1913 / 12 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Jan 1913 18:00:01 GMT) scan diff

sich einer Plusmacherei schuldig mache und, wie die Aktionäre eines großen Unternehmens, auf hohe Dividenden wirtschafte. Melne Herren, ich weiß mich als Chef der Staats eisenbahnverwaltung von diesem Vorwurf durchaus frei; ich verwalte das stelle ich hiermit wiederholt fest, wie schon bei anderen Gelegenheiten die Staatseisenbahnen ganz überwiegend unter dem Gesichtspunkte, daß sie in erster Linie den großen Verkehrszwecken zu dienen haben, um derentwillen sie da sind. (Bravo!) Und wenn ich gleichzeitig gehalten bin, in dem weiten Bereiche der Staatseisen⸗ bahnen auf eine verständige Wirtschaftsführung zu drängen, dann ge⸗ schieht es doch nur im reinsten Staatsinteresse. (Sehr richtig! rechts)] Ich kann ja auch alljährlich feststellen, welche Freude Sie daran haben, daß diese Wirtschaftsführung so glänzende Ergebnisse gehabt hat, wie sie Jahr für Jahr zu verzeichnen sind. (Sehr gut! im Zentrum und rechts) Ich muß Ihre Erinnerung noch einmal auf das Jahr 1908 zurück⸗ führen und Sie erinnern an den schweren Druck, der auf Ihnen allen lag, und daran mit welcher Genugtuung Sie meine Mitteilungen ent⸗ gegennahmen, daß wir nach der damaligen Verkehrsnot wir hatten auch damals bereits eine Verkehrsnot und nach der großen Unwirtschaftlichkeit, die diese Verkehrsnot zur Folge hatte, wieder in ruhige, verständige und wirtschaftliche Bahnen eingelenkt seien. Ich habe Ihnen damals mitteilen können, daß wir allmählich in den Stand gesetzt worden seien, das übergroße Personal wieder auf⸗ zusaugen und daß wir dank der wittschaftlichen Gestaltung des ge⸗ samten Betriebs eine erhebliche Verkehrssteigerung aufnehmen konnten ohne irgendwelche Ausbeutung der Arbeitskraft. Die durchschnittliche Beanspruchung des Personals für Dienstzwecke nimmt vielmehr all⸗ jhrlich ab; darüber kann kein Zweifel bestehen. Dieser große wirt⸗ schaftliche Erfolg konnte in der Tat Genugtuung erwecken. Denn in dieser wirtschaftlichen Gestaltung des Betriebes lagen ungezählte Millionen, die ohne Not ausgegeben wurden, die sich auch nur durch den Zwang der Verhältnisse rechtfertigten, wie sie eine solche Verkehrsnot immer im Gefolge haben wird. Ich konnte damals immer wieder darauf hinweisen, daß die Verwaltung durch die planmäßige, zweckmäßige, stark fortschreitende Ausgestaltung ihres ganzen Netzes und ihres Betriebsparkes in der Lage gewesen war, das Verhältnis zwischen Verkehrs⸗ und Betriebsleitung in ganz außergewöhnlicher Weise zu verbessern, und daß infolge dieses günstigen Verhältnisses die Rein⸗ erträge der Staatseisenbahnverwaltung auffällig günstig geworden waren. Gegen diese Behauptung gibt es keinen Einwand. Man kann nicht sagen: dieser Erfolg sei durch eine übermäßige Ausbeutung der Arbeitskraft erzielt. Er war erzielt aueschließlich durch die stark fortschreitende Ausgestaltung unseres gesamten mechanischen Apparats.

Wenn ich mir nun vergegenwärtige, welche Vorwürfe heute der Staatzseisenbahnverwaltung gemacht werden, anknüpfend an die schweren Verkehrskalamitäten, die sich soeben im Westen der Monarchie voll⸗ zogen haben, dann komme ich zu dem Empfinden, daß das, was mir und der Verwaltung damals als großes Verdienst angerechnet wurde, mir heute zur Last geschrieben wird. Herr Abg. Dr. Friedberg wie auch andere Herren seiner Partei haben dieser Auffassung wiederholt und recht scharf Ausdruck verliehen. Gleiche Auffassungen sind auch im Reichstage bei den Verhandlungen der letzten Woche vertreten worden; es hat mich freilich gefreut, daß auch von anderer Seite mit Ent⸗ schiedenheit dieser Kritik entgegengetreten worden sst.

Herr Abg. Dr. Friedberg hat positiv ausgesprochen, sodaß es fast schien, als wäre ein Widerspruch dagegen unmöglich, daß die Ver— waltung ihr gesamtes Personal nicht den Bedürfnissen des Verkehrs entsprechend vermehrt hätte. Es würde mir von großem Interesse sein, wenn Herr Abg. Dr. Friedberg die Güte hätte nachzuweisen, worauf diese Annahme sich stützt. Wenn sie etwa aus der Tatsache entspringen sollte, daß wir während der Verkehrsnot im Ruhrrevier genötigt worden sind, aus fernen Bezirken in großer Zahl Hilfs— personal heranzuziehen, so würde diese Deduktion in bezug auf unseren Personalbestand durchaus abwegig sein; sie würde beweisen, daß man für die Situationen, die sich in solchen Zeiten entwickeln, gar kein Verständnis hat. Ich bin fest überzeugt, daß Herr Abg. Dr. Fried⸗ berg diese Meinung nicht hat; sie ist aber vielfach vertreten worden. In solchen Zeiten brauchen wir für die Manipulationen auf unseren großen Bahnhöfen an Personal das Doppelte von dem, was in Zeiten geordneten Verkehrs erforderlich ist, well alles durcheinander geht.

Ganz derselbe Gesichtspunkt ist für die Frage maßgebend, ob wir das nötige Material an Lokomotiven dort hatten. Für den regelmäßigen Verkehr, sellst den starken, reicht unser Lokomotivpark auch im Westen vollkommen aus. Aber in solchen Zeiten gestörter Ordnung reicht er eben nicht aus. Dann sind wir genötigt, von fern her diesen Loko— motivpark zu verstärken, und ich meine, es ist ein ganz besonderer Vorzug dieses riesenhaften Netzes, daß ihm die Eigenschaft der Elasttzität, der Anpassungsmöglichkeit in dem bewiesenen Maße inne⸗ wohnt.

Herr Abg. Dr. Friedberg, wiederum in Uebereinstimmung mit Aeußerungen seiner Herren Parteifreunde, hat die Bautätigkeit der Staatseisenbahnverwaltung bemängelt, obwohl ich mir gestattet habe, den Nachweis zu führen, welche enorme Entwicklung die Bautätigkeit der Staatseisenbahnen während einer ganzen Reihe von Jahren genommen hat. Ich habe vor einiger Zeit aus— gesprochen, daß ich fürchtete, wir wären gar nicht mehr in der Lage, die Bautätigkeit weiter zu steigern. Diese meine Aeußerung hat mir der Herr Abgeordnete vorgehalten. Er hat freilich vergessen hinzuzufügen, daß ich bei der letzten Er— zrterung über die Verkehrsnot in Westfalen hier im Hause ausdrücklich hinzufügte: die Zustände, wie sie sich dort gezeigt haben, haben mir den Beweis geliefert, daß die Verwaltung un ter allen Umständen ihre Bautätigkeit noch erheblich steigern muß. Und, meine Herren, angesichts des vorliegenden Nachtragsetats, dessen Verabschiedung ich für durchaus dringlich halte, kann ich hier feststellen, daß heute bereits alles vorbereitet ist, um diese meine Absicht alsbald in die Tat umzusetzen und den größten Teil der Bauten, die der Nachtragsetat enthält, bereits im Herbst dem Verkehr zur Verfügung zu stellen. (Bravo!) Und ich füge ferner hinzu, meine Herren, um irgendwelchen Mißverständnissen vorzubeugen, daß mit diesen 60 Millionen doch nur verhältnismäßig wenig geschehen sein wird. Sie werden sich aus dem Anleihegesetze dieses Jahres und ich glaube auch, an denen der nächsten Jahre überzeugen, daß ich die Zu⸗ sicherungen, die ich im November und Dezember hier gegeben habe, daß wir das Staatseisenbahnnetz in einer den Bedürfnissen des Verkehrs auf Grund der Lehren, die wir erfahren haben, entsprechenden Weise ausbauen werden, voll erfüllen und bald erfüllen will. Aber die

baldige Erfüllung läßt sich naturgemäß nicht zohne große, in der Sache liegende Schwierigkeiten durchsetzen. .

Herr Abg. Dr. Friedberg meinte, der Staatgteisenbahnverwaltung stehe an Baukrediten über eine Milliarde zur Verfügung, warum nähmen wir diese großen Kredite in Anspruch, wenn sie nicht verbaut würden? Er übersieht dabei, daß wir an die Projektierung und Ausführung der Bauten, insbesondere an die Spezialprojektierung der Bauten erst dann herantreten können, wenn uns die Mittel bewilligt sind. Er übersieht die großen Schwierigkeiten, die sich der Ver⸗ wirklichung umfassender Projekte in allen großen Städten des Landes und insbesondere in den Industrierevieren entgegenstellen. Diese großen Schwierigkeiten übersteigen alle Voraus setzungen derjenigen, dle mit der Behandlung dieser Fragen nicht befaßt sind. Mit der landespolizeilichen Prüfung, mit der Planfeststellung, die der Enteignung vorhergehen muß, ist es ja nicht geschehen; bei diesen Prüfungen erkennen wir immer wieder, wie scharf öffentliche und private Interessen sich gegenüberstehen, und müssen einen Aus⸗ gleich herbeiführen. Sehen Sie sich die Riesenbahnbauten der In⸗ dustriereviere an, wie sie in die örtlichen Verhältnisse der Städte und Gemeinden eingrelfen, dann werden Sie auch erkennen, wie außer⸗ ordentlich schwer und langwierig die Verwirklichung der Projekte ist. (Sehr richtig) Das ist ja eben der große Unsegen gewesen, daß wir, obwohl wir bereits im Jahre 1906/07 unsere Bautätigkeit auf das äußerste gesteigert hatten, einen Teil dieser Riesenprojekte nicht bis zum Herbst 1913 fertigstellen konnten; daraus erwuchs der größte Teil der Schwierigkeiten, die ich mir erlaubt habe, im einzelnen im Dezember darzulegen.

Herr Abg. Dr. Friedberg hat, wie es ja nun im Laufe der letzten Wochen und Monate häufig geschehen ist, hier wiederholt die Schuldfrage für Kalamitäten, die sich ergeben hahen, aufge⸗ worfen. Nachdem ich das Beste, was ich an Material zur Ver⸗ fügung habe, hier offen klargelegt und meines Erachtens überzeugend dargetan habe, daß ganz außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen, möchte ich die Schuldfrage aus den Verhandlungen überhaupt aus⸗ scheiden. Ich werde nur immer wieder gedrängt, sie zu erörtern, weil ich es meiner Verwaltung, die im Laufe der letzten Jahre ganz Außergewöhnliches geschaffen und erreicht hat, schuldig zu sein glaube, sie zu exkulpieren.

Auch im Relchstage ist die Schuldfrage mit ungewöhnlicher Schärfe erörtert worden. Man hat es dort dem Herrn Prãͤ⸗ sidenten des Reichseisenbahnamts geradezu zum Vorwurf gemacht, daß er, einer der ersten Kenner unseres Eisenbahnwesens, nach sorg⸗ fältiger Durchprüfung des ganzen ihm unterbreiteten Materials zu der gleichen Auffassung gekommen ist wie ich als Chef der preußischen Eisenbahnverwaltung. Die Angriffe im Reichstage waren außer— ordentlich heftig; ein Redner hat es dort für angemessen erachtet, auszusprechen: man müsse sich erstaunt fragen, wie entweder die geistige Verfassung oder wie der Kalender des Eisenbahnministers be⸗ schaffen gewesen sein muß, (Heiterkeit) wenn er in seiner Erklärung in der Eisenbahnkommission des Herrenhauses sagen konnte: Nun ist unsere Wagengestellung im Ruhrrevier von Anfang November an eine geradezu glänzende gewesen“. Also, meine Herren, an meiner geistigen Verfassung sind hier Zweifel erhoben worden. Sie werden nicht glauben, meine Herten, daß ich eine solche Aeußerung tragisch nehme; (Heiterkeit) aber es ist doch charakteristisch, daß der betreffende Redner sich nicht die geringste Mühe gegeben hat, die Zahlen nach⸗ zuprüfen. (Hört! hört! Ich habe damals gerade nachweisen können, daß wir von Januar bis Anfang Oktober eine glänzende Wagengestellung im ganzen Staatsbahnbereich gehabt haben, daß wir im Ruhrrevter im September 1912 glatt 15 Wagen mehr gegen 1911 gestellt haben, daß wir im Ruhrrevier die höchsten Leistungen erreicht haben. Trotzdem ist eine solche Aeußerung möglich!

Nun, meine Herren, ich werde mir die Mühe nicht verdrießen lassen. Ich bin fest überzeugt, daß wir in der Budgetkommission auch diese Frage noch eingehend erörtern werden; ich werde versuchen, den Gegnern meiner Auffassung auf andere Weise beizukommen, indem ich Ihnen leicht faßbare graphische Bilder vorlege. (Heiterkeit rechts. Ich verstehe es vollkommen, wenn wegen solcher Kala⸗ mitäten die geschädigten Interessenten Vorwürfe gegen die Verwaltung häufen, die die Verantwortung trägt; das ist durchaus menschlich, und wer sollte sich dagegen sträuben. Ich verstehe es aber nicht, wenn wirtschaftliche Korporationen in ihren Berichten sich diese Auffassung der Interessenten ohne genügende Würdigung der Tatsachen aneignen und eine Verwaltung, die sich nur in den Dienst des Verkehrs stellt, steinigen, weil sie mit dem außerordentlichen und plötzlichen Fortschreiten des Verkehrs, das jahrelang angehalten hat, nicht mit⸗ gekommen ist. Ich verstehe es freilich noch weniger, wenn hier in diesem hohen Hause so scharfe abweisende Kritiken geübt werden angesichts eines glänzenden unanfechtbaren Zahlenmaterials.

Meine Herren, Herr Abg. Dr. Friedberg hat am Scklusse seiner Ausführungen noch eine Frage erörtert, die immer wieder das öffentliche Interesse erregt und beansprucht: die Frage der Bildung von Eisenbahngemeinschaften innerhalb Deutschlands. Ich hatte geglaubt, durch melne aueführliche Darlegung in der Budgetkommission des Vorjahres diese Frage bis auf weiteres erledigt zu haben. Wie es scheint, hat die neueste Schrift des Herrn Ministerialdirektors Kirchhoff Anlaß ge⸗ geben, sie hier erneut zur Erörterung zu stellen. Ich möchte darauf verzichten, alle diejenigen Gründe nochmals zu rekapitulieren, die tat⸗ sächlich der Fortentwicklung des Gemeinschaftsgedankens hinderlich sind. Wir sind überzeugt und wir sind doch Sach⸗ und Fach⸗ kenner daß auf materiellem Gebiete durch eine Gemeinschaft insbesondere im Interesse des Verkehrs Wesentliches überhaupt nicht mehr zu erreichen ist, weil wir in allen bedeutsamen materiellen Fragen einig sind, einheitliche Bestimmungen haben. Ich verzichte darauf, alle diejenigen tarifarischen und anderen Vorschriften aufzuzählen, die diese völlige Einheit dartut.

Wir treten aber auch als eine formale Einheit in Wirksamkeit, und diese Einheit hat ihre nattonale Bedeutung bereits wieder— holt betätigt und kundgetan. Die deutschen Staatseisenbahnen haben sich nicht nur im Staatsbahnwagenveibande das ist eine mehr interne Sache zusammengeschlossen, sie haben sich auch zu einer Ge⸗ meinschaft gegenüber dem Ausland zusammengeschlossen, um als ein einheitlicher Körper in allen Fragen der Tarife, der Verkehrtzteilung, der Auescheidung der Frachtanteile aufzutreten, und diese achtung⸗ gebietende Einheit hat schon wiederholt bei den Aktionen, die uns aufgedrungen worden sind, Erfolge erzielt. Wie wirksam sie ist und sein kann, hat sich gerade im Laufe des letzten Jahreg ergeben, als die

österreichischen Bahnen es sich schuldig zul sein glaubten, die Interessen der süddeutschen Bahnen durch Bevorzugung der Arlbergroute und der Route durch die Schweiz zu beeinträchtigen. Da ist die Gemelnschaft in Aktion getreten, in erster Linie die preußischen Staatseisenbahnen, die kaum ein Interesse an der Frage hatten, und der Eifolg ist ein erfreulicher gewesen; die Ansprüche der österreichischen Eisenbahnen sind auf das berechtigte Maß zurückgeführt worden. (Bravo! rechts und im Zentrum.)

Also Sie sehen, meine Herren, daß wir auch den nationalen Gedanken, der denjenigen, die die Förderung von Gemeinschasten an= streben, besonders naheliegt, niemals aus dem Auge gelassen haben, und ich darf weiter bemerken, daß wir bestrebt sind, auf diesem Gebiete fortzuschreiten. Es ist die Anregung gegeben worden, durch Herstellung von ständigen Vertretern der Regierungen mit Eisenbahn— besitz eine fortgesetzte Fühlungnahme über wichtige, die deutschen Staatseisenbahnen gemeinsam berührende Angelegenheiten herbei— zuführen (bravo) und dieser Anregung bin ich als Chef der preußischen Staatseisenbahnverwaltung sofort beigetreten, und ich hoffe, Ihnen in nicht zu ferner Zeit mitteilen zu können, daß auch die übrigen deutschen Staatseisenbahnverwaltungen dieser Anregung gefolgt sind.

Meine Herren, wenn Sie die Frage der Fortentwicklung der Gemeinschaft unter diesen praktischen Gesichtspunkten prüfen, dann werden Sie mir zugeben können, daß tatsächlich das Wesentliche erreicht ist, und daß das Drängen nach einer Gemeinschaft, wenn es, wie ich im Vorsahre habe dartun können, auf erhebliche und be⸗ rechtigte Widerstände und Anstände stößt, abgeschwächt und schließlich zurückgestellt werden muß. (Lebhaftes Bravo!)

Abg. Dr. Seyda (Pole); Im Namen meiner Fraktion weise ich die nicht gerechtfertigten Angriffe des Reichskanzlers gegen die Tendenzen der Jesuiten zurück, die er am 4. Dezember v. J. im Reichstage ausgesprochen hat. Der Abg. Graf Praschma hat berests gesagt, wie wenig berechtigt es ist; Erinnerungen aus der Ver— gangenheit zur Grundlage der jetzigen Bekämpfung der Jesuiten zu machen. Wenn der Abg. von Zedlitz ausgeführt hat, die Jesuiten— tätigkeit sei auch jetzt noch ein Kampf gegen den Protestantismus, so ist er den Beweis dafür schuldig geblieben. Unsere Fraktion ver⸗ urteilt aufs entschiedenste den Standpunkt der preußischen Regierung. Der Bundesratsbeschluß bedeutet nach unserem Dafürhalten zweifel— los eine Verschärfung des bestehenden Gegensatzes. Wenn der Reichs— kanzler sich auf die angebliche geschichtliche . berufen als staats

hat, daß das preußische Volk von jeher die Jesuiten feindlich bekämpft habe, so verkennt er, daß das Empfinden eines

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Teiles des Volkes nicht dazu ausreicht, um das Empfinden des anderen Teiles zu verletzen. Wir sind als Polen ja an Gewaltakte uns gegenüber gewöhnt. Das. Verhalten der Regierung in der Jefuikenfrage ist nicht das einzige, was wir in religiöser Beziehung zu beklagen haben. Trotzdem bereits. 6 Jahre der erzbischöfliche Stuhl in Gnesen unbesetzt ist, denkt die Regierung nicht daran, die Wahl des neuen Erzbischofs vorzunehmen. Wir empfinden dies als Zurücksetzung und gliöbliche Benachteiligung der Rechte der katholischen Kirche. Aber nicht nur die Zentralbehörde verletzt unsere religiösen Gefühle aufs gröbste, sondern auch die Ver— waltungsorgane folgen diesem Beispiel. Nach einer unwider⸗— sprochenen Nachricht der „Germania“ hat ein Regierungs⸗ präsident an die Kirchenbehörden einen Erlaß gerichtet, worin er darauf aufmerksam macht, daß der Gebrauch der polnischen Sprache beim Gottesdienst die zulässige Grenze überschritten habe. Der Erlaß verlangt einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der seelsorgerischen Tätigkeit der Polen. Es soll weiter berichtet werden, wie sic die Polen bei den Parlaments- und Kommunalwahlen ver— halten haben und wie viele ausländische Polen in der Industrie ver— wendet werden. Es soll schließlich festgestellt werden, welche, Geist= lichen in polnischer Sprache Seelsorge ausüben, und ob bei geist⸗ lichen Handlungen die polnische Seelsorge sich der polnischen Sprache bedient oder nscht. Wir halten einen derartigen Erlaß für durchaus unzulässig und betrachten ihn als eine widerrechtliche Ein⸗ mischung des Staates in die Befugnisse der kirchlichen Behörden. Der Landrat in Krotoschin hat eine Rede gegen die polnische Geistlichkeit gehalten, in der er ungeheuerliche Verdächtigungen gegen sie aussprach. Ih bitte die Staatsregierung, den betreffenden Land rat zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Trotz der jeßigen Jahres⸗ überschüsse bat der Finanzminister einer weiteren Thesaurierung das Wort geredet und die Aufhebung der Steuerzuschläge abgelehnt. Wir sind gegen die Ansammlung überflüssiger Mittel. Je mehr Mittel der Staat hat, desto mehr Millionen vergeudet er für den Kampf gegen das Polentum. Die Mittel für die Ostmarkenzulage und für die sonstigen aubergewöhnlichen Beihilfen für die Beamten in der Ostmark behufs Bekämpfung des Polentums sind in diesem Jahre um eine bedeutende Summe gegen das Vorjahr erhöht worden. Die Gesamtsumme aller dieser Aufwendungen beläuft sich in diesem Jahre auf 9,7 Millionen, d. i. gegenüber dem Jahre 1910 ein Mehr von über 1 Million. Dazu kommen die anderen Fonds, wie z. B. die für die Fortbildungsschulen, die lediglich den Deutschen, aber nicht den Polen zugute kommen, und die für die innere Kolonisation. Ins gesamt werden jährlich etwa 17 Millionen Mark für den, Zweck der Polenbekämpfung vergeudet. Rechnet man dazu schließlich die Mittel für die Ansiedlungspolitik, so kommt schon üer eine Milltarde heraus, die in dieser Weise vergeudet ist. Die Negierung will also in verstärktem Maße den Kampf gegen uns pottsetzen. Bei der jetzt durchgeführten Enteignung hat die Regierung den Begriff der wirtschaftlichen Abrundung, die eine der Voraussetzungen der Enteignung sein soll, falsch ausgelegt. Dat Enteignungegesetz bedeutet an sich schon einen Gewaltakt gegen über der polnischen Bevölkerung, und es wird nun noch in einer Weise ausgeführt, wie es den Absichten der Gesetzgebung widerspricht, Frei⸗ herr von Zedlitz als gewohnheitsmäßiger Scharfmacher hat schon das möglsche Uebergreifen der in anderen Staaten bestehenden revolu tionären Bewegung auf Preußen als Schreckgespenst an die Wand gemalt. In Posen war das Gerücht verbreitet, daß die Polen in der Silvesternacht einen Aufruhr beabsichtigten. Wegen diesen Gerüchtes bestellte jemand ein Diner in einem Hotel ab. Dies bietet Herin von Zedlitz den Anlaß zu seiner Bemerkung! Wir benelden Herrn von Zedlitz um seine Argumentation nicht. Die polnische Bevölkerung hat den Scharfmachern die Freude einer revolutionären Bewegung nicht bereitet. Durch den Boykott sucht man die polnische Bevölkerung brotlos zu machen; deutiche Kaufleute, Aerzte und Rechtsanwälte sucht man dagegen zum Kampfe gegen uns zu stärken. Von den Taxatoren der Anstedlungskommission werden skandalöse Schätzungen des Werten der Güter vorgenommen, man will den Besitzern nicht mehr den Wert geben, den sie selbst für die Gäter bezahlt haben; es ist besonders die Absicht, die polnische Bevölkerung bankrott zu machen, (Vizeptäfident Dr. Krause: Sie dürfen der Regierung nicht eine solche Absicht vorwerfen, das ist unzulässig) Ich weise nur auf die Tatfache hin. Die polnische Bevölkerung wird der Regierung die Antwort auf den letzten Gewaltakt nicht schuldig bleiben. Der Präsident der Ansiedlungskommission hat 1995 verfügt, daß möglichst alle Wirtschaftsgeräte der Ansiezler nur bei deutschen Kaufleuten gekauft werden sollen; die Verwalter werden angewiesen, die Ansiedler auf den eigentlichen Zweck der Ansiedlung aufmerksam ju machen. Darum ist die Boykottbewegung auf seiten der Polen entffsanden; wir begrüßen diese Bewegung und hoffen, daß es mit derselben gelingen wird, den Schlag, welchen die Regierung auf dem Gebiete der Bodenpolitik gegen uns geführt hat, auf anderem Gebiete wieder wett zu machen. Bestärkt werden wir darin auch durch das Verhalten der Fortschrittspartei; der Abg. Dr. Wiemer hat in einer Versammlung in Posen erklärt, daß die Fortschritte⸗ partei die Endziele der antipolnischen Regierungspolitik billigt. Man sollte nun meinen, daß nach dieser Verschärfung infolge des

Enteignungsgesetzes die staatlichen Instanzen alles tun würden, um die Jeidenschaften nicht noch mehr zu erregen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Regierungspräsident in Posen hat den Bopkatt gegenüber zen polnischen Kaufleuten von neuem in Erinnerung gebracht. Das sst ein unerhörter Mißbrauch der Amtsgewalt. Ich erkläre namens meiner Fraktion, daß wir zur Staatsregierung kein Vertrauen mehr ßäeben, und wir haben beschlossen, bei der Gesamtabstimmung den Etat abzulehnen.

Abg. Br. Wiemer (fortschr. Volksv.); In manchen Punkten kann ich den heutigen Ausführungen des Finanzministers beipflichten, daß es sich rechtfeitigen läßt, die 60 Millionen für den Nachtragsetat aus dem Ausgleichsfonds zu entnehmen. In der Beurteilung der Grundlage unserer Finanzgebarung weiche ich aber von ihm und den meisten Rednern aus dem Hause ab. Der Minister hat der Hoffnung Aus druck gegeben, daß wir jetzt vor einer defizitlosen Periode stehen, und daß ds Abgeordnetenhaus den bisherigen Weg weiter heschreiten werde. Ich halte seit Jahren diesen Weg für falsch. Wir haben vielmehr alle Veranlassung, an der Gestaltung unserer Finanz⸗ politik vom Standpunkt der Steuerzahler und der Volksvertretung berechtigte Kritik zu üben. Unsere Finanzpolitik ist vor allem auf siskalische Plusmacherei zugeschnitten. Das bestätigen auch die beiden letzten Jahre, in denen der Abschluß weit über den Anschlag des Etats hiuauscegangen ist. Dasselbe läßt sich für 1913 erwarten. Man muß sich deshalb fragen, ob es für das Haus wirklich einen Zweck hat, einen Etat aufzustellen. Herr Winckler sagte, daß der Aus⸗ Jleichsfonds das Zentrum der Finanzverwaltung ist. Darin hat er recht. Der Ausgleichsfonds ist wirklich dazu geworden. Aber eine solche Entwicklung durfte nicht eintreten. Für den Finanzminister mag dieser Zustand sehr angenehm sein, und ich verdenke es ihm nicht, wenn er diese Politik verteidigt. Aber er hat nicht nur die Pflicht, für sein Ressort zu sorgen, sondern auch die Interessen der Allgemeinheit und besonders die der Steuerzahler zu wahren. Dadurch wird aber auch die Uebersichtlichkeit über den Stand unserer preußischen Finanzen gefährdet. Der Etat ist zudem so un⸗ übersichtlich geworden, wie es seinerzeit der Reichsetat war. Ander— seits liegt aber auch die Gefahr vor, die Aufwendung für kulturelle Aufgaben möglichst knapp zu bemessen. Dann besteht aber auch die Gejsahr, daß ein Anreiz dazu vorliegt, eine Vermehrung der Steuer guellen zu verlangen. Als wir semnerzeit forderten, daß Ausgaben für werbende Zwecke aus Anleihefonds zu eninehmen seien, da wurde darauf hingewiesen, wir könnten doch die Schuldenwirtschaft, des Reiches nicht einführen. Jetzt wird uns guf einmal das eich als Mufter hingestellt. Der preußischen Staatsschuld von 9,) Milliarden steht noch ein Eisenbahnvermögen von 11 Milliarden gegenüber, und dieses ist noch durch die vielen Erweiterungen vergrößert worden. Durch den Finanzminister ist selbst anerkannt worden, daß die Ueber— weifsung der werbenden Anlagen in das Extrgordinarium einer Schuldentilgung gleichkomme. Deshalb liegt die Notwendigkeit, eine verftärkte Schuldentilgung vorzunehmen, für Preußen zurzeit nicht vor. Auch Miquel hat betont, daß die Vermehrung der preußischen Schuld keine Gefahr bedeute, solange es sich um werbende Anlagen handelt. Er stellte sie sogar als ein erfreuliches Zeichen hin. Es ijt zwar gut, wenn man auch die Eisenbahnschulden abstoßen kann. Es ist aber frag⸗ lich, ob man das Geld nicht lieber für kulturelle Zwecke berwenden solle. Für :neine politischen Freunde kann ich aussprechen, daß wir von Anfang an die Regelung der Steuerzuschläge nur für eine vorüber⸗ gehende Maßregel ansehen und die Beseitigung derselben wünschen. Sie sollen nur so lange in Gültigkeit bleiben, bis eine organische Neuregelung von der Regierung erfolgt ist. Die Regierung hat eine darauf bezügliche Vorlage ja eingebracht, aber mir ist es zweifel— haft, ob es gelingen wird, sie noch rechtzeitig unter Dach und Fach zu bringen. Ich bedaure lebhaft, daß auch in diesem Jahre der Etat dem Hause erst wieder im Januar vorgelegt worden ist. Das hätte schon., im Dezember geschehen können. Wir hätten dann für die Erledigung anderer Arbeiten mehr Jeit übrig gehabt. Uns liegt daran, eine bessere Veranlagung der Tinkommensteuer herbeizuführen, und wir wünschen, daß diese Ver— anlagung bald Gesetz wird. Die Verhandlungen in der Kommission haben durchaus die Äuffassung bestätigt, daß bei der Veranlagung der Einkommensteuer nicht überall mit gleichem Maße gemessen wird. Wenn das Veranlagungsverfahren verbessert wird, so läßt sich voraus sehen, daß auch die Erträge der Staatskasse steigen werden. Herr von Zedlitz hat den ersten Schritt zur Quotisierung getan, und ich hoffe, daß demnächst auch bald der zweite Schritt folgen wird. Ich wilUl dem Herrn Finanzminister nicht nachsagen, daß er kein Interesse für die Reform der Einkommensteuer habe., das würde eine Ungerechtigkeit sein. Die Einführung des Nachtragsetats für 1912 ist das Zugeständnis, daß die Bemessung der Ausgaben im ordentlichen Etat nicht ausreichend gewesen ist. Man kann nicht sagen, daß die Neuentwicklung dazu geführt hat. Die Teue—⸗ rung hat auch im Januar des vorigen Jahres schon bestanden. Der Finanzminister lehnt es ab, Teuerungszulagen zu bewilligen, er beseichnet fie als Besoldungserhöhungen. In diesem Umfange kann ich nicht zugeben, daß seine Argumentation richtig ist. Teuerungszulagen werden natürlich fo lange bewilligt werden muͤssen, wie die Teuerung anhält. Wenn der Ankaß dazu fortfällt, dann müssen auch die Zu⸗— lagen wieder aufgehoben werden. Daß die Beamten sich mit der Teuerung abfinden müssen, wie die übrigen Staatsbürger, ist ein billiger Raischlag des Herrn Finanzministers, aber die Beamten stehen in diefer Hinsicht anders da, als die übrigen Staats— bürger, denn sie haben nicht Die Möglichkeit, sich Nebenverdienst zu verschaffen oder durch Streik Lohnerhöhungen zu erzielen. Das ist' eine Schattenseite der Wirtschaftspolitik, sie hat die Lebenshaltung verteuert, und die Bevölkerung hat die Mittel für die Erhöhung der Beamtenbesoldungen hergeben müssen. Aber es liegt im allgemeinen Interesse, daß die Beamten so geste llt werden, daß sle mit Freuden ihren Beruf erfüllen können. Schließlich hilft nur eine Umkehr in der Wirtschaftspolitkk. Das ganze Syftem der Unterstützungen für die Beamten gefällt uns nicht, denn die Gewährung der Unteistützurg hängt von der Willkür der Vorgesetzten ab. Der Finanzminister will keinen Stein aus dem Gebäude der Besoldungsordnung nehmen; solche Meinungen hat uns früher schon der Finanzminister von Miquel? bören“ lassen, und doch haben sie nicht gehindert, daß alsbald Ausnahmen gemacht und. Härten und Ungleich⸗ heilten ausgeglichen worden sind. Wir haben bei Beratung der Befoldungsordnung sogleich erklärt, daß wir darin keinen endgültigen Abschluß sehen, sondern daß die vorhandenen Mittel zur Beseitigung von Härten benutzt, werden müssen. Wir verlangen namentlich eine Aufbesserung der Unterbeamten und der Staatsarbeiter, z. B. der Streckenarbeiter bei der Eisenbahn. Die Mittel für Aufbesserungen sind vorhanden, aus finanziellen Gründen kann nicht Widerspruch erhoben werden. Schafft. euch Freunde mit dem ungerechten Mammon! Die Mittel für Eisen⸗ bahnzwecke im Nachtragsetat würden besser aus Anleihen genommen, aber die Entnahme aus dem Ausgleichsfonds entspricht doch dem Ab⸗ kommen, das zwischen dem Hause und der Regierung getroffen ist. Der Nachtragsetat beweist aber, daß der Etat fur 1912 nicht richtig bemessen worden ist. Ich erkenne an, daß die Eisenbahnverwaltung alles mögliche getan hat, um der Betriebsschwierigkeiten Herr zu werden, aber es hätte doch eine bessere Voraussicht herrschen müssen. Die Klagen über den Wagenmangel sind doch nicht neu, alle Parteien haben die Regierung längst aufgefordert, den Wagenpark schneller zu vermehren. Jetzt kommt die Regierung mit den sprung= haften Forderungen. Jetzt inuß auch das Perfonal bedeutend vermehrt werden.“ Die Regierung verwahrt fich gegen den Vorwurf, daß sie nur nach einer Herabdrückung des Betriebtkoeffizienten gestrebt habe. Das Sinken des Betriebskoeffizienten ist nur zu begrüßen, wenn es durch eine rationelle Betriebsführung herbeigeführt ist, aber nicht etwa, wenn es durch eine übermäßige Beanspruchung des Personals ermöglicht ist. Ber Eisenbahnminister wendet sich gegen die Schrift des früheren Ministerialdirektors Kirchhoff, weil er es sißst als Fachmann besser beurteilen könne,. Aber Herr Kechhoff ist' doch selbst im Eisenbahnministerium. gewesen, und in seiner neuesten Schrift finden sich manche wertvolle

Kalamität vorhanden.

Anregungen. Der Zusammenschluß der deutschen Eisenbahnen gegen—⸗ über dem Auslande ist sicherlich ein Fortschriit, und der Eisenbahn⸗ minister sollte weitere Fortschritte auf diesem Gebiete machen. Die Wasserstraßen sind für eine Entlastung der Eisenbahnen dienlich, und selbst Graf Kanitz sprach jetzt im Reichstag Lie Meinung aus, daß die Wasserstraßen mehr benutzt werden möchten, und daß der Dortmund Ems. Kang nur infolge der Tarife nicht schon besser rentiere. Nach meiner Ansicht liegt der Hauptgrund dafür, daß die Wasserstraßen sich bisher nicht ausreichend verzinst haben und eine Erleichterung des Eisenbahnverkehrs nicht eingetreten ist, darin, daß das Hauptstück dieses Kanals, der Mittellandkanal, seinerzeit abgelehnt worden ist, und zwar gerade von den Freunden des Grafen Kanitz. Sie (zu den Konservativen) haben die Haupt⸗ schuld daran. Vielleicht ist die Acußerung, des Grafen Kanitz ein Zeichen der späten Einsicht und der Absicht, für den Ausbau des Mittellandkanals einzutreten. Ich stimme dem Finanzminister darin bei, daß wir fortdauernd mit einer günstigen wirtschaftlichen Kon⸗ junktur zu rechnen haben werden. Allerdings liegen für einzelne Betriebszweige Zeichen für eine Aenderung der Konjunktur vor. Ich erinnere an den Grundstücksmarkt, dessen außerordentlich schlechte Lage die größte Aufmerksamkeit erfordert. Die Zunahme der Zwangsverwaltungen und Versteigerungen ist in der letzten Zeit außerordentlich groß gewesen. Es ist eine schwere wirischaftliche J r Wenn ich auch nicht allen Forderungen der Haushesitzer zustimme, so muß ich doch zugeben, daß es, wirklich heute kein Vergnügen, ist, Hausbesitzer Zu sein. Die Gesetzgebung sollte vor allem ihre Aufmerksamkeit der Frage zuwenden, ob nicht eine steuerliche Ueberlastung des Grund⸗ besitzes besteht. Die Wertzuwachssteuer hat die auf sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, auch nicht hinsichtlich der Erträge der Staatskasse. Ich glaube, daß die Zeit gekommen ist, an eine Aenderung dieser Steuer zu denken. Aber noch wichtiger ist es, dafür zu sorgen, daß endlich eine Ermäßigung der Umsatz⸗ steuer eintritt. Bezüglich der Staatspapiere hat sich der Finanz⸗ minister mit der lakonischen Bemerkung begnügt, der Zustand ist Gegenstand. der steigenden Aufmerksamkeit der Staatsregierung. Der Hauptgrund der Erscheinung liegt aber wohl darin, daß die Verzinfung der Staatspapiere dem kaufenden Publikum Heute nicht genügt, wa die Lebensmittel immer teurer werden. Ich stimme dem Finanzminister zu, wenn er sagt, daß es unrichtig ist, daß weite Kreise ihre Barhestände eingezogen haben infolge der äußeren Ver⸗ hältnisse. Das ist ein Beweis für die außerordentlich mangelhafte wirtschaftliche Erziehung der Bevölkerung Es ist richtig, daß große Beträge dein Verkehr entzogen worden sind und in unwirtschaftlicher Wesfe' vielleicht in Strümpfen oder ähnlichen Behältern für ernste Zeiten aufbewahrt werden. Ich will hoffen, daß in dieser Beziehung mehr Aufklärung und eine bessere Erziebung herbeigeführt wird. Der Etat 1913 ist für Kulturzwecke reichlicher ausgefallen als sein Vorgänger. Aber es bleibt noch genug zu tun. Ich betone das besonders hinsichtlich der Beamtenunterstützungen. Diese sollten auf gesetzliche Grundlage gestellt werden. Der Finanzminister sagt, daß das, System der Unterstützungen richtig sei, das bewiesen die Anträge auf Unterstützung, die sich außerordentlich mehrten. Vielleicht kann man aber auch aus diefer Tarsache schließen, daß die Rot der Beamten gewachsen ist. Vielleicht liegt auch eine Vereinbarung vor, daß die Beamten sehen wollen, ob die Regierung wirklich ihre Versprechungen hält. Ich schlietze mich dem Vor redner an und wünsche, daß wir auf diesem Gebiete weiter vorwärts schreiten. Ich bin nicht damit einverstanden, daß Stagts⸗ gelder verschleudert werden. Ich denke z. B. an die Ausgaben fuͤr Museumsbauten. Der Kultusminister hat in Aussicht gestellt, bei der zweiten Beratung auf diese Angelegenheit einzugehen. Es wäre aber wohl wichtiger, daß dem Hause schon jetzt einige Unterlagen zur Beurteilung mitgeteilt werden. Kritisch stehe ich der Forderung der Mittel für die Pfandbriefanstalt in Posen gegenüber. Wenn es sich um eine rein wirtschaft⸗ liche Maßnahme handelt, dann bemerke ich, daß auch andere Privat⸗ institute eine derartige Unterstützung verlangen können. Handelt es sich aber um Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Ostmarken, dann billige ich sie. Es ist mir nur zweifelhaft, ob das Mittel richtig gewählt ist. Der Abg. Seyda hat eine angeb⸗ liche Aeußerung von mir zitiert, wonach die fortschrittliche Volls⸗ partei die Polcnpolitik unterstütze. Ungefähr so hat allerdings meine Uleußerung gelauket. Auch wir wollen das Deutschtum in der Ostmark erhalten und fördern, aber nicht mit den Mitteln, welche die Regierung anwendet. Wir halten durchaus unsere bisher vertretene An⸗ schauung, in der Ansiedlungepolitik aufrecht. Auch der Abg. Zedlitz hat ausgesprochen, daß man sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt zur Anwendung des Enteignungsgesetzes hätte denken können. Ich habe mich selbst in Posen davon überzeugt, daß die Wirkungen der Enteignung außerordentlich ungünstig sind, daß nicht eine Stärkung, sondern eine Schädigung solcher Interessen herbei geführt worden ist. Gerade in deutschen Handwerkerkreisen in Posen herrscht eine große Erregung in dieser Qinsicht. Es gibt Ort⸗ schaften, wo überhaupt keine deutschen Handwerker mehr sind. Abg. Seyda hat die polnische Boykottbewegung mit Genugtuung begrüßt. Wir verwerfen dagegen den wittschaftlichen Boykott. Wir sind der Meinung, daß die unberechtigten nationalen Aspira tionen der Polen nicht unterstützt werden sollten. Andererseits muß den Polen völlige staatsbürgerliche Gleichberechtigung ge⸗ währt werden. Wir werden die innere Kolonisationspolitik tat⸗ kräftig unterstützen und hoffen, daß der Reichekanzler sein darauf bezügliches Programm verwirklicht. Auch wir wollen eine gute und leistungsfähige Landwirtschaft haben, eine Vermehrung des mitt⸗ leren bäuerlichen Besitzes. Aber wir wollen nicht ein künstliches Uebergewicht des Grundbesitzes schaffen, daher werden wir den ange⸗ kündigten Gesetzentwurf über innere Kolonisation entsprechend prüfen. Wir wünschen eine Einschränkung der Fideikommisse und elne Besserung der Verhältnisse der ländlichen Arbeiker. Hoffentlich bleiben die Be schlüsse der jüngst im Abgeordnetenhaus abgehaltenen Großgrund⸗ besitzerkonferenz im Interesse der ländlichen Arbeiter nicht nur ein frommer Wunsch. Bisher haben die Großgrundbesitzer keinen großen Wert darauf gelegt, mit den Landarbeitern in enge Fühlung zu kommen, höchstens in Wahlzeiten. Wichtiger als die soziale Förderung der ländlichen Arbeiter scheint uns die Besserung der Rechtsverhältnisse zu sein. Das ist vielleicht der Hauptgrund für die Leutenot; auch in bezug auf die soziale Gesetz gebung sind die Landarbeiter gegenüber den Industriꝑearbeitern zuruͤckgesetzt. Wir haben auf dem Lande Krankenlassen bekommen, die nicht nur in der Leistung, sondern auch in der Selbstverwaltung schlechter dastehen als anderwärts. Frhr. v. Wangenheim hat eine Sparkasse für die ländlichen Arbeiter empfoblen, in die sie 0 . wöchentlich einzuzahlen haben. Auch der Guisbesitzer soll Zahlungen leisten. Jeder Arbeiter foll jedoch, wenn er vor dem 10. Lebentjahre seine Arbestsstelle Ter. läßt, den eingezahlten Betrag zugunsten der Kasse verlieren. Das läuft doch nur' auf eine Beschränkung der Freizügigkeit hinaus. Mit der Verstärkung des Fonds für die Jugendpflege sind wir einverstanden. Allerdings stimmen wir nicht in die enthusiastische Lobrede der Regierung ein. Ein abschließendes Urtell ist noch nicht möglich. Doch haben sich einige Schattenseiten herausgestellt, indem konfessionelle Vereinigunger beporzugt wurden. Wir denken nicht daran, die konfessionellen Ver⸗ einigungen von Zuwendungen auszuschließen, aber sie sollen auch nicht beborzugt werden. Graf Praschma hat sich mit der Jesuiten⸗ frage beschästigt. Ich habe Sympathie übrig für die entschiedene und temperamentvolle Art, mit der er für die Jesuiten eintrat. Seine Änsführungen zeigen guch, daß er nicht, ohne Erfolg eine Fesuitenschule befucht hat. Er hat, den Bundesrat beschluß scharf getadelt, und der Kultusminister hat in väterlicher Milde mit einer gewissen Zurückhaltung geantwortet, trotzdem auf einzelne Wen⸗ dungen eine energische Antwort nötig gewesen wäre. In der Sache pflichte ich dem Kuttusminister bei. Wir billigen auch den Bundesrate⸗ beschluß und die Erklärung des Reichskanzlers, ebenso wie wir damit einverstanden sind, daß in Preußen die Handbabung dem Gesetze entsprechend und ohne Kleinlichkeit und Schikane ausgeübt wird. Der Kultusminister hat recht, wenn er sagt, es handle sich heute

nicht darum, ob

zuheben oder beizubehalten ist, es handele sich nur darum, ob n ein Reichsgesetz, solange es hesteht, durchgeführt werden soll, oder ob es durch einen geheimen Erlaß beiseite geschoben werden kann. Graf Praschma hat den Gegnern seiner Auffassung Unwissenheit über katholischs Dinge und Feindschaft gegen die tatholische Religion vor⸗ geworfen. Meine Parteifreunde sind das gewohnt; aber es ist doch hart, wenn solche Vorwürfe an die Bundesbrüder von der Rechten und an die Adresse des Ministers der geistlichen Angelegenheiten gerichtet werden. Graf Praschma hat gemeint, der Fall habe wieder einmal klar dargelegt, welche Summe von Mißtrauen im Reiche und Staate gegen katholische Einrichtungen bestehe. Für meine politischen Freunde muß ich das zurückweisen. Wir wissen uns frei von Mißtrauen, von Feindschaft gegen die katholische Religion und ihre Einrichtungen. s ist mit unserer liberalen Auffasfung unvereinbar. Aber ist das Zentrum denn dafür zu haben, daß auch für jüdische Kultusgemeinden in kleinen Städten iwas seitens des Staates gefchieht? Dem konfessionellen Hader muß endlich ein Ziel gesetzt werden. f

das Gesetz selbst gut oder schlecht ist, ob es auf⸗

Wenn es aber zu Konflikten zwischen konfessionellen und staatlichen Einrichtungen kommt, dann stellen wir uns auf die Seite des Staates. Graf Praschma hat die christlich⸗ konserpvative Weltanschauung des Zenkrums hervorgehoben und Wendungen von der Notwendigkeit des Kampfes gegen Unglauben, Umsturz und anderes mehr gebraucht, was für konservative Ohren und Herzen berechnet wax. Es gab Zeiten, in denen das Zentrum nicht so wie heute Gewicht auf die Betonung seiner christlich⸗ konfervativen Gesinnung gelegt hat, sondern mehr Gewicht darauf legte, als demokratische Partei angesehen zu werden. Der Abg. von Zedlitz hat erkennen lassen, daß er den Locktönen des Redners der Zentrumspartei nicht zu folgen gewillt ist. Aber auch die konservatlve Partei wird niemals dafür zu haben sein, für eine Abschwächung oder Aufhebung des Jesuitengesetzes einzutreten Man muß erst abwarten, ob das Zentrum sich auch in Zukunft bewogen fühlt, 200 5600 Stimmen in das konserpatibe Lager abzukommandieren. Ein Termin für die Neuwahl ist noch nicht bekannt geworden, sodaß den Abgeordneten nicht genügend Zeit gelassen ist, in die Wahl⸗ agitation einzutreten. Ich bedaure auch, daß die Tagung zu Ende geht, ohne daß eine Reform des Wahlrechts durchgeführt worden ist. Bei einigem guten Willen könnte selbst noch jetzt ein Notgesetz durch⸗ geführt werden. Die Abstimmung vom 20. Mai (912 hat erneut den Beweis dafür geführt, wie nötig eine Wahlreform und eine Abänderung der Zufammensetzung des Hauses ist. Es ist ein unhalt⸗ barer Zustand, daß die rechtsstehenden Parteien allein allen Parteien gegenüber ihren Willen durchdrücken können. Perr von Zedlitz meint, daz sei ja das Wunderschöne an diesem Wahlrecht, daß das politische Recht parallel mit den Leistungen des Bürgers gegenüber dem Staate gehe. Ich finde es nicht schön, daß ein polstisches Recht sich nach dem Geldbentel richtet. Es ist doch ungerecht, daß die städtische Bevölkerung, die so viel mehr für den Staat als die ländliche leistet, so weit hinter dieser an politischen Rechten zurücksteht. Der Mittelstand soll den Aus⸗ schlag geben zwischen Arm und Reich. Aber es trifft nicht zu, daß er wirklich der Schiedsrichter ist. Denn 90 0 aller Wähler gehören zur dritten Kiasse, alfo auch der größte Teil des Mittelstandes. Wenn der Abg. von Zedlitz für die Inkeressen des Mittelstandes ein⸗ treten will, muß er fär eine Wahlreform sein, besonders für die Ein führung der geheimen Wahl; wir wissen doch aber, wie der Mittel⸗ stand unter der öffentlichen Stimmabgabe zu leiden hat. Ich erhebe Einspruch gegen die Behauptung der Regierung, daß i

erst gedacht werden könnte, wenn die großen Parteien ich darüber ge⸗ einigt hätten. Damit wird die Reform in die Hände derer gelegt, die überhaupt keine Wahlreform wollen. Was hat denn die Regierung in der verflossenen Legislaturperiode geleistet? Große Hoffnungen wurden erweckt für die Reform der Verwaltung, es wurde eine Im mediat⸗ kommission eingesetzt, Ausschüsse haben getagt, aber bis jetzt ist noch nichts dabei herausgekommen. Herr von Zedlitz, der darüber gut informiert ist, hat heute sich pessimistisch dahin geäußert, daß es an großen Gesichtsvunkten dabei fehle. Auch sonst sind keine Reformen in Preußen durchgeführt worden. Kreisordnung, Landgemeindeordnung, Verbesserung des Verhältnisses der Landgemeinden zu den Gutsbezirken

sind alles Aufgaben, die dringender Erledigung bedürfen, und doch ist nichts geschehen. Viele andere Bundesstgaten haben ihr Wahlrecht reformiert, in Preußen schweigen alle Flöten. Bei dieser Unfrucht⸗ barkeit des gegenwärtigen Ministers des Innern könnte man über seine Pforte schreiben: Ministerium des inneren Stillstandes. Der Abg. Winckler sprach von der Königstreue, Pflichttreue und Opfer⸗ willigkest der alten Preußen von 1815, auch mit Recht, aber dieser Zeit von damals war eine Aera fruchtbarer Reformen vorausgegangen. Jasten, die noch aus dem Mittelalter bestanden, wurden aufgehoben, der Bauernstand wurde befreit, die Selb . Fur die Zukunft Preußens würde es von hohem Nutz sein, wenn setzt der langen Periode des Stillstandes wieder eine Zeit von segen—⸗ bringenden Reformen folgen würde, wenn Preußen von dem reaktionären Druck befreit würde, unter dem es jetzt leidet.

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Minister des Innern Dr. von Dallwitz: Herr Dr. Friedberg hat vorgestern der Ansicht Ausdruck gegeben, z die Arbeiten der Immedlatkommission für die Verwaltungs— reform bisher sehr bedeutsame Ergebnisse nicht gezeitigt hätten, und Dr. Wiemer hat soeben diese Meinung noch s in etwas deutlicherer Weise unterstrichen. Herr Dr. Fried⸗ berg hat sodann angeregt, daß die Immediatkommission auch die Möglichkelt einer weitergehenden Erleichterung der Zusammen⸗ legung von Gemelnden und Gutsbezirken in den Bereich ihrer Tätig keit einbeziehen möge. Es freut mich, Herrn Dr. Friedberg mitteilen zu können, daß inzwischen die Immediatkommission zu abschließenden Ergebnissen gelangt ist in bezug auf die Uebertragung der Geschäfte der Generalkommission in Königsberg auf die Behörden der allgemeinen Landesverwaltung, ferner in bezug auf die Neuorganisation der mit der Verwaltung des Volkeschulwesens befaßten Behörden, weiter in bezug auf die Erleichterung und Neuregelung der Rechtsmittel gegen polizeiliche Verfügungen und endlich auch in bezug auf die Reform des Verwaltungsstreitverfahrens und des Verfahrens vor den Beschluß⸗ behörden. Diese Beschlüsse werden im Falle ihrer Berücksichtigung zu einer durchgreifenden Umgestaltung des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung führen. Mit der Frage, inwieweit diesen An⸗ regungen und Beschlüssen der Immediatkommission Folge gegeben werden soll, ist zurzeit das Königliche Staatsministerium befaßt. Ich darf mich daher der Hoffnung hingeben, daß ich in der nächsten Session in der Lage sein werde, eine umfassende Novelle zum all⸗ gemeinen Landesverwaltungsgesetz einzubringen. Zugleich gestatte ich mir, darauf hinzuweisen, daß dieses hohe Haus jetzt schon mit zwei Gesetzen befaßt ist bezw. befaßt gewesen ist, welche in Anlehnung an die Vorarbeiten der Immediatkommission ausgearbeitet worden sind, nämlich mit der Hinterlegungsordnung und mit dem Gesetz über dle Befugnisse der Oberrechnungskammer. Ferner ist eine ganze Jteihe recht bedeutsamer Reformen im Sinne einer Vereinfachung und Be- schleunigung des Verfahrens bei den Verwaltungsbehörden im Ver⸗ waltungswege schon durchgeführt worden, welche teils von der Immediatkommission angeregt, teils aber von ihr begutachtet und gebilligt worden sind. Ich glaube daher, daß man doch nicht ein so absprechendes Urteil über die Tätigkeit der Immediatkommission zu fällen berechtigt ist, wie dies soeben von Herrn Dr. Wiemer ge⸗ schehen ist. Was nun die Anregung des Herrn Abg. Dr. Friedberg betrifft,

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daß die Immediatkommission die Erleichterung der Zusammen⸗

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