1913 / 84 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

6. auf solchen Schwindel fällt kein Mensch mehr hinein. Des- halb wird jetzt das alilbewährte Gespenst des Erbfeindes hervorgeholt, der Franzose muß wieder heraus, der darauf brennt, lieber heute als morgen Rache zu nehmen, und daneben läßt man die panslawisttsche Gesahr aufmarschieren. Daß der Reichskanzler das verhängnis⸗ volle Wort von dem Gegensatz zwischen Slawentum und Germanen— tum, wenn auch nur hypothetisch aussprach, in mir unbegreiflich. Auf dem Wiener Ballplatz wird man sich die Haare darüber aus⸗ gerauft haben, denn Oesterreich ist ein halb slawischer, nur ein viertel⸗ deutscher Staat. Ein solcher Kampf würde auch das Ende der öster— reichlsch⸗ungarischen Monarchie bedeuten; hier sieht man, wohin uns eine unglückliche Diplomatie bringen kann. Der giftigen Lüge von der französischen Ueberfallsbereitschaft ist der Kanzler in dankenswerter Weise energisch entgegengetreten. Aber Graf Kanitz operiert getrost immer und immer wieder mit dem à Berlin! Das ist doch unver— antwortlich. In Franfreich mag die Stimmung gegen Deutschland nicht in gllen Schichten gleich freundlich sein. Aber das dort bor⸗ handene Mißtrauen kommt daher, weil man dem Deutschen Reiche Angriffsabsichten unterstellt, die nicht bestehen. Wir bekämpfen dies⸗ seits wie jenseits der Vogesen, wenn der eine oder der andere Vandlungen unternimmt, die auf der anderen Seite als Bedrohung angesehen werden können. Die neue Vorlage kann in Frankreich als eine Bedrohung aufgefaßt werden, und deshalb bekämpfen wir sie mit dem Aufgebot aller unserer Kraft. Wenn je der pfycho⸗ logische Moment gekommen war, ein erträgliches Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich herzustellen, dann jetzt: Befreien Sie das französische Volk von dem drückenden Alp der dreijährigen Dienstzeit, indem Sie die Vorlage ablehnen! Wenn Sie aber die Vorlage annehmen, dann können Sie sich nicht wundern, wenn Frankreich seine Gegenmaßnahmen trifft; und Sie werden sich dann nicht von schwerer Schuld freisprechen können. Es gibt ja immer noch Politiker, die sich nicht schämen, das Wort von der vaterlandslosen Partei zu gebrauchen. Wir Sozialdemokraten, die der Abg. von Liebert nicht zum Volke rechnet, der Führer der durchgefallensten Partei, die wir 1 des deutschen Vaterlandes re⸗ präsentieren, wir vertreten die Interessen von mindestens 70 der deutschen Bevölkerung; eine solche. unsinnige Behauptung braucht man also nur niedriger zu hängen (Vizepräsident Dr. Paasche rügt diesen Ausdruck) . . . eine solche Behauptung, die ich als sinnig nicht ansehen kann, braucht man nur niedriger zu hängen. Wären wir Ihr Volk, Verr von Liebert, wären wir Vaterlands— feinde, dann müßten wir unsere eigenen Feinde sein. Für den Berufs— soldaten mag zutreffen, datz der Frieden verweichlicht. Wir kennen ja die Rede, die von der Goltz vor Jungdeutschland gehalten hat: Wenn's nur bald wieder losginge! Es tiifft aber nicht zu für den deutschen Arbeitsmann, sondern es trifft zu für die Kreise, die ihren Lebenszweck verfehlt sehen, wenn es keinen Krieg gibt. Der deutsche Arbeiter muß Tag für Tag Krieg führen mit dem Unternehmertum, mit der Bureaukratile und mit dem nackten Dasein im Dienste des Kapitalismus. Der ganze Krieg von 1870 kostete 40 000 Tote; das Schlachtfeld der Arbeit fordert täglich viel ungeheurere Opfer. Von 1900 bis 1911 sind 1585 0900 deutsche Arbeiter getötet oder ver— wundet worden, darunter 107 000 Tote, die anderen größtenteils zu Krüppeln geschlagen! Wird eine solche Arbelterschaft wirklich zur Verweichlichung, zur Entnervung erzogen? Die Arbeiterschaft, der Mittelstand sollen angeblich den größten Vorteil von der Vorlage haben, so besagt die Broschüre des Deutschen Wehrvereins. Man muß ja manchen Unsinn hören und lesen, wenn man Reichstags⸗ abgeordneter ist; aber einen solchen voltswirtschaftlichen Blödsinn hat man wirklich noch so bald nicht gelcsen. Die Einstellung von 130000 jungen Leuten, die aus der Volkswirtschaft herausgezogen werden, bedeutet für das Volk einen ungeheuren Verlust, nicht einen ungeheuren Gewinn. Sie brauchen ja nur nachzulesen, was Dr. Heim darüber geschrieben hat. Das Zentrum hat ja auch eine große militärische Autorität in seinen Reihen, die leider jetzt ebenso kaltgestellt ist wie der Abg. Heim, den General Häusler; warum hat der nicht an Stelle des Abg. Spahn zu der Vorlage gesprochen? Wir ziehen die deutschen Arbeiter aus dem Wirischaftsleben heraus und stecken sie in die Kaserne, und dann holen wir für jeden in die Kaserne. Gesteckten einen slawischen Arbeiter ins Land! Wir haben schon 1200 000 slawische Arbeiter im Lande. Und auf Leute, die mit solcher Karlchen Miesnick— weisheit ausgestattet sind, soll, das deutsche Volk schwören. Wir klagen Sie an, daß Sie ungeheure Mittel, die für soziale Auf⸗ gaben gebraucht werden könnten, sinnlos vergeuden. Wenn Sie so viele Rekruten einstellen wollen, so müssen Sie das Mindestmaß der Tauglichkeit herabsetzen. Wir klagen Sie an, daß Sie das große Werk der Volksversöhnung zwischen Deutschland und Frankreich stören. Mit Ihren wahnsinnigen Rüstungen erziehen Sie das Volk zur Ver— dummung. Wir werden trotz aller Widerwärtigkeiten weiter gegen den Militarismus wirken, und der Tag wird tommen, wo sich die Hand des Deutschen vertrauensvoll in die des Franzosen legt. Das wird ein Tag unseres Triumphs sein. Wir werden weiter kämpfen für das schöne große Ziel: Friede und Freiheit vom Belt bis zu den Pyrenäen, wir werden kämpfen für Freiheit und Kultur.

Abg. Erzberger (Zentr. : Richter wird das deutsche Volk sein, und es wird dem Vorredner nicht recht geben. Wir he⸗ willigen die Vorlage nicht einer Richtung, sondern dem deutschen Volte. Die Sozialdemokraten können sich den Luxus erlauben, die Vorlage abzulehnen, denn sie wissen, daß es auf ihre Stimmen nicht ankommt. Wag der Reichskanzler gesagt hat, reicht eigentlich zur Begründung so hoher Forderungen nicht aus. Unsere Beziehungen zu Frankreich sollen gut sein, mit Ruß— land sollen wir in freundlichen Beziehungen stehen. Wegen Montenegro brauchen wir doch diese Heeresvermehrung nicht. Allerdings kann der Kanzler bei der gespannten Lage alle Gründe öffentlich für die Vorlage kaum vorbringen. Die eigentlichen Gründe liegen in der Veränderung der Lanbtarte in Europa. Dunch die Umgestaltung auf dem Balkan und durch das Engagement Italiens in Afrika sind die Kräfte unserer Bundetgenossen geschwächt worden. Der Hauptgrund liegt aber in der Haltung unserer westlichen und östlichen Nachbarn. Niemand wird in Abrede stellen wollen, daß in weitesten Volkekreisen, nicht in Regierungskreisen, der Chauvinismus in Frankreich ganz gewaltig angewachsen, der Respekt vor der Militär⸗ macht Deutschlands gesunken ist. Der „Vorwärts“ hat das selbst zugegeben. Alle Partelen in Frankreich stehen unter dem Druck der Chaupinisten, und die dortigen Sozialdemokraten haben nicht die Macht, diese Strömung zu paralysieren. Ganz dasselbe gilt von England. An diesen Erscheinungen daif man in Deutschland nicht achtlos vorübergehen und so tun, als ob ein Krieg in den nächsten Jahren zu den Unmöglichkeiten gehört, wie es der Abg. Scheidemann gemeint hat. Selbst Radikale wie Kautsky und Wendel rechnen mit der Möglichkeit eines Weltkrieges. Wir, wissen, was sür Deutschland bei einem Weltkriege, auf dem Spiel steht. Glauben Sie denn, daß im Falle eines unglücklichen, Krieges nur Elsaß⸗Lothringen für uns verloren sein würde? Nein, Deutschland würde zertrümmert werden. Daß man auch in sozialdemo⸗ kratischen Kreisen für diese Frage ein Verständnls hat, beweist ein Artikel von Leuthner in den „Sozialistischen Monatsheften“. In Frankreich weiß man sehr wohl, daß man in der Rekrutenein⸗ stellung an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt ist, aber man setzt seine Hoffnung auf die Veijüngung der Wehrtraft Rußlands. Selbst Liebknecht und Bebel haben 1890 und 1393 mit der Möglich⸗ keit eines Krieges mit Rußland gerechnet; Rußland werde stets eine Gefahr für den Weltfrieden sein, dieses, nicht Frankreich, sei der ge⸗ fährliche Feind. Seitdem haben sich die Verhältnisse in Rußland Dentschland gegenüber noch verschlechtert. Rußland rüstet fortwährend. Es hat 1912 die allgemeine Wehipflicht wirklich eingeführt, es kann fabelhafte Reserven heranziehen. Die panslawistische Bewegung, die Abneigung gegen uns wächst. Der Bafankrieg, hat alle pan— slawisklschen Jnstinkte entfacht. Die innere Repolufion ändert daran nichts. Nicht einmal die offiziellen Kreise Rußlands haben mit uns die Erinnerung an die gemeinsamen Kämpfe vor 100 Jahren gefeiert. Rußland wird künftig seine Mobilmachung 4 bis 6 Wochen früher fertig siellen. Da heißt es denn: Der kluge Mann baut vor. Die

schwere Belastung, die dem Volke zugemutet wird, ist für niemand ein Vergnügen, aber es fragt sich, was wird dadurch an Unglück von uns serngehalten? Diese. Ausgaben sind eine Versicherungsprämte. Es fragt sich nun, konnte es nicht vermieden werden, daß uns die Diplomatie diese Rechnung präsentiert? Man rinnert an ver⸗ schiedenes, an den politischen Z ckzackkurs usw. Aber der eigentliche Grund, weshalb wir in diese Situation gekommen sind, ist unsere Lage in Europa, unsere Entwicklung zur Weltpolitik, zu der wir ein— fach gezwungen gewesen sind. Das deutsche Volk hat nur den Wunsch, den Frieden zu erhalten und genügend gerüstet zu sein. In bezug auf die allgemeine Wehrpflicht hat man seinerzeit nicht daran gedacht, daß alle jungen Lente in die Kaserne aufgenommen werden sollten. Gerade die Sozialdemokraten haben gegen die Windthorstsche Resolution gestimmt. Als Vertreter des Miliz⸗ heeres waren sie die größten Scharfmacher für die Forderung, daß jedermann in die Kaserne komme. Mit der jetzigen Forderung weicht die Militärverwaltung von ihren bisherigen Anschauungen ab. Noch der Kriegsminister ven Cinem verwahrte sich gegen die Zahlenwut. Haben wir denn überhaupt 63 000 Rekruten mehr in diesem Jahre? Ich muß diese Frage verneinen. Nach dem amtlichen Material würden 40 009 Rekruten fehlen. Die Verwaltung wird uns darüber noch Aufschluß zu geben haben. Mit den Anforderungen an die Rekruten darf unter keinen Umständen heruntergegangen werden. Ein Invalidenheim soll der Kriegsminister nicht verwalten, die Blinden und Tauben und die Krüppel wollen wir nicht im Heere haben. Daß die verheirateten Männer ins Feld ziehen, während taugliche Leute nicht ausgehoben werden, wünschen auch wir nicht. Es werden 40900 Offizierstellen gefordert. Der Kriegsminister wird uns in der Kommission darüber Aufklärung geben müssen, ob so viel notwendig sind, und ob auch die Möglichkeit vorhanden ist, sie dann am 1. Oktober besetzen zu können. Schon jetzt haben wir offene Stellen, die wir nicht noch vermehren wollen. Nicht notwendige Stellen würden zudem den Pensionsfonds noch mehr belasten. Aehnlich liegt es mit Unteroffizieren. Mit einem solchen Hurrapatriotismus, wie ihn der Abg. von Liebert gestern ent⸗ wickelte, darf man an solche Fragen nicht herangehen. Die Förderung des Luftschiffwesens ist noch notwendig. Im Fltegerwesen stehen wir noch zurück. Es ist aber erfreulich, daß wir auch hier Fortschritte machen, wie die Aufstellung eines Weltrekords von 2 Fliegeroffizieren zeigt, sodaß wir hoffentlich auch hier bald an die erste Stelle rücken. Unklar ist mir aber, weshalb mit der Vermehrung der Soldatenzahl auch eine solche der Beamten stattfinden soll. Dies zieht doch für die Zukunft nur Gehaltsaufbesserungen nach sich. Gerade in Oberschlesien ist für den Schuß unseres riesigen dortigen Nationalvermögens fast gar nichts geschehen. Ganz Oberschlesien liegt völlig offen da. Gerade in diesem Falle zeigt sich auch das Bedenkliche der Polen⸗ politik. Wer den Schutz der Ostmark will, muß dort auch eine zufriedene Bevölkerung haben wollen. Bei der einmaligen Wehr— abgabe ist von einem Hurrapatriotismus nur bei denen etwas zu spüren, die nichts zu zahlen haben. Deshalb muß man prüfen, ob wirklich die ganzen 884 Millionen notwendig sind. Mit den Sparsamkeitsvorschlägen des Majors a. D. Morath ist allerdings dabet nicht auszukommen. Der Abg. Bassermann hatte mit seinen Bemerkungen über die Bevorzugung des Adels recht. Auch ich möchte es einmal ganz gern sehen, wie sich ein Garde du GCorpsoffizier in Dieuze ausnimmt. Wir wurden von einem früheren Kriegsminister darauf vertröstet, daß gespart werden würde, wenn die Festungen ausgebaut wären und die Feld— uniformen allgemein eingeführt worden seien. Damit werden wir wohl bis auf den Nimmermehrstag warten können. Einschränken könnte man den Paradedienst. Auch würde es schon eine Summe ausmachen, wenn die Offiziere immer die Felduniform tragen dürften. Dann müßte man das Heer von all den Funktionen be— freien, die nicht direkt für die Kriegsbereitschaft notwendig sind. So ist es doch nicht nötig, Posten in Schlössern aufzustellen, in denen der Kaiser gar nicht wohnt. Man könnte da einen Vertrag mit der Wach- und Schließgesellschaft abschli ßen. Auch bei der Musik könnte manches gespart werden. Nachzuprüfen ist auch die Notwendigkeit des Burschenwesens. Die Bewilligung der Freifahrtkarte für Soldaten ist zu begrüßen, aber alle zwei Jahre einmal ist doch zu wenig. Wir werden hierfür 1 Millionen in der Kommission nachfordern. Für unzulässig halte ich es dann, wenn von Forderungen des Heeres gesprochen wird. Solche kann nur der Kriegsminkster finden. Wird diese Vorlage genehmigt, dann kann das deutsche Volk verlangen, daß unsere deutsche Politik so geleitet wird, daß nicht nach weiteren 4 oder 5 Jahren eine neue Vor⸗ lage nötig ist, sonst könnte der Moment eintreten, wo man lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende wünscht. Und wer stellt die 63 009 Mann in erster Linie? Dr. Heim ist mit seiner Broschüre schon zitiert worden; er weist unwider— leglich nach, daß rund 40000 mehr von der Land⸗ als von der Stadtbevölkerung ausgehoben werden, sodaß der kleine Bauer, der Handwerker und der kleine Geschäftsmann auf dem platten Lande erheblich vorbelastet sind. Der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht schließt solche Vorbelastung aus, verlangt also für das platte Land auch ganz wesentliche Ausgleichsmaßnahmen. Was in der Broschüre des Wehrvereins steht, ist tatsächlich hanebüchener Unsinn. Gefreut hat mich auch, daß der Kriegsminister so kühl die Ver⸗ antwortung für die Leutnants a. D. abgelehnt hat, die in manchen Preßstimmen unter der Firma eingeführt werden: „von besonderer! oder „von hochgeschätzter militärischer Seite. schreibt man uns. Als Entschädigung für die neue Belastung des Bauernstandes sollte den eingestellten Bauernsöhnen ein jährlicher Urlaub von 4 bis 6 Wochen gewährt werden. Ebenso sollten die Reserveübungen nicht im August und September statt⸗ finden, wo die Ernte die Leute auf dem Lande in Anspruch nimmt, sondern man sollte diese Uebungen im Februar, Mai oder November veranstalten. Sollte es wegen der Militärvorlage zur Auf—⸗ lösung kommen, glauben Sie (zu den Sozialdemokraten), daß die 10 wiederkehren? Und Roß und Reiter sah man niemals wieder. Wir haben das ja 1887 und 1893 erlebt. Die beste, die volkstümlichste Politik ist diejenige, die im Volke den Frieden erhält, aber auch dafür sorgt, daß, wenn es zum Kriege kommt, dem Volke der Sieg bleibt. Die neue Vorlage sehen wir nicht als eine Maßnahme an, die zum Kriege führt, sondern die den Krieg verhindern soll, als einen Appell an die ganze Welt, daß unser Volk seine Kulturarbeit ungestört fördern will.

Um 711 Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf Mittwoch 1 Uhr pünktlich vertagt.

Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 160. Sitzung vom 8. April 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von ‚Wolffs Telegraphischem Bureau“ .)

Ueber den Beginn der Sitzung, in der die zweite Be⸗ ratung des Etats des Ministeriums der geist⸗ lichen und Unterrichtsangelegenheiten, und zwar zunächst die Besprechung der Etatspositionen für die höheren Lehranstalten für die männliche Jugend, fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Auf die daselbst auszugsweise wiedergegebenen Aus⸗ führungen des Abg. Eickhoff (fortschr. Volksp.) entgegnet der

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Durch die Reden, dle bisher in der allgemeinen Besprechung über unsere höheren Lehranstalten gehalten worden sind, ging die Besorgnis hindurch, daß wir vor einer bedrohlichen Ueber

füllung des Berufes der akademisch gebildeten Lehrer ständen, und ich kann nicht sagen, daß diese Besorgnis unbegründet sei. Nach—⸗ dem der Stand der Oberlehrer zur großen Befriedigung der Unter⸗ richte verwaltung nach verschiedenen Richtungen hin in den letzten Jahrzehnten gehoben worden ist, hatte man ja damit zu rechnen, daß der Zustrom zu dem Oberlehrerstande stärker werden würde. (Sehr richtig!)

In den ersten Jahren hat sich das aber nach außen hin nicht besonders geltend gemacht, weil zahlreiche Lücken ouszufüllen waren. Von 1903 bis 1911 wurde der größere Teil der an⸗ stellungsfähigen Kandidaten sofort angestellt. In einzelnen Jahr⸗ gängen fand das bei über 80 0, statt, sodaß die Wartezeit sich auf ein Minimum reduzierte. Erst im Jahre 1912 ist der Prozentsatz der Angestellten zu den für die Anstellung in Betracht kommenden Anwärtern auf 39 gesunken, und zurzeit stehen rund 1550 An⸗ stellungskandidaten einschließlich derjenigen, welche am 1. April dieses Jahres das Probejahr vollendet haben, zur Verfügung, von denen etwa 409 angestellt werden können. (Abg. Siebert: Hört! hört! Das sind noch nicht 245 0. (Hört! hört!) Ist es hiernach möglich, mit den anstellungsfähigen Kandidaten, die uns bleiben, jetzt annähernd die Stellen der Hilfslehrer auszufüllen, so ergibt sich daraus, daß zwar der Mangel an anstellungsfähigen Kandidaten beseitigt ist, daß aber andererseits in der Tat die Sorge der Ueberfüllung hervortritt. Wenn ich soeben von der Versehung der Hilfe lehrerstellen gesprochen habe, so hebe ich gegenüber dem letzten Herrn Vorredner doch hervor, daß in dem Verhältnis von Hilfslehrerstellen zu Oberlehrer⸗ stellen nichtß geändert worden ist, daß die Verhältniszahl von 1 zu 13 von der Unterrichtsverwaltung aufrecht erhalten wird, und daß auch in dem gegenwärtigen Etat wieder Mittel erbeten werden, um Hilfslehrerstellen, und zwar 10 solcher Stellen, in Oberlehrer⸗ stellen umzuwandeln.

Daß uns jetzt die genügende Zahl von anstellungsfähigen Kandidaten zur Verfügung steht, hat den Vorzug, daß wir in der Lage sind, die Hilfslehrerstellen nunmehr durchweg mit solchen Kandidaten zu besetzen und nicht mehr, wie es bisher leider notwendig war, Seminarkandidaten und Probekandidaten zur Versehung solcher Stellen heranzuziehen. Wir können nunmehr die Probe⸗ und die Seminarkandidaten ganz dem eigentlichen Zwecke ihrer Ausbildung zuführen und brauchen sie nicht mehr zu verwenden, um Hilfslehrer stellen zu versehen.

Aber, wie gesagt, mit dieser für die Unterrichtsverwaltung an und für sich erfreulichen Erscheinung tritt zugleich die höchst uner⸗ freuliche hervor, daß wir in den nächsten Jahren mit einer stelgenden Ueberfüllung des Oberlehrerberufs werden rechnen müssen. Das wird um so mehr der Fall sein, weil die Zahl der Philologiestudierenden auf den Universitäten viel zu groß ist und in den letzten Jahren dauernd im Steigen begriffen ist. Zwar sind ja eine ganze Reihe von neuen Oberlehrerstellen durch die Reform der Mädchenschulen geschaffen worden, auch die zunehmende Zahl solcher Stellen im Auslande hilft einigermaßen; aber alles das reicht längst nicht aus, um dem Angebot an Kräften entsprechend eine Verwendung eintreten zu lassen.

Ganz besonders ungünstig das ist ja auch schon hervor⸗ gehoben worden sind die Aussichten für die katholischen Lehramtskandidaten. (Sehr wahr) Von den 871 anstellungs« fähigen Kandidaten waren 396 evangelisch, 462 katholisch (hört, hört und 13 jüdisch. Am stärksten ist der Prozentsatz der katholischen Kandidaten bei den altphilologischen und den historisch= germanistischen Fächern. Von den Altphilologen sind 113 evangelisch, 122 katholisch, 5 jüdisch; in Geschichte und Deutsch ö evangelisch, 198 katholisch (hört, hört), 1 jüdisch. Wenn also von der Tribüne dieses Hauses die Warnung vor dem Studium der Philologie ertönt kst, so kann auch ich von meiner Seite aus nur dieselbe Warnung ergehen lassen, und ich muß sie insonderheit auch an die katholischen Studierenden richten. Denn, meine Herren, darauf ist es zurückzu⸗ führen, daß die Zahl der Katholiken, welche sich diesem Studium widmen, zu groß geworden ist, nicht etwa darauf, daß die Katho—⸗— liken bei der Anstellung als Oberlehrer zurückgestellt würden, wenn katholische Anwärter länger auf Anstellung warten müssen.

Meine Herren, als jene Behauptung zuerst in der Kommission aufgestellt wurde, war ich nicht darauf vorbereitet, daß das geschehen könnte; ich konnte dort deshalb nur nach meiner allgemeinen Kenntnis der Dinge darauf erwidern und habe jene Behauptung schon dort als unbegründet zurückgewiesen. Dabei habe ich auf ein Beispiel hin— gewiesen, das mir gerade in der Erinnerung war, da es sich um einen erst vor kurzem erledigten Fall handelte; ich habe erwähnt, daß ich einen katholischen Direktor an ein Gymnasium berufen hätte, wo die Mehrzahl der Schüler evangelisch sei. Das war keineswegs, wie der Herr Redner, der jene Behauptung aufgestellt hatte, annahm, der einzige Fall, sondern ein Fall, der mir gerade in der Erinnerung war.

Nun, meine Herren, nehme ich solche Beschwerden sehr ernst, und ich habe deswegen die Frage eingehend statistisch untersuchen lassen, um die von mir in der Kommission gemachten Angaben zu belegen. Ich bin in der glücklichen Lage, in meinem Ministerium einen Herrn zu besitzen, der auf dem Gebiete der Statistik für unser höheres Schulwesen eine anerkannte Autorität ist. (Sehr richtig) Dieser Heir hat Ihnen das Material gestern in eingehender Weise dar— gelegt, und ich glaube, er hat in der Tat recht, daß man so nicht verfahren dürfe, wenn man zu dem richtigen Ergebnis kommen will, wie es Herr Abg. Dr. Heß getan hat. Er hat schon anerkannt, daß man Bevölkerungszahlen nicht zugrunde legen dürfe, und er wird vielleicht jetzt auch anerkennen, daß man nicht ohne weiteres die Schülerzahl zugrunde legen darf, sondern daß man die Schüler⸗ und Lehrerzahl der einzelnen Anstalten betrachten muß. Denn, meine Herren, in der einen Schule wird in der Sexta von einem Lehrer der Unterricht an 20 Schüler, in der anderen Anstalt an 40 Schüler erteilt. Das macht einen wesentlichen Unterschied bei der Bewertung der Ergebnisse. Deshalb muß man die einzelnen Schulen nehmen und danach prüfen, ob der Prozentsatz zwischen Schülern und Lehrern nach der Konfession hin gerechtfertigt ist. ( lbg. Fromme: sehr richtig) Tut man das aber, meine Herren, dann kommt man doch zu wesentlich anderen Ergebnissen als der Abg Dr. Heß; man kommt zu dem Ergebnis, daß ebenso wie an manchen Stellen zu viel evangelische Lehrer, an anderen Stellen auch zu viel katholische Lehrer angestellt sind. Das gilt auch für elnzelne Provinzen.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

M S4.

(Schluß aus der Ersten Beilage)

So z. B. sind in Ostpreußen nach dieser Berechnung 4 katholische Lehrer, in Schlesien 5 katholische Lehrer zu viel angestellt, in Sachsen 2, in Schleswig⸗Holstein , in Westfalen 1. Allerdings haben wir auf der anderen Seite auch eine ganze Reihe von Pro⸗ vinzen, in denen zu wenig katholische Lehrer angestellt sind. Hält man das gegeneinander, so ergibt sich, daß im ganzen ich spreche hier von staatlichen Anstalten bei staatlichen Anstalten 39 katholische Lehrer zu wenig angestellt sind. Dabei ist aber die Provinz Posen mit 26 Lehrern beteiligt. Wenn Sie diese abziehen, dann ist das Minus auf katholischer Seite geradezu verschwindend, wenn Sie dagegen die große Zahl der Lehrer halten, um die es sich hier handelt. In Posen liegen aber, wie Sie ja wissen, die Verhältnisse besonders. Die katholischen Anwärter für solche Stellen sind im Osten nicht ausreichend genug. Wir müssen auf den Westen zurückgreifen, und der Westländer entschließt sich schwer, nach dem Osten zu gehen, sodaß wir dort Mühe haben, die ausreichende Zahl von katholischen Lehrern zu finden.

Das waren, wie gesagt, die staatlichen Anstalten. Wenn Sie aber Ihren Blick auch auf die städtischen Anstalten lenken, so ergibt sich bei der Berechnung, die, wie ich ausführte, die richtige ist, daß dort 20,03 0/0 katholische Lehrer vorhanden sind, während 20,82 vor⸗ handen sein müßten, also doch auch nur ein sehr geringes Minus, aus dem heraus man eine unparitätische Behandlung der katholischen Lehrer nicht wohl mit Recht entnehmen kann.

Ich sagte schon, meine Herren, daß ich derartige Beschwerden ernst nehme und den größten Wert darauf lege, daß darüber Miß— verständnisse nicht bestehen. Ich lege Wert darauf, einmal um die Vorwürfe gegen die Unterrlchtsverwaltung zurückzuweisen, namentlich aber auch deshalb, weil ich den dringenden Wunsch habe, daß in den Kreisen unserer katholischen Mitbürger nicht das Gefühl Platz greift, daß diejenigen aus ihrer Mitte, welche den Lehrerberuf ergreifen, ihres Bekenntnisses wegen ungerecht behandelt und Evangelischen gegenüber zurückgestellt würden. Das ist nicht der Fall, meine Herren. Das ist bisher nicht geschehen und wird auch in Zukunft nicht geschehen, und wo an einzelnen Stellen noch Benachteiligungen vorhanden sein sollten, da wird Abhilfe geschafft werden, soweit die Unterrichtsverwaltung hierzu imstande ist.

Nun, meine Herren, ist wohl von sämtlichen Rednern auch über die Ueberfüllung unserer höheren Schulen geklagt und versucht worden, dagegen geeignete Mittel zu bezeichnen. Es wird außerordentlich schwierig sein, dagegen ein wirklich durchschlagendes Mittel zu finden. Jedenfalls könnte ich mich nicht dazu entschließen aus der Erwägung heraus, daß unsere höheren Berufe, insonderheit auch der Philologen⸗

beruf, so stark übersetzt sind, nun aus diesem Grunde etwa die An⸗

forderungen an den höheren Schulen zu erhöhen; das würde ich für keine richtige Maßnahme halten. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Gewiß, meine Herren, soll an unseren Schulen ernste, fleißige Arbeit geleistet werden, und die Unterrichtsverwaltung ist weit davon ent—

fernt, hier irgendwie weichlicher Pädagogik das Wort reden zu wollen.“

Sie werden ihr keine Aeußerung nachweisen können, aus der eine solche Absicht irgendwie entnommen werden könnte. Ich habe ja auch im vorigen Jahre, als wir uns über diese Angelegenheit sehr ein⸗ gehend unterhalten haben, mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß die Unterrichtsverwaltung an ernster und fleißiger Arbeit und an hohen Anforderungen an die Schüler an unseren höheren Schulen festhält. Aber, meine Herren, die Anforderungen an den Schulen dürfen auch nicht überspannt werden; sie müssen auf einen normal begabten, fleißigen jungen Menschen eingestellt sein. (Sehr richtigh Ein solcher aber muß die Anforderungen, die die höhere Schule stellt, auch erfüllen können. (Sehr richtig) Wir können doch nicht es als unsere Aufgabe ansehen, so zu sagen, eine Geisteselite ausbilden; das ist nicht die Aufgabe unserer höheren Schulen. Wir wollen so ist es in meiner Anweisung für die Anweisung für die Direktoren und Lehrer ausgedrückt daß die höheren Schulen die Aufgabe erfüllen, ihre Zöglinge wissenschaftlich auszubilden und auf der Grundlage von Gottesfurcht und Vaterlandsliebe zu arbeits- freudigen und charakterfesten Männern zu erziehen. Das ist die Auf— gabe unserer höheren Schulen, nicht die, Gelehrte heranzubilden.

Die Strömung in der Oeffentlichkeit wechselt. Wenn im vorigen Jahre die Angriffe gegen die Schulverwaltung dahin gingen, daß sie die Anforderungen an die höheren Schulen zurückschraubte, so ist es noch gar nicht lange her, daß die Angriffe von der anderen Seite kamen, daß wir die Anforderungen auf den Schulen überspannten, die Gesundheit der jungen Leute rulnierten, kränkliche, kurzsichtige Menschen in die Welt schickten. Meine Herren, die Welle geht herauf und geht herunter, davon darf sich die Unterrichtsberwaltung nicht berühren lassen; sie muß ruhig ihren Weg weiter gehen und die richtige Mittellinie einhalten, die, wie mir scheint, für das Wohl unserer höheren Schulen die gegebene ist.

Gewiß, meine Herren, habe ich die Gründung von Mittelschulen namentlich auch von dem Gesichtspunkte aus gefördert, den Zudrang zu unseren höheren Schulen einigermaßen einzudämmen. Denn es gibt weite Kreise, die besser täten, wenn sie ihre Söhne nicht auf die höhere Schule schickten (sehr richtig), sondern diese Mittelschulen zuführten. (Sehr richtig) Dort erhalten sie und das ist der Zweck der Mittelschulen eine abgeschlossene Bildung und können dann im 16. Jahre in das praktische Leben eintreten. (Sehr richtig) Wir haben ihnen ja auch gewisse Erleichterungen bei der Ablegung des Einjährigen⸗Freiwilligen⸗Examens gewährt, und ich möchte daher hoffen, daß der Besuch der Mittelschulen immer zahlreicher wird. Ich bin vielfach auf Verständnis bei den Kommunen gestoßen und ich hoffe, es wird auch weiter gelingen, die Gründung von solchen Mittelschulen herbeizuführen.

Da ich bei den Mittelschulen bin, so möchte ich hier wenigstens in Parenthese mit einigen Worten noch einmal auf die Be— schäftigung der Mittelschullehrer an höheren Schulen eingehen. Wir haben unt auch darüber schon eingehend unterhalten,

Berlin, Mittwoch, den 9. April

und es hat sich eigentlich zwischen der Auffassung, die aus diesem hohen Hause hervortrat, und der Auffassung der Unterrichts verwaltung ein Gegensatz nicht ergeben. Wir alle waren der Ansicht, daß in beschränktem Umfange die Verwendung der Mittelschullehrer an den höheren Schulen durchaus unbedenklich, ja recht nützlich sei. Es kommt nur darauf an, das richtige Maß der Beschäftigung solcher Lehrer an den höheren Schulen einzuhalten. Auch mein Erlaß, der das Maximum ich betone das einer solchen Beschäftigung bezeichnet, hat irgend welche Angriffe nicht gefunden und ist übrigens, wie ich Herrn von Goßler gegenüber erwähnen möchte, nirgends überschritten worden, die Grenze ist eingehalten worden. Aber ich habe ja auch ausge— führt, daß es durchaus nicht die Absicht und auch nicht zweckmäßig wäre, überall an diese Höchstgrenze heranzugehen, und insofern meinte ich, daß man sich in Posen vielleicht etwas zu sehr der Maximal— grenze genähert hat, und daß bei einer Revision der dortigen Schul— etats, die bekanntlich alle drei Jahre stattfinden muß, dieser Frage besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden solle. Als ein weiteres Mittel gegen einen übermäßigen Andrang zu den höheren Schulen ist bezeichnet worden, daß nicht zu viel höhere Schulen gegründet werden. Das ist durchaus die Auffassung der Unterrichtsverwaltung. Wenn man etwa glaubt, wir suchten unseren Ehrgeiz darin, möglichst viel höhere Schulen ins Leben zu rufen, dann irrt man. Ich finde auch hier, wenn diese Frage grundsätzlich erörtert wird, stets viel seitige Zustimmung aus den verschiedensten Parteien des Hauses. Häufig ist die Forderung erhoben worden, man möge zurückhaltend in der Begründung von neuen Schulen sein, und nicht überall, wo der Wunsch mal hervortrete, ihn auch gleich erfüllen. Wenn dann aber der konkrete Fall kommt, wenn der Abgeordnete des betreffenden Kreises mit warmen Tönen für eine Schule, die irgendwo eingerichtet werden soll, eintritt, dann schmilzt das Herz dieses hohen Hauses (Nꝛeiter⸗ keit) und einstimmig wird die Petition angenommen. Da gehört für die Unterrichtsverwaltung Stärke dazu, hart zu bleiben. Ich bemühe mich, diese Stärke zu haben, und ich bin bis jetzt noch nicht weich ge—⸗ worden. Ich hoffe, daß ich das auch ferner einhalten kann. Jeden falls glaube auch ich, daß man in der Begründung von neuen höheren Schulen mit großer Vorsicht vorgehen soll.

Nun hat der Herr Abg. von Goßler gegen die Unterrichtsver— waltung den Vorwurf erhoben, daß bei der Begründung von neuen staatlichen Schulen und bei der Unterstützung von städtischen Schulen durch den Staat die größeren Orte bevorzugt würden. Daz ist durch⸗ aus nicht der Fall. Wenn Sie in den größeren Orten staatliche Schulen oder staatlich unterstützte Schulen finden, so hat das in der Regel seinen Grund in der historischen Entwicklung. Das sind meistens alte Schulen, und diese Städte sind allmählich zu Groß⸗ städten geworden. Wenn Sie aber die Neugründungen und die neuer⸗ dings unterstützten Schulen ansehen, dann werden Sie finden, daß es sich in zahlreichen Fällen, in den meisten Fällen um kleine oder mittlere Orte handelt. Ich möchte hier nur einige aus den letzten drei Jahren erwähnen. Da sind staatliche Anstalten begründet in Bochum, in Osterode, in Myslowitz, in Zaborze, in Mülheim a. Ruhr, in Königshütte, in Heilsberg, in Lübben, in Mül⸗ heim (Rhein), in Stallupönen, in Greiswald, in Remscheid; dann die staatlich unterstützten Anstalten in Neidenburg, Kolmar, Oppeln, Harpe, Opladen, Camen, Neheim, Kattowitz, Soest, Betz⸗ dorf, Simmern, Odenkirchen, Finsterwalde, Wanne, Dinslaken. Sie sehen also, eine ganze Reihe von kleinen Anstalten.

Einer der Herren ist dann auf den Wert der sogenannten Alum nate zu sprechen gekommen, die er deshalb rühmte, weil da—⸗ durch den Nachbarn der kleinen Städte ermöglicht würde, ihre Söhne in der Nähe zu behalten, indem diese in ein solches Alumnat gehen können und nicht weit weggeschickt zu werden brauchen. Ich teile durchaus die Auffassung, daß solche Alumnate zu unterstützen sind. Ich kann mitteilen, daß die Unterrichts verwaltung sich der Begründung solcher Alumnate gern annimmt. Freilich zu einer finanziellen Unterstützung fehlen uns die Mittel; aber die moralische Unterstützung wird in weitem Umfange dieser Einrichtung zuteil.

Daß übrigens auch bei neuen Anstaltsgründungen das Land berücksichtigt wird, das möchte ich durch den Hinweis darauf zeigen, daß wir kürzlich, wie Sie wissen, das alte berühmte Joachimstalsche Gymnasium von Berlin hinaus in das Freie, in eine kleine Stadt gelegt haben, in einen märkischen Kiefernwald, an einen schönen märkischen See. Ich würde mich freuen, wenn einige der Herren sich diese Anstalt einmal ansehen wollten; sie würden dort ein ländliches Anwesen finden, das den Ansprüchen an ein solches Internat ent⸗ spricht und, ich glaube, ein glücklicher Versuch sein wird. Wenigstens die Erfahrungen, die wir bisher es sind allerdings erst wenige— Monate, seitdem die Eröffnung stattgefunden hat gemacht haben, sind durchaus günstig. Es sind dort eine Reihe von Villen gebaut, so daß in jeder eine Anzahl von Schülern unter Aufsicht einer für diese Zwecke ausgewählten Dame uud eines Lehrers eine Häuslichkeit finden. Ich hoffe, daß diese Einrichtung von gutem Erfolge ist.

Nun ist namentllch auch der Herr Abg. Eickhoff auf das Verhältnis der humanistischen Anstalten und der Realanstalten des näheren ein⸗ gegangen und hat sich gegen die Behauptung gewandt, daß die realistische Anstalt von der Unterrichtsverwaltung bevorzugt würde. Darin hat er Recht. Die Unterrichtsverwaltung denkt garnicht daran, die realistischen Anstalten zu bevorzugen. Sie steht auf dem Stand⸗ punkt der völligen Gleichberechtigung der drei Typen der höheren Schulen, die wir haben. Wir wollen diese drei Typen gleichmäßig fördern, und ich glaube, indem wir das tun, nutzen wir allen drelen. (Sehr richtig!! Auch sind neuerdings wieder humanistische Anstalten, Gymnasien ins Leben gerufen worden; allerdings die Zahl der Neu⸗ gründungen ist auf realistischer Seite größer, sodaß relativ die Zahl der Gymnasien abgenommen hat, aber nicht ab— solut. Das ist meines Erachtens aber keine bedrohliche Erscheinung, sie entspricht dem Bedürfnis. Ich glaube, daß es richtig ist, unsere humanistischen Gymnasien zu pflegen nach jeder Richtung. Aber wir werden nicht darin unsere Aufgabe zu fuchen haben, mög⸗

1913.

lichst viel neue humanistische Gymnasien zu begründen. (Sehr guth Wir wollen sie pflegen und ausbilden und erhalten, wo sie sind, auch je nach dem Bedürfnis ein neues humanistisches Gymnasium be— gründen. Ebenso dürfen Sie darin, wenn einmal ein humanistisches Gymnasium in eine Realanstalt umgewandelt wird, kein Uebelwollen der Unterrichtsverwaltung gegen die humanistischen Gymnasien erblicken. Es können die Verhäͤltnisse in der Tat so liegen, daß es sehr viel besser ist, an einem Ort eine realistische Anstalt zu haben als ein Gymnasium, das nicht leben und nicht sterben kann. (Sehr richtig! rechts) Damit werden Sie das humanistische Gymnasium nicht fördern, wenn solche lebensunfähige Anstalten nur deshalb unter⸗ halten werden, weil man um keinen Preis ein humanistisches Gym⸗ nasium in eine Realanstalt umwandeln will.

Ich glaube, daß die Freunde der humanistischen Anstalten diese Ausführungen als zutreffend anerkennen müssen, wenn sie daneben vertrauen können, daß die Unterrichts verwaltung den humanistischen Anstalten mit dem größten Wohlwollen gegenübersteht und den aller⸗ größten Wert darauf legt, daß diese Anstalten ihrer Vergangenheit entsprechend als blühende Anstalten in unserm Unterrichtswesen er⸗ halten bleiben. (Bravo)

Meine Herren, wenn ich nun noch auf einige Einzelheiten ein- gehen darf, die hier berührt worden sind, so möchte ich erwähnen, daß einer der Herren sich dahin aussprach, daß an unsern Schulen für die Schüler nicht zu viele Vergnügungen veranstaltet werden möchten. Gewiß, meine Herren, das wäre falsch. Aber ich glaube, daß wir gerade auf diesem Gebiet Fortschritte gemacht haben. Wenn Sie sich das Treiben an manchen höheren Schulen in der früheren Zeit ver— gegenwärtigen, wie dort namentlich das üble Kneipwesen eine recht große Rolle spielte, und dagegen den Zustand der heutigen Zeit be⸗ trachten, so werden Sie, glaube ich, zugeben müssen, daß wir auf diesem Gebiet Fortschritte gemacht haben. An die Stelle des Kneip—⸗ wesens, das, wenn irgendwo, dann sicher auf den höheren Schulen unangebracht ist, ist ein gesunder Sport getreten, den wir dort pflegen. Wir wollen ihn das will ich auch hier besonders aus— sprechen gewiß nicht übertreiben; aber in mäßigen Grenzen ist er von vortrefflichem Einfluß auf unsere Schülerschaft gewesen, und ich habe gerade aus Lehrerkreisen die besten Urteile nach dieser Richtung gehört. Diesen Sport wollen wir weiter pflegen und die schalen Vergnügungen, die hier und da freilich noch bestehen, immer mehr zurückdrängen. (Bravo! rechts.)

Freies Sprechen auf den höheren Anstalten zu pflegen, ist gewiß eine Aufgabe dieser Anstalten, und sie werden sich auch immer mehr dem widmen. Wir versuchen es, den jungen Leuten mehr und mehr beizubringen, daß sie sich mündlich gewandt ausdrücken und die entgegenstehende Scheu überwinden.

Dann ist seiner Gewohnheit gemäß Herr von Goßler mit warmen Worten auf die Notwendigkeit eingegangen, daß der Gesang an den Schulen besser gepflegt werden müfse. Auch hier sind wir tätig. Wir haben Gesangsinspektoren angestellt, die durch das Land reisen, um zu prüfen und anzuregen. Wir haben die Lehrpläne verbessert und haben für die Gesangslehrer Kurse und Unterweisungen ein⸗ gerichtet, um sie noch mehr zu befähigen, diesen Unterricht zu erteilen. Wir pflegen den Gesang auch aus gesundheitlichen Gründen, die be⸗ sonders von Herrn von Goßler hervorgehoben worden sind, aber wir pflegen ihn auch aus ethischen Gesichtspunkten, weil wir glauben, daß er wirksam ist für die Ausbildung des Gemüts, eingedenk des alten Spruches:

Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, Böse Menschen haben keine Lieder.

Was die Wünsche der Oberlehrer anlangt, namentlich also auch diejenigen, die jetzt hier wieder zum Ausdruck gebracht worden sind, so kann, glaube ich, die Oberlehrerschaft das Vertrauen haben, daß ihre Wünsche, soweit sie berechtigt und erfüllbar sind, von mir vertreten werden, und ich denke, die Oberlehrerschaft hat auch dies Vertrauen. (Bravo!)

Der Präsident teilt mit, daß zu diesem Kapitel noch 12 und zu dem Elementarunterrichtswesen noch 41 Redner gemeldet sind, und ersucht die einzelnen Redner, sich tunlichst zu beschränken, damit der unerwünschte Schluß der Debatte vermieden werde.

Abg. Borchardt (Soz.); Ueber die Stellungnahme der Sozialdemokratie zu den humanistischen Gymnasien und dem Wert der humanistischen Bildung sind hier wie auch in der Oeffentlichkeit ganz sonderbare Ansichten zutage getreten. Das Wesen des huma⸗ nistischen Gymnasiums besteht ja in der Hauptsache in dem Ünter⸗ richt der lateinischen und griechischen Sprache. Die sogenannten exakten Wissenschaften, Mathemgtik und Physik, treten hier zurück.

un sagt man immer, daß die Gymnasien so eingerichtet sein . weih sie für die gelehrten Berufe vorbereiten sollen. Hierbei ragt es sich indessen, ob die Universitäten lediglich eine Anstalt zur Pflege der Wissenschaft sind und ihre wesentliche Aufgabe die ist, die jungen Leute zu Gelehrten heranzubilden. Das ist doch entschieden zu be⸗ streiten, denn heutzutage ist das Studium an unseren Universitäten doch im großen und ganzen zu einem Brotstudium geworden. Ich gebe ja zu, daß die lateinische und griechische Sprache für Philologen und Historiker unentbehrlich ist, aber bei den Juristen ist dies schon fraglich, und endlich liegt doch wahrhaftig kein Grund . vor, daß die Mediziner lateinische und griechische Sprache nötig haben. Auch für die Nationalökonomen ist die lateinische und griechische Sprache über⸗ flüssig. Wichtiger für sie wäre die Kenntnis der polnischen und russischen Sprache, überhaupt müßte bei uns die russische Spra mehr als bisher gepflegt werden. Dann würden wir auch über die russischen Verhältnisse besser, als wir es jetzt sind, unterrichtet sein. Der Zweck unserer Schulen ist doch, den Schülern das Arbeiten und e ge

enken beizubringen. Und hier sagt man immer, daß die lateinische Grammatik das einzie Mittel wäre, logisches Denken zu fördern. Wenn die humanistische Bildung die Grundlage des preußischen Staates sein sollte, müßten alle Kinder bis zum letzten Dorfschüler Lateinisch lernen. Statt lateinische und griechische Grammatik zu treiben, sollte man lieber die deutsche Sprache und die freie Rede in der Schule pig, Was versteht man in der Juristerei unter einem Beweis? Eine Zeugenaussage. Einen anderen . es in der Jurlsterei nicht. Ich Tabe oft genug vor Gericht gestanden, um das wissen zu können. Wenn es einem k nicht gelungen ist, zu bewelsen, daß er 1 der fraglichen Zeit nicht an dem Tatort gewesen ist, so gilt er

chon halb für überführt. Ich weise auch darauf hin, wie die

Juristen die Vereinbarkeit der antipolnischen Ie e e e ng mit der

Verfassung zu beweisen suchen. Der Sprachunterricht arbeitet mit