den Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, a. daß es den Ansiedlern durch angemessenen Kredit ermöglicht wird, die Bohrungen nach Wasser auf ihren Farmen durch rivate Unternehmer ausführen zu lassen, damit sich die taatlichen Bohrkolonnen in der n , . der Wasser⸗ erschließung auf dem Kronlande widmen können, b. daß der Fiskus künftig möglichst nur solche Farmen ver⸗ kauft, auf denen genügend Wasser vorhanden ist.“
Zu den Einnahmen liegen folgende Kommissions—⸗ resolutionen vor:
I. „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, bis zur dritten Lesung des Etats sich damit einverstanden zu erklären, daß vom Jahre 1912 ab bis auf weiteres die ‚Erlöse aus den Land⸗ verkäufen“ einschließlich der Restkaufgelder und rückständigen An⸗ siedelungsbeihilfen als Teilkapital für eine öffentlich ⸗recht⸗ liche Landes kreditanstalt in Südwestafrika verwendet und eine solche alsbald ins Leben gerufen wird.“ .
II. „Den Reichskanzler zu ersuchen, die erforderlichen Maß⸗ nahmen gegenüber der Kaoko Land⸗ und Minengesellschaft behufs Durchführung der Bestimmungen der Bergverordnung vom 8. August 1905, besonders der Schürffreiheit in dem gesamten , , dieser Gesellschaft, zu treffen, B. den Reichskanzler zu er⸗ suchen. Anordnung zu treffen, durch die in den Schutzgebieten
1) für die in den Bergwerken beschäftigten Personen
a. ö Schutz für Leben, Gesundheit und gute en, b. geordnete Krankenpflege, gesicherte Unfallfürsorge herbeigeführt wird;
2) diese Personen een Schädigungen durch ungeeignete Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen, ö. unangemessene Strafen und bei Aufhebung des Arbeitsvertrages durch willkürliche Schadensersatzan sprüche sowie durch Verweigerung der Kosten der Heimfahrt Cechtst werden.“ .
Abg. Ledebour (Soz.): Wir haben folgende Resolution ein⸗ gebracht: den Reichskanzler zu ersuchen, er wolle dafür sorgen, daß die Verordnung aufgehoben wird, durch die den Eingeborenen die 56 von Großvieh nur nach der für jeden Fall einzuholenden
nehmigung durch den Gouverneur gestattet ist. Nach dem Auf— stande wurde sämtlichen Stämmen, die unterworfen waren, ihr Land fortgenommen. Man hat sie teils in Reservaten interniert, teils sofort in den Dienst der Farmer gegeben. Schon 1996 und 1908 haben wir den Antrag gestellt, in dem der Reichskanzler ersucht wird, den Ein⸗ geborenen so viel Land zurückzugeben, daß sie darauf ihren Lebens⸗ unterhalt in selbständigen Betrieben gewinnen können. Dieser An⸗ trag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Dadurch, daß man den Eingeborenen das Land fortgenommen hat, wurde ihnen die Viehhaltung unmöglich gemacht. Auch wurde eine diesbezügliche Verordnung erlafssen. Das Verbot der Viehhaltung kann doch nicht damit be— gründet werden, daß durch die Viehhaltung eine Aufstandegefahr geschaffen wird. Aber der Grund ist einfach der, daß man die Ein⸗ eborenen zwingen will, den Farmern als Ausbeutungsobjekt zur erfügung zu stehen. Eine größere Zahl von Ochsen, Kühen, ärsen und Kälbern findet sich nur in dem Bezirk der Bastarde von ehoboth, die sich an dem Aufstande nicht beteiligt hatten. Von 7000 Haupt Vieh, die in Deutsch Südwestafrlka gezählt werden, ent⸗ fallen auf die Bastarde allein 3500; diese mögen also genügend Vieh haben; aber 3500 Haupt für eine schwarze Bevölkerung von 70 9000 Köpfen ist absolut unzureichend. Die Eingeborenen haben ibre Viehzucht früher in Großfamilien von etwa ho Personen etrieben; die weißen Farmer machen es ebenso; im Durchschnitt ann man auf jede Farm 8 Eingeborene mit ihren Familien rechnen. Dieser Eingeborenen bedürfen die Farmer dringend, sie haben ein roßes Interesse daran, daß die Eingeborenen nicht zu Kräften ommen. Die Verwaltung hat dem Drängen der ausbeutenden Farmer bisher nachgegeben, das liegt aber nicht im Interesse der Kolonie und nicht im Interesse der kulturellen Entwicklung. Die Ein⸗ geborenen dürfen nicht als widerwillige Halbsklaven auf den Farmen arbeiten; ihr heutiges Verhältnis ist ein viel schlimmeres als das der preuhischen Landarbeiter. Darum unsere Resolution. Der . ist zur Annahme dieser Resolution verpflichtet, denn das indirekte Viehverbot wird ja von der Regierung benutzt, um die frühere Entschließung des Reichstages, den Eingeborenen genügend Land zu geben, nicht zur Durchführung kommen zu lassen. Der Kolonialsekretär wird zu seiner hohen Freude aus unserem Antrage ersehen, wie wir bemüht sind, positive Arbeit zu leisten. Dem An⸗ sehen des Deutschen Reiches kann es nicht förderlich sein, wenn das Gouvernement die Eingeborenen mit dieser brutalen Bestimmung auf Jahre hinaus weiter niederdrückt.
Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:
Die Stelle, auf die sich der Herr Abg. Ledebour bezogen hat die in einer Verordnung aus dem Jahre 1907 steht und in der Bibliothek des Reichskolonialamts nicht gefunden werden kann, ist im übrigen veröffentlicht worden in dem ‚Taschenbuch für Südweftafrika“, das überall für wenig Geld käuflich zu haben ist. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß in der Bibliothek des Reichskolonialamts mehrere Exemplare davon sind.
Nun gibt es keine Verordnung an sich, die sich mit der Materie allein als Verordnung beschäftigt, sondern es verhält sich so. Nach dem Kriege hat der Gouverneur von Lindequist als Uebergangs⸗ bestimmungen von der Kriegszeit zur Friedenszeit drei Ver⸗ ordnungen zur Kontrolle der Eingeborenen erlassen; das ist die Verordnung, betreffend Maßregeln zur Kontrolle der Ein geborenen, ferner eine Verordnung, betreffend Dien st- und Arbeitsverträge mit Eingeborenen, und eine dritte Ver— ordnung über die Paßpflicht der Eingeborenen. In der ersten Verordnung, betreffend Maßregeln zur Kontrolle, steht als 5 2:
Den Eingeborenen ist das Halten von Reittieren oder Groß⸗
vieh nur mit Genehmigung des Gouverneurs gestattet.
(Dört! hört! bei den Sozialdemokraten, Meine Herren, diese Verordnung war damals notwendig. Ob Sie, Herr Abg. Ledebour, den Krieg in Südwestafrika für notwendig oder nicht für notwendig halten, wie Sie vorgestern ausgeführt haben, das wollen wir jetzt dahingestellt sein lassen. Jedenfalls stand die Ver⸗ waltung der Tatsache gegenüber, daß wir diesen Eingeborenen — und es richtet sich diese Verordnung gegen die Herero und gegen die Hotten⸗ totten — 1500 Tote und ungefähr 7000 Invaliden verdanken. Um wieder Frieden zu bekommen, mußten Kontrollmaßregeln gegenüber diesen Eingeborenen, die uns eben in die Notlage dieses Krieges ge⸗ bracht haben, angewendet werden. Es sind allerdings lediglich transitorische Bestimm ungen, und ich werde, wenn ich mich in Südwestafrika mit dem Gouverneur über alle diese Fragen besprochen haben werde, prüfen, ob wir möglicherweise diese Bestimmung etwas mildern können. Tatsächlich ist aber diese Bestimmung niemals rigoros gehandhabt worden; es ist kein Fall bekannt geworden, daß einem Eingeborenen, wenn er um die Genehmigung eingekommen ist, die Haltung von Großvieh nicht gestattet worden wäre. Ich wieder⸗ hole aber, es ist eine transitorische Bestimmung, und es ist vielleicht nicht notwendig, daß sie noch lange Jahre aufrecht erhalten wird. Wir werden die Sache prüfen.
Abg. Dr. Kuckhoff (Zentr.): Der Etat hat als Anlage eine Denkschrift über das höhere Schulwesen. Das klingt etwas groß⸗
eröffnet wurde und 1914 die ersten Abiturienten mit der Be⸗ rechtigung zum Einjährigendienst entlassen wird. Der Lehrplan ist der einer preußischen Realschule mit Englisch für das erst später ein⸗ tretende Französisch. Man will da auch noch nach Bedürfnis in Obertertia das Lateinische einführen; das scheint mir doch etwas zu weit zu gehen. Leider ist die Freguenz noch sehr gering, 43 im anzen, darunter 11 Mädchen. Daß die Frequenz in den höheren
lassen abnimmt, darf nicht der mangelhaften Intelligenz der Farmerkinder zur Last gelegt werden, wie es die Denkschrift tut; es handelt sich da doch um eine allgemeine, auch in Deutsch⸗ land allgemeine Erscheinung. In Swakopmund ist auch eine höhere Schule in der Entwicklung begriffen, die zuerst privater Natur war, neuerdings in städtische Verwaltung übernommen ist, und deren Uebernahme auf den Staat gewünscht wird. Nach meiner Meinung kann man zwei Schulen unmöglich unterhalten. Auch bedarf es gar nicht der Realschule nach preußischem Muster, um den Farmersöhnen die Berechtigung zum Einjährigendienst zu verschaffen; dazu genügt auch eine Mittelschule. Bas Berechtigungsunwesen sollten wir doch nicht noch in die Kolonien einschleyhen. Daß erst in Zukunft zwei Stunden Turnen, und noch dazu wahlweise, in der Windhuker Anstalt eingeführt werden sollen, muß befremden; die körperliche Ausbildung muß auch in den Kolonien gründlich gepflegt werden. Wir haben mit dieser Realschule offenbar viel zu früh begonnen.
Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:
Meine Herren! Eine höhere Schule brauchen wir in Südwest⸗ afrika ganz bestimmt, das ist der Wunsch des Landesrats, das ist der Wunsch der Ansiedler, und es ist unsere Pflicht, Jungdeutschland drüben in Südwestafrika darin zu unterstützen. Eine andere Frage ist die, die der Herr Vorredner eben angeregt hat, ob diese Schule nach der Schablone der preußischen, der deutschen Schulen in der Heimat geartetet sein müsse, ob nicht vielmehr — und darüber waren wir uns in der Budgetkommission schon einig — andere Erfordernisse für das einjährige Examen und später für das Abiturientenexamen geschaffen werden können. Ich habe bereits in der Budgetkommision zugesagt, daß wir in eine wohlwollende Prüfung eintreten werden, und ich sage das auch im Plenum zu. (Bravo
Abg. von Böhlendorff-Kölpin (oͤkons ). Wir können die Anregung des Abg. Kuckhoff nur unterstützen. Die Frage des Kredits, speziell des Meliorationskredits, hat die Kommission ausgiebig beschäftigt. Die Verwaltung wird gut daran tun, sich mit den leitenden Persönlichkeiten unserer landwirtschaftlichen Genossenschaften sowie mit den nie r r, Landschaften zu diesem Zwecke in Ver— bindung zu setzen, auch Volkswirte, die ständig in Berührung mit der Bevölkerung stehen, heranzuziehen. Sollen in unseren Schutz gebieten Werte entstehen, sę muß für. Wassererschließung gesorgt werden. Man darf nicht alles der Privattätigkeit überlassen. Die großen Kosten der Bohrversuche haben . überrascht; auch wundere ich mich, daß man nicht aus der Hemma ondern aus dem Kaplande Bohrmaschinen beschafft hat; auch in dieser Beziehung soll man die heimische Industrie berücksichtigen. Eine Resolution zielt auf die möglichste Verminderung der Schutztruppe für 1913 ab. Die Schutz⸗ truppe ist bereits auf 1700 Mann reduziert, eine so geringe 8e. daß man eine weitere Verminderung schon aus Rücksichten der Sicherheit nicht befürworten kann. .
Abg. Dr. Paasche (ul): Ich will mich auf einige Be— mer kungen beschränken. Es stand heute zu meinem Erstaunen in der Zeitung zu lesen, daß ich Südwestafrika die versoffenste Kolonie ge— nannt 6. Dagegen 31. ich, sofort Protest erheben. Ich habe gesagt, der Abg. Noske habe Südwestafrika die versoffenste Kolonie genannt. Ich habe nicht daran gedacht, mich diesem Urteil an⸗ n . Ich weiß, daß dort recht tüchtige Beamte sind, die ihre Schuldigkeit tun. Wenn wir die Kolonie fortentwickeln wollen, so muß genügend Wasser vorhanden sein. Es ö. noch ganz anders gebohrt werden. Unsere Bohriechniker werden heute überall gesucht, man sollte es ihnen erleichtern, in Südwestafrika tätig zu sein.
Abg. Gothein (fortschr. Volksp): Die Wasserfrage ist aller⸗ dings fuͤr Südwestafrika eine große Frage. Darin stümme ich dem Vorredner bei, auch darin, daß dort die Bohrindustrie am meisten entwickelt ist. Der Preis, der in Südwestafrika für das Meter des Bohrloches gefordert wird, scheint mir aber sehr hoch zu sein. Was die Schaffung der Kreditorganisation betrifft, so handelt es sich um die Schaffung eines gesunden Kredits, Es ist zu begrüßen, daß uns ein Nachtragzetat vorgelegt werden soll mit einer Forderung, die den Grundstock für die Kreditgewährung bilden soll. Das Nähere wird der Staatssekretär mit den Interessenten in der Kolonie zu verein—⸗ baren haben; vom grünen Tisch, wenn auch unsere Tische blau über⸗ zogen sind, läßt sich die Sache nicht machen. Es ist gesagt worden, die Zabl der Schutztruppe sel jetzt schon vermindert worden; aber die jetzige Truppe kostet uns beinahe soviel wie die frühere größere. Wenn wir in denselben Verhältnissen die Deeresausgabe in Deutsch2 land bestritten, so müßten wir jährlich 130 Milliarden verwenden. Wir haben ein Interesse daran, den Daumen auf den Beutel zu halten. Die Verwaltung der Kolonie von hier aus ist zu teuer. Die Leute in Südwestafrika müßten Gelegenheit bekommen, in ihren eigenen Angelegenheiten mitzusprechen. Das gegenwärtige Verordnungsrecht ist ebenso ein Provisorium, wie das ganze Kolonialrecht. Wir müssen vor allem ein Kompetenzgesetz für die Kolonie haben, das der Staats⸗ sekretär in dankenswerter Weise zugesagt hat. Die Dienstperiode der Beamten zu verkürzen, ist nur in den Kolonien am Platze, wo die sanitären Verhältnisse dies erheischen. In Südwestafrika haben wir ein Klima, das dem Europäer durchaus zuträglich ist, deshalb kann man hier davon absehen, die Beamten alle drei Jahre 353 Deutsch⸗ land zurückzuziehen. Ich kann Ihnen deshalb nur die Resolution n e n, die die Dienstperiode der deutschen Beamten in Süd westafrika von 3 auf 4 Jahre verlängern will. Die Hauptsache ist die Ausgestaltung der Selbstverwaltung in diesen Schutzgebieten, es muß durch ein allgemeines, geheimes, gleiches und direktes Wahlrecht eine Vertretung geschaffen werden, die der weißen Bevölkerung eine Mitwirkung an der Gesetzgebung des Schutzgebiets sichert. Allerdings muß die Gesetzgebung über die Eingeborenen der Zu— stimmung der gesetzgebenden Faktoren des Reichs vorbehalten bleiben, damit die Weißen nicht den Eingeborenen gegenüber ihren Herren⸗ standpunkt zur Geltung bringen. Die südwestafrikanischen Berg⸗ arbeiter müssen, wie es die Resolution der Kommission vorschlägt, ausreichend geschützt und ihnen eine geordnete Krankenpflege und ge— . Unfallfürsorge zu teil werden. Ich hoffe, daß auch diese esolution einmütig vom Reichstag angenommen wird.
Abg. Noske (Soz.): Ein sehr erheblicher Teil der Nahrungs— mittel wird aus Kapstadt usw. nach Südwestafrika befördert. Das Verbot des Haltens von Großvieh durch die Eingeborenen sollte eine Strafe für den Hereroaufstand gewesen sein. Diese haben aber durch ihre Dezimierung schon hart daß müssen. Der wahre Grund des Verbots war, daß man den geringen Rest der Hereros als Arbeiter ausnutzen wollte. Hüten sollte man sich in Südwestafrtla, die Militärverhältnisse von Deutschland dort einzuführen. Bei der Sicherung des Landes, bei der Organisation der Beamten⸗ körperschaft muß eine gründliche Aenderung des Systems stattfinden. Die Entwicklung von Südwestafrika ist. wesentlich basiert auf der Diamantengewinnung. Sobald die Diamantengewinnung nach— läßt, bleiben die großen Erträge aus den, Zöllen aus, und es muß ein großer finanzieller Krach eintreten. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Landes ist, wie nicht bestritten werden kann, eine außerordentlich trübe. Nur 1390 Ansiedler sind dort vorhanden, und es steht fest, daß nur ein geringer Teil von ihnen wirtschaftlich vorwärts gekommen ist. Eine ganze Anzahl von Leuten ist davon— gelaufen. Das zeigt, wie wenig groß das Zutrauen ist, dort weiter zu kommen. Augenblicklich stagnlert die Entwicklung Südwestafrikatz. Der Abg. Paasche verwahrte sich dagegen, daß er Südwestafrika die versoffenste Kolonie genannt habe. Kein Geringerer als Dernburg hat auf die erschreckende Zunahme des Alkoholverbrauchs in den
ist eine respektable Ziffer. Darum ist die von mir gewählte Bezeichnung keine unzutreffende. Infolge des Regenmangels im vorigen Jahre befinden sich viele Ansiedler in einer schlimmen Lage. Wenn die Wassererschließung des Landes durch große technische Foit— schritte nicht erhöht wird, ist an eine 8 der weißen Be— völkerung nicht zu denken. Unter den dortigen klimatischen Ver— hältnissen ist ein Arbeiten sehr schwer. Die Sterblichkeit infolge von Skorbut usw. ist gegenwärtig unter den Arbeitern noch sehr groß. Wir haben allen Anlaß, mit gespannter Aufmerksamkeit der Ovambobewegung zu folgen. Wir hätten dann mit einer farbigen Truppe im Ovgmbolande zu rechnen, wie von zuständiger Seite versichert wurde. Das hätte dann wieder eine Erhöhung der Kosten zur Folge. Ob das Land rascher zu besiedeln ist, ist sehr fraglich. Es ist charakteristisch, wie von seiten einzelner Regierungsvertreter in der Kommission Schwarzmalerei getrieben worden f es soll nicht möglich sein, die Dienstperioden der Beamten in Südwestafrika zu verlängern. Ist das richtig, so ist erst recht unverantwortlich, kleine Leute in Südwestafrika anzusiedeln. Zunächst handelt es sich darum, die im Lande vorhandenen Leute nicht wirt⸗= schaftlich zusammenbrechen zu lassen. Dazu gehört zunächst Wasser. Das kostet aber sehr viel Geld, und das kann kaum anders als durch Wassergenossenschaften beschafft werden. Mjt der von der Regierung in Aussicht genommenen Kreditorganisation für Suͤdwest— afrika können wir uns nicht einverstanden erklären. Der Abg, von Böhlendorff sagte, die Schutztruppe sei auf ein Minimum reduziert worden. Nun, dies Minimum kostet 40 Mill. Mark. Von einer Aufstandsgefahr kann gegenwärtig nicht geredet werden, außer— dem ist die Zahl der Weißen jetzt größer als vor dem Aufstande. Wir haben einen Antrag auf einen weiteren Abstrich von der Zahl der Schutztruppe diesmal nicht gestellt, weil wir hoffen, daß auch ohnehin eine Reduktion eintreten wird. Der Stagtssekretär will sich in dem Schutzgebiete selber informieren, ob eine Verminderung der Zahl der Beamten möglich ist. Viel verspreche ich mir davon aber nicht. Ist die Regierung der Frage der Einsetzung ehrenamtlicher Beamten nähergetteten? Der Ausgabeetat des Schutzgebiets ist. unverhäl tnis— mäßig groß. Deshalb müssen vor allem die Dienstperioden der Be— amten verlängert werden. Jeder Polizeibeamte in , kostet uns jeh 6500 46. Im Kapland ker en ann diesem Gebiete ein großes Reinwaschen vorgenommen. So wie bisher, kann es jedenfalls in Südwestafrika nicht weitergehen, das können die deut— schen Steuerzahler nicht ertragen. Südwestafrika ist zu einem Danaergeschenk für das ö. Volk geworden.
Abg. Erzberger. Gentr): In Südwestafrika sind zwei Dinge unbedingt notwendig: Geld und Wasser. Es muß i m Laufe un, Jahres eine oͤffentlich⸗rechtliche Landes⸗Kreditanstalt dort exrichtet werden. Von ungezählten Millionen kann dabei nicht die ?,, Der Staatssekretär wird ja die Sache auf seiner Reise zu prüfen haben. Es handelt sich auch um eine werbende Anlage. Die Förderung der Bohrungen in Südwestafrika müßte vom Privatkapital in höherem Maße in die Hand genommen werden. Es könnte ohne allzu viel Geld viel . diesem Gebiete erreicht werden. Am besten wäre es, wenn al les durch private Tätigkeit in der Bohrungsfrage gemacht würde. Was die Höhe der Schutztruppe betrifft, so hat der Abg. Noske in der Kommission überhaupt keinen Antrag gestellt. Auch ich hätte es gern gesehen, daß schon in diesem Jahre eine Ver— minderung der Schutztruppe auf etwa 1200 Mann vorgenommen würde. Nachdem aber der Staatzssekretär eine Prüfung der Frage an Ort und Stelle in Aussicht gestellt hat, bescheiden wir uns. Wir erwarten, daß er im nächsten Jahre entsprechende Vorschläge machen wird, damit wir dort nur e ine militärisch-organisierte Macht haben. Auch die Verwaltung der Schutztruppe für kulturelle Zwecke ist im Auge zu behglten. Besonders empfehlen möchte ich dem Staats— . die Resolution der Kommission, die den Reichskanzler zu Maßnahmen gegenüber der Kaoko⸗Land⸗ und Minen-Gesellschaft, be— sonders bezüglich der Schürffreiheit auffordert. Möge der Staats— sekretär von seiner Reise nach Südwestafrika mit fruchtbaren Ideen zurückkehren, die geeignet sind, das Schutzgebiet finanziell zu entlasten.
Damit schließt die Besprechung.
Das Gehalt des Gouverneurs wird bewilligt.
Die von der Budgetkommission vorgeschlagenen Resolu— tionen, betreffend die Verlängerung der Dienstperiode der deut schen Beamten in Suh ff fte betreffend Vorlegung eines Kompetenzgesetzes für amtliche Schutzgebiete, und betreffend die Einführung eines Parlaments in Südwestafrika, werden angenommen; gegen die letzte Resolution stimmt die gesamte Rechte. Angenommen wird auch die Resolution Albrecht wegen Aufhebung der Verordnungen über die Haltung von Großvieh durch die Eingeborenen. Ferner wird die von der Kommission vorgeschlagene Resolution angenommen, die die Verwendung der Schutztruppe zu öffentlichen wirtschaftlichen Arbeiten, eine anderweitige Organisation der Landespolizei und die Herab⸗ in der Stärke der Schutztruppen und der Landespolizei ordert.
Die Kommissionsresolution wegen der Bohrungen in Süd⸗ westafrika gelangt gegen die Stimmen der Sozialdemokraten zur Annahme. Der Rest der Dauernden Ausgaben wird ohne Debatte nach den n, der Kommission bewilligt.
Bei den Einmaligen Ausgaben hat die Kommission die Ortszulage von 40 000 MSI für Lüderitzbucht gestrichen.
Auf Antrag des Abg. Roland-⸗-Lücke (ul), der auf die eigenartige Lage der dortigen Beamten hinweist, wird die Regierungsforderung wieder hergestellt.
Bei den Einnahmen werden die Kommissionsresolutionen, betreffend die Reform der Diamantenregie, betreffend die Er 6. einer öffentlich⸗rechtlichen Landeskreditanstalt, be treffend Maßnahmen gegen die Kaoko⸗Land⸗ und Minengesell⸗
die Beamten des Bezirks
schaft und . den Schutz der Bergarbeiter angenommen.
. ist der Etat für das Schutzgebiet Südwestafrika erledigt.
Es folgt der Etat für das Schutzgebiet Sam oa. Hierzu schlägt die Kommission folgende Resolution vor:
„die verbündeten Regierungen um Einführung eines Gesetz— entwurfs zu ersuchen, welcher die Gültigkeit der Ehen zwischen Weißen und Eingeborenen in allen . Schutzgebieten sicher⸗ stellt und das Recht derjenigen unehelichen Kinder regelt, auf welche etwa das Bürgerliche Gesetzbuch zurzeit nicht Anwendung findet.“
Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:
Meine Herren! Die Frage, welche jetzt zur Verhandlung steht, ist eine sehr ernste Frage, und ich bitte Sie, heut zum ersten Male daran erinnern zu dürfen, was ich mir erlaubt habe als Einleitung zu meiner Etatsrede Ihnen auseinanderzusetzen: ich bitte Sie, die Mischlingsfrage nicht vom Parteistandpunkte, sondern vom allgemeinen nationalen Standpunkte aus zu betrachten! Ich habe den einen Wunsch und die eine Bitte an das hohe Haus: es möge die Re— solution der Budgetkommission reformieren und nicht annehmen.
Meine Herren, das Problem der Mischehen ist ein außer— ordentlich schwieriges Problem und, wie ich bereits vor einigen Wochen hier an dieser Stelle gesagt habe, sehr schwer verständ⸗ lich für diejenigen Deutschen, die in der Heimat leben und nicht jene Länder kennen, wo sich Schwarz und Weiß berührt.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
artig, denn es handelt * vorläufig nur um eine noch in der Ent⸗ wicklung begriffene Realschule in Windhuk, die 1909 mit der Sexta
Kolonien hingewiesen. Auf 27 Cinwohner kommt eine Kneipe. Das
zum Deutschen Neichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
3 G7.
Zweite Beilage
Berlin, Freitag, den 3. Mai
1912.
——— — — — r
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Ich will kelne juristischen Ausführungen machen; ich möchte nur die Tatsachen auf Sie wirken lassen, die Tatsachen, wie sie in anderen Staaten und Nationen festgestellt worden sind, die länger Kolonialpolitik treiben als wir. Denn die üblen Folgen der Misch⸗ ehen sind von allen Nationen erkannt worden, die ihr kolonisatorischer Beruf in Berührung mit farbigen Völkern niederer Kultur und minderer Zivilisation gebracht hat. Die sämtlichen Tatsachen, die sich auf die Mischehenfrage bezlehen, faßt man in Indien unter dem Stichwort der eurasischen Frage zusammen, und die mit der Zeit immer schwieriger werdende Lösung dieser Frage macht den indischen Staatsmännern — und analoge Fragen in den anderen englischen Ko—⸗ lonien der britischen Kolonialverwaltung überhaupt — Kopfzerbrechen. Aehnlich, meine Herren, geht es den Holländern in ihren malaiischen Besitzungen, ähnlich den latinischen Staatsgebilden in Südamerika, und wenn Sie, meine Herren, in dem Buch der Geschichte Brasiliens blättern, so werden Sie fast auf jeder Seite Argumente finden für die Stellungnahme, die ich einnehme gegen die Mischehen.
Und, meine Herren, was ist denn die negro question — die Negerfrage — in den Vereinigten Staaten von Amerika etwa anders als eine Mischlingsfrage? Von den 11 Millionen — ich betone: 11 Millionen, denn in den Budgetdrucksachen steht 11 000 — Bürgern der Vereinigten Staaten, die aus Westafrika stammen, ist nur ein ver⸗ schwindend kleiner Tell ungemischt, die überwiegende Mehrheit sind Mischlinge aller Nuancen von den früheren afrikanischen Sklaven und Amerikanern. Meine Herren, das 13. Amendement zur Konstttution der Vereinigten Staaten und das Lincolnsche Emanzipationsedlkt sind warnende Menetekel für alle kolonisierenden Nationen. Mißverstandene Humanität rächt sich ebenso wie würdeloses Herabsteigen zur niederen Rasse. (Sehr richtig) Meine Herren, Sie mögen gegen die Sklaverek sagen — und ich habe schon neulich betont, daß wir selbstverständlich gegen die Sklaverei sind und sein müssen von unserem ethischen Standpunkt aus — was Sie wollen: aber, meine Herren, der Neger hat sich in den alten patriarchalischen Verhältnissen in den Südstaaten besser gefühlt, als er sich jetzt inner lich, als Mensch, fühlen muß. (Sehr richtig!)
Melne Herren, die Anerkennung des Negers als weißer Bürger in der Theorie und die Bemühungen eines selbstbewußten Volkes, die Konsequenzen dieser Theorie zu verhindern, führt in Amerika zu un⸗— geheuerlichen Konsequenzen. Jetzt ist der Neger frei! Er kann sogar Präsident werden, wenn er nicht vorher gelyncht wird! (Heiterkeit. ) Meine Herren, Sie mögen über die Brutalität des Lynchens noch soviel sagen, es wird bestehen bleiben, bis Staatsgesetz und Volks⸗ empfinden im Gleichklang steht.
Meine Herren, ich bitte Sie dringend, sich in dieser Frage von Ihren Instinkten leiten zu lassen, ich bitte Sie dringend, keine sozialpolitischen und dogmatischen Momente in das Problem der Mischehen hineinzutragen. Ich bitte Sie, einfach die nackten Tat⸗ sachen auf sich wirken zu lassen. Sie senden Ihre Söhne in die Kolonien: wünschen Sie, daß sie Ihnen schwarze Schwiegertöchter ins Haus bringen, wünschen Sie, daß sie Ihnen wollhaarige Enkel in die Wiege legen? (Heiterkeit) Aber noch viel schlimmer: die Deutsche Kolonialgesellschaft gibt jährlich o 000 M dafür aus, daß weiße Mädchen nach Südwestafrika geschickt werden: wollen Sie, daß diese weißen Mädchen mit Hereros, mit Hottentoten und Bastarden zurückkehren als Gatten? Nein, meine Herren, lassen Sie die Tat⸗ sachen auf sich wirken, Ihre Instikte als Deutsche, als Weiße! Die ganze deutsche Nation wird Ihnen Dank wissen, wenn Sie keine andere Erwägung haben als die: wir sind Deutsche, wir sind Weiße und wollen Weiße bleiben. Das ist nicht der von den Sozial— demokraten geschmähte Herrenstandpunkt, den Farbigen gegenüber ist auch der Proletarier Herr, und gerade Sie, die Herren Sozial demokraten, müßten auf meinem Standpunkt stehen. Denn nicht der Wohlhabende kommt draußen in die Lage, sich eine eingeborene Frau zu heiraten, nein, der arme Mann, der kleine Mann kommt in diesen Konflikt, und gerade den zu schützen, haben Sie sich zur Pflicht ge— macht. Und das können Sie in den Kolonien nur, wenn Sie sich meiner Ansicht anbequemen und die Mischehe verurtellen.
Meine Herren, ich lasse juristische und sonstige Erwägungen völlig belseite, ich bitte Sie, sich nur zu halten an das Ungeheuerliche der Tatsachen. Der Herr Abg. Schwarze hat gestern sehr richtig ausge⸗ führt, wir müßten in unseren Kolonien zweifellos alles dafür tun, daß die Baumwolle nicht verbastardiert würde. Sitzt uns das Hemd nicht näher als der Rock; sollen wir dulden, daß unsere Rasse ver— bastardiert werde?
Ich bitte Sie also, meine Herren, den Beschluß der Budget⸗ kommission zu reformieren, und bitte Sie, sich auf den Standpunkt zu stellen, auf dem die Reichsregierung steht, nämlich sich gegen die Mischehe auszusprechen. (Bravo!)
hh von Böhlendorff⸗Kölpin (dkons) verzichtet aufs
Abg. Ledebour Sy: Die Rede des Staatssefretärs ist das Erflaunlichste, was wir seit langem gehört haben. Seine Worte richteten sich nicht gegen die betreffende Ehe als solche, sondern gegen den Geschlechtsverkehr und seine Resultate. Er sollte doch keine Ver⸗ schleierung treiben und offen hrraussprechen. Es ist doch eine Tat⸗ sache, daß die 10 Millionen Mischlinge in Nordamerika Rélultgte des Konkubinats oder des ungeregelten Geschlechtsverkehrs sind. In allen Kolonken anderer Völker sehen wir genau dasselbe Resultat. Wir müßten mit Blindheit 8 sein, wenn wir uns der Tat⸗ sache verschlössen, daß das Entstehen der Mischlinge eine Natur⸗ notwendigkeit ist. Wenn es ein Unheil ist, daß solche Mischlinge entstehen, fo müßte man die Kolonien aufgeben und die jungen, Leute von dort zurückziehen. Wollen Sie etwa, daß deutsche Mädchen, die dort hingehen, sich mit den Eingeborenen abgeben? Was haben Sie getan, um das Unvermeidliche zu hintertreiben. Sie haben die Ehen zwischen Weißen und Eingeborenen in Südwest und in Samoa verboten, nicht in anderen Kolonien. err von Schuck⸗ mann, der bekannle sittliche Reformator aus dem bgeordnetenhause, hat dies in Südwestafrika getan und damit einfach die Pro⸗
Wor
Gouverneur von Samoa dann auch in den jauren Apfel gebissen. Die jungen Kaufleute und Beamten, die nach Samoa hinkamen, sind zum Teil zu wirklichen Ehen geschritten, S0 im ganzen. Jetzt ver⸗ bietet der Gouverneur den Welßen die Ehe. Was ist das für ein unglaublicher Zustand! Diese 80 Ehen werden dadurch einfach defamiert. Ist das die Aufgabe der deutschen Verwaltung? Wenn es wirklich möglich fein soll, nicht bloß die Ehe zwischen Weißen und Samoanern zu verbieten, sondern auch den Geschlechtäverkehr ein⸗ zuschränken, dann ist es nötig, für die deutschen fig Leute eine entsprechende Anzahl von deutschen Frauen und Mädchen hin⸗ zubringen. Das würde aber an den Kosten scheitern. Der Staatssekretär hat als Gouverneur seine Stimme erhoben gegen die Ehe mit weißen Frauen, weil das Resultat degenerierte Weiße sein würde. Und da verbietet er die Ehe zwischen Welßen und Samoanerinnen! Ja, was wollen Sie denn eigentlich? Das sind geradezu unsinnige Widersprüche. (Vizepräsident Dr. Paasche rügt diesen Ausdruck.) Dann hitte ich den Staatssekretär, diese Widersprüche aufzuklären. Es bleibt doch nur das Konkubinat oder der ungeregelte Geschlechtsverkehr übrig. Die eigentliche Triebfeder ist:; man befürchtet, daß durch die Vermischung mit weißem Blut die Widerstandskraft der samoanischen Bevölkerung wächst. Das Entstehen von Mischlingen können Sie nicht verhüten. Wir stehen vor der ungeheuerlichen Tatsache, daß, während man den Geschlechtsverkehr nicht verhindern, kann, seine böchste Form, die Ehe, verhindert wird. Das ist Ihre Christlichkeit. Der Staatssekretär bat, die Frage nicht als Parteifrage zu behandeln. In der Tat müssen hier alle Parteirücksichten verstummen und nur die Stimme der Menschlichkeit zur Geltung kommen.
Inzwischen ist ein Vertagungsantrag der Abgg. Basser⸗ mann (nl. und Dr. Spahn (Zentr.) eingegangen.
Vizepräsident Dr. Paasche schlägt dagegen vor, Mischlingsfrage zu vertagen und den Etat selbst zu erledigen.
Die Abgg. Ledebour (Soz.), Ba ssermann (nl) und Erzberger (Zentr.) erklären sich damit einverstanden unter der Voraussetzung, daß morgen zunächst die Frage der Aenderung der Geschäftsordnung verhandelt wird.
Damit ist das Haus einverstanden.
Das Gehalt des Gouverneurs wird bewilligt und der Rest des Etats oh ne weitere Debatte genehmigt.
Schluß 71½ Uhr. Nächste Sitzung Freitag pünktlich 1Uhr. Anträge wegen Aenderung der Geschäftsordnung; Fortsetzung der Besprechung der Resolution wegen der Misch⸗ lingsehen.)
nur die
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 62. Sitzung vom 2. Mai 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt zunächst die zweite Beratung des Etats des Ministeriums des Innern für 1912 im Kapitel „Medizinalwesen“ fort.
Zu den Besoldungen für die Kreisärzte spricht Abg. Underberg (Zentr. den Wunsch nach Errichtung eines sedikamentenvertriebes in Breyell in der Rheinprovinz aus. Ein Regierungskommissar erkennt das Bedürfnis für Breyell an und sagt Erfüllung dieses Wunsches zu. . Abg. Dr. Wag ner-⸗Breslau ffreikons. j Die Neuorganisation der Kreisärzte hat sich durchaus bewährt, und die Phantasien einzelner Herren gegen diese Einrichtung sind auf das richtige Maß reduziert worden. Allerdings hat auch hier der alte Satz gegolten: Neue Besen kehren gut, aber jetzt gibt die Organisation zu irgendwelchen An— ständen keine Veranfassüng mehr. Ich habe nur zwei Wünsche zu äußern. Zunächst müssen die Kreisärzte ihr besonderes Augenmerk auf alle die Falle richten, wo die spinale Kinderlähmung und die Genick starre irgendwie mit der Schußpockenimpfung in Verbindung gebracht werden kann. In der Petitionskommission lagen mehrere Petitionen vor, worin ausgeführt wurde, daß infolge der Schutzpockenimpfung Kinder an der spinalen Kinderlähmung erkrankt seien, und in einem ö. eine staatliche Rente verlangt wurde, weil ein Kind wegen eines gelähmten Armes nicht für seine Eltern sorgen konnte. Die Impfgegner haben diese Fälle mit großer Energie verfolgt; Eine Broschüre des Sanitätsrats Belzinger Genickstarre, Kinderlähmung und Impfung“ sucht zu beweisen, daß die Impfung die Ursache der zunehmenden spinalen Kinderlaͤhmung und der Genickstarre sei. Diese Verbindung kann aber nicht angenommen werden. Um das festzustellen, ist es wichtig, daß die Kreisärzte ihr hesonderes Augen⸗ merk auf alle diese Fälle richten. Im vorigen Jahre lagen der Petitionskommissson drei Fälle vor, die einfach nach dem Grundsatz: „post, hoc, ergo proptér hoc“ behandelt waren. Es war aber kaum anzunehmen, daß hier irgendein, kausaler Zusammenhang bestand. Wenn aber Sanitätsrat Belzinger in seiner Broschüre fagt, die Fälle von Genickstarre und Kinderlähmung kämen deshalb fo häufig vor, weil eine gemeinsame Grundlage, nämlich die Pocken, vorliege, so ist es dringend notwendig, moönlichst, überall den Beweis zu führen, daß diese Zusammenstellung unbegründet ist. Alle Reichstagskandidaten wurden von dem Verein der Impfgegner mit Anfragen überschüttet, wie sie sich zur Impffrage stellen, und ob sie für die Bildung einer Kommission stimmen würden, die aus Impffreunden und Impfgegnern zusammengesetzt sein würde. Ich Fabe darauf geantwortet, daß ich gegen die Bildung dieser Kommission nichts einzuwenden haben würde, weil ich annehme, daß die Impf⸗ gegner durch Vernunstgründe belehrt werden und von ihrer Agitation ablassen könnten. In der Broschüre stößt man auf die interessante Aeußerung. daß die n,, der Kinder dazu beigetragen habe — (Praäͤsident Dr. Freiherr von Erffa macht den Redner darauf aufmerksam, daß es fh um den Titel der Kreisärzte handle). Ich wollte nur beweisen, daß die Kreisärzte dieser Frage ö,, müssen. Ferner wünschte ich, daß die Schulärjte aus hygienischen Gründen einmal sich mit der Frage heschäftigen, ob der frühe Schul⸗ anfang im Sommer um 7 Uhr angebracht ist. In dem Bericht eines Pfychlaters habe ich gelesen, daß die fortwährende Verschiebung des Schulunterrichts um eine Stunde im Sommer unzuträglich sei. Die Berufe, die frühzeitig ihr Tagewerk beginnen müssen, sollen mehr Krankheitsfälle stellen, als andere. Es ist interessant, daß die Land— wirtschaft, die ja besonders Frühaufsteber braucht, eine größere Kranken⸗ zahl aufweisen soll. Das soll kein Privilegium für alle Faulpelze sein, daß sie möglichst lange liegen bleihen, aber ich möchte doch bitten, daß auch die Kreisärzte in ihrer amtlichen Eigenschaft sich über diese für einen großen Teil der Bevölkerung wichtige Frage fal fg gf. sie den früheren Schulanfang im Sommer für angebracht halten. (Präsident Dr. Freiherr von Erffa verweist den Redner nochmals auf die Sache.) Speziell in Breslau haben sich außerordentliche Uebelstände bemerkbar gemacht, und das hängt, was ich wohl kaum noch sagen darf, damit zufammen, daß im Ssten nach der Ortszeit der Schulanfang noch
miscuität herbeizuführen gesucht. Der Staats sekretãr hat als früherer
räher, in Breslau nicht erst um 7 Uhr, sondern nach der Ortszeit . um 6 Uhr 40 Minuten stattfindet. Die Verschiebung geht
nach Osten immer weiter, die Kinder im Osten werden immer früh zeitiger hinausgetrieben. Das bedarf ernstlich einer Remedur, und ich bitte die Kreisärzte, darauf ihr Augenmerk zu richten. Ministerialdirektor Dr. Kirchner: Die Kreisärzte achten schon besonders auf die Fälle der Genickstarre und der Kinderlähmung, und in den Aerztekursen werden sie darauf hingewiesen. Ein Zusammen⸗ hang zwischen der Pockenimpfung und diesen Krankheiten ist nicht fest⸗ zustellen. Mit der Anregung wegen des Schulanfangs wird sich die Unterrichtsverwaltung beschäftigen. . Abg. Dr. Crüger (fortschr. Volksp.): Die Feuerbestattung wird durch die hohen Gebühren der Kreisärzte fast unmöglich gemacht. Sehr oft wird die Leichenöffnung verlangt. Ich möchte den Minister bitten, hier Abhilfe zu schaffen. Es scheint fast, als ob ein Erlaß ergangen wäre, daß die Kreisärzte die Durchführung des Gesetzes erschweren sollen. ⸗ . Ministerialdirektor Dr. Kirchner: Es ist vollständig un⸗ richtig, daß ein solcher Erlaß ergangen ist. Wir denken nicht im geringsten daran, die Durchführung des Gesetzes irgendwie zu erschweren Bei dem Titel „Institut für Infektions⸗ krankheiten in Berlin“ wird auf Antrag des Abg. von der O ten (kons.) ohne Debatte beschlossen, gemäß der Kabinettsorder vom 29. März 1911 auch im Etat diesem Institut den Namen des Professors Koch hinzuzufügen.
Bei den Ausgaben für die „Versuchs⸗- und Prüfungsan stalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitig ung in Berlin“ beklagt sich
Abg. Hoevoeler (Zentr.) über die Verunreinigung der Niers durch Abwässer in den Kreisen Gladbach, Kempen, Geldern und Kleve. Unterhalb Gladbachs sei überhaupt jedes organische Leben erloschen. Der Redner fragt, ob die Vorverhandlungen so weit gediehen seien, daß nun endlich Vorschläge zu einer Aenderung dieses Zustandes von der Regierung gemacht würden.
Geheimer Obermedizinalrat Dr Abel erklärt, daß die Regierung die Uebelstände voll anerkenne und die Versuchs⸗ und Prüfungsanstalt mit einer Untersuchung der Wässer der Niers beauftragt habe. Dieses Gutachten liege jetzt vor, und hoffentlich gelinge es, durch einen Zufammenschluß der in Betracht kommenden Gemeinden die Ver⸗ unreinigung der Niers zu beseitigen. .
Abg. Underberg (Zentr.) schließt sich den Ausführungen des Abg. Hoeveler an und bittet um eine möglichst schnelle Regelung.
Bei den Ausgaben für das „Hygienische Institut in Posen“ macht
Abg. Dr. König Gentr) auf die Notwn h digkeit aufmerksam, mehr Nahrungsmittelchemiker anzustellen. Nur ein geringer Teil der Nahrungsmittelchemiker sei zurzeit fest angestellt, die Mittel reichten zu einem angemessenen Lebensunterhalt nicht aus. Eine Anrechnung der Dienstzeit finde beim Uebergang von einer Anstalt zur anderen nicht statt, auch mit dem Sommerurlaub sei es schlecht bestellt. Man wünsche eine Gleichstellung mit den übrigen gleichwertigen akademischen Berufen.
Bei den Ausgaben für das „Hygienische Institut in Beuthen“ befürwortet
Abg. Stanke (Gentr.) die Errichtung eines Nahrungomittel⸗ amtes in Ratibor. Ratibor sei jetzt auf das Institut in Oppeln an⸗ gewiesen, das aber zu weit entfernt sei. Uebrigens hätten alle preußischen Grenzstationen derartige Institute.
Mmnisterialdir ktor Dr. Kirchner: Der Bedarf für Ratibor ist durchaus gedeckt durch die Institute in Oppeln und Beuthen. Eine weitere Gründung wüide sich nicht empfehlen.
Bei dem Zuschuß von 1800 6 für einen Arzt auf der Kurischen Nehrung, der als künftig weg⸗ fallend bezeichnet ist, bittet
Abg. Dr. Gaigalsgt Eitauer), dafür zu sorgen, daß auch künftig ein Arzt sich dort niederläßt und der Zuschuß wieder bewilligt wird.
Damit sind die ordentlichen Ausgaben für das Medizinal⸗ wesen erledigt.
Bei den einmaligen und außerordentlichen Ausgaben wüinscht
Abg. Velt in Gentr.), daß die Kellerkontrolleure nicht dem Nahrungsmittelamt, sondern den Regierungspräsidenten unterstellt würden. Um die Auslegung, die das Reichsgericht dem Begriff „guter Jahrgang“ gegeben hat, hätten sich manche Nahrungsmittel⸗ ämter nicht gekümmert. Er würde der Regierung dankbar sein, wenn sie die betreffenden Instanzen zur Beachtung dieser Entscheidung an⸗ halten würde.
Im übrigen werden die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben ohne Debatte bewilligt.
Damit ist der Etat des Innern erledigt.
Bei Beratung des Etats des Finanzministe⸗ riums waren die Anträge der Abgg. Dr. Schroeder⸗ Cassel (nl.),, Aronsohn (fortschr. Volksp. und Dr. Arendt freikons.), welche eine Erhöhung der Pensionen und Relikten⸗ bezüge der sog. Altpensionäre teils durch Gesetz, teils durch Erweiterung des Ctatsfonds für die Unterstützungen wünschen, an die Budgetkommission überwiesen worden. Die Kommission beantragt nunmehr die Ablehnung der Anträge und die Annahme folgender Resolution:
„die Regierung zu ersuchen,
a. die Voraussetzungen und die Bemessung der aus den Fonds für Altpensicnäre zu gewährenden Unterstützungen sowie das Verfahren zur Feststellung der persöͤnllchen Ver- hältnisse durch allgemeine Grundsätze zu regeln und diese Grundsätze dem Hause der Abgeordneten noch im Laufe der gegenwärtigen Tagung mitzuteilen;
die für die vensionierten Lehrer aus der früheren Berechnung des Wohnungswertes entstandenen Härten besonders zu berücksichtigen; ;
dafür Sorge zu tragen, daß bei der Feststellung der pPer⸗ sönlichen Verhältnisse der Altpensionäre jede unnötige Be⸗ lästigung vermieden wird;
im laufenden Jahre die erforderlichen Ueberschreitungen der betreffenden Fonds eintreten zu lassen und im nächsten Jahre die Fonds angemessen zu erhöhen.“
Die Abgg. von Goßler (kons), Schmedding⸗ Münster (Zentr) und Krause-Waldenburg (freikons.) be⸗ antragen, hinter Absatz a. noch folgenden Absatz einzuschieben:
nach diesen Grundsätzen auch ohne Antrag zu verfahren;“
Die Abgg. Dr. Schroeder⸗Cassel (nl) und Witz⸗ mann (nl.) beantragen: —
die Regierung zu ersuchen, noch im Laufe dieser Session
einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher eine prozentuale Erhöbung
a. der Penfionen der vor dem 1. April 1908 in den Ruhe⸗ . getretenen Staatsbeamten, Lehrer und Lehrerinnen owie
Ministeriums des
Staatsbeamten und Lehrern vorsieht“.
! p. der Reliktenbezüge der Witwen und Walsen von solchen
Hö