1911 / 269 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Nov 1911 18:00:01 GMT) scan diff

samten Presse ist das Vorgehen der Generaldirektion verurteilt worden, auch von der „Elsaß, Lothringischen Landeszeitung“, dem Jentrumsorgan. Wird auch hier das Zentrum das Vorgehen der

ehörde verurteilen? Schuld an den ganzen Vorgängen ist die Eisen⸗ bahnverwaltung; es muß ein anderes Verhalten gegen die Eisenbahn⸗ arbeiter Platz greifen.

Preußischer Minister der Breitenbach:

Meines Herren! Daß ich in wesentlichen Punkten in der Be⸗— urtellung der Vorgänge, die uns der Herr Vorredner vor Augen ge— führt hat, von ihm abweiche, wird vorausgesetzt werden können, und zwar sowohl in rechtlicher wie zum Teil auch in tatsächlicher Beziehung.

Der Herr Vorredner wirft der Verwaltung der Relchseisenbahnen, in specie der Generaldirektion vor, daß sie gegen die Bestimmungen des Reichsvereinsgesetzes gehandelt und daß sie das freie Koalitions⸗ recht der Arbeiter in unzulässiger Weise eingeschränkt habe.

Das Reichsvereinsgesetz regelt, wie bei seiner Durch— beratung und auch später von dem zuständigen Vertreter der ver— bündeten Regierungen haarscharf auseinandergesetzt worden ist, lediglich die polizeilichen Beschränkungen der Vereins, und Versammlungs— freiheit. Es schafft Rechtsnormen zwischen den Reichsangehörigen, die Vereine bilden und Versammlungen abhalten wollen, und denjenigen Behörden, die in den Bundesstaaten zur polizeilichen Regelung des Vereinswesens berufen sind. Es läßt völlig unberührt Rechtsverhält nisse, wie sie sich aus der väterlichen Gewalt ergeben (lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten), aus der väterlichen Gewalt, aus den Befugnissen des Lehrherrn, für die Beamten aus den Disiplinar— befugnissen der Behörden und Behördenchefs. Insbesondere ist aber auch die Frage, welche Stellung der Arbeitgeber gegenüber den Ver⸗ einigungsbestrebungen seiner Angestellten zu nehmen hat, durch das Reichsvereinsgesetz nicht berührt worden. (Sehr richtig! rechts Es sind durch dasselbe alle die Rechtsverhältnisse, die durch den Arbeits— vertrag geregelt worden sind, in keiner Weise ausgeschaltet.

Von diesen unverrückbaren Gesichtspunlten wird man die Be— schwerden, die uns der Herr Vorredner vorgetragen hat, zu prüfen haben. Wie allen Reichsangehörigen steht auch den Beamten und Arbeitern der Reichseisenbahnverwaltung das Recht zu, sich in Ver— einen zusammenzuschließen, Versammlungen abzuhalten. Es ist ganz selbstverständlich, es ist eine selbstverständliche Pflicht der Verwaltung, dieses bedeutsame staatsbürgerliche Recht, das Vereinsrecht, nicht über dasjenige Maß hinaus einzuschränken, welches durch die besonderen Bedürfnisse des Eisenbahnbetriebes bedingt ist. (Zurufe von den Sozialdemokraten: Ueberhaupt kein Einschränkungsrecht! Glocke des Präsidenten.)

Tatsächlich hat auch die Verwaltung der Reichseisenbahnen den Bestrebungen ihrer Beamten und Arbeiter, sich zusammenzuschließen, in keiner Weise Hindernisse in den Weg gelegt mit den Aus— nahmen, die ich nachher erläutern werde —; im Gegenteil, man kann geradezu behaupten: das Bestreben, sich zu vereinigen, wird gefördert. Ich erinnere nur daran, daß die Verwaltung Beamten und Arbeitern Urlaub und freie Fahrt zur Abhaltung von Versammlungen erteilt, daß sie ihnen gestattet, die Ankündigung der Ver— sammlungen an amtlicher Stelle bekannt zu geben. Unter dieser Behandlung der Dinge hat sich auch im Gebiet der Reichseisenbahnen eine große Zahl von Vereinen gebildet ich spreche nicht von Vereinen, die sich einer besonderen Förderung seitens der Verwaltung erfreuen, obwohl auch sie wirtschaftliche und gemein nützige Zwecke verfolgen; ich spreche nur von den Fachvereinen und gewerkschaftlichen Bildungen, die aus der freiesten Entschließung unserer Beamten und Arbeiter hervorgegangen sind. Solcher bestehen im Gebiet der Reichseisenbahnen nicht weniger als 50. Alle diese haben bisher im wesentlichen in Frieden mit der Verwaltung gewirkt, sie haben die Wünsche derjenigen, die sich in ihnen vereinigt haben, der Verwaltung vorgetragen es sind vielfältige Wünsche, auch Be⸗ schwerden ein großer Teil dieser Wünsche und Beschwerden ist befriedigt worden. Diese Vereine alle darauf lege ich den Hauptton haben nicht im Gegensatz zur Verwaltung gewirkt, darum haben sie auch etwas erreicht.

Meine Herren, ein großer Betrieb, wie es derjenige der Eisen« bahnen ist, kann nur bestehen, er kann die großen wirtschaftlichen Zwecke dauernd nur erfüllen, wenn in ihm eine stramme Zucht und Ordnung herrscht. (Lebhafte Zustimmung rechts. Dies gilt in allererster Linie von einem Betriebe an der West⸗ grenze Deutschlands. (Erneute lebhafte Zustimmung rechts.) Diejenigen, die es für angezeigt halten, in diesen Betrieben Dienste zu tun, sei es als Beamte oder als Arbeiter, werden sich gewisse Ein—⸗ schränkungen in der Ausübung ihrer staats bürgerlichen Rechte gefallen lassen mässen, insowelt es die Sache erfordert, der sie zu dienen haben (sehr wahr! rechts) . Insbesondere ist es nicht gestattet und wird niemals erlaubt werden, daß sich unsere Angestellten dazu verleiten lassen, Bestrebungen zu fördern, die auf den Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichtet sind (bravo! rechts), also, um es deutlich zu sagen, sich für die Sozialdemokratie zu betätigen. (Erneutes Bravo rechts) Ebenso kann es nicht geduldet werden, daß sie die Arbeits—⸗ einstellung als ein erlaubtes Mittel zur Durchsetzung ihrer wirtschaft⸗ lichen Ziele und anderer Zwecke betrachten. Und nun ganz allgemein: es kann keineswegs geduldet werden, daß sie ihren Vorgesetzten mit Mißachtung begegnen, daß sie ihnen den Gehorsam verweigern, daß sie ihre Mitarbeiter zum Widerstand gegen dieselben auffordern. (Sehr richtig! rechts.)

Damit komme ich auf einen Punkt, den der Abg. Emmel in seiner Rede berelts berührt hat: er hat geglaubt, ich hätte mich mit früheren Aeßerungen, die ich getan habe, in Widerspruch gesetzt, indem ich aukeinandersetzte, unter welchen Umständen die Vereins, und Ver— sammlungsfreiheit beschränkt werden müßte, nämlich dann, wenn es sich um sozialdemokratische Versammlungen handelt und um solche Versamm lungen, die den Streik proklamieren. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir von dem Recht, das jedem Arbeit geber zusteht, die Disziplin aufrecht zu erhalten, in hervorragendem Maße in diesem Betriebe Gebrauch machen müssen (sehr richtig! rechts); denn sonst können wir den Betrieb nicht führen.

Meine Herren, mit dieser Beschränkung sind die Grenzen bezeichnet, die wir der Vereins- und Ver⸗ sammlungsfreiheit unserer Angestellten aus zwingender Notwendigkeit ziehen müssen. Wer, wie ich, hier heute vor der Oeffentlichkeit, vor dem Reichstage dafür einzustehen hat, daß dieser große Betrieb, mag es im Reiche oder in Preußen sein, ord— nungtmäßig funktioniert, wird es niemals hinnehmen können, wird es

öffentlichen Arbeiten von

niemals dulden wollen, daß diese Grenze, die ich soeben gezogen habe, überschritten werde. (Sehr richtig! rechts) Ganz selbstverständlich bin ich, ist die Generaldirektion der Reichseisenbahnen in Straßburg an die Gesetze gebunden; sie ist ihrerseits durchaus nicht befugt, einen Verein auf Grund des Reichsvereinsgesetzes aufzulösen, sie ist auch nicht befugt, Beauftragte im Sinne des § 13 dieses Gesetzes ich betone den polizeilichen Charakter in Versammlungen abzuordnen, wohl aber hält sie sich für befugt, von ihren Angestellten zu ver⸗ langen, daß sie Beauftragte der Verwaltung zu denselben zulassen sie ist befugt, ihre Wünsche in Form einer Weisung zu kleiden. Wer einer solchen Weisung nicht folgt, macht sich nach Auffassung der Verwaltung einer Gehorsamsverweigerung schuldig, einer Weigerung, die um so weniger am Platze ist, als es durchaus im Interesse der Angestellten wie der Verwaltung liegt, die Beschwerden unmittelbar kennen zu lernen, und ich gehe weiter als es unter Umständen durchaus im Interesse der Verwaltung liegt, sofort an Ort und Stelle Irrtämer zu berichtigen. Ich würde es daher nicht billigen können, wenn ein Beauftragter der Verwaltung es auf Anfrage ablehnt, eine ihm mögliche tatsächliche Aufklärung zu geben, die irrtümliche Vorstellungen berichtigt. Wenn nun ein Arbeiter diese Grenzen, die ihm gezogen werden müssen, ich möchte sagen, aus einem kategorischen Imperativ heraus, überschreitet, dann bleibt der Verwaltung nichts anderes übrig, als am letzten Ende, im schlimmsten Falle von ihrem vertragsmäßigen Kündigungsrecht Gebrauch zu machen. Kein Gesetz verbietet es, und in den fünf Fällen, die uns der Herr Vorredner mitgeteilt hat, ist nichts weiter geschehen, als daß die Verwaltung von ihrem vertrags⸗ mäßigen Kündigungsrecht Gebrauch gemacht hat, weil sich die be—⸗ treffenden Angestellten der Achtungsverletzung, des Hetzens gegen die Verwaltung der Gehorsamsverweigerung schuldig gemacht haben. (Hört! hört! rechts) Ganz vasselbe hätte geschehen müssen, ob diese An⸗ gestellten einem Verein angehörten oder nicht. Damit beantwortet sich auch die Frage, ob denn die Verwaltung die Koalitionsfrelheit ihrer Angestellten in unzulässiger Weise eingeschränkt habe. Der Herr Abg. Emmel war berelts seinerseits so vorsichtig, zu betonen, daß eine Berufung auf die Bestimmungen der Gewerbeordnung nicht angehe, weil die Gewerbeordnung auf die Eisenbahnen keine Anwendung finde, und trotzdem sieht er in dem Vorgange eine Verletzung der Koalitions⸗ freiheit; er sagt: es sind ja alle Beschränkungen der Koalitionsfreiheit, wo sie auch bestanden haben, aufgehoben. Ja, meine Herren, folgt denn daraus, daß dem Arbeitgeber nunmehr denn auch die Rechte eingeschränkt sind, die er aus dem Arbeltsvertrage herleitet? In dem Arbeitsvertrage, den wir mit unseren Arbeitern schließen, im Reich wie in Preußen es sind die sogenannten gemeinsamen Bestimmungen steht unter anderen ausdrücklich, daß die Leute erstens ihrem Vorgesetzten Ge— horsam schuldig sind, zweitens aber, daß sie sich nicht ordnungsfeind⸗ lichen Vereinen und Bestrebungen anschließen sollen. Also ein Ange—⸗ stellter der Verwaltung, der den Gehorsam verweigert, der der Ver⸗ waltung und deren Beauftragten mit Mißachtung begegnet, setzt sich der Gefahr aus, entlassen zu werden, genau wie jeder andere Arbeit geber es tut und wie Sie, meine Herren, es in Ihrer eigenen Partei wiederholt getan haben. (Sehr richtig! rechts. Widerspruch und Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Ich gehe nunmehr über zur Beleuchtung der Vorgänge, die der Herr Abg. Emmel uns hier ausführlich vor Augen geführt hat. Ich werde mich meinerseits der größten Kürze befleißigen, ich kann es, da er ja vieles vorgetragen hat, was tatsächlich zutrlfft.

Im Herbst 1910 hat sich der von dem Herrn Abgeordneten bereits nominierte Verband der Eisenbahnarbeiter von Elsaß⸗ Lothringen und Luxemburg gebildet, er hat sein Statut vorgelegt, und in dem Statut stand, was der Herr Abgeordnete mitgeteilt hat. Die Statuten werden ja nicht zur Genehmigung vor⸗ gelegt, sondern zu dem Zwecke, feststellen zu können, daß ein solcher Verein nicht Ziele erreichen will, die mit den grund— legenden Bestimmungen des Arbeitsvertrags in Widerspruch stehen. Man kann also nicht sagen, daß es sich um förmliche Genehmigung handelt. Immerhin verlangt die Verwaltung und muß sie verlangen, daß sie von Vereinsbildungen Kenntnis erhält.

Der elsaß⸗lothringische Verband hat sich alsbald in einen scharfen Gegensatz zur Verwaltung gestellt; er unterscheidet sich von allen anderen Vereinen, die wir auf dem Gebiete der Reichseisenbahnen haben, er hat nicht mit der Verwaltung gearbeitet, sondern er hat gegen sie gearbeitet.

Znnächst will ich eines Vorgangs Erwähnung tun, den der Herr Abg. Emmel nicht herausgehoben hat, er ist aber durchaus charakte⸗ ristisch: Ein Ortsverein dieses Verbandes hält in Straßburg eine Versammlung ab und ladet alle Eisenbahner dazu ein. Er fordert einen der Arbeiterausschüsse, die in Straßburg bestehen, und die aus der freien Wahl der Arbeiterschaft hervorgehen, vor sein Forum und verlangt von ihm eine Rechtfertigung über seine Tätigkeit. Eine Neuwahl dieses Arbeiterausschusses stand unmittelbar vor der Tür. Der Arbeiterausschuß lehnte jenes Ansinnen ab. Darauf beginnt eine heftige Agitation von selten des Verbandes und die Folge davon ist, daß bei den Neuwahlen nur Organisierte, nur Mit⸗ glieder des Verbandes, in den Arbeiterausschuß gewählt werden. Der Arbeiterausschuß ist also nicht Vertreter der gesamten Arbeiterschaft; er ist nicht aus der freien Wahl der Arbeiter⸗ schaft hervorgegangen (Lachen bei den Sozialdemokraten), er ist nur noch ein Organ des Verbandes. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Das nenne ich einen unzulässigen Druck, einen Druck, dem die Ver— waltung mit allen ihr erlaubten Mitteln entgegentreten muß.

Was dle von Heirn Abg. Emmel zur Sprache gebrachten Einzel— fälle anlangt, so würde ich die Namen der Betreffenden nicht nennen; da es aber der Herr Abgeordnete getan hat, so folge ich ihm. Es handelt sich zunächst um den Fall des Schmiedes Oertel. Dieser Schmied Oertel hat in einer von ihm geleiteten Versammlung zu Metz in sehr scharfer Rede die Verwaltung kritisiert. (Zuruf bei den Sozialdemokraten) Meine Herren, wir sind wirklich in dieser Beziehung nicht feinfühlig; wir lassen ein großes Maß von Kritik über uns ergehen; wir wissen ja, daß sich die Leute aussprechen müssen und scharf aussprechen wollen, damit es Wirkung macht. Wir schreiten nur dann ein, wenn tatsächlich Un⸗ richtiges behauptet wird, wenn die Kritik eine gehässige und hetzerische ist, und das ist sie in diesem Falle gewesen. Was hat der Schmied Oertel unter anderem behauptet er hat es zugegeben Das Akkordspstem müsse abgeschafft werden das kann er sagen. Er fuhr aber fort: Wenn der Arbeiter dabei gut verdiene, setze die Ver⸗ waltung den Akkord so lange herunter, bis der Arbeiter erschöpft sej und nicht weiter arbeiten könne. Das ist eine tatsächliche Unrichtig⸗

keit. Er hat, verantwortlich vernommen, gesagt: jawohl, so etwas habe ich gesagt; das hat sich aber nicht auf die Eisenbahnverwaltung bezogen. Er sprach aber nur vor Eisenbahnern! Weiter soll er gesagt haben das bestreitet er —: die Arbeiter müssen durch ihre Organi⸗ sation für Besserung sorgen, damit sie nicht wie das liebe Vieh zu leben brauchten (Lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Der Herr Abg. Emmel hat wie bereits in der Etatsverhandlung die Beauftragten der Verwaltung, die ihre Pflicht tun, die nichts anderes tun als ihren Auftrag ausführen, Spitzel genannt; er hat sie heute lügenhafte Spitzel genannt. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Dagegen erhebe ich Einspruch; das ist eine unerhörte Schmähung pflichttreuer Beamten. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Oertel hat weiter tatsächlich Unrichtiges behauptet, z. B. daß der Erholungsurlaub ganz willkürlich von den Vorgesetzten erteilt werde. Er hat zugeben müssen, daß ihm nur ein einziger Fall der Versagung bekannt war. Was ist nun geschehen? Die Behauptungen waren so kraß, so hetzerisch, so ur wahr, daß dieser alte Arbeiter sofort hätte entlassen werden müssen. Das ist nicht geschehen. Die Verwaltung hat eine Erklärung mit ihm vereinbart, die im Verbandsorgan veröffentlicht werden sollte. Das hat er auch getan; aber vor die Erklärung hat er gesetzt Herr Emmel hat es vorgelesen —:

Ich komme hiermit dieser Aufforderung nach, obwohl ich mit den in der Zuschrift gemachten Anmaßungen und Erklärungen nicht einverstanden bin.

(Bravo und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Das war also pro nihilo. Darauf ist der Arbeiter, so leid es uns tut, so alte tüchtige Arbeiter zu entlassen, wegen schwerster Achtungsverletzung entlassen worden. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Ich komme jetzt zum Mülhauser Fall. Der Mülhauser Orts— verein hält eine Versammlung ab, in diese Versammlung wird ein Werkmeister der dortigen Verwaltung abgeordnet. In der Verhandlung wird dem Beamten nach einiger Zeit erklärt, nunmehr habe er zu gehen, es würden persönliche Angelegen— heiten verhandelt wie es der Herr Abgeordnete gesagt hat. Der Mann hat sich gesträubt; es wurde aber ein einstimmiger Be⸗ schluß gefaßt, und der Beamte ist gezwungen gewesen, den Ver⸗ handlungsraum zu verlassen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Dies ist geschehen das hat auch der Herr Abgeordnete zugegeben —, nachdem der Vorstand des Vereins ausdrücklich darauf hingewiesen war, daß es eine Anordnung der Verwaltung sei, daß ihre Angestellten in den Versammlungen erscheinen. Meine Herren, ein solcher Vor— gang ist sicherlich geeignet, die Autorität der Verwaltung in höchstem Maße zu gefährden. Die Generaldirektion hat es daher für richtig gehalten und ich habe diese ihre Entscheidung meinerseits be⸗ stätigt daß diejenigen, die dafür verantwortlich zu machen waren, die Arbeiter Schmidt und Schalk, wegen Gehorsamsverweigerung entlassen wurden. (Sehr richtig! rechts.) Ich bemerke ich habe das bereits bei den Etatsverhandlungen hier ausgeführt —, daß es einer feststehenden Uebung in der ganzen Verwaltung der Reichseisenbahnen und der preußischen Staatseisenbahnen entspricht, daß Beamte der Verwaltung den Versammlungen beiwohnen. Nicht allen Versammlungen, vielmehr wird, um feststellen zu können, ob üũber⸗ haupt ein solches Interesse vorllegt, daß es sich verlohnt, die Vor⸗ legung der Tagesordnung gewünscht. Die Vereine aller Art sehen ihrerseits die Abordnung gern, und es hat sich da eine feste Praxis ge⸗ bildet. Dieselbe Frage ist im preußischen Abgeordnetenhause be⸗ handelt worden, sie ist bei den diesjährigen Etatsverhandlungen in diesem hohen Hause verhandelt worden. Es ist hier und im Abge⸗ ordnetenhause von Abgeordneten, die den Arbeiterkreisen mindestens ebenso nahe stehen wie Sie (zu den Soz.), mir bestätigt worden, daß das ein durchaus berechtigtes und angemessenes Verlangen sei.

Nun, diese beiden Fälle, der Metzer und der Mühlhauser, sind in dem Verbandsorgan einer Kritik unterzogen worden. Der Herr Abgeordnete hat bereits einiges aus der Kritik verlesen. Sie setzt damit ein:

Die Kollegen Schmidt und Schalk sind im Ningen um das Recht auf der Strecke geblieben.

Es war hiermit also ausgesprochen, daß sich die Verwaltung einer schweren Rechtsverletzung schuldig gemacht habe. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Ein Dritter im Bunde, der Kollege Oertel, mußte folgen. Er fiel

auch im Kampfe ums Recht. Angesichts aller dieser Vorgänge, die sich wiederum auf den Verband der Eisenbahnarbeiter beziehen, hat sich die Verwaltung der Reicht— elsenbahnen veranlaßt gesehen, den Fall ebenso ernst zu behandeln, und so schwer es ihr geworden ist, hat sie die beiden Arbeiter, die für den Artikel verantwortlich waren, entlassen. das ist ein schwerer Entschluß für die Verwaltung, die ihrerseits auf

schaft wahrzunehmen (Widerspruch bei den Sozialdemokraten), durchaus im Gegensatz zu den Herren Vertretern der Sozialdemokratie. Das

zu Jahr sichtbar. (Lachen bei kümmern uns sehr eingehend Arbeitsbedingungen, die eigentlichen

beiter. (Abg. Em mel: Und die Beschaffung von Maulkörbenh Wer das bestreitet, dem teile ich mit, daß die Verwaltung der Reichkt⸗ eisenbahnen vom Jahre 1904 bis heute die Löhne um 283 G erböbt

Jahr Wir

steigerungen sind größer gewesen als die Steigerung des Lebensunter⸗ halts, sodaß, wie ruhige, . die Lebenshaltung der Arbeiter eine bessere geworden ist.

fassung der Verwaltung außerordentlich ernst, antwortliche Ressortchef hoffe, daß sich die bürgerlichen Parteien dieses Hauses in Würdigung der schwierigen Situation und der großen Bedeutung der Frage auf den Standpunkt der Verwaltunß stellen werden und stellen können.

Ich möchte nicht unterlassen, eine ganz allgemeine Bemerkun⸗ einfließen ju lassen. Sie wisfen, daß die Sozialdemo kratit bestrebt ist, das Verhältnis des Arbeitgebers zum Arbeitnehmet dadurch zu eischüttern, daß sie die Autorität stãndig angreift und das Vertrauen erschüttert (Lachen bei den Sol)

und einem Ressortchef gegenüber an,

Beamten und Arbeitern unterstehen. Das ist System.

Meine Herren, ich betone,

das lebhafteste bestrebt und bemüht ist, die Interessen ihrer Arbeiter⸗ ö.

soziale Empfinden der Verwaltung, möchte ich sagen, steigert sich von den Sozialdemokraten. und dauernd um die Lebensbedingungen der Ar⸗

hat. (Zurufe bei den Soz.: Und die Lebensmittelpreise) Die Lohn . sachverständige Beurteiler bestätigen,

Meine Herren, so liegen die Fälle. Sie liegen nach der Aut . und ich als der ver

und diese Taktik wendet sie mit größter Schärfe einer Verwaltun dem viele Hunderttausende bol Mein Herren, dieses heiße Werben der Sozialdemokratie um unsere Ar . gestellten nimmt von Jahr zu Jahr zu. (Sehr richtig! bei den ö

Sosialdemokraten) Wer daran zweifeln wollte, erinnere sich des Ausspruchs, den der in Ihren Kreisen angesehene Fraktionskollege, der Herr Abgeordnete Legien auf dem Mannheimer Parteitag, ich glaube es war im Jahre 1906, getan hat. Er sagte wörtlich es kommt mir darauf an, das wörtlich festzustellen:

Um das Getriebe des Staates lahmzulegen, bedürfen wir in erster

Linie der Organisation der Transportarbeiter (hört hört! rechts und in der Mitte)

insbesoundere der Eisenbahnarbeiter. (Wiederholtes lebhaftes Hört, hört Er beklagte, daß die Organi⸗ sation der Arbeiter noch nicht genügend vorgeschritten sei. Wir wissen ganz genau, daß seit jener Zeit die Sozialdemokratie die gewaltigsten Anstrengungen macht, um unsere Arbeiter, und wenn es anginge, auch unsere Beamten, zu organisieren und sie ihrem Zwecke dienstbar zu machen.

Wer die Folgen der Organisation in allen unseren Nachbar- staaten beobachtet hat, wer die furchtbaren Wirkungen auf das Volks— wohl zuverlässig festgestellt hat, der wird der Meinung sein müssen, daß es eine der wesentlichsten Aufgaben der Verwaltung ist in diesem Falle der Reichseisenbahn⸗ und der preußischen Staatseisen⸗ bahnverwaltung —, diesen Bestrebungen der Sozialdemokratie einen Riegel vorzuschieben. (Bravo! rechts. Damit erwirbt sich die Ver⸗ waltung das Anrecht auf den Dank von Reich und Staat. (Leb⸗ haftes Bravo h

Auf Antrag des Abg. Bebel (Soz.) tritt das Haus in die Besprechung der Interpellation ein. Für die Besprechung stimmen außer den Sozialdemokraten die Freisinnigen, das Zentrum und ein Teil der Reichspartei.

Abg. Becker ⸗A1Arnsberg (Zentr.): Wir sind mit der Verwaltung darin einig, daß die Verkehrsverwaltung in Deutschland alles tun muß, um die Bestrebungen der französischen Sozialisten nicht in dem süddeutschen Verkehrsgewerbe einreißen zu lassen. Aus den Dar⸗ stellungen des Interpellanten und des Ministers wird der Dritte sich mit ziemlicher Sicherheit ein Bild von den wirklichen Vor— gangen machen können. Ich kann nicht umhin, dem Staatsminister offen zu erklären, daß ich unbeschadet der Notwendigkeit, im Eisen—⸗ bahnbetriebe die Disziplin unter allen Umständen aufrecht zu erhalten, es doch nicht für richtig anerkennen kann, daß die Verwaltung bei Verletzungen dieser Disziplin sogleich das größte Geschütz auffährt, zumal wenn es sich um Persönlichkeiten handelt, die 25 Jahre im Dienste gewesen sind und Belobigungen erhalten haben. Es wäre vielleicht ausreichend gewesen, den Leuten eine scharfe Verwarnung zu erteilen oder sie vielleicht im Interesse des Dienstes zu versetzen. Aber die Arbeiter gleich brotlos zu machen, geht etwas weit. Daß die Mitglieder des Verbandes sich bemüht haben, den Ausschuß mit seinen Mitgliedern zu besetzen, ist an sich noch nicht tadelnsmert. Bei diesen Wahlen entscheidet doch die Mehrheit. Ib es richtig ist, bei den Wahlen nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation die Kandidaten auszuwählen, lasse ich dahingestellt, besser wäre es, man täte es nicht. Aber ich möchte diesen unerwünschten Vorgang noch nicht als Grund ansehen, mit solchen Maßnahmen vorzugehen. Von Mitgliedern der christlich⸗nationalen Eisenbahnerorganisation ist mir mitgeteilt worden, daß eine Meinungsverschiedenheit zwischen den elsaß⸗lothringischen Eisenbahnern und denen der preußisch-hessischen Gemeinschaft darüber besteht, ob Beamte sich an den Verhandlungen der Organisationen beteiligen sollen. Die Mitglieder der preußisch⸗ hessischen Eisenbahngesellschaft, soweit sie organisiert sind, und der Christliche Verband haben vor einiger Zeit Direktionsversammlungen in Münster und Kassel abgehalten und hierzu die Vertreter der Eisenbahn⸗ verwaltung eingeladen. Diese sind aber nicht erschienen. Die Delegierten haben sich über diese Nichtteilnahme der Verwaltung beschwert und dies auch den Eisenbahndirektionen in Kassel und Münster mitgeteilt. Die Vertreter der Arbeiter sind der Meinung, daß es notwendig und erwünscht ist, daß Vertreter der Eisenbahnverwaltung sich an den Konferenzen der Eisenbahnarbeiter beteiligen, um deren Wünsche kennen zu lernen. Wenn in solchen Versammlungen nicht ein Ton herrscht wie in einem Töchterpensionat, so braucht man doch nicht gleich gegen solche Arbeiter vorzugehen. Im vorigen Jahre hat sich der Abg. Hormann auch darüber beschwert, daß bei der Sitzung des Kartells der Staatsarbeiterverbände die Regierung keinen Vertreter hingeschickt hat, und die Sozialdemokraten haben es früher selbst kritisiert, daß die Regierung sich auch nicht bei den Gewerkschafts⸗ kongressen hat vertteten lassen. Daß die entsandten Beamten keine Spitzel sein dürfen, ist selbstverständlich. Es müssen solche sein, die nicht irgendein Wort erhaschen, um den Arbeitern einen Strick zu drehen, sondern die den nötigen Takt und das nötige Verständnis für die Wünsche der Arbeiter besitzen. Der Minister wird auch nicht bestreiten können, daß sehr oft Fälle vorkommen können, wo die Arbeiter unter sich einmal eine kleine schmutzige Wäsche waschen wollen, wo also die Teilnahme eines Be⸗ amten' unerwünscht ist. Bei gegenseitigem Vertrauen und not— wendigem Wohlwollen und Takt wird sich über die Teilnahme der Beamten an solchen Verhandlungen der Eisenbahner eine Verständi⸗ gung zwischen den Arbeitern und der Verwaltung immer erzielen sassen. Ueber das Streikrecht der Arbeiter ist hier und in einzelnen Landtagen eingebend verhandelt worden. Ich will nur konstatieren, daß die nichtsozialdemokratischen Eisenbahnerorganisationen selbst das Streikrecht aus ihren Statuten ausgeschlossen haben. Solange sie

dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterstellt sind, verlangen sie die weitestgehende Muwirkung der Arbeiterausschüsse hei , ,,. der Arbeits- und Lohnverhältnisse, den organischen Ausbau der Arbeiter ausschüsse zu Direktionsausschüssen, um ihre Wünsche vorzutragen. Sie wünschen weiter Sicherung der Existenz nach einer bestimmten Tätigkeitsdauer in den Eisenbahnbetrieben, etwa nach zehn Jahren. Wenn ich mich recht entsinne, hat der Minister in dieser Richtung den Eisenbahnarbeitern auch Entgegenkommen versprochen. Es muß ihnen schließlich auch im Falle der Entlassung eine Beschwerdeinstanz gegeben sein. Ein solches Aequivalent muß ihnen für den freiwilligen Verzicht auf das Streikrecht gewährt werden. Die bürgerlichen Parteien sind betreffs dieses Verzichts und des Aequivalents dafür durchaus einer Meinung; auch die Nationalliberalen baben im vorigen Jahre durch den Mund des Abg. Schwabach sich damit einverstanden erklärt, noch präziser die Redner der freisinnigen Volks⸗ partei. Alle auf diefem Standpunkt stehenden nichtsozialdemo⸗ kratischen Eisenbahnarbeiterorganisationen repräsentieren mindestens I0 oo aller EGifenbahnarbeiter. Wenn diese Leute so weitherzig sind, freiwillig auf das Streikrecht zu verzichten, so verdienen sie ganz be⸗ sonders das Vertrauen und die Fuͤrsorge der Verwaltung, und es sollte gegen sie, im Falle einmal ein scharfes Wort fällt, nicht sofort mit der äußersten Strenge disziplinarischen Einschreiteng vorgegangen werden. Es häufen sich aber die Fälle, daß ihr Koalitionsrecht in unberechtigter Weife eingeschränkt., und eingeengt wird. Eine Benachteiligung des Arbeiters, bloß weil er einer, gewerk— schaftlichen Drganisation angehört, verstößt. gegen die guten Sitten und ff unerlaubt; hier besteht im 5 155 der Gewerbe⸗ ordnung eine Lücke, die unbedingt ausgefüllt werden muß. Die Derren, die daz. Recht des Volkes nicht. respektieren, müssen eben durch die e h bun zur Raison gebracht werden. Haben aber gerade die Sozialdemokraten das Vorrecht, eine solche

Interpellation wie die hentige einzubringen und die verbündeten Re— erungen aufzufordern, das Koalitionsrecht der Eisenbahnarbeiter zu

ĩ

chüßen? Ihnen feblt' die Legitimation dazu; erst müssen sie dafür sorgen, daß von '. erg das Koalitlonsrecht der nichtsozial—⸗ demokratischen Arbeiter respektiert wird. Die Buchdrucker, die dem christlich nationalen „Gutenbergbunde“ angehören, vermögen sich in der Reichsdruckerei nicht zu halten; sie werden gezwungen, aus⸗ zutreten, weil sie sonst ihre Stelle dort nicht behaupten können.

Wir könnten alfo auch den Reichskanzler fragen, was er ju tun

gedenkt, um das Koalitionsrecht der nichtsozialdemokratischen Arbeiter in der Reichsdruckerel gegen, die Angriffe der sozial⸗ demokratischen Gewerkschaften zu schützen. (Zuruf des Abg. Emm el ) Sie brauchen gar nicht so nervös zu sein, Herr Emmel; beseitigen Sie un sere berechtigten Beschwerden, und ich sage kein Wort mehr. Kleine Häkeleien kommen zwischen Arbeitern ver— schiedener Organisation überall vor; aber Dinge wie eine der⸗ artige Behinderung von Arbeitern in Stagtsbetrieben, sind keine kleinen Häkeleien mehr. Die sozialdemokratischen Verbändler haben ja nicht einmal zugelassen, daß der Gutenbergbund bei den Tarif⸗ ausschußverhandlungen stimmberechtigt beteiligt sein durfte. Auch bei Ihnen muß es sich erreichen lassen, daß diese Klagen endlich ver⸗ stummen; erklären Sie doch endlich, daß Sie entschiedene Gegner des gegen christliche Arbeiterorganisationen geübten Terrorismus sind. Gewiß kommt es auch vor, daß von christlich organisierten Arbeitern Sozialdemokraten terrorisiert werden, aber dann ist es immer nur Vergeltung für die sozialdemokratische Terrorisierung. Jedenfalls haben die Sozialdemokraten damit angefangen. Wenn von allen Seiten das wirkliche Menschenrecht geachtet wird, so werden wir nicht mehr die Tribüne des Reichstags gebrauchen müssen, um das Menschen— recht der Arbeiter zu verteidigen.

Abg. Graf von Westarp (dkons.): Auf die fünf. Einzelfälle gehe ich nicht ein, denn meine Freunde halten den Reichstag nicht für das geeignete Forum, um ein Urteil über Einzelfälle herauszu⸗ arbeiten auf Grund des fozialdemokratischen Materials, zumal wenn amtliche Berichte als lügenhafte Spitzeleien bezeichnet werden. Ich kann auch einem nur hypothetischen Tadel gegen die Eisenbahn⸗ verwaltung, als ob sie in diesen Fällen ohne . Veranlassung gleich zu dem gröbsten Geschütz gegriffen habe, nicht zustimmen. Nach der Darstellung des Ministers wußten die Arbeiter, was ihnen bevorstand, sie waren gewarnt. Ob da also ohne Veranlassung das gröbste Geschütz gebraucht ist, darüber hat auch die heutige Verhand— lung keine Klarheit gebracht, und man kann einse Verurteilung der Verwaltung nicht aussprechen. Für uns handelt es sich lediglich um die grundsätzliche Frage, ob das Vereinsgesetz die Eisenbahnverwaltung bindert, Beamte oder Arbeiter wegen ihrer Vereinstätigkeit dißziplinarisch zu bestrafen und zu entlassen. Diese Frage ist ganz ent⸗ schleden zu verneinen. Es sollte doch endlich einmal damit aufgehört werden, hier immer das Vereinsgesetz im Munde zu führen, denn über die Auslegung des Vereinsgesetzes ist vollständig dahin Klarheit geschaffen worden, daß es die Frage nur regelt, soweit ein polizeiliches Eingreifen gegen das Vereins- und Versammlungsleben in Frage kommt, daß es aber keine Anwendung findet, wo die Vereins- und Versammlungs⸗ freiheit aus sonstigen Rechtsgründen, z. B. des Beamtenrechts oder anderer privatlichen oder öffentlichen Rechtsverhältnisse beschränkt ist. Nach seinem klaren Wortlaut hindert das Vereinsgesetz keinen Arbeit⸗ geber, auf die Beschäftigung von Arbeitern und Angestellten wegen ihrer Vereinstätigkeit zu verzichten und sie zu entlassen. Ebenso steht einem solchen Recht des Arbeitgebers auch 5 152 und § 153 der Gewerbeordnung nicht entgegen, und auf die Eisenbahnarbeiter findet die Gewerbeordnung überhaupt nicht Anwendung. Hatte hier⸗ nach die Eisenbahnverwaltung zu ihrem Vorgehen das Recht, so hat sie nach der Ueberzeugung meiner Freunde auch die Pflicht, von diesem Recht Gebrauch zu machen, wo es die besonderen Verhältnisse des Eisenbahnbetriebes erfordern. Die Beamten sind schon durch ihren Diensteid verhindert, sozialdemokratische Bestrebungen zu fördern, für einen Sozialdemokraten zu stimmen oder sich an sozialdemokrati⸗ schen Vereinen und Versammlungen zu betätigen. An diesem zweifel⸗ losen Grundsatz festzuhalten, ist eine ernste und verantwortliche Pflicht der Reglerung und aller Regierungsstellen von oben bis unten. Auch die „Frelsinnige Zeitung' hat es als eine schwere Beleidigung von Beamten bezeichnet, daß sie sozialdemokratische Stimmen ab⸗ gegeben hätten. Etwas anders liegt es bei den Arbeitern, die nicht durch einen Beamteneid verpflichtet sind. Aber auch hier ist dem Minister darin recht zu geben, daß es eine Pflicht der Eisenbahnverwaltung ist, die besondere Disziplin, die der Eisenbahnbetrieb im öffentlichen Interesse erfordert, unter allen Umständen aufrecht zu erhalten— Es mag bedauerlich sein, wenn wegen Disziplinwidrigkeit Arbeiter, die jahrelang im Dienste stehen, entlassen werden müssen. Aber die Disziplin erfordert es, daß über solche Rücksichten zur Tages⸗ ordnung übergegangen wird. Wer sich nicht fügt, kann in diesem Betriebe nicht geduldet werden. Die Sozialdemokraten haben ja Verständnis für diesen Grundsatz, denn sie halten ihn in ihren Organisationen mit Macht aufrecht. Wir stehen auf dem Stand⸗ punkt, daß auch »die Autorität des Staates aufrechterhalten werden muß, und wir würden es für eine schwere Pflichtvergessenheit der Verwaltung ansehen, wenn sie Disziplinwidrigkeiten dulden würde. Bezüglich des Streikrechts der Eisenbahnarbeiter hat der Abg. Becker bei der Etatsdebatte die Formulierung ausgesprochen, daß die Eisen⸗ bahnarbeiter wohl das Koalitionsrecht, aber nicht das Streikrecht haben. Die Sozialdemokraten wollen auf den Verkehrsstreik nicht verzichten, sie betrachten ihn als ein besonders wirksames Mittel nicht nur zur Erreichung wirtschaftlicher Verbesserungen, sondern auch politischer Ziele. Aber die bürgerliche Gesellschaft, die der Sozial⸗ demokratie ein solches Machtmittel überantworten würde, wäre wert, von der Sozialdemokratie über den Haufen gerannt zu werden. Es handelt sich da wesentlich um eine Machtfrage. Wir wollen nicht, daß durch den Verkehrsstreik das Getriebe des Staates und das ge⸗ samte wirtschaftliche Leben lahmgelegt und den schweren Störungen ausgesetzt wird, die wir in Frankrelch, England usw. erlebt haben. Darin sind im wesentlichen alle bürgerlichen Parteien einig. Auch der weit überwiegende Teil der Eisenbahnarbeiter selbst feht auf diesem Standpunkt, 90 9 dieser Arbeiter haben es ausdrücklich aus⸗ gesprochen, daß sie von dem Streikrecht nichts wissen wollen. ‚luch in den Arbeiterkreisen verbreitet sich mehr und mehr das Ver⸗ ständnis für die besondere Stellung, die die Eisenbahnarbeiter haben. Diese Arbeiter sind nicht in einem Gewerbebetriebe, es würde ein Konstruktionsfehler sein, wenn man die Eisenbahnbetriebhe der Gewerbeordnung unterstellen würde, denn das sind nicht Geschäfts⸗ betriebe, die um des privaten Gewinnes willen, sondern im öffent⸗ lichen Verkehrsinteresse unterhalten werden. Daraus ergibt sich, daß die Behörden des Staates eine andere Stellung haben als die anderen Arbeitgeber, sie sind von Amts wegen verpflichtet, das allgemeine Interesse im Auge zu behalten. Daher sind sie auch ver— pflichtet, die Wohlfahrtsinteressen der Arbeiter zu wahren. Der Eisenbahnminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Reichs⸗ eisenbahnverwaltung dieser Verpflichtung nachgekommen ist, daß von Amts wegen das Nötige geschehen ist, um die Lage der Eisenbahn— arbeiter zu heben. Diese Tätigkeit steht unter parlamentarischer Kontrolle, und meine Freunde sind bereit, alles zu tun, daß in dem Staatsbetriebe die Arbeiter wirtschaftlich so gut wie möglich gestellt sind, auch hinsichtlich der Sicherung ihrer Stellung; aber dem⸗ gegenüber haben auch die Arbeiter ganz besondere Pflichten. Wir halten es für eine besonders verantwortungsvolle Pflicht der Eisen⸗ bahnverwaltung, von ihren Arbeitern Disziplinwidrigkeiten und sozial⸗ demokratische tino fernzuhalten.

Abg. Be ck⸗Heidelberg (ul.): Auch wir können diese Frage nicht lediglich nach dem Vereinsgesetz beurteilen, sondern müssen dies tun mit . auf die Sicherheit der Gesamtheit und auf das Staatswohl. Fühlung zwischen den Verbänden der Eisenbahn— arbeiter und -Angestellten mit der Verwaltung muß sein, wenn ein gedeihliches Zusammenarbeiten stattfinden soll; diese Fühlung darf aber nicht einseitig in eine Art Polizeiaufsicht aus— arten. Es wird eine Frage des Taktes sein, wie lange der in die Versammlung entsandte Beamte den Verhandlungen beiwohnen wird; hat der Betreffende aber erklärt, daß er beauftragt ist, der Verhandlung anzuwohnen, dann ist es auch ein Fehler, ihn durch Beschluß aus der Versammlung auszuweisen. Wir sind nicht im— stande, den Eisenbahnarbeitern das Streikrecht zuzugestehen. Gewiß steht ein solches Verbot nicht direkt in irgend einem e e aber es ist hier die salus publica, die für uns suprema lex sein muß. Ordnung muß herrschen, und die Disziplin muß gewahrt werden; ebenso sehr af wir auch wünschen und verlangen, daß den Ar⸗ beitern auch die freie Betätigung gewährleistet sei, durch Vereine und Versammlungen ihre wirtschaftlichen Interessen wahrjunehmen. Man

soll da nicht so empfindlich sein, jedes einzelne Wort, das einem Arbeiter gesprochen wird, auf die Wagschale zu legen. Kommt die Verwaltung dem Arbeiter mit Vertrauen auch in dieser Be⸗ ziehung entgegen, so wird sie damit auch die Disziplin am besten zu wahren verstehen.

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Auch wir sind durchaus der Meinung, daß die Disziplin auf diesem Gebiete durchaus gewahrt werden muß; es fragt sich nur, ob die angewandten Mittel die richtigen gewesen sind. Wenn der Eisenbahnminister sich wirklich nach dem von ihm verkündeten Grundsatz gerichtet hätte, daß es Pflicht der Eisenbahnverwaltung sei, das Vereins- und Ver⸗ sammlungsrecht zu wahren, so wäre ein derartiges scharfes Vorgehen wie im Falle Mülhausen nicht nötig gewesen. Es handelte sich in Wirklichkeit doch nur um einen Taktfehler der Arbeiter. Nach dem Vereins- und Versammlungerecht ist eine bureaukratische Ueber—⸗ wachung einer Versammlung, die noch nicht einmal anzeigepflichtig ist, im allerhöchsten Maße bedenklich, sie bedeutet die in⸗ direkte Einführung einer polizeilichen Ueberwachung. Das Reichevereinsgesetz darf durch keinerlei Bestimmungen unter⸗ geordneter Behörden illusorisch gemacht werden. Durch eine der⸗ artige Bevormundung der Arbeiter wird der Minister nicht das erreichen, was er erreichen will, eine solche intensive Bevormundung wirkt geradezu aufreizend, und das Spitzeltum wird gefördert. Die Zustände in Bayern zeigen, wie gefährlich eine solche Bevormundung ist. Meine Partei steht hinter den Forderungen des Kartells der Reichs- und Staatsarbeiter. Ich möchte den Eisenbahnminister bei der loyalen Stellung dieses Kartells bitten, diesen Vereinen doch mit etwas mehr Vertrauen entgegen zu kommen. Wir müssen auch endlich ein klares und positives gesetzliches Koalitionsrecht haben. Die Judikatur der letzten Jahre hat in krassester Weise gezeigt, daß der jetzige Zustand unhalthar ist. Die sogenannte Koalitiens— freiheit ist von Fangeisen und Selbstschießern umgeben. Der Zustand, wie er nach 55 152 und 153 der Gewerbe⸗ ordnung herrscht, ist auf die Dauer vollständig unzureichend. Die erste Aufgabe des neuen Reichstags ganz gleich, wie er zusammengesetzt ist muß sein, daß an diese große Aufgabe der Reform des Koalitionsrechtes mit aller Energie herangegangen wird.

Abg. Dr. Hoeffel (Rp): Der Minister hat uns mitgeteilt, daß der Staatsarbeiterverband den Arbeiterausschuß zur Rechen schaft herangezogen hat. Da muß man jedenfalls sagen, daß dabei eine gewisse Verhetzung stattgefunden hat. Die Eisenbahnverwaltung unterstützt die Organisation der Eisenbahnarbeiter, und wir sehen ja auch, daß in Elsaß⸗Lothringen eine ganze Reihe von Vereinen bestehen, die das bessere wirtschaftliche Vorwärtskommen der Arbeiter bezwecken. Aber die Disziplin muß in einem so großen Betriebe aufrecht erhalten werden. Wohin sollten wir sonst kommen? Wir müssen ein gutes, solides Eisenbahnarbeitermaterial haben, das sich allen Bestimmungen der Verwaltung unterwirft. Wir haben doch den freien Arbeitsvertrag, da steht es doch jedem frei, sich die Arbeit zu suchen, wo er will. Im großen und ganzen bestebt die Eisenbahn—⸗ arbeiterschaft aus ruhigen Elementen, aus besonnenen Leuten, die keine Demagogen sind. Aber die Sozialdemokratie geht gegen alle Grundrechte der Arbeiter vor. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Im Gegenteil) Sie (zu den Sozial⸗ demokraten) haben ja keine Achtung vor dem heiligsten Recht eines jeden Mannes, über seine eigene Person zu verfügen. Wir erkennen dankbar an, daß die Eisenbahnverwaltung bemüht ist, für die Wohlfahrt ihrer Arbeiter zu sorgen. Wir dürfen auch sagen, daß man auf keiner Bahn besser fährt als auf den deutschen. Solche Dinge, wie sie in Frankreich und Holland vorgekommen sind, können Gott sei Dank bei uns nicht passieren. Wir bitten die Regierung, konsequent zu bleiben und gegen ein System einzutreten, das für das ganze Land schädlich sein würde.

Abg. Novicki Pole): Die Rechte der volnischen Eisenbahn⸗ arbeiter auf dem Gebiete der Koalition sind seit Jahren durch die Verwaltung immer mehr geschmälert worden. Ein Eisenbahnarbeiter ist gemaßregelt worden, weil er eine Wirtschaft betreten hat, in der eine polnische Versammlung abgehalten wurde. Ich begreife nicht, daß der Reichskanzler, der nur nach seiner Ueberzeugung handeln will, so etwas dulden kann. Ich muß im Namen meiner Fraktion und der polnischen Arbeiter gegen solche Vergewaltigung der Rechte der Arbeiter protestieren.

Abg. Behrens (wirtsch. Vgg.): Die heutige Verhandlung ist für die Eisenbahner von der größten Bedeutung. Sie war geeignet, Klarheit zu schaffen. Man spricht immer von dem Koalitions- und Vereinigungsrecht, und es ist in einzelnen Verbänden die Meinung entstanden, als ob diejenigen, die den Eisenbahnern das Vereinigungs⸗ recht sichern wollen, ihnen auch das Streikrecht geben wollen. Diese Annahme ist durch die heutigen Verhandlungen zerstört worden. Die Mehrheit des Hauses steht nicht auf dem Boden des Streikrechts der Eisenbahner. Was die Vorgänge in Elsaß⸗Lothringen selbst be⸗ trifft, so dreht sich der ganze Streit hauptsächlich um die Teilnahme der Beamten an den Verhandlungen der Eisenbahner. Die preußisch⸗ hessischen Eisenbahner betrachten es als eine Unfreundlich— keit, daß keine Vertreter der Verwaltung zu ihren Verhandlungen kommen. Sie legen also großen Wert auf diese Teilnahme. Von einem Spitzeltim kann doch nur die Rede sein, wenn der Betreffende im geheimen an den Verhandlungen teilnimmt; die Eisenbahner kennen aber den betreffenden Beamten. Es handelt sich hier in erster Linie um eine Taktfrage. Es kann sein, daß auf beiden Seiten in diesem Punkte gefehlt worden ist. Auch durch die Teilnahme des Beamten ist ö unserer Meinung das Vereins⸗ und Versammlungsrecht nicht verletzt worden, weil er eine polizei⸗ liche Tätigkeit nicht ausgeübt hat. Den Beamten auszuschließen, hat allerdings die Versammlung das Recht; es ist dies eine reine Takt! und Zweckmäßigkeitsfrage. Praktisch ist die Teilnahme für die Verwaltung und die Arbeiter von Wert, denn der Beamte kann den Arbeitern sofort Auskunft geben, wenn Wünsche laut werden. Auch die Sozialdemokraten werden es aber nicht billigen können, wenn die Arbeiter ihre Wünsche in taktloser Weise vorbringen. Führen sie schärfere Reden als gebildete Leute, dann mag man sie belehren. Jedenfalls bitte ich den Minister, auch in der elsaß⸗lothringischen Fisenbahnverwaltung möglichste Weitherzigkeit walten zu (assen. Ich billige es nicht, wenn ein Eisenbahner für einen Sozial⸗ demokraten agitiert, ihn wählt. Mir sind aber Fälle bekannt, in denen DJorgẽsed in den 5 des Großblocks Sozial- demokraten gewählt haben; da sei man konsequent und gehe auch gegen diese vor. Meine politischen Freunde stehen auf dem Standpunkt, daß mit der Stellung eines Staatebeamten sich die Agitation für einen Sozialdemokraten nicht verträgt. Es ist geradezu irre⸗ führend und schädigend für die Eisenbahner selbst, wenn man es von sozialdemokratischer Seite so darstellt, als ob sie Sozialdemokraten seien und für das Streikrecht agitieren dürften. Die Sozialdemokraten tragen mindestens zu einem guten Teil die Verantwortung für die Maßregelung der Eisenbahner. Das ist um so unverantworflicher, als die Eisenbahner in Staatsbeamten⸗ stellungen einrücken wollen. Was die entlassenen Arbeiter selbst be⸗ trifft, so möchte ich doch die Verwaltung bitten, bei Gesuchen um Wiedereinstellung Milde walten zu lassen. Es befindet sich einer darunter, der durchaus kein Sozialdemokrat ist, sondern nur ein Opfer sozialdemokratischer Irreführung. Nach meiner Meinung haben alle Arbeiter das Streikrecht, nur nicht die in den Betrieben der Eisenbahnen, des Heeres und der Flotte. Ich schließe mich der Auffassung des Abg. Becker⸗Arnsberg an, daß das Koalitionsrecht der Arbeiter, wie es gegenwärtig besteht, noch des Ausbaues bedarf. Der Reichstag wird diese Lücken noch außfüllen müssen. Die Auffassung, daß wir damit, daß wir den Cisenbahnern das Streikrecht verweigern, sie zu Arbeitern zweiter Klasse berabdrücken, ist eine Verdrehung der Sozialdemokraten, dazu beftimmt, die bürgerlichen Parteien zu diskreditieren. Be⸗ reitßz auf dem Frankfurter Arbeiterkongreß von 1903 ist die von mir gekennzeichnete Stellungnahme gebilligt worden. Schon damals ist seitens der bürgerlichen Arbeiterschaft der Ver⸗ zicht auf das Streikrecht für die genannten Kategorien ausgesprochen worden. Auch die Freisinnigen Hormann und Carstens haben