Deutscher Reichstag.
73. Sitzung vom 29. November 1912, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Nach Erledigung des ersten Punktes der Tagesordnung, worüber in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist,
setzt das Haus die Besprechung der Interpellation der fe, Albrecht und Genossen, betreffend die Teuerungsverhältnisse, in Verbindung mit der ersten Beratung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffend vorübergehende Zollerleichterung bei der Fleischeinfuhr, fort.
Abg. Sieg (ul.): Die beiden sozialdemokratischen Redner haben sich die Sache außerordentlich leicht gemacht. Sie berdammen unsere Wirtschaftspolitik, die seit Jahren besteht, in Bausch und Bogen, und sie find nicht geneigt, die Vorteile anzuerkennen, die diese Politik auch für die Arbeiter gehabt hat. Ich kann nur nochmal erklären, daß meine politischen Freunde an unserer Wirtschafts⸗ politik festhalten. Ich persönlich bin für diese Politik nicht etwa, weil ich selbst Großgrundbesitzer bin und davon Nutzen haben könnte, sondern weil ich auf Grund lang⸗ jähriger Tätigkeit sehr wohl in Der Lage bin, den Nutzen dieser Politik zu beweisen. Den Nutzen haben tatsächlich, die mittleren Besitzer und die kleinen bis herunter zu den kleinsten. Ueber die Schäden, die der Zwischenhandel zwischen dem Pro⸗ duzenten und Konsumenten verursacht, hat sich der Landwirtschafts⸗ minister mit aller Deutlichkeit ausgesprochen. Der Weg, der vom 533. bis zum Konsumenten führt, ist ein dornenvoller. Sehen Sie doch in die Städte und sehen Sie sich die Sache an, Sie müssen doch Gerechtigkeit walten lassen. Die von dem Reichsamt des Innern einberufene Kommission wird hoffentlich über alle diese Ver⸗ Fältniffe Licht verbreiten. Haben sich denn die Sozialdemokraten, ie immer verlangen, daß der Markt fortgesetzt mit billigem Fleisch versorgt wird, klar gemacht, wie hoch die Produktions⸗ kosten' sind? Sollen etwa die Viehzüchter unter den Pro⸗ duktionskosten verkaufen? Ich glaube nicht, daß der Abg. Scheidemann eine Ahnung hat, wie hoch die Fätterungekosten sind. Wie soll der Landwirt das Kunststück fertig bringen, die Milch für Ii bis 97. J im Durchschnitt dauernd an die Molkerei zu liefern? Die Schwierigkeiten, mit denen der Landwirt heute zu kämpfen hat, sind schon vielfach auseinandergesetzt worden, Er hat eine schwere Arbeit zu leisten, und sie ist mindestens so ehrenvoll wie jede andere. Es herrscht nicht mehr die alte Einfachheit, bei Bauern so wenig wie bei Knechten. Es ist ein gewisser Luxus eingetreten, namentlich in der Kleidung. Es ist auch nicht richtig, wie immer angenommen. wird, daß die Viehzüchter viel besser gestellt sind als die anderen Besitzer. Die feineren Sorten kann der kleine Besitzer überhaupt nicht produzieren. Der kleine 6 . ist nicht in der Lage, die ersten Qualitäten zu siefern. Die Mutterfchweine müssen sehr sorgfältig gehütet werden. Besseres Vieh kann nur dort aufgezogen werden, wo gewisse Vor⸗ f sind. Eins muß ich noch kann das inländische Vieh
bedingungen für die Muttertiere vorhanden sagen? Ohne einen genügenden Grenzschutz ncht mit Sicherheik vor Seuchen bewahrt werden. In 33 Jahren habe ich dreimal die Mauf- und Klauenseuche gehabt. Da habe ich die praktische Erfahrung gemacht, daß manche Gesetze am grünen Tisch, vielleicht auch am allergrünsten Tisch gemacht werden. Durch die Sperre werden die Tiere monatelang gezwungen, auf demselben Dünger zu stehen. Man empfiehlt die Aufhebung der Futtermittelzölle. Ich grinnere aber an die Entstehung des Gerstezolles, wie man einen Unterschied zwischen Braugerste und Futtergerste machen wollte mit Rückficht auf den Abschluß von Handelsverträgen. Das hat sich nicht als richtig erwiesen. Es sind immense Quantitäten Futtergerste eingegangen, und ich weise nur auf die Schweinerei hin, wenn ich mich diefes unparlamentarischen Ausdrucks bedienen darf, die da vorkommt. Solche Preisdifferenzen, wie man damit erzielen wollte, können gar nicht festgestellt werden, denn der Preis geht auf und ab. Der Land⸗ wirtschaftsminister hat ja gestern festgestellt, daß der Zollsatz gar keine Rolle spielt. Der H h wurde seinerzeit erhöht, weil er das einzige Mittel war, das man bei einem amerikanischen Handels⸗ vertrag als Kompensation gebrauchen könnte. Die Rechnungen des Abg. Wendorff stimmen nicht ich exinnere nur an die Vorgänge im
vorigen Jahre bei dem russischen Kartoffelbezug; da hat nicht der
Händler gemogelt, sondern der russische Lieferant an der Grenze. Ich erinnere auch an den Vorgang im vorigen Jahre, als die Spiritus— kalamität war. Wir haben ja hier einen Abgeordneten unter uns, der in dieser Hinsicht sachverständig ist. Ein ausgezeichneter Leiter einer großartigen Sache, das ist nicht zu bestreiten. Der Mais ist augen— blicklich notorisch beinahe das billigste Futtermittel. Es ist ein Trug—⸗ schluß, daß die Herabsetzung eines Zolles sofort die Wirkung hat, den Preis herabzusetzen. Die Sozialdemokraten, die von Hungenpreisen sprechen, wissen gar nicht, wie sie sich selbst im Volke schaden; sie wollen die Arbeiter schützen, in der deutschen Landwirtschaft gibt es aber Gott sei Dank noch eine große Menge Arbeiter, und auch der ganze Mittelstand hängt von der Prosperität der Landwirtschaft ab. Die Sozialdemokraten wollen diese aber untergraben, sie wollen die Landwirtschaft in ihrem Erwerbe stören und eventuell schwer schädigen. Zwischenruf bei den Sozialdemokraten. Ja, du liebe Zeit, haben Sie in Ihren Reihen nicht auch Grundrentner? Ich möchte mal wissen, wie viele schöne Kapitalisten Sie da haben. Was nennen Sie denn Grundrente? Der Wucher, der mit den Gütern getrieben wird, wird gerade von uns aufs äußerste beklagt. Nicht, der wirkliche Land— wirt, der fleißige Mann, sondern die Spekulation ist es, die die Grundrente erhöht. Wenn jetzt tatsächlich Hungerpreise beständen, so würde ich der erste sein, um Abhilfe zu schaffen. Der Abg. Wen⸗ dorff hat von viehloser Wirtschaft auf den Domänen und auch bei großen Besitzern gesprochen. Keiner beklagt mehr als ich die neue Methode der Wirtschaft. Der Abg. Wendorff meinte aber, die ganze Frage mit der Domäne Ruhleben abtun zu können. Was wir unter viehloser Wirtschaft verstehen, ist etwas ganz anderes. Wir ver⸗ stehen darunter, daß der Besitzer oder Pächter, gleichviel, außer zwei Kühen, die er braucht, kein anderes Milchdieh hat, und daß er nur die absolut notwendigen Pferde sich hält. In manchen Gegenden bei Danzig weisen es die Arbeiter schon zurück, mit Ochsen zu pflügen. In der Viehwirtschaft wird leider jetzt viel gesündigt, Stroh, Heu Usw. werden verkauft und durch künstlichen Dünger ersetzt. Darauf sollte der Landwirtschaftsminister mal ein kleines Auge richten. Von der Linken wird als Mittel angegeben, kleinen Grundbesitz zu schaffen. Darin sind wir einig; seit 30 Jahren predige ich, wo ich kann, daß ein gewisses Maß von kleinem Grundbesitz vorhanden sein muß. Ich bedauere es, daß die Latifundienbesitzer Bauern gelegt und enorme Preise für die Güter bezahlt haben. Wir haben viel zu spät gegen dir Güter- und Bauernschlächterei eingegriffen. Die Leute leiden heute * schwer unter dem Schwindel, der anfangs der 70er Jahre ein⸗ etzt hat. Als die Regierung jetzt ihre Maßnahmen zur Linderung erung ankündigte, kam die Sorge gerade in die Kreise, die be⸗
ind, das Volk zu befriedigen. Die großen Mästereien, die ihren
schon eingedeckt hatten, wurden plötzlich durch solche Maß⸗
t; da muß ihnen Lust und Liebe zu ihrer Arbeit ge⸗ Als ich kas, daß man bei den Erleichterungen die
nen heranziehen wollte, dachte ich: Wo wird sich rgermeister finden, der auf ein solches immerhin haft sich einläßt? Nun, wir wissen, es ist doch man aber solche Erleichterungen zuläßt, dann soll erzig sein, nicht bloß schematisch vorgehen, sondern auch
.
die
Bitterkeit auslösen. die Vorlage wegen der Zollerleichterungen zu verweisen beantragt hat, wofür wir ja auch stimmen werden, wird nicht viel herauskommen. Ich habe Ihnen nur aus meinen praktischen Erfahrungen portragen wollen, was ich zur Sache beibringen kann; ohne Zahlen, denn das stimmt ja alles nicht, die geben ja kein richtiges Bild. (Widerspruch und Zurufe links. . .. s Wurst, Schinken hierher geht?
veredelt hat, wie das Schwein und der Hammel von heute, ganz anders beschaffen sind als früher? Aus diesen statistischen Zahlen dürfen gar nicht ohne weiteres die Schlüsse gezogen werden, die Sie ichen. Die deutsche Landwirtschaft muß auf ihrer heutigen Stufe er⸗ halten werden, sie ist in erster Reihe die Ursache der glänzenden Situation, in der sich das ganze Vaterland befindet. In einer Zeit, wo schwere Kriegssorgen an unseren Grenzen drohen, haben wir erst recht die Pflicht, dahin zu wirken, daß das ganze Vaterland mit eigenem Vieh dauernd versorgt wird.
Abg. Graf von Schwerin-Löwitz (6kons): Die gegen⸗ wärtig bestehende Teuerung in den großen Städten wird allgemein anerkannt. Sie wird aber gerade auch von landwirtschaftlicher Seite aus begauert, da Beunruhigungen darüber entstehen können ob unsen Landwirtschaft in der Lage ist, auch die , . Bevölkerung mit Fleisch im nötigen Maße zu er g Die Landwirtschaft hat ein Interesse daran, daß die reif ür Fleisch gleichmäßig bleiben, und zwar in der Höhe, daß die Produktion wie auch der Verbraucher dabei zurechtkommt.? Meine Ansichten weichen nun erheklich von denen eines großen Teils der Vorredner ab. Von den Ausführungen des Reichs kanzlers hat mich am meisten sein Ausspruch gefreut, daß man in der Wirtschaftspolitik wissen muß, was man will, ob man unser Volk Illein mit einheimischem Vieh versorgen soll, oder ob man sich auf die ausländische Fleischlieferung verläßt. Man wende mir dabei nicht ein, man könne das eine tun und das andere nicht lassen. Wenn man unsere Fleischversorgung auf die Lieferung des Auslandes aufbaut, bann mlßte man Hunderte von Millionen für die Einrichtung von Gefrierschiffen und Gefrierhäusern aufwenden. Dann könnte man auch all das Geld sparen, was man für die innere Kolonisation. auf⸗ wendet. Aber gerade durch die innere Kolonisation haben wir so gloße Erfolge erreicht. Nur dadurch sind wir imstande gewesen, unsere Viehzucht innerhalb eines halben Jahrhunderts zu verdoppeln. Wollen wir diese weiter durchführen, dann muß man eine Beunruhigung unferer viehzuchttreibenden Bevölkerung unterlassen. Lediglich aus diesem Grunde und wegen der schweren Beunruhigung, die in unsere landwirtfchaftlichen Kreise getragen wird, haben wir die ergriffenen Maßnahmen bedauert. Diese Maßnahmen haben nur einen ganz geringfügigen Einfluß auf die Fleischversorgung, der in gar keinem Verhältnis steht zu der dadurch herborgerufenen großen Beunruhi— gung. Gegen den von mir empfohlenen Weg auf Hebung unserer in⸗ kändischen Viehzucht ist mir immer entgegen ehalten worden, die deutsche Landwirtschaft sei noch nicht in der Lage, den Bedarf des deutschen Volkes zu decken. Das hat man mir schon vor 30 Jahren entgegengehalten, zu einer Zeit, wo die deutsche Bevölkerung 45 Mil⸗ lionen betrug und der Fleischbedarf auf den Kopf nur die Hälfte oder allerhöchftens zwei Drittel des jetzigen betrug. amals rechnete man zwei Drittel Zentner für das Jahr auf den Kopf. 3. wo wir 365 Millionen Einwohner haben, liefert die deutsche andwirtschaft jährlich mindestens 69 Millionen Zentner. So ist es erreicht worden, daß unsere Landwirtschaft g5 76 des eigenen Fleischbedarfs deckt. Daß wir da z. B. England gegenüber, das nicht 5, sondern 50 3. aus dem Auslande bezieht, schlechter dastehen, das wird im Ernste wohl niemand behaupten wollen. Die durchschnittliche Steigerung der deutschen Fleischproduktion beträgt jährlich 12606 000 Zentner. Ohne die be⸗ dauerliche Kalamität des Jahres 1911 in bezug auf Futterernte und Maul- und Klauenseuche würden wir auch bei einer weiteren Zunahme der Bevölkerung in 5 Jahren das Ziel exreicht haben, das deutsche Volk aus eigenen Kräften mit dem nötigen Fleisch zu versorgen. Trotz alledem werden wir aber das Ziel erreichen. Aber das ist nur möglich, wenn jede Beunruhigung von der viehzuchttreibenden Landwirtschaft ferngehalten wird. it der Aenderung des 5 12 des Fleischbeschau⸗ gesetzes beabsichtigt man nur, kapitalistische Interessen zu fördern, die das argentinische Gefrierfleisch einführen wollen. Gerade dieser Para⸗ graph Kilbet heute bie Kontrolle über das ausländische Fleisch, und zwar in einer sehr viel milderen Form, wie sie für das inländische Fleisch gefordert wird. Wenn wir die Fleischkontrolle durch Auf⸗ hebung des s 12 noch weiter abschwächen, dann ist einfach das ganze Fleischbeschaugesetz nicht mehr haltbar, Das wäre der Gipfel der Ungerechtigkeit. Da wäre es doch vielleicht richtiger, einen Teil von dem Fleisch zu verwenden, das bei uns jährlich verworfen wird, von dem drei Viertel immer noch besser ist, als das schlechte Gefrierfleisch in Amerika. Was würden Sie denn durch die Aufhebung des § 12 und durch die Einfuhr von Gefrierfleisch erreichen? In England und in noch höherem Maße in Amerika hat der Gefrierfleischverkehr nicht nur den ganzen Verkehr mit Fleisch, sondern auch den ganzen Verkehr mit Vieh vertruftet. Wenn die Kommunen die großen Fleischliefe— rungen, die ihnen von den landwirtschaftlichen Genossenschaften ange— boten werden, annehmen würden, dann würde es möglich sein, eine rationelle Viehzucht zu treiben, ohne daß diese Viehzucht namentlich bei den Schweinen für den kleinen Züchter ein Hasardspiel ist. Es ist eine alte Erfahrung, daß durch die Schwankungen die Preise ver⸗ teuert werden. Wir wollen eine Steigerung der Nodaltion durch die Möglichkeit rationeller Wirtschaft herbeiführen. Die Produktion muß gesteigert werden. Der Verband der pommerschen Genossenschaften hat im Oktober der Stadtverwaltung in Berlin das Angebot gemacht, ihr für die Dauer von 5. Jahren jährlich etwa 69 000 Schweine zum Schkachtgewichtspreise von 66 „ frei Berlin zu liefern. Die Stadt⸗ verwaltung hat aber dieses Angebot abgelehnt mit der Begründung, daß die Annahme desselben eine Verteuerung bedeute, und doch haben eine ganze Reihe anderer Städte Abschlüsse zu erheblich höheren Preisen gemacht. Im Anfang dieses Monats hat sich der Verband der pommerschen Genossenschaften erneut an die Berliner Stadtver⸗ waltung gewandt und ihr für die Dauer von 5. Jahren Fleischliefe— rungen zum amtlich festgesetzten Durchschnittspreise angeboten; obgleich die Produktionskosten gestiegen sind, erklärt sich der Verband zu diesem Entgegenkommen bereit. Auf dieses beachtenswerte Angebot hat der Verband bis heute keine Antwort erhalten. Von dieser Stelle aus richte ich an den Magistrat oder an seine etwa hier anwesenden Ver⸗ treter die Frage ob das erwähnte Angehot in die Hände des Magistrats gelangt ist. Die „Vossische Zeitung“ hat behauptet, daß die Ge⸗— nossenschaften nicht genügend Sicherheit böten, da sie nicht genug kapitalkräftig seien. Dies ist aber nicht richtig, denn es handelt sich nicht nur um eine einzige Genossenschaft, sondern um einen ganzen Verband von Genossenschaften. Darunter sind einzelne sehr kapital⸗ kräftige. Damit ist dieser Einwand widerlegt. Es handelt sich doch zunächst darum, daß die Genossenschaften anbieten; wir wollen selbst bei den hohen Preisen auch 17 46 unter dem heutigen Preise liefern. Wenn die Genossenschaften es bei so billigen Preisen nicht liefern konnen, so würde doch nicht die Stadtverwaltung geschädigt sein, son⸗ dern die Genossenschaften. Das Risiko scheint nicht auf seiten der Stadt, sondern auf seiten der Genossenschaften zu liegen. Aber selbst wenn nach der „Vossischen Zeitung“ die städtische Verwaltung ein Risiko bis zu 10 3 zu tragen hätte, so würde sie doch zunächst bei den ersten Lieferungen ganz erheblich verdienen. Verlöre sie aber bei 50 600 Schweinen auf das Schwein 10 4, so wären das im ganzen nur 600 000 6. Die Stadtverwaltung bezieht nun aber aus dem Schlachthause einen Gewinn von 1140 000 46. Wäre es da ein so furchtbares Unglück, wenn sie von diesem Gewinn einen Teil ein⸗ büßte? Alle diese Einwendungen sind nur aus der unverständlichen Abneigung der städtischen Verwaltung gegen die inländische Schweine⸗ zucht zu erklären. Wie die Berliner Verwaltung, die doch die Ver⸗ mittlung des russischen Fleisches übernommen hat, die Vermittlung des inländischen Fleisches nicht mehr als ihre Aufgabe betrachten kann, will mir nicht einleuchten. Ich kann mir das wirklich nicht anders erklären als aus einer Abneigung gegen das inländische Fleisch. Oder aus dem politischen Grunde, um durch diese Ablehnung die Einfuhr des argentinischen Gefrierfleisches durch Aufhebung des § 12 des Fleischbeschaugesetzes durchzusetzen. Anders erkläre ich mir die inhalt— losen Einwendungen eines so unzweifelhaft geschäftlich vorteilhaften Angebots nicht. Die Tatsache läßt sich nicht aus der Welt schaffen, daß die Stadtverwaltung heute schon in der Lage wäre, ihren städti⸗ schen Einwohnern das Fleisch um 17 bis 18 M unter dem heutigen Tagespreise zu liefern. Sie könnte es sogar um 6— 8 w billiger siefern, als sie das russische Feisch verkauft. Hiernach werden wohl die Herren Berliner endlich einsehen lernen, wem sie es bis heute verdanken, daß der Fleischpreis noch nicht auf der erwünschten Höhe steht. Das
den von mir dargelegten wirtschaftlichen, sondern auch aus sehr schwer⸗ wiegenden politischen Gründen bedauern, wenn der vnzweifelhaft ernste BVerfsuch der deulschen Landwirtschaft, hier einen Ausgleich zu schaffen, an diefem Widerstande der städtischen Vempaltungen scheitern sollte. Ich würde in dieser gemeinsamen Arbeit einer großen städtischen Verwaltung mit großen landwirtschaftli n Körperschaften eine sehr starke Förderung des sozialen Friedens ehen, was in dieser ernsten Zeit dringend i erforderlich ist. Wenn der Abg. Wendorff am Schluß feiner Rede sehr . gesag hat: Stadt und Land Hand in Hand, so muß ich sagen, daß das erhalten der städtischen Ver waltungen, namentlich des Berliner Magistrats, dem allerdings nicht entspricht, und wenn dieser Versuch 3 sollte, dann dürfte ich doch wenigstens bitten, uns künftig den Vorwurf zu ersparen, als wenn es an der deutschen Landwirtschaft gelegen hätte, daß die Städte das Fleisch nicht in mäßiger Höhe bekommen können. Wenn in den nächsten Jahren die Fleischpreise wieder steigen sollten, so sind dafür die städtischen Verwaltungen verantwortlich und nicht die Landwirt⸗ schaft. Zum Schluß möchte ich nur noch namens meiner politischen Freunde hinsichtlich des von den Sozialdemokraten gestellten Antrages eine kurze Erklärung abgeben. Unsere verfassungsrechtlichen Bedenken gegen 5 33 a der Geschäftsordnung bestehen unverändert fort. Aber auch abgesehen davon erscheint uns der Antrag der soʒialdemokratischen Partei formell doch nicht zulässig. Im übrigen sind wir mit den don den verbündeten Regierungen zur Bekämpfung der Fleischteuerung ergriffenen oder in Aussicht genommenen Maßnahmen einverstanden. Wir stimmen der von den verbündeten Regierungen, vertretenen Wirtschaftspolitik zu, den sozialdemokratischen Antrag lehnen wir ab. Mit dem Äntrage, den Gesetzen t wurf einer Kommission von 21 Mit⸗ ö zu überweisen, erkläre ich mich namens meiner Freunde ein— verstanden.
Präsident Dr. Kaempf: Der von der sozialdemokratischen Fraktion im Anschluß an die Interpellation gestellte Antrag ist . statt deffen hat dieselbe Fraktion folgenden Antrag ein⸗ gebracht:
„Der Reichstag wolle beschließen: Die Behandlung der Gegenstand der Interpellation bildenden Angelegenheit durch Reichskanzler entspricht nicht der Anschauung des Reichstags.“
Außerdem ist von den Abgg. Albrecht und Genossen (Soz.) der Antrag eingegangen, die Frage, ob auf Grund des 5 33 a der Geschäftsordnung Anträge zulässig sind, die spezlalisieren, nach welcher Richkung die Behandlung einer den Gegenstand einer Interpellation bildenden Angelegenheit durch den Reichskanzler der Anschauung. des Reichstags entspricht oder nicht entspricht, der verstärkten Geschäfts⸗ ordnungskommission zur Beratung und alsbaldigen Berichterstattung an das Plenum zu überweisen.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück:
Meine Herren! Seit Jahren beschäftigt das Problem der Fleisch⸗ teuerung dieses hohe Haus. Im Laufe der letzten drei Jahre haben wir jedesmal tagelange Debatten an diese Frage gewandt. Ich bin in jedem dieser drei Jahre in der Lage gewesen, am dritten Sitzungs⸗ tage für mich das Resums dieser Verhandlungen zu ziehen, und ich muß sagen, das Resums ist im wesentlichen immer das gleiche gewesen, nämlich, daß uns diese Debatten elner Lösung des Problems, an der uns ja allen gelegen sein muß, nicht wesentlich näher geführt haben, daß im wesentlichen dieselben Streitfragen diskutiert und unentschieden geblieben sind, daß aber wirksame Maßnahmen zur Beseitigung der Fleischteuerung aus diesen Debatten nicht haben hergeleitet werden können. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Sie wollen nicht.) Ich werde die Frage gleich beantworten. Ich habe mich selbstverständlich gefragt: woher kommt das, daß es bei dem aufrichtigen Willen aller Beteiligten, hier zu helfen, auch bei dem Anerkenntnis einer gewissen Fleischknappheit und be— ängstigend hoher Fleischpreise nicht möglich ist, zu einer positiven Lösung zu kommen? Der Grund dieser im hohem Maße bedauer— lichen Erscheinung liegt näher, als man im allgemeinen glaubt. Der Grund liegt an einer falschen Fragestellung; er liegt daran, daß die Erörterungen über dieses Problem in der Regel von Grund aus auf einer falschen Voraussetzung aufgebaut werden, und daß infolgedessen die Debatten einen Gang nehmen, der sich weit von dem eigentlichen Ziel entfernt. Der Fehler ist, daß die Herren von der Linken, die vom Standpunkt der von ihnen zu vertretenden Wähler mit Recht auf eine Beseltigung der Schwierigkeiten auf dem Fleischmarkt drängen, immer mit der für sie erwiesenen Tatsache rechnen, daß die Fleischnot von unserer Zoll- und Wirt⸗ schaftspolitik herrühre (sehr richtig! links), und daß infolgedessen die Debatte über die Fleischnot im letzten Ende immer in einen heftigen wirtschaftlichen und politischen Kampf ausartet, in dem das eigentliche Ziel der Sache, nämlich zu einer zweckentsprechenden Lösung der Fleischmarktfrage zu kommen, schließlich in einem allgemeinen Ge— tümmel und dem Widerstreit allgemeiner wirtschaftlicher und politi⸗ scher Fragen untergeht.
Meine Herren, ich habe gesagt, es ist ein Irrtum, wenn man davon ausgeht, daß die Ursache unserer Fleischnot in der Hauptsache in unserer Wirtschaftspolitik zu suchen ist. Sie werden mir einwenden: jawohl, unsere ganze Zollpolitik geht doch darauf aus, die Preise zu erhöhen. (Sehr richtig! links) Gewiß, melne Herren, das ist richtig. (Hört, hört! links. — Lachen rechts Aber, meine Herren, ich habe in meinem Leben doch noch nicht gehört, daß eine Nation sich mit einem Wall von Schutzzöllen umgibt, wenn sie nicht die Absicht hat, damit auf die inneren wirt⸗ schaftlichen Verhältnisse, die Prelse einzuwirken. Das ist doch selbst⸗ verständlich, und ich erwähne es nur, well ich es glaube erwähnen zu müssen, um in meinen Deduktionen weiter zu kommen. Es ist zweifellos richtig, es ist unsere Absicht und die Absicht des Reichstags gewesen, durch unseren Zolltarif unsere innere wirtschaftliche Ent⸗ wicklung in dem Sinne zu beennflussen, daß unserer einheimischen Produktion ein Vorsprung gegenüber der ausländischen gegeben wird.
Ueber die Gesamtergebnisse dieser Wirtschaftepolitik will ich mich nicht äußern. Ich habe im vergangenen Jahre mit einer Fülle von Material nachgewlesen, daß wir unter dem Einfluß dieser Wirtschafts⸗ politik im allgemeinen eine glänzende Entwicklung zu verzeichnen haben lsehr richtig! rechts und im Zentrum), sodaß Handel und Ver⸗ kehr, Schiffahrt, Landwirtschaft und Industrie enorm vorwärts ge— gangen sind, daß das Vermögen des deutschen Volks alljährlich um erhebliche Summen wächst, und daß uns diese ganze Wirtschaftepolitit in die Lage versetzt hat, eine Sozialpolitik zu treiben, wie sie gleich umfangreich und gleich groß an Opfern lange Zeit kein anderer Staat der Welt auch nur versucht hat uns nachjumachen. Erst in allerletzter Zeit ist das reiche Großbritannien dazu gekommen, einen energischen Versuch auf dem Wege zu tun; aber das republikanische Frankreich ist bis vor kurzem nicht in der dage gewesen, uns in dieser Frage auch nur annähernd an die Gurten ju kommen. Ich kann diesen Ausführungen nur hinzufügen, daß ich in der Lage sein würde und vielleicht im Laufe des Winters in der Lage
den den
. Wissen Sie denn, wieviel zu Hause geschlachtet wird, wieviel Pfund Karbonaden,
Rommt etwa in der Statistik zum Ausdruck, wie sich der Geschmack
können Sie doch nicht in Abrede stellen. Ich würde es nicht nur aus
sein werde, bei einer anderen Gelegenheit nachzuweisen, daß die Er⸗
fise der Farmprodukte.
vorgenannten Periode 100 setzt — eine Steigerung z. B. für
pbnisse unserer Wirtschaftspolitik,ů wie ich sie im verflossenen Jahre höe feststellen können, auch in dem jetzt hinter uns liegenden Jahre Felben günstigen und glücklichen gewesen sind, daß wir zu einem Maße von wirtschaftlicher Stärke gelangt sind, das uns in unruhigen ten, wie wir sie gelegentlich erlebt haben, mit Ruhe und Fsicherheit hat in die Zukunft sehen lassen.
Sollte diese Wititschaftspolltik nun wirklich die Schuld daran agen, daß eine Teuerung eingetreten ist, die in keinem Verhältnis Ett zu der Mehrbelastung unserer gesamten Produktion, pserer gesamten Wirtschaftsführung, die durch die immerhin bißigen Zölle herbeigeführt werden kann? (Zuruf von den Sozial— mokraten: Mäßig? Sehr gut!) Ja, meine Herren, es gibt Länder, ze sehr viel höhere Zölle haben. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Delche denn?) Ich will aber mit Ihnen über das Maß der Zölle Echt streiten. Wir sind uns ja über den Zweck der Zölle im klaren. handelt sich nur um die Frage, ist die sogenannte allgemeine uerung und speziell die Teuerung unserer Lebensmittel in unmittel⸗ rem Zusammenhang und als hauptsächliche Folge unserer Wirt⸗ Haftsvolitik anzusehen.
Nun, meine Herren, demgegenüber müssen wir uns doch eines pzenwärtig halten: das Wirtschaftsleben eines großen Volkes spielt sich satzutage überhaupt nicht in den Grenzpfählen des betreffenden Landes es ist beeinflußt durch die wirtschaftlichen und politischen Vorgänge r ganzen Welt. Auch die Lebenshaltung eines einzelnen Mannes von Escheidenen Ansprüchen, von bescheidenen Mitteln macht ihn zum hostzänger eigentlich der Produktion der gan en Welt. Und bei dieser hiernationalen Entwicklung des Wirtschaftslebens der Welt ist es sbstverständlich, daß die wirtschaftlichen Vorgänge der einzelnen Ender in immer steigendem Maße beeinflußt werden durch allgemeine Dorgange, und daß der Einfluß, den die Wirtschaftspolitik des ein—⸗ knen Staates z. B. auf die Preisbewegung im großen und ganzen züben kann, verhältnismäßig gering sein muß im Vergleich mit n Einflüssen internationalen Ursprungs, und in der Richtung möchte hauf folgendes aufmerksam machen.
Ich habe aus Anlaß der früheren Debatten mich schon vor ngerer Zelt an unsere auswärtigen Missionen gewandt und sie ge⸗ ten, wenn irgend tunlich, ein zuverlässiges und übersichtliches Ma, rial über die Preisbildung der Lebensmittel und anderer cictschaftlich wichtigen Artikel in den betreffenden Ländern zu be— affen. Das Material liegt mir jetzt vor. Ich will Sie nicht rgwellen und will meine eigenen Ausführungen nicht dadurch be— Pgsen, daß ich die Fülle von Zahlen Ihnen zugänglich mache. Ich bede überlegen, ob ich vielleicht in anderer Form wenigstens einen Fil dieses Materials verwerten kann. (Bravo! — Zurufe: Alles h ber ich möchte als Ergebnis dieser allgemeinen Umfrage ch immerhin auf dies und jenes hinweisen.
Zunächst, meine Herren, muß man sich darüber klar sein, daß das genannte Preisniveau gewissen periodischen Schwankungen nterworfen ist, daß, wenn wir auf der aufsteigenden Welle sind, knezwegs immer eine Steigerung des gesamten Preisniveaus ein— Fit, sondern daß man in einer Periode steigender Preise mit mwissen Artikeln unter der Periode einer früheren Zeit bleibt. Ich sinere an ein Beispiel, das ich früher schon einmal angeführt be: das ist die Höhe der Getreidepreise in der zollfreien Zeit, ein sltema, das — ich muß das immer noch einmal betonen — in der treff lichen Arbeit von Schippel in den „Sozlalistischen Monats⸗ 'sten' bis in alle Einzelheiten ausgeführt ist, wo überzeugend nach kwiesen ist, daß die Getreidepreise heute noch nicht die Höhe erreicht den, die sie zeitweilig in der Zeit vor unserer Schutzzollpolitik abt haben. (Sehr richtig! rechts.) Ich führe das bloß an, um zu zeigen, e viele andere Momente die Preise beeinflussen können, als die jeweilige dittschaftspolitik. Ferner, meine Herren, können wir feststellen, daß 6 die hinter uns liegenden zwei Jahrzehnte die Entwicklung der risse d. h. das Einsetzen und der Verlauf der Steigerung des teisniveaus, beinahe in der ganzen Welt sich gleichmäßig oder engstens in einer gewissen Parallelität vollzogen hat. Es ist ja möglich, die Preise in England und in Canada, in Amerika und Runs in sich irgendwie zu vergleichen. Nicht nur die Statistiken, f denen die Angaben aufgebaut sind, sind incommensurabel; es ist ich unmöglich, die Summe von Faktoren zu beurteilen, welche in ö einen oder anderen Lande diese Entwicklung beeinflussen. Wohl r ist man in der Lage, festzustellen, wie sich in den einzelnen ndern die Steigerung der Preise vollzieht, und dann einen allge— äinen Vergleich dieser Bewegung in den in Betracht kommenden ndern vorzunehmen.
Um anzufangen mit Neuseeland: Ein Land, das sich unter so olut anderen wirtschaftlichen Verhältnissen entwickelt hat wie wir, at seit längerer Zeit über eine erhebliche Teuerung. Die dortige czierung hat eine Kommission niedergesetzt, um die Ursachen dieser terung festzustellen. Diese Kommission ist zu dem Ergebnis ge— mmen, daß seit den neunziger Jahren die Lebenshaltung dort um nn 16 do gestlegen sei. Die Steigerung für Miete belaufe sich auf Mo, für Nahrungsmittel auf nahezu 55 o/o und für Beleuchtung ungefähr 20 /0w
Aus Australien liegen Zahlen vor, aus denen sich ergibt, daß ̃ Hroßhandelspreise bei einem großen Komplex von Artikeln gegen—⸗ ö 1901 bis zum Jahre 1909 gestiegen sind von 100 auf 121,2, ö, genauer gesagt: um 21,2 0 .
n Ostindien hat sich — ebenfalls in einer allgemeinen chschnitts berechnung dargestellt — von 1901 bis 1909 eine igerung der Nahrungsmittelpreise um 33 oo vollzogen.
dan eingehend unterrichtet sind wir über die Verhältnisse der einigten Staaten von Nordam erika, auf Grund der mmtlich vorzüglichen und sorgsamen Statistik der nordamerikanischen ng Auch hier zeigt sich ein allgemeines Steigen, und zwar, o wie bei uns, in erster Linie ein starkes Anziehen der Man hat berechnet, daß gegen . Durchschnit der Preise von 1890 bis 1899 das Preis⸗ eau im allgemeinen um 29,3 Olo gestiegen ist, während sich ö landwirtschaftlichen Erzeugnissen eine Steigerung von . volliogen hat. Von diesen landwirtschaftlichen Pro— ö ist wieder an der Steigerung am stärksten beteiligt der Eschmarkt in Nordamerika, wo sich — wenn man als Grundzahl
hn je nach Qualität auf 136 bis 142 gezeigt hat. ö! will auf die einzelnen Zahlen nicht weiter eingehen; ich nie Ihnen nachweisen, daß samtliche in Betracht kommenden
auch auf die Gründe, die man in Amerika glaubt für diese Vorgänge gefunden zu haben, nicht näher eingehen. Der Amerikaner sucht sie nicht in seiner Wirtschaftspolitik, sondern in einer ganzen Reihe von anderen Vorgängen. (Abg. Gothein: Siehe die letzten Wahlen) — Das werden wir ja abwarten, was die letzten Wahlen für einen Ein— fluß auf die amerikanische Wirtschaftspolitik haben werden; ich würde mich sehr freuen, wenn die Hoffnungen in Erfüllung gingen, die der Herr Abg. Gothein an sie zu knüpfen scheint! — (Heiterkeit) Die Gründe, die man aber in den Vereinigten Staat von Nordamerika gefunden zu haben glaubt, sind ganz ähnlich denen, die auch bei uns von den Volkswirten für die Steigerung angeführt werden.
Frappant ist es, daß in Canada eine ganz ähnliche Entwicklung dorllegt, wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, obwohl in Canada zweifellos die landwirtschaftlichen Verhältnisse ganz anders liegen, als in der Union, wo der jungfräuliche Boden am Ver— schwinden ist und die alte extensive Wirtschaft zu verschwind en und die Wirtschaft in sich teurer zu werden beginnt. Aber auch Groß— britannien, das einer völltg anderen Wirtschaftspolitik huldigt als wir, das klassische Land des Freihandels, ist nicht frei geblieben von einer nicht unbeträchtlichen Steigerung. (Zuruf von den Sozial— demokraten: Es ist überall in der ganzen Welt teurer geworden! Die Zahlen sind uns bekannt) — Ganz gewiß, meine Herren! Wenn Ihnen das alles bekannt ist, werden Sie mir doch gestatten, das hier anzuführen. Ich höre auch sehr oft Zahlen an, die mir bekannt sind, sogar manchmal aus meinem eigenen statistischen Material. (Sehr gut! und große Heiterkeit.)
Meine Herren, auch Großbritannien hat derartige Steigerungen aufzuweisen, und der Vollständigkeit halber will ich auch auf Däne— mark hinweisen. Auch in Dänemark hat sich eine Steigerung speziell der Lebensmittel und der Fleischpreise gezeigt. Nun ist Däne⸗ mark ebenfalls ein Land, das grundsätzlich dem Freihandel huldigt, aber die Verhältnisse von Dänemark sind mir für meine Deduktionen nur insofern interessant, als man gerade an dem Beispiel von Däne⸗ mark sehen kann, wie hier die Preisverhältnisse überwiegend beeinflußt werden von Verhältnissen, die außerhalb des betreffenden Landes liegen, und die in keinem Zusammenhange mit der Wirtschaftspolitik stehen. Dänemark ist ein überwiegend agrarischer Staat, es ist an— gewiesen auf eine der Quantität nach relativ geringe Ausfuhr in das Ausland, und es ist in der angenehmen Lage, in der sich ein kleiner Außenseiter neben einem großen Syndikat befindet, der von den Syndikatspreisen Vorteile zieht, ohne seinerseits die Lasten der Syndizierung tragen zu müssen.
Wenn Sie Belgien nehmen, ein Land, das Cerealien mit Aus⸗ schluß von Hafer zollfrei einläßt, ein Land, das Nahrungsmittel im übrigen sehr mäßig besteuert, so finden Sie auch hier diese Steigerung, und Sie finden auch in Belgien eine erhebliche Steigerung des Wertes gerade des landwirtschaftlich genutzen Besitzes. Ich glaube, es sind einige 20 0/0, um die sich Acker⸗ und Weideland im Laufe der letzten Jahre in Belgien gesteigert haben.
Gleichfalls beträchtlich ist die Steigerung in dem klassischen Lande der Nahrungsmittelzölle, in Frankreich. Ich will aber, da die Herren das alles wissen (Heiterkeit rechts), die Zahlen hier nicht vorführen, denn ich habe kein Interesse daran, Sie mit Zahlen zu lang— weilen; ich weiß, man folgt derartigen Ausführungen nicht gern. Aber wenn Sie Schweden nehmen, so finden Sie hier ebenfallẽ eine gewisse Steigerung. Sie finden in Schweden eine sehr auffällige Erscheinung, nämlich eine enorme Steigerung aller Lebensmittelverhältnisse in Stockholm, über die sich die schwedischen Volkswirte vorläufig noch den Kopf zerbrechen, die aber nicht aus der Welt zu schaffen ist. Norwegen, auch die Schweiz, wie ich entgegen gelegentlichen Aeußerungen in der Presse hervorhebe, sind von der Teurung nicht verschont geblieben, ebenso— wenig Italien oder Oesterreich-Ungarn.
Alle diese Ausführungen beweisen, daß in Ländern, in denen die verschiedenartigste Wirtschaftspolitik verfolgt wird, in denen die wirt— schaftlichen Verhältnisse einzelner Zweige, z. B. der Landwirtschaft, ganz verschieden gelagert sind, doch diese erhebliche Welle der Steige⸗ rung fühlbar wird. Und danach liegt doch wohl der Schluß nahe, daß die erhebliche Steigerung, die wir bei un seren Nahrungsmitteln und vor allem beim Fleische haben, ihren Grund in internationalen Ursachen hat, in Ursachen, die wir außerstande sind, aus der Welt zu schaffen, und über die man deswegen nicht diskutieren sollte, wenn man in Deutschland innerhalb unserer schwarz⸗welß⸗roten Grenzpfähle dem Problem zu Leibe gehen will. Dadurch aber, daß immer wieder diese unfruchtbaren Erörterungen über unsere Wirtschaftspolitik gepflogen werden, unfruchtbar, well sie ja niemals diesen Reichstag dazu bringen werden, auch nur einen Zoll an unserer Wirtschaftspolitik zu ändern, — (Zurufe von den Sozialdemokraten: Leider!) dadurch, daß diese unfrucht⸗ baren Erörterungen immer wieder mit dem Fleischproblem verknüpft werden, wird es uns allen erschwert und namentlich den Herren auf der rechten Seite, an diesem Problem mitzuarbeiten. Meine Herren, wenn nicht die Frage der Fleischnot stets mit der Frage unserer Wirtschaftspolitik verquickt würde, wenn die Debatten über die Fleischnot nicht regelmäßig ausliefen in dem leidenschaftlichen Rufe nach einem Abbau dieser Wirtschaftspolitik, dann würden die Herren auf der Rechten sehr viel leichter und ruhigeren Herzens in der Lage sein (aha! und Lachen links), mit Ihnen über Maßnahmen zu beraten, die Ihnen unbedenklich sein würden, wenn sie einwandfrei und sicher nur anzusehen wären als eine Korrektur augenblicklicher Schwankungen und Unebenheiten und nicht als der gewollte Anfang eines Bruches mit den bewährten Traditionen unserer Wirtschaftspolitik (sehr richtig! rechts), einer Wirtschaftspolitik, die uns wirtschaftlich groß gemacht und unsere Wehrhaftigkeit gewähr— leistet hat.
Auch in einem anderen Punkte wird die Lösung des
Problems geschädigt durch die Art, wie man glaubt, das Maß
der Fleischteuerung festzulegen, wie man die Notwendigkeit
durchgreifender Reformen rechtfertigen zu können glaubt. Melne Herren,
Sie (nach links) operieren immer mit dem oft genannten, viel be—
strittenen, von jedem Physiologen anders festgestellten Minimalsatz
von Eiweiß (Zuruf: Nein) — warten Sie doch, Herr Dr. Südekum
— und dem Maß von Fleisch, die auf Grund dieser theoretischen
Erörterungen dem einzelnen Menschen zugeführt werden sollen, und
welche Quantitäten tatsächlich nach unserer Statistik zur Verfügung
gestanden haben. Es ist zweifellos richtig: wir haben nicht in allen
Jahren das gleiche Quantum Flelsch zur Verfügung. Wir haben in
den letzten Jahren zwelfellos weniger Fleisch zur Verfügung gehabt
tel einer starken Steigerung unterworfen gewesen sind. Ich will
vergessen, daß das Fleischauantum, das uns heute zur Verfügung steht, immer noch größer ist, als das Fleischquantum, das wir vor 7, 8 oder 10 Jahren hatten, und dessen Quantität damals nie ein Mensch als unzureichend bezeichnet hat. (Abg. Dr. Südekum: Ganz unglaublich!) — Es ist nicht unglaublich. (Erneuter Zuruf von den Sozial— demokraten.)
Sie haben vollständig recht, Herr Dr. Südekum, wenn Sie nur Ihr unglaublich“ bis zu dem Augenblick aufsparen wollen, wo ich mit meinen Deduktionen fertig bin! Sie würden dann mir und Ihnen die Diskussion erleichtern. (Sehr richtig! rechts.)
Also ich habe lediglich festgestellt, daß, wenn man vergleicht, was wir heute zur Verfügung haben, was wir in den Jahren, die kurz hinter uns liegen, zur Verfügung gehabt haben, und was wir in den achtziger Jahren zur Verfügung hatten, das Ergebnis herauskommt: wir haben heute weniger als in der allerletzten Zeit, aber immer noch mehr, als wir vor 10 Jahren hatten und vor 10 Jahren als ausreichend angesehen haben. Nun sagt Herr Dr. Sädekum: das ist ja furchtbar einfach, das hängt damit zusammen, daß eben unsere industrielle Bevölkerung sich vermehrt hat, daß die städtische Bevölkerung sich vermehrt hat, und daß die Anforderungen, die der Industriearbelter, der Kopfarbeiter an die Fleischnahrung stellt, größer sind, als sie früher der Lage der Dinge nach im Durchschnitt sein mußten, wo unsere Bevölkerung überwiegend landwirtschaftlich war. Gerade auf den Punkt wollte ich mit meiner Deduktion kommen. Es ist aus diesem Grunde falsch, wenn man nun weiterhin mit der Frage operiert, wieviel der einzelne Arbeiter dieser oder jener Kategorie braucht. Das sind Doktorfragen, bei denen Sie von jedem Volkswirt, von jedem Physiologen — ich habe mich in diesen Tagen mit manchem unter— halten — eine andere Antwort bekommen, und es sind Fragen, die uns absolut von der Sache abziehen. Es kommt lediglich darauf an, festzustellen, ob bestimmte Bevölkerungskreise nicht in der Lage sind, das übliche Quantum Fleisch, das sie zu verzehren ge— wohnt sind, zu nach Lage der Verhältnisse annehmbaren Preisen zu kaufen. Daß nach dieser Richtung hin zurzeit die Grenze vielleicht überschritten ist, kann gar keinem Zweifel unterliegen. Aber — und auch darüber muß man sich klar sein — die Grenze ist doch nicht für die ganze Bevölkerung überschritten worden, sondern ein großer Teil unserer Bevölkerung, und zwar viel mehr als bloß die sogenannten oberen Zehntausend, sind noch lange nicht in Not. Ein derartiger Mangel tritt in Form eines Notstandes doch nur für dieienigen Bevölkerungskreise auf, die schon ihrer ganzen Entlöhnung, ihrem Einkommen nach sich ohnehin nur einen bescheidenen oder unzureichenden Fleischgenuß gewähren können. (Hört, hört!)
Hier komme ich nun auf den Punkt, bei dem die Lösung des Problems liegt; hier komme ich auf das Ziel der als unzureichend und falsch charaterisierten Maßnahmen der Staat regierun 9 Wir streiten gar nicht darüber, daß das Fleisch knapp ist; wir be dauern mit Ihnen auf das lebhafteste, daß es uns bisher nicht ge— lungen ist, des Uebels Herr zu werden. Wenn man sich aber darüber klar ist, daß dle besser gestellten Kreise der Bevölkerung nicht Not leiden, wenn man sich darüber klar ist, daß der Fleischbedarf und damit auch bei hohen Fleischpreisen die Fleischnot — am stärksten in den großen Städten mit ihrer industriellen Bevölkerung ist, so ergibt sich mit Naturnotwendigkeit, daß man versuchen muß, an dieser Stelle einzusetzen. In dem Augenblick, wo Sie das Problem auf diese Frage teduneren, wird es wesentlich vereinfacht; denn nun fragt es sich: wie sind wir denn in der Lage, hier Abhilfe zu schaffen? Die Mehrzahl der Mittel — ich will auf diese Frage nicht näher eingehen — die geeignet sind, unsere Fleischproduktion auf die Dauer zu steigern, alle diese Mittel sind in erster Linie durch die Einzelstaaten zu ergrelfen: die Förderung der Viehzucht, die Verbesserung der Handhabung unserer Veterinär- und Seuchenpolizei, die Hebung der inneren Kolonisation, die Verbesserung und Vermehrung des Futtermlttel— baues usw. — das sind Fragen, die uns hier nicht interessieren. (Oho! links) Daß sind Fragen, in die wir unmittelbar nicht eingreifen können, sondern die den Landesregierungen zuzuweisen sind. — Meine Herren, ich bitte, mich nicht mißzuverstehen, wenn ich sage: sie inter— essieren uns nicht! Sie interessieren mich persönlich allein schon meiner ganzen stark agrarischen Vergangenheit nach sehr lebhaft. (SHeiterkeit. Ich melne, sie interessieren uns augenblicklich nicht, weil sie aus dem Rahmen derjenigen Maßnahmen ausscheiden, die etwa der Reichstag oder die Reichsleitung unmittelbar zu ergreifen in der Lage wären.
Wenn Sie nun ferner berücksichtigen, daß unter den innerhalb unserer Grenzpfähle sich bemerkbar machenden Einflüssen, die zweifellos eine große Wirkung auf die Entwicklung der Fleischpreise der letzten Jahre ausgeübt haben, wie vor allem die Maul- und Klauenseuche ebenfalls Naturereignisse sind, die wir nicht aus der Welt schaffen können, ebensowenig wie die Teuerung des vorigen Jahres, — wenn Sie das berücksichtigen, so bleibt eben nur ein ganz kleiner Kreis von Punkten übrig, wo wir in der Lage sind, den Hebel anzusetzen. Das ist die Frage: wie sind wir in der Lage, den in schwierigen Verhält— nissen befindlichen breiten Massen der großen Städte in dieser schwierigen Situation zu Hilfe zu kommen?
Was haben nun die verbündeten Regierungen hier getan? Die verbündeten Regierungen haben gesagt: wir müssen an diese Zentren — ob im einzelnen jede Stadt richtig gegriffen ist, die bedacht worden ist oder nicht bedacht worden ist, kann hier unerörtert bleiben — wir müssen an diese Zentren Fleisch zu mäßigen Preisen heranzu— bringen suchen. Um das zu ermöglichen, sind mit einer gewissen Vorsicht unsere Grenzsperren zeitweilig im Wege von Lizenzen erleichtert
zum Teil aufgehoben worden. Um das zu ermöglichen, hat man die Städte angeregt, die Beschaffung, die Schlachtung und eventuell den Verkauf des Fleisches, das zu erleichterten Bedingungen aus dem Auslande eingeführt werden kann, in die Hand zu nehmen. Um den Städten die Sache schmackhaft zu machen, um ihnen die ungewohnte Aufgabe zu erleichtern, haben wir uns dazu entschlossen, nicht eine Suspension der Fleischzölle eintreten zu lassen, sondern einen Erlaß aus Billigkeit sgründen, zu dem wir eine Vollmacht auf beschränkte Zeit von Ihnen erbitten.
Nun wird eingewendet werden und ist eingewendet worden: das alles ist eine Sache, die die großen Städte gar nichts angeht. Ist
denn das richtig? Wenn Sie sich einmal den Gang der Debatte
aus den letzten drei, vier Jahren vor Augen halten, so werden
Sie finden, daß Redner beinahe aller Parteien zu der Feststellung
gekommen sind, daß die wirtschaftlichen Vorgänge, die zwischen dem
als manche Jahre vorher. Aber, meine Herren, Sie dürfen nicht
Stall, aus dem das Vieh kommt, und der Küche des Koasumenten