1912 / 59 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 06 Mar 1912 18:00:01 GMT) scan diff

die Mittelstands vereinigung aus sich heraus ein sogenanntes Sub missionsamt gebildet, welches sowohl die Behörde wie die Mit— glieder des Handwerks bei der Ausschreibung und Abgabe der Offerten berät, und ich glaube, daß in dieser Richtung vielleicht der Ansatz zu einer erfolgreichen Lösung der Frage liegt; und diese Lösung ist mir

um deswillen so wertvoll, weil sie aus der Initiative des Handwerks heraus entsprungen ist und nach meiner Ansicht die meiste Aussicht

auf eine gesnnde Entwicklung hat.

Nun, meine Herren, ich will auf das Suhmissionswesen nicht weiter eingehen. Ich habe nur darlegen wollen, daß ich eine reichs gesetzliche Regelung nicht für angezeigt halte, daß ich im Prinzip die aufgestellten Forderungen nicht für unberechtigt halte, daß ich mit dem Herrn Abgeordneten Pauli der Meinung bin, daß diese Fragen nur im Wege ven Verwaltungsmaßnahmen gelöst werden können, daß ich, soweit das Reich in Frage kommt, bereit sein werde, meinerseits derartige Instruktionen zu treffen oder bei den anderen Instanzen anzuregen, und daß ich überzeugt bin, daß man auch in den Bundetzstaaten diesen Wünschen gegenüber nicht taube Ohren haben wird.

Nun, meine Herren, ist noch eine Frage offen geblieben, auf die ich bis jetzt nicht eingegangen bin, das ist die Frage der Beseitigung des 5 1004 der Gewerbeordnung, eine Forderung, die immer mehr Freunde gewonnen hat und die jetzt, glaube ich, von allen Parteien dieses Hauses, jedenfalls bis zu diesem Gang (nach links), unterstützt wird. Ich habe wiederholt hier und an anderer Stelle den Bedenken Ausdruck gegeben, die ich gegen eine Aufhebung des § 100 der Gewerbeordnung habe. Es handelt sich doch um folgendes: Es soll einer Zwangeorganisatlon die Möglichkeit gegeben werden, Mindestpreise festzusetzen, und man will, um dieser Festsetzung die nötige Autorität zu geben, den Verwaltungsbehörden das privilegium odiosum auferlegen, diesen Festsetzungen ihr Placet zu erteilen. Meine Herren, vergegenwärtigen Sie sich einmal, was das bedeutet. Es ist gestern auf die Syndikate hingewiesen worden. Man hat gesagt, waz der Großindustrie recht ist, das muß dem Handwerk billig sein. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, die Sache liegt nur ganz verschieden. Bei den Syndikaten handelt es sich um frei⸗ willige Vereinigungen, denen niemand beizutreten genötigt ist (Zurufe rechts: Na! nah meine Herren, lassen Sie mich wenigstens aus— sprechen denen beizutreten niemand genötigt ist, der nicht seinen wirtschaftlichen Vortell dabei hat, und das Problem bei den Syndikaten ist die Frage darauf geben alle Anträge auf ein Syndikatsgesetz im großen und ganzen hinaus —, wie man die Syndikate verhindert, die Preise zu hoch werden zu lassen. (Sehr richtig! links.) Hier aber wird ein Zwangssyndikat behufs Haltung hoher Preise verlangt. Meine Herren, ich habe neulich schon darauf aufmerksam gemacht: glauben Ste denn wirklich, daß Sie auf die Dauer damit abkommen werden, daß Ihnen gesetzlich die Möglichkeit gegeben wird, Mindest⸗ preise festzusetzen? Glauben Sie wirklich, daß nicht die Konsumenten kommen und sagen werden: bei der Festsetzung dieser Preise wäre doch wohl auch der Konsumentenstandpunkt zu berücksichtigen? Glauben Ste wirklich, daß die Bebörden, denen Sie die Bestätigung dieser Be⸗ schlüsse zuschieben wollen, in der Lage sein würden, einem derartigen An stürmen aus den Konsumentenkreisen in Zeiten der Teuerung, wie wir sie augenblicklich haben, Widerstand zu leisten? Und, meine Herren, glauben Sie wirklich, daß Ihre Gesellen und Gehilfen nicht ihrerseits kommen und sagen würden: ja, wenn dem Meister Mindestpreise festgesetzt werden, warum setzt Ihr uns denn nicht Mindestlöhne fest? (Sehr richtig! links. Zuruf aus dem Zentrum.) Meine Herren, das sind alles Forderungen, die kommen werden und die abzuwehren nicht ganz leicht sein wird.

Aber, meine Herren, ich hoffe trotzdem, daß sich Wege finden lassen, vielleicht für einzelne Gewerbe unter bestimmten Voraus⸗ setzungen und Kautelen solche Festsetzungen auch bei Zwangsinnungen und um die handelt es sich ja nur zuzulassen. Aber, meine Herren, ich habe mich bis jetzt vergeblich bemüht, in dieser Richtung wirklich brauchbare Vorschläge zu erhalten. Es ist über diese Frage im vorigen Frübjahr auf der Handwerkerkonferenz im Reichkamt des Innern lang und breit verhandelt worden; aber meine Kommissare, die an diesen Verhandlungen teilgenommen haben, haben mir mitgeteilt: wir sind zu einer Einigung nicht gekommen und wirklich brauchbare, durchführbare Vorschläge haben wir nicht erhalten. Meine Herren, ich werde darum die Versuche, zu einer Lösung zu kommen, nicht aufgeben. Ich habe die Absicht, dieser Frage und einiger anderer Fragen wegen in diesem Frübjahr noch einmal eine solche Handwerkerkonferenz zusammenzuberufen, und ich werde noch einmal versuchen, ob es mir gelingt, wenigstens in beschränktem Umfange diese Wünsche in eine brauchbare und vertreibare Form zu bringen, in eine Form, meine Herren, die ich auch den verbündeten Regierungen gegenüber durchzu⸗ setzen in der Lage bin; denn Sie wissen ja ganz genau, daß man auch bei einem großen Teil der Bundesstaaten der Aufhebung des § 1004 der Gewerbeordnung aus grundsätzlichen und Zweckmäßigkeitserwägungen sehr skeptisch gegenübersteht. (Sehr richtig) Sie wissen, daß, wenn lch mich nicht irre, der Herr Handelsminsster in Preußen vor wenigen Tagen im preußischen Abgeordnetenhause diesen Gedanken mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen hat. Nun, es würde mir eine Freude sein, wenn Sie trotz der Ablehnung einzelner Punkte, die ich für untergeordneter Natur halte, aus meinen ein⸗ gehenden Ausführungen entnommen haben würden, daß ich ein volles Verständnis habe für die überaus schwierige Situation, in der sich unser gewerblicher Mittelstand befindet, und daß ich gern bereit bin, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln hier helfend einzugreifen.

Nun ist gestern der Wunsch ausgesprochen, man möge doch, bevor wir an die neuen Handelsverträge herangehen, die Einwirkung unserer Tarifpolitik auf das Handwerk und auf den Mittelstand in

geeigneter Weise festzustellen suchen, und ich habe gestern auf die Schwierigkeiten hingewiesen, diese Aufgabe zu lösen, auch einige Möglichkeiten angedeutet, in denen man ihr vielleicht gerecht werden könnte. Meine Herren, ich habe die Absicht, um diese Frage zu klären und um auch andere das Kleingewerbe betreffende Fragen zu prüfen, demnächst eine Kommission zusammenzuberufen, welche die Frage erörtern soll, in welchem Umfange eine Enquete über die Ver⸗ hältnisse des Kleingewerbes notwendig ist und mit welchen Mitteln

man eventuell in der Lage sein würde, sie durchzuführen. Ich hoffe,

Sie werden darauz entnehmen, daß ich redlich bemüht bin, auch auf

diesem Gebiet meine Pflicht zu tun. (Lebhaftes Bravo!)

Abg. Margugrt (al.) :. Meine hochverehrten Anwesenden!

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land? Es steht ja fest, meine hockerehrten Herren Abgeordneten, daß der wachsenden ischen Bevölkerung das Wachstum der deutschen Volke wirtschaft nicht entspricht. Die deutsche Sozialreform ist berufen, der deutschen Volkswirtschaft einen arbeilstüchtigen und arbeitsfreudigen Erwerbsstand zu schaffen. Die bisherige statutarische Oidnung der Sonntagsruhe hat große Schädigungen nicht bloß örtlicher, sondern auch allgemeiner Art im Gefolge gehabt. In Sachsen erfolgt der Ladenschluß an Sonn⸗ und Feiertagen in einzelnen Städten eist zwischen 5 und 6 Uhr, sodaß von einer Sonntggsruhe fär die Angestellten dann überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Die einheitliche Festlegung des Ladenschlusses an Sonn⸗ und Feiertagen ist daher eine Forderung, die wir unbedingt aufrechterhalten müssen. Das angekündigte neue Gesetz bedeutet in dieser Beziehung einen greßen Fortschritt. Aber auch die Segnungen des Achtuhrladenschlusses an Wochentagen müssen sowohl im Intereße der Prinzipale wie der An⸗ gestellten unbedingt auf gesetzlicher Grundlage sichergestellt werden. Leider ist die vom Reichstage angenommene Abänderung des § EC3 des Handelsgesetzbuchs noch immer nicht vom Bundesrat gutgeheißen worden, wonach auch im Falle der Behinderung des Handlungs⸗ gehilfen durch Krantheit oder Unfall der Prinzipal das Gehalt unverkürzt fortzuzahlen verpflichtet ist. Viele Geschäftsinhaber haben auf die Simulations fälle hingewiesen, um die verbündeten Re⸗ gierungen im Widerstande gegen diese gesetzliche Reform zu stärken. Tatsächlich ist eiwiesen, daß Simulation nur in wenigen Ausnahme⸗ fällen vorgelegen hat. Man soll dem Handlungsgehilfenstande die Ehre geben, die ihm gebührt. Auch das Verbot der Konkurrenz— klausel wünschen wir dringend, denn diese Klausel bedeutet eine unter Umständen verhängnie volle Erschwerung der gewerblichen Tätigkeit des Handlungegehilfen, und wir leben doch in einer Zeit der persönlichen Freiheit, wo solche Beschränkungen nicht mehr zu ver— leidigen sind. In Leipzig hatte ein Chef mit einer jungen Ladnerin einen Vertrag abgeschlossen, der ihr den Eintritt in fast jedes andere Geschäft einfach unmöglich machte. Die Vertretung der Arbeitnehmer im Handelsgewerbe ist auch noch immer nicht Wirklichkeit geworden; das Arbeitekammergesetz ist gescheitert. Die Kaiserlichen Erlasse von 1890 gehen doch aus von der Frage des Friedens zwischen Arbeit- gebern und Arbeitnehmern; durch nichts kann dieser Frieden besser ge⸗ pflegt werden als durch eine solche Vertretung. Die Schaffung eines einheitlichen Privatbeamtenrechts mag schwierig sein, aber auch diese Forderung ist nur der Ausdruck einer Notwendigkeit. Das Koalitions⸗ recht muß geschützt und ausgebaut, es muß wie das Wahlrecht dem dentschen Volke heilig und unverletzlich sein. Wir leben heute in einer Zeit der Freiheit der Persönlichkeit, und an dieser Losung müssen wir auch in der künftigen Entwiglung festhalten. Die geistige Freiheit der Persönlichkeit darf nur beschränkt sein durch das eigene Gewissen. Das Koalitionsrecht ist ein Urrecht der Be pölkerung. Die Gewerbeordnung läßt die Verhinderung am Gehrauch des Koalitionsrechts ungestraft; es ist die Meinung der national⸗ liberalen Partei wie anderer Parteien, daß bei der Revpision der Ge⸗ setzgebung dieser Mangel beseitigt wird. Den starken Organisationen der Arbeitgeber müssen auch starke Organisationen der Arbeitnehmer gegenüberstehen; diese werden sich vor allem dann bewähren, wenn wir ein Reichseinigungsamt haben. Wir brauchen eine starke deutsche Sozialreform, die auch dem Stande der Angestellten das gibt was unbedingt notwendig ist, damit wir erhalten, was wir brauchen: ein gesundes, arbeitstüchtiges und arbeitsfreudiges deutsches Volk! Abg. Gothein (iortschr. Volkzp.): Wir sind bereit, dem Staatssekretär sein Gehalt zu bewilligen, auch wenn er nicht in den nächsten Tagen wieder eine 1 stündige Rede hält. Der Schluß der Ausführungen des Abg. Oertel klang recht elegisch; er stand so recht in Harmonie mit seiner mit einem schwarzen Rand versebenen wesßen Weste. Die handele politischen Ausführungen des. Abg. Mayer. Kausbeuren litten an dem kleinen Fehler, daß er die vor⸗ läufigen Ermittelungen für 1911 schon für definitive nahm. Man soll aber solchen Zahlen überhaupt nicht solchen übertriebenen Wert beilegen. Für die Güte der Schutzzollpolitik können sie aus der steigenden Ausfuhr nichts beweisen. Die Ausfuhr bat sich ganz besonders gehoben unter den Caprivischen Handels ertragen, für die ja übrigens auch das Zentrum gestimmt hat. Der Staatssekretär Delbrück muß aber selbst zugeben, daß das In⸗ strument zur Gewinnung guter Handelsverträge, der Zolltarif, in dieser Beziehung nicht den gehegten Erwartungen entsprochen hat. Der Vergleich mit England fällt, wenn man genauer zusieht und sich nicht bloß an Zahlen hält, die man willkürlich gruppieren kann, gerade zu ungunsten Deutschlands aut. Auch die jetzige Konjunktur ist gar nicht so übermäßig günstig, wie es hingestellt wird; immerhin ist zweifellos, daß wir reichliche Beschäftigung haben, und es kann auch nicht bestritten werden, daß die Arbeiterlöhne ge— stiegen sind. Sie müssen steigen, weil alles teurer geworden ist, und der Arbeiter höhere Löhne fordern muß, wenn er seine bisherige Arbeitsleistung aufrecht erhalten und seine Familie ernähren will. Demgegenüber steht eine wesentlich geringere Rentabilität unserer Industrie; das bestätigen u. 4. all Berichte aus der großen Industriezentrale Berlin. Der Bevölke rungszuwachs zwingt zur Schaffung neuer Wohnungen und neuer Betriebsstätten, daher auch das erböhte Kapitalbedürfnis und der hohe Diekont, den z. B. Frankreich nicht hat. Die Industrie braucht Kapitalkredit; der Abg. von Gamp will ihr den nicht geben. Gewiß sollen die Banken in der Kreditgewährung vorsichtig sein, aber der Unternehmungsgeist darf auch nicht unterbunden werden. Leider sind auch viele Hunderte Millionen von Mark in unsinnigen Gründungen, 3. B. von Kaliwerken, angelegt worden; greße Summen werden in Anspruch genommen durch die Beschaffung. der Rohstoffe, die die Industrie verarbeitet. Gehen die Preise für Lebens⸗ mittel in die Höhe, so werden höhere Löhne verlangt; wir sehen ja, daß auch die Bergwerkabesitzer der Forderung der Bergleute entsprechen wollen, wenn auch nur erst zum 1. April hoffen wir, daß sie damit nicht in den April geschickt werden, steigen die Löhne, dann müssen auch die Kohlenpreise steigen. Gleichzeitig werden die Schächte tiefer, die Bergarbelterleistungen müssen zurückgehen, weil unter ungünstigeren Bedingungen gearbeitet wird. Auch die Syndikate haben wesentlich mit an der Preis⸗ erhöhung schuld. Der Abg. Dr. Maver- Kaufbeuren machte dem Fiskus einen Vorwurf darautz, daß das Koblensyndikat nach dem Beitritt des Füekus die Kohlenpreise erhöbte, und wunderte sich darüber. Einen Vorwurf mache ich ihm auch daraus, aber wundern kann ich mich darüber nicht; der Figkus macht es immer so, er ist früher dem Syndikat mit der Erhöhung sogar vorausgegangen, Im volte wirtschaftlichen Interesse liegt das aber nicht. Ob zs dem Zentrum mit seinen Vorwürfen Ernst ist, steht über⸗ haupt daßin; es hat sich wohl bloß den Wählern gegenüber salpleren wollen, eiwas Durchgreifendes gegen diese fiskalischen Machenschaften bat es nicht unternommen. Das Zentrum hat wieder einen Kartellgesetzentwurf eingebracht. Früber lagerte er jahrelang in dem Schreibtisch des Abg. Spahn; endlich kam er heraus: nascetur ridiculus mus, jeder kann ihn annehmen, so harmlos ist er. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Kartelle zu be⸗ seitigen, und das ist die Ermöglichung einer ernsthaften Konkurrenz, bie bei Mißwirtschast des Kartells letzteres in, die Brüche führt. Jetzt hören wir, daß die billigen. Frachttarife für Kohlen nach dem Auslande schleunigst wieder in Kraft gesetzt werden sollen, damit nur nicht zu viel Kohlen im Inlande bleiben, und der Preis hochgehalten werden kann. Das alles ist fiskalische Kurz⸗ sichtigkest, aber keine volkswirtschaftliche Einsicht. Als einen der unbestrittenen Vorzüge der Kartelle stellte der Staats sekretãr den Umstand bin, daß fie eine bessere Ausnutzung der Betriebs— mittel ermöglichten, und zwar hat er das ganz allgemein gesagt. Bei dem Kaligesetz überließ der Staate sekretär die Vertretung voll⸗ ständig seinem Kollegen im preußischen Handelsministerium; jetzt weiß er doch wohl auch, daß das Kalisynd kat dieses Er⸗ gebnis nicht gehabt hat, sondern das Gegenteil herbeigeführt hat. Shne das Spndlkat würden wir die Arbeit, in Bie sich jezt hundert Werke teilen, mit 50 oder noch weniger bewältigen können. Was

Wie schaffen wir Arbeitsgelegenheit für das größer werdende Deutsch⸗

heißt ferner ungebührliche Ausnutzung der Monepolstellung durch die

Syndikate? Der Staatesekretär scheint diese Froge, wie es heute be⸗ liebte Mode sst, auch bloß vom reinen Produzentenstandpunlt zu be⸗ urteilen. Die Kartelpolitik der Regierung, des Zentrums und der Konservativen geht dahin, den Regulator der Konkurrenz auszuscheiden. Es ist zwar kein offizielles, aber ein latsächliches Kalizwangt⸗ syndikat geschaffen worden. Nun sagt der Staatefekretär, er wolle keine allgem ine Kartellgesetzgebung, sondern eine Gesetz⸗

gebung von Fall zu Fall. Er at zugegeben, daß in Ländein ohne Schutz oll der Boden nicht entfernt so gegeben ist wie in Ländern mit Schutzzöllen. Der Kartellantrag des Zentrums ist nur ein Feigenblatt. Der Abg. Dr. Mayer⸗Ftaufbeuren verwies auf die ge⸗ steigerte Einfuhr von Roheisen. Wir hatten schen in den sechziger Fahren einen Üeberschuß von Ausfuhr über die Einfuhr. Die Ent⸗ wicklung unserer Eifenindustrie beruht auf der englischen Erfindung der Entphosphorung des Eisens, nicht auf dem Schutz zoll. Auf Grund der Zölle haben die Kartelle die Rohprodukte verteuert, Ein Trost wäre allerdings die Einführung von Einfuhrscheinen für die reinen Walzwerke; die Konkurrenzfähigkeit dieser Betriebe muß er⸗ leichtert werden. Der Schutzoll kommt in der Hauptsache den kartellterten Industrien zu gute. Auch die Branntweinindustrie ist nur kartellfähig geworden durch die gesetzlichen Kontingents⸗ bestimmungen. Gesreut hat es mich, daß der Stagatssekretär dies genern wenigstens für die Aufrechterhaltung der Meistbegünstigung bei den künstigen Handelsverttägen ausgesprochen hat. Es wäre ein böchst bedenkliches Experiment, nach dem Vorschlage, des Abg. Dr. Oertel den Maximal- und Minimaltarif zugrunde zu legen. Daß die ganze Industrie den lückenlosen Zolltarif verlangt, ist mir neu. Die chemssche Industrie und die Schiffbauindustrie verlangen dies nicht, und das sind doch sehr große Industrien. Wir müssen den anderen Staaten durch Zoßherabsetzung ein gutes Beispiel geben. Eine Produktionsstatistik zur Vorbereitung der neuen Handelsverträge ist notwendig, aber freilich schwer durchführbar. Die industriellen Kach— bereine würden hier einen besseren Dienst leisten als die Berufegenossen⸗ schaften. Es kommt auch nicht nur darauf an, festzustellen, wie hoch die Produktion ist, sondern auch wie hoch die Löbne sind, welche Wirkung die Schutzzölle auf den Inlandspreis haben. Es ist leicht zu sagen, die Schußzjölle hätten sich bewährt. In der Industrie gibt eg sehr be⸗ währte Fachleute, die anderer Meinung sind. Warum sträuhen sich die Herren gegen eine Enguete, die die Wirkung der Schutzzölle fest⸗ stellt? Früher hatte doch der Abg. von Gamp eine solche Enquete für 1906 vorgeschlagen. Die Frage des Julands⸗ und Auslands⸗ absatzes darf nicht so binter verschlossenen Türen erörtert werden. Die Regierung hatte alle sachverständigen Leute zugezogen, die ein Interesse daran hatten, daß die Auslandszölle hoch blieben. Der Wirtschaftliche Ausschuß ist in seiner Mehrheit einseitig zusammengesetzt, die Landwirtschaft ist darin zu sehr be⸗ vorzugt, und einer großen Anzahl von Gewerbebetrieben bat man die⸗ selbe Vertretung gegeben wie der gesamten Verfeinerungsindustrie. Eine öffentliche Enquete ist jedenfalls die Hauptsache. Nachdem die Herren jahrzehntelang das hohe Lied der Schutzzölle gesungen haben, können Sie nicht verlangen, daß Sie die Erhebungen allein machen. Es müssen beide Richiungen vertreten sein, wenn die Er. hebungen wirklich unparteiisch gemacht werden sollen. Es ist doch nicht zu leugnen, daß die Frage der Vorteile der Getreidezölle eine mindessens umstrittene ist. Barüber muß Klarheit geschaffen werden. Wem nützen denn eigentlich die Getreidezölle? Doch höchstens den Betrieben mit Über 6 ha nach früheren Erhebungen. Die nichtamtlichen Erhebungen in Preußen sind ein Musterbeispiel dafür, wie solche Erhebungen nicht gemacht werden sollen. Die statistischen Er hebungen in Baden haben ergeben, daß nur 5,6 6 ein erbebliches Interesse an dem Verkauf von Getreide und an Getreidezöllen ßaben. Bei den Erhebungen müßte auch wie in Oesterreich die Steigerung der Ausgaben berücksichtigt werden, die durch die Getreldejölle bewirkt worden ist. In Desterreich hat man es allerdings nicht gewagt, die Ergebnisse der dortigen Enquete zu beröffentlichen; man hat sie sorgfältig verborgen, weil die Er⸗— gebnisse der amtlichen Eibebungen wahrhaft erschredkend waren. Wenn es unserer landwirtschaftlichen Bevölkerung besser geht als der ssterreichtscken, so kommt es daher, daß sie für ihre Viehproduktien bessere Preise erjlelt. Die hauptsächlichste Wirkung der Getreideꝛ olle war bei uns eine Steigerung der Bodenpreise, und zwar sind die geringeren Böden im Osten viel stärker gestiegen als die besseren Böden im Westen. Diese Steigerung betzägt im ganzen Königreich durchschnittlich etwa Z3o g, und sie hat einen raschen Besißwechsel der Güter herbeigeführt. Das hat wieder eine größere Verschuldung der Güter im Gefolge ge⸗ babt, denn bei jebem Wechsel des Besitzers sind grötzere Preise erzielt worden und immer höhere Summen als Hypotheken auf dem Grundstück stehen geblieben. Der preußische Landwirtschaftsminister hat im Abgeordnetenhause selber ben, daß, wenn diese Entwicklung so welter ginge, der Zolltarif der Landwirtschaft nicht genützt, sondern geschadet haben würde. Der Abg. Dr. Oertel hat die Verdienste des Freiherrn von Wangenheim um die innere Kolonisation hervorgehoben, aber von anderer Seite werden die Mittel, die er vorgeschlagen hat, auf das heftigste bekämpft, weil sie die innere Kolonisation geradezu schädigten. Die Fidei⸗ kommisse haben sich in Preußen sehr ansehnlich vermehrt, und der fideikommissarische Besitz fteigt jäbrlich um 25 000 ha, ein Areal, welches die Gesamtheit der Rentengüter und neuen Kleinsiedlungen

nichl erreicht. Auch in diesem Hause haben wir Kollegen, die mit der Gründung von Fideikommissen Bescheid wissen und auch noch in neuester Zeit damit vorgegangen sind. In Preußen werden von den Gütern über 1000 ha nur 22 0, von den Besitzern selbst bewirtschaftet, alles andere ist verpachtet. Wir müssen zur Aufhebung der Fideikommisse

lommen, fonst wird unsere Gtundbesitzrerteilung dem englischen Beispiel folgen, und der kleine Grundbesitz wird verschwinden. Der Abg. Di. Oertel meinte, dem Grundbesitz liege gar nicht an den ausländischen Arbestern; Graf Zedlitz Trützschler hat einer ganz anderen Meinung Ausdruck gegeben. Wir müssen ein gutes Land arbeiterrecht schaffen. Diese Frage ist spruchreif. Die verbündeten Regierungen aber legen die Hände in den Schoß. Wir werden unser⸗ seitz demnächst einen Gesetzentwurf zu einer Reichsgesindeordnung einreichen. Die jetzige Agrarpolitit ist eben den Behörden gänzlich in Fleisch und Blut übergegangen; auch von den Landwittschaftskammern ift nach ihrer Zusammensetzung in dieser Beziehung nichts zu erwarten. Die Wahrheit müssen wir haben, das liegt im Interesse des ganzen Volkes, der Produzenten wie der Konsumenten.

Nach dieser mehr als zweistündigen Rede wird Vertagung beschlossen.

Persönlich bemerkt der

Abg Dr. Oertel (dkons.): Der Abg. Gothein hat die letzten Sätze meiner Rede eine Elegie genannt. Da muß er mich mißver⸗ standen haben; elegisch sind sie gewiß nicht gewesen. Er hat dann gemeint, meine Weste stehe in Uebereinstimmung mit dem elegischen Klang dieser meiner Ausführungen. Ich weiß nickt, ob es möglich ist, eine persönliche Bemerkung in Namen seiner Weste zu machen. Ich begnüge mich mit der Erklärung, daß der Abg. Gothein auch den schwarzen Rand meiner weißen Weste vollständig mißverstanden hat.

Schluß 6“ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Fortsetzung der Beratung.)

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 30. Sitzung vom 5. März 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sitzung, in der die Beratung

des Etats der Berg⸗, Hütten und Salinen verwaltung bel den Einnahmen aus den Salzwerken fortgesetzt wird,

ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Auf die daselbst auszugsweise wiedergegebenen Aus⸗ führungen der Abgg. Dr. Busse (kons.) und Brandhuber (Zentr.) erwidert der

Oberberghauptmann von Velsen; In dem Salzbergwerk Stetten sind im ganzen 28 Arbeiter beschäftigt, das ist also doch wohl für die Hohenzollernschen Lande nicht von sehr großer Bedeutung, ebensowenig wie für uns; denn daran, daß die Saline Stetten nur 3000 oder 5000 1 oder gar keinen Ueberschuß abwirft, wird die preußische Bergwerksverwaltung nicht gerade arm werden. Voraus⸗ sichtlich werden wir in Stetten demnächst gar nichts mehr verdienen, wir sollen aber wirtschaftlich arbeiten, und jede Privatgesellschaft würde den Betrieb in Stetten einstellen. Die Verhandlungen über die Einstellung des Betriebes mit dem Regierungspräsidenten werden selbstverständlich unsererseits in wohlwollendstem Sinne geführt, wir werden alles tun, was billig ist und der Situation entspricht. In Hohensalja sind die Meinungen der Bergberwaltung und der Ein⸗ wohner selbstverständlich sehr verschieden. In Hohensalza meint man, daß unser staatlicher Bergbau an den Erdfällen und Senkungen schuld sei. Wären wir derselben Meinung, so würden wir unseren Betrieb dort einstellen, denn der Verdienst steht in keinem Verhältnis zu den etwaigen Entschädigungsbeträgen. Wir meinen aber, daß der Bergbau mit der Sache in keinem Zusammenhang steht, daß vielmehr der Gipsstock, auf dem Hohensalza liegt, durch die Tagewasser langsam ausgelaugt ist und dadurch die Beschädigungen herbeigeführt sind. Das bestätigen die jüngsten Bohrungen, in der Nähe der Erdfälle lagert zunächst Gips, der völlig ausgelaugt ist; dann ist man auf das Stein⸗ salz gekommen, und dieses ist unversehrt. Wenn also die Erdfälle

urch Auslaugung des Steinsalzes herbeigeführt wären, würde kein

teinsalz mehr da sein können. Die Aussoolung des Steinsalzes kann also nicht Grund der Beschädigungen sein. Damit stimmen die Hutachten von sehr namhaften Geologen überein. Wir haben nicht twa nur von der er fen Geologischen Landesanstalt Gutachten eingeholt, sondern wir haben uns auch an außerpreußische Geologen gewandt, und diese vertreten die Auffassung, daß unserseits auch nicht einmal ein indirektes Verschulden vorliegt. Wenn wir nun unsere Bohrungen fortsetzen, könnte man darin doch den Ausdruck der Be⸗ fürchtung sehen, es könne ein Zusammenhang zwischen unserem Be⸗ triebe und den Erdbewegungen bestehen. Wir haben die Bohrungen aber vorgenommen, weil wir den geologischen Nachweis liefern wollten,

die Erdfälle mit anderen Ursachen zusammenhängen. Wieweit

Bohrungen weiter fortgeführt werden, wird von dem Resultat

zweiten Bohrloches und davon abhängen, wie dieses Resultat

der Geologischen Landesanstalt gedeutet wird. Wenn uns die maßgebenden Geologen sagen, daß weitere Bohrungen nutzlos sind, werden wir sie natürlich nicht ausführen oder sie den Hausbesitzern oder der allgemeinen Polizeiverwaltung überlassen, falls diese sie für wünschenswert halten sollte. Erklären aber die maßgebenden Stellen, daß die geologischen Verhältnisse für unsere bergmännischen Inter— essen noch nicht ausreichend geklärt seien, dann werden wir erwägen, wie weit wir diese weiteren Bohrungen auf die Fonds der Bergber— waltung übernehmen können. Weiter kann ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß mein Herr Chef zum Teil in eine Sistierung der Prozesse billigen will. Sobald Art, Umfang und Zeitpunkt der ntstehung der Schäden festgestellt sind, werden wir die Häuser— schädigungsprozesse so lange ruhen lassen, bis die Hausbesitzer ihrer⸗ seits eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen werden. Wir sind auch bereit, in die Sistierung der Prozesse wegen Wasserent⸗ ziehung zu willigen. Der Abg. Levy deutete gestern an, wenn wir in ersten Prozesse, der jetzt zur Entscheidung steht, unterliegen sollten, so würden wir das Ergebnis dieses Prozesses gewissermaßen ils uns bindend ansehen. Das muß ich verneinen; wir müssen uns volle Freiheit der Entschließung vorbehalten, wie wir in weiteren Priozessen operieren werden, weil sich gar nicht übersehen läßt, wie in den einzelnen Fällen die Lage oberirdisch und unterirdisch ist.

Abg. Cassel (fortschr. Vollsp.): Um die Ursachen des Erd— rutsches sestzustellen, müßte unter allen Umständen eine Bohrung vorgenommen werden. Mit der von dem Kommissar in Aussicht ge⸗ nommenen Erleichterung wird die Sache doch nicht erledigt sein; denn es handelt sich hierbei um eine wahre Kalamität, die ebenso groß ist wie eine durch großen Hagelschlag oder durch eine große Ueber⸗ schwemmung herbeigeführte. Es ist deshalb notwendig, daß eine allgemelne Hilfsaktion mit staatlicher Unterstützung erfolgt. Diese Kalamität gefährdet die Kreditverhältnisse der Geschäftsleute und namentlich auch der Hausbesitzer. Man befürchtet, daß ein weiterer Einsturz von Häufern eintreten wird. Jedenfalls sind durch diese Kalamität einzelne Bürger der Stadt verhindert, in an— gemessener Weise ihr Brot zu verdienen. Die Staatsregierung sollte nicht warten, bis das Kind gänzlich in den Brunnen gefallen ist, sondern sie sollte die erforderliche Hilfsaktion eintreten lassen. Sollte diese allgemeine Hilfegaktton, die mit der juristischen Frage nichts zu tun hat, nicht eingeleitet werden, so werden meine Freunde bei der . des Etats des Ministeriums des Innern geeignete Anträge tellen.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow: Ich knüpfe an die letzten Worte des Herrn Vorredners an. Wir sind im Begriff, in der Debatte in die Frage einer allgemeinen Hilfsaktion für Hohensalza einzutreten. Ich möchte aber darauf auf— merksam machen, daß der Minister für Handel und Gewerbe in der Beziehung wenig tun kann, und möchte dem hohen Hause empfehlen, diese Frage bei den Etats der zuständigen Herren Ressortminister weiter zu verfolgen. Die Bergverwaltung ist bis an die Grenze des ihr Möglichen gegangen. Die Bohrungen wären im aucschlleßlichen Interesse der Bergverwaltung nicht in der Ausdehnung nötig gewesen. Wir haben jetzt die zwei Bohrungen auch zur Klarstellung der Sach—⸗ lage vorgenommen. Sollten, um festzustellen, wieweit eine allgemeine FKalamitãt durch neue Erdfälle zu erwarten ist, seitens der zuständigen Derren Ressortminister weitere Bohrungen gewünscht werden, so wird die Bergverwaltung gern bereit sein, sie auszuführen; es würden aber mit den Kosten dieser Bohrungen nicht die Fonds der Bergbau⸗ verwaltung belastet werden dürfen.

. Abg. Kurzawski (Pole): Die Bergverwaltung hat verlangt, daß das 1909 entstandene Loch auf Kosten der Eigentümer zugeschüttet werden soll. Um diese Maßnahme auszuführen, sind an 27 000 4M nötig. Diese Maßnahme trifft besonders die katholische Gemeinde, die schon außerordentlich schwer verschuldet ist und bangen Herzens in die Zukunft sieht. Die unglücklichen Einwohner von Hohensalza er⸗ varten dringend, daß die Staatsregierung ihnen zu Hilfe kommt.

Abg. Dr. Be ll⸗Essen (Zentr.) : Die Petition der Hausbesitzer von Hohensalza ist mir von der Kommission für Handel und Gewerbe zur Berichterstattung überwiesen worden. Die Plenarverhandlungen baben nun durch diese Debatte schon den Kommissionsverhandlungen vorgegriffen, sodaß ein Teil der Untersuchungen schon vorweg senommen ist. Aber die Erklärungen der Regierung haben mich nicht friedigt. Sie waren mehr ein Plädoyer des Bergfiskus, der in diesem Falle Partei ist. Die Staatsregierung müßte sich doch auf enen unpartelischen Standpunkt stellen, zumal die Vollen keineswegs gleichmäßig verteilt sind, nämlich auf der einen Seite die Staats⸗ regienung mit Rem gefüllten Portemonnaie, auf der anderen die armen ;. e. Dim Fiskus kostet der Prozeß nichts, während die Hauebesitzer die Kosten jahlen missen. Vielleicht ist derselbe Weg gangbar, den wir in solchen Fällen im rbeinisch westfälischen Industrie⸗ bezirk eingeschlagen haben, daß nämlich sämtliche Verfahren zu einer einheitlichen Beweisführung vereinigt wenden. Auf keinen Fall darf man aber den Notstand, der größer ist, als ihn die Staatsregierung dargestellt hat, bestehen lassen, es wird dringend eine geeignete Hilfs⸗ aktion eingeleitet werden müssen.

Der Titel wird bewilligt, ebenso der Rest der Einnahmen

Bei den dauernden Ausgaben, und zwar beim Kapitel „Stgatswerke“ bringt Aba. Dr. Maurer (nl) eine Eingabe des Verbandes der Kassen⸗ und Rechnungsbeamten zur Sprache: Zwischen den Verwaltungs- und den technischen Beamten besteht ein gewisser Gegensatz. Die technischen Be⸗ amten werden immer zuungunsten der Verwaltungsbeamten zurüggesetzt. Die Steiger haben den Wunsch, daß sie in die Klass⸗ der Buregu⸗ assistenten aufrücken können. Ich kann nicht ganz beurteilen, ob ein MIlcher Uxbergang möglich und zweckmäßig ist, aber das System der Beamtenhjerarchie ist doch zu weit ausgedehnt. Früher, als sämtliche Beamten der Beigberwaltung durch die Bergschule hindurchgingen, kannte sich der Bergschüler am Schluß entscheiden, ob er in die Verwaltung oder in das technische Bergwesen übergehen wollte. e halb ist der Wunsch der Steiger nicht unberechtigt, daß sie nach Ablegung der Prüfungen auch in die höheren Beamfenstellen hinein— kommen können. Der Minister hat nach senen gestrigen Erklärungen die Absicht, die Anstellungsverhältnisse der Steiger insofern zu ändern, daß die Anstellung für die ersten fünf Jahre nur auf Kündigung er⸗ folgen soll. Der Minister meint zwar, daß dann der tüchtige Mann keine Sorge wegen der definitiven Anstellung zu haben brauche, aber mir scheint die Sache doch etwas bedenklich zu sein, denn die Tüchtigkeit eines Beamten kann auch einmal durch Krankheit oder andere besondere Ursachen beeinträchtigt werden. Auch die Verhältnisse der technischen Unterbeamten bedürfen noch in verschiedener Hinsicht der Verbesserung.

Abg. Im busch (Zentr.): Das jetzige System der Ablegung der Bergleute ist veraltet. Das Nullen der nicht ordnunge mäßig geladenen Wagen ist zwar jetzt verboten, aber das Verbot wird um⸗ gangen, und es werden Strafen verhängt. Wenn das Institut der Sicherheitsmänner noch nicht vollkemmen funktioniert, so liegt das daran, daß sich die Beamten noch nicht damit befreundet haben. Die Verwaltung müßte die Beamten anweisen, daß sie die Sicher⸗ heitsmänner nicht schikanieren; das würde wesentlich zur Beruhigung der Bergleute beitragen. :

Abg. Delius (fortschr. Volksp.): Ich möchte die Erbaltung des Bergbaues im Oberharz wünschen. Die Gewährung von Prämien an die mittleren Beamten entspringt einer guten Absicht der Regierung, aber es muß jede Willkür auggeschlossen werden. Die Obersteiger sollen jährlich 500 „SP, die Fahrsteiger 400 M und die Grubensteiger monatlich bis zu 30 S an Prämfen erhalten; der letztere Satz müßte noch erhöht werden. Wir wollen hoffen, daß dieses Prãmtensystem nicht zu einem Druckmittel gegen die Arbeiterschaft ausgenutzt wird. Die Bureaugehilfen sind ungleich besoldet, man bezahlt sie in Saar⸗ brücken mit Schichtlohn, in Halle mit einem fixierten Lohn; man sollte sie in ein festes Beamtenverhältnis bringen. Ferner wünsche ich, daß für ein gutes Familienleben bei den Bergleuten geforgt werde.

Abg. Spinzig (freikons.): Ich schließe mich den Wünschen der Erhaltung des Bergbaues im Oberharz an. Zu diesem Zwecke ist es erforderlich, daß mit den vorhandenen Erzvorräten haushälterisch um⸗ gegangen wird. Die Bevölkerung in den Städten des Oberharzes hat bereits einen starken Rückgang infolge der Einschränkung des Bergbaues aufzuweisen, die Kaufkraft ist zurückgegangen, die Viehhaltung hat ab⸗ genommen. Seitdem die oberharjer Werke vor vierzig Jahren bei der Annexion von Hannover an den preußischen Staat übergingen, sind aus ihnen insgesamt 32,7 Millionen herausgewirtschaftet worden. Die anfänglichen Ueberschüsse gingen zwar in den beiden Jahrzehnten von 1879 bis 1888 und von 1889 bis 1898 auf 3 bezw. 2.53 9,9 zurück, stiegen dann aber wieder in dem Jahrzehnt 1899 bis 1908 auf 13.3490 ,9. Der Reinertrag für den Fiskus pro Arbeiter beträgt im Oberharz 288 6. Die dort darniederliegenden wirtschaftlichen Verhältnisse kann die Berg⸗ verwaltung heben, wenn sie dem dortigen Bergbau mehr Pflege an⸗ gedeihen läßt. Der neue Direktor im Oberharz wird seine Aufgabe darin sehen müssen, diesen Bergbetrleb zu erhalten. Es fragt sich aber, ob die Kommunen des Oberharzes hinreichend an den Ueber⸗ schüssen aus diesem staatlichen Bergbetrieb beteiligt sind. Das ist nicht der Fall; die oberbarzer Bergwerke müßten erheblich schärfer zu den Kommunalsteuern veranlagt werden. Ein zweites Mittel der Fürsorge würde sein, daß der Stagt mit dem Abbau der dortigen Erzvorräte so vorsichtig wie möglich vorgeht, damit sie sich nicht in absehbarer Zeit erschöpfen. Die Art des Betriebes im Oberharz entspricht nicht den heutigen Anforderungen und geschieht nicht mit den Hilfsmitteln, die wir heute haben. Es sind z. B. mit den aller⸗ primitivsten Mitteln Stollen von insgesamt 29 km Länge getrieben worden, und sehr wenig neue Schächté sind in der preußischen Zeit angelegt worden. In den jährlichen Betriebsberichten müßte berichtet werden, in welcher Weise haushälterisch mit den Schätzen umgegangen ist. Sodann müssen sämtliche Werke im Oberharz unter eine einbeit⸗ liche Leitung gebracht werden; wir haben jetzt noch fünf selbständige Bergverwaltungen im Oberharz. Ich glaube, daß in der Person, die die Stelle des neuen Direktors einnehmen soll, alle die Bedingungen erfüllt sind, die man wünschen muß.

Abg. Dr. Röchling (nl): Die vom Abg. Dr. Maurer vor⸗ gebrachten Wünsche kann ich ganz unterstützen. Denjenigen Steigern, die sich im Dienste z. B. Verletzungen zugezogen haben, muß der Eintritt in den Bureaudienst ermöglicht werden; das tut auch jeder Privatunternehmer. Es ist wirklich bedauerlich, daß ein so scharfer Gegensatz zwischen Bureaubeamten und technischen Beamten besteht. Das Prämiensystem hat sich außerordentlich bewährt, ja es liegt eigentlich auch im Interesse der Arbeiter; denn je mehr Ueberschüsse der Bergbau abwirst, desto besser werden auch die Löhne der Arbeiter sein. Im Gegensatz zum Abg. Imbusch halte ich das Strafsystem für notwendig, stimme aber mit ihm darin überein, daß das Ver⸗ hältnis zwischen den Sicherheitsmännern und den Beamten ein besseres werden möge. ö Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Es sind noch 21 Redner ge⸗ meldet; aber es ist dringend zu wünschen, daß gemäß der Kon⸗ tingentierung der Bergetat noch zu Ende geführt wird.

Abg. Hir sch⸗Essen (nl. ): Nach den ausführlichen Darlegungen des Abg. Spinzig kann ich auf weitere Darlegungen verzichten; ich kann aber seine Anregungen nur auf das wärmste unterstützen. Es ist die Aufgabe der Bergverwaltung, eine angemessene Rente aus den im Bergbau angelegten Kapitalien herauszuholen; die Rente, die aus dem Bergwerksbetrieb im Oberharz gezogen wird, ist aber so boch, daß sie auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden kann, wenn nicht der oberharzer Bergbau schließlich zugrunde gehen soll.

Abg. Dr. von Brüning (konß ): Namens meiner Partei kann ich unsere Zustimmung zu den Ausführungen des Abg. Spinzig über den Oberharz erklären. Wir billigen die Maßnahme, daß von den mittleren Beamten des Bergwerksbetriebes ein Teil mit Beamteneigenschaft, aber mit Kündigungsmöglichkeit für die Dauer ö. fünf Jahren angestellt wird. Ich halte das für einen praktischen Ausweg.

Oberberghauptmann von Velsen: Der Bergfiskus beabsichtigt nicht im geringsten, im Oberharz Raubbau zu treiben. Wir haben nur den Wunsch, daß ein rentabler Bergbau erhalten wird.

Abg. Leinert (Soz.): Nach dem Hinweis des Präsidenten ver⸗ zichte ich auf eingehende Darlegungen, mochte aber darauf hinweisen, daß durch die niedrigen Löbne, die der Bergfikus im Oberharz zahlt, auch in anderen Industrien, z. B. in der Steinindustrie, die Löhne niedergebalten werden. Darauf ist die Entvölkerung des Ober— harzes mit zurückzuführen.

Der Fonds für Gewinnanteile für (124000 S) wird ohne Debatte bewilligt. Bei den Prämien für obere und (278 000 M6) spricht

Abg. Im busch (Zentr.) den Wunsch aus, daß durch die Prämien das Verhältnis zwischen Beamten und Arbeitern nicht ver⸗ schlechtert werden möge. Die Prämien sollten die Beamten nicht etwa veranlassen, die Arbeiter zu drücken.

Der Titel „Löhne“ ist um 3 247 970 S6 auf 135 959 760 66 erhöht worden.

Abg. Or. Maurer (ul.): Die Löhne an der Saar sind

höhere Beamte

mittlere Beamte

ohne weitere Debatte.

Hirn n, 8 r ü —ᷣ 2 . J 5 1 [ 1 2 2 .

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noch nicht die Höhe erreicht, die sie 1907 und 1908 batten. Es steht unzweifelhaft sest, daß gegenüber den veränderten Leben

bedingungen die jetzigen Lehne nicht mehr augreichend sind. Ich habe

einen Bergarbeiter einmal gefragt, was er jetzt für sein Mittagessen zu bezablen habe. 10 33 antwortete er, aber noch nicht lange sei es ker, da habe er mit 30 auskemmen können und früher sogar mit 25 3. Aus diesem drastischen Beispiel können Sie doch sehen, wie sehr der Lebensunterhalt verteuert ist. Ich möchte dle Hoffnung aussptechen, daß die Löhne vom Berafiekus frei- willig erhöht werden. Es ist zugegeben worden, daß im Etat die Preise relativ niedrig angesetzt worden sind. Das mußte aber geschehen, weil sie schon im August aufgestellt wunden. Eine Verschleierungspolitik kann man der Reglerung deshalb nicht vorwerfen. Die Minderleistungen der Arbeiter sind nicht etwa auf Faulheit zurückzuführen, sondern liegen in den veränderten Betriebe⸗ verhältnissen. Es muß dem fleißigen Arbeiter auch die Möglichkeit gegeben werden, mehr Geld zu verdienen. Das ist auch ein Korrelat zu dem Prämienspstem. Der Arbeiter muß, wenn er fleißig und tüchtig ist, auch höhere Löhne beziehen. Nicht durch eine Gleich- macherei kommen wir weiter. Die Handwerker wenden sich mit Recht dagegen, daß sie die Höchstlöhne erst später als die Arbeiter er⸗ reichen. So, wie es jetzt ist, kann es im Saargebiet nicht weiter gehen, die Bergverwaltung muß alles tun, um befriedigende Zustände zu schaffen. 3

Abg. Goebel(Zentr): Die Löhne in Oberschlesien sind niedriger noch als im Saargebiet. Ein Monatsperdienst von 89 bis 90 reicht kaum aus um den Lebensunterhalt, Wohnung, Kleidung usw. zu bestreiten. Die niedrigen Löhne sind ja zum Teil darauf zurück⸗ zuführen, daß für die oberschlesischen Kohlen sehr schlechte Absatz⸗ derhältnisse bestehen. 1909 und 1910, ja auch noch 1911 mußten viele Feierschichten eingelegt werden. Gegenüber 1910 ist nun aber die Förderung gestiegen, und es erscheint mir desbalb auch der Wunsch der oberschlesischen Bergleute nach einer Erhöhung ihrer nicht mehr ausreichenten Löhne gerechtfertigt. Ich muß allerdings zu⸗ geben, daß bereits im zweiten und dritten Quartal 1911 eine Besserung eingetreten ist, aber die Bergbauperwaltung müßte in der Erhöhung er Löhne vorangehen. Der ablehnende Bescheid des berghaulichen Vereins in Oberschlesien ist nicht zu billigen. Ich möchte den Minister bitten, die Wünsche von Lohnerhöhungen recht wohlwollend zu prüfen und durch eine Erhöhung der Löhne auf der Königin Luisen⸗ Grube und den anderen fiskalischen Gruben mit gutem Beispiele voranzugehen. Das würde viel zur Beruhigung der Stimmung unter den Bergleuten beitragen. Abg. Dr. Röchling (nl): Aus den Erklärungen der Regierung ist zu entnehmen, daß sie für die Zukunft selbst an Lohnaufbesserungen denkt. Die drei Bergarbeiterverbande, der alte Verband, der Hirsch= Dunckersche Gewerkverein und der vpolnische Verband, kämpfen jetzt nicht so um die Lohnerhöhung an sich als vielmehr um das Tempo und die Art der Lohnerböhung. Von beiden Seiten, der Regierung und den Verbänden, muß die Sache mit Ruhe, Vernunft und Ueber⸗ legung behandelt werden. Der Bericht der Handelskammer in Saar⸗ brücken erkennt an, daß die Bevölkerung wesentlich von der Lage der Bergarbetter abhängt, und daß die Lebenshaltung schlechter geworden ist. Ich würde bedauern, wenn die Lohnfrage zu einer politischen Frage gemacht würde. Der Staat muß mit Wohlwollen und mit einer freigebigen Hand an die Lohnfrage herantreten, die für eine halbe Million Menschen von Bedeutung ist. Abg. Im busch (Zentr. : Eine wirkliche Lohnsteigerung ent⸗ sprechend den gestiegenen Einnahmen der Bergwerke ist noch nicht er— folgt. Es ist doch zu berücksichtigen, wie die Kosten der Lebensmittel und der gesamten Lebenshaltung in den letzten Jahren gestiegen sind. Deshalb müssen wir mit allem Nachdruck derlangen, daß ein weiteres Steigen der Löhne eintritt. Im Herzogtum Anhalt ist den Berg- arbeitern eine Teuerungszulage gegeben worden; das müßte auch für Preußen vorbildlich sein.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Meine Herren! Nachdem sich die sämtlichen Herren Vorredner den Wählern ihrer Wahlkreise durch warme Befürwortung der Wänsche auf Erhöhung der Bergarbeiterlöhne empfohlen haben (Heiterkeit), wird es mir etwas schwer, mit Ihnen in Konkurrenz zu treten, da es bei einer Erklärung, die ich hier abgebe, nicht bewendet, sondern nachher ich oder die von mir vertretene Verwaltung alljähr⸗ lich dazu angehalten wird, die Konsequenzen dieser Erklärung zu ziehen. Das bringt mich in diesem Wettstreit etwas in Nachteil (Heiterkeit). Ich muß mich also dabei auf die rein nüchterne Sach⸗ lichkeit beschränken, will aber hier einschalten, wie ich es mit leb⸗ haftem Interesse gehört habe, daß auch der Sekretär der Handelt⸗ kammer Saarbrücken sich so warm für die Erhöhung der Berg⸗ arbeiterlöhne eingelegt hat (sehr gut! und Heiterkeit) notabene aus der Tasche des Fiskus! (Abg. Leinert: Also muß es doch nötig sein, wenn der sogar kommt!)

Was die Sache selbst hetrifft, so habe ich mich gestern im Grundsatz dazu geäußert; ich will es hier nur nochmals in Kürze rekapitulteren.

Zunächst muß ich dem Herrn Vorredner darin widersprechen, daß die fiskalischen Löhne irgendwo niedriger sind als die der Privatgruben notabene desselben Bezirks. Wenn man natürlich die fiskalischen Löhne in Saarbrücken mit den Privatgrubenlöhnen im Ruhrgebiet vergleicht, kommt ein Unterschied heraus. Im übrlgen sind die fiskalischen Löhne im Ruhrrevier auch noch höher als die der dortigen Prwatgruben. Ich habe gestern anerkannt, daß mit steigender Konjunktur auch die staatliche Bergwerksverwaltung gern eine weitere Steigerung der Löhne eintreten lassen wird. Ich will übrigens, was Saarbrücken betrifft, darauf hinweisen, daß die Lohne der Klasse A im vierten Quartal des Jahres 1911 mit 4,69 M im Durchschnitt pro Schicht einen höheren Stand erreicht haben, als je zuvor.

Die veränderten Lebensmittelpreise kann eine fiskalische Betriebs⸗ verwaltung immer nur bedingt berücksichtigen. Wir können uns un⸗ möglich auf den Standpunkt stellen, daß wir die Arbeiterbezahlung lediglich als Wohlfahrtseinrichtung ansehen. Allerdings hat Herr Abg. Imbusch in etwa diesen Wunsch ausgesprochen, als er den etwas kühnen Vergleich zwischen Porzellanmanufaktur und Kohlenbergbau zog. Im vorigen Jahre ist hier von allen Seiten, auch von der Partei des Herrn Vorrednerg, dem Bergfiskus vorgehalten worden, daß er mehr nach kaufmännischen Gesichtspunkten wirtschaften solle, und schon heute sind wenigstens bei den Herren Vorrednern alle die schönen Vorsätze zu Wasser geworden. Die Bergverwaltung ist immer genötigt, auch die Frage im Auge zu behalten, was die fiskalischen Unternehmungen, die doch eben wirt- schaftliche Unternehmungen sind und sein sollen, wirtschaftlich tragen können, und nur in dem Maße, wie die Konjunktur steigt, ist auch eine Erhöhung der Löhne möglich, soll sie aber auch gern geschehen.

Dann will ich noch einmal betonen, obwohl ich auch dies gestern schon gesagt habe, daß wir im Saarrevier den Arbeitern wesentlich dadurch geholfen baben, daß wir auf die Verminderung der Feier⸗ schichten durch Herabsetzung der Verkaufspreise mit Erfolg hinge⸗ wirkt haben.

Wenn dann gesagt wird daz hängt mit der Frage der Löhne nur in gewisser Beziehung zusammen, muß aber noch beantwortet werden die Prämien, die den Steigern ia Aussicht gestellt

zwar in der letzten Zeit ein wenig gestiegen, haben aber

werden, dürften nicht dahin führen, die Arbeiter zu drücken, so

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