Von 1893 ab suchte man nun mittels der sogenannten Spannungs. theorie den Effekt zu erzielen, daß im Verlaufe mehrerer Jahre Matrikularbeiträge und Ueberweisungen sich ausglichen. Dann bildeten sich allmählich die bestimmt bemessenen Matrikularbeiträge, aber zunächst in dem Sinne, daß man davon ausging, es seit den Bundes⸗ staaten unmöglich, mehr als 40 3 auf den Kopf der Be⸗ voilkerung Matrlkularbeiträge zu bezahlen, und man müsse versuchen, mit diesem Betrage so lange und so gut, wie es gehe, auszukommen. Und daraus entstand dann das Institut der ge— stundeten Matrikularbeiträge (Heiterkeit), welches bekanntlich einer bedingten Anleihe ganz zum Verwechseln ähnlich sieht (Heiterkeit), besonders wenn man bedenkt, daß die betreffenden Etats außerdem noch den Keim sehr großer Fehlbeträge in sich trugen. .
Meine Herren, war diese Zeit eine solche der größten Unsicher⸗ heit für das Reich und des schwersten Niederganges der Reichsfinanzen, so hat sie auch keineswegs den Bundesstaaten die von ihnen gewünschte Sicherheit gebracht; denn über ihnen schwebt nun unausgesetzt wie eine drückende Wolke die Wiedereinziehung der gestundeten Matrikular⸗ beiträge. So sst die Geschichte der Matrikularbeiträge eine Leidens⸗ geschichte für beide Teile, eine Quelle steter Unsicherheit der Finanzen sowohl des Reichs, wie der Bundesstaaten; denn auch diesen hat die Zeit, in welcher sie die großen Ueberweisungen erhielten, keineswegs durchweg zum Heile gereicht.
Dagegen bildet sich seit 1909 ein zwar nicht auf Gesetz beruhender Beharrungszustand des Inhalts: 80 3 Matrikularbeiträge, Fehl⸗ beträge und Ueberschüsse zugunsten und zu Lasten des Reichs, und zwar sowohl in der allgemeinen Reichsrechnung wie bei den allein verbliebenen Ueberweisungssteuern, der Branntweinsteuer. Das sind also drei Ausstrahlungen eines und desselben Grundgedankens: die Bundesstaaten zahlen auf Gedeih und Verderb 80 3 an das Reich.
Meine Herren, es läßt sich unmöglich bestreiten, daß diese auf gegenseitiger fortlaufender Verständigung beruhende und vom Reichs—⸗ tage stets gutgeheißene Uebung den Finanzen des Reichs und auch denen der Bundesstaaten eine Sicherheit gebracht hat, welche ihnen bisher vollkommen abging. Wie man immer für die Zukunft über die Gestaltung des Matrikularwesens denken mag, meine Herren, große Experimente können wir auf diesem Gebiete fürderhin nicht mehr an⸗ stellen. (Sehr richtig! links. Die Matrikularbeiträge sind nach wie vor ein wünschenswertes und unentbehrliches Bindeglied zwischen Reich und Bundesstaaten. Aber einer der wesentlichsten Bestandteile der Reichseinnahmen sind sie nicht mehr, und können sie nicht mehr werden aus dem einfachen Grunde, weil die Leistungsfähigkeit der Bundes⸗ staaten gegenüber dem ungeheuerlich gestiegenen Reichsbedarf keines—⸗ wegs eine unbegrenzte ist, — jetzt noch weniger als früher, nachdem das Reich sein eigenes Steuergebiet wesentlich ausgedehnt und den steuerlichen Zugriff der Bundesstaaten in entsprechender Weise ein—⸗ geschränkt hat. Es ist wiederholt anerkannt worden, daß die Bundes⸗ staaten, insbesondere viele der kleineren, außerstande sind, die Lasten des Reichs neben den eigenen Staatslasten noch ohne eine Begrenzung zu tragen. Wollten wir gleichwohl den bequemen Verfassungsweg gehen und ihnen einen Mehrbedarf aufdrängen, so hieße dies nichts anderes, als sich die gegenwärtige Verlegenheit in derselben Weise von der Seele zu schaffen, wie es auch auf andere Weise, also z. B. durch Strecken von Einnahmen oder durch Aufnehmen von Anleihen, geschehen kann und geschehen ist. Es läßt sich unschwer prophezeien, daß ein solcher, der anderen Seite zugeworfener Ball bald auf das Reich rikoschettiert. Wir haben dafür ein lebendes Beispiel in Ge— stalt der gestundeten Matrikularbeiträge und Fehlbeträge von 1906 bis 1908, mit denen der Etatsgesetzentwurf im 5 4 sich nochmals zu befassen Veranlassung hat. Wollen wir bei entstehendem Mehrbedarf nicht ein bloßes Beruhigungsmittel wählen, welches nachher um so größere Unruhe schafft, wollen wir der Deckungsfrage nachdrücklich ins Auge sehen, so müssen wir unser eigenes Feld bearbeiten, den Boden der Reichsabgaben.
Meine Herren, wenn man das Verhältnis zwischen Reich und Bundesstaaten so auffaßt, so ist auch nicht zu erkennen, weshalb es die erste Sorge sein müßte, mit entstehenden Ueberschüssen die nach oben begrenzten Matrikularbeiträge noch weiter herabzumindern. (Abgeordneter Erzberger: Sehr richtig) Ueberschüsse und Fehl“ beträge sind die Begleiterscheinungen des wichtigsten Teils der Reichseinnahmen, nämlich der Zölle und Steuern, daneben auch der Post⸗ und Eisenbahneinnahmen, und sie müssen naturgemäß bei diesen Einnahmequellen ihren Ausgleich finden. In den Ueberschüssen und Fehlbeträgen prägt sich zugleich der Geist der jeweiligen Finanzpolitik aus. In dieser Beziehung unterscheiden sich die drei letzten Jahr⸗ zehnte einigermaßen voneinander. In den achtziger Jahren hatten wir fast regelmäßig Fehlbeträge, aber von sehr geringer Höhe; das Jahrzehnt von 1890 ab bringt meist Neberschüsse, und zwar sowohl bei den Zöllen und Steuern, wie auch beim gesamten Reichshaushaltsabschluß. Dagegen finden wir in den Jahren 1900 bis 1909, mit Ausnahme der Jahre 1905 und 1906, wiederum Fehlbeträge, die in den überaus großen Defizits von 1908 und 1909 ihren Kulminationspunkt fanden. Im Jahre 1910 haben wir dann wieder einen Ueberschuß zu verzeichnen, und zwar im Betrage von 117,? Millionen Mark. (Abg. Erzberger: Hört, hört!) Er besteht aus Mehreinnahmen von 58 Milltonen Mark bei den Zöllen und Steuern, von 23 Millionen bei der Post, 13 Millionen bei den Eisenbahnen und 33 Millionen beim Bank⸗ wesen, ferner aus Minderausgaben von 21 Millionen Mark, im einzelnen besonders bei der Reichsschuld, beim Heere, bei dem Pensions⸗ fonds, dem Reicht amt des Innern und der Marine.
Man wird sagen dürfen, meine Herren, daß diese Mehrerträge an sich normal waren, hervorgerufen durch die günstige Entwicklung der neuen Einnahmequellen, durch eine günstige Wirtschaftslage und durch eine vorsichtige Haushaltsführung. ;
Dagegen haben die Ergebnisse von 1911 entschieden einige Punkte, welche über das Normale hinausgehen, und zwar zunächst bei den Getreidezöllen, welche bei dem zu erwartenden Ueberschuß an der Spitze stehen dürften. Die Mehreinnahme von Getreide⸗ zöllen war im ersten Halbjahr des laufenden Rechnungsjahres eine große und in den Monaten Juni und Jult sogar eine außerordentlich große; seitdem hat sie wieder abgenommen, und es ist namentlich auch wegen der Anrechnung der Einfuüuhrscheine (hört, hört! links) noch nicht mit Sicherheit vorauszusehen, welche Erträge am Schlusse des Etatsjahres sich ergeben werden, ob der jetzt geschãͤtzte Mehrertrag von 45 Millionen sich halten wird. Auf alle Fälle aber, melne Herren, ist diese Mehreinnahme dem Jahre 1911 eigentümlich und kann bei der Schätzung für die folgenden Jahre nicht mitgerechnet
werden.
Aehnliches gilt von der Zuckersteuer, mit welcher wir uns soeben beinahe beschäftigt hätten. (Heiterkeit) Meine Herren, sie hat voraussichtlich einen Mehrertrag von 18 Millionen Mark im Jahre 1911. Davon entfallen aber 13 Millionen Mark auf die Vor⸗ versorgung, welche stattfand, als die ungünstige Rübenernte bekannt wurde. Dieser Mehrertrag wird sich also im kommenden Jahre nicht nur nicht wiederholen, sondern er wird das nächste Jahr sogar ungünstig beeinflussen. Da außerdem dle Lage des Zuckermarktes gegenwärtig durchaus unsicher ist, so sind wir nicht in der Lage, für 1912 an Zuckersteuer mehr einzusetzen, sondern setzen sogar die Schätzung von 1911 noch um? Millionen Mark herab.
Endlich ist eigenartig dem Jahre 1911 die Ueberkontingentsabgabe für Kall im Betrage von 63 Millionen Mark, gleichfalls ein einmaliger Posten.
Meine Herren, einen großen Anteil an den Mehrergebnissen für 1911 haben diejenigen Zölle und Steuern, welche im Jahre 1909 neu eingeführt oder umgestaltet worden sind. (Hört! hört! rechts und in der Mitte.) Sie bringen voraussichtlich gegen den Anschlag von 1911 ein Mehr von 64 Millionen Mark (hört! hört! rechts und in der Mitte) und gegen das tatsächliche Ergebnis von 1910 78 Millionen Mark. (Hört! hört! rechts und in der Mitte.) Voran steht dabet der Branntwein mit 27 Millionen Mark, dann folgt der Tabak mit 20 Millionen Mark. (Hört! hört) Das Tabakgeschäft ist für die Reichskasse in letzter Zeit recht günstig ver⸗ laufen, wenngleich die Steuer auf inländischen Tabak nachgelassen hat. Es folgen dann die umgestalteten Börsensteuern mit 14 Millionen Mark mehr, wobei ich wohl gleich erwähnen darf, daß hier aus dem Lager der alten Steuern noch ein Mehr von 95 Millionen Mark, nämlich beim Kaufstempel, hinzustößt.
Dann sind an Mehr zu erwähnen die Steuern aus Leuchtmitteln mit 3 Millionen Mark, aus Zündwaren mit 25 Millionen Mark und aus dem Bler mit 2 Millionen Mark.
Der Stempel für Grundstücksübertragungen stieg im Jahre 1910 zweimal zu ungewöhnlicher Höhe, nämlich erst im April / Mai bei Einbringung des Zuwachssteuergesetzes und dann wieder im September / Oktober, als die Wiederaufnahme der Beratungen über das Zuwachssteuergesetz unmittelbar bevorstand. Demgemäß bringen gerade diese Monate des folgenden Jahres geringere Erträge Indessen ist der Grundstücksstempel in den letzten Monaten im wesentlichen schon wieder auf den Betrag gestiegen, den er in den entsprechenden Monaten des Vorjahres hatte. Was aber die Zuwachssteuer selbst anlangt, so kamen für sie leider die ersten Monate des neuen Rechnungsjahres überhaupt nicht in Betracht, weil der Erlaß der Ausführungsbestimmungen und die Organisation der Zuwachssteuerämter in allen Bundesstaaten sehr geraume Zeit in Anspruch nahm. Auch jetzt hat sich das Gesetz zwar in dem größten Teil des Reiches, aber noch keineswegs überall vollständig eingelebt. (Sehr richtig! rechts) Immerhin sind aber den Sommermonaten, in welchen die Erträgnisse sich nur auf je einige Hunderttausende von Mark beliefen, die Monate Oktober, No⸗ vember und Dezember mit einem durchschnittlichen Ertrag von etwa 1,ů1 Millionen Mank gefolgt (hört! hört! rechts und in der Mitte); und im Januar 1912 hat der Ertrag sich auf 1636 689 M belaufen. (Hört, hört! in der Mitte) Wenn man diese Zahl und das Fortschreiten der Zahlen zu Grunde legt, so ist die Erreichung des Beharrungs⸗ zustandes keineswegs außerhalb des Bereichs der Möglichkeit. Be⸗ stimmtes kann ich aber darüber noch nicht sagen, nur so viel möchte ich hinzufügen, daß allerdings die Bestimmungen des Gesetzes über die Zurechnungen zum Erwerbepreise und die Abzüge vom Ver— äußerungspreise den Wirkungsbereich der Steuer ganz ungemein ein—⸗ engen. (Sehr rlchtig! recht, — Das haben Sie aber selbst mit⸗ gemacht. (Heiterkeit. )
Der Wechselstempel hat sich etwas gebessert, der Scheck stempel aber nicht. (Hört! hört! links) Von den alten Steuern wird die Erbschaftssteuer etwa 43 Millionen Mark bringen, das sind 4 Millionen mehr als geschätzt.
Mäßige Ueberschüsse liefern die Abgaben für Fahrkarten, Fracht urkunden, Kraftfahrzeuge, Rennwetten und Auf— sichtsrats tantiemen.
Die Salzsteuer zeigt eine unerwartete Stockung, wahrscheinlich deshalb, weil weniger Gartenerzeugnisse im letzten Herbst eingemacht worden sind. (Heiterkeit.,)
Meine Herren, nach dem, was ich zü den Getreidezöllen zu der Zuckersteuer und zu der Kaliabgabe sagen durfte, kann es nicht wundernehmen, daß sich das tatsächliche Ergebnis für 1911 in den Schätzungen für 1912 nicht vollständig widerspiegelt. Immerhin ist der Fortschritt von 1912 gegen 1911 gegen— über demjenigen von 1910 auf 1911 ein wesentlich größerer. Wir hatten im Jahre 1911 ein Mehr von 49 Millionen eingesetzt, dagegen beläuft es sich in 1912 auf 78 Millionen. (Hört! hört! in der Mitte.) Das ist reichlich, aber doch wohl noch vorsichtig geschätzt. Hier ist es eben, wo die Wege einer nur auf das Gleichgewicht des nächsten Etats bedachten und einer auf eine längere Periode vor— bedachten Finanzverwaltung außeinandergehen. Früher war es fast die Regel, daß man nach einem in der Vergangenheit liegenden Durchschnitt schematisch schätzte. Man darf dieses Hilfsmittel auch in keiner Weise verschmähen, aber man muß nach meiner Ansicht die Verhältnisse des einzelnen Falles mehr berücksichtigen, auch die offen sichtlich nicht wiederkehrenden Einnahmen ausscheiden und, wie ich es jedenfalls tue, bei manchen der übrigen Einnahmen einen Sicherheits⸗ gürtel zwischen sich und ein Defizit legen, so z. B. bei den Börsen—⸗ steuern, die einen regelmäßigen Fortschrltt unmöglich haben können. Ich muß meinerseits der Rückkehr zu dem älteren System auf das dringendste widerraten, jedem widerraten, dem gesunde Finanzen am Herzen liegen.
Meine Herren, der Fortschritt der gesamten Zoll und Steuereinnahmen veranschaulicht sich so: im Durchschnitt der beiden Jahre 1907 und 1908 sind je 1159 Millionen eingesetzt, da⸗ gegen im Jahre 1909 1358 Milltonen, 1910 1513 Millionen und 1911 sicher über 1600 Millionen. Für 1912 haben wir, wie ich schon erwähnen durfte, 1594 Millionen eingeschätzt.
Was die übrigen Einnahmen anlangt, so entwickeln sie sich im ganzen durchaus normal. Post und Eisenbahn haben einen erfreulichen Mehrüberschuß zu verzeichnen, der uns befähigt, für das Jahr 1912 trotz erheblich gestiegener Mehrausgaben ein Gesamtmehr von 25 Millionen einzusetzen.
Der Ueberschuß der Reichsdruckerei wird auch diesmal unter dem Etat bleiben, und zwar um etwa 5. Million, doch beginnen die
Verhältnisse dort sich zu bessern.
Die übrigen Einnahmen zeigen keine besonderen Abweichungen von dem ruhigen Entwicklungsgange. Zum ersten Male erscheint in dem Etat ein Zuschuß aus dem Hinterbliebenenversicherungtz fonds, und zwar in dem Etat der allgemeinen Finanzverwaltung, der gleichfalls eine Neuerung ist. Der Hinterbliebenenversicherungs— fonds beläuft sich jetzt auf 473 Millionen Mark, die sämtlich auz dem Jahre 1907 stammen. In diesem Jahre wird er, wenn man nur die 9 Monate rechnet, für welche er gesetzlich noch offen ist, wahrscheinlich einen Zuschuß von etwa 45 Millionen Mark erhalten; müßte man aber, was ich hier nicht entscheiden will, bis zum Schluß des Rechnungsjahres durchrechnen, so würde dieser Betrag wahr— scheinlich wieder einschwinden.
Meine Herren, die Unruhen in China werden unsere Ein— nahmeverhältnisse für 1911 vorausichtlich beeinflussen, weil die chinesische Regierung mit Entschädigungszahlungen im Betrage von 3 Millionen Mark rückständig ist. Ich darf hier wohl gleich er— wähnen, daß wir für 1912 zur Wahrung unserer Interessen in China und zur Erhaltung der Besatzung in Kiautschou auf dem entsprechenden Stande eine Mehrausgabe haben werden, welche bei Aufstellung des Etatsentwurfs noch nicht vorausgesehen werden konnte. Soweit die Schätzung jetzt reicht, wird diese Mehrausgabe etwa 650 000 4 betragen.
Wenn ich mich nun ganz den Ausgaben zuwende, so darf ich nachholen, daß wir auch im Jahre 1911 Ersparnisse zu erwarten haben, wenn auch nicht ganz in der Höhe von 1910, und zwar haupt— sächlich bel dem Kapitel Schuldzinsen, weil. wir längere Zeit eine Anleihe nicht begeben haben. Die einzelnen Zuschußverwaltungen — das kann man wohl im allgemeinen sagen — gleichen ein Mehr und ein Minder in sich selbst aus.
Die Kolonialverwaltung hat eine auf ihrem hiesigen Dienstgrund⸗ stück lastende Hypothek im Betrage von 1 Millionen Mark zum Vor— teil außeretatsmäßig abgestoßen.
Beim Auswärtigen Etat stehen sich gegenüber Mehraufwendungen an Reisekosten für das gesandtschaftliche und Konsulatspersonal und Minderausgaben für deren Gehälter.
Beim Reichsamt des Innern ist eine Mehrausgabe für Unter— stützungen aus Anlaß von Friedensübungen zu erwähnen, demgegenüber Mehreinnahmen beim Patentamt und beim Kolonialamt.
Heer und Marine haben Mehrausgaben von 3 bis 4 Millionen Mark für Mundverpflegung zu erwarten, dagegen Ersparnisse auf anderen Gebieten, so z. B. beim Pensionsfonds. Meine Herren, eine bessere Ausstattung der Armee mit Flugzeugen und mit Funkengeräten hat sich als dringlich erwiesen. Es werden deshalb über die in den Etats enthaltenen Ansätze hinaus 2 Millionen Mark in dem laufenden Etat außeretatsmäßig ausgegeben. Ihre Zustimmung hierzu wird auf dem vorgeschriebenen Wege erbeten werden.
Meine Herren, was den Etat von 1912 anlangt, so enthält er Mehrausgaben im Betrage von 140,5 Millionen Mark. Aber diese Ziffer verliert sehr viel von ihrem achtunggebietenden Aussehen, wenn man ihr näher tritt. Zunächst scheiden aus die Ausgaben der Ueberschußverwaltungen in der Höhe von ungefähr 36 Millionen Mark, dann aber und vor allem sind die von mir bereits erwähnten Verschiebungen zwischen dem außerordentlichen und dem ordentlichen Etat zu beachten. Außer der Rate für den Kaiser⸗Wilhelm-Kanal sind auf den ordentlichen Etat noch übergeführt 6,8 Millionen Mark ür die Festungen und 1.8 Millionen Mark für die Ausdehnung des Eisenbahnnetzes im Interesse der Landesverteidigung.
Ferner ist der außerordentliche Etat der Marine entlastet um etwa 26,4 Millionen Mark, d. h. fast genau um den Betrag, welcher bet einer früheren Bedarfsberechnung ins Auge gefaßt war. Da aber die Zuschußanleihe zu den Schiffsbauten aus dem außerordentlichen Etat größer sich stellt als früher berechnet, so war dieses Ergebnis nur dadurch zu erzielen, daß die Ausgaben für die Wilhelmshavener Werfterweiterung, für den Helgoländer Hafenbau und für die Küsten— befestigung im Gesamtbetrage von 16 Millionen Mark auf den ordent— lichen Etat übernommen wurden. Demgemäß enthält der ordentliche Etat eine Mehrbelastung für die Marine von 25,? Millionen Mark oder mit anderen Worten: die Marine bleibt, soweit der Etat von 1912 in Betracht kommt, auf fast genau derselben Höhe, wie sie im Jahre 1911 war.
Hiernach korrespondiert also eine Mehrbelastung des ordentlichen Etats um rund 76 Millionen Mark mit einer Entlastung des außer ordentlichen Etats um 82.5 Millionen Mark. (Abg. Erzberger: hört, hört! In Gegenrechnung steht dann die Summe von 29 Millionen Mark, welche aus dem ordentlichen Etat wegfällt, weil die Abbürdung des Rückstandes von 1909 jetzt erledigt ist. Also alles in allem: die Reinausgabe des ordentlichen Etats von 1912 nach Abzug der Verschlebungen zwischen außerordentlichem und ordentlichem Etat beläuft sich auf ein Mehr von 57,5 Millionen Mark. Hiervon entfallen auf das Heer 53 Millionen und auf die Schutz— gebiete 3 Millionen Mark.
Meine Herren, beim Heere fällt wieder zunächst in die Augen das Mehr von 16 Millionen Mark für die Naturalverpflegung. Es ist nur zum Teil, wenn auch zum größeren Teil vorübergehend, weil die Preise jetzt besonders hoch sind, (hört! hört! links) dagegen zum anderen Teile voraussichtlich dauernd, weil die Preise des Vorjahres unter dem Durchschnitt waren.
Die Mehrausgaben für das neue Friedenspräsenzgesetz, welche 1912 zum ersten Male stärker in die Erscheinung treten, hat der neue Etatsentwurf zu bewältigen vermocht, ebenso die erhöhten Ausgaben für Feldartillerlemunition, Luftschiffe, Funkentelegraphengeräte, fahr= bare Feldküchen und Verbesserung der Unterkunft der Unteroffiziere, auch für eine Anzahl von Neubauten und für die nicht ganz geringe Steigerung infolge des Dienstaltersstufensystems.
Meine Herren, was die Kolonien anlangt, so ist das Meht bei ihnen zum Teil nur ein scheinbares. Im allgemeinen läßt scc sagen, daß die Finanzen der Kolonien gut vorwärts kommen. Eine Auznahme macht nur Südwestafrika, weil dort vermehrte Schwierigkeiten in der Diamantenproduktion mit einer ungünstigen Lage des Diamantenmarktes zusammentreffen. Es soll versucht werden, durch eine Aenderung der Dia mantenabgaben gleichzeitig die Diamantenförderung zu heben und die Einnahmen des Schutz gebletes zu verbessern. Deshalb hat auch Südwestafrika den weitaus größten Anteil an der gesamten Ausgabenvermehrung. Aber man muß hierbei berücksichtigten, daß dem Etat für 1911 für Südweh ; afrika ein Ueberschuß an Ersparnissen aus dem Jahre 1908 zustatten
kam, der aus mehr zufälligen Umständen wesentlich größer war alt
derjer ige von 1909, welcher auf den Etat von 1912 angeschrieben
wird. Die Einzelheiten hierüber werden wohl einer späteren Beratung vorzubehalten sein.
Ostafrika hat sehr erfreuliche Fortschritte gemacht. Es ist möglich gewesen, die Bürgschaftszahlung für die ostafrikanische Zentral⸗ bahn vom Etat des Reichs auf den Etat des Schutzgebiets über⸗ zuführen. Ostafrika und Kamerun haben außerdem die Bauzinsen für unvollendete Bahnstrecken und die Baukosten für Erschließungen von dem außerordentlichen auf den ordentlichen Etat zu überführen vermocht. ‚.
Was die Kosten für das jüngst erworbene Gebiet Neu kamerun anlangt, so lassen sie sich auch jetzt noch nicht für 1912 mit Bestimmtheit übersehen. Zunächst werden die Kosten der Grenz⸗ vermessungtarbeiten zu bestreiten sein.
Die Erhöhung des Reichszuschusses für Neu-Guinea entspricht den Wünschen, welche im Reichstage selbst eine eifrige Förderung ge—
unden ha ben.
Von den übrigen Ausgaben läßt sich auch hier im wesentlichen sagen, daß die Entwicklung durchaus normal ist: so die des Aus— wärtigen Amts, bei denen ich mir erlaube, die Erhöhung des Schul— fonds auf eine Million Mark hervorzuheben, und die des Reichs. amts des Innern, dessen Kleinwohnungsfonds von 2 auf 4 Mil- lionen Mark erhöht worden ist. Es treten noch hinzu ein kleines Mehr an Pensionen, desgleichen Mehrausgaben für Veteranenbeihilfen und wiederum ein Mehr für die Familienunterstützung infolge von Friedensübungen. Der ordentliche Etat wird außerdem dadurch um 7 Millionen mehr belastet, daß nunmehr der Invalidenfonds voll⸗ ständig erschöpft ist. Aber alles dieses wird reichlich ausgeglichen durch eine Ersparnis an Schuldenzinsen, ferner durch Mehreinnahmen in den kleineren Verwaltungszweigen und endlich dadurch, daß die Matrikular⸗ beiträge infolge der letzten Volkszählung in ihrer Endsumme gestiegen sind
Einen etwas breiteren Raum als in den früheren Etats nehmen diesmal die neuen Beamtenstellen ein. Auf die Dauer lassen sich Personalvermehrungen nicht ganz hintanhalten. Beim Militär sind sie die jeweilige Folge der Friedenspräsenzgesetze und bei den Betriebsverwaltungen sind sie die Folge der Geschäftserhöhung und auch die Voraussetzung für erhöhte Gewinne. Daß aber hierbei Vereinfachungsbestrebungen obwalten, können Sie daraus ent⸗ nehmen, daß die Zahl der höheren Beamten, die sich um 6000 be— wegt, seit 1909 um etwas abgenommen hat, während bei den mittleren Beamten eine Erhöhung von 63 800 auf 67 409 und bei den Unter⸗ beamten von 102 500 auf 106400 seit 1909 nicht hat aufgehalten werden können. Die Hilfsarbeiterfonds sind seit 1909 von 81 Mil⸗ lionen auf fast 84 Millionen Mark gestiegen.
Besonders aber ist zu erwähnen, daß bei Ausstattung der Unter⸗ stützun gsfonds die verbündeten Regierungen genau dieselben Be⸗ strebungen haben, wie sie in Preußen bereits amtlich kundgegeben worden sind. Auch wir schlagen eine Erhöhung der Beamtenunter— stützungsfonds vor, und zwar um 15 Millionen Mark, d. h. von h,3 auf 6,8 Millionen Mark. Außerdem hegen wir den Wunsch, daß diese Erhöhung schon jetzt in Wirksamkeit treten möchte. Da aber die Unterstützungsfonds als Dispositivfonds nicht überschreitbar sind, so kann das nur mit Zustimmung des Reichstags geschehen. Ich würde aber diese Zustimmung als vorhanden voraussetzen, falls ein Widerspruch im Laufe dieser Etatsberatung nicht erfolgen sollte. Dasselbe Verfahren ist auch in Preußen schon ohne Widerspruch ein⸗ geschlagen worden.
Meine Herren, der Etat von 1912 beruht also in aller Maße auf den selben Grundsätzen wie seine beiden Vorgänger. Er bestreitet die aus der bisherigen Entwicklung hervorgehenden Ausgaben mit den sich weiter entwickelnden bisherigen Einnahmen und mit 3830 3 Matrikularbeiträgen. Er entlastet den außerordentlichen Etat um 80 Millionen Mark und vermindert die Anleihe um 53 Millionen Mark. Befähigt er uns also, die bisherigen Bahnen zu verlassen, die Ausgaben wieder zu nehmen, wo wir sie finden, die Deckung aber der Vorsehung und einem späteren Stadium zu überlassen, in welchem das Wasser uns wieder an die Seele gegangen sein möchte? (Heiterkeit. Diese Frage würde ungefähr dasselbe bedeuten wie die schon gefallene Bemerkung, wir schwämmen bereits wieder im Golde. (Heiterkeit) Nein, meine Herren, wir schwimmen nicht im Golde, wir schwimmen überhaupt nicht. Nein, wir befinden uns auf dem harten Boden realer Tat- und Geldsachen, auf dem steinigen und dornigen Wege, den jede Finanzverwaltung, insonderheit die des Reichs zu gehen hat. Auf diesem Wege sind wir ein gutes Stück vorwärts gekommen. Wir haben die außerordentliche Belastung unserer Schatzanweisungsfonds beseitigt, dessen weitere Herabsetzung wir also vorschlagen können, und wir bestreiten die laufenden Ausgaben mit laufenden Mitteln. Auf dem Anleihemarkt treten wir nach dem Bedarf als Käufer auf, und die etwas zu große Masse der hauptsächlich 1807 ausgegebenen, verzinslichen Schatz⸗ anweisungen, deren Einlösung oder Verlängerung leicht den Markt in Unruhe versetzen könnte, suchen wir nach Kräften zu mildern. Zu diesem Zweck haben wir uns an einer vor kurzem ausgegebenen preußischen Staatsanleihe mit dem Betrage von 80 Millionen Mark beteiligt. Das alles sind Lebensäußerungen, zu denen jede Finanz verwaltung verpflichtet ist, welche sich auf der Höhe und die Finanzen für schwierige Zeitläufte leistungsfähig erhalten will. Sie zeigen, daß unsere finanzielle Kraft sich zu regen beginnt.
Wenn aber der Erfolg der noch nicht ganz vollendeten Wieder— gesundung uns erhalten bleiben soll, so müssen wir auch die Mittel weiter verwenden, mit denen wir so weit gekommen sind. Entsteht ein neuer unabweislicher Mehrbedarf, so darf das nicht der Anlaß sein, die jetzigen heilsamen Grundsätze wieder über Bord zu werfen. Es darf nicht der Anlaß sein, daß wir den heilsamen Wahrspruch: keine Ausgabe ohne Deckung, — was doch wohl heißen soll: keine Ausgabe ohne Golddeckung — verwandeln in den Wahrspruch: keine Ausgabe ohne Papierdeckung, ohne Briefdeckung. Wenn das Wohl des Vaterlandes ein Opfer erheischt, so muß es gebracht werden. Meine Herren, die Finanzen sind auch ein Teil der Wehrtüchtigkeit des Reichs, auch sie müssen gut einexerziert sein, auch sie müssen vor In⸗ und Ausland untadelhaft dastehen und dürfen nicht, wenn auch nur aus Mißverständnis, als morsch und gebrechlich betrachtet und berspottet werden. Sind sie so beschaffen, daß sie Vertrauen ver— dienen, und wird ihnen dieses Vertrauen auch wirklich zuteil, dann dienen sie dem Ansehen Deutschlands und damit einer gedeihlichen friedlichen Entwicklung unseres gesamten Staatslebens. (Bravo! rechts, in der Mitte und bel den Nationalliberale)
6. Sitzung vom 15. Februar 1912, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Nach der Annahme des 4 der Abgg. Albrecht und Genossen 5 Einstellung eines schwebenden Strafverfahrens gegen den Abg. Giebel für die Dauer der gegenwärtigen Session setzt das Haus die erste Bergtung der Gesetzentwürfe, betreffend die Feststellung des Reichs haushaltsetats und des Haushaltsetats für die Schutzgebiete auf das
k 1912, fort. Abg. Dr. in seiner Rede, deren An⸗
Frank (Sog), Red
fang in der gestrigen Nummer d. Bl. mitgeteilt worden ist, sortfahrend: In er a, Beziehung wäre es nach den Wahlen ein Hohn auf die Bevölkerung, wenn die Regierung ant⸗ wortete mit einer Einführung des Kartoffelzolls. Die Seffnung der Grenzen, für ausländisches Gefrierfleisch und die Aufhebung der Futtermittelzölle ist eine Forderung der Konsumenten und der Biehl züchter. In letzter Beziehung, stehen Kleinbauern und Groß— grundbesitzer auf derschiedenen Seiten. Eine Reform des Beamten— rechts ist weiter nötig. Die Beamten müssen sich als freie Bürger fühlen, auch die Besserstellung der Soldaten ist erforderlich. Bie Erhöhung der Soldatenlöhne für den Mann um 10 3 ist ein einfaches Gebot der Billigkeit und der Gerechtigkeit. Für die Privatbeamken und Angestellten verlangen wir ein Arbeitsrecht, Schutz der Erfinder und das Koalitionsrecht. Den Klagen der Schauspieler sollte noch in dieser Session durch ein Theatergesetz abgeholfen werden. Für die Arbeiter müßte ein früherer Fehler des letzten Reichstags gut gemacht werden durch Herabsetzung der Altersgrenze für die Rente der Arbeiter vom 70. auf das 65. Lebensjahr. Man empfindet die differentielle Behandlung der Privatangestellten in dieser Be— ziehung als ein schweres Unrecht. Es ist jetzt die Zeit gekommen für ein Reichsgesfetz gegen Arbeitslosigkeit. Mehrere Städte haben den Versuch gemacht, zur Entlastung ihrer. Etats mit einer Arheitslosenversicherung vorzugehen. Die Bundesstaaten haben sich geweigert, diesem Beispiele zu folgen. Das Reich muß hier ein⸗ treten. , ist notwendig eine Wohnungsreform, ein Wohngesetz. Viele Mitglieder des e . arbeiten in Sittlichkeits vereinen, in Vereinen zur Bekämpfung der Trunksucht und der Tuberkulose. In letzteren ist der Reichskanzler deren Vorsitzender; alle Einsichtigen sind zu der Erkenntnis gekommen, daß diesen Uebeln wirksam nur durch ein Wohnungsgesetz begegnet werden kann. Auf dem Gebiete des Wahlrechtes verlangen wir auch für die Frauen das aktive und passive Wahlrecht zum Reichstage. (Lachen rechts) Von Ihrem Lachen wird das deutsche Volk Kenntnis nehmen; es sitzt hier im Hause so mancher auf Grund der Wahlarbeit der Frauen. Wir ver⸗ langen die Ausdehnung des Reichstaghwahlrechts auf die Einzelland— tage, insbesondere auf den , Man hat in diesen Tagen das Schauspiel gehabt, daß der Reichstag unter die gemilderte Pfleg— schaft der nationalliberalen Landtagsfraktion gestellt wurde; es ist Zeit, dem Spiele mit dem Gedanken der Unterstellung des Reichstags unter die Generalvormundschaft des preußischen Ab— geordnetenhauses ein Ende zu machen. Die Reichstagswahlen waren eine große Demonstration des Volkes gegen die Ausdehnung der indirekten Steuern. Verstände sich die Regierung auf Popularität, so hätte sie uns hier empfangen mit einer kleinen , mit der Abschaffung der Fahrkarten⸗ und der Streichholzsteuer z. B. und mit der Deckung des Ausfalls durch die Erweiterung der Erbanfall— steuer. Die direkten Reichssteuern kommen; sie müssen kommen. Sparen kann man nur an dem großen Ausgabeetat für Heer und Flotte. Davon sind wir aber vorerst weit entfernt; unser Kriegsminister verlangt mehr Soldaten. Wir können nicht anerkennen, daß dafür sachliche Gründe vorgetragen worden sind. Die Verstärkung des Heeres ist der Regierung bei der letzten Militärvorlage förmlich aufgedrängt worden. Der Zeitpunkt für die Anbringung einer solchen neuen Heeresvorlage ist der denkbar ungeeignetste. Die Friedensbeftrebungen der Arbeiter- partei und der Gewerkschafter in England werden durch die Friedens— kundgehung der deutschen Wahlen gestärkt werden. Man hört von Versuchen, mit England zu einer ge igen, zu gelangen. Wir werden alle Friedensbestrebungen wie bisher auch weiter unterstützen, aber die Haupthilfe wird und muß uns kommen von den Engländern selbst. Die Engländer sind nüchterne Rechner, und die Stimmen in England mehren sich, die sich gegen die Politik des jetzigen Kabinetts wenden, und ich hoffe, der Druck der englischen Arbeiterschaft wird, die englische Politik hineindrängen in den Weg auf— richtiger friedlicher Verständigung mit dem großen deutschen Volke. Wir wünschen und verlangen dringend, daß nicht etwa in China gegen das Volk, das jetzt seine Verhältniffe zu ordnen im Begriffe ist, Deutschland eine Abenteuerpolitik ein— schlägt. Mit einem deutlichen Ruck müßte die Reglerung sich von jenen alldeutschen Politikern trennen, mit denen sie anscheinend im letzten Sommer eine geheime Rückversicherung eingegangen war. Der Widerspruch zwischen den Behauptungen des Staatssekretärs von Kiderlen und auf der anderen Seite in dem bekannten „Grenzboten“ ier, besteht noch immer. Mit der überlehten und unheilvollen Ge⸗ eimniskrämerei muß gebrochen werden; sie ruft nur Mißtrauen hervor. Wir brauchen auch auf dem Gebiete der auswärtigen Politik demokratische Einrichtungen. Wir sind die Sprecher von mehr als 4 Millionen deutscher Wähler; vielleicht ist es gut, wenn Sie sich sagen, woher wir so stark geworden sind. Wir würden eventuell unserseits gern dem Abg. von Heydebrand den Orden Pour le mörité verleihen. Auch die Regierung hat das Ihrige dafür getan. Jeden Tag haben amtliche Ziffern dem Volke bewiesen, wie sehr es mit Steuern belastet werden solle. Der Angstblock des Kanzlers hat aufklärend gewirkt. Die Sozialdemokratie ist nicht das Werk weniger Agitatoren, sondern das Werk einer geschichtlichen Ent— wicklung. Deshalb sind Sie (nach rechts) auch machtlos gegen unt in der Vergangenheit und Zukunft. Vor einiger Zeit saß dort, wo der Reichskanzler nicht sitzt, Fürst Bülow. Er bildete sich ein, uns zurückgetrieben zu haben; er ist gegangen, wir sind geblieben. Die Reichskanzler sind vorübergehende Erscheinungen. Wir sind ein Keil, der, getrieben, immer weiter eindringt. (Beifall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten) — Präsident: Es hat ein Hände⸗ klatschen stattgefunden, das nach der Geschäftsordnung nicht zulässig ist; ich bitte, es zu unterlassen)
Abg. Speck (Zentr.): Ich möchte im Gegensatz zu dem Vor⸗ redner zu dem sprechen, was auf der Tagesordnung steht, zum Reichshaushaltsetat. In maßgebenden Kreisen beschäftigt man sich mit einer weiteren Steigerung unserer Wehrkraft, und die Thronrede stellt entsprechende Gesetzentwürfe in Aussicht. Es wäre müßig, im gegenwärtigen Zeitpunkte über den sachlichen Inhalt dieser Entwürfe zu sprechen, da wir sie nicht kennen. Es muß aber befremden, daß wieder eine Heeresverstärkung in Aussicht steht, nachdem man im vorigen Jahre von seiten der Heeresverwaltung und auch der Marine verwaltung bestritten hat, daß dies der Fall sei. Die gestrigen Ausführungen des Staatssekretärs lassen darüber im Dunklen. Man könnte aber auf den Gedanken kommen, daß man durch eine richtige Einnahmeschaͤtzung und eine richtige Etatsaufstellung die Deckung finden will. Der Vorredner hat noch auf die Erbanfall⸗ steuer hingewiesen. Wir würden die Wiedereinbringung der von uns 1909 abgelehnten Erbanfallsteuer als eine Brüskierung jener Parteien ansehen, die das greß⸗ Opfer gebracht und die Reichs⸗ inanzreform zustande gebracht haben. Ist denn überhaupt die Er— chließung neuer Steuerquellen zur Deckung der neuen Vorlagen un— bedingt notwendig? Ein richtiges Bild der Finanzlage zu finden, ist ja schwer, da wir den Umfang der neuen Forderungen nicht kennen. Ich Fluß aber, der Etat ist so vorsichtig aufgestellt, daß noch weitere Cinnahmen möglich sind. Wir müssen die Einnahmen o. festsetzen, daß sie den wirklichen Erträqnissen entsprechen, Bisher hatte der Reichstag nur ein n rr die Einnahmen nicht zu hoch an g. Ich, würde aber kein Bedenken tragen, dieses ungenaue Verfahren bei der Schätzung der Zölle und Steuern anzuwenden, ohne die Schuldentilgung aufzugeben. Die Folgen der niedrigen Ginschätzung der Einnahmen waren die großen Ueberschüsse, die 1911 mindestens 150 Millionen betrugen. Wir müssen uns doch
fragen, ob diese Art der Finanzgebarung auch für 1912 aufrecht erhalten werden darf. Der Schatz sekrekär hat gestern darauf hingewiesen, daß die Zolleinnahmen erheblich in die Höhe gegangen sind, die Brannt⸗ weinsteuer hat ein Plus von 27 Millionen gebracht, die Brausteuer und speziell die Zuwachssteuer kann erheblich höhere Erträge bringen. Die Zuwachssteuer ist für 1912 ebenso wie für 1911 nur mit 13 Millionen im Etat eingestellt, obwohl die Einnahmen schon 1911 anz gewaltig in die Höhe gehen müssen, da die Progrefsion in der innahme sich von Monat zu Monat im nächsten Jahre steigern wird, sodaß wir mit 30 Millionen für 1913 eher das Richtige treffen würden als mit 13. Der Schatzsekretär suchte mit großer Beredsamkeit. nachzuweisen, daß er diefe großen y, unbedingt nötig habe, um den Schuldenstand des Reiches berab— zuzrücken. Wir sind auch unserfeits entschlossen, an der gesetz⸗ lichen Schuldentilgung festzuhalten. Wir sind auch heute noch der Meinung, daß die Anleihepolitik den sichersten Gradmesser für die Sicherheit der Finanzpolitik eines Staates bildet; aber ist wirklich der heutige Zeitpunkt danach angetan, sünstlich ein Defizit zu schaffen, das durch neue Steuern ausgefüllt werden müßte? Neue Steuern zum einzigen Zweck der Schuldentilgung dem Volke aufzuerlegen, ist doch von sehr fraglichem Werte. Eben erst haben wir 400 Millionen neue Steuern dem Volke auferlegt, der Be—= harrungszustand ist noch nicht einmal erreicht, und doch trägt man sich mit dem Gedanken neuer Steuern. Ich möchte dringend davor warnen; das deutsche Volk hat vorläufig genug Finanzreform, und neue Schritte auf, diesem Gebiete könnten höchstens den Erfolg haben, die Zahl der, Sozialdemokraten im Reichstage noch mehr zu steigern. Wir haben schon 1909 und 1910 gemahnt, mit den neuen Millionen Haus zu halten und zu sparen, und der Reichskanzler hat 1910 ebenfalls bestätigt, daß das Volk fordern könne, daß wir mit den bewilligten Mitteln Haus haften. Und schon heute, ein gutes Jahr nach jener Erklärung sucht man uns die Notwendigkeit neuer Steuern nachzuweisen! Auch fonst hat sich der Reichsschatzsekretär gestern mit früheren Ausführungen der Re zierungsvertreter in Widerspruch gesetzt; das läßt sich nur aus der Absicht erklären, die Ueberschüsse unter allen Umständen im Etat unter zubringen; deshalb die Uebernahme von nicht weniger als 82 Millionen auf das Ordinarium. Sonst hätten wir diese Summe bereifs jetzt zur Deckung neuer Anforderungen disponibel. Es fragt sich allerdings, ob man nicht durch die Zurückverweisung dieser Summe in das Extraordingrium mit den Grundsätzen gesunder Finanzpolitik in
iderspruch geriete. Die Ausgaben für den Kaiser Wilhelm kanal z. B. sind noch immer als auf das ordinarium zu verweisende
ünstig gerechnet, ö die Deck
manches Wenn und Aber einzuwenden haben. Dann muß er aber ein klareres Bild unserer Finanzlage geben; selbst der Bundesrat weiß ja noch nichts Genaues über den Umfang der neuen Heeres⸗ vorlage. Das Streben, die Reichsfinanzen zu sanieren, haben wir immer unterstützt. Es giht aber eine Grenzlinie in der Leistungs⸗ fähigkeit des Volkeß. Wir werden die neue Heeresvorlage prüfen und, dazu Stellung nehmen nach den Bedurfnissen des Volkes. Wir billigen den Grundsatz: Keine neuen Ausgaben ohne Deckung. Der Etat im ganzen ist übersichtlicher gemacht worden, er verfolgt die richtige Tendenz, sparsam zu wirtschaften. Bei einzelnen Kolonien habe ich allerdings eine Sparfamkeit vermißt. Der Etat bietet ein treues Spiegelbild unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Namentlich die Haupteinnahme⸗ quellen, die Zölle und Steuern, geben Zeugnis von der guten Ent— wicklung unserer Finanzwirtschaft im Reich und in den Einzelstaaten. Darauf muß besonders hingewiesen werden, nachdem die Regierung es an jeder Aufklärung hierüber im Wahlkampf hat fehlen lassen, um der unglaublichen Hetze entgegenzutreten, die gegen die Reichtzfinanz⸗ reform getrieben wurde. Die Matrikularbelträge haben wir er⸗ leichtert, aber von den Einzelstagten dafür keine Anerkennung ge— funden. Der Etat ist eine Rechtfertigung der Parteien, die das große nationgle Werk der Finanzreform zustande gebracht Haben. Der Erfolg ist um so größer, als der Anleihebedarf auf 44 Millionen Mark heruntergesunken ist. Man könnte nun einwenden, daß, wenn dem Volke 400 Millionen neue Steuern auferlegt werden, auch Geld in die Kasse kommen muß. Ja, vor Tische las mans anders. 1909 hielt der Abg. Bassermann die Finanzreform für ungenügend, und nun sind die kühnften Er— wartungen übertroffen. Die Herren sehnen ein Fiasko herbei, um auf die Erbschaftssteuer zurückkommen zu können. Die Thronrede spricht von bestimmt bemessenen Matrikularbelträgen. Wir halten daran fest, daß die Festlegung dieser Matrikularbeiträge von Jahr zu Jahr erfolgt, und daß wir uns das Weitere vorbehalten. Der Vorredner hat auch die auswärtigen Angelegenheiten in den Kreis seiner Betrachtung gezogen. Ich glaube, es wäre gut, in diesem Augenblick uns eine gewisse Reserve aufzuerlegen. Es scheinen sich Dinge vorzubereiten, die eine Besserung der politischen Lage sichern. Das kann aber nur geschehen unter Wahrung der Selbständigkeit und der Stellung, die das Deutsche Reich im Rate der Völker einnimmt. Der Reichstag wird ja vor große Aufgaben gestellt werden, wenn nicht etwa eine Auflösung erfolgt, was wir nicht hoffen. Es wird sich fragen, ob der Schutz der nationalen Arbeit auch in Zukunft aufrecht erhalten werden soll. Das ist für das Volk von der größten Bedeutung. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Industrie und die Arbeiter haben ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Schutzzölle. Meine Partei steht noch heute auf dem Boden eines gesunden Schutzzoll⸗ systems, das unser wirtschaftliches System zu einer nichtgeahnten Blüte gebracht hat, wie die steigenden Ziffern der Ausfuhr beweisen. Das ist auch den Judustriearbeitern in Form von höheren Löhnen zugute gekommen. Die Vorbereitung der neuen Handelsverträge muß alsbald in Angriff genommen werden. Wir haben ea fß einen Antrag wegen Aufstellung einer Produktionsstatistik eingebracht. Bei, Abschluß neuer Handelsverträge muß auch auf eine größere Gleichmäßigkeit der sozialen Gesetzgebung in den vertragschließenden Staaten hingewirkt werden. Das Deutsche Reich marschiert an der Spitze der sozialen Fürsorge; die Reichsversicherungsordnung bildet einen Markstein in der gesamten sozialen . „Die Ent⸗ wicklung steht nicht still“, sagt die Thronrede; der Abg. Frank hat dem gegenüber versucht, alles, was im Deutschen Reiche geschieht, als Stillstand oder Rückschritt zu kennzeichnen. Will er das auch von der sozialen Fürsorge behaupten? Der Abg. Frank hat eine lange Liste von Antraͤgen uns vorgetragen. Riis ist leichter, als Wünsche vortragen; aber wenn man so weittragende, so kostspielige Reformen verlangt, muß man auch für die Deckung sorgen. Lebhafte Zustimmung rechts; Zuruf links: Erbscha . Jas was wollen Sie alles mit der Erbschaftssteuer decken! Schließli
erschöpft sich doch jeder Brunnen. (Reichskanzler von Bethmann Hollweg erscheint am Bundesratstische) Auch wir haben Ihnen eine Reihe gesetzgeberischer Wünsche in . Anträgen unterbreitet. Was die Landwirtschaft betrifft, haben wir einen Gegenstand von allerhöchster Bedeutung heraus Ir fe, das ist die Bekämpfung der Maul⸗ und Klauenseuche. , ünsche auf politischem Gebiet
Herren von der äußersten Linken. Auch wir verlangen die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, ein Komptabilitätsgesetz für das Reich, einen obersten Rechnungshof zur Prüfung und Sicherstellung der Kontrolle der
decken sich in . Punkten mit denjenigen der