1912 / 95 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 19 Apr 1912 18:00:01 GMT) scan diff

binaus; von einer Klassenjustiz kann meiner Erfahrung nach keine Rede sein. Eine bewußte Rechtsbeugung habe ich noch niemals ge⸗ sehen. Gewiß können zwei Richter in der gleichen Sache zu ver⸗ schiedenen Auffassungen kommen, aber von Klassenjustiz, das kann ich als deutscher Rechtslehrer sagen, kann in Deutschland nicht agen werden. Die Leistungen unserer Richter sollen gegenüber früheren Zeiten zurückgegangen sein; ich kann das nicht unterschreiben. Was ich wahrnehme, ist, daß die Anforderungen, die an den deutschen Juristen im modernen Staat gestellt werden, von Tag zu Tag ganz kolossal steigen, die von den Richtern, Anwalten und Beamten ver⸗ langten Kenntnisse werden immer umfangreicher, und mit jedem Tage wird es diesen Männern schwerer, den gewachsenen Anforderungen gerecht zu werden. Viele bilden sich ihr Urteil über Gerichtsverhand— lungen nach Zeitungsberichten. Nun ist aber die Berichterstattung über Prozesse ungemein schwierig. Wenn man ein Urteil abgibt, so müßte man sich immer erst fragen, ob der Bericht auch objektiv richtig ist. Durch eine über das Ziel hinausschießende Kritik wird das Ver— trauen zu unserem Richterstande geschädigt. In den einzelnen Bundes— staaten haben Verhandlungen über die Reform des juristischen Studiums stattgefunden. Ich meine nun, daß die verbündeten Re— gierungen sehr wohl in der Lage sein können, für einige Grund— bestimmungen eine xeichsgesetzliche Regelung durchzuführen, soweit

wenigstens das Studium und das erste Examen in Frage kommt. Wir

laborieren daran, daß unsere jungen Semester nicht genug in die Vor⸗ lesungen gehen. Jedoch haben daran auch die Profefforen mit schuld; sie sind an den deutschen Universitäten nicht bloß Lehrer, sondern auch Forscher. In diesem Zusammenhang ehe ich allerdings einen großen Wert. Es bestehen aber darin für den dozentischen Teil manche Nachteile. Eine große Universität kann gelegentlich auch einmal einen schlechten Professor ertragen, dann geht der Studenl eben zu einem andern. Bei mittleren und kleinen ist dies nicht mög⸗ lich, dann geht eben der Student zu einem anderen Fach über. Auch das Diktieren der Vorlesungen ist sehr unzeitgemäß. Wir sind in unseren Vorlesungen überhaupt etwas langstielig. Diese müssen ver⸗ kürzt werden, indem darauf hingewiesen wird, daß es ja darüber auch gute Bücher gibt. Ganz besonders wichtig sind jedoch die Uebungen— Dort kann der Student selber etwas sagen, ebenso wie der Lehrer sehen kann, ob er richtig doziert hat. Jedoch darf man sie zu keinen Zwangsübungen machen. Die Studenten müssen allein das Gefühl haben, daß sie dort etwas lernen können. Wenn sie einmal nicht kommen, dann schadet es auch nicht. Mit unserem juristischen Studium können wir im ganzen zufrieden sein. Wir brauchen keine Aenderung, sondern nur einen Ausbau der Sachen, die da sind. Ebenso wie richtig doziert, muß auch richtig examiniert werden. Auch das Examen kann reichsgesetzlich geregelt werden. Das Repetitorunwesen ist zu be⸗ lämpfen. Es ist für die Universität ein fehr schlechtes Zeichen. Der Kandidat drückt dadurch das Gefühl aus, daß er nicht genug gehört hat. Es gibt allerdings Repetitoren, die eine gute Lehrbefähigung haben. Gegen diese ist nichts einzuwenden, aber gegen die, die ihre Hörer auf den Mann, den Examinator, dreffieren. Diese Repetitoren sind ein Unsegen, ein Schaden für unsere Gerichtspflege. Sie machen unsere jungen Juristen zu Routiniers. Aber auch die Examinatoren sind daran schuld. Denn wenn es genügt, wenn man sich einpauken läßt, dann hat der junge Mann recht, der dies tut. Das Examinieren ist eine sehr schwere Sache. Manche machen es leider jetzt noch so, daß sie sich einen Zettel hinlegen und die Fragen aufschreiben, die sie stellen wollen. Davon weichen sie nicht ab. Wenn ein Kandidat etwas nicht weiß, dann wird ihm entgegnet: Das wissen Sie nicht? Und der Kandidat bekommt alle möglichen Zustände. Examinieren kann man nur dann, wenn man die Materie genau beherrscht. Jetzt examiniert man, wie es in den Einpaukbüchern steht. Der Kandidat benützt natürlich diese Bücher und besteht das Examen. Aber er hat nicht das gelernt, was nötig ist, nämlich Stellung zu nehmen aus eigener Ansicht heraus zu einer konkreten juristischen Frage. Ebenso halte ich das absolute Berufen auf Reichsgerichtsurteile für einen Präjudizien⸗ kultus ärgster Art. In der Erweiterung der Klausurarbeiten ist ein Fortschritt gemacht worden. Aber sie müßten noch weiter ausgebaut werden. Wenn es bei den Militärakademlen möglich ist, einheitliche stizbehörden geschehen können. Die Verlängerung des Studiums um ein Semefter halle ich nicht für nötig. Jedoch muß die allgemeine Bildung der Juristen mehr vertieft werden. In früheren Jahren ist es damik viel besser bestellt gewesen als heute. Wenn wir den Beamtenstand hochhalten wollen, so müssen wir seine allgemeine Bildung erhöhen. Darum empfehle ich meinen Studenten, philosophische Vorlesungen zu hören. Zuruf: In Bayern) Das nutzt nichts, ich bin selbst Baher. Es müßte vor allem eine Vorlesung Über die Einführung in die Rechtswissenschaft gehalten werden. Die Zahl derer, die Juristen werden, weil das juristische Studium so interessant ist, ist verschwindend gering. Der junge Mann, der vom Gymnasium kommt, weiß nicht, wie es im Staatsleben aussieht, ja das weiß nicht einmal sein Lehrer. Noch ein Wort über das Verbindungswesen. Ich erkenne an, daß ich mit Verbindungsstudenten nicht unzufrieden bin, aber ich glaube, unsere Verbindungen und unsere alten Herren der Verbindung sollten nicht den Studenten sagen: Liebe Freunde, im ersten, zweiten und auch dritten Semester ist man für die Verbindung da, sondern heute ist es nicht angängig, daß junge Leute semesterlang nichts tun. Wenn einer den ganzen Tag bummelt, weil er aus dem Tran von gestern nicht herauskommt, so ist das ein Uebel. Es müßte den Studenten gesagt werden, Kinder, gebt kein schlechtes Beispiel, Ihr müßt Euch vorbereiten, daß Ihr einmal tüchtige Söhne des Vaterlandes werdet Der Vorbexeitungsdienst ist ja schwer zu gestalten. Es sind einzelne Kurse zur Vorbereitung der Referendare eingerichtet worden, ich denke mit Freuden daran zurück. Was der Staat für die Bildung seiner Juristen tun kann, ist nach meiner Meinung nicht mit dem Assessor⸗ eramen abgeschlossen. Es werden ja Kurse auch für ältere Juristen gehalten. Ich habe daran passiv und aktiv teilgenommen und denke mit großer Befriedigung an diese Zeit zurück. Gerade der ältere Praktiker kann dabei viel gewinnen. Diefe Fortbildungskurse sollten genereller durchgeführt werden. Das juristische Leben könnte damit aufgefrischt werden. Die Kurse sollten nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Gebiete des Deutschen Reiches abgehalten werden, auch in Ostelbien, man würde dann sehen, daß dort auch ganz nette Leute leben. Es fragt sich nun, was wir sonst noch heute tun könnten. In dem Jugendgesetz könnte bestimmt werden, daß auch Frauen als Schöffen hei den Jugendgerichten zugezogen werden. Eine Agitation für das Rechtsstudium unserer Frauen will ich nicht herbeiführen, obwohl auch junge Mädchen sehr wohl fähig sind, das Rechtsstudium zu ergreifen. Gerade die Frau kann auf dem Gebiete des Jugendrechts uns sehr viel nützen. So viel de lege ferenda, De lege lata wünsche ich für die Gerichtsberfassung, daß wir das Laienelement möglichst berücksichtigen, daß wir aus allen Klassen Elemente zu den Schöffen und Geschworenen heranziehen, ohne Unterschied der Religion Und der Partei, ausgenommen natürlich Agitatoren. Dadurch würde das Ver— trauen zur Rechtspflege gesteigert werden, weil man sich überzeugt, daß nichts hinter verschlossenen Türen abgeurteilt wird, daß man die Oeffentlichkeit nicht scheut. In bezug auf die Beschleunigung des Verfahrens ist uns das englische und französische Recht entschieden über. Ich habe seinerzeit befürwortet, daß auch der Angeklagte den Wunsch nach einer Beschleunigung äußern kann. Daß im Streik revier schnelle Justiz geübt worden ist, dafür können wir dankbar sein. Ob die Urteile vielleicht zu hart waren, kann ich nicht beurteilen. Ich stehe, wie ich wiederhole, auf dem Standpunkt, daß es eine Klassen⸗ justiz in Deutschland nicht gibt. Es ist sehr mißlich, ein Gerichts— urteil zu kritisieren, wenn man die Einzelheiten nicht kennt. Die Möglichkeit für ein schleuniges Gerichtsverfahren muß in weiterem Umfange gegeben werden. Das Vorverfahren wird jetzt oft sehr mangelhaft durchgeführt, woran zum Teil die Strafprozeßordnung schuld ist; insbesondere muß die Stellung des Verteibigers in dem Vorverfahren verbessert werden. Auch die Staatsanwaltschaft muß sich hesser orientieren können, es müßten ihr zu diesem Zweck felb— ständige, von der Polizei unabhängige Organe zur Verfügung gestellt werden. Mit diesen kleinen Mitteln müssen wir vorläufig arbeiten, weil uns das große Mittel der gesamten Strafprozeßreform nicht zur Verfügung steht. Der harte Satz: Fiat justitia, pereat mundus

Aufgaben zu stellen, so müßte es auch bei den Jus

läßt sich nicht mehr aufrecht erhalten; er muß jetzt lauten: Fiat justitia, ne pereat mundus!

Abg. Dove (fortschr. Volksp): Nach dieser Generalbeichte eines deutschen Professors könnte ich verfucht sein, die Dinge vom Standpunkt eines deutschen Richters zu betrachten. Ich widerstehe aber dieser Versuchung. Ein direkter Einfluß auf die Justizpflege kann von dem Reichsjuftizamt nur in sehr be⸗ dingter Weise ausgeübt werden. Die Strafprozeßordnung ist nun einmal gescheitert; die bis vorigen Sommer daran mitwirkten, haben a ich ihren Entwurf ohne gehe Bedauern scheitern sehen. Etwas besonders Glückliches war dabei eben nicht herausgekommen. Einige Partien sollten in Form von Novellen zur Erledigung ge⸗ bracht werden; wir haben mit diesem Verfahren bei der Zivil⸗ prozeßordnung gute Erfahrungen gemacht. Da kommt es vor Allem auf die kleine Strafgesetzbuchnovelle an, die jetzt als Initiativantrag dem Hause von allen Parteien vorgelegt ist. Ebenso sollte mit dem Verfahren gegen Jugendliche vorgegangen werden. Den Vorwurf der Klassenjustiz als bewußter Rechtsprechung der Gerichte im Interesse bestimmter Klassen erhebt der Abg. Stadthagen nicht, er geh vielmehr von der Voraussetzung aus, daß auch der moderne Richter ein Produkt der modernen wirtschaftlichen Ordnung ist. Aber auch in diesem Sinne stellt sich seine Auf⸗ fassung als eine höchst einseitige dar. Tendenzloͤse Rechtsprechung kommt vor, das muß ich als Richter bezeugen, aber das ist nicht Klassenjustiz. Eine solche könnte eher und vielleicht in ver— schärftem Maße geübt werden, wenn die Richter vom Volke aus dem Volke gewählt werden. Ich verweise nur auf die Ausführungen des Abg. Stadthagen hinsichtlich des Begriffes „Streikbrecher“. In der Zeit der Attentate gegen Kaiser Wilhelm J. kam es zu zweifellos ganz exorbitanten Urteilen der Gerichte wegen Majestätsbeleidigungen; in national gemischten Gegenden wirft unter Umständen der nationale Gegensatz auch auf die Rechtsprechung seine Schatten. So ist es wohl jetzt auch im Ruhrgebiet gegangen. Es ist aber überhaupt sehr mißlich, auf Grund nur mündlich vorgetragenen Materials zu urteilen. Mit dem Abg. Stadthagen fordere ich: Man muß die richterliche Unab- hängigkeit nach allen Seiten sicherstellög. Tatsächlich wird diese Unabhängigkeit häufiger dann gefährdet, wenn sich ein liberaler Richter politisch betätigt, als wenn das ein rechts gerichteter tut. Der, Kollege Stadthagen glaubt dadurch Abhilfe zu schaffen, indem er die Wahl zum Richteramte empfiehlt. Wir fuchen aber dis Recht⸗ sprechung von alledem fernzuhalten, was politisch ist. Das würde aber eintreten, wenn wir das Rächteramt zum Gegenstande der Agitation machen. Politik und Rechtsprechung müssen völlig ge— trennte Gebiete bleiben. Es muß jeder Einfluß ferngehalten werden, mag er von oben oder unten kommen. Es lassen sich jedoch gewisse Garantien schaffen, z. B. durch unsere Strafprozeßordnung soll ein großer Teil der öffentlichen Rechte sichergestellt werden. In die Reichsverfassung sind nur einzelne Grundrechte eingefügt worden. Wir überließen es den einzelnen Staaten, die anderen Dinge zu regeln. Hierin wird aber zu welt gegangen. So greift der dem preußischen Landtage vorgelegte Entwurf zu einem Gesetz über Awbeitsscheue in die Rechte des Reichsrechtes ein. Der Kanzler als sein Hüter muß solche Bestimmungen auf das peinlichste prüfen, ob sie nicht dem Reichsrecht f Denn in unserem Straf—

zuwiderlaufen. gesetzbuch sind ja schon Strafen für Bettler und Landstreicher bor—= gesehen. Demgegenüber darf der Einzelstaat nicht berechtigt sein, Maßregeln zu treffen, die mit Entziehung der persönlichen Freiheit gleichbedeutend sind, und die den Arbeitszwang ohne richterliches Urteil einführen. Der preußische Entwurf bestimmt jn allerdings keine Strafe. Aber die Tatsache allein genügt schon, um den Be— treffenden ohne xichterliches Urteil in die Hände der Verwaltung zu bringen. Dles ist doch nicht zulässig. Dann ist es nötig, die Zeugen⸗ und Sachverständigengebühren zu erhöhen. Ganz befonders müßte für die letzteren eine einheitlich! Regelung stattfinden. Wir machen im allgemeinen zuviel Gesetze. (Sehr richtig) Sie rufen „Sehr xichtig!“ und bringen doch zu jeder Etats⸗ position viele Resolutionen ein. Die englische und amerikanische Rechtsprechung zwingt den Richter, den Einzelfall in Beurteilung zu jiehen und das dafür angemessene Recht zu finden. Unser Landrecht mit seiner Kasuistik zwingt die Richter häufig, Urteile ju fällen, die durch ihre abnorme Sa bildung auffallen. Ein Hauptschaden ist dabei aber auch, daß unsere Richter nicht genug die verschledenen Lebensverhältnisse kennen lernen. Darin tragen aber einen Tell der Hauptschuld die Herren Professoren, die die Praxis selber nicht kannten. Die Justiz ist eben nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch eine Kunst. Ich bin allerdings auch der Meinung, daß man den jungen Juristen in die Praxis hineinriechen laffen muß, da er dort am meisten lernen kann. Die Aus— bildungskurse haben ja manche Mängel, aber sie haben das große Verdienst, daß der junge Jurist darüber nachzudenken lernt, ob manche Urteile wirklich den Bedürfnissen des praktischen Lebens ent—⸗ sprechen. Ich begrüße die neue Richtung als einen Fortschritt. Es wird dann aber auch selbstverständlich erforderlich sein, daß man auch die Richter dazu bringt, sich im praktischen Leben umzusehen. Allerdings muß es richtig angefangen werden, denn der Richter muß, wenn er über Lebensverhältnisse urteilen soll, diese aus eigener An⸗ schauung kennen zu lernen bemüht sein. Die Ueberbürdung der Gerichte und ihre Ueberlastung mit allerlei kleinlichen Schreiberelen verhindert aber, daß sich dazu die nötige Zeit findet. Ich bin, wie der Kollege van Calker, ebenfalls der Meinung, daß die Grundsãtze des Studiums und des ersten Examens reichsgesetzlich festgelegt werden. Dabei kann der Staatzsekretär anregend wirken, ebenso daß die großen gesetzgebenden Werke, die uns bevorstehen, in einem fortschrittlichen und freiheitlichen Sinne gehalten sind.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:

Meine Herren! Im Laufe der Debatten haben die verschiedenen Redner des hohen Hauses viele Fragen an mich gerichtet und eine Reihe von Anregungen gegeben. Ich möchte mir gestatten, wenigstens auf einige dieser Fragen zu antworten, und zwar zuerst soweit sie auf zivilprozessualem und zivilrechtlichem Gebiete liegen.

Es ist von der Zivilprozeßordnu ng und von der Konkurs—⸗ ordnung gesprochen worden. Der Herr Abg. Belzer hat erwähnt, daß die Zivilprozeßordnung, die im Jahre 1879 in Kraft getreten, zuerst im Jahre 1898 geändert worden ist. Dann ist im Jahre 1905 eine Aenderung des reichsgerichtlichen Verfahrens gekommen, eine weitere Aenderung dieses Verfahrens im Jahre 1910. Eine Novelle wegen Aenderung des amtsgerichtlichen Verfahrens ist im Jahre 1909 erlassen worden. Genug, es ist in den letzten Jahren gerade an der Zivilprozeßordnung viel geändert worden. Ich meine, nun müßten erst einmal neue Erfahrungen, besonders hinsichtlich des neuen amts⸗ gerichtlichen Verfahrens, gesammelt werden, um dann später an die allgemeine Revpision der Zivilprozeßordnung, die natürlich kommen muß und kommen wird, heranzugehen. Mit Vor— arbeiten hierzu ist man an manchen Stellen beschäftigt. Mehrere Professoren haben eine vergleichende Darstellung des Zivilprozeßrechts anderer Länder in Angriff genommen; andererseits sind schon formu⸗ lierte Entwürfe von Tellen der Zlvllprozeßordnung erschienen, die beachtenswerte Winke für eine Neugestaltung unseres Zipilprozeßrechts enthalten. Auch im Reichsjustizamt wird die Angelegenheit dauernd verfolgt. Zu einer allgemeinen Repision der Zivilprozeßordnung werden wir freilich erst kommen können, nachdem die Strafrechts⸗ reform erledigt ist.

Ebenso steht es mit der von dem Herrn Abg. Dove erwähnten Konkurordnung. Auch hier sind schon vor Jahren Aenderungen angeregt worden, die in dem von dem Herrn Abg. Belzer erwähnten Bericht der Petitionskommission vom 8. Februar v. J. niedergelegt

sind. Diese und andere Anregungen werden im Auge behalten und bei einer etwaigen Aenderung der Konkursordnung zur Erwãägun kommen. Zurzeit wird indessen nicht beabsichtigt es entspricht das wohl dem Wunsche des Herrn Abg. Dove —, an Aenderungen der Konkurz. ordnung heranzutreten.

Der Herr Abg. Dove ist auch auf den gerichtlichen Zwangg— vergleich außerhalb des Konkurses eingegangen. Bei Erlaß der Konkursordnung sind die auf Einführung eines solchen Zwang. vergleichs gerichteten Anträge von den meisten Seiten abgelehnt worden. In den Jahren 1905 und 1906 sind die damals laut ge⸗ wordenen Wünsche weiter Kreise des Handelsstandes hier erneut zur Sprache gebracht worden. Dabei hat aber namentlich der Herr Abg. Dove gleich von vornherein auf die entgegenstehenden Be, denken hingewiesen. Auf Wunsch des hohen Hauses hat damals die Reichsverwaltung die bereits erwähnte Denkschrift vorgelegt und man hat damals von der Einführung des gerichtlichen Zwangsvergleichs außerhalb des Konkurses wieder Abstand genommen. Aber auch in der Folgezeit ist die Frage nicht zur Ruhe gelangt. Will man dem Gedanken näher treten, so wird man sich überlegen müssen, daß, wenn man zu einem solchen Zwangsvergleich kommen will, auch Zwangsmaßregeln gegen die Gläubiger, die an sich dem Zwangsvergleich abgeneigt sind, nicht werden entbehrt werden können. (Sehr richtigt rechts Es wird schwer sein, hier zu anderen Maß. regeln zu kommen, als sie die Konkursordnung bereits vorsieht. Zur Zeit beabsichtigt die Reichtjustizverwaltung nicht, in dieser Beziehung vorzugehen. Dabei möchte ich, gleich meinem Amtsvorgänger, darauf hinweisen, daß in der Handelswelt der Wunsch nach Ein— führung eines solchen gerichtlichen Zwangsvergleichs nicht allge— mein geteilt wird. Die Handelskammer in Berlin hat auf wiederholte Anregungen zwar neuerdings eine erneute Bearbeitung der Frage beschlossen, aber nur in der Voraussetzung, daß seitens der Antragsteller ein zur Widerlegung des Standpunktes der Reichs. regierung geeignetes Tatsachenmaterial beigebracht werde. Die Aeltesten der Kaufmannschaft wiederholen in ihrem Berichte für 1911, daß die Erfahrungen, die man in anderen Staaten mit dem so⸗ genannten Präventivakkord gemacht habe, nicht dazu angetan seien, um einer Einführung in Deutschland das Wort zu reden. Also die Sache ist überaus zweifelhaft. Sollte ein bestehendes Bedürfnis klargelegt werden, so wird das Reichsjustizamt bereit sein, in eine weitere Erörterung der Frage einzutreten.

Es sind dann Gesetzentwürfe über die Konkurrenzklausel und die Haftpflicht der Eisenbahnen für Sach schäden erwähnt.

Was den ersten Punkt, die Konkurrenzklausel für die Handlungs⸗ gehilfen, betrifft, so ist im Einverständnis mit den übrigen hierbei interessierten Behörden ein Entwurf aufgestellt worden, der im wesentlichen auf dem Grundsatze der sogenannten bezahlten Karenz basiert. Ich hoffe, daß dieser Entwurf im Laufe des Sommers noch dem Bundesrat und in der nächsten Session dem hohen Hause wird vorgelegt werden können. Ich bedauere, daß aus den Kreisen der Handlungsgehilfen gegen die in Aussicht genommenen Bestimmungen vielfach Widerspruch erhoben worden ist. Ich hoffe aber, daß sich dieser Widerspruch legen wird, wenn die Gründe bekannt werden, die gerade zur Aufstellung dieses Entwurfs geführt haben.

Ebenso steht es mit dem Entwurf, der die Haftpflicht der Eisenbahnen auch für Sachschäden regelt. Auch hier ist der Entwurf im Einverständnis mit den zuständigen Behörden aufgestellt, nachdem Sachverständige darüber gehört worden. Ich hoffe, daß auch dieser Entwurf im nächsten Winter dem hohen Hause wird vorgelegt werden können.

Ich gehe über zur Frage der Sicherungsübereignungen, die bereits bei der vorjährigen Etatsdebatte erörtert worden ist. Sie ist seitdem vielfach in der Oeffentlichkeit zur Sprache gekommen. Einverständnis herrscht darüber, daß die Sicherungsübereignungen nicht schlechthin und ohne jeden Ersatz verboten und für nichtig erklärt werden können: denn sie bilden, wie die Verhältnisse einmal liegen, für kleine Ge— werbetreibende ein unentbehrliches und auch nicht unberechtigtes Mittel zur Erlangung von Kredit. (Sehr richtig! rechts) Es kann sich nur darum handeln, die Auswüchse und Mißbräuche, die sich auf diesem Gebiete gezeigt haben, möglichst zu beseitigen. Darüber, wie dies am besten geschieht, gehen freilich die Meinungen auseinander. Tatsache ist, daß die Stimmen, die sich gegen die Einführung des Registerzwanges für derartige Verträge erhoben haben, im Zunehmen sind, und es kommt außerdem in Betracht, daß das Reichsgericht im vergangenen Jahre bezüglich der Wirkungen und Folgen der Ueber⸗ eignung ohne Besitzübertragung wiederholt Grundsätze ausgesprochen hat, welche die Aussicht eröffnen, daß den beklagten Auswüchsen schon« auf dem Boden des bestehenden Rechts durch die Rechtsprechung ent— gegengetreten werden ann. Demgemäß hat sich denn auch eine sach⸗ verständige Stelle, nämlich der Ausschuß des Deutschen Handelstages, im letzten Herbst bei einer Erörterung des Gegenstandes dahin aus— gesprochen, daß von der Rechtsprechung, insbesondere von der An— erkennung der Grundfätze, die das Reichsgericht in seinen Ent— scheidungen vom 22. Oktober 1910, vom 3. Januar 1911 und 5. Mai 1911 ausgesprochen hat, zu hoffen sei, daß den unreellen Sicherheits übereignungen in wirksamer Weise entgegengetreten werde unter Wahrung der berechtigten Interessen, die mit den wirtschaftlich ein⸗ wandfreien Sicherheitsübereignungen verfolgt würden.

Meine Herren, ich bin trotzdlem mit dem Herrn Abg. Belzer einverstanden, daß die Frage vom legislativen Standpunkt aus ein— gehender Erwägung bedarf, und ich bin deswegen schon vor längerer Zeit mit den übrigen an dieser Frage interessierten Stellen in Ver— bindung getreten, um zu erwägen, oh vielleicht und eventuell auf welchem Wege ein Eingreifen der Gesetzgebung sich empfiehlt. Diese Erwägungen schweben noch.

Ich will übrigens erwähnen, daß der diesjährige Juristentag die Frage auf seine Tagesordnung gesetzt hat und gleichfalls über die Sicherungsübereignungen beraten wird.

Der Herr Abg. Beler hat mich über mehrere Fragen des inter⸗ natio nalen Privatrechts interpelliert, zunächst über das internationale Luftschiffahrtsrecht. Zu dessen Erörterung hat aller— dings vor einigen Jahren eine Konferenz in Paris getagt. Diese Konferenz ist jedoch ergebnislos verlaufen. Inzwischen habe ich beim Reichsamt des Innern angeregt, das heimatliche Luftschiffahrtswesen selbständig zu regeln. Es sind Fragebogen aufgestellt und erörtert worden, die Anhörung von Sachverständigen ist vorgesehen, man ist einig,

daß als Grundlage für die weiteren Beratungen ein Vorentwurf auf— gestellt werden soll. Die zivilrechtlichen Vorschriften werden von meinem Ressort, andere Teile von anderen Aemtern ausgearbeitet werden. Wann ein Entwurf zur Vorlegung kommen wird, kann ich nicht sagen, jedenfalls sind Vorarbeiten im Gange.

Bezüglich des in ternationalen Wechsel⸗ und Scheckrechts wissen die Herren, daß wir schon erheblich weitergekommen sind. Im Jahre 1910 hat im Haag die internationale Konferenz getagt, und es ist dort der Entwurf eines einheitlichen Wechselgesetzes aufgestellt worden. Der Entwurf ist den beteiligten Regierungen zur Aeußerung vorgelegt, und es hat im vergangenen Winter im Reichs justizamt wieder eine Verhandlung mit Sachverständigen darüber stattgefunden. Nunmehr ist eine zweite internationale Konferenz in Aussicht ge— nommen, die am 15. Juni dieses Jahres zusammentreten soll. Wir hoffen / daß eine Vereinbarung zwischen den Staaten zu Stande kommen wird.

Betreffs der Vereinheitlichung des Seerechts ist den Herren bekannt, daß im Mai 1911 hier zwei Abkommen Ihre Genehmigung gefunden haben, die auf der Brüsseler Konferenz geschlossen worden sind. Das eine war ein Uebereinkommen, betreffend den Zu— sammenstoß von Schiffen, das andere ein solches iber die Hifeleistung und Bergung in Seenot. Diese Abkommen warten nunmehr auf ihre Ratifikation. Um das inländische Recht mit diesem neuen internationalen Seerecht in Uebereinstimmung zu bringen, wird Ihnen wahrscheinlich noch im Laufe dieser Session ein Gesetzentwurf zugehen.

Im Jahre 1909 und 1910 haben dann noch in Brüssel Ver⸗ handlungen über ein Abkommen über die Beschränkung der Haftung des Reeders sowie über Schiffshypotheken und Privilegien stattgefunden. Die Ergebnisse dieser Beratungen sind in Vorentwürfen zusammengestellt und den beteiligten Regierungen zur Prüfung unterbreitet worden. Das Reichsjustizamt hat im Früh⸗ jahr vorigen Jahres die Entwürfe nebst erläuternden Bemerkungen veröffentlicht und so der Kritik zugänglich gemacht. Es sind dann im letzten Winter im Reichsjustizamt Sachverständige über die Entwürfe vernommen worden. Die Entwürfe werden demnächst auf einer neuen Konferenz in Brüssel zur Beratung gelangen.

Rechtsanwaltsgehilfen, Rechtsanwaltsgebühren und Ze ngen⸗ gebühren! Betreffs der Rechtsanwaltsgehilfen ist die Arbeit im Gange; der Bundesrat hat im Jahre 1910 beschlossen, eine Er— hebung über die Arbeitsverhältnisse der Angestellten der Rechts⸗ anwälte vorzunehmen. Es sind daraufhin Fragebogen verteilt worden diese Fragebogen sind beim Statistischen Amt eingegangen und werden dort zurzeit bearbeitet. Die Bearbeitung soll im Sommer dieses Jahres beendet werden. An der Hand der Ergebnisse der Statistik soll dann erwogen werden, was etwa betreffs der Rechtsanwalts gehilfen geschehen soll.

Betreffs der Reform der Gebührenordnung für

Rechtsanwälte ist die Reichsjustizverwaltung von dem Grund— satz ausgegangen ich glaube, er wird, wie auch früher, in diesem Hause Billigung finden —, daß eine allgemeine Erhöhung der Gebühren nur dann erfolgen kann, wenn man davon überzeugt ist, daß die heutigen Gebühren nicht ausreichen, um einem vollbeschäftigten Rechtsanwalt ein standesgemäßes Einkommen zu sichern. Der Beweis dafür aber, daß die Rechtsanwaltsgebühren heute einem solchen An⸗ walt dieses standesgemäße Einkommen nicht sichern, kann ich bis jetzt noch nicht als erbracht ansehen. Wir haben zunächst versucht, von den Anwaltskammern statistisches Material zu erhalten. Die preußischen Anwaltskammern haben zwar die Auskunft nicht absolut verweigert, sie haben aber ausgeführt, daß der Fragebogen, der ihnen vorgelegt werden sollte, wenn er auch beantwortet würde, in keiner Weise geeignet wäre, nachzuweisen, wie hoch das Einkommen der Rechtsanwälte sei und wie es sich zusammensetze. Danach hat die Antwort der Rechtsanwälte doch nur als eine glatte Ablehnung aufgefaßt werden können. Ich habe das bereits in der Sitzung des Reichstags vom 22. Februar vorigen Jahres mitgeteilt und habe damals gleichzeitig bemerkt, daß nunmehr die verbündeten Regierungen ersucht worden seien, an die Oberlandesgerichtspräsidenten heranzutreten, um sich über drei Punkte zu äußern, einmal darũber, ob eine Erhöhung der Gebührensätze in § 9 der Gebührenordnung der Rechtsanwälte geboten ist, zweitens, ob bei Bejahung dieser Frage die Sätze durchweg oder nur für einzelne Wertstusen zu erhöhen und in welchem Umfang elne Erhöhung notwendig ist und endlich darüber, ob die Erhöhung der Gebühren der Verteidigung in § 63 der Gebührenordnung für Rechtsanwälte erforderlich erscheint. Die Gutachten der Oberlandesgerichtspräsidenten sind im vorigen herbst eingegangen. Im allgemeinen ist das Ergebnis dieser Umfrage ciner Erhöhung der Gebühren nicht günstig geweseu. Es handelt sich indessen dabei im wesentlichen nur um die Erhöhung der Gebühren in Zivilsachen; daß in Strafsachen eine Erhöhung der Verteidiger⸗ gebühren notwendig ist, darüber besteht kein Zreifel.

Die Vorstände der Anwaltskammern, die von den Oberlandes⸗ gerichtspräͤsidenten gefragt worden sind, haben sich lediglich in allge⸗ ne nen Redewendungen unter Hinweis auf die wirtschaftlichen Ver— hältnisse und den sinkenden Geldwert für eine Erhöhung ausgesprochen.

; Auch einzelne Anwälte sind von den Oberlandesgerichtspräsidenten gehört worden; diese Herren haben sich in durchaus verschiedener Richtung geäußert. So haben sich z. B. von den acht Anwälten, die w Berrk des Oberlandesgerichts Celie gehört worden sind, fünf bestimmt gegen eine Erhöhung der Gebühren in Zivilsachen ausge— sprochen und nur eine Erhöhung der Verteidigergebühren befürwortet.

ö Die Oberlandesgerichtspraäsidenten schicken ihren Aeußerungen vielsach die Bemerkung voraus, daß ihnen zuberlässiges Material ., Verfügung stehe; einige befürworten einen mehrjährigen , ub der Revision der Gebührenordnung mit Rücksicht darauf, das ehen erst die Amtsgerichtsnovelle in Kraft getreten sei und man

nicht übersehen könne, welche Wirkung diese Novelle auf die Ver—

minder 2 säcrung der Cinnahmen der Rechtsanwälte beim Landgericht und

ö. e n dium ihrer Einnahmen beim Amtsgericht habe. Ebenso macht e Anzahl der Präsidenten geltend, daß die Einführung des Pauschal—

Ostzes

für Schreibgebühren teilweise eine ganz bedeutende Mehr⸗

. ei 2 * 9 . . nnahme der Rechtsanwälte zur Folge gehabt hätte.

ö meine Derren; die Frage ist nicht so bollstãndig geklärt, CGrtöhn 1 jetzt die Ueberzeugung haben könnte, eine allgemeine nin lee ee, Gebühren für geboten zu erachten. Ich befinde mich kern . chung mit der Mehrheit der Bundeßregierungen, an die

nien gh reten bin, in Uebereinstimmung, insonderheit mit dem derrn Justizminister Ich bin nach alledem nicht in der

Lage, Ihnen heute eine allgemeine Erhöhung der Gebühren der Rechtsanwälte in Aussicht zu stellen.

Mir wird jedoch demnächst, wie ich gehört habe, ein Entwurf des deutschen Anwaltevereins über eine Aenderung der Gebührenord— nung zugehen. Vielleicht erhalte ich hiermit auch statistisches Material, das mir ermöglicht, den Wünschen der Rechtsanwälte auf Erhöhung der Gebühren nochmals näher zu treten. Zurzeit bin ich dazu zu meinem Bedauern nicht in der Lage. Ich muß anerkennen, daß es eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Anwälten gibt, dle ein standesgemäßes Ein⸗ kommen nicht haben. Aber das liegt nicht daran, daß die jetzigen Ge— bühren zu niedrig sind, sondern das hat seinen wesentlichen Grund in der Ueberfüllung des Anwaltstandes. (Sehr richtig) Die Gebühren können natürlich nicht derartig in die Höhe geschraubt werden, um bei der Ueberfüllung des Berufs allen Anwälten zu einem ausksmm—⸗ lichen Einkommen zu verhelfen. .

Die Zeitungsnachricht, daß eine Vorlage zur Revision der Ge—⸗ bührenordnung für Zeugen und Sachverständige aus— gearbeitet sei, ist an sich richtig. Diese Nachricht war aber auch schon vor zwel Jahren richtig. Ich habe schon bei der damaligen Etats—⸗ debatte erklärt, daß das Reichsjusttzamt einen Entwurf, betreffend die Er⸗ höhung der Gebühren der Zeugen und Sachverständigen, ausgearbeitet habe. Dieser Entwurf ist damals nicht vorgelegt worden, weil der Herr Reichskanzler im Hinblick auf die ungünstige Finanzlage Bedenken getragen hat, einen Entwurf von so großer finanzieller Tragweite vorzulegen. Mit Rücksicht auf die Ausführungen, die verschiedene Redner im Vorjahre bei der Etatsdebatte gemacht haben, bin ich inzwischen mit den maßgebenden Stellen in Erwägung getreten, ob nicht jetzt vielleicht dieser Entwurf vorgelegt werden könnte. Diese Erwägungen schweben noch. Ich muß aber dem Herrn Abg. Dove gegenüber darauf aufmerksam machen, daß ich in dieser Beziehung mit dem Herrn Staatssekretär des Reichsschatzamts gor nichts zu tun habe; die Gewährung der Gebühren für Zeugen und Sachverständige ist vielmehr Landessache und würde deshalb die Landes finanzverwaltungen angehen.

Was den Gedanken anbetrifft, einen Gerichtshof zu errichten, der befugt wäre, alle Meinungsverschiedenheiten und Streitfragen uber die Auslegung und den Inhalt gesetzlicher Vorschriften durch ein die Gerichte bindendes Urteil zu schlichten und damit die Rechts⸗ unsicherheit zu beseitigen, so kann ich nur dem beitreten, was der Abg. Dr. Belzer in dieser Beziehung ausgeführt hat. Es sind schon zweimal derartige Versuche gemacht worden: in Preußen mit der sogenannten Gesetzeskommission und in Hannover mit einer ähnlichen Einrichtung, aber diese Versuche sind nicht gut ausgefallen, und ich glaube, jener Vorschlag, so gut er gemeint ist, entspricht nicht dem, was unsere Rechtspflege bedarf. Es ist ein alter Grundsatz unserer Rechtspflege, Rechtssätze nur an der Hand einzelner Fälle zur Ent— scheidung zu bringen. Es würde ein derartiger Gerichtshof schließlich die Fortentwicklung unseres Rechtes unterbinden; denn die Aufstellung von einzelnen Thesen abgelöst vom einzelnen Fall ist der Tod einer lebendigen Rechtsentwicklung. Ein solcher Gerichtshof müßte not⸗ wendigerweise über die Auslegung der gesetzlichen Vorschriften hinaus die in den Gesetzen liegenden Gedanken zu neuen Rechtsnormen ent— wickeln und ausgestalten. Damit würde er mit der Gesetzgebung in Konkurrenz treten und auf ein Gebiet hinübergleiten, das dem Zu⸗ sammenwirken der gesetzgebenden Faktoren im Reiche vorbehalten ist und vorbehalten bleiben muß. Ich stehe deshalb jenem Gedanken, wie auch der Herr Abg. Belzer, durchaus ablehnend gegenüber.

Sehr interessant waren für mich persönlich die Ausführungen des Herrn Abg. van Calker über die Ausbildung und Fortbildung der Juristen. Man glaubte im preußischen Abgeordnetenhause bei dem Etat des Herrn Kultusministers oder des Herrn Justizministers zu sein. Tatsächlich sind wir aber doch bei dem Gehalt detz Staatssekretärs des Reichsjustizamts. Heiterkeit.) Ich bin, glaube ich, wenn auch befugt, so doch wohl kaum in der Lage, in dieser Beziehung viel zu tun. Das Gerichtẽberfassungsgesetz verlangt: drei Jahre Studium und drei Jahre Ausbildungszeit, doch ist nachgelassen, sowohl das Studium als auch die Ausbildungszeit landesgesetzlich zu verlängern. Auf Grund dieser Bestimmung sind in den verschiedenen deutschen Ländern die verschiedenartigsten Be⸗ stimmungen getroffen worden. Das eine Land hat drei Jahre Studium und drei Jahre Ausbildungszeit, das andere drei Jahre Studium und dreieinhalb Jahre Ausbildungszeit, ein drittes drei— einhalb Jahre Studium und ebensoviel Ausbildungszeit; Preußen hat drei und vier Jahre, Bayern vier und drei Jahre. Ferner sind in den einzelnen Bundesstaaten insofern große Unterschiede vorhanden, als in einigen die Juristen und die Verwaltungsbeamten bis zum Assessorexamen einheitlich ausgebildet werden. In Preußen war die Regelung früher die gleiche gewesen. Jetzt aber gehen Justiz und Verwaltung vollständig verschiedene Wege. Das sind schon so große Unterschiede, daß ich gar nicht wüßte, wie eine Anregung meinerseits von den verschiedenen Bundesstaaten aufgenommen würde. Die Frage des Studiums und der Ausbildung kann nur regeln, wem die genügenden Erfahrungen zur Seite stehen. Nun glaube ich zwar, in meiner früheren Tätigkeit einige Er— fahrungen gesammelt zu haben, aber in meinem jetzigen Amt habe ich solche Erfahrungen nicht gewinnen können. Es unterstehen ihm keine erst⸗ oder zweitinstanzlichen Gerichte und deren Mitglieder. Wollte ich an die Landesjustizverwaltungen mit bestimmten Vorschlägen heran⸗ treten, so würde man mir voraussichtlich sagen: Studium und Aus⸗ bildung der Beamten ist von alters her unsere Sache, wir sind dauernd mit diesen Fragen beschäftigt und wir können nicht glauben, daß du das besser machst als wir, die wir so viel Erfahrungen haben. Tat⸗ sächlich gibt das Gerichtsberfassungsgesetz nur gewisse Richt⸗ linien für das Studinm und die Ausbildung der Beamten. Im übrigen ist alles den Landesjustizberwaltungen überlassen. Hiernach glaube ich irgend welche Schritte hinsichtlich des Studiums und der Vorbildung der Juristen nur dann unter— nehmen zu können, wenn ich von den Landes justizberwaltungen gebeten werde, die Sache in die Hand zu nehmen, etwa zwischen den einzelnen Landesjustizperwaltungen gewisse Grundsätze zu vereinbaren, nach denen die Ausbildung erfolgen soll. Wenn eine solche Anregung an mich heranträte, würde ich ihr natürlich mit großer Freude Folge geben. Allerdings ist dabei eins nicht zu vergessen. Die Regelung der Auebildungsfrage ist bei den Juristen an die Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten geknüpft, im Gegensatz zu anderen Berufen, z. B. den Philologen, wo sie lediglich Verwaltungssache ist. Deshalb werden solche Vereinbarungen große Schwierigkeiten haben, weil man nie wissen kann, ob die gesetzgebendea Faktoren des einzelnen Bundes⸗

staats den Vereinbarungen ihr Placet geben werden. Die Sacke

ist also sehr schwierig, und ich habe wenig Hoffnung, daß wir

bald eine einheitliche Ausbildung der Juristen erhalten werden.

Uebrigens sind, wie ich vernehme, einzelne Bundesstaaten willens, ihre

Bestimmungen über Studium und Ausbildung der Jurlsten zu ändern.

Wertvolle Anregungen und treffliche Vorschläge sind in neuerer Zeit

vielfach gemacht. Warten wir daher die weitere Entwicklung in den

einzelnen Staaten ab.

Was die Fortbildung der Beamten betrifft, so bin ich hier

noch weniger in der Lage, einzugreifen. In den einzelnen Bundes—

staaten, die allein zuständig, ist für die Fortbildung der Beamten be⸗

reits viel geschehen. In Berlin haben wir K

vorzügliche Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung.

Wir haben in Cöln eine ähnliche Vereinigung. Daraus, daß der Herr Reichskanzler als Ehrenpräsident an der Spitze

einer dieser Vereinigungen steht, kann man unmöglich den Schluß

herleiten, daß das Reich zur Regelung der Angelegenheit zuständig ist.

Auch bei einzelnen Gerichten geschieht jetzt viel für die Fortbildung der Beamten. Es ist mir erst dieser Tage wieder vom Kammergericht eine Uebersicht der Vorträge zugegangen, die für die Berliner Richter und Staatsanwälte in den nächsten Monaten veranstaltet werden und

die trefflich dazu geeignet sind, diese Beamten mit den verschiedensten

Verhältnissen bekannt zu machen. Diese Vorträge haben zum Gegen⸗

stande die Buchhaltungslehre, die Bedeutung der Großbanken für die

Volkswirtschaft, die Arbeiterverhältnisse und Wohlfahrtseinrichtungen in industriellen Großbetrieben, die Hauptformen der Geisteskrankheiten, die Aufgaben des Photographen als gerichtlichen Sachverständigen, die Verbrennungsmotoren, die Entstehung eines Wohnhauses, die drahtlose Telegraphie. Genug, meine Herren, es geschieht das möchte ich so vielen Herren, die über die Weltfremdheit der Richter immer klagen, sagen es geschieht unendlich viel für die Fortbildung der Juristen. Und Sie können glauben, daß die Justizverwaltungen bestrebt sind, für die Fortbildung ihrer Beamten in jeder Weise Sorge zu tragen.

Melne Herren, ich komme zu den Fragen der Reform des Straf⸗ rechts und des Strafprozesses. Der Herr Abg. Belzer hatte Auskunft gewünscht über den Stand der Beratungen der Strafrechts kommission. Die Kommission, die seit dem 1. April vorigen Jahres regelmãßig ihre Sitzungen abgehalten hat, ist am Ende vorigen Jahres mit der Beratung des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches fertig geworden und hat seitdem die Beratung des besonderen Teils begonnen und wesentlich gefördert. Nach dem, was mir der Vorsitzende der Kommifsion mitgeteilt hat, nehme ich an, daß die erste Lesung des Entwurftz gegen Ende dieses Jahres beendet sein wird; die zweite Lesung wird voraussichtlich den Zeitraum bis zum Beginn der Gerichtsferien des nächsten Jahres in Anspruch nehmen. Wie die Sachen augenblicklich liegen, ist also zu hoffen, daß der Entwurf von der Kommission etwa bis zum August oder September nächsten Jahres fertiggestellt sein wird. (Zuruf im Zentrum) Ob dann der Entwurf veröffentlicht werden wird? Ich möchte meinen, daß dies geschehen wird. Ent— schließungen darüber sind freilich nicht gefaßt. Soweit als möglich wird die Oeffentlichkeit beteiligt werden. (Zuruf bei den Sozial⸗ demokraten Ja, wie lange es dauern wird, Herr Abg. Stadt⸗— bagen, bis der Entwurf an den Reichstag kommt, kann man natũrlich nur ungefähr berechnen.

Die Strafprozeßordnung, die Sie die Güte hatten, gestern in so freundlicher Weise zu erwähnen (Heiterkeit), ist in Angriff genommen worden auf Grund eines Beschlusses des Reichstags vom Jahre 1902. Die Strasprozeßreformkommission hat am 1. April 1903 ihre Be⸗ ratungen begonnen. Nach deren Abschluß erfolgte die Aufstellung des Entwurfs, daran schlossen sich die Beratungen unter den Bundes regierungen, die Ausarbeitung der Motive usw. Im Mär; 1909 also sechs Jahre nach Beginn der Arbeiten, ist der Entwurf dem Reichstage vorgelegt worden. Rechnen wir den gleichen Zeitraum für die Fertigstellung des Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuchs, so kämen wir zum 1. April 1917. Dann wird gerade wieder ein neuer Reichs⸗ tag zusammentreten, und damit wäre wohl der rechte Zeitpunkt zur Vor⸗ legung des Entwurfs gekommen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, sollte das Strafgesetzbuch früher fertig werden, so würde es den Wünschen des hohen Hauses doch wohl nicht entsprechen, wenn der Gesetzentwurf früher vorgelegt würde. Daß man große reformatorische Gesetze nicht in den letzten Jahren einer Legislatur⸗ periode vorlegen solle, ist hier oft genug hervorgehoben worden. Nach den Erfahrungen, die wir mit der Strafprozeßordnung gemacht haben, würde übrigens der Reichstag auch tatsächlich nicht in der Lage sein, ein neues Strafgesetzbuch in relativ kurzer Zeit zur Verabschledung zu bringen.

Die Anregung, daß zur Ausarbeitung des neuen gesetzbuchs Sachverständige zugezogen werden möchten, habe ich entsprechend meiner Zusage im vorigen Jahre dem Herrn Vorsitzenden der Kommission mitgetellt. Die Kommission hat bereits bei Beratung der Vorschriften über den Notstand einen ärztlichen Sachverständigen gehört; sie hat weiter die Anhörung anderer Sachverständiger beschlossen. Als Sachkundige auf dem Gebiete der Presse sind von der Kommission übrigens bereits bestimmte, be⸗ sonders geeignete Persönlichkeiten gewonnen worden.

Nun, meine Herren, die Strafrechtsnovelle! Die Reichs— leitung hatte an sich nicht beabsichtigt, die Strafrechtsnovelle dem jetzigen Reichstag wieder vorzulegen. Maßgebend erschien, daß wir der allgemeinen Revision des Strafgesetzbuchs immer näher treten. Gleich vohl habe ich persönlich es begrüßt, daß ein von allen Parteien unterzeichneter Antrag vorliegt, in den die unangefochtenen Bestimmungen der Novelle übernommen sind. Wenn das hohe Haus diesen Antrag verabschiedet, werde ich gern bei den verbündeten Regierungen befürworten, daß er zum Gesetz erhoben wird. Dem Herrn Abg. Stadthagen möchte ich übrigens sagen, daß das von ihm erwähnte, wenn ich nicht irre, in Essen gefällte Urteil wegen sogenannten Kohlenklauens nicht für die Notwendigkeit der Novelle, insonderheit des Diebstahlsparagraphen, herangezogen werden kann. Ich kann milch über den Prozeß nicht näher auslassen, denn er ist noch nicht rechtskräftig, die sämtlichen An⸗ geklagten haben Revision eingelegt; aber ich kann mir nicht denken, daß der Vorwärts“ oder der Herr Abg. Stadthagen das Urteil der ersten Instanz gelesen hat. Denn aus diesem geht herbor, daß die Verurteilten keineswegs in Not gehandelt haben. Sie sind mehrfach gewarnt worden, die Kohlen wegzunehmen, desungeachtet haben sie einen schwunghaften Handel mit den Kohlen getrieben. (Hört! hört 9) Allwöchentlich sind die inzwischen gesammelten Kohlen verkauft

Straf⸗

worden; die verurteilten Töchter sind keiner Arbeit nach⸗