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Wenn also die Verhandlungen in den Arbeiterausschüssen nicht zum Resultat geführt haben, so kann man wohl sagen: soweit es sich um Mitglieder des alten Verbandes handelt, ist jedenfalls die Zechen⸗ verwaltung nicht daran schuld.
Am 1. März war nun in England der Streik ausgebrochen, am 10. März erfolgte auf der Revierkonferenz in Herne der Streikbeschluß, der dann am selben Tage von den großen Versammlungen der Berg⸗ leute bestätigt wurde und zur Niederlegung der Arbeit am 11. März ohne Kündigung führte. Die Angehörigen des christlichen Gewerk— vereins ebenso wie die der evangelischen Arbeitervereine lehnten es ab, sich an dem Streik zu beteiligen.
Es wirft sich nun die Frage auf: hätte man in den Arbeiter ausschüssen, insbesondere den fiskalischen, den Arbeitern weiter ent⸗ gegenkommen können. Was zunächst die 15prozentige Lohnerhöhung betrifft, so habe ich an anderer Stelle, im Reichstag, nachgewiesen, daß diese 15 prozentige Lohnsteigerung eine höhere Ausgabe veranlaßt hätte, als die Einnahme war, die durch die Steigerung der Kohlen— preise, die am 1. April eintreten soll, zu erwarten ist. Ich lege aber keinen Wert darauf, darauf näher zurückzukommen, nachdem nach den Zeitungen gestern die Vertreter des alten Verbandes selber schon von den 15 , heruntergegangen sind. Ich bin aber der Meinung, daß mit einer prozentualen Steigerung überhaupt nichts zu machen ist, weil sie, kurz gesagt, zu schematisch ist. Es sind auf den verschiedenen Gruben die Verhältnisse ver⸗ schieden; ja auf denselben Gruben sind die Arbeitsleistungen nicht die gleichen; es gibt schwerere und leichtere Arbeit, schwächere und kräftigere Arbeiter, eifrige und mindereifrige. Vor allem ist bei den Gedinge⸗ sätzen kein prozentualer Zuschlag zu machen; es fehlt dazu die feste obsektive Basis; das Gedinge wird von Monat zu Monat nach den Verschiedenheiten der Flözverhältnisse festgesetzt, und man kann eine den augenblicklichen Flözverhältnissen angepaßte Zahl nicht zur Basis einer dauernden prozentualen Steigerung machen. Deshalb kann man auch diese ganzen Sätze nicht in Vertragsparagraphen gießen und juristisch⸗ formell festlegen. Alle diese Vereinbarungen der Schicht' löhne und der Gedinge müssen sich den sehr verschiedenen besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles anpassen, und das ist der Grund, weshalb es auch die fiskalischen Zechen abgelehnt haben, mehr zu tun, als eine allgemeine Zusage zu machen, aber eine allgemeine Zusage, an der zu zweifeln, glaube ich, kein Grund war.
Ich habe wohl auch noch die Frage zu beantworten, wie weit denn der Hinweis auf die inzwischen erfolgte Lohnsteigerung, die in den Arbeiterausschüssen geltend gemacht wurde, richtig ist. Dazu möchte ich folgendes sagen.
Ich hatte bereits bei der zweiten Lesung des Bergetats hier die Ehre, darauf hinzuweisen, daß im letzten Quartal des Jahres 1911 sowohl die Löhne in Klasse A als auch die Durchschnittslöhne dem Höchstsatz im letzten Vierteljahre des Jahres 1907 sehr nahe ge⸗— kommen seien. Der Höchstsatz, auf den immer Bezug genommen ist, sind die Hauerlöhne von 5,98 6 und die Durchschnittslöhne von samtlichen Bergarbeitern von 487 M für die Schicht. Nun waren wir, was die Durchschnittslöhne betrifft, bereits im letzten Quartal des Jahres 1911 im Revier Dortmund auf 4575 1, was die Hauer⸗ löhne betrifft allerdings erst auf 5, b3 ς gelangt. Seitdem aber hat eine weltere Steigerung der Löhne stattgefunden, sodaß sie, zum mindesten auf den fiskalischen Zechen, außerdem aber auch auf mehreren Privatzechen Ende Februar das Niveau des letzten Quartals des Jahres 1907 nicht nur erreicht, sondern vielfach überschritten hatten. (Sehr richtig! und Hört, hört) Auf den fiskalischen Zechen betrug im Januar der Durchschnittslohnsatz für die Häuer b, 98 M — das ist der Satz von 1907 —, der Durch⸗ schnittssatz aller Löhne 496 M gegen 4,87 M im Jahre 1907. Im Februar ist er weiter gestiegen, so auf den Möllerschächten auf 6,26 — es handelt sich immer um Nettolöhne nach Abzug aller Knapp— schaftsgefälle und der sonstigen Abgaben —, auf den Rheinbaben schächten auf 6,33 M6, auf Bergmannsglück auf 6,40 „16, und die Werks—⸗ direktoren hatten bei weiterbleibender günstiger Konjunktur eine Steigerung bis 6,50 ν , und 6,60 S6 in Aucsicht stellen zu können geglaubt. Ueber den Durchschnittslohn vom Jahre 1907 haben im Januar 1912 bereits verdient: auf den Möller schächten 40 “,⏑,R, auf den Rheinbabenschächten 57,5 o aller Häuer, darunter bei Möller 15 0ᷣ0 mehr als 6,50 „M, bei Rheinbaben 28,70 /0 mehr als 6,50 S (hört, hört! rechts und bei den Nationalliberalen), gewiß recht anständige Löhne. (Sehr richtig! bei den National⸗ liberalen — Zurufe bei den Sozialdemokraten: Ja, sehr anständige Löhne!)
In ähnlicher Weise ist bei einer Reihe von Privatzechen im Januar und Februar noch eine Steigerung eingetreten, die zum Teil über die Sätze des Jahres 1907 hinausläuft. Ich habe hier das Verzeichnis von 16 Privatzechen vor mir. Bel allen sind in der Zeit von Ende Dezember die Löhne um 4 bis 8 o, in einem Falle sogar die Häuerlöhne um 120 / gestiegen; in 9 Fällen betragen die Häuer— löhne netto mehr als 6 , in anderen Fällen bleiben sie um wenige Pfennige hinter dem Satz von h, 98 6, der Stichzahl vom Jahre 1907, zurück. Die Durchschnittslöhne waren bereits auf allen 16 Zechen höher, als der Stand von Ende 1907.
Nimmt man nun dazu, daß, vorausgesetzt daß die Kon⸗ junktur bleibt, eine weitere Steigerung in Aussicht gestellt war; nimmt man weiter an, daß nicht die geringste Berechtigung war, an der Ehrlichkeit dieser Absicht zu zweifeln, da doch schon vorher ohne eine solche Zusage eine Steigerung eingetreten war und natürlich jetzt, nachdem die Zusage gegeben war, schon der Druck der öffentlichen Meinung auf alle Beteiligten im Sinne der Erfüllung dieser Erwartung wirken muß —: so wird man, glaube ich, die Frage nicht bejahen können, daß die Entwicklung der Lohnverhältnisse die Einleitung eines solchen Streikes geboten erscheinen ließ.
Trotzdem ist er ausgebrochen, und man kann nun wohl weiter fragen, weshalb es die Organisationen für geraten gehalten haben, ungeachtet der Lohnentwicklung, entgegengesetzt den Wünschen des Christlichen Gewerkvereins, in den Streik einzutreten. Ich glaube, man geht nicht fehl, wenn man in den Vordergrund die Erwägung stellt, daß die Organisationen die durch den englischen Streik geschaffene günstige Lage ausnutzen wollten, um den Werksbesitzern gegenüber Forderungen durchzusetzen, sie zur Bewilligung von Forderungen zu zwingen, die sie sonst nie zu erreichen hoffen konnten. Dafür spricht schon die Ungewöhnlichkeit der Häufung dieser zehn Forderungen, die nicht bloß eine sehr hohe Lohnsteigerung, sondern gleichzeitig die Ver—⸗ kärzung der Schichten, und außerdem die Festsetzung der Ueberschichten enthalten. Das alles läßt erkennen, daß man so zu sagen
den Werkebesitzern ein kaudinisches Joch aufrichten wollte, durch das man sie unter dem Zwange des allgemeinen Kohlenmangels, der mit durch England veranlaßt sein würde, hindurchtreiben zu können glaubte. (Hört! hört! und Zurufe bei den Sozialdemokraten: So ein Anwalt der Zechenverwaltungen!) — Ich bin allerdings der Anwalt der fis⸗ kalischen Zechen, und das ist auch meine Aufgabe; denn dle sind mir nachgeordnet und haben das, was sie getan haben, mit meinem Wissen getan. Wieweit das, was ich sage, dann auch für die Privat⸗ zechen zutrifft, überlasse ich jedem zu beurteilen. (Bravo rechts.)
Im übrigen möchte ich bemerken, daß ich Herrn Abg. Liebknecht zum letzten Male auf seine Zwischenrufe geantwortet habe. Ich würde es für eine Verletzung der Rücksicht auf das hohe Haus halten, wenn ich mich auf Privatgespräche mit einem einzelnen Abgeordneten noch welter einließe. (Lebhafter Beifall rechts und bei den National⸗ liberalen. — Abg. Dr. Liebknecht: Kinder sind Sie ja alle zusammen! — Große Unruhe und Rufe rechts: Unerhört! — Abg. Dr. Arendt: Das ist eine Beleidigung des ganzen Hauses) (Glocke des Präsidenten.)
Dieser Kampf der Gewerkschaften richtet sich aber nicht allein und momentan nicht einmal in erster Linie gegen die Werksbesitzer, sondern er richtet sich, wie die Verhandlungen im Reichstage ergeben haben, mit noch größerer Schärfe gegen die christlichen Gewerkschaften, und zwar abgesehen von den politischen Differenzen, hauptsächlich deshalb, weil sie sich der internationalen Solidarität nicht ange—⸗ schlossen und zu rechter Zeit erkannt haben, daß hier nicht in erster Linie deutschen, sondern auswärtigen Interessen Rechnung getragen werden sollte. Die Berechnung ist ja einfach. Die drel Organisationen sagen sich: entweder hat der Streik Erfolg, dann sind wir die großen Leute, die das erreicht haben, was der andere zu erreichen sich nicht zutraute, oder er hat keinen Erfolg, dann werden die Leute, um in dem Jargon ihrer Presse zu reden, als Verräter gebrandmarkt, während doch, objektiv gesprochen, auch wenn die Christlichen mitgetan hätten, nichts anderes erreicht worden wäre, als daß eine noch größere Zahl deutscher Arbeiter geschädigt worden wäre. (Sehr richtig! im Zentrum.)
Und nun kommt zuletzt noch eine Frage, an der man nicht vor— übergehen kann, das sind die internationalen Beziehungen. Ich will hier keine Vermutungen aufstellen, will auch nicht behaupten, es sei ein Sympathiestreik in dem Sinne, daß sich die deutschen Bergarbeiter, rein um den englischen Arbeitern sich angenehm zu machen, den Ge— fahren des Streiks hätten aussetzen wollen. Ich glaube nicht, daß unsere deutschen Bergarbeiter soweit gehen, für sich und ihre Ange⸗ hörigen Unbequemlichkeiten und Vermögensschädigungen zu über⸗ nehmen, nur um den Bergarbeitern in Wales und in Schottland einen Gefallen zu tun. Aber es ist kein Zweifel, daß die deutsche Bergarbeiterbewegung ein Glied in der Kette der internationalen Bergarbeiterbewegung ist und sein soll. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Das erweist sich durch das fortgesetzte Hinundher der führenden Leute zwischen England und Deutschland, erweist sich vor allem durch die Resolution von Dover, die ich vorhin vorzu— tragen die Ehre hatte. Man wird doch nicht leugnen können, daß die gleichzeitige Einstellung der Kohlenförderung in Deutschland dem englischen Kohlenbergbau, und zwar nicht bloß den Werkob sitzern, sondern auch den Arbeitern insofern zugute kommt, als dadurch ver⸗ hindert wird, daß die Absatzkämpfe im bestrittenen Gebiete zwischen dem englischen und dem deutschen Kohlenbergbau jetzt während des englischen Streiks zugunsten des deutschen Bergbaues entschieden wurden, davon hat der englische Bergbau den Vorteil. Der englische Bergarbeiter weiß aber sehr wohl, daß, was dem Bergbau als solchem zugute kommt, auch ihm nützt, indem es ihm Arbeitsgelegenheit und höhere Löhne schafft. Zweitens wird dadurch erreicht, daß sich auch die öffentliche Meinung in England nicht um deswillen gegen den Streik richtet, weil gesagt werden kann: alles, was die englischen Bergarbeiter tun, kommt nur unseren liebenswürdigen Konkurrenten jenseits des Kanals zugute. Insofern ist es in der Tat richtig, daß eine Erleichterung für die englische Streikbewegung dadurch geschaffen worden ist, daß in Deutschland keine Kohlen in dem Maße wie früher gefördert werden. Ich glaube wohl, daß man anerkennen muß, daß ein solcher Zusammen— hang besteht und daß sich zwar nicht die Masse der Bergarbeiter, wohl aber die Führer der Bewegung dessen bewußt waren.
Ich komme nun zu der zweiten Frage, derjenigen über die Ent— wicklung und den Stand des Streiks, und hoffe, bei dieser und der dritten Frage mich wesentlich kürzer fassen zu können als bei der ersten. Der Streik selbst ist von Anfang der Woche, nachdem am ersten Tage 32 0½ der Belegschaft ausständig gewesen sind, angestiegen bis zum Mittwoch; vom Dienstag ab wurde über⸗ wiegend nur eine Schicht verfahren. Am Dienstag waren h7, 87 0½ ausständig — am Mittwoch stieg die Zahl der Ausständigen auf 59,43 5. Von da ab setzt die rückläufige Bewegung ein; das fällt zusammen mit dem Moment, wo das Militär einrückte. Am 14. waren h8, 6 o ausständig, am 15. 554 o, am 16. 50 ½. Ich be⸗ merke dabei, daß unter der Belegschaft, unter dem Arbeitersoll bei den Zahlen des Oberbergamts, die ich benutze, schon die Krankfeiernden belseite gelassen sind. Die Zahl der Krankfeiernden ist, wie immer in Zeiten des Ausstands, höher als gewöhnlich. Man nimmt ge— wöhnlich im Ruhrrevier einen Krankenbestand von 15 000 Arbeitern an. Jetzt sind es 24 000. Wenn man daß Mehr von 9009 Mann auf beiden Seiten — bei dem Arbeitersoll und bei den Ausständigen — zurechnen würde, so würden sich die Prozentzahlen nur wenig ver⸗ schieben. Am vorigen Sonnabend war ein Rückgang von be Y½, in absoluten Zahlen ein solcher von 17745 Ausständigen. Von heute habe ich nur die Zahlen über die Frühschicht. Außer der Frühschicht wird noch die Nachtschicht als Reparaturschicht verfahren. Die muß man vergleichen mit der Frühschicht vom vorigen Sonnabend. In der Frühschicht am vorigen Sonnabend waren ausständig 164 000 von 324 000, also 50,60 /, in der Frühschicht heute 153 000 von 322 400. Das sind 47,4 0,9, das ist also ein Rückgang von 11 000 Arbeitern oder 3,2 0,½9 des Soll.
Was die Verteilung des Ausstandes auf das gesamte Gebiet be⸗ trifft, so sind mit den höchsten Prozentsätzen und über dem Durch“ schnitt beteiligt das Revier Hamm mit 72,8 0/0, Recklinghausen-Ost mit 64 0,0 und West mit 620̃w0, dann die Reviere um Dortmund, Dortmund 1 78,7 ., Dortmund II mit 80,h o, III mit 69,3 Co. Das sind ebenso wie im fernen Westen Duisburg mit 7200 die Reviere, in denen der alte Verband augenblicklich dominiert. Am melsten unter dem Durchschnitt bleiben dagegen Nord⸗ und Südbochum, Essen, Oberhausen und Rheinpreußen, die sich zwischen 30 und 400,0 bewegen, und am schwächsten sind die Gruben um Werden, die niemals
mehr als 18,8 , Ausständige gehabt haben. Die fiskalischen Zechen selbst haben sich im allgemeinen unter dem Durchschnitt gehalten. Nie haben mehr als 53 0½ der Belegschaft gestreikt. Am höchsten sind die Zahlen der Streikenden auf den Zechen Bergmannsglück und Westerholt, nämlich 70 und 720,0, das sind die Zechen, auf denen die Arbeiter die allerhöchsten Löhne beziehen. (Hört, hört! rechts.) Bei den fiskalischen Zechen ist am vorigen Sonnabend die Zahl der Aus⸗ ständigen auf 44,860 heruntergegangen, sodaß man wohl hoffen kann, wenigstens bei diesen Zechen über den Berg zu sein.
Ich hätte zum Schluß noch einiges über die Frage zu sagen: was gedenkt die Regierung zur Beendigung des Streiks zu tun? Darüber werden ja alle Parteien dieses hohen Hauses einig sein, daß es wünschenswert ist, wenn dem Streik bald ein Ende gemacht wird, wünschenswert im Interesse des Bergbaues, wünschens⸗ wert im Interesse der Industrie, wünschenswert nicht bloß im Sinne der Bergwerksbesitzer, sondern auch im Sinne der Arbeiter; denn wenn wir eine lange Schädigung unserer Industrie durch den Streik was ich nicht befürchte, erfahren sollten, so würde das die ganze Kon⸗ junktur umwerfen. Ist aber die Konjunktur einmal geworfen, dann fragt es sich sehr, wie man noch zu einer Erhöhung der Löhne kommen soll. ((Sehr richtig!)
Zunächst hat mir der Herr Abg. Dr. Pachnicke zu verstehen gegeben, daß der Fiskus dadurch versöhnend wirken und die Sache zum guten Ausgang bringen könnte, daß er auf seinen eigenen Zechen noch weiter entgegenkommt als er es getan hat. Ja, meine Herren, auf den Zechen des Fiskus werden schon die höchsten Löhne im ganzen Ruhrkohlengebiete gezahlt. Der Herr Abg. Pachnicke hatte die Güte, mir in Aussicht zu stellen, daß wir dann, wenn wir den Wünschen der Bergarbeiter entgegenkämen, das heißt doch, wenn wir noch höhere Löhne zahlten, auch eine höhere Rente erzielen würden. (Große Heiterkeit) Das ist mir nicht vollkommen klar.
Er hat mir ferner gesagt, wie schön und erfreulich für mich es doch wäre, wenn ich vor das hohe Haus hintreten und sagen könnte: die fiskalischen Zechen sind streikfrei. Ja, meine Herren, wenn es von mir allein oder von den fiskalischen Zechendirektoren allein abhinge! Zum Friedenschließen gehören aber zwei. Es gäbe ja ein sehr ein⸗ faches Mittel, ich befürchte nur, daß Ihnen das auch nicht gefallen würde: Wenn man grundsätzlich keine Angehörigen des alten Verbandes auf den Zechen annehmen würde, dann hätten wir ja Frieden. (Sehrrichtig! rechts) Aber ich möchte das Geschrei über die Beschränkung des Koalitions—⸗ rechts nicht hören, wenn wir das täten. Solange wir mit Berg⸗ arbeitern zu rechnen haben, die unter dem Einfluß der Organisation des alten Verbandes und seiner Gefolgschaft stehen, werden wir als Bergwerksverwaltung es also nicht einseitig in der Hand haben, einen solchen Streik durch Entgegenkommen zu Ende zu führen.
Wenn der Herr Abg. Pachnicke dann endlich in Kritik einer Be⸗ merkung, die ich bei der zweiten Lesung des Bergetats gemacht habe, gesagt hat: wenn der Fiskus vorangeht, dann müssen die andern nach⸗ folgen, so muß ich sagen, daß ihm in diesem Fall der ihm so wohl anstehende Idealismus doch einen bösen Streich ge⸗ spielt hat. (Abg. Dr. Pachnicke: Delbrück hat es auch gemacht!) Daß der Staatssekretär des Innern sich in diesem Sinne geäußert hat, erinnere ich mich nicht gehört zu haben. Ich glaube, er hat wohl gesagt, daß die fiskalischen Zechen im allgemeinen auf demselben Lohnniveau bleiben müssen wie die privaten, aber schwerlich umgekehrt; denn die fiskalischen Zechen im Ruhrrevier beschäftigen nur 13 000 Arbeiter, die übrigen Zechen zusammen 357 000, alle zusammen rund 370 000. Ich wüßte wirklich nicht, wie die privaten Bergwerksbesitzer dazu kommen sollten, wenn der Fiskus Löhne zahlt, die über das Ortsübliche und Angemessene hinausgehen, dem zu folgen. Jedenfalls werden es die Bergwerksbesitzer an der Ruhr, wie ich sie kenne, nicht tun, und ich glaube, wenn der Herr Abg. Pachnicke dort ein Bergwerk zu leiten hätte, täte er es auch nicht. (Große Heiterkeit)
Kann ich also nach der Richtung nichts tun, so bleibt nur eine Antwort übrig. Meiner Auffassung nach kann die Regierung zur Beendigung des Streiks nur das tun, daß sie alles vermeidet, was den Streik verlängern kann, und dazu gehört in erster Linie, daß die Freiheit der Arbeitswilligen wirklich besteht und geschützt wird. (Bravo!) Wir haben gesehen und auch heute aus der Beschreibung des Herrn Abg. Imbusch bestätigt gehört, wieviel Leute zu Hause bleiben, weil sie sich nicht über die Straße trauen. Daß das der Fall ist, wird auch dadurch bewiesen, daß in dem Moment, wo das Militär einrückte, die Zahl der Arbeitenden zugenommen hat. (Sehr richtig! — Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Welter gehört dazu auch — und da bin ich zu meinem Bedauern mit dem Herrn Abg. Pachnicke wieder ver⸗ schiedener Meinung —, daß wir uns einer unzeitigen Vermittlung enthalten. (Sehr richtig) Als unzeitig muß ich aber jede Vermittlung ansehen, die nicht von beiden Teilen ge⸗ wünscht wird. Die Bergwerksbesitzer wünschen notorisch keine Vermittlung (hört, hört! bei den Sozialdemokraten) und daher sehe ich keinen Raum dafür. Eine solche unerbetene Ver— mittlung hat keine Aussicht auf Erfolg, sie würde aufgefaßt werden als eine Parteinahme gegen den, der die Vermittlung nicht gewünscht hat, und dazu ist unter den obwaltenden Umständen keine Ver— anlassung, da ja, wie ich dargelegt habe, die privaten Verwaltungen im wesentlichen keine anderen Maßnahmen getroffen haben als die fiskalische Verwaltung und diese gerechtfertigt sind.
Was aber sollte auch, wenn eine solche Vermittlung zurückgewiesen würde, geschehen? Dann würde die nächste Folge sein, daß gesagt würde: jetzt muß der vermittelnde Staat den zurückweisenden Teil zwingen, — und dann kämen wir auf eine ganz schiefe Ebene, nämlich, auf dem Wege der Gesetzgebung in die Lohnverhältnisse ein— zugreifen, die vernünftigerweise nur durch Uebereinkommen beider Teile geregelt werden können. (Sehr richtig! — Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)
Bei der zweiten Lesung des Bergetats wurde mir wegen der staatlichen Vermittlung noch das Beispiel von England vorgehalten; heute hat das niemand getan. Ich glaube, nach den dort gemachten Erfahrungen wird auch niemand die Lust dazu haben. (Sehr richtig!) Durch ein einseitiges Eingreifen des Fiskus oder der Regierung oder meinethalben auch durch Schaffung einer besonderen Instanz, die wir
übrigens, wie ich Herrn Abg. Dr. Pachnicke gegenüber bemerke, im Berggewerbegerlcht schon haben, würde nichts anderes hervorgerufen werden als unerfüllbare Hoffnungen, die zu einer Verlängerung des Strelks beitragen. (Sehr richtig! Es bleibt weiter nichts übrig, als diesen Streit der Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten zu überlassen.
Man hat im Reichstage gesagt: wenn der Streik nicht zu elnem Erfolge im Sinne des alten Verbandes und der ihm Verbündeten führt, wird bald ein neuer Streik ausbrechen. Ja, meine Herren, damit werden wir ja leider überhaupt rechnen müssen, daß dieser Streik nicht der letzte ist, den wir erleben. Aber es fragt sich doch, wodurch die Gefahr eines neuen Strelks mehr gesteigert wird, ob dadurch, daß die irregeführten Arbeiter (Rufe bei den Sozialdemokraten: Irregeführt?) einsehen, daß durch den Streik nicht mehr erreicht worden ist, als ohne ihn auch erreicht worden wäre, oder dadurch, daß der alte Verband als Sieger über das Schlachtfeld geht und nun den Nimbus um sein Haupt strahlen läßt, daß er mehr erreichen könne, als sonst irgend verlangt wurde. (Sehr richtig)
Ich kann meine Erörterungen nur mit dem Wunsche schließen, daß der Streik bald ein Ende nimmt, daß den Anstiftern des Streiks und denen, die ihnen gefolgt sind, bald die Einsicht aufgehen möge, wie durch eine Verlängerung des Streiks niemand mehr ge— schädigt wird als diejenigen, deren Interessen sie doch dienen zu wollen vorgeben: das sind die deutschen Bergarbeiter. (Lebhafter Beifall.)
Minister des Innern Dr. von Dallwitz:
Meine Herren! Die vorliegenden Interpellationen betreffen, so⸗ weit mein Ressort in Betracht kommt, erstens die Frage nach den Maßnahmen, die regierungsseitig zum Schutze der Arbeitswilligen und der öffentlichen Ordnung getroffen worden sind, sodann die Frage nach dem Stande und nach dem Umfange der Ausschreitungen, die im Ruhrgebiete vorgekommen sind. Bereits im Vorjahre habe ich Ver⸗ anlassung gehabt, es als eine der vornehmsten Pflichten des Staates hinzustellen, jede redliche Arbeit zu schützen, jedem Staatsbürger, dem Arbeitnehmer wie dem Arbeitgeber, die Möglichkeit zu gewähren, ungefährdet und ungestört seinem Berufe und seiner Arbeitstätigkeit nachzugehen. Insoweit für die Lösung dieser Aufgabe bei größeren Ausständen das Ressort des Innern die Verantwortung zu tragen hat, kommt es in erster Reihe darauf an, rechtzeitig ein zum wirksamen Schutz bedrohter Arbeitswilliger und zur erfolg⸗ reichen Sicherung gefährderter Betriebsanlagen ausreichendes Polizeigebot bereitzustellen. Zu diesem Zwecke ist im Mini— sterium des Innern ein alle größeren Industriezentren um⸗ fassender, bis in die kleinsten Details ausgearbeiteter Ver— teilungsplan (hört, hört! bei den Sozialdemokraten) aufge— stellt und auf dem Laufenden erhalten worden, welcher die Designation aller Gendarmen und Schutzleute enthält, die bei größeren Ausständen und Unruhen aus nicht gefährdeten Gegenden und Städten zur Verfügung gestellt und zur Hilfeleistung ab— kommandiert werden können. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Dank dieser planmäßigen Vorbereitung ist es möglich gewesen, als— bald, nachdem festgestellt worden war, daß die Leitung des sozial⸗ demokratischen Verbandes trotz der damals noch schwebenden Ver⸗ handlungen den Ausbruch des Streiks unwiderruflich auf Montag, den 11. März, festgesetzt hatte, annähernd 2000 Gendarmen und Schutzleute zum Teil aus weit abgelegenen Provinzen und Städten so frühzeitig in das Streikgebtet zu dirigieren, daß sie noch am Tage vor Ausbruch des Streiks an Ort und Stelle mit den erforderlichen Anweisungen und Informationen versehen werden konnten. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten. — Bravo! rechts.) Unter Hinzurechnung der dauernd im Streikgebiet stationierten Gen— darmen, Schutzleute und Kommunalpolizeibeamten waren am 11. März 5900, also rund 6000 Mann im Streikgebiet konzentriert, eine Polizeimacht, die fürs erste als ausreichend erachtet werden mußte, um den erforderlichen Schutz der Arbeitswilligen und die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sichern. (Abg. Hirsch⸗Berlin: Und zu provozieren! — Heiterkeit rechts.) Dieser Annahme lagen zum Teil auch die Erfahrungen zugrunde, die im Jahre 1905, also noch vor Errichtung der Königlichen Polizeidirektionen in Bochum, Essen und Gelsenkirchen gemacht worden waren, wo während eines vierwöchentlichen Streiks es möglich gewesen war, mit nur 3100 Mann die Ordnung annähernd aufrecht erhalten und größeren Ausschreitungen tm wesentlichen vorzubeugen. Es kam auch in Betracht, daß auf Grund der damaligen Erfahrungen die Zahl der Zechenwehren ganz außerordentlich vermehrt worden war, und daß durch die Vermehrung dieser Polizeihilfstruppen die Bewachung und Sicherung der Zechen anlagen ganz wesentlich erleichtert worden war.
Meine Herren, selbstverständlich bin ich bei Würdigung aller dieser Maßnahmen von vornherein davon ausgegangen, daß sofern trotz der getroffenen Vorkehrungen durch ein gesetz⸗ und ordnungswidriges Verhalten der Streikenden oder des in solchen Fällen stets mit ihnen sympathisierenden Straßenpöbels die Durch⸗ führung des erforderlichen Schutzes der Arbeitswilligen und die Auf— rechterhaltung der öffentlichen Ordnung mit den vorhandenen Kräften in Frage gestellt werden sollte, dann alsbald das Militär zur Hilfe herangezogen werden müsse. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten. — Bravo! rechts.) Dementsprechend sind die zur Durchführung der polizeilichen Maßnahmen berufenen Provinzialbehörden von vornherein dahin verständigt worden, daß, falls der unbedingt und in erster Reihe unter allen Umständen zu gewährende voll ausreichende Schutz der Arbeitswilligen sich mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht durchführen lassen sollte, rechtzeitig die Heranziehung des Militärs erfolgen müsse. (Bravo! rechts) Auch während des weiteren Ver— laufs des Streiks sind die gleichen Weisungen den Provinzialbehörden auf die von ihnen mehrfach an mich gerichteten Gesuche um Ent— sendung weiterer Polizeimannschaften immer wieder erteilt worden.
Die so getroffenen Vorbereitungen und Maßnahmen haben sich am ersten Tage des Streiks, am 11. März, im allgemeinen bewährt und als ausreichend erwiesen. Allerdings sind an diesem Tage schon recht schwerwiegende Exzesse vorgekommen.
In Herten, Kreis Recklinghausen, rotteten sich beim Vormittags⸗ schichtwechsel 250 — 300 Personen zusammen, versperrten die Straße und beschimpften und belästigten Arbeiter. Wiederholte Aufforde⸗ rungen zum Auseinandergehen blieben erfolglos, sodaß die Polizei schließlich genötigt war, mit der blanken Waffe die Menge auseinander zu treiben, um für die Arbeitswilligen freie Bahn zu schaffen— Ebenfalls in Herten fielen drei Streikende mit Stöcken über einen Arbeitswilligen her, mißhandelten ihn und schlugen ihm ein Augenlid vollständig durch, daß es nach unten klappte; die Täter wurden verhaftet. In Erkenschwick, Kreis Recklinghausen, konnte eine nach Tausenden zählende Menge, die eine drohende Haltung gegen die Polizei annahm, erst zerstreut werden, nachdem die Sicherheits⸗ mannschaften scharf geladen hatten. Auch im Stadtkreis Reckling⸗ hausen kam es an mehreren Stellen zu großen Ansammlungen und Ausschreitungen gegenüber Arbeitswilligen, sodaß wiederholt
mit der Waffe eingegriffen werden mußte. In Mengede, Kreis Dortmund, wurden Polizei und Arbeitswillige von Streikenden belästigt, sodaß es nur mit Waffengewalt gelang, die Ordnung wiederherzustellen. In Herne, Kreis Bochum, wurden Schutzleute bei der Räumung der Straße von Strelkenden mit Steinen be— worfen und beschossen, sodaß auch hier mit der blanken Waffe vor— gegangen werden mußte. In Hamborn, Kreis Düsseldorf, schließlich kam es beim Schichtwechsel zwischen 9 und 10 Uhr Abends zu Zu— sammenrottungen. Aufforderungen der Polizei zum Auseinander— gehen blieben unbeachtet und wurden mit Johlen und Pfeifen be— antwortet. Bald flogen Steine aus der Menge. Die Straßen⸗ bewohner beteiligten sich durch Werfen mit Steinen und Flaschen sowie mit Schüssen an den Ausschreitungen. Erst nach hartnäckigem Widerstand konnte die Polizei unter Anwendung der Hieb und Stichwaffen die Straße säubern. Als ein Teil der Beamten mit der Straßenbahn den Rückweg antrat, wurden in einer namentlich von Polen bewohnten Straße zirka 10 bis 15 Schüsse auf den Wagen abgegeben, die Fensterscheiben durch Steinwürfe zertrümmert und ein Beamter verletzt.
Meine Herren, es ist dies nur ein Teil der amtlich festgestellten Ausschreitungen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Festgestellth
Am Nachmittag des 12. März ist es in Buer, Kreis Reckling⸗ hausen, zu erheblichen Exzessen gekommen, 8 bis 10 000 Personen hatten sich zusammengerottet und leisteten den Anordnungen der Polizeiorgane, die Straße zu räumen, Widerstand. Die Beamten wurden durch Steinwürfe und Schimpfreden belästigt und mußten schließlich, um ihren Anordnungen Nachdruck zu geben, mit Waffen gewalt die aufgeregte Menge zurücktreiben. Verschiedene Poltzei⸗ beamte und mehrere Exzedenten erlitten Verletzungen.
In Langendreer mußte eine Menge von 700 Streikenden mit der blanken Waffe auseinder getrieben worden, auch in Herne wiederholten sich die Ausschreitungen, die Poltzei wurde bei der Begleitung Arbeitswilliger mit Steinen beworfen und beschossen, sodaß von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden mußte. Auch in der Stadt Dortmund mußte ein Auflauf mit Waffengewalt zer⸗ streut werden.
(Zuruf des Abg. Dr. Liebknecht: alles Unwahrheiten! — Lachen rechts.) In Castrop wurde auf Arbeitswillige und Polizeibeamte geschossen, wobei ein Arbeitswilliger einen Schuß in den Nacken erhielt. An mehreren Orten des Kreises Gelsenkirchen wurden Arbeitswillige mißhandelt.
Zu schweren Ausschreitungen kam es am Abend des 12. März wiederholt in Hamborn, als circa 80 Arbeitswillige der Gewerk— schaft ‚Deutscher Kaiser“ sich unter dem Schutz der Polizei in ihre Quartiere begaben. Arbeitswillige und Begleitmannschaften wurden von einem Steinhagel empfangen, als sie in die Nähe der Kolonie gelangten. Aus den Häusern und aus der Menge wurden Schüsse abgegeben, und es gelang trotz Vorgehens mit der blanken Waffe zunächst nicht, des Tumultes Herr zu werden. Erst als erhebliche Verstärkungen eingetroffen waren, konnte die Polizei mit 25 Be⸗ rittenen und 35 Fußmannschaften erneut vorgehen. Von den Höfen und Dächern sowie aus den Häusern wurden die Mannschaften mit Steinen beworfen und beschossen, 26 Beamte wurden durch Steine getroffen, ein Kommissar durch einen Schuß in den Oberschenkel, ein anderer durch Steinwürfe nicht unerheblich verletzt. Straßenlaternen wurden umgestürzt und das ausströmende Gas angezündet. Die Beamten mußten von Säbel und Schußwaffe Gebrauch machen, um dle Arbeitswilligen fortzubringen. Verschiedene Beamte sind infolge der erhaltenen Verletzungen dienstunfähig. In Bruckhausen und Obermaxloh spielten sich ähnliche Vorkommnisse ab, und auch hier mußte von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden, um die Ausschreitungen zu dämpfen. In Rotthausen bei Gelsenkirchen wurde Abends zwischen 10 und 11 Uhr aus dunklen Toreingängen und Häusern auf die Beamten geschossen und mit Steinen geworfen, sodaß mit Säbel und Schußwaffe Ordnung geschaffen werden mußte. Ebenso kam es im Kreise Mörs zu Zusammenstößen zwischen berittener Gendarmerie und einer größeren Menge Streikender. Auch hier wurden mehrfach Schüsse gewechselt.
Meine Herren, diese Vorkommnisse sowie die namentlich auf den Straßen und Wegen der Landkreise Dortmund, Recklinghausen und Hamm immer deutlicher hervortretende Neigung der Streikenden zu Gewalttätigkeiten, zu Rohheiten und zur Widersätzlichkeit ließ es fraglich erscheinen, ob es möglich sein werde, mit den bisherigen polizeilichen Hilfskräften die Ordnung und den erforderlichen Schutz der Arbeitswilligen in nächster Zeit noch durchzuführen. Es kam hinzu, daß bei der Ausdehnung des zu überwachenden Gebietes und bei den überaus großen Anstrengungen, denen die Mannschaften in den letzten Tagen sich hatten unterziehen müssen, angenommen werden mußte, daß die gleichen Anforderungen in nächster Zukunft nicht an die Beamtenschaft würden gestellt werden können. Demgemäß haben die Provinzialbehörden des westfälischen Teiles des Streikgebietes bereits am 13. März nach eingehenden Beratungen sich dahin schlüssig gemacht, daß es notwendig sei, Militär anzufordern, und zwar zum 14. März für die Kreise Recklinghausen, Dortmund⸗-Land und Hamm. Es sind dann am 14. nach Dortmund gekommen: ein Infanterieregiment und zwei Eskadrons, nach dem Kreise Reckling— hausen zwei Bataillone Infanterie und zwei Eskadrons Kürassiere, nach dem Kreise Hamm: ein Bataillon Infanterie und eine Eskadron Kavallerie. Nachträglich ist dann noch zum 15. März für den Kreis Lüdinghausen Militär herangezogen worden, und zwar zwei Kom— pagnien Jäger und ein Zug Husaren, die im wesentlichen nach der Zeche Radbod designiert worden sind. (Zuruf bei den Sozial— demokraten: Maschinengewehre!)
Der weitere Verlauf der Unruhen hat die Berechtigung dieser Maßnahme deutlich erwiesen. (Sehr richtig Auch am 13. und am 14. März haben außerordentlich heftige Ausschreitungen stattgefunden. Namentlich am 13. März wiederholten sich die Unruhen und Aus— schreitungen gegen Arbeitewillige in stärkerem Maße. So sammelten sich wiederum in Buer Nachmittags beim Schichtwechsel Tausende von Streikenden mit Frauen und Kindern, um die heimkehrenden Arbeitswilligen zu verhöhnen und zu belästigen. Die Straßen wurden mehrfach geräumt. Doch drängte die Menge immer wieder vor. Als etwa bo bis 600 Exzedenten versuchten einen Gendarmen am Transport eines Arrestanten zu hindern und durch Steinwürfe und Angriffe eine gewaltsame Be⸗ freiung des Verhafteten versuchten, mußte der Gendarm in der Not—
wehr einen Schuß aus seinem Karabiner abgeben, der einen der An greifer traf. Auch an anderen Stellen der Stadt mußte mlt Säbel und Kolben gegen die aufrührerische Menge vorgegangen werden. In Herten, Datteln und Horst⸗Emscher vermochte die Polizei nur durch energisches Vorgehen, teilweise mit der Waffe, den Arbeitewilligen freie Bahn zu schaffen. In Radbod, Kreis Lüdinghausen, kam eg Nachmittags beim Schichtwechsel zu großen Exjessen, die erst nach einer Stunde und nach sieben Attacken der Gendarmen unterdrüdt. werden konnten, wobei zahlreiche Streikende und mehrere Gendarmen verletzt worden sind. Ein zur Arbeit gehender Techniker wurde durch Messerstiche von Streikenden schwer derletzt. In Herne, Kreis Bochum, wurde Morgens ein Schutzmannskommando unter Führung eines Kommissars von einem Trupp junger Burschen angegriffen und mit Steinen beworfen; die Beamten machten von der Schußwaffe Gebrauch. In Herne, Kreis Bochum, kam es an mehreren Stehlen zu Krawallen, es wurde wiederholt auf die Sicherheitsmannschaften geschossen, sodaß auch hier die Schußwaffe zur Anwendung kommen mußte. Im Kreise Bochum, im Stadt⸗ und Landkreise Dortmund und im Kreise Gelsenkirchen kam es ebenfalls zu Aus⸗ schreitungen; wiederholt wurden auf Arbeitswillige durch Schüsse in die Wohnungen und durch Einwerfen von Fensterscheiben Angrkffe verübt. (Zurufe von den So ial demokraten Am 14. kam es zu noch weitergehenden Ausschreitungen, die den Herren wohl aus Zei— tungsnachrichten bekannt sein werden, sodaß ich es nicht für erforderlich halte, Ihnen die einzelnen Vorgänge noch weiter mitzuteilen, zumal vom 15. ab, vom Tage des Einrückens des Militärs in das Zechen⸗ revier an, eine wesentliche Beruhigung der Gemüter eingetreten zu sein scheint (hört, hört! rechts), sodaß Ausschreitungen zwar noch recht häufig und in noch immer recht bedenklichem Maße vorgekommen sind, jedenfalls aber in sehr viel geringerem Maße, als das vorher der Fall gewesen war.
Ich will nur noch kurz erwähnen, daß von vornherein im ganzen Ruhrgebiet förmliche Radfahrerkolonnen von den Streikenden organi⸗ siert worden waren, welche alle Wege, Straßen und die Zugänge zu den Zechen unaufhörlich abpatrouillierten und die Arbeitswilligen durch Drohungen, Gewalt und Ehrverletzungen belästigten. (Große Unruhe bei den Sozialdemokraten. Hört, hört! rechts. Abg. Dr. Liebknecht: Unwahr! Abg. Hirsch-Berlin: Polizeiliche Märchen! Abg. Hoffmann: Wie in Moabit! Gegenrufe rechts. Große Unruhe.) — Wenn Sie fertig sein werden, will ich fortfahren. Es ist ferner — was, wie ich glaube, Herr Abg. Strosser bereits erwähnt hat — ein Kaufmann, der die Tochter eines Arbeitswilligen beschäftigte, mit Boykott bedroht worden, wenn er seine Verkäuferin, dieses Mädchen, nicht alsbald entließe. Es ist wiederholt aus dem Hinterhalt auf arbeitswillige Leute geschossen worden, und es wird berichtet, daß von der Streik leitung eine Arbeitserlaubniskarte ausgestellt worden ist, welche auch folgenden Vermerk enthielt:
Ferner sind Sie gehalten, des Abends und Sonntags mit Posten zu stehen und die Agitation unter den Indifferenten mit betreiben zu helfen.
(Hört, hört! rechts.)
Es wurden mithin Streikende in die Werke geschickt, um dort Agitation zu treiben. (Lebhafter Widerspruch und Zurufe bei den Sozialdemokraten: Ist ja nicht wahr! — Große Unruhe rechts.) Hiermit ergibt es sich wohl auch, wie es möglich gewesen ist, daß die Kleider der Arbeltswilligen wiederholt in ganz ekelhafter Weise be⸗ schmutzt, zerrissen, zerschnitten und unbrauchbar gemacht worden sind.
Meine Herren, zu meiner Freude sind die reglerungsseitig zum Schutze der Arbeitswilligen und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit getroffenen Maßnahmen von der Mehrzahl der Herren Vorredner gebilligt worden.
(Abg. Hoffmann: Kunststück, hier in diesem Hause )
Ich glaube nicht ganz darauf verzichten zu können, diese Maß⸗ nahmen noch näher zu erörtern und zu begründen, da in der Oeffentlichkeit, im Reichstage und in der Presse nach zwei Richtungen hin sehr erhebliche Einwendungen gegen sie geltend gemacht worden sind. Von der einen Seite ist behauptet worden, daß die im Streik⸗ gebiet konzentrierte Pollzeimacht sehr bald sich als unzureichend er— wiesen habe und daß es wohl geboten gewesen wäre, das Militär früher als geschehen heranzuziehen. Von der anderen Seite, so ins⸗ besondere von der sozialdemokratischen Presse, aber auch von dem der Sozialdemokratie neuerdings blind Gefolgschaft leistenden Teil der bürgerlichen Presse (Große Heiterkeit rechts, im Zentrum und bei den Nationalliberalen. — Abg. Hirsch (Berlin): Das sagt ein preußischer Minister! — Abg. Hoffmann: So müssen Sie Ihre neuen Wahl— anleihen machen! — Abg. Dr. Lieb ku echt: Das ist der Reichsverband⸗ agitator! — Abg. Hir sch (Berlin): Das ist die geistige Höhe des Mini⸗ steriums! — Wachsende Unruhe und Zurufe. — Glocke des Präsidenten.) ist sogar schon die Entsendung auswärtiger Polizelkräfte nach dem Streikgebiet mißbilligt worden, weil diese Maßnahme überflüssig und geeignet gewesen sei, die Gefühle der Streikenden zu verletzen. (Heiterkeit. — Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Als völlig verfehlt, als eine ganz willkürliche, durch nichts motivierte Maßnahme ist von diesem Teil der Presse die Heranziehung des Mllitärs, die am 14. d. M. für einzelne Teile des Streikgebiets erfolgt ist, bezeichnet worden. Meine Herren, um Sie nicht mit den zahllosen, zum Teil recht langatmigen Expektorationen der sozialdemokrattschen Presse über diesen Punkt zu behelligen, gestatte ich mir, mich in dieser Beziehung auf das „Berliner Tageblatt“! als Kronzeugen zu berufen. (Große Heiterkeit rechts, im Zentrum und bei den Nationalliberalen. — Ab⸗ geordneter Dr. Liebknecht: Diese kindliche Freude! — Abgeordneter Hoffmann: Bei den Getauften und den Ungetauften! — Heiterkeit Unruhe und Zurufe.) Das „Berliner Tageblatt“ hat es fertig be⸗ kommen, am 14. März, mithin in den Tagen, in denen die Aus⸗ schreitungen und Unruhen im Streikgebiet den höchsten Grad erreicht hatten, folgendes zu schreiben:
Von allen Seiten wird gemeldet, daß im Ruhrrevier Ruhe herrscht. (Heiterkeit, Sogar das Wolffsche Telegraphenbureau weiß von keinerlei Exzessen zu melden. Um so erstaunlicher ist es, daß angesichts dieser klaren und erfreulichen Situation (Heiter⸗ keit) die Zivilbehörden anscheinend völlig den Kopf verloren haben (ssehr wahr! bei den Sozialdemokraten) und, dem Drängen einiger Scharfmacher folgend, nun doch Militär in das Streikgebiet ent⸗ sandt haben. Die Behörden verzichten also auf jedes selbständige Urteil über die Situation und folgen blindlings denjenigen gefähr⸗ lichen und volksfeindlichen Elementen, die durchaus Blut fließen sehen wollen. (Große Heiterkeit! — Sehr wahr! bei den Sozlal- demokraten.)