinzustellen, was natürlich ein Vor— wurf gegen den Reichskanzler wäre. Der Reichskanzler hat gefragt, eb wir wegen Marokko Krieg führen sollten. Das wäre nur mög lich gewesen, wenn Lebensinteressen auf dem Spiel gestanden hätten. Wir haben hier nicht die Forderung erhoben, daß territorialer Land— gewinn für uns in Marokko geholt werden sollte. Das hat, abgesehen bon vereinzelten Abgeordneten, keine Partei des Reichstags getan. Damit scheidet diese Frage aus. Das Kriegsmoment ist erst dann in die Debatte geworfen worden, als der Panther“ vor Agadir erschien. Die Meinung war jedenfalls in Deutsch⸗ land und im Auslande, ob mit Recht oder Unrecht, vorhanden: nun legt Deutschland Hand auf dieses Gebiet. Die Behauptung des Reichskanzlers, daß Flankreich Marokko berents vollständig militärisch durchdringe vom Süden an, ist unrichtig. Das südliche Gebiet war frei von Franzosen; hätte man mindestens die Unabhängigkeit des Südens verlangt, so hätte ein solches Pro— gramm wohl die Zustimmung in Deutschland gefunden. Wenn man keinen territorialen Gewinn wollte, auch nicht die Unabhängigkeit des Südens aufrecht erhalten wollte, dann war die Entsendung der Kriegeschiffe überhaupt ein Fehler. Denn die Folgen für die deutsche Politik waren wenig glücklich. Wenn aber die Notwendig. keit, Kriegsschiffe nach Afrika zu entsenden, entstand, weil die Franzosen für Rekriminationen taube Ohren hatten, dann war eine Maßregel, wie diese, die uns den Einspruch Englands auf den Hals brachte, gewiß eine unrichtige. Dann hätte es andere Mittel gegeben, zu demonstrieren, den Franzosen den Ernst der Lage klar zu machen. Ich habe in den Ausführungen des Reichskanzlers gefunden, daß noch in vielen Dingen eine gewisse Politik der Illusionen durchschimmert, die vor der rauhen Wirklichkeit nicht

zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

1941.

standhält. Der Vertrag mit Rußland war eine große Ent— täuschunß. Was das Verhältnis zu Frankreich anlangt, so sieht der Reichskanzler hier die erste Verständigung auf kolonialem Gebiet und eine grundlegende Veränderung der polttischen Stimmmung in beiden Staaten. Ich kann mich nur den Ausführun— gen verschiedener Vorredner anschließen. Das sind Täuschungen. Der alte Groll Frankreichs, der auf den Verlust Elsaß-⸗Lothringens zurückzuführen ist. wird durch dieses Abkommen nicht beseitiat. Im Gegenteil, die Reibungsflächen sind vermehrt, aus dem Abkommen können sich Quellen neuer Streitigkeiten ergeben, zumal wenn man

sieht, welche absonderlichen Zugeständnisse in dem Vertrage den Franzosen bezüglich der Etappenstraßen eingeräumt sind. Aller— dings handelt es sich nur um Verproviantierungen, um Depots, aber dahin wird man auch nicht mit Sonnenschirmen kommen, sondern mit Gewehren, und man wird mit der französischen Flagge in deutsches Gebiet marschieren. Bei den gespannten Verhältnissen, die doch aus allgemeinen politischen Gründen kommen können, kann neuer Stoff für Streitigkeiten sich ergeben, und von einer großen Verbrüderungsperiode sehen wir nichts. Die Sprache Frankreichs gibt zu denken. Ich erinnere Sie an die Rede des französischen Ministerpräsidenten, aus ihr leuchtet der berechtigte Stolz hervor über die Resultate der französischen Kolonialpolimik. Man kann auch sagen, statt eines engeren Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland kann dieses neue Abkommen zur Quelle von neuen Streitigkeiten werden; die Ansprüche der Fxanzosen werden wachsen. Denn es haben in Frankreich schon Erörterungen über die französische Kolonialpolitik stattgefunden, die diese ganze Marokkopolitik nur als einen Anfang anfehen, und daß man ver⸗ suchen wird, die französische Kolonialherrschaft auch noch weiter aus— zudehnen. Wir müssen auch die Folgen bedenken, die für die allgemeine deutsche Politik dadurch eingetreten sind. Als Fürst Bülow abging, stand Deutschland mächtig und stark in der Welt da. Das war eine Politik, die wir hier gebilligt haben, einstimmig mit Ausnahme der Sozial“ demokraten. Als Deutschland sein Schwergewicht in die Wagschale warf und mit Entschiedenheit erklärte, daß es im Kriegsfalle an der Seite seines Verbündeten stehen würde, da war die Einkreisungs⸗ politik, die lange Zeit Deutschland gegenüber beliebt war, zerrissen. Und ist die Tripolisfrage jetzt nicht eine Folge von Agadir? Wenn wir auch dort kein Land weggenommen haben, so ist doch der innere Zusammenhang mit Marokko gegeben. Man hat keinerlei Verein⸗

barungen mit Desterreich und Italien getroffen. So konnten auch die italienischen Staatsmänner selbständig vorgehen. Damit ist die ganze deutsche auswärtige Politik in Gefahr gekommen, wir kommen zwischen zwet Stühle zu sitzen. Auf der einen Seite wird die Hand auf ein mohammedanisches Gebiet gelegt, und auf der anderen Seite wird der mühsam errungene Einfluß in der Türkei in Frage gestellt. Wir sind, mit stolzen Schiffen nach Agadir gefahren. Es war eine Begeisterung in ganz Deutschland, die Sozial⸗ demokraten ausgenommen, als dies ins Werk gesetzt wurde. Deutschland schien als Schützer der Unabhängigkeit Marokkos dazustehen. Heute stehen wir aber vor einer Niederlage —, ob das hier ausgesprochen oder verschwiegen wird, ist gleich. Wenigstens steht es in der ganzen deutschen Presse zu lesen und wird auch in den Versammlungen aller politischen Parteien aus— gesprochen. Wenn wir heute sehen, wie es aufschäumt in Deutsch⸗ land, wie die Proteste erfolgen, wenn wir hören und sehen, wie die Besten unseres Volkes es schmerzlich empfinden, daß von den Macht— mitteln des Deutschen Reiches nicht der Gebrauch gemacht worden ist, den wir erhofften, daß wir aus dem ganzen Marokkostreit herausgehen unter starker Gefährdung unserer allgemeinen Politik, unter Eintausch von Kempensationen, deren Wert zum mindesten zweifelhaft ist, dann können wir eine solche Politik nicht billigen. Wir müssen uns ja abfinden mit dem mager 'n Vergleich. Aber dies Empfinden habe ich, daß sich unsere Blicke richten müssen auf das deutsche Heer und die deutsche Marine. Wir haben die volle Ueberzeugung, daß unsere Heeres- und Marineverwaltung bereit ist, und daß unsere Machtmittel in der Verfassung sind, daß wir in jedem Augenblick auch im Ernstfalle auftreten können. Wir müssen aber den Wunsch aussprechen, daß, wenn irgendwo Lücken vorhanden sind, sei es in der Armee, sei es in der Flotte, wie es von seiten des Flottenvereins behauptet worden ist, daß man dann den festen Entschluß und den Willen hat, unbekümmert darum, welcher Eindruck durch eine eventuelle Vermehrung unserer Flotte hervorgerufen wird, diese Vermehrung sofort vorzunehmen. Wir wünschen, daß sich unsere auswärtige Politik ihrer Verantwortung bewußt ist und sich frei hält von allen theatralischen Effekten, und daß sie so aus— fällt in ihren Endresultaten, eine energische Politik es wünschen muß; denn sie das haben die Vorgänge dieser Monate gezeigt, getragen von einem starken Nationalempfinden. In all dem Unerfreulichen, was diese letzten Monate zutage ge— fördert haben, ist ein großes ionales Moment, die Tatsache, daß über ganz Deutschland ein starkes nationales Empfinden, eine Kriegsbereitschaft, es sein mußte, gegangen ist, daß jeder einzusetzen für die

wenn bereit ist, sein Blut und seine Ehre deutsche Nation, für das deutsche Vaterland. Das Ausland mag sich darüber klar sein, daß wir unserer nationalen Ehre nicht zu nahe treten lassen, und daß, wenn es darauf ankommt, mit der Waffe Deutschland zu verteidigen, das Ausland ein einiges Deutschland finden wird.

Darauf wird gegen 6 Uhr die Fortsetzung der Be⸗

ratung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Jagd.

Offizieller Streckenrapport der am Dienstag, den 7, und Mittwoch, den 8. November 1911 in der Göhrde abgehaltenen Hofjagd.

In einer am 7. Nachmittags unweit des Jagdschlosses im Forstort »Lissauer Berge“ abgestellten Suche mit der Findermeute auf Sauen, einem am 8. Vormlttags im „Breeser Grund' in hohen Tüchern stehenden Hauptsagen auf Rotwild und einem am Nachmittage ab— gehaltenen Schlußjagen mit der Findermeute auf Sauen sind 2 starke Muffelböcke, 50 Hirsche, 136 Stück Kahlwild und 331 Sauen zur Strecke gebracht. Davon entfallen auf die Sonderstrecke Seiner Majestät des Kaisers und Koönigs die beiden Muffelböcke

erste Produkte dieser vor 10 Jahren durch Herrn Oskar Tesdorpf aus Hamburg in die Göhrde eingeführten edlen Wildart —, 20 Hirsche, 2 Tiere, 47 grobe und 3 geringe Sauen. Weiter erlegten Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz Eitel⸗Friedrich 8 Hirsche, 8 Tlere, 8 grobe, 16 geringe Sauen, Prinz Adalbert 2 Hirsche, 20 Tiere, 2 grobe, 15 geringe Sauen, Prinz Joachim 2 Hirsche, 7 Tiere, 4 grobe, 14 geringe Sauen und Seine Hoheit der Herzog Friedrich Ferdinand zu Schleswig-Holstein⸗Sonderburg⸗ Glücksburg 6 Hirsche, 20 Tiere, 6 grobe und 15 geringe Sauen. Das Wetter war, namentlich am zweiten Jagdtage, prachtvoll.

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