kanzler hat lediglich erklärt, daß es bei der bevor- stehenden Beratung elnes neuen Strafgesetzbuchs zweckmäßig sein würde, auch zu prüfen, ob in den vorhin von mir näher bezeichneten Materien eine Verschärfung der Strafvorschriften notwendig sei. Zu derselben Sache hat der vorhin zitierte Staatsminister Graf Vitztum von Eckstätt in der Sitzung der Sächsischen zweiten Kammer vom 11. Dezember 1911 zunächst eine Erklärung verlesen, die von Kommissaren, ich glaube meines Amts und des Justizamts, in der Petitionskommission des Reichstags abgegeben worden ist. Diese Er⸗ klärung hat gelautet: Die Frage, ob die Vorschriften des Strafgesetzbuchs und die be⸗ stehenden gewerberechtlichen Bestimmungen für den notwendigen Schutz der Arbeitswilligen gegen Gewalttätigkeiten und der Ge⸗ werbetreibenden gegen frivole Verrufserklärungen aus Anlaß von Lohnkämpfen und politischen Wahlen ausreichen, bedürfen einer ein⸗ gehenden Prüfung. Anfang April d. J. ist im Reichsjustizamt eine Kommission zur Aufstellung des Entwurf eines neuen Straf⸗ gesetzbuchs zusammengetreten. Diese Kommisfion wird auch die in den Petitionen berührten strafrechtlichen Fragen zu erörtern und ihr etwa notwendig erscheinende Vorschläge zu machen haben. Mit Rücksicht hierauf empfiehlt es sich, die Petition dem Herrn Reichskanzler als Material zu überweisen.“ Dazu hat dann der Staatsminister Graf Vitzthum gesagt: „Die Königliche Staatsregierung wird dafür besorgt sein, durch Instruierung des sächsischen Vertreters bei den Arbeiten der Strafgesetzbuchkommission auf die Dringlichkeit der Lösung dieser Frage hinzuweisen und auch im Bundesrat die Notwendigkeit der Reform zu betonen.“ Ich glaube, meine Herren, zwischen allen diesen Erklärungen und meinen eigenen Ausführungen wird ein erheblicher Unterschied nicht konstruiert werden können, jedenfalls kein Unterschied in der prinzipiellen Auffassung der Sache, an der ich für meine Person, so wie ich sie am vorigen Donnerstag eingehend erörtert habe, auch weiterhin fest— halten muß.
Nun, meine Herren, komme ich zu dem eigentlichen Gegenstand meiner heutigen Erörterungen, und zwar wollte ich mich heute zu den vielfachen Anregungen zugunsten des Mittel standes äußern, die mit einer gewissen Einhelligkeit und mit einer großen Uebereinstimmung in den Zielen und den vorgeschlagenen Mitteln beinahe aus allen Teilen des Hauses laut geworden sind.
Meine Herren, die Sorge um den Mittelstand, die Klagen des Mittelstandes sind ja auch in diesem Hause nicht neu. Sie sind eine Begleiterscheinung unserer wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb der letzten 30 Jahre. Aber auch sie haben im Laufe der Zeit eine gewisse Wandlung erfahren. Zunächst muß man sich, wenn man heute über Mittelstandsfragen sprechen will, klar werden, welchen Mittelstand man eigentlich meint. (Sehr richtig! links.) Es ist in letzter Zeit viel gesprochen von der Fürsorge für den bäuerlichen Mlttelstand, für den ländlichen Mittelstand. Alle Verhältnisse des bäuerlichen, ländlichen Mittelstandes müssen meines Erachtens gesondert behandelt werden von den Verhältnissen des gewerblichen Mittelstandes. Ich bin im Gegensatz zu anderen Rednern dieses Hauses mit den Rednern der Rechten der Meinung, daß an sich der ländliche Mittelstand eine Veranlaffung zu Klagen, wenigstens zu so intensiven Klagen wie der gewerbliche Mittelstand, nicht hat.
Meine Herren, unser Bauernstand hat sich unter dem Einfluß unserer Wirtschaftspolitik zweifellos gehoben, während man das von allen Teilen des gewerblichen Mittelstandes nicht behaupten kann. (Sehr richtig! Der Bauer ist in der ganzen Technik seiner Wirt⸗ schaft durch Maßnahmen der Staatsregierung, durch seine zunehmende Intelligenz erheblich fortgeschritten, und ich glaube kaum, daß Anlaß sein würde, von Reichs wegen einzugreifen in die Ent⸗ wicklung des ländlichen Mittelstandes in den einzelnen Bundesstaaten. Die Maßnahmen, die auf diesem Gebiet zu ergreifen sind, sind zum Teil Verwaltungsmaßnahmen und gehören schon aus diesem Grunde in den Bereich der bundesstaatlichen Aufgaben. Es sind zum Teil Maßnahmen, die nach der Verteilung der Gewalten zwischen Reich und Bundesstaaten den Bundesstaaten gehören, auch wenn dazu ge— setzliche Maßnahmen erforderlich sein sollten. Ich bin aber, wenn ich das hinzufügen darf, aus meiner genauen Kenntnls der östlichen Ver⸗ hältnisse auch der Meinung, daß die Vorstellung falsch ist, daß im Osten die Tendenz der Entwicklung und die Tendenz des Großgrund⸗ besitzes auf das Bauernlegen gebt. Im Gegenteil, meine Herren, in unseren östlichen Provinzen ist die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer Verkleinerung unseres Großgrund⸗ besitzeß. von der Notwendigkeit geeignete Böden aus dem Großbetriebe in den wirtschaftlichen Kleinbetrieb überzuführen, weit verbreitet. (Sehr richtig! rechtöz und links.) Ich habe die Ansicht, daß die Königlich preußische Staatsregierung auf diesem Ge⸗ biete bisher nicht versagt hat, und die Bestrebungen, dle nach dieser Richtung hin in immer stärkerem Maße hervortreten, auch in Zukunft unterstützen wird. (Bravo
Meine Herren, damit kann ich den bäuerlichen Mittelstand ver⸗ lassen, und ich komme zum gewerblichen Mittelstand. Wenn man früher von Mittelstandspolitik sprach, dachte man dabei an den selbstãndigen gewerblichen Mittelstand. (Sehr richtig! rechts) Wir haben jetzt aber außer dem selbständigen gewerblichen Mittelstand auch einen unselbständigen gewerblichen Mittelstand, den sog. neuen Mittelstand, wie ihn seine Gönner und Freunde zu bezeichnen pflegen. Auch dieser neue Mittelstand muß mit einem ganz anderen Maßstabe bemessen werden als der alte selbständige gewerb⸗
liche Mittelstand. Dieser neue Mittelstand ist ein Produkt unserer modernen Wirtschaftsentwicklung, und er gehört zweifellos nicht zu den Stiefkindern unserer gesamten Entwicklung. (Sehr richtig! im Zentrum) Er umfaßt die große Kategorie von Existenzen, die zwischen dem Unternehmer und dem Arbeiter stehen, die große Kategorie von werktätigen Personen, die wir zuletzt begabt haben mit dem Gesetze über die Versicherung der Angestellten. Allein dieses Gesetz sollte beweisen, daß sich dieser neue Mittelstand der warmen Fürsorge von selten der verbündeten Regierungen wie auch von seiten des Reichstags zu erfreuen gehabt hat. Die Lasten, die dieses Gesetz unserer Produktion auferlegt hat, sind nicht gering, und das sollte man in den Kreisen dieses neuen unselbständigen Mittelstandes nicht vergessen.
Selbstverständlich haben auch ldiese Herren eine Reihe von Wünschen, und sie haben berechtigte Wünsche. Sie haben, wenn ich
Stellung in dieselbe Situatlon zu kommen wie die Angestellten im Handelsgewerbe, die man ja ihrer wirtschaftlichen Lage nach vielleicht als die älteren Brüder der Werkmeister, Techniker usw. bezeichnen kann. Daß es wünschenswert ist, diese beiden großen Kategorien der Angestellten des Handelsstandes und der Industrie in bezug auf ihre allgemeinen Rechtsverhältnisse gleichzustellen, ist von seiten der ver⸗ bündeten Regierungen niemals verkannt worden. Wir sind bereit gewesen, die Frage zu lösen; die Lösung ist schließlich gescheitert an dem Streit um den § 63 des Handelsgesetzbuchs. Wenn es nach den Wünschen der verbündeten Regierungen gegangen wäre, würde das große Heer der Techniker für das ganze Reich den Rechtszustand, wie er augenblicklich für die Handlungkgehilfen besteht, ebenso gut erreicht haben, wie ihn die technischen Bergbeamten in Preußen erreicht haben, wo man sich bei der letzten Novelle zum Berg⸗ gesetz nicht darauf versteift hat, den prinzipiellen Kampf um die Anrechnung der Kassenbezüge bis aufs Aeußerste durchzufechten, sondern zu der sehr verständigen Erwägung gekommen ist, daß man das große Angebot, was die Regierung machte, akjeptieren sollte und es der Entwicklung der Dinge und der weiteren Entwicklung der Judikatur überlassen sollte, in welchem Umfang das Krankengeld anrechnungsfähig bleibt oder nicht. Es hat mich außerordentlich ge⸗ freut, daß der Herr Abg. Pieper neulich in seiner eingehenden sozial⸗ politischen Rede darauf hingewiesen hat, es sei absolut notwendig, daß auch die großen Verbände der Prlvatangestellten auf diesem und anderen Gebieten sich zu Kompromissen bereit erklärten, damit die Regierung und mit ihr der Reichstag in die Lage versetzt würden, ihre Wünsche, soweit sie zurzeit erfüllbar sind, zu erfüllen. Ich er⸗ kläre ausdrücklich, ich bin jeden Tag bereit, diese Wünsche zu er⸗ füllen, soweit es sich nicht um die Preisgabe wichtiger grundsätzlicher Fragen handelt.
Zu den Wünschen der Herren gehört dann die Regelung der Konkurrenzklausel. Auch diese Forderung haben ja die ver⸗ bündeten Regierungen bereits versucht bei Gelegenheit der letzten größeren Gewerbeordnungsnovelle zu erfüllen. Die damals von uns vorgeschlagene Regelung hat die Billigung des Reichs⸗ tags nicht gefunden. Die damaligen Verhandlungen haben aber auch im ganzen Lande ein Heer von Erörterungen und Vor⸗ schlägen zu diesem Gegenstand entfesselt, das mich in der Ueberzeugung bestärkt hat, daß diese Frage damals tatsächlich zur Lösung nicht reif war. Die Meinungen gingen so weit auseinander, daß es nicht möglich war nach dem damaligen Stande der Dinge, die Sache zu einer befriedigenden gesetzgeberischen Lösung zu bringen. Meine Herren, es ist Zeit darüber vergangen. Es wird zurzeit, soweit ich unterrichtet bin, die Frage der Konkurrenzklausel für die Handlungs⸗ gehilfen im Reichsjustizamt bearbeitet, und es wird sich empfehlen, ab zuwarten, welches Schicksal dieser Versuch einer gesetzgeberischen Lösung der Frage haben wird, ehe wir an die Lösung der Frage gehen, wie die Konkurrenzklausel bezüglich der technischen Angestellten geregelt werden soll.
Und dann noch eine dritte Materie, die zu den vielleicht am lebhaftesten vertretenen Wünschen der technischen Angestellten gehört: die Frage des Erfinderrechts. Diese Frage kann nur zweck— entsprechend geregelt werden im Zusammenhang mit einer anderweiten Regelung unseres Patentrechts. Diese Regelung ist in Vor⸗ bereitung, und ich kann alle Beteiligten nur bitten, ihre Wünsche solange zurückzustellen, bis ich — was ich demnächst zu sein hoffe — in der Lage sein werde, Ihnen einen Gesetzentwurf über die Ab⸗ änderung unseres Patentgesetzes vorzulegen.
Damit komme ich nun zu dem selbständigen gewerblichen Mittel stand, dem ja die meisten der Herren, die vor mir über diese Sache gesprochen haben, ein hohes Maß von Interesse gewidme haben. Es wird niemand bestreiten können, daß vielleicht kein Stand seit geraumer Zelt das ganze Land und vor allen Dingen die Parla⸗ mente mit so vielen und so beweglichen Klagen erfüllt hat, wie der Mittelstand; und niemand wird bestreiten können, daß diese Klagen zu einem ganz erheblichen Teil ihre Berechtigung haben. (Hört, hört! rechts) Während eigentlich alle Berufestände bei uns wirtschaft⸗ lich vorwärts gekommen sind, kann man das vom gewerblichen Mittelstand nicht unbedingt behaupten. (Sehr richtig! rechts.) Auf der einen Seite zehrt an ihm das Heranwachsen der Großbetriebe. Jeder kapitalkräftige, intelligente Handwerker, der vorwärts kommt, drängt nach oben, und er kommt — beabsichtigt oder unbeabsichtigt. zum Teil unter dem Drucke der Gesetzgebung, die ja Groß und Klein betrieb bei uns scheidet — ohne weiteres in die Kategorie der großen Betrlebe hinein. So gehen dem Mittelstand seine kräftigsten und zum Teil seine besten Köpfe dadurch verloren, daß sie mit ihrem Kapital und ihrer Intelligenz in den Großbetrieb übergehen. (Sehr richtig! rechts) Auf der anderen Seite zehrt an dem Bestande des Mittelstandes der vierte Stand. Eln großer Teil der Leute, die vor bo, go Jahren als kleine Meister ihr bescheidenes, aber gesichertes Auskommen hatten, zieht es jetzt vor, in den unselbständigen Stand des Arbeiters, des Vorarbeiters, des Meisters in der Fabrik hinüber zugehen, weil er dort zwar nicht die Selbständigkeit und ihre An⸗ nehmlichkeiten genleßt, wohl aber ein gesichertes, bescheldenes Ein= kommen findet und nicht genötigt ist, dle mancherlei Sorgen auf sich zu nehmen, die ein moderner Handwerksbetrieb — sehr im Gegensatz zu der Zeit von vor 50 Jahren — an einen selbständigen Meister stellt. (Sehr richtig! rechts.)
Diese Gründe, meine Herren, muß man sich gegenwärtig halten, wenn man an dle Frage herantritt, ob, auf welchem Gebiete und mit welchen Mitteln dem gewerblichen Mittelstande geholfen werden kann. Der Umstand, daß die Löhne des Arbeiters, des Vorarbeiters und des Fabrikmeisters steigen, daß die Existenz dieser Kategorien eine immer bessere, eine immer gesichertere wird, ist nicht aus der Welt zu schaffen; und Sie werden mit keinem Mittel verhindern können daß ein großer Tell der Kräfte, die sich sonst im selbständigen Hand⸗ werk betätigen, in den Kreis der wirtschaftlich Unselbständigen abströmt. Die Tatsache, daß der Großbetrieb, daß die Maschine einen großen Teil der Arbeiten für den Kleinbetrieb unrentabel gemacht hat, ist nicht aus der Welt zu schaffen. (Hört! hört! bei den Sozial⸗ demokraten.) Sie werden niemals wieder erreichen können, daß der kleine Schuhmacher, der nach Maß arbeitet, mit Erfolg mit den nach Form, Mode, Qualität und Preis guten Produkten einer Fabrik konkurriert, es sei denn, daß er sehr geschickt ist und es mit Kunden zu tun hat, denen es auf zwanzig Mark mehr oder weniger nicht ankommt.
Wenn man sich das vergegenwärtigt, muß man dazu kommen,
sind; man muß aber auf der andern Seite auch bestrebt sein, die⸗ jenigen Zweige des Handwerks herauszugreifen, die nach der Natur der Dinge nach wie vor in den Kleinbetrieb gehören. Dahin ge— hören alle diejenigen Betriebe, die eine individuelle Behandlung des einzelnen Stücks erfordern — eine gewisse Kunstfertigkeit des Meisters —, alle diejenigen Betriebe, die die schablonenhafte Be— handlung der Maschine und Fabrik nicht recht vertragen können, und man wird demgemäß bestrebt sein müssen, auch die Fähigkeiten des einzelnen Handwerkers, die Fähigkeiten unseres jungen Nachwuchses in der Richtung zu entwickeln, daß sie qualifiziert sind, gerade diese Arbeit zu bewältigen, und mit wachsendem Erfolge zu bewältigen, die der Großbetrieb naturgemäß abstößt.
Man wird ferner bestrebt sein müssen, zu versuchen, dem Handwerk alle diejenigen Hilfsmittel zugänglich zu machen, welche die Erfolge des Großbetriebes sichern: Warenkunde, Kredit, Kalkulation und in gewissen Grenzen auch Anwendung der kleinen Maschine, des Motors. Alles das sind aber Dinge, die nicht vom Reiche, sondern die nur von den Bundesstaaten in Angriff ge⸗ nommen und durchgeführt werden können, und, wie ich bemerken möchte, nach meiner Kenntnis auch von allen Bundesstaaten mit Erfolg in Angriff genommen sind. Es sind aber auch Dinge, die sich zum Teil schon nicht mehr für einen Staat, sondern in allererster Linie für die Arbeiten in den Kommunen eignen. Je weiter man mit all diesen Anstalten zur Förderung des Handwerks heruntergeht in die Kommunen und den Staat nur mit einer pekuniären Unterstützung be— teiligt, um so wirksamer sind die Unternehmungen. Wir haben ja in Deutschland hier musterhafte Beispiele. Wer nach Cöln geht und sich die gesamte Cölnische Gewerbeordnung ansieht, wird zugeben, daß es sich hier um ein Musterbeispiel gediegener, zweckmäßiger Arbeit von Staat und Kommunen handelt. .
Meine Herren, wenn dem so ist, dann wird man sich doch mal fragen können, ob denn das Handwerk oder der gewerkliche Mittel stand wirklich allgemein in seiner Entwicklung zurückgegangen ist. Es liegt ja in der Natnr der Dinge, es ergibt sich aus den Ausführungen, die ich eben gemacht habe, ganz zweifellos, daß gewisse Handwerks betriebe als solche verschwinden. Aber dafür sind andere inzwischen hoch gekommen. Es haben sich für große Zweige des Handwerks neue Betriebsmöglichkeiten eröffnet. Ich erinnere bloß an den vollständigen Wechsel, der sich im Betrieb unserer Klempnereien im Laufe der letzten fünfzig Jahre vollzogen hat, wo durch die Installattonsarbeit völlig neue, erfolgreiche und lukrative Betriebsarten möglich geworden sind. (Sehr richtig) Nun liegt mir hier eine Statistik des Deutschen Handwerksblattes vor. Sie wird den Fachmännern unter uns bekannt sein, aber für andere, die dieses Blatt nicht lesen, nicht ohne Interesse sein. Man hat, soviel ich unterrichtet bin, auf der Grundlage der vorläufigen Ergebnisse der Berufszählung vom Jahre 1907 festgestellt, daß im Deutschen Reiche im Jahre 1895 1304290 Handwerkesbetriebe vorhanden waren, während im Jahre 1907 1378 813 vorhanden waren; das bedeutet eine Zunahme um rund 70 000 oder 5.5 o/ 9. Nun gibt diese Zahl ja kein absolut zu⸗ treffendes Bild, denn in einzelnen Betriebsarten ist die Zahl der selbständigen Betriebe zurückgegangen, in anderen ist sie gestiegen. Wenn man sich die Zahl auf die großen und kleinen Betriebe verteilt ansieht, so ergibt sich folgendes Bild: Betriebe mit einer Person waren im Jahre 1895 vorhanden 741 615, im Jahre 1907 704756; das bedentet eine Abnahme um 50/9. Meine Herren, es handelt sich hier um Zwergbetriebe, die schon in alten Zeiten nicht zu den normalen gehörten, und die heutzutage höchstens noch für An— fänger oder für ganz alte Leute ihre Berechtigung haben, die aber als normal kaum angesprochen werden können. Dagegen sind die Betriebe mit 2 bis 5 Personen, die man wohl als den normalen handwerk⸗ lichen Betrieb ansehen kann, in derselben Zeit gestiegen um 16,1 GC und dann steigt die Zahl der Betriebe immer stärker mit der Zahl der in ihnen beschäftigten Personen. Das liegt in der Natur der Dinge, in dem Steigen der Großbetriebe überhaupt. Ich will auf diese Zahlen nicht weiter eingehen.
Wenn man aber annimmt, daß ein Handwerksbetrieb, der 2 bis 5 Personen beschäftigt, der normale ist, und nun festzustellen versucht, wie sich die Entwicklung innerhalb dieser Kategorie von Betrieben in den einzelnen Arten des Handwerks vollzogen hat, so kommt man mit dem „Deutschen Handwerksblatt“ zu folgendem sehr interessanten Er⸗ gebnis: zurückgegangen sind die Steinmetzen, die Töpfer, die Gold⸗ schmiede, die Kupferschmiede, die Zinngießer, die Uhrmacher, die Seifensieder, die Seiler, die Gerber, die Schäffler, die Kammacher, die Schuhmacher.
Meine Herren, wenn Sie sich diese einzelnen Betriebe ansehen, werden Sie finden, daß es sich in der Mehrzahl der Fälle um Be⸗ triebe handelt, die sich ganz besonders für den Großbetrieb eignen, wie beisplelsweise die Seifensiederei, die jetzt fast nur noch fabrikmäßig betrleben wird, wie in gewissen Grenzen das Schuhmachergewerbe, wie die Sellerei, die wir überhaupt in der alten Methode mit dem rückwärtsgehenden Meister (Heiterkeit, der den Hanf aus seiner Schürze zieht, kaum mehr sehen, u. dergl. m.
Ein Stillstand ist zu verzeichnen bei den Grobschmieden, den Buchbindern, bei den Bau⸗ und Möbeltischlern, bei den Bürsten⸗ machern, bei den Kürschnern und bei den Hutmachern. Auch hier überwiegt die Tendenz zum Großbetriebe sehr stark aus naheliegenden Gründen.
Dagegen haben zugenommen die Spengler, die Messerschmiede, die Nagler, die Wagner, die Sattler, die Tapezierer, die Drechsler, Bäcker und Konditoren, Metzger, Schneider, Handschuhmacher, Barbiere und Friseure, Maurer und Bauunternehmer, Zimmerer, Maler, Glaser, Stuckateure, Dachdecker, Brunnenmacher, Ofensetzer und Kaminkehrer. Wohl gemerkt, bezieht sich diese ganze Zusammen— stellung nur auf Betriebe, in denen zwei bis fünf Personen beschäftigt werden.
Das Schlußergebnis dieser Statistik ist also, daß die Zunahme den weitaus größten Teil der verschiedenen Branchen ergreift, daß der Stillstand einen verhältnismäßig kleinen Teil und der Rückgang einen etwas größeren Teil, aber nur etwa die Hälfte von den Branchen ausmacht, in denen eine Zunahme zu konstatieren ist. Wenn Sie sich für diese Statistik interessieren, werden Sie auch in ihr noch finden, wie die Verwendung der Motoren — — (Ubg. Pauli⸗Hagenow: Aber die Bevölkerungszunahme muß dabel auch in Betracht kommen!) — Der Herr Abgeordnete Pauli ist so gütig, mich darauf aufmerksam zu machen, daß in der Zwischenzeit die Bevölkerung
des Deutschen Reichs erheblich zugenommen hat. (Heiterkeit links)
diejenigen Gebiete auszuschelden, auf denen Versuche aussichtslos und
es allgemein ausdrücken darf, den Wunsch, in ihrer rechtlichen
nur entmutigend für den Mlttelstand und für die beteiligten Handwerker
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Deutschen Reichsanzeiger und Köni
Mn 35g.
(Schluß au der Ersten Beilage)
Das ist ja ganz zweifellos, aber man muß doch, wenn man derartigen — wie ich ausdrücklich anerkenne — Kalamitäten gegenübersteht, auch versuchen, den Dingen auf den Grund ju gehen. Man muß doch einmal versuchen, festzustellen, wo man in der Lage ist, zu helfen, und wo dies nicht der Fall ist. (Sehr richtig! links.) Ich will ja garnicht beweisen, daß plötzlich für einige Teile im Hand— werk der goldene Boden wiedergefunden ist, den das Handwerk nach dem Sprichwort früher gehabt hat, sondern mir liegt daran, zu be— weisen, daß man, wenn man helfen will, versuchen muß, diejenigen Handwerksbetriebe herauszugreifen, denen geholfen werden kann, und auch versuchen muß, auf diesem Wege zu den Hilfsmitteln zu kommen, mit denen man den einjelnen Handwerkzbetrieben zu Hilfe kommen kann. (Sehr richtig! links.)
Ich habe vorhin schon ausgefübrt, daß es sich bei all diesen Fragen in erster Linie um eine Tätigkeit der Bundesstaaten handelt Die Bundesstaaten haben — ich habe das vorhin schon an— gedeutet — auf dem Gebiete der Kreditverhältnisse, der Aus—= bildung in der Buchführung, der Ausbildung in der Waren kunde, in dem Bestreben, dem Handwerk motorische Kraft zugänglich zu machen, in der individuellen Vervoll⸗ kommnung des einzelnen Handwerkers, vor allen Dingen in der Entwicklung des Kunsthandwerks — und das ist nach meiner Ansicht eins der wichtigsten Momente, weil das eine Domäne ist, die dem Handwerk nie entrissen werden kann — lsehr richtig! links) außer— ordentlich viel geleistet. (Zuruf von den Sozialdemokraten: etwa auch die Holjbildhauerei — Die Holzbildhaurel gehört zweifellos dahin. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)
Nun frage ich: hat denn aber das Reich auf diesem Gebiete nichts getan? Sind die vielfachen Klagen und Wünsche, die im Laufe der letzten Jahrzehnte hier laut geworden sind, tauben Ohren gepredigt? Davon kann ja gar keine Rede sein. Wir haben, soweit wir in der Lage waren, im Wege der Reichsgesetzgebung in die Entwicklung des Mittelstandes einzugreifen, diese Mittelstandsfragen zu erfassen und zu fördern, nach meiner Ansicht getan, was wir tun konnten.
Die Entwicklung unserer Genossenschaftsgesetzgebung fällt zunächst in dieses Gebiet. Die deutsche Genossenschaft ist in erster Linie durch die Not des Kleingewerbes geboren und für das Kleingewerbe be— gründet und ist erst späterhin anderen Zweigen unserer Volkswirtschaft dienstbar gemacht, namentlich aber — und das ist sehr interessant — dienstbar gemacht der Landwirtschaft, die in der Verwertung des Ge nossenschaftswesens das Handwerk und den gewerblichen Kleinbetrieb weit überflügelt hat.
Dann die Neubelebung und Neuausgestaltung des Innungswesens ist ein Stück Arbeit, welches das Reich geleistet hat im Interesse der Hebung des Mittelstandes. Die Neuregelung des Prüfungswesens, die Einrichtung der Handwerkskammern, die Einführung des kleinen Be— fähigungsnachweises, — alles das ist im Wege der Reichsgesetzgebung geschaffen und, wie ich annehme, nicht ohne Einfluß auf die Hebung der Verhaltnisse des Handwerks geblieben. Das sollte man doch anerkennen, ehe man dauernd darüber klagt, daß die verbündeten Regierungen und speziell mein Ressort taube Ohren hätten, sobald es sich darum handelt, die Klagen des Mittelstandes zu berücksichtigen. Wenn die verbündeten Re— gierungen, wenn ich oder elner meiner Amtsvorgänger sich zu einer bestimmten Frage ablehnend verhalten haben, so ist das geschehen, weil wir sie für undurchführbar hielten, weil wir uns nicht davon überzeugen konnten, daß die Vorteile größer als die Nachteile sind, die mit der dadurch veranlaßten gesetzgeberischen Maßnahme für das Handwerk selbst verbunden wären.
Aber von den noch rückständig gebliebenen Fragen ist es uns doch gelungen, auch diese oder jene noch ein Stück weiter zu bringen. Der berühmte Streit über die Abgrenzung von Fabrik und Handwerk ist, soweit der Arbeiterschutz in der Gewerbeordnung in Frage kommt, durch die Bestimmungen der vorletzten Novelle im wesentlichen aus— geräumt. Bestehen geblieben sind Schwierigkeiten hinsichtlich der Beitragsleistungen von Betrieben, die von den Innungen und von den Handelskammern für sich in Anspruch genommen werden. Hier von Reichs wegen einzugreifen, hat die Schwierigkeit, daß die Innungen eine reichsgesetzlich geregelte Institution sind, während die Handels⸗ kammern landesgesetzliche Einrichtungen sind. Die Schwierigkeiten haben aber auch zum Teil ihren Grund in dem landesgesetzlichen Instanzenzug bei Beschwerden über die Heranziehung zu den Beiträgen der Innungen und bei Beschwerden über die Heranziehung zu den Beiträgen der Handelskammern. Diese Schwierigkeit ist in Preußen, dem größten Bundesstaat, aus dem die meisten Klagen gekommen sind, durch eine Anordnung des preußischen Handelsministers, die aus meiner Zeit stammt, soweit meine Information reicht, im wesent⸗ lichen aus der Welt geschafft. Immerhin wird man bei einer anderen Gelegenheit darüber nachdenken können, ob wir in der Lage sind, durch eine reichsgesetzliche Bestimmung die Sicherheit zu schaffen, daß Streitigkeiten über die Beitragsleistungen bei Innungen und Handels kammern landesgesetzlich durch dieselbe letzte Instanz zu entscheiden sind. Diese Frage kann vielleicht ein anderes Gesicht bekommen, wenn wir im Laufe der Zeit einmal der Anregung nähertreten, die aus anderem Anlasse aus verschiedenen Teilen des Hauses hervor⸗ gegangen ist, nämlich der Frage, ob es durchführbar und nützlich ist, auch ein Reichsverwaltungsgericht zu schaffen. Ich halte diese Frage aber noch nicht für reif und will auf sie nicht weiter eingeben.
Dann ist noch einer der zurückgebliebenen, noch un⸗ erledigten Wünsche die Forderung des Handwerks, daß die Industrie zu den Kosten der Lehrlingsausbildung beitragen soll. Diese Forderung wird, soviel ich weiß, jetzt von allen Teilen dieses hohen Hauseg als berechtigt anerkannt, und sie hat zweifellos auch eine gewisse grundsätzliche Berechtigung. Aber, wenn man den Dingen näher tritt, dann kommt man, wie ich es auf Grund sehr eingehender Prüfung auf diesem Gebiet getan habe, doch zu dem Ergebnis, daß die Verhältnisse für die einzelnen Industrien in den einzelnen Teilen Deuschlands sehr verschteden sind,
Zweite Beilage glich Preußischen Staatsanzeiger.
und daß sehr wohl der Fall eintreten kann, daß man durch die Nö= tigung der Industrie, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei der Innung beizutragen, das Handwerk nicht fördert, sondern schaͤdigt, und deswegen, meine Herren, habe ich immer elne gewisse Scheu gehabt, hier mit einer reichsgesetzlichen Regelung einzugreifen, die schlechtweg die Verpflichtung der Industrie feststellt, zu den Kosten der Lehrlings⸗= ausbildung bei den Innungen und Handwerkskammern — denn da, wo die Städte diese Kosten trugen, wird die Sache ja nicht akut — beizutragen. Ich bin aber bereit, mit den verbündeten Regierungen in eine Erörterung darüber einzutreten, ob diese Frage vielleicht in der Weise gelöst werden kann, daß man eine ähnliche Regelung eintreten läßt wie bei den Fortbildungeschulen; man könnte die Möglichkeit schaffen, daß man durch Ortsstatut die Pflicht der Industrie, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Handwerkzorganisationen beizutragen regelt; diese Regelung könnte eventuell auch ähnlich, wie es in der letzten Novelle zur Ge— werbeordnung geschehen ist, so gestaltet werden, daß man der Auf⸗ sichtsbehörde die Möglichkeit gibt, in Ermangelung eines solchen Ortsstatuts eine entsprechende Anordnung zu erlassen. Das ist nach meiner Ansicht vielleicht ein gangbarer Weg und ein Weg, der die Bedenken ausräumt, die ich bisher der Forderung entgegengesetzt habe.
Nun, meine Herren, ist ja das Heer der Forderungen damit nicht erschöpft. Die Herren wünschen eine Beschränkung der Wanderlager. Ob man die Eröffnung eines Wanderlagers von der Bedürfnisfrage abhängig machen kann, unterliegt der Prüfung. Ebenso unterliegt es der Prüfung, ob man die Erteilung von Wandergewerbescheinen von dem Nachweis des Bedürfnisses abhängig machen kann. Diese Frage birgt aber eine ganze Reihe außerordentlicher Schwierigkeiten in der Durchführbarkeit in sich, auf die ich heute nicht eingehen will, die aber im wesentlichen darin beruhen, daß die Wandergewerbescheine ja doch im großen und ganzen für den Umfang des Reichs gültig sind, die Bedürfnisfrage aber immer nur für einen be— schränkten Bezirk, eventuell für den Umfang eines Bundesstaats geprüft werden kann. Ob es gelingt, diese Schwierigkeiten aus⸗ zuräumen, kann ich nicht übersehen, ich will es aber gern versuchen.
Es ist dann der Wunsch ausgesprochen worden, daß man dem sogenannten heimlichen Warenhandel zuleibe gehen möchte. Nun, meine Herren, einen heimlichen Warenhandel, soweit er gewerbsmäßig betrieben wird, soweit er also einen Umfang annimmt, daß er tatsächlich geeignet ist, daß legitime Gewerbe zu beschränken, gibt es ja eigentlich nicht, insofern, als jeder, der ein Gewerbe betreiben will, dies nach 5 14 der Gewerbeordnung zu einem bel der Ortsbehörde zu führenden Register anzumelden hat, und es wird zu prüfen sein, ob man diese Register im Verwaltungswege öffentlich machen kann oder nicht, und ob man, falls diese Frage zu verneinen ist, dazu übergehen k Registern durch reichsgesetzliche Bestimmung dle Publizität zu geben.
Es wird weiter gewünscht — darüber ist auch von einigen Rednern eingehend gesprochen worden — eine Vertretung des Kleingewerbe in den Handelskammern. Meine Herren, die Handelskammern sind, wie Sie wissen, nicht durch Reichsgesetz, sondern durch Landesgesetze geregelt. Es ist mir also nicht möglich, auf diesem Gebiete irgend etwas zu tun, um die diesbezüglichen Wünsche der Erfüllung näher zu bringen. Es ist aber im Anschluß daran an mich wiederholt auch die Anregung herangetreten, man möge ähnlichen Wünschen der Kleinbetriebe, nämlich den Wünschen der Detaillisten bei der Ab⸗ grenzung der Berufsgenossenschaften insoweit entgegenkommen, daß man den Detaillisten eine eigene Berufsgenossenschaft gibt. Ueber die Durchführbarkeit dieses Wunsches sind die beteiligten Instanzen sehr verschiedener Meinung; ich will aber ausdrücklich bemerken, daß ich meinerseits gern bereit bin, diese Wünsche zu fördern, wenn ich es nach Lage der Dinge zu verantworten und die bestehenden Bedenken auszuräumen imstande bin.
Nun bildet in neuerer Zeit eigentlich den Mittelpunkt der Wünsche des Mittelstandes das Submissionswesen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß es notwendig ist und unter allen Umständen gefordert werden muß, daß Staat, Reich, Kommunen und andere öffentliche Korporationen, die ihre großen Lieferungen und Bauten im Wege der Submission ver⸗ geben, auch auf das Kleingewerbe Rücksicht nehmen, daß man nicht aus bureaukratischer Bequemlichkeit dem Handwerk die Möglichkeit nimmt, an derartigen Lieferungen in angemessener Weise teilzunehmen. Aber, meine Herren, man darf sich darüber nicht täuschen, daß es sich hier um eine Materie handelt, die man nicht, wie von einigen Stellen vorgeschlagen ist, im Wege der Gesetzgebung und am allerwenigsten im Wege der Reichsgesetzgebung regeln kann. Es handelt sich bei jeder Submission um Verwaltungsmaßnahmen, die nach Nützlichkeits⸗ gründen und unter vielleicht scheinbar gleichliegenden Fällen ganz verschleden entschieden werden können, und solche Nützlichkeits: und Zweckmäßigkeitsfragen in Verwaltunggmaßnahmen kann man nicht gesetzlich regeln; man kann allenfalls Richtlinien dafür aufstellen und den Zentralbehörden die Möglichkeit geben, von den allgemeinen Grundsätzen im gegebenen Falle zu dispensieren. Wenn man aber feste Normen, also beispielsweise über die Frage der Vergebung an den Mindestfordernden aufstellte, würde man zu großen Schwierigkeiten kommen.
Ich will Ihnen einen Fall erzählen, der mir in melner Praxis passiert ist und der ein Schulbeispiel ist. In der Stadt, an deren Spitze ich zu steben längere Zeit die Ehre gehabt habe, waren eiserne Brückenkonstruktionen ausgeschrieben. Unter den Angeboten war ein auffallend niedriges Angebot. Die Preise waren derartig, daß nach unserer aller Ueberzeugung die anbietende Firma mit diesen Preisen nicht annähernd ihre Selbstkosten deckte. Nach der Norm, wie sie jetzt aufgestellt werden soll, hätte diese Firma den Zuschlag nicht bekommen dürfen; denn sie bot zu einem Preise an, der unter den Selbstkosten lag, der also zweifellos nichl angemessen war. Wie lag nun aber die Sache tatsächlich? Es handelte sich um eine einheimische Firma, es war eine große wirtschaftliche Depression; die Firma war
für die nächsten sieben Monate ohne Aufträge und wies nach, daß sie
dieses niedrige Gebot nur angegeben hatte, um ihren alten Arbeiterstamm zu beschäftigen, den sie sonst hätte entlassen und ins Elend jagen müssen. Unter diesen Umständen hat die betreffende Kommunalverwaltung meines Erachtens korrekt gehandelt, wenn sie troßz eines zweifellos unzureichenden Preises, der also unter normalen Verhäͤltnissen eine zuverlässige Ausführung gar nicht ermöglicht hätte, dieser Firma, welche die mindestfordernde war, den Zuschlag erteilt hat. (Abg. Pauli⸗ Hagenow: Solche Firmen finden sich immer.) Ob sich solche Firmen bei jeder Submission finden, weiß ich nicht; ob die Verhältnisse bei jeder Submission gleich liegen, weiß ich auch nicht. Ich habe aber den Eindruck, daß der Fall, den ich angeführt habe, ein Bewels dafür ist, daß man diese Sachen nicht im Wege des Gesetzes regeln kann. Nur das will ich beweisen. Sie haben immer den Eindruck, Herr Abg. Pauli, daß ich Sie widerlegen will, wo es gar nicht in meiner Absicht liegt.
Ich bin also der Meinung, daß es nicht möglich ist, die Normen, nach denen bei einer Submission verfahren werden soll, gesetzlich festzulegen, und ich bin ebenso der Meinung, daß es undurchführbar ist, den einzelnen Handwerkern, die sich an einer Submission beteiligt haben, ein Klagerecht, eine Entscheidung im Prozeßwege darüber zu geben, ob ihnen die betreffende Lieferung hätte zugeschlagen werden müssen oder nicht.
Etwas ganz anderes ist es, wenn Herr Pauli verlangt, daß im Verwaltungswege dafür Sorge getragen wird, daß das Handwerk berücksichtigt wird, daß man nicht aus Bequemlichkeit ein großes Gebäude an einen einzigen Unternehmer vergibt vom Dachziegel bis zum Schlüssel, und daß man auch sonst Maßregeln trifft, die dem kleinen Handwerker, der sich an einzelnen Losen beteiligt, die Kalku— lation, den Ueberblick über die Bedeutung und den Wert der Lieferung erleichtern. Das ist nach meiner Ansicht der Kernpunkt der Sache.
Nun hat der preußische Herr Minister der öffentlichen Arbeiten im Jahre 1905 derartige Anordnungen erlassen, und diese Anord= nungen sind Gegenstand einer eingehenden Besprechung im preußischen Abgeordnetenhause gewesen, haben die Billigung der Gewerbekommission des Abgeordnetenhauses gefunden, und, soweit ich unterrichtet bin, sind über die Grundsätze dieser Submissions⸗ bestimmungen keine Klagen mehr geführt worden; sondern die Klagen, die erhoben sind, haben sich im wesentlichen dahin gerichtet, daß sich im einzelnen Falle die Provinzial⸗ und Lokalbehörden an die Anordnungen ihres Chefs nicht gekehrt haben, daß man in unzweck⸗ mäßiger und bureaukratischer Weise Entscheidungen getroffen hat. (Abg. Pauli-Dagenow: Das geschieht auch heute noch) — Nun, wenn das heute noch geschieht, dann sind wir nicht in der Lage, das im Wege der Gesetzgebung zu ändern, sondern dann kann man nur dadurch der Sache zu Leibe gehen, daß die betreffenden Chefs in den einzelnen Bundesstaaten mit dem nötigen Nachdruck dafür sorgen, daß ihre Anordnungen berücksichtigt werden. (Abg. Pauli⸗Hagenow: Das tun sie aber nicht) — Ja, meine Herren, ich habe die feste Ueberzeugung, daß die breite Erörterung, die diese Frage hier gefunden hat, die Landeszentral bebörden veranlassen wird, mit erneutem Nachdruck auf die Durchführung ihrer Anordnungen hinzuwirken. Ich bin jedenfalls auf Grund der Reichsverfassung nicht in der Lage, in dieser Richtung meinerseits An weisungen an die Landeszentralbehörden ergehen zu lassen, und ich halte es auch nicht einmal für erforderlich, eine Anregung in dieser Richtung zu geben, weil ich die Ueberzeugung habe, daß die Herren, denen die Fürsorge für diese Frage anvertraut ist, von der Wichtigkeit und Berechtigung dieser Forderungen durchdrungen sind und daß sie auch bereit sein werden, ihren Anordnungen den nötigen Nachdruck zu verleihen.
Nun, meine Herren, ich will auf die vielen Einzelheiten, die in diesen Submissionsanträgen sonst liegen, nicht eingehen. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß die Anordnungen des Herrn Ministers der öffentlichen Arbeiten im Reiche, in den anderen preußischen Ressorts eingeführt sind und, so viel ich weiß, auch dem Verfahren mehrerer Kommunalverwaltungen und der anderen Bundes- staaten zum Muster gedient haben. Nun sind darüber hinaus noch mehrfache Anregungen gegeben. Es ist beispielsweise die Frage angeregt, ob man nicht dahin kommen könnte, die Submissionen nach angemessenen Preisen zu vergeben, daß man feststellt, welche Preise angemessen sind, und daß man demjenigen Submittenten den Zuschlag gibt, dessen Preise sich diesem angemessenen Preise am meisten nähern. Dieser Versuch hat sich, sowelt ich unterrichtet bin, nicht bewährt. Wenn ich mich nicht sehr irre, hat die Stadt Mannheim mit der Festsetzung von Mindestpreisen Versuche gemacht, die zu dem Ergebnis geführt haben, daß man damit nicht zum Ziele kommt. Wohl aber hat eine Reihe von Versucheu an verschledenen Stellen stattgefunden darüber, ob man nicht mit Hilfe des Handwerks, mit Hilfe der Vertreter von Innungen und ähnlichen Vereinigungen Richtpreise feststellen könnte, die den Behörden bei der Beurteilung der Offerten Anhaltt⸗ punkte geben könnten. Auf diesem Gebiete hat der Minister der öffentlichen Arbeiten in Preußen Versuche gemacht, die noch nicht abgeschlossen sind, und die zu sehr verschiedenen Ergebnissen geführt haben. An einem Orte haben diese Ermittlungen Preise ergeben, die viel niedriger waren, als die Preise, welche die Bebörden in ihren Berechnungen selbst zugrunde gelegt haben und bereit gewesen wären zu zahlen. An anderen Orten sind gute Erfahrungen gemacht, und der preußische Herr Minister der öffentlichen Arbeiten ist dabel, diese Versuche fortzusetzen. Im Reiche ist seitens der Postverwaltung in gleicher Weise vorgegangen. Auch da ist man noch nicht zu einem festen Ergebnis gelangt. Das liegt wahrscheinlich zum Teil in der Neuheit der Forderung. Weder die Behörden, welche die Sache aug⸗ führen, noch die Handwerker, die sie beraten wollen, haben schon daz Maß der Erfahrung, was notwendig ist, um derartige Normen auf⸗ zustellen. Ich werde melnerseits bereit sein, dafür zu sorgen, daß, soweit die Reichsressorts in Frage kommen, auf diesem Gebiete weiter
operiert wird. eine Einrichtung zu sein,
Sehr bemerkenswert scheint mir die in Sachsen besteht. Dort hat, so viel ich weiß,