. Verpflichtung, mit den von der Krone bestellten Ministern zu verhandeln. Er ö es nicht ablehnen, mit einem Minister, sei es im lenum, sei es in einem Ausschusse, in Beratung zu treten. Bei dem orgehen der Mehrheitspartei handelt es sich nicht mehr um eine im Ermessen des Parlaments liegende Anwendung der Geschäftsordnung. Die Stellungnahme der Mehrheitspartei kann vielmehr nur als Abbruch der Verhandlungen im Finanzausschusse mit dem Verkehrg⸗ minister auf unbestimmte . aufgefaßt werden Hiernach wollte die Zentrumsfraktion die Verhandlungen im Finanzausschusse mit dem Verkehrsminister erst dann wieder aufnehmen, wenn die Staats⸗ regierung sich zu einer Erklärung verstanden haben würde, die ihr a, nach dem für den Verkehrsminister schwer verletzenden Vorgang m Finanzausschusse vom 8. November nicht angesonnen werden konnte. Die Verhältnisse lagen mithin so, daß die Mehrheitspartei die Fort⸗ setzung der Finanzausschußverhandlungen mit dem Verkehrsminister bis zur Erfüllung einer Bedingung verweigerte, die von vornherein als unerfüllbar angesehen werden mußte. So wenig nach der Verfassung die Bewilligung des Budgets an eine Bedingung geknüpft werden kann, ebenso wenig darf die Erfüllung der dem Landtage von der Verfassung uneingeschränkt auferlegten Verpflichtung, das Budget zu beraten, von einer Bedingung abhängig gemacht werden. Eine solche Bedingung mußte deshalb als mit der Verfassung nicht im Einklang stehend mit allem Nachdruck zurückgewiesen werden, schon um einem derartigen unzulässigen Vorgehen nicht den Weg zu öffnen. Aus der Geschichte des bayerischen Landtags ist kein Fall be⸗ kannt, in dem ein solches parlamentarisches Kampfmittel angewendet worden wäre; selbst in Zeiten, in denen die politischen Gegensätze jwwischen der Regierung und der Volksvertretung aufs höchste esteigert waren, wurde zu diesem Mittel nicht gegriffen. Die taatsregierung, die sich ihrer vollen Verantwortung wohl bewußt war, hat die gewichtigen Bedenken, die gegen die Auflösung des Landtags sprachen, reiflich erwogen. Sie hat sich nur schwer und éist dann zu diesem Schritte entschlossen, als nach der Er⸗ klärung des Abg. Lerno vom 11. November eine Verständigung und damit eine gedeihliche Fortführung der Geschäfte ausge— schlossen erscheinen mußte. Die Wahrung der Staatsautorität, die Wahrung der verfassungsmäßigen Stellung und Rechte der Staatsregierung zwangen die Staatsregierung, das einzige Mittel zu ergreifen, das die Verfassung dem Parlament gegenüber für solche 6. an die Hand gibt. Von irgend einer politischen Partei⸗ trömung war die Staatsregierung bei ihrer Entscheidung in keiner Weise beeinflußt. Die notwendig gewordene Auflösung des Landtags steht demnach keineswegs, wie dies in der SOeffent— lichkeit behauptet wurde, mit der angeblich geänderten Stellung der Regierung zur Sozialdemokratie in Zusammenhang. In der Beurteilung der Bestrebungen dieser Partei geht viel— mehr die Staatsregierung selbstverständlich nach wie vor mit der überwiegenden Mehrbeit der Volksvertretung und des bayerischen Volks pflichtgemäß Hand in Hand.
Die Erklärung erwähnt zum Schlusse das Handschreiben . Regenten an den Minister Grafen Podewils und vermerkt hierzu:
Was verschiedentlich in die Allerhöchste Botschaft hineingelegt wurde, ist eine tendenziöse Erfindung, insbesondere ist es unrichtig, wenn jetzt behauptet wird, daß das Allerhöchste Handschreiben den Anstoß zu der im Sinne der Auflösung des Landtags gefallenen Ent— schließzung der Regierung gegeben habe.
Sachsen.
Die Zweite Kammer verhandelte vorgestern über die Interpellation Günther und Genossen (fortschr. Volksp.):
In welcher Weise und in welchem Umfange hat die Königliche Staatsregierung im Bundesratsausschusse für Auswärtige Angelegen⸗ heiten beim Marokkovertrage mitgewirkt? Ist die Königliche Staatsregierung bereit, einen Antrag im Bundesrate auf Erweite⸗ rung der verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Reichs tags in bezug auf Erwerbung nnd Veräußerung von Kolonien ein— jzubringen und die Einführung Reichs ministertums zu fördern?
Nachdem der Abg. Günther die Interpellatihn begründet hatte, erwiderte der Staatsminister Graf Vitztöhum von Eckstädt laut Meldung des „W. T. B.“ etwa folgendes:
Der Bundesratsausschuß für auswärtige Angelegenheiten ist beide Jahre, seitdem ich Minister bin, kurz vor Zusammentritt des Reichs— tages einberufen worden. Ich habe mit dem Gesandten Freiherrn von Salza und Lichtenau an der Sitzung des Ausschusses am 11. Oktober d. J. in Berlin teilgenommen. Die Verhandlungen waren interner Art. Ich bin außerstande, über ihren Inhalt Aus—⸗ kunft zu geben. Die Staatsregierung hat aber den Eindruck gewonnen, daß die berufenen Vertreter der Reichspolitik nach bestem Wissen und Gewissen alles daran gesetzt haben, die Marokkofrage einer günstigen Lösung zuzuführen. In dieser Auf— fassung hat zwischen den Vertretern der einzelnen Regierungen volle Einmütigkeit geherrscht, und es ist dem Reichskanzler das Vertrauen zu seiner Amtsführung ausgesprochen worden. Der Minister wies dann aus die Erklärung der Reichsregierung hin, künftig in Fragen der Veräußerung von Kolonien den Reichstag zu hören. Die Regierung stimmt einer dahin gehenden Aenderung des Schutzgebietsgesetzes zu. Was die verlangte Einführung eines verantwortlichen Reichsministerlums betrifft, so haben schon 1884 in dieser Frage Verhandlungen zwischen dem Fürsten Biemarck und dem Minister Grafen von Fabrice stattgefunden, und die Angelegenheit ist damals im Bundesrat verhandelt worden. Die Staatsregierung hält an ihrem damals eingenommenen Stand— punkt fest und lehnt es ab, Anträge auf Einführung eines verant— wortlichen Reichsministeriums zu stellen. Die Erhaltung des bundes- staatlichen Charakters des Reichs ist eine Grundbedingung für sein Gedeihen. Wenn wir daran festbalten, so folgen wir dem großen Manne, dem wir die Reichsverfassung verdanken, und wir bewähren uns als gute Deutsche und treue Sachsen.
Hessen.
Nach dem amtlichen Wahlergebnis der Landtagsstich— wahlen ist, wie „W. T. B.“ meldet, im Kreise Wöllstein nicht der fortschrittliche, sondern der nationalliberale Kandidat, und zwar mit acht Stimmen Mehrheit gewählt worden. Die Nationalliberalen erhalten somit einen Sitz mehr und bleiben die stärkste Partei in der Zweiten Kammer.
Bremen. Vorgestern vormittag fand in der St. Petri⸗Domkirche für
den verstorbenen Bürgermeister Dr. Victor Marcus eine Trauerfeier statt, der „W. T. B.“ zufolge, außer den nächsten Angehörigen des Entschlafenen, der Senat und die Bürgerschaft in corpore, der preußische Gesandte bei den Hansestädten von Bülow, der einen Kranz Seiner Majestät des Kaisers und Königs überbrachte, der preußische Handelsminister Sydow, der oldenburgische Minister des Innern Scheer, der hanseatische Gesandte in Berlin Dr. Klügmann, der Bürgermeister O Swald⸗Hamburg, der Senator Dr. Nachenburg⸗Lübeck, als Vertreter Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen der Korvettenkapitän von Usedom, ferner der kom— mandierende General des 1X. Armeekorps, General der In⸗ fanterie Freiherr von Plettenberg und der Admiral Graf Baudissin, die Spitzen der Behörden und der Kirchenvorstand, Vertreter von Handel und Schiffahrt, Gewerbe und Industrie, Kunst und Wissenschaft beiwohnten. Nach der Feier wurde der Sarg unter dem Geläute der Glocken nach dem Wattener Friedhof übergeführt, wo die Beisetzung erfolgte.
eines verantwortlichen
Oesterreich⸗ Ungarn.
Das österreichische Abgeordnetenhaus hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit 259 gegen 183 Stimmen einen Antrag angenommen, worin die Regierung dringend aufge⸗ ren, wird, nach Bedarf für eine nach Zeit und Menge . chränkte Einfuhr von Fleisch aus Argentinien und den Balkanländern Sorge zu tragen. Weiter wurde ein Antrag angenommen, in dem die Regierung aufgefordert wird, Verhandlungen mit Serbien, betreffend Abschließung eines Handelsvertrages einzuleiten, und zwar in dem Sinne, daß gegen angemessene Zugeständnisse Serbiens an die österreichische Industrie die Einfuhr von Fleisch aus Serbien ohne Be⸗ schränkung gestattet wird. Schließlich gelangte ein Antrag, be⸗ treffen Aufhebung des Saccharineinfuhrverbots, zur Annahme
— In der Budgetkom mission des Abgeordnetenhauses trat der Ministerpräsident Graf Stürgkh vorgestern in der fortgesetzten Verhandlung über das Budgetprovisorium für die Bewilligung der in dem Provisorium angeforderten Kredite ein, bat aber den Ausschuß, im gegenwärtigen Zeit— punkte über diese nicht hinauszugehen.
Großbritannien und Irland.
Im Unterhause fragte vorgestern der Abg. Graf von Ronaldshay (Unionist, ob der zwischen England und Frankreich im Jahre 1904 abgeschlossene Vertrag zwei geheime Klauseln enthalten habe, denen zufolge einmal Frank⸗ reich seine Zustimmung zur Aufhebung der Kapitulationen in Aegypten geben solle, wann immer Großbritannien mit den anderen davon berührten Mächten in Unterhandlungen treten sollte, und durch die ferner eine Zone im Norden von Marokko festgelegt werde, die von Larrasch nach der atlantischen Küste laufe und innerhalb welcher eine Aktion Frankreichs ähnlichen Beschränkungen unterworfen sein solle, wie sie an der Mittelmeerküste gegenüber Gibraltar in Ge— brauch wären.
Laut Bericht des W. T. B. erwiderte der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Si Edward Grey, daß der englisch-fran— zösischen Deklaration von Jahre 1904 gewisse nicht veröffentlichte Artikel hinzugefügt worsen seien. Sie seien als Hilfsbestimmungen zu den veröffentlichten Artikeln von Wichtigkeit und würden jetzt dem Parlament vorgelegt weden. . Der Abg. Chajsles Dun can (Arbeiterpartei) fragte Sir Edward Grey, ob unter den bestehenden Verträgen Groß— britanniens Zustimming erforderlich sei, bevor die Türkei in eine Abtretung von Tripolis an Italien willigen könne.
Sir Edward Grey erwiderte, daß die Verpflichtungen, die Großbritannien in Versindung mit anderen Mächten dem ottomanischen Reich gegenüber übernimmen habe, im Artikel 7 des Pariser Vertrages von 18566 niedergelegt ind durch den Artikel 53 des Berliner Vertrages von 1878 bestätigt woben seien. Die Wirkung, die diesen Verträgen in bezug auf den Besis von Tripolis zukomme, müsse noch von den beteiligten Mächten largestellt werden, und ehe eine Erörterung darüber stattgefunden abe, könne er nicht sagen, auf welche Ansicht man sich einigen werde .
Gestern nahm Aas Haus, obiger Quelle zufolge, nach leb— hafter Debatte über die Eisenbahnerfrage mit 167 gegen 108 Stimmen eine pon Lloyd George eingebrachte Resolution an, in der der Wusch des Hauses zum Ausdruck gebracht wird, die Regierung g ihre guten Dienste anbieten, um die Vertreter der Eilenh hen f fich und der . zu einer Besprechun ; . j dor darüber zu beraten wäre, wie die von der i,, eicähwerausstand ernannten König⸗ lichen Kommission gemachten Vorschläge am besten ausgeführt werden könnten.
— Gestern abend hat Lord Charles Beres ford in Portsmouth eine Rede gehalten, in der er, wie „W. T. B.“ meldet, ausführte:
. Die Lehre der letzten Krisis zeigt, wie notwendig es war, augen— blicklich auf plötzliche Feindseligkeites gefaßt zu sein. Verschiedene, zur öffentlichen Kenntnis gekommene atsachen, die mit der Flotte in Zusammenhang stehen, haben bewiesen daß England nicht darauf vor— bereitet war. Derartige plötzliche Vorbereitungen während einer Krisis zu treffen, lassen uns als kriegerschen Teil gegenüber der andern Nation, in diesem Falle Deutschlchd, erscheinen. Ich glaube zuversichtlich, daß die jüngst gewonnge Erfahrung die Regierung aneifern wird, einen Entwurf einzubrimen, der für den Seekrieg einen Stab schafft, der von Zeit zu Zeit an die Flottenbedürfnisse erinnert. Während der Krise ist die britische Fötte längs der ganzen Küste verteilt gewesen; aber wir hatten kein militärische Bewachung der Werften und der Munitionsmagazine wch, was wichtiger ist, jener Strecken der Eisenbahn, wo der Oberhu jeden Augenblick zerstört werden konnte. Wir hatten keine Minnsucher für die Häfen und für die Fahrstraßen. Die Verkehrsstraßen wren ohne Kreuzer, ungeachtet der Londoner Deklaration, die die Kaperd gestattet, durch die unsere Verkehrsstraßen bei einem plötzlichen Angriff abgeschnitten werden konnten. Wir hatten im Norden kein Oelvorräte für die Torpedo— boötszerstörer, und das Brennmateria mußte ibnen eist von den Schlachtschiffen überlassen werden. En solches Nichtgerüstetsein sei der Tatsache zuzuschreiben, daß Englan keinen Kriegsmarinestab habe, wie ihn jede andere Nation besitze. Benn hierzu Geld notwendig sei, möge man die Sache in Ordnung bringen; er glaube, man solle ,, aufnehmen, und wahrschinlich werde dieses auch getan werden.
Frankreth.
Die Kommission für atswärtige Angelegen— heiten setzte in der vorgestrigen Sitzung die Beratung über das deutsch-französische Abkonmen, an der der Minister— präsident Caillaux und der Miniter des Aeußern de Selves teilnahmen, fort.
Nach dem Bericht des ‚W. T. BM erklärte der Ministerpräsident Caillaux auf eine Anfrage, die Katmer sei nur zur Ratifizierung des den Congo betreffenden Teils dec Abkommens berufen, der allein die Zustimmung des Parlaments voßtz konstitutionellen Standpunkt aus erfordere. Auf eine Anfrage, weches die Lage Frankreichs hin— sichtlich der Spanien vorbehaltemn Zone Marokkos nach der Ratifikation sein werde, erwiderte Caihux: in dem Fall, daß Spanien sich weigern würde, die Verpflichtunget zu erfüllen, die Fraukceich für Spanien übernommen habe, würd es sich in eine sehr viel schlechtere Lage bringen, und das so nicht wahrscheinlich. Würde es aber, nachdem es die französischn Verpflichtungen übernommen habe, sich weigern, sie zu erfüllen, s würde Frankreich nach seiner Meinung sich mit den besten Aussichtn an das Haager Schiedsgericht wenden. Der Ministerpräsident dränte auf möglichst schnelle Er— lediaung des Congoabkommens und ellärte, er widersetze sich jedem Vertagungzantrag und werde gegebnenfalls die Vertrauensfrage stellen. Im weiteren Verlauf de Sitzung erbat Dem un die Mitteilung gewisser Schriftstük, die sich auf die von der französischen Regierung Spanien gemachten Vorstellungen be— ziehen. Der Minister des Aeußern E Selves und der Minister— präsident Caillaux erwiderten: hne vorherige Verständigung zwischen den beiden ,, sei die erbetene Mitteilung nicht möglich. Es sei aber eine Verstäntgung bezüglich der Herausgabe eines Gelbhuches zu erwarten, das jedch der Kammer erst nach einer
der französischspanischen Besprechungen nicht getren
werden könnten. Die Regierung könne rn lh . ke it ohne jemals die Hoffnung auf eine freundschaftliche Mäßigung auf⸗ zugeben, niemals die Vorgänge, die sich im letzten Juni abgespielt hätten, gutgehesßen habe. Die Reglerung sei durchaus bereit, der Kommission alle zweckmäßigen Auskünfte zu geben, die mit dem französifch-deut— schen Abkommen in Zusammenhang ständen. Aber sie könne keine Mit⸗ teilung machen über die Verhandlungen, die zurzeit bezüglich des franzö⸗ sisch⸗deutschen Abkommens gepflogen würden. Die Minister sprachen sich ferner dahin aus, daß der Artikel 1 des Congoabkommens, der beflimmt daß im Falle einer Aenderung der territorialen Verhältnisse des ver⸗ traglichen Congobeckens die Unterzeichner der Berliner Akte mit— einander ins Benehmen darüber treten sollen, eine kostbare Friedengs⸗ bürgschaft darstelle, ohne dem Vorkaufsrecht Frankreichs auf den belgischen Congo, das nicht abgetreten werden könne, den mindesten Eintrag zu tun. Auf eine Anfrage, ob Frankreich Deutschland für das, was in der spanischen Zone vorgehe, verantwortlich i, antwortet. der Ministerpräsident CailLlauxr, verneinend. Der Minister des Aeußern de Selves teilte auf eine weitere Anfrage mit, daß Tanger wahrscheinlich internationalisiert werden würde. Ueber die deutschen Postanstalten in Marokko sagte er, daß diese nicht andaueind fortbestehen würden. Schließlich gab er noch bekannt, daß England die Veröffentlichung des mit dem französisch-spanischen Ver
—
trage von 1904 verbundenen französisch-englischen Geheimvertrages
wünsche. Nußland.
„„Der Kaiser Nikolaus hat gestern in Livadia die türkische Sonderbotschaft in Abschiedsaudienz empfangen.
Der Reichsrat hat sich laut Meldung des, W. T. B.“ mit 101 gegen 45 Stimmen gegen die Ablehnung der Vorlage betreffend den Glaubenswechsel, und für deren Spezial“ beratung ausgesprochen.
Italien.
Die „Agenzia Stefani“ kündigt die bevorstehende Ver— öffentlichung von Königlichen Dekreten an, die nach einer Meldung des „W. T. B.“ auf Grund des Gesetzes vom 17. Juli 1910 zur Eröffnung eines außerordentlichen Kredits von 65 Millionen Lire für das Kriegs- und Marineministerium ermächtigen, der zur Deckung der Kosten der Expedition nach Tripolis dienen soll, gerechnet vom Beginn der Feindselig⸗ keiten bis zum 30. November. Dieser Kredit sst bis zum Betrage von 57 Millionen gedeckt durch Kassen reste, die aus dem tatsächlichen Etatsüberschuß der vergangenen Nechnungsjahre herrühren, und bis zum Betrage von 8 Millionen durch einen Teil des Budgetüberschusses des laufenden Rechnungsjahres, der sich voraussichtlich viel höher beziffern wird, ohne die Vermehrung der Einnahmen mit— zuschätzen, die zweifellos ebenso wie in den Vorjahren eintreten wird. Uebrigens sei es sehr fraglich, ob der ganze Kredit von 65 Millionen werde gebraucht werden. .
Portugal. Die Deputiertenkammer hat gestern laut Meldung ga d 9M“ ; .. . . u. des „W. T. B.“ die Aufhebung des Postens des General gouverneurs von Lourengo Marques und die Wieder
herstellung des früheren Zustandes genehmigt.
Belgien.
Die Deputierten kammer hat vorgestern nachmittag die Beratung der von der sozialistischen Kammerfraktion ein— gebrachten Interpellation über die Frage der Landesver— teidigung begonnen. Nach ihrer Begründung ergriff der Kriegsminister, General Hellebaut das Wort und führte laut Bericht des „W. T. B.“ aus:
Man habe durch eine übertriebene Preßkampagne in den letzten Monaten das Land beunruhigt. Alle Vorbedingungen seien erfüllt gewesen, um im Ernstfall die Armee in 5. bis 6 Tagen zu mobilisieren. Das Militärgesetz von 1909 habe sich bis jetzt in seiner vollen Konfequenz noch nicht zeigen können. Der Effektivbestand habe im Etatsjahre 191011 42 859 Mann betragen gegen 366000 Mann im Jahre 1908. Nach seiner Ansicht müsse die Friedenspräsenz auf 47 500 Mann gebracht werden. Der Generalstab könne nicht unabhängig gemacht werden vom Kriegs— ministerium; das verbiete die belgische Verfassung. Ueber die Mo⸗ bilisierungspläne könne er in öffentlicher Kammersitzung nicht sprechen da dies den Interessen des Landes zuwiderlaufe. ; In der gestrigen Sitzung der Kammer, in der die Be— sprechung der Interpellation über die Frage der Landes verteidigung fortgesetzt wurde, widerlegte der Kriegsminister Hellebaut einzelne gegen die militärtechnischen Einrichtungen gerichteten Beschwerden und wies die gegen die Firma Krupp erhobenen Angriffe als ungerechtfertigt zurück.
. Der Kriegsminister faßte seine Ausführungen dahin zusammen daß in dem Augenblick des marokkanischen Zwischenfalls die Maas⸗ befestigungen sofort in Stand gesetzt worden seien; die Artillerie ge— nüge allen billigen Anforderungen, einer Vermehrung der Kavallerie wolle er sich nicht widersetzen, er müsse aber erklären, daß er niemals die Absicht gehabt habe, den Verteidigungsplan für Antwerpen ab— zuändern. Das Rekrutierungsgesetz von 1909 könne vorerst nicht ab— geändert werden. Gegen die Herabsetzung der Dienstzeit wende er sich nicht grundsätzlich, wenn damit eine Vermehrung der Praäͤsenz stärke erkauft werde. Türkei.
Nach Informationen aus türkischer Quelle hat die Pforte, wie „W. T. B.“ meldet, bei den Haager Signatarmächten gegen das Bombardement Akabahs als eines nicht befestigten Platzes Einspruch erhoben. Ebenso hat die Pforte nach dem gestrigen Ministerrat bei den Mächten Einspruch er⸗ hoben gegen den Wurf einer Bombe aus einem Aeroplan auf das Hospital von Zuara.
— Die Deputiertenkam mer ratung des Chester⸗Projektes fort.
Der Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten kritisierte das Projekt und schlug vor, es an die Kommiffion zurückzuverweisen, um nach einem Uebereinkommen mit Chester eine Klausel aufzunehmen die der Regierung nach Abschluß entsprechender Studien das Optiont— recht gibt.
Unter dem Namen „Partei der liberalen Entente“ haben die unabhängigen Abgeordneten im Verein mit den An— hängern des Obersten Sadik Bey eine neue Partei gebildet, die bestimmt sein soll, alle oppositionellen Gruppen zu ver⸗ schmelzen. In ihrem Programm spricht sich die neue Partei bezüglich der äußeren Politik zugunsten eines Bündnisses mit einer oder mehreren Mächten ohne Beeinträchtigung der guten Beziehungen zu den übrigen Mächten und gegen jede aggressive Politik aus. ;
In einer gestern veröffentlichten Proklamation der Partei wird dem Komitee vorgeworfen, daß die revolutionäre Organisation, die ihre Tätigkeit nach der Einführung der Verfassung hätte einstellen müssen, trotzdem fori— bestanden habe und in eine absolutistische Oligarchie entartet sei. Ihre Unterdrückungspolitik habe die Auf⸗ stände in Albanien, im Hauran und im Yemen ver⸗
setzte gestern die Be⸗
gewissen Zeit mitgeteilt werden könne. Es sei, unmöglich, zur Kenntnis des Parlaments Schriftstücke zu brinkn, die von der Gesamtheit
ursacht. Das äußere Ansehen der Türkei sei so gesunken, daß Italien den Augenblick für günstig erachtet habe, ihr.
e .
Tripolis zu entreißen. Gegenüber den italienischen Grausam⸗ seiten bewahre die zivilisierte Welt Stillschweigen, gleichsam um darauf hinzuweisen, daß die Türkei keine des Vertrauens würdige Regierung besitze.
Amerika.
Im canadisch en Parlament beantragte, wie „W. T. B.“ meldet, der bisherige Premierminister Sir W. Laurier während der Debatte über die Adresse auf die Thron⸗ rede ein Amendement, in dem auf die scharf hervortretende Meinungsverschiedenheit hingewiesen wird, die im Kabinett über bie Frage der Organisation der canadischen Flotte herrsche. Einige der Minister hätten während der letzten Wahlen eine Verteidigung des Landes zur See in jeder Form verurteilt. Der Premierminister Borden begrüßte das Amendement als eine Probe auf die Einigkeit der Regierung in der Flottenfrage
und sagte:
Das Kabinett Laurier habe eine auf zehn Jahre verteilte Aus⸗ gabe von fünfzig Millionen Dollars für die Flotte vorgeschlagen und eine Flotte geplant, die ohne Wert für den Kampf und zur Zeit shrer Fertigstellung schon veraltet gewesen wäre. Die jetzige, Regie⸗ rung beabsichtige keine solche Ausgabe. Die ganze Frage müsse neu erwogen werden. Die Regierung werde sich bestreben, die Ver⸗ Mltnisse klarzulegen, denen gegenüber sich das Reich befinde, und stets bereit sein, ihre bürgerlichen Pflichten gegen Canada und das Reich zu erfüllen.
Vom „W. T. B.“ verbreiteten Blättermeldungen zu⸗ folge ist in Paraguay eine revolutionäre Bewegung ausgebrochen.
Asien.
Wie das „Reutersche Bureau“ erfährt, hat Persien in Uebereins—timmung mit dem Rat Englands eingewilligt, die
Forderungen des russischen Ultimatums zu erfüllen, und der persische Gesandte in London hat dies dem britischen Auswärtigen Amt formell mitgeteilt. Der Befehl zur Zurückziehung der Gendarmerie des Generalschatz⸗ meisters Shuster von dem Eigentum des Prinzen Schua es Saltaneh in Teheran ist erteilt worden; die Gendarmerie wird durch persische Kosaken ersetzt werden. Auch erklärte sich Persien, der koxce majenre nachgebend, bereit, Rußland wegen des Zwischenfalles Schua es Saltaneh um Entschuldigung zu bitten. Nach Meldungen des „Reuterschen Bureaus“ aus dem chinesischen Aufstandsgebiet ist die Verbindung mit Hsianfu, wo, wie berichtet, die Fremden niedergemetzelt worden sind, unterbrochen, Taiyuenfu, die Hauptstadt von Schansi, liegt in Trümmern, aber die Mission ist wohlbehalten. In Hankau ist es am 20. d. M. wieder zu schweren Kämpfen zwischen den Kaiserlichen und den Aufständischen gekommen, die das Ergebnis hatten, daß die Aufständischen wieder auf der Hankauer Flußseite festen Fuß faßten.
Die fremden Gesandtschaften haben noch keine Maßnahmen getroffen, sie beraten jetzt über die Lage. Ohne ein starkes Expeditionskorps kann indessen außerhalb des Bereichs der auf dem NYangtse liegenden Kanonenboote nichts getan werden. Die meisten Gesandtschaften rieten ihren Staatsangehörigen vor drei Wochen, sich aus dem Innern des Landes zurückzuziehen, viele folgten diesem Rat jedoch nicht und andere sandten nur ihre Frauen und Kinder fort.
Die Aufständischen der Provinz Schansi stimmen dem Plane zu, daß Yuanschikai Präsident der Republik werden soll, verlangen aber, daß er die Mandschus verlasse. Das von den Aufständischen eingesetzte Auswärtige Amt hat den Konsuln mitgeteilt, daß 14 Provinzen auf der Konferenz in Wutschang vertreten sein werden. Die republikanischen Behörden sichern die Zahlung der Kriegsentschädigung zu sowie die der Anleihen, die vor der Proklamierung der Republik ab— geschlossen worden sind. Das diplomatische Korps hat be schlossen, den fremden Bankiers die Wahl einer Kommission zu empfehlen, die die Zolleinkünfte übernehmen soll, die der Generalinspektor in den auswärtigen Banken zur Zahlung der Kriegsentschädigung und der auswärtigen Anleihen niederlegt. Der Generalinspektor der Zölle berichtet, daß selbst die Auf⸗ ständischen in Tschangscha, die früher gegen diese Verwendung der Einkünfte waren, ihr jetzt zustimmen.
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen der National⸗ versammlung und Yuanschikai sind laut Meldung des „W. T. B.“ im Zunehmen begriffen. Muanschikai hat die Nationalversamm⸗ lung noch nicht besucht. Seine Kaisertreue ist außer Zweifel; er scheint sich allein dem Thron gegenüber verantwortlich zu fühlen. Entgegen der gegen die Weiterführung der Feindseligkeiten gerichteten Entscheidung des Parlaments ist die erste Brigade der Mandschu nach dem Süden ab⸗ gerückt. Die Nationalversammlung hat ihre Zustimmung zu einer geplanten Konferenz von Provinzialvertretern gegeben, die über die Frage Monarchie oder Republik entscheiden soll. Sie bietet Garantien für die Sicherheit des Hofes, erklärt aber, sie könne keine Pension bewilligen.
Afrika.
Der König von England, der, wie gemeldet, mit der Königin in Port Said eingetroffen ist, tauschte, W. T. B.“ zufolge, vorgestern mit dem Khedive Besuche aus und empfing den türkischen Prinzen Zia Eddin, der ihm einen Brief des Sultans überreichte, wogegen der König Georg dem Prinzen einen Brief für den Sultan übergab. Später gab der König dem Khedive und einer auserlesenen Gesellschaft an Bord der „Medina“ ein Frühstück, bei dem ihm unter anderen Kiamil Pascha vorgestellt wurde. ;
Nach Meldungen der „Agenzia Stefani“ aus Tripolis eröffneten am 20. d. M. Vormittags die Türken und Araber gegen das zweite Grenadierregiment auf der Ost⸗ front ein lebhaftes Gewehrfeuer, das die Italiener mit Gewehr⸗ und Mitrailleusenfeuer beantworteten. Am Nachmittag erneuerte der Feind den Angriff, wurde aber durch einen Gegenangriff auf Front und Flanke unter Zurücklassung von 20 Toten zum Weichen gebracht. Aeroplane, die zu Erkundungen aufgestiegen waren, brachten die Nachricht, daß sich die Lage der Feinde in den letzten Tagen wenig geändert habe. Die Flieger ließen Bomben auf das Lager der Feinde fallen, und ein Drachenballon stellte die Wirkung ihrer Explosionen fest, die Verwirrung, Zerstörung und Brände hervorriefen. Auf ein gen des Drachenballons bombardierte das Kriegsschiff „Carlo Alberto“ das Zentrum der Feinde sowie Henni.
Zur Unterstützung der Armen in Tripolis hat der General Caneva Getreide, Reis, Brot und Kleider verteilen lassen. Bis jetzt sind 360 000 kg Getreide unter die Araber und 67 (000 kg unter die Juden verteilt. Von den 2000 Baracken, die hergestellt werden, sind bereits 500 verteilt.
Bel Tobruk feuerten am 18. d. M. Batterien aus zwei Schanzen auf ein arabisches Lager aus einer Entfernung von
3800 m. Das Feuer aus der einen Schanze zerstörte voll⸗ ständig das Telegraphengebäude und eine in der Nähe liegende Verschanzung, hinter der sich die Araber anscheinend für einen Nachtangriff sammelten. Die Araber flohen, verfolgt von dem Schrapnellfeuer auch der anderen Schanze,
Während der Nacht und am selben Tage kam es zu einem lebhaften Kampf bei Derna. Der Feind hatte sich unter dem Schutze der Dunkelheit genähert, wurde jedoch durch ein sehr lebhaftes Gewehr und Mitrailleusenfeuer sowie durch das der bis zu den Batterien vorgebrachten Landungsgeschütze zurück— geworfen. .
Von Benghasi und Homs ist nichts Neues gemeldet worden.
Statistik und Bolkswirtschaft.
Deutschlands auswärtiger Handel im Oktober und in den 10 Monaten Januar bis Oktober 1911.
Nach dem Oktoberhefte 1911 der „Mongtlichen Nachweise über den auswärtigen Handel Deutschlands“ haben betragen:
im Oktober d. J. die Einfuhr 6617 403 t, außerdem 7732 Stück, darunter 7670 Pferde (gegen Götz 638 t, außerdem 19813 Stück, darunter 10 725 Pferde, im Oktober 1910), die Ausfuhr 5219 364 t, ferner 934 Stück, darunter 883 Pferde (gegen 4951 929 t, ferner 662 Stück, darunter 612 Pferde, im Oktober 1910),
in den 10 Monaten Januar bis Oktober d. J. die Ein⸗ fuhr h 465 024 t und 152140 Stück, darunter 131 413 Pferde (gegen 53 001 194 t und 1349652 Stück, darunter 134193 Pferde, im gleichen Zeitraum von 1910), die Ausfuhr 48307 590 6 und 64365 Stück, darunter 5725 Pferde (gegen 43 778835 t und 6128 Stück, darunter 54bs Pferde, im gleichen Zeitraum des Jahres 1910. .
Die Werte erreichten Millionen Mark:
im Oktober d. J. in der Einfuhr 8649 an Waren und 16,6 an Edelmetallen (gegen 778,5 und 15,8 im Oktober 1910), in der Ausfuhr 710,9 an Waren und 9,æ; an Edelmetallen (gegen 712,2 und 11,‚5 im Oktober 1910).
In den 10 Monaten Januar bis Oktober d. J. in der Einfuhr 7792, an Waren und 227,? an Edelmetallen (gegen 7296,58 und 324,3 im entsprechenden Zeitabschnitt von 1910), in der Ausfuhr 6609,77 an Waren und 97,1 an Edelmetallen (gegen 6108, 8 und 154,1 im entsprechenden Zeitabschnitt des Jahres 1910.
(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage.)
Kunst und Wissenschaft.
Das Königliche Kunstgewerbemuseum hat eine Aus— stellung von Kirchengewändern aus Seidengeweben und Gold⸗ brokaten des Mittelalters veranstaltet, die bis Ende Januar 1912 geöffnet bleibt. Sie umfaßt mit 200 Meßgewändern von chinesischer, farazenischer und italienischer Arbeit die erlesensten Denkmäler der Seidenkunst, die aus dem 13. bis 15. Jahrhundert erhalten sind. Den Hauptbestand haben die reichen Paramentenschätze von Danzig, Stralsund, Halberstadt, Brandenburg und Braunschweig hergeliehen.
A. F. „Ueber die Grundlagen für die Diluvial⸗ chronologie und Paläethnologie“ sprach in der November⸗ versammlung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie Dr. R. R. Schmidt aus Tübingen. An derselben Stelle hatte vor etwas mehr als einem Jahr Professor Dr. Oscar Montelius⸗Stock holm sein System dargelegt, wie aus den vielerlei Zeugnissen des Vorhandenseins des Menschen in den vorgeschichtlichen Zeiten, u. a. aus den Grabfunden der neolithischen, der Bronze⸗ und der Eisenzeit zunächst zu einer relativen und darauf weiter⸗ bauend zu einer absoluten Zeitbestimmung zu gelangen sei. Seine Ausführungen waren damals mit größtem Beifall aufgenommen worden. Montelius hat gelehrige Schüler gefunden; denn was Dr. Schmidt auf Grund von Forschungen ausführte, die er als Mitglied einer Studienkommission in Deutschland, Frankreich, England und Spanien im Lauf des letzten Jahres gemacht, ist die Anwendung des Monteliusschen Systems auf den Diluvialmenschen — nur mit der Einschränkung, daß bezüglich seiner Existenz auf der Erde wohl alle⸗ zeit die Wissenschaft sich mit einer relativen Zeitbestimmung“ wird bescheiden müssen und die absolute für immer nur Sache mehr oder minder wahrscheinlicher Mutmaßungen bleiben wird. Aber auch in dieser Einschränkung ist das Ergebnis der Studien, für welche vor allem Frankreich, im Departement der Dordogne zumal, ein aus⸗ giebiges Feld darbot, ebenso interessant, als hochwichtig für unsere Kenntnis der ältesten Vertreter des Menschengeschlechts und ihres jeweiligen Kulturzustandes. Es darf gesagt werden, daß in den jetzt 55 Jahren, die seit der Auffindung des Neandertalschädels als des ersten Zeugnisses vom Diluvialmenschen vergangen sind, staunenswerte Fortschritte in der Erforschung der ältesten Spuren des Menschengeschlechts gemacht worden sind. Zum Verständnis der Schmidtschen Müteilungen ist dan zu erinnern, daß die belgischen und französischen Forscher auf dem Gebiet, an erster Stelle der Belgier Rutot, vorgeschlagen haben, die Fundorte charakteristischer Merkzeichen von der Existenz des Menschen, welche nach deren ungefährer Uebereinstimmung als gleichaltrig zu vermuten sind, und diese Funde den Zeiten entsprechend mit charakteristischen, dem Namen der Ortschaft, wo die ersten oder Hauptfunde dieser Art gemacht sind, angepaßten Namen zu bezeichnen. Dieser praktische Vorschlag ist allseitig gutgeheißen worden. Man spricht in diesem Sinne von einem „Chelléen“' als dem Fundort der allereinfachsten, eben noch als von Menschenhand benutzt zu erkennenden Steinwerkzeuge. Das Chelléen ist also das älteste Zeugnis von Menschen bergender Schicht. Dann folgt das „Acheulsen“ als die naͤchstjüngere, fortgeschritteneres Gerät enthaltende Schicht, ihr gehören auch die ältesten Skelettreste vom Menschen an; alsdann das Moustérten“, dem u. a. der omg mousteriensis in den Samm⸗ lungen des Berliner Museums für Völkerkunde angehört, ferner das „Aurignacien“, in dessen Schichten der Home aurignaciensis unseres Museums aufgefunden wurde. Die nächstjüngere Schicht trägt den Namen des „Solutréen“ꝰ und, die jüngste wird „Magdalénien“ genannt. Es sind somit gewissermaßen 6 Stufen des Fortschrittes in der Entwicklung des Diluvialmenschen angenommen, und man hat Grund für die Vermutung, daß Chelléen, Acheulen und Moustérien der zweiten Zwischeneiszeit an— gehören, die Menschen des Moustrien die dritte oder vorletzte Eiszeit überdauert haben. In die folgende, letzte, wesentlich kürzere Zwischen eiszeit fielen Aurignacien, Solutréen und Magdalenien. Daß letztere überdauerte die vierte, letzte Eiszeit und erstreckte sich noch weit in die Nacheiszeit hinein. Rutot hat noch eine siebente dem Chellsen voraus- gehende, alfo älteste Schicht, das Strepyien, anzunehmen, vor⸗ zeschlagen, dafür aber bei den Fachgenossen keinen Beifall ge⸗ fenden, well die dem Stripvien zugewiesenen Eolithe teils als Artefakte fraglich, teils den Artefakten des Chellsen sehr ähnlich.
Man darf nun nicht glauben, daß diese Stufen scharf vonein⸗ ander geschieden sind, es bestehen sicher allerwärts Uebergänge, aber im großen und ganzen dürfte auch nach den jüngsten , . die Einteilung ungefähr das Richtige treffen. Die Aufgabe der Studienkommission, zu deren Mitgliedern Dr. Schmidt gehörte, war eß nun, die verschiedenen Fundorte in den genannten Ländern zu be⸗ fuchen und die charakteristischen Merkmale jeder Schicht, die von Menschen gebrauchten Geräte ꝛc. zu ermitteln, um sie zu klassifizieren. In Lichtbildern von Bodendurchschnitten zeigte der Vortragende, daß nur zuweilen mehrere Artefakte führende Schichten übereinander liegend gefunden werden,
oͤfters durch sterlle Schichten unterbrochen; z. B. deutlich erkennbar, von unten nach oben aufeinander folgend, Moustérien, Aurignacten und Solutréen, andere ältere Schichten werden teils einzeln, wenn der betr. Ort später nicht wieder bewohnt wurde, teils zu zweien an⸗ getroffen. In dem ersten und dem dritten Falle ist ersichtlich das relative Alter der Schichten und damit ihres Inhalls an Artefakten erwiesen. Es ist ferner verständlich, daß die Häufigkeit der Artefakte führenden Schlchten mit ihrem Alter abnimmt, mit ihrer An⸗ näherung an die Gegenwart sich steigert: von der jüngsten, dem Magdelaͤnien, gibt es in Frankreich allein 3090 Fundorte. Einige Beispiele werden zeigen, wie man die Aufgabe, eine Diluvialchronologle zu gewinnen, in Angriff nahm: In St. Acheul, dem Ort, welcher dem Acheulen den Namen gegeben, fand man in der obersten Humusschicht das volle her offer, in der Lehmschicht darunter Alt⸗Magdalénten, dann folgten nach unten Löß⸗ und Kiesschicht mit Aurignacten, junger Löß mit vervollkomm⸗ netem Moustärien, Basis des jungen Löß mit Alt⸗Moustérten, alter Löß mit Acheulsen. In einer Schichtenfolge bei dem Orte Azelin⸗Fardenoisin fanden sich von oben nach unten im Spät⸗Magdalnten zweireihige Harpunen aus Hirschgeweih geschnitzt, in Hoch Magdalsnien einreihige Harpunen, im Früh⸗Magdal nien einfache, kleine Harpunen, im Spät-Solutréen steinernen Fäustel mit Kerbspitze, im Hoch-Solutréen solche mit Lorbeerblattkerbspitze, im Früh⸗ Soluktréen solche mit Weidenblattkerbspitze. Alle diese Funde wurden sorgfältig mit allen Nebenumständen, wie sie bei den Grabungen zu beobachten waren, registriert, um daraus vorsichtig Schlüsse zu ziehen. Einige dieser Schlässe sind besonders interessant: In Deutsch⸗ land fehlen Chelläen und Acheulsen ganz, dagegen ist Acheulsen in Galley Hill-Kent in England festgestellt worden. Eine große, bogenförmige Steinklinge entstammt diesen Funden. Die reichften Funde aller Schichten ergaben Frankreich und Belgien, woraus deren dauernde Bewohntheit in der Diluvialzeit zu folgern ist. Auch in der Größe der Fundkomplexre unterscheiden sich Frankreich und Deutschland; das letztere, nördlicher gelegen, sah wohl eine langsamere Entwicklung und geringere Bewohntheit. Sehr charakteristisch ist die Fortbildung, welche das einfachste, nur eben benutzte, nicht dem Gebrauch besonders angepaßte Stein⸗ gerät des Chelläen in Laufe der Zeit erfuhr. Keiner der vom Vortragenden gezeigten Eolithe des Chellsen ließ die Benutzung durch den Menschen verkennen, aber in den späteren Schichten trat aufs deutlichste Anpassung, Formung nach Maßgabe der gegebenen Mittel, ja selbst doppel- und mehrfacher Gebrauch und entsprechender An⸗ passung an verschiedene Zwecke hervor. Die Benutzung von Knochen und Geweihen beginnt etwa mit dem Moustsrien, das in dieser Beziehung während seiner langen Dauer eine ziemlich kunstvolle Industrie entwickelte. Gänzlicher Verfall alter Technik ist dann zwischen Moustsrien und Aurignacien bemerklich. Daß die Diluvialmenschen Zeitgenossen des Flephas antiquus waren, daß Bison, Höhlenbär, Elch, Renntier von ihnen gejagt bezw. benutzt wurden, beweisen nicht nur die Verwendung der betreffenden Knochen, Zähne, Geweihe, sondern vor allem die zahl⸗ reichen Höhlenbilder. Viele dieser Bilder, deren eine große Reihe in Lichtbildern vorgeführt wurden, lassen ihre Urheber als geschickte Zeichner unter Anwendung des unverwüstlichen Schwarz der Kohle erkennen, als gute Beobachter des Kennzeichnenden an Pferd, Stier, Hirsch, Elefant. Höchste Ueberraschung aber bereiteten mehrfarbige, schwarze, gelbe und rote Tierbilder, den Bison darstellend, die vor längerer Zeit als Deckengemälde in einer Höhle bei Altamira in der Nähe von Santillana, Provin; Santander (Spanien), entdeckt worden sind. Der Vortragende war an Ort und Stelle und versicherte, daß die vorgeführten Bilder mit großer Sorgfalt und Treue aufgenommen sind. Ste könnten einem modernen Tiermaler Ehre machen. Auch andere Höhlen dieses Gebirgs⸗ stocke am Meeresgestade sind der speziellen Untersuchung wert. Spanien scheint in Uebereinstimmung mit dem an Funden be⸗ sonders reichen, südlichen Frankreich zu allen Diluvialzeiten vom Menschen bewohnt gewesen zu sein, seine Artefakte aus dieser Zeit zeigen zuweilen ungewöhnliche geometrische Formen. Jene Tierbilder sind gleich den in Frankreich gefundenen zumeist der Magdalénienzeit angehörig; immerhin ist es erstaunlich, wie ausgezeichnet sich in einer wohl 100 000 Jahre übersteigenden Zeit diese mehrfarbigen Bilder erhalten haben. Jedenfalls war das Magndalénien, wie es die jüngste der Diluvialzeiten war, auch die entwickeltste, die Blüte dieser Zeit, obgleich gewisse Anzeichen, nicht bloß die aus⸗ gedehnte Benutzung des Renntiers, sondern auch das Vorhandensein des Lemmings und Murmeltieres auf Tundracharakter und arktisches Klima, mindestens im Spätmagdal é nien schließen lassen. In dem sich an den sehr beifällig aufgenommenen Vortrag schließenden Meinungs⸗ austausch fragte Professor Dr. Penck den Vortragenden, in welche der 6 Zeltepochen er die jüngste Eiszeit verlege. Die Antwort lautete: Zwischen Aurignacien und Solutréen.
Als zweiter Vortragender des Abends sprach Dr. H. Frieden⸗ thal über „Das Haarkleid der Menschenrassen und der Menschenaffen“. Der Vortragende hat zur Untersuchung der Verwandtschaft zwischen dem Menschen und Menschenaffen den Weg der Haarvergleichung eingeschlagen und ist dabei mit großer Gründlich⸗ keit verfahren. Das Ergebnis war, daß eine bedeutende Aehnlichkeit bestehe zwischen dem Haarkleid des Menschen und der drei Menschen⸗ affen Gorilla, Schimpanse und Orang, aber nur mit diesen drei Arten; schon die Behaarung des Gibbon unterscheide sich ganz wesentlich. Ein Unterschied bestehe in der ursprünglichen Flaumbe⸗ haarung des neugeborenen Menschenaffen, die sich schnell in das dem Menschenhaar ähnliche Terminalhaar umwandle, und der Nicht⸗ behaarung des neugeborenen Menschen, es sei denn auf dem Kopf. In diesem Falle sei auch beim Menschen Flaumhaar vorhanden, das jedoch langsamer als beim Menschenaffen durch das Terminalhaar ver⸗ drängt werde; in beiden Fällen bleibe die Haarwurzel unverändert. Auf die Verschiedenheit des Haares bei den verschiedenen Menschen⸗ rassen übergehend, unterschied der Vortragende drei durchaus und in ihrem Ursprung streng geschiedene Stämme: Die Spiralhaarigen — Tasmanier, Papuas, Neger — die Lockenhaarigen (ausschließlich die Australier) und die Schlichthaarigen, denen die ganze übrige Mensch⸗ heit angehört, soweit nicht durch viele Kreuzungen ein mittel⸗ haariger Typus entstanden ist. An diese Betrachtungs⸗ weise knüpft sich die interessante Frage, ob die lockenhaarigen Australier den ältesten Menschentypus darstellen, die Urrasse, aus der der mittel- haarige Typus hervorgegangen ist. Der Vortragende hatte es an der Hand ausgezeichneter Lichtbilder und seiner geistreichen Darlegungen verstanden, die Versammlung bei diesem Gegenstande zu e und sie auch noch bei dem nachfolgenden Meinungsaustausch gefesselt zu erhalten.
Jagd.
Freitag, den 24. d. M., findet Königliche Parforce⸗ jagd statt. Stelldichein: Mittags 12 Uhr 30 Minuten am Denkmal auf dem Hasenheidenberg.
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.
Das Kaiserliche Gesundheitsamt meldet das Erlöschen der Maul- und Klauenseuche vom Schlachtviehhof in Frankfurt a. M. am 20. November 1911.
Oeste rreich.
Die K. K. Seebehörde in Triest hat verfügt, daß die Herkünfte von Tanger wegen des dortigen Auftretens von Lungen pest den Bestimmungen dez seebehördlichen Rundschreibens vom 12. August 1904 — Nr. 12468 — entsprechend zu behandeln sind. (Vergl. „R.⸗Anz.“ vom 1. Dejember 1904, Nr. 283.)
Die K. K. Seebehörde in Triest hat ferner verfügt, daß die , von Malta wegen des dortigen Auftretens von
holera den Bestimmungen des seebehördlichen Rundschreibens vom
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