wicklung des . hinweisen und hinzufügen, daß augen⸗ blicklich die Einkommensteuer viel zu niedrig eingeschätzt ist. Schließlich will ich noch namens meiner politischen Freunde fest— siellen, daß die neulichen Aeußerungen der sozialdemokratischen Abgg. Ströbel und Liebknecht uns auf das allertiefste verletzt haben. ir sind stolz, Preußen zu sein, und werden uns diesen Stolz von den Sozialdemokraten nicht rauben lassen. Wir sind uns wohl bewußt, was Preußen für die Einigung Deutschlands geleistet hat, und im Programm der Fortschrittspartei steht die Forderung der Einigung Deutschlands auf Grund eines starken, zielbewußten Preußens.
Damit schließt die allgemeine Besprechung. Zum Spezialetat des Staatsministeriums bemerkt
Abg. Strosser (kons): Ueber die Chasakter⸗ und Titel⸗ verleihung an mittlere Beamte bestimmt ein Erlaß des Staats⸗ ministeriums, daß der. Titel als Rechnungs- oder Kanzleirat nur solchen mittleren Propinzial⸗ und Lokalbeamten verliehen werden soll, welche eine Gesamtdienstzeit von mindestens 30 Jahren hinter sich haben. Das Staatsministerium hat also bestimmte Grundsätze für diese Titel⸗ und Rangperleihung ausgesprochen. Nun ist es aber Tatsache, daß bei verschiedenen Staatsverwaltungen nicht nach diesen in n, verfahren wird, vielmehr, das fehr ein ziemlich willkürlicheß ist. Bei einer Reihe, von Staatsverwaltungen wird der Titel nach 49 Dienstjahren verliehen, bei anderen überhaupt nicht. Diese unterschiedliche Behandlung gleichwertiger Beamten⸗ falegorien und namentlich die Vorenthaltung des Ratstitels bei einzelnen Kategorien wird von den Beamten als eine Härte emp⸗ funden. Etzwas anderes wäre es, wenn derartige Titel überhaupt nicht verliehen würden; da sie nun aber einmal gegeben werden, so wäre es wirklich eine Aufgabe. des Staatsministeriums, hierin eine Gleichheit herbeizuführen, beispielsweise wird bei der Polizeidirektion in Magdeburg den Beamten der Titel erst, nach 46 Jahren ver⸗ 4 mn nach 30 Jahren, in Breslau und Steitin über⸗
aupt nicht.
Abg. Witzm ann (nl); Die Lage der Kriegsveteranen ist immer noch nicht gebessert. Man hat uns mitgeteilt, daß Preußen in dieser Angelegenheit nur die Vermittlungestelle der vom Reiche be⸗ willigten Beihilfen ist, und die Zahlung der Pensionen zum Ressort des Kriegsministeriums gehöre. Nach den Schilderungen, die mir zu— gegangen sind über die Notlage dieser Veteranen, muß es vielen von ihnen sehr schlecht gehen. Es ist dech nicht angangig, wenn man sie auf Almosen verweist und freiwillige Beiträge. Würden die dannaligen Heerführer noch leben, sie würden die Regierung ganz sicher überzeugen, daß für die alten Veteranen mehr, als es bisher geschieht, geschehen muß. Es wäre doch Sache Preußens, darauf hin⸗ zuwirken, daß den Kriegsveteranen ihr Recht geschieht.
Der zum Etat des Abgeordnetenhauses gestellte Antrag des Abg. von Ditfurth wird bis zum Ende der dritten Beratung zurückgestellt. Zur Begründung des Antrages über den Ankauf eines Grundstuckes für die Zwecke des Abgeordneten⸗ hauses nimmt das Wort
Abg. Strosser (kons): Unser Antrag wird von allen Parteien dieses Hauses empfohlen. Es“ ist ein dringendes Bedürfnis, das in Frage kommende Grundstück unter allen Umständen für die Zwecke des Abgeordnetenhauses zu sichern. Wenn dort von anderer Seite ein Haus gebaut würde, so würde darunter ganz besonders das Lesezimmer der Bibliothek, das nach dieser Seite hin liegt, zu leiden haben. Außerdem möchte ich dabei darauf hinweisen, daß ja auch das Herren⸗ haus einen Garten hesitzt. Für uns ist ein Garten deshalb er⸗ wünscht, weil wir ja häufig bis tief in den Sommer hinein tagen, und da ist es denn gut, wenn wir hier vom Hause aus einen Platz haben, wo wir im Freien weilen können. Ich bitte die Königliche Staatsregierung dringend, zu diesem Antrag Stellung zu nehmen und den Ankauf sobald als möglich in die Wege zu leiten, zumal ja das Grundstück für Zwecke des Kriegsministeriums, das, sobiel ich weiß, der j tzige Besitzer ist, nicht in Frage kommt.
Abg. Hoffmann (Soz.): 6h bitte, doch meine vorjährigen Anregungen betreffs der direkten Anstellung der Schreibmaschinendamen
und der Stenographen zu berücksichtigen. Unsere Diener, die die
Bescheidenheit selbst sind, sollten doch wenigstens einen freien Sonntag im Monat haben. ;
Der Antr(zz Strosser wird der Budgetkommission über⸗ wiesen, der Etat des Abgeordnetenhauses wird bewilligt, ebenso ohne Debatte der Etat der Domänenverwaltung.
Beim Etat der Forstoerwaltung befürwortet
Abg. Heine (nl) erneut die Erhöhung der Dienstaufwands—⸗ entschädigung der Förster und bemerkt dann; Die Zimmermeister he— klagen sich darüber, daß die fiskalischen Forsten zu viel Nutzholz im Wege der Submission verkaufen, woran sie sich nicht beteiligen können, well sie so viel Holz auf einmal nicht brauchen und auch meist die Sicherheit von 5000 S zu hinterlegen außer stande sind. So muß der Zimmermeister es zu höheren Preisen von den Großhändlern zurück⸗ kaufen. Die Förstereien sollten angewiesen werden, kleinere Lose zu machen oder das Holz freihändig zu verkaufen, eventuell Erleichte⸗ rungen in der Sicherheits- leistung zuzugestehen. Von der Bezirks— regierung in Cassel sind alle diese Anträge und Anregungen ab— gelehnt worden. Die gleichen Klagen wie die Zimmermeister er⸗ heben auch die Stellmacher und andere Handwerker. Wünschenswert ware auch eine solche Lagerung des Holzes, daß sich die rechtzeitige Abfuhr ermöglichen läßt.
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Ich bin selbstredend gern bereit, in eine weitere Prüfung der von dem Herrn Vorredner geäußerten Wünsche ein— zutreten. Ich möchte aber gegenüber der Beschwerde über das Ver⸗ halten der Königlichen Staatsregierung in Cassel hervorheben, daß grundsätzlich gegen die Entscheldung der Regierung kaum mit Recht ein Einwand erhoben werden kann. Die Regierung stellt sich auf den Standpunkt, daß, soweit der örtliche Konsum das Holz aufnehmen kann, auch das Holz im Wege einer öffentlichen Subhastation im Walde versteigert werden soll und nur, soweit die Holjmengen den ört⸗ lichen Bedarf übersteigen, soll der Verkauf im Wege des Submissions⸗ verfahrens bewerkstelligt werden. Dagegen ist an sich nichts zu sagen, und es kommt nur darauf an, wie diese Anordnung der Regierung in der Praxis ausgeführt wird. Da ist es nun Sache der örtlichen Interessenten, sich mit dem zuständigen Oberförster in Verbindung zu setzen und ihre besonderen Wünsche so rechtzeitig bekannt zu geben, daß vor Anberaumung der Versteigerung darauf Rücksicht genommen werden kann.
Ich kann im Augenblick ebensowenig wie der Herr Vor— redner prüfen, ob die diesbezüglichen Angaben zutreffen, bitte ihn aber, nur zu veranlassen, daß etwaige einen einzelnen Fall betreffende Be⸗ schwerden zu meiner Kenntnis gebracht werden; ich werde dann die Sache prüfen lassen und zutreffendenfalls für eine Aenderung des bie⸗ herigen Verfahrens Sorge tragen. Es liegt ja auf der Hand, daß auch der Forstfiskus ein erheblichez Interesse daran hat, nicht die Zahl der Käufer zu beschränken, vor allem nicht das Großgewerbe einseitig zu bevorzugen; er handelt richtig und im verständigen fiskalischen Interesse, wenn er möglichst viele Bewerber auftreten läßt, vor allem auch dafür sorgt, daß die in der näheren Umgebung des Waldes wohn · haflen Abnehmer nicht durch Mangel an Holz genötigt werden, ihre Betriebe einzustellen oder zu verlegen.
Wag nun dle Frage der Bürgschaftsleistung angeht, so gebe ich
gein zu — und manche mit vorgebrachten Klagen sprechen!
Abg. Klocke 6j der Sekretäre und Assrfka
auch dafür — daß die Bürgschaftsleistungen im einzelnen Fall für die Käufer Beschwerden und Unannehmlichkeiten zur Folge haben. Aber, meine Herren, auf der anderen Seite kann der Forst⸗ fiskus nicht darauf verzichten, daß in den Fällen, wo Kaufgelder gestundet werden, auch eine entsprechende Sicherheit geboten wird. Der Fiskus kann auch nicht auf die Forderung verzichten, daß in dem Augenblick, wo das Holz abgefahren wird, entweder der Preis bezahlt oder eine Bürgschaft dafür hinterlegt wird. Daß auch in dieser Richtung nach Möglichkeit den Käufern entgegengekommen werden soll, ist von der Forstverwaltung schon verschiedentlich angeordnet worden; bei der jetzigen Organisation des Handwerks, bei dem Vorhandensein zahl⸗ reicher Genossenschaften, dürfte es auch wohl nicht allzu schwer sein, eine entsprechende, auch den fiskalischen Interessen genügende Bürg— schaft zu beschaffen.
Nun ist mir auch im Vorjahre bekannt geworden, daß an ver⸗ schiedenen Stellen Holz, welches bereits verkauft war, das die Käufer aber nicht rechtzeitig abgefahren hatten, durch. Waldbrand vernichtet worden ist. Meine Herren, nach den Bedingungen der Versteigerung ist der Fiskus nicht verpflichtet, in einem solchen Falle Ersatz zu leisten. Ich bin daher auch nicht in der Lage, in solchen Fällen dem einzelnen Käufer Ersatz zu geben. Das ist gewiß sehr bedauerlich; aber auf der anderen Seite ist doch zu berücksichtigen, daß die meisten Käufer in der Lage gewesen sind, das gekaufte Holz bei rechtzeitiger Abfuhr der Gefahr der Zerstörung durch Brand zu entziehen.
Ich kann schließlich nur wiederholen, daß Klagen, die zu meiner Kenntnis gebracht werden, ausreichend geprüft werden sollen; soweit es erforderlich und gerechtfertigt erscheint, werden lauch die die Be⸗ schwerde veranlassenden Verfügungen abgeändert werden. (Bravo!)
Der Etat wird bewilligt, ebenso ohne Diskussion der Etat für die Ansiedlungskomm ission.
Beim Etat der landwirtschaftlichen Ver⸗ waltung empfiehlt
Abg. Kriege (freikons) die in seinem Kreise Grafschaft Bentheim schwebenden Kanalisterungs⸗ und Moorentwässerungsprojekte dem Wohlwollen der Regierung und befürwortet die tunlichste Er⸗ höhung des Etatsfonds für die Gründung neuer Ansiedlungen.
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:
Soweit der Herr Vorredner allgemeine Wünsche bezüglich des von ihm vertretenen Bezirks vorgebracht hat, wird es zunächst Sache der neu geschaffenen Moorstelle beim Oberpräsidium in Hannover sein, die Wünsche zu prüfen und deren Verwirklichung möglichst bald zu beantragen. Das Projekt der Vechteregulierung ist fertig gestellt; es wird in nächster Zeit mit den Interessenten verhandelt und bei dieser Gelegenheit auch klar gestellt werden, inwieweit den Interessenten Staatsbeihilfen gegeben werden können. Was den Picardie ⸗ Cowerden⸗Kanal angeht, so ist der Meliorationsbau⸗ beamte beauftragt, das Projekt fertig zu stellen, und es wird auch geprüft werden, inwieweit den von dem Herrn Vorredner hervor⸗ gehobenen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden kann. Die Rechtsansprüche der Fürstlich Bentheimschen Verwaltung erscheinen mir zu wenig geklärt, um jetzt auf dieselben näher eingehen zu können.
Er der Spezialkommission hat in den be⸗
r teiligten Keeifen große Aufregung verursacht. daß hier eine Aenderung stattfindet.
Ein Regierungskommissar erklärt, daß an, der Be— soldungsordnung nicht geändert werden könne, daß sich im übrigen in der Budgetkommission Gelegenheit finden werde, auf diese Frage genauer einzugehen.
Der Etat der landwirtschaftlichen Verwaltung wird be⸗ willigt. Bei dem Etat der Gestütverwaltung verwahrt sich
Abg. Dr. Iderhoff (freikons) gegen einen ihm in zweiter Lesung gemachten Vorwurf, daß er den oldenburgischen Staat als Ausland bezeichnet habe; er habe lediglich gesagt, daß, wenn die preußischen Hengste ebenso gut wären, man nicht das gute preußische Geld nach Oldenburg zum Ankauf von Hengsten tragen solle.
Beim Etat der Berg-, Hütten- und Salinen⸗ verwaltung bemerkt
Abg. Goehel (Zentr.): Bei der zweiten Lesung hat der Minister eine Aufbesserung der oberschlesischen Löhne in Aussicht gestellt, es ist aber nur eine teilweise Erhöhung eingetreten. Die Leute auf der Königin-Luise⸗Zeche haben gar keine, Aufbesserung be kommen, wohl anscheinend deshalb, weil dort einige in den Streik getreten sind. Ich möchte den Minister bitten, die Lohnerhöhun allgemein auf alle oberschlesischen Gruben auszudehnen, n nn der Königin-Luise⸗Grube. Die Leute, die dort in den Ausstand ge— treten sind, haben die Folgen ihrer Handlungsweise nicht übersehen. Ich hoffe, daß dieser Wunsch erfüllt wird, zumal nachdem die Bergverwaltung sich bereit erklärt hat, die ausständigen Bergleute zum großen Teil wieder einzustellen. Der Minister würde dadurch ein schönes Beispiel geben, dessen Einwirkung sch die anderen oberschlesischen Gruben auf die Dauer nicht würden entziehen können.
Abg. Wodarz (Zentr): Im Namen der deutschen Zement⸗ industrie muß ich gegen die seltens der Rüdersdorfer Berginspektion geplante Gründung einer dritten Zementfabrik protestieren. Die Lage der deutschen Zementindustrie ist erst in letzter Zeit durch die Aufnahme det Außenselter in das Syndikat, sowie durch den Abschluß der Berliner Konvention etwas freundlicher geworden. Diese Besserung würde aber durch die geplante Neugründung bedroht, da ihre Folge die Auflösung der Berliner Konvention sein würde.
Ahg. Leinert (Soz.); Gegen die streikenden Arbeiter auf den staatlichen Gruben am Deister und in Obernkirchen ist in rigoroser Weise vorgegangen. Die Verhandlungen, die mit dem Arvbetter—⸗ ausschusse stattfanden, waren nicht veranlaßt, um zu einer Einigung zu kommen, sondern der Bergrat wollte den Arbeitern nur plausibel machen, daß die gewünschte Lohnerhöhung von 1500 nicht gezahlt werden solle. Er hat die einzelnen Leute gefragt, ob sie den Streik wollten oder nicht; er hätte sich doch selbst sagen können, daß der einzelne Arbeiter auf diese Frage nicht sagen kann, 66. er streiken wolle. So wie die Verhandlungen, ge⸗ führt wurden, waren sie, nicht ge— i bermeiden, denn es wurde nicht das kleinste Zugeständnis gemacht. Die Arbeiter haben den Streik wieder aufgegeben, weil sie einsahen, daß er bei der Haltung des Oberhergamts gegen die Berg⸗ werksdireklson am Deister und in Obernkirchen nichts ausrichten könnte. Die Einstellung der Arbeiter erfolgte unter Umständen, daß der Anschein erweckt wurde, als sollten die Arbeiter, die bei dem Streik hervorragend 1 wgren, noch besonders bestraft werden; es schieden dabei einige Sicherheitsmänner und Arbeiterausschußmitglieder aus. In. Obernkirchen sind heute Hun= derte von Ärbeitern noch nicht wieder eingestellt worden. Viele Arbeiter mußten autzwandern, und den Gemelnden wurden dadurch die Steuerzahler entzogen. Es hätten wohl alle Arbeiter wieder eingestellt werden können, aber es sollten eben einzelne, Arbeiter be⸗ straft werden. Ich bitte den Minister, seinen Einfluß geltend zu machen, daß die dortigen Werke sämtliche Arbeiter wieder in den Betrieb dufnchmen. Unter den gemaßregelten Arbeitern befindet
ö Die große Differenzierung im Gehalt
Es ist dringend nötig,
geeignet, den Streik zu gewesen sein, daß die Herren mit einer ganz festen Meinung zu ihm
sich auch ein Mann, der seinerzeit auf der Grube Radbod ge⸗ arbeitet und über ie Katastrophe Auskunft gegeben hatte; er gehörte alfo zu den Arbeitern, denen der Minister seinerzeit zugesagt katte, daß sie keine Nachteile von der Auskunfterteilung haben, sondern auf staatlichen Gruben beschättigt werden sollten. Diese Maßregelung der Arbeiter entspricht dem Verhalten, wie es von den Grubenherren im Ruhrrevier gezeigt wird, nur daß die Herren dort noch etwas brutaler sind. Wenn die Arbeiter mehr als Menschen betrachtet würden, hätte die Direktion am Deister und in Obernkirchen ganz anders mit ihnen über die Lohnerhöhung verhandeln können. Die staatlichen Betriebe sollen doch Muster⸗ betriebe sein; über diesen Begriff weiden wir uns allerdings mit dem Minister nicht einigen können, aher es gehört doch zu einem Musterbetrieb, daß, die Verhaältnisse so sind, daß ein Streik überhaupt unmöglich ist, weil ein Vertrauens verhältnis zwischen der Direktion und, den Arbeitern herrschen müßte. Es entspricht doch nicht einer stagtlichen Behörde, den Aibeltern zu hen, das Streikrecht habt Ihr wohl, aber bewilligt bekommt Ihr nichts. Die . sagt immer, sie wolle um die Seele der Arbeiter kämpfen, aber diesen Kampf kann man doch nur führen, wenn man den Arbeitern mit Menschlichkeit entgegenkommt. Die Löhne in Obernkirchen sind jetzt wieder fo weit heruntergedrückt, daß die Arbeiter meinen, daß sie durch die niedrigen Löhne gus dem Lande getrieben werden follen. Eine solche Rachepolitik sollte doch eine staatliche Behörde gegen die Arbeiter nicht anwenden, besonders nicht nach einem Streik, der doch die Arbeiter schon genug mitge— nommen hat. Hoffentlich tragen diese Ausführungen zu einer Besserung der Verhältnisse bei.
Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:
Der Herr Abg. Leinert hat den Satz aufgestellt, die fiskalische Bergwerksverwaltung müsse so geführt werden, daß ein Streik der Arbeiter unmöglich wäre. Ich frage Sie, ob das allein von dem Willen der fiskalischen Bergwerksverwaltung, nicht auch von den Forderungen der Bergarbeiter abhängt. Im allgemeinen wird wohl eine Verständigung mit den Bergarbeitern möglich sein. Schwerer wird das schon, wenn hinter den Bergarbeitern die sozialdemokratische Organisation steht. Und die sozialdemokratische Organisation ist recht eigentlich die Triebfeder bei dem Streik im Deistergebiet gewesen. Die Beunruhigung der Bergleute hat dort angefangen, nachdem die sozlaldemokratische Richtung des Alten Verbandes bei den Sicherheits- männerwahlen einen durchschlagenden Erfolg erzielte. Sie ist ver⸗ stärkt worden jetzt während der Reichstagswahlen, als zum Reichstage ein sozialdemokratischer Abgeordneter kandidierte, der seine Wähler dadurch zu gewinnen suchte, daß er ihnen in Aussicht stellte, wenn der Wahlkreis nicht bloß in Preußen durch Herrn Leinert, sondern auch im Reichstage durch den Abg. Fischer, also durch zwei Sozialdemokraten, vertreten sein würde, dann würden die Abgeordneten schon dafür sorgen, daß den Arbeitern in ganz anderer Weise als bisher seitens der Bergverwaltung entgegen⸗ gekommen würde. Nun liegt die Sache im Deisterbergbau so, daß auch dort die Kohlenpreise seit dem Jahre 1907 herabgegangen sind, und daß sich die Löhne in derselben Richtung wie die Preise, das heißt, allmählich abwärts, bewegt haben. Zuletzt waren sie wieder im Steigen begriffen. Die Hauerlöhne haben im Februar 1912 4,1 ½ gegen den Höchststand von 4.17 im Jahre 1907 be⸗ tragen. Die Schichtlöhne waren zur selben Zeit gegen den Stand von 1907 noch um 16 3 zurück. Als nun die Lohnbewegung in Westfalen einsetzte, traten die Arbeiter im Deistergebiet an die Ver⸗ waltung mit Forderungen heran, die sich nicht bloß mit denen im westfälischen Gebiete deckten, sondern zum Teil darüber hinausgingen. Sie verlangten zunächst eine fünfzehnprozentige Lohnerhöhung für die Gedingelöhne und Garantierung eines Mindestlohnes von 4 M für die Schicht eines einzelnen Gedingearbeiters. Als diese Forderungen kamen, ließ sich der Bergwerksdirektor am Deister den Ausschuß kommen und setzte ihm auseinander, daß er bereits vor Weihnachten für das Frühjahr, wenn eine Preiserhöhung stattfände, eine Erhöhung der Schichtlöhne um 30 3 zugesagt hätte — diese Er⸗ höhung ist inzwischen eingetreten — und daß er zweitens die Gedinge⸗ löhne nur heraufsetzen könne in dem Maße, wie sich die Konjunktur bessere. Der Deisterbergbau ist im letzten Jahre besonders durch einen großen Wassereinbruch geschädigt worden. Von einer derartigen Erhöhung, wie die Mitglieder des Arbeiterausschusses sie verlangt haben, konnte keine Rede sein, weil selbst, wenn eine Preiserhöhung für die Kohlen erzielt werden würde, bei 150 Lohnerhöhung eine Unterbilanz von 100 000 S für das laufende Jahr eingetreten wäre. Im allgemeinen — ich habe das schon, als über den Ruhistreik ge⸗ sprochen wurde, gesagt — genügt die Zusage, daß nach Maßgabe der verbesserten Konjunktur auch die Löhne wachsen werden; denn es ist gar kein Zweifel, daß dle fiskalische Bergverwaltung das auch ein⸗ gehalten hätte.
Der Bergwerksdirektor hat dem Arbeiterausschuß aber noch etwas anderes auteinandergesetzt, nämlich, daß die Deisterkohle vermöge ihrer Beschaffenheit nur einen ganz beschränkten Absatzkreis hat, der so weit reicht, als der Frachtvorsprung für die Deisterkohle sich er⸗ streckt, daß es daher wesentlich darauf ankäme, sich den Kundenkreis dauernd zu erhalten, und daß kein schlimmerer Schaden für den Deisterbergbau entstehen könnte, als ein Streik in der Zeit, wo die Kontrakte für 1912 abgeschlossen würden, d. h. im Monat März. Die Konsumenten würden dann genötigt sein, sich anderswo zu decken, und in folgedessen würde nachher eine gewisse Absatzschwierigkeit für die Deister⸗ kohle eintreten. Das hat er — es ist ein Mann von großer Geduld — nicht bloß dem Arbeiterausschuß auseinandergesetzt, er ist auch in die Bergarbeiterversammlung gegangen und hat den Bergarbeltern ein⸗ gehend dargelegt, weshalb er nicht mehr versprechen könne, und welche Gefahren mit einem Streik auch für die Arbeiter verbunden wären. Er hat sogar später nochmals — das ist ein Zeichen von großer Geduld und zuglesch von großem Optimitzmus —, als die Herren Abgg. Leinert und Fischer zu ihm kamen, versucht, sie in einer langen Auseinandersetzung zu überzeugen. Wenn er laͤnger hier im hohen Hause gewesen wäre, würde er wohl von vornherein der Ueberzeugung
hineinkamen und mit derselben auch wieder hinausgingen, und daß alle Bekehrungsversuche vergeblich waren. (Heiterkeit. — Zuruf des Abg. deinert) Er hat sich aber mit den Herren ziemlich lange unterhalten und ihnen alles autzinandergesetzt.
Aber das alles hat nichts geholfen: ein Tell der Arbeiter ist unter Kontraktbruch in den Streik getreten, und zwar am Tage, bevor
der Streik im Ruhrrevier zu Ende ging. Der Streik im Deister⸗
revier hat vom 18. bis zum 30. März gedaueit; von den Arbeitern unter Tage sind ungefähr 400n‚9 in Streik getreten. Infolgedessen hat der Bergwerkedirektor in Baisingshausen andere Arbeiter als
Ersatz einstellen müssen. Ende März brach dieser Streik, wie zupor die anderen Strelkz, vollkommen erfolglos zusammen.
Nun war aber das eingetreten, was der Bergwerksdirektor be⸗ Hlet und den Leuten vorher gesagt hatte: die Konsumenten hatten um Tell mit Braunkohle eingerichtet, sodaß für die Deisterkohle sazschwierigkeiten entstanden sind. (Lebhaftes Hört, hört) Der a ift über 200! 0 zurückgegangen. Der Bergwerkedirektor am sster stand nun vor der Frage, ob er alle Arbeiter, die abgelegt Een, wieder annehmen sollte und dann Feierschichten für sämtliche geüer einlegen sollte, oder ob er nur soviel von den Abgelegten ehmen sollte, daß er Feierschichten für die bei der Arbeit gebliebenen wiede. Da hat er sich denn gesagt — ich trete ihm darin voll eg würde eine Ungerechtigkeit sein gegen die Arbeitswilligen, ; er so verführe, daß auch sie von Felerschichten betroffen werden. chr ilchtigh) Er hat deshalb nicht mehr Arbeiter eingestellt, nötig waren, um voraussichtlich keine Feierschichten ein⸗ . Kn müssen. (Sehr richtig) Gleichwohl ist übrigens 21. April in Banterode doch elne Felerschicht eingetreten. eine Herren, das ist keine Rachepollttik — die würde niemand rim Hause billigen — sondern das ist eine Politik der Gerechtig⸗ gegen die Arbeiter, die nicht in den Streik getreten waren, und nun nicht dadurch geschädigt werden sollten, daß ihre Arbeitsgenossen, Warnungen ungeachtet, in den Streik getreten sind. (Sehr tig! und Bravo) Deshalb kann ich das Vorgehen der Berg⸗ ckedirektion am Deister in keiner Weise als rigoros anerkennen. Ehr richtig! und Bravo h
Der Etat der Berg⸗, Hütten- und Salinenverwaltung wird
willigt. Beim Etat der Handels- und Gewerbeverwaltung
let
Abg. Re im er⸗Görlitz (kons.) den Minister, dafür zu sorgen, 5 bei der Königlichen Maschinenhauschule in Görlitz der Sonntags⸗ kerricht, der im Sommer von 7 his Li, im Winter von 3 bis 12 Uhr ztlinde, verboten wird, damit die Schüler Gelegenheit haben, am bitesdienste teilzunehmen. In einer Zeit, in der durch die Bestre— ngen von gewisser Seite die kirchliche Einwirkung auf die Jugend außerordentlich erschwert sei, sei es doppelt notwendig, dafür zu gen, daß der Jugend der Besuch des Goltesdienstes ermöglicht Ide.
Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:
Ich habe von der hier vorgetragenen Angabe erst vor kurzem wohl durch eine Mitteilung der Kreissynode Görlitz wie durch eine ltteilung des Herrn Abg. Dr. von Schenckendorff Kenntnis erhalten. ch werde darüber Bericht einfordern, und sollte sich in der Tat nausstellen, daß der Sonntagsunterricht so gelegt ist, daß eine Be⸗ strächtigung der Möglichkeit, den Gottesdienst zu besuchen, statt⸗ det, so wird Remedur geschaffen werden.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Die Praxis der preußischen sterrichtsperwaltung inbezug auf das Verlangen und die Erteilung Unterrichtserlaubnisscheinen wird auch in der Handels⸗ und Ge⸗ erbeperwaltung neuerdings geübt, indem von Personen, welche qandelsunterricht erteilen wollen, ein solcher Erlaubnisschein auch unn verlangt wird, wenn es sich um Personen im Alter von über 8 Jahren handelt, die unterwiesen werden sollen. Der Handels⸗ nster hat hier gestern erkennen lassen, daß ihm das darauf gigliche Reichsgerichtsurteil gleichgültig ist, daß er sich daran nicht kehren gedenkt. Ich bitte ihn um eine Erklärung.
Ein Vertreter der Handels- und Gewerbeverwaltung vidert: Die Verwaltung steht nach wie vor auf dem Boden der bbinettsorders von 1834 und 1839 und auf dem Boden des vom ndelsministerium 1903 herausgegebenen Erlasses. Der Vorredner hat meint, es dürfe sich nur um Unterricht handeln, der an Leute unter Jahren erteilt wird. Das Landrecht. dessen Bestimmungen durch I Ministerlalinstruktion von 1339 wieder hergestellt worden sind, versteht fer „Unterricht“ nicht nur solchen, der an Personen unter 18 Jahren eilt wird, sondern den Unterricht der Jugend. Zu dieser Jugend gehören H. auch die Leute, welche die Universität besuchen. Außerdem ist der undpunkt des Handelsministeriums auf dem Gebiete des Privatschul⸗ hens bestätigt worden durch ein Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichts. meinem anderen Falle schwebt das Verfahren noch beim Reichsgericht.
Abg. Dr. Liebknecht, (Soz.): Ich kann nicht zugeben, daß die laris des Handelsministeriums sich mit dem Reichsgerichtserkenntnis sneinbaren läßt. Es handelt sich hier nicht um solche Kreise, die bist auch noch Universitätsunterricht genießen, sondern um eine pri— ste, Vorbildung über das hingus, was die Schule zu gewähren pflegt, fällt in das Gebiet der völlig freiwilligen Fortbildung. Da kann se staatliche Aufsicht nicht Platz greifen, wie etwa bei den Universi— len, denn es handelt sich ja gerade um Personen, die die Universität n nicht beziehen können.
Zum Etat der Justizver waltung bemerkt
sich nicht einmal (p räsident: das eine Be⸗ hat auch zuerst Des halb
f,
täs
frech . tröbel einen Ordnungsruf, zieht diesen aber zurück, als er i n. daß dieser Zuruf von dem Abg. Borchardt herrührt, und rteilt diesem den Srdnungsruf. Wenn die Angelegenheit hier so inn habt wird, wie es der Präsident wünscht, dann wären wir ja n, den Punkt herum und könnten nach Hguse gehen. (Abg. von Pappen⸗ im rust: Das wäre famos ) Unsere Justiz führt zu Tendenzurtellen. a Justizmisnister hat uns mitgeteilt, daß mehr als 4000 Anzeigen Usangen find. Wir wären nun seßr dankbar, wenn der Juflij⸗ inister uns auch uber die AÄnzelgenden etwas sagen würde.
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Es wäre doch interessant, zu erfahren, wieviele dabon vom Christlichen Bergarbeiterverbande 2 Darüber wird sich ja wob! der Minjster ausschweigen. Aber vielleicht gibt er uns darüber Auskunft, wieviel Unterfuchungshaft diese Dpfer der Denunzigtlon zu verbüßen ge. habt haben, wieviel Jahre Gefangnig und wieviele Geldstrafen ins gesamt verhängt worden find. In all den Fällen ist mit einer großen Ge⸗ schwindigkeit Anklage erhoben worden, manchmal sogar schon, ebe der Streik zu Ende war. Man ist so schnell vorgegangen, als ob Stand⸗ recht geherrscht hätte. Diese Wättrailleusensan!g macht eine sachliche Nachprüfung unmöglich. Cine foiche rasche Gntscheidung muß in der Hiße der Aufregung ein ruhiges, fachliches Urteil der Richter un— möglich machen. Der Mintster sagte, ein so schnelles Vorgehen sei nölig gewesen, um die Ruhe wieder herzustellen; aber ist denn die Ordnung überhaupt in nennenswerter Weile gestört worden? Die meisten Prozesse find doch erft nach dem Streike vor sich gegangen, nachdem der Streik niedergebrochen war, da war doch von Unruhe keine Rede mehr. Wir sind der Ueberzeugung, daß dieses schnelle Vorgehen, wenn auch unbewußterwelse, ditttert war von dem Bedürfnis, Rache zu nehmen an , . Bergfklaben. (Der Präsident macht den Redner wiederholt darauf aufmerksam, daß es unzulässig ist, von der Klassenjustis zu. sprechen Ich bin doch nicht schuid daran, wenn ich solches hier sagen muß. Ich muß doch das Vorgehen der Justiz ganz energisch be⸗ kämpfen und kann mir eine scharfe Kritik an, ihr nicht verbieten lassen. (Zuruf der Sozialdemokraten: Sehr richtig! Rufe rechts: Dann wahren Sie doch wenigstens die parlamentarische Form)). Es muß hier eine Ausnahmetendenz festgestellt werden, da diese Kammern speziell für Streikvergehen ein erichtet worden sind. Gewiß ist eine Scheidung nach Materien häufig bei uns, aber dann muß es sich um juristische Gruppierungen handeln, nicht um eine Gruppierung nach dem Anlaß, nicht um politische Ausnahme⸗ gerichte. Die schweren Urteile erklären sich nur aus der Gehässigkeit und Aufregung in dieser Zeit. Es hat sich weiter die Tendenz herausgestellt, alle Dinge, die vor die Schöffengerichte gehören, vor die Strafkammern zu bringen; sehr kleine Bagatell⸗ sachen sind zu Strafsachen gemacht worden, man hat den Leuten dadurch systematisch eine Instanz genommen. Wenn man alles dies zusammennimmt, so . man, daß alle schlechten Eigenschaften einer Ausnghmegerichtsbarkeit vorbanden sind. Im. Reichttage hat h die Justizberwaltung in dieser Frage auf die Zuständickeit
reußens zurückgezogen. Hier verlangen wir von dem Justizminister Antwort, ob dte einzelnen Ausschteitungen der Justiz, die hier als bösartige Auswüchse, als Ausnahmegerichtstendenzen auftreten, systematisch durch Anweisungen des Justizministers herbeigeführt worden sind. Sollte sich meine Vermutung als richtig erweisen, so wird man nicht anders können, als in diesem Vorgehen doch von einer Klassenjustiz zu sprechen.
Justizminister Dr. Beseler:
Meine Herren! Der Herr Abg. Hoffmann hat ja erst schon über diese Dinge gesprochen, und ich habe meine Stellung zu der Frage, die da behandelt ist, genommen. Herr Abg. Dr. Liebknecht hat die Anführungen des Herrn Abg. Hoffmann durch seine Angaben noch weiter ausgeschmückt. Ich will zunächst auf die Anfragen antworten, die der Herr Abgeordnete heute mit Nachdruck an mich gerichtet hat.
Es ist richtig, daß ich die staatsanwaltschaftlichen Behörden darauf aufmerksam gemacht habe, daß ein schnelles Einschreiten bei den vorliegenden Untersuchungen nötig sei. (Bravo! rechts — Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich habe das ja auch bereits gesagt und meine Gründe dafür angegeben, ich wiederhole, daß diese An⸗ ordnung durch die Sachlage gerechtfertigt war. Weiter habe ich keine Anweisungen erteilt; ich habe nie gesagt, man müsse hier be⸗ sonders mit Untersuchungshaft vorgehen, man müsse die Ver— zichte der Angeklagten auf die Fristen herbeiführen, oder man solle dafür sorgen, daß die sämtlichen Sachen an die Strafkammern, nicht an die Schöffengerichte kämen. Solche Anordnungen sind im Laufe des Geschäftsganges von den Lokalbehörden getroffen worden, sobald sie es nach ihrer Ueberzeugung der Rechtslage für entsprechend ge— halten haben. Wenn Herr Abg. Liebknecht zu erwarten schien, daß ich diese Anordnungen alle erlassen hätte, um dann zu sagen: seht, so ist die Justizverwaltung darauf erpicht, die unglücklichen Leute noch obendrein aufs schärfste zu treffen, so kann ich ihm nur darauf er⸗
widern: ich habe diese Anordnungen nicht getroffen, sondern nur das,
was ich ihm gesagt habe. Welche Schlüsse Herr Abg. Liebknecht weiter ziehen wird, weiß ich nicht.
Dann hat Herr Abg. Liebknecht gesagt, die Kammerbildung gebe zu Bedenken Anlaß. Daß unter den obwaltenden Umständen Hilfe gegeben werden mußte, habe ich bereits gesagt. Das lag ja in der Natur der Sache. Daß die Kammerbildung Sache des Prä— sidiums des Landgerichts ist, weiß Herr Abg. Liebknecht natürlich; daß die Kammern durchweg so gebildet worden sind, wie er heute gesagt hat, ist nicht zutreffend. Nur bei einem Gerlcht sind Sonderkammern gebildet worden; der Direktor, der sonst den Vorsitz in den Kammern führte, ist aber geblieben. Bei den anderen Ge⸗ richten sind die Hilfen derart gegeben worden, daß die Kräfte auf die ordentlichen Kammern verteilt und mehr Sltzungen anberaumt worden sind. Also auch in dieser Hinsicht ist die von dem Herrn Abgeordneten beliebte Verallgemeinerung nicht zutreffend.
Der Herr Abgeordnete hat sodann gemeint, es habe sich gewisser⸗
maßen um Kleinigkeiten, um harmlose Dinge gehandelt und es sei
niemals zu größeren Ausschreitungen gekommen, sodaß es nicht nötig gewesen wäre, hier einen so großen Nachdruck in die Sache legen. Ich habe den Eindruck, als ob diese Auffassung sonst nicht geteilt wurde. Im Gegenteil, man sah das, was vorging, als schwere, drückende Eingriffe in die Rechtsordnung an, und viele Leute fühlten sich in ihrer persönlichen Sicherheit ernstlich gefährdet. Das sind doch keine Kleinigkeiten. Unter den Anzeigen, die eingegangen sind, war eine große Anzahl, die schwere Fälle betrafen. Daß bereits An⸗ fang April 4000 Anzeigen eingegangen waren, zeigt doch am besten, daß es sich hier nicht um vorübergehende kleine Ruhestörungen gehandelt hat, bei denen mit möglichster Schonung gegen die armen Leute vorzugehen gewesen wäre. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Systematische Denunziation) — Wer diese systematische Denunziation gemacht haben soll, weiß ich nicht. Der Herr Abgeordnete wird schwerlich annehmen, daß ich in jedem einzelnen Falle weiß, von wem die Anzeige ausgegangen ist; ich be ⸗ zweifle gar nicht, daß sehr viele Anzeigen von Prinatleuten ausgegangen sind, die sich durch das Vorgehen der Ruhestörer empfindlich bedroht fühlten. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Streikbrecher! — Heiter⸗ keit rechts) Ich lehne es ab, auf Ihre Unterbrechungen einzugehen. (Sehr richtig) Ueber die Zusammensetzung der Kammern habe ich auch schon gesprochen. Die systematische Untersuchungshaft, die vor⸗ gekommen sein soll, ist niemals dagewesen. So vlel Gefängnisraum ist dort gar nicht vorhanden, daß jeder Mann hätte als Unter⸗ suchungsgefangener ins Gefängnis eingebracht werden können. Ich habe eben noch einen Bericht nachgelesen von einem der sehr mit in Frage kommenden Landgerichtepräsidenten; es ergibt sich daraus,
daß die Untersuchungshaft keineswegs in besonders zahlreichen Fällen verhängt worden ist.
Was den Verzicht auf die Einlassungsfrist anlangt, so ist in demselben Bericht gesagt, anfangs seien die Leute über den Verzicht befragt worden, später sei das nicht nötig gewesen, da die Ladungsfrist von vornherein eingehalten worden sei, und wo das im Einzelfalle nicht geschehen set, hätten die Vorsitzenden die Angeklagten belehit und gefragt, ob sie noch weiter vertagen wollten oder zur Verhandlung bereit seien; da haben sie in der Regel gesagt: Ja. Wo sie es nicht wollten, sei vertagt worden. Also alles in allem: eln systematischez Vorgehen der von dem Herrn Abgeordneten angedeuteten Art ist mir nicht bekannt; den Berichten, die mir erstattet worden sind, kann ich der⸗ artiges nicht entnehmen. Ich weiß nicht, woher der Herr Abge⸗ ordnete seine Informationen entnommen hat; aber sie sind unzuber⸗ lässig gewesen.
Dann hat der Herr Abgeordnete — und das bin ich ja gewohnt, wenn er über den Justizetat spricht — schwere allgemeine Vorwürfe angehäuft: die Richter seien in äußerst erregter Stimmung gewesen und rücksichtslos vorgegangen, sie seien bestrebt gewesen, Rache zu nehmen und nicht zu strafen. Weshalb sollen die Richter so erregt gewesen sein? Sie waren vom Streik am allerwenigsten betroffen! Ihr amtliches Wirken rücksichtsles zu nennen, wenn sie diejenige Strenge walten lassen, die bei der Sachlage ihrer Ueberzeugung nach geboten war, ist unter allen Umständen unstatthaft, und von ihrer Tätigkeit als einem Racheakt zu sprechen, das ist eine schwere Beleidigung. Ich welß nicht, ob der Herr Abgeordnete sich klar gemacht hat, wie schwer die Beleidigung ist. Da er doch ein durchgebildeter Jurist ist, muß er das am besten empfinden. (Sehr richtig) Am allerentschiedensten muß ich derartige Behauptungen zurüuͤckweisen. Die ganzen Angriffe des Herrn Rechtsanwalts Liebknecht wegen der Streikangelegenheiten sind verfehlt; ich glaube vielmehr, daß die Behörden volle Anerkennung verdient haben. (Lebhafter Beifall rechts.)
Abg. Dr. Friedberg (ul): Ich werde zwar Herrn Liebknecht ebensowenig überzeugen, wie er mich, ich muß aber einen Vorwurf zurückweifen, den der Abg. Liebknecht dem Abg. Haarmann gemacht hat, indem er sagte, jener hätte die Klassenjustiz in Preußen ge⸗ billigt. Der Abg. Haarmann hat nur seiner Befriedigung darüber Ausdruck gegeben, daß die preußische Justiz noch einen festen Damm gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial⸗ demokratie bilde. Es ist selbstverständlich, daß der Abg. Lieh⸗ knecht diesen Worten eine Auslegung gibt, die ihm paßt. Daß die Ausschreitungen im Ruhrgebiet im wesentlichen den Sozialdemokraten zuzuschreiben sind, wird der Abg. Liebknecht nicht bestreiten wollen. Der Sinn der Ausführungen des Abg. Haarmann war einfach der, daß die von den Sozialdemokraten begangenen Rechtsverletzungen von der Justiz auf das schärfste zurückgewiesen und geahndet werden müßten. Selbstverständlich ist es unsere Auffassung und auch die des? Abg. Haarmann, daß Sozialdemokraten von dem Richter ebenso behandelt werden müßten wie andere Leute, also von einer Klassen⸗ justi;z kann keine Rede sein. Ich bin überzeugt, daß Die, Richter auch nach diesem Grundsatze verfahren. Ob aber die Sozialdemo⸗ kraten gegenüber dem Angeklagten in jenem Falle ebenso verfahren würden, ift mir außerordentlich zweifelhaft. Wer sozialdemokratische Versammlungen erlebt hat, wird die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die Vorsitzenden es an Objektivität fehlen lassen. Die sozialdemokratische Äuffassung ist immer die gewesen: wer nicht gehorcht, der fließt hinaus. Daß unsere Richter bei ihren Urteilen war Fixigkeit, aber nicht Richtigkeit bewiesen hätten, ist ebenfalls un⸗ richtig. Daß in anderen Staaten demokratischen Charakters, wie Frankreich und auch England, die Justiz bei solchen Delikten viel schnesler als bei uns vorgeht, ist bekannt; man hat sich bei uns darüber beklagt, daß die Justiz nicht schneller abgeurteilt habe. Man kann also unsere Justiz nicht tadeln. Unsere Justiz hat ihre volle Objektivität bewahrt.
Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Die Debatte ist ge⸗ schloffen, da kein weiterer Redner zum Worte gemeldet ist.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Ich habe mich zum Worte gemeldet.
Präsident: Dann liegt ein Schlußantrag vor. (Unruhe bei den Sozialdemokraten. Es waren auch die Abgg. von Pappen⸗ heim und Lohmann zum Worte gemeldet, es wurde mir aber mit⸗ geteilt, daß sie ihren Namen von der Liste haben streichen lassen. Es war schon vorher von dem Abg. von Pappenheim ein 1 eingereicht, er wurde aber dadurch illusorisch, daß sich der Abg. von Pappenheim von der Liste streichen ließ. Ich gebe ihm jetzt das Wort.
Abg. von Pappenheim (kons.) beantragt mit dem Abg. Gyßling, der Etatsposition im Extraordinarium, die zum Neubau eines Dienstwohnungsgebäudes für einen Amtsrichter in Riesenburg 32 000 6 fordert, eine andere Fassung zu geben.
Präsident; Da der Antrag nicht gedruckt vorliegt, können wir erst in der nächsten Sitzung darüber abstimmen lassen.
Ein Schlußantrag wird angenommen.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Ich habe mich noch zu einem weiteren Titel zum Wort gemeldet. Ich muß doch Gelegenheit haben, auf die Ausführungen des Ministers und des Abg. Friedberg zu antworten. ;
Abg. Dr. Friedberg (ul): Nach meinen Erfahrungen ist bei der dritten Lesung eine Besprechung der einzelnen Titel nicht möglich, sondern nur eine des Gesamtetats.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz): Im Reichstag gibt es bei der dritten Lesung immer eine Spezialdebatte. Das, was der Abg. Dr. Friedberg gesagt hat, ist nicht durch die Geschäftsordnung ge⸗ boten, es bedarf also zu diesem Vorgehen eines besonderen Beschlusses. Ein folcher Beschluß ist mir aber nicht bekannt.
Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.): Ich kann mich der Auffassung des Präsidenten nur anschließen und aus meiner 25 jährigen Erfahrung bestätigen, daß immer bei der dritten Lefung nur eine Rednerliste für jeden Etat aufgestellt worden ist.
Präsident: Durch den Vizepräsidenten Dr. Krause ist bei Beginn der Einzelbesprechung ausdrücklich festgestellt worden, daß jeder Etat im ganzen zur Beratung gestellt wird.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz ); Hätte ich das Wort bekommen, so wären wir längst fertig. Wir haben zur dritten Lesung drei Tage in Aussicht genommen, heute sind wir bereits aber bis zum 24. Etat vorgeschritten, was heute früh auch vom Präsidium nicht für . gehalten wurde. Da liegt kein Anlaß zur Schnellfeuer⸗ arbeit vor.
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Ich kann nur die Auffassung des Abg. Dr. Friedberg 2 en. enn der Abg. Dr. . mit . Behandlung nicht ,,, war, dann hätte er bei der Feftstellung des Vizepräsidenten Widerspruch erheben müssen.
Abg. Dr. Arendt (freikons ): Die Observanz, die besteht und die feit langen Jahren gehandhabt ist, kann nicht allein ausschlag
ebend sein. Aber dadurch, daß der Abg. Dr. Liebknecht nicht 6 . hat, hat er sich jetzt des Rechts eines Wider⸗ pru egeben. .
UÜbg. Ströbel (Soz.): Dann darf aber auch nicht über den Justizetat nach einzelnen Kapiteln und Titeln verhandelt werden. .
Aba. Schriftführer von Bonin (freikons. ): Die Meld ö zu einzelnen Titeln des Kultugetats sind nicht von den Abgeordneten, fondern von den , . , ,. um eine fi wiffe Ordnung in die Debatte zu Bringen. Der Abg. Liebknecht hat sich allerdings zu Kapitel 74 „Landgerichte und Amtẽgerichte! ge⸗