Wenn ich vorhin gesagt habe, daß wir uns fragen müssen, ob hier und da Aenderungen an den bestehenden Einrichtungen zu treffen sein werden, so gilt das auch mit Bezug auf die Oberlvzeen. Es kommt in Frage, ob z. B. den Inhabern des Reifezeugnisses eines Oberlyzeums etwa die Erlangung des Reifezeugnisses eines Gymna—⸗ siums, eines Realgymnasiums und Oberrealschule dadurch erlelchtert werden könnte, daß ihnen die Prüfung in denjenigen Fächern erlassen würde, in denen die Lehrziele des Oberlyzeums mit denen jener Anstalten im wesentlichen übereinstimmen. Es würden dann also diese Abiturientinnen je nachdem, ob sie das Reifezeugnis für ein Gymnasium, ein Realgymnasium oder eine Oberrealschule erstreben, eine entsprechende Ergänzungs⸗ prüfung zu machen haben. Das würde die Möglichkeit geben, daß auch Abiturientinnen von den Oberlyzeen nach dem Bestehen einer solchen Prüfung in der Lage wären, die Universität zu besuchen und dort auch andern Fächern ihr Studium zu widmen als demjenigen der Philologie, was ihnen jetzt, auf dem vierten Wege, allein möglich ist.
Damit würde wohl auch den Städten gedient sein, über deren schwierige Lage ja hier von der Tribüne des Hauses auch gesprochen worden ist, indem namentlich die mittleren und erst recht die kleineren Städte nicht in der Lage sind, ein Oberlyzeum und eine Studien⸗ anstalt einzurichten. Wäre es nun möglich, daß die Abiturientinnen von einem Oberlyzeum durch die Ablegung einer solchen Ergänzungsprüfung, die nach der Reifeprüfung am Oberlyzeum in angemessener Zeit zu erfolgen hätte, in den Stand gesetzt würden, auf der Universität auch andern Studien als dem der Philologie obzuliegen, so würde damit, wie mir scheint, den Beschwernissen, die die Städte empfinden, im wesentlichen Abhilfe geschaffen werden.
Ich bin, wie gesagt, in der Erwägung dieser Frage begriffen; ein endgültiger Entschluß ist noch nicht gefaßt.
Ein anderer Punkt, der auch hier vorgetragen ist und der zu Schwierigkelten Anlaß gegeben hat, ist die Frage, wie die zwei jährige praktische Tätigkeit der Ob erlyzeistinnen zu regeln ist. Es ist darauf hingewiesen worden, daß es für diese jungen Damen außerordentlich schwierig sei, ein entsprechendes Unterkommen an einer höheren Schule zu finden, ja, daß es sogar vorgekommen sei, daß sie dafür hätten bezahlen müssen, um aufgenommen zu werden. Daß das letztere natürlich gänzlich anormal ist, versteht sich von selbst; ich habe das auch schon in der Budgetkommission gesagt. Hier wird also, wie es scheint, auch die bessernde Hand anzulegen sein. Es kommt in Betracht, ob es nicht vorzuziehen ist, an Stelle dieser zwei⸗ jährigen praktischen Beschäftigung an einer höheren Schule, deren Umfang im wesentlichen der Oberlvzeistin selbst überlassen ist, eine geordnete Beschäftigung an einer von der Schulaussichtsbehörde be⸗ stimmten Anstalt vorzuschreiben nach Analogie der Einrichtungen, die wir in dieser Beziehung an den Knabenanstalten haben, dafür aber, weil dann die Tätigkeit in geregelterer Form und unter geregelterer Auf- sicht stattfindet, die zweijährige Zelt in eine einjährige umzuwandeln. Auch das steht zur Prüfung; einen Entschluß habe ich darüber noch nicht gefaßt.
Ich erwähne das, um zu zeigen, daß die Unterrichtsverwaltung diesen Dingen ihre volle Aufmerksamkeit zuwendet und nicht etwa auf dem Standpunkt steht, daß nun durch die Reform vom Jahre 1908 alles geschehen sei, und daß auch in allen Einzelheiten an den
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. dort getroffenen Bestimmungen festgehalten werden müsse. Ich habe
schon vor drei Jahren, als ich zum ersten Mal die Ehre hatte, über diese Frage hier in diesem hohen Hause zu sprechen, hervorgehoben, daß wir zunächst Erfahrungen sammeln wollten, daß wir deshalb um eine gewisse Karenzzeit bäten, um diese Erfahrungen sammeln zu können, daß wir dann aber, wenn diese Zeit abgelaufen wäre, uns fragen würden, wo etwa die bessernde Hand anzulegen wäre. Damit sind wir augenblicklich beschäftigt.
Meine Herren, es ist gewiß ein großer Fortschritt gewesen, als diese Schulreform ins Leben trat. Sie bezweckte vor allem, unserem heranwachsenden weiblichen Geschlecht eine tiefere Bildung zu geben, um es mehr als bisher zu befähigen, seinen eigentlichen weiblichen Pflichten gerecht zu wetden. Entsprechend dem gestiegenen Bildungs⸗ niveau überhaupt ist es gerade auch für die Mütter, die die Er⸗ zieherinnen ihrer Kinder sein sollen, von der größten Bedeutung, in dem Besitz einer angemessenen Bildung zu sein. Das war das Hauptziel jener Reform, das Bildungsniveau des weiblichen Teiles der Bevölkerung zu heben.
Gleichzeitig hatte die Reform im Auge, unseren jungen Mädchen, die nicht alle dem ersten Beruf der Frau als Ehegattin und Mutter zugeführt werden, die Möglichkeit zu schaffen, aus eigener Kraft sich einen Erwerb zu schaffen, eine selbständige Stellung im Leben zu erwerben. Das ist der zweite Zweck dieser Reform gewesen, und es war gewiß richtig, daß man sich in den Dienst auch dieser Aufgabe stellte. Wir haben viele Stellen im Staat, in den Kommunen, die von Frauen wahrgenommen werden, manche sogar, die besser von Frauen als von Männern wahrgenommen werden, sodaß damit, daß sie Frauen in weiterem Umfang zugänglich gemacht werden, auch der Allgemeinheit gedient ist. Aber, meine Herren, wir werden die Einrichtungen, die wir getroffen haben, nun nicht etwa vornehmlich und ausschließlich mit der Tendenz aufbauen und verwalten, daß sie zum Universitätsstudium führen sollen. Das soll auch möglich sein, besonders begabte und dazu geeignete Mädchen sollen die Möglichkeit haben, sich von den Studienanstalten, von den Oberlyzeen aus dem akademischen Studium zu widmen. Das ist durchaus erwünscht. Aber die Regel soll es nicht werden. Unsere heranwachsende weibliche Jugend soll nicht glauben, sie müßte ebenso wie die entsprechenden Kreise der männlichen Jugend nun auch die Universität besuchen und könnte erst danach eine wirklich angesehene Stellung im Leben einnehmen. Das wollen wir nicht unter— stützen, sondern wir wollen vor allen Dingen dafür sorgen, daß durch unsere Anstalten und Einrichtungen die Eigenheiten den weiblichen Geschlechts erhalten bleiben und daß die Mädchen vor allem denjenigen Aufgaben, den— jenigen Berufen zugeführt werden, für die das weibliche Geschlecht in erster Linie bestimmt ist. (Bravo! rechts.) Das ist bisher der deit⸗ gedanke gewesen, und das wird auch in Zukunft der Leitgedanke für die Maßnahmen sein, die die Unterrichtsverwaltung auf dem Gebiete des Unterrichtswesens für die weibliche Jugend zu treffen haben wird.
Wenn ich nunmehr diese allgemeineren Ausführungen verlasse, so möchte ich mich noch mit einigen Worten zu dem Gegenstand wenden, der auch in diesem hohen Hause von verschiedenen Seiten berührt worden ist, dem Privatschulwesen. Meine Herren, es sind auf diesem Gebiete harte Worte gegen die Unterrichtsverwaltung gefallen. Ich
kann ihre Berechtigung in dem Umfange, wie sie gefallen sind, nicht
anerkennen. Wenn ich in der Kommission gesagt habe, daß mit der
Mädchenschulreform für das private Schulwesen sehr große Härten
verbunden seien, so habe ich selbstverständlich damit nicht
gesagt, daß die Reformen mit Härte hätten durchgeführt werden
müssen. Ich habe damlt natürlich nur gemeint, daß der Natur der Sache nach durch die Reformen große Härten für das Privat-
schulwesen verbunden waren, Härten, die sich eben nicht vermeiden
lassen, wenn man einmal eine solche Reform machen will. Sie wissen
ja doch, meine Herren, daß früher das höhere Mädchenschulwesen in weitem Umfange in privater Hand gelegen hat. Die Ansprüche an diese Schulen sind erheblich gesteigert worden und gehen über das hinaus, was früher die privaten Schulen gefordert haben. Nun er⸗
kenne ich gern an, daß die Privatschulen, namentlich in der Ver—
gangenheit, nach der Möglichkeit, die ihnen gegeben war, außerordent⸗ lich Gutes geleistet haben (sehr richtig! und daß wir ihnen in der Tat Dank dafür schuldig sind (Abg. Siebert: Bravo!), daß sie die Unterrichtung des weiblichen Geschlechts zu einer Zeit in die Hand genommen haben, als sich die öffentlichen Korporationen dieser wichtigen Frage noch nicht in ausreichendem Maße annahmen. Ich erkenne das also vollkommen an und bin auch der Ansicht, daß man dlesem Gesichtspunkte Rechnung tragen muß, wenn man jetzt die Dinge regelt, daß man Rücksicht nehmen muß auf die Privatschulen, ihnen den Uebergang erleichtern und die unvermeid⸗ lichen Härten, die mit dem Uebergange einmal verbunden sind, nach Möglichkeit einzuschränken suchen muß. (Bravo! Aber, meine Herren, das ist auch geschehen. Wir haben eine weite und lange Uebergangszeit eingeführt. Es ist durchaus nicht etwa von heute auf morgen von den Privatschulen nun die Forderung zu erfüllen gewesen, alle Einrichtungen zu treffen, die infolge der Schulreform jetzt ver⸗ langt werden müssen; wir haben weitgehende Uebergangszeiten gewährt, haben Erleichterungen, soweit es sich irgendwie mit dem Prinzip vereinigen ließ, nachgelassen. Denn das muß doch festgehalten werden, meine Herren: wenn man den privaten Schulen dieselben Rechte einräumen will, wie sie die öffentlichen Schulen haben, dann müssen sie auch dieselben Anforderungen erfüllen. Es ist keineswegs so, wie das von einem der Herren Redner behauptet worden ist, daß man den Privatschulen nur Pflichten auferlegte, ihnen aber keine Rechte gäbe. Nein, meine Herren, den Pflichten, die ihnen auferlegt werden, entsprechen auch stets die zugehörigen Rechte. Das gilt namentlich von der Einräumung der Prüfung an den Privatschulen. Das ist früher überhaupt nicht geschehen, und es ist ein weites Ent⸗ gegenkommen, wenn es den Privatschulen eingeräumt wird. Soll es ihnen aber eingeräumt werden, so müssen natürlich die schultechnischen Voraussetzungen erfüllt werden, unter denen man es ihnen vom schultechnischen Standpunkt aus einräumen kann. Und wenn es nur auf 5 Jahre gewährt wird, so hat das darin seinen Grund, daß die Unterrichtsverwaltung sich die Sicherheit verschaffen muß, daß auch dauernd die Einrichtungen in den Schulen vorhanden sind, welche wir verlangen müssen, wenn derartige Rechte eingeräumt werden. Denn die Möglichkeit der Einwirkung der Schulverwaltung auf die privaten Schulen ist im allgemeinen geringer als auf dle öffent⸗ lichen Schulen. Uebrlgens ist es durchaus nicht richtig, wenn man gesagt hat, es würde in den Privatschulen bezüglich der Vorbildung der Lehrkräfte mehr verlangt, als in den öffentlichen Schulen. Das ist natürlich falsch. Alle die Anforderungen, die den Privatschulen gegenüber gestellt worden sind, müssen selbstverständlich bei den öffent⸗ lichen Schulen erfüllt sein, denn sonst würden sie niemals die An— erkennung als eine höhere Schule erlangen. (Abg. Siebert: Sehr richtig) Wir sind aber bei der Erfüllung dieser Anforderungen durch die Privatschulen insofern entgegengekommen, als wir, wie ich schon sagte, weite Fristen gewährt haben, insbesondere auf dem Gebiete der Beschaffung von akademisch gebildeten Lehrerinnen. Die Damen, die, obgleich sie die Anforderungen nicht er⸗ füllen, doch in den Oberlyzeen zum Unterricht zugelassen worden sind, empfinden es schmerzlich, wenn sie nun mit der Zeit, nachdem die Uebergangsperiode vorüber ist, nicht mehr in den Oberlyzeen unter richten dürfen, sondern nur in den Lyzealklassen. Das ist menschlich durchaus begreiflich, und ich mache den Vamen, die darüber empfindlich sind, keine Vorwürfe. Aber ändern läßt sich das nicht. Sie geben ja auch in Zukunft, wenn sie aus dem Oberlyzeum wieder ausscheiden, in den Lyzeen nur in demselben Umfange Unterricht, wie sie das vor der Reform getan haben. Denn die Schulen, die vor der Reform be⸗ standen, entsprachen im allgemeinen nicht den Anforderungen, welche wir jetzt an die Oberlyzeen stellen. Daß wir im übrigen bereit sind, soweit es irgend geht, den Privatschulen zu helfen, habe ich auch da durch gezeigt — es ist zwar nur eine Aeußerlichkeit, aber sie spielt immerhin eine gewisse Rolle —, daß ich ihnen die Bezeichnung „höhere Mädchenschule! wieder eingeräumt habe. (Abg. Siebert: Sehr richtig) Sie können sich wie vor der Neuordnung „höhere Mädchenschule“ nennen. Vielleicht sind doch auch eine zu große Anzahl von privaten Schulen im Anfang dazu übergegangen, den Versuch zu machen, sich zu einem Lyzeum auszubilden oder gar ein Oberlyzeum sich anzugliedern. Manche haben das wohl auch schon bereut, sie gehen zu dem alten Zustand wieder zurück und bleiben eine höhere Mädchenschule.
Nun ist mir gesagt worden, man sollte doch aber dann wenigstens diesen Schulen Berechtigungen einräumen, ihnen wenigstens die Be⸗ rechtigung der Mittelschulen geben. Das ist bereits geschehen; bereits vor mehreren Jahren ist ihnen diese Berechtigung eingeräumt. Als— Sie sehen, meine Herren, wir sind durchaus bemüht, soweit es sich im Rahmen des Möglichen erreichen läßt, den privaten Schulen entgegenzukommen. Ich muß auch sagen, daß wir im allgemeinen jetzt Beruhigung auf diesem Gebiete bekommen. Daß Unruhe war, ist begreiflich. Es war ein sehr starker Einschnitt in die bestehenden Verhältnisse, und es bedurfte einer gewissen Zeit, um diese Be— ruhigung zu erreichen. An einzelnen Stellen ist das freilich noch nicht gelungen, und eine solche Stelle ist die, über die sochen von der Tribüne des Hauses eingehend gesprochen worden ist: in der Stadt Breslau. Die dortige Angelegenheit ist ja in der Kommission auf das eingehendste behandelt worden; dort hat die Regierung Er— klärungen abgegeben, und schließlich hat sich die Kommission ent— schlossen, zur Tagesordnung überzugehen. Ob es notwendig war, nun diese Angelegenheit so eingehend nochmals hier zu besprechen, ist mir zweifelhaft. (Sehr richtig! Abg. Dr. Wagner (Breslau): Mir nicht!) Ob es richtig ist, sickh von hier aus auf den einseitigen Standpunkt der revidierten Lehrerin bei der Beurteilung einer Schulrevision zu
stellen, ist mir auch zweifelhaft. Ich kann sagen, daß die beiden
Revisoren, die die hier bemängelte Revision vorgenommen haben, wohlwollende und außerordentlich tüchtige Schulmänner sind. sedaß ich doch, wenn ich mir ein Ucteil zwischen den Angaben der revidierten Lehrerin und denen dieser beiden ohne jede Voreingenommenheit in die Revlston hineingegangenen Schulmänner bilden soll, geneigt bin,
dem Urteil der letzteren zu folgen. . Wenn dann mein Herr Vorredner mit lauter Entrüstung sich
gegen ein Schulbuch gewandt und den Schluß gezogen hat, daß bei unseren Schulen das Nationale immer zu spät käme, so ist das doch ein Schluß, meine Herren, der nicht berechtigt ist. (Sehr richtig!) Ein schwerer Vorwurf ist da erhoben worden aus einer geringfügigen Einzelheit. Ich glaube, darüber kann wohl kein Zweifel sein, daß in unseren Schulen das Nationale nicht zu kurz kommt. Mir schien der Herr Vorredner doch in der Tat mit einer Kanone nach einem Spatzen zu schießen. So schlimm ist die Sache nicht. Vielleicht hätte man — das will ich zugeben — besser getan, in diesem Buche ein anderes Lied zu wählen; aber daraus den Schluß zu ziehen, daß das Nationale bei unserer Schule immer zu kurz käme, kann ich für gerechtfertigt in keiner Weise anerkennen. (Bravo!)
Abg. Borchardt (Soz.): An dem von dem Abg. Wagner vorgetragenen Gedicht ist nichts auszusetzen, denn es enthält lediglich das übliche Lob auf die Vaterlandsliebe. Den Lehrerinnen, die sich mit einer Petition an das Abgeordnetenhaus gewandt haben, ift hartes Unrecht geschehen. Die Damen, die sämtlich in vorgerücktem Alter stehen, sind dadurch außerordentlich geschädigt worden, daß sie an eine niedere Anstalt versetzt und in ihrem Einkommen stark ge⸗ schmälert worden sind. Es wäre ein Gebot der Billigkeit, wenn man den Damen aus dem Unterstützungsfonds so viel gibt, daß sie ihre frühere Gehaltshöhe wieder erreichen. Dann würde der Fall in würdiger Weise erledigt sein.
Abg. Siebert (kons.): Die Grundsätze und Ziele der Mädchen⸗ schulreform haben die Zustimmung aller Partelen gefunden, aber der Minister hält sie noch nicht für abgeschlossen, sondern will nach einigen Jahren der Probezeit hie und da die bessernde Hand anlegen. Mit Bedauern habe ich die Ausführungen des Abg. Wagner über das allerdings nicht geschickte französische Gedicht in dem französischen Lehrbuch angehört. Aber aus einem solchen ungeschickten Einzelfall kann man unsere Schulen, speziell unsere höheren weiblichen Lehr— anstalten, nicht mit dem Vorwurf belasten, es werde nicht Patriotis⸗ mus getrieben und es fehle die Liebe zum Vaterlande. Das muß ich auf das allerentschiedenste zurückweisen. In der Unterrichts⸗ kommission ist ein Punkt nicht zur vollständigen Klärung ge⸗ kommen, nämlich die Ausbildung der Kandidatinnen für das höhere Lehramt. Es ist ja in den Augustbestimmungen bereits vor⸗ gesehen, daß für die Ausbildung der Kandidatinnen Seminare ein⸗ gerichtet werden sollen, wie an den höheren Knabenschulen für die Kandidaten des höheren Lehramts. Bisher sind noch nicht genügend Kandidatinnen für solche Seminare vorhanden. Deswegen ist einst— weilen der Notweg eingeschlagen worden, daß eine Kandidatin, die die Prüfung pro facultaté docendi abgelegt hat, zu ibrer theorerischen Ausbildung an ein an einer höheren Kaabenschule befindliches Seminar, zu ihrer praktischen Ausbildung an ein Lyleum oder Ober⸗ lyzeum an demselben Orte gewiesen wird. Daraus ergeben sich aber Schwierigkeiten. Der Direktor dez Knabenseminars oder ein Ober⸗ lehrer muß bei den Kandidatinnen, die ihre praktische Ausbildung an einer höheren weiblichen Lehranstalt gewinnen, hospitteren. Der Minister meinte in der Kommission, die Leiter der beiden Schulen müßten in kollegiale Fühlung treten, und das ist ja selbst⸗ verständlich, die Schwierigkeit liegt aber darin, wieweit der Direkthr des Knabenseminars berechtigt ist, dem Direktor der weiblichen An⸗ stalt Zugang zu gewähren; kann er z. B. erlauben, daß der Direl kor der weiblichen Anstalt in die Protokolle des Knabenseminars Einsiöcht nimmt? Diese Forderung müßte mindestens gestellt werden. S 6M diese Art der Ausbildung überhaupt zum Nutzen sein, so muß . Direktor der weiblichen Lehranstalt auch berechtigt sein, Semignar⸗ sitzungen an den höheren Knabenanstalten beizuwohnen, wenigstents
den Sitzungen, in denen die ihm zugewiesenen Kandidatinnen eine Auf-
. zu lösen haben. Ich bitte die Unterrichtsperwaltung, dahin bhilse zu schaffen. Dem Abg. Ernst stimme ich in dem Wunsch bezüglich der Besoldungsordnung für die Lehrer und Lehrerinnen der höheren Mädchenschulen zu, indem ich auf die Petitton dieser Lehrerinnen hinn eise. Die Petition ist allerdings in der Unterrichts— kommission durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt worden, aber ich hoffe doch, daß die Regierung diese Frage wohlwollend prüfen wird. Die Lehrpläne haben in den letzten Jahren schon vielfach Ver⸗ besserungen erfahren, aber der Wunsch nach einer vierten Rechenstunde wird immer wieder laut und scheint mir deshalb nicht unberechtigt zu sein. Hinter anderen Bundesstaaten steht Preußen in der Zahl der Rechenstunden weit zurück. Ich bitte die Unterrichtsverwaltung, bei einer Revision der Lehrpläne die vierte Rechenstunde in Erwägung zu ziehen, und ich freue mich, daß sämtliche Redner den sogenannten vierten Weg zum Universitätsstudium gebilligt haben. Die Leiterin eines Oberlizeums, Frau Professor Jaehner, jetzt in Görlitz, hat sich in einer Broschüre für die volle Gleichberechtigung der Ober⸗ lyzeen für die Zulassung zum Universitätsstudium ausgesprochen. Einen etwas anderen Standpunkt hat der Oberbürgermeister Cuno in Hagen in einem Vortrag auf dem westfälischen Städtetag einge⸗— nommen, in dem er empfiehlt, dem Lyzeum einen Aufbau außzusetzen, durch den das Abiturientenexamen als Vorbereitung für das Uni⸗ versitätsstudium ermöglicht werden kann. Ich bin allerdings nicht dafür, daß unsere Mädchen in allzu großer Zahl studieren; alles in allem wollen wir das Lyzeum als eine Anstalt für eine abgeschlossene allgemeine Bildung erhalten wissen. Unser Ziel muß sein, unsere , Jugend körperlich und geistig zu fördern und gesund zu er⸗— alten.
Abg. It schert (Zentr.) wünscht die Verlegung des von Dominikanern geleiteten Lyzeums in Aremberg nach Mayen. Er weist eingehend auf das hohe Interesse hin, das diese Stadt dem Schulwesen widme, und bedauert lebhaft die Ab⸗ lehnung des Antrags auf Verlegung durch die Regierung in Koblenz. Der Wunsch nach der Verlegung rechtfertige sich mit den Interessen der katholischen Bevölkerung. Die Behandlung der Stadt Mayen durch die Regierung in Koblenz in dieser Sache sei unerbört, und man sei allgemein der Ansicht, daß dies lediglich auf den Dirigenten der Kirchen- und Schulabteilung der Regierung in Koblenz zurück— zuführen sei, und daß sie vom Kultusminister nicht gebilligt werde. Die Ablehnung der Verlegung könne keineswegs mit schultechnischen Rücksichten begründet werden. Er bitte den Minister, die Wünsche der Stadt Mayen bald zu erfüllen.
Unterstaatssekretär von Chappuis: Die Angelegenheit Mayen hat wiederholt die Zentralinstanz beschäftigt. Es schweben auch gegen⸗ wärtig wieder Unterhandlungen darüber. Aber ich kann nicht in Aus⸗ sicht stellen, daß die Wünsche des Vorredners Berücksichtigung finden. Es muß grundsätzlich daran festgehalten werden, daß die Ordens⸗ schulen nur ausschließlich für die katholische Bevölkerung bestlmmt sind. Im vorliegenden Falle handelt es sich aber um eine Schule, die nicht nur von katholischen, sondern auch von evangelischen und juüdischen Schülerinnen besucht wird. Es ist gesagt worden, die Stadt Mayen sei bereit, die bestehende Schule für die nicht katho⸗ lischen Schülerinnen beizubehalten. Eine derartige Schule würde aber bei der geringen Schülerzahl nicht lebensfähig sein und nicht im Interesse der Kinder liegen. Der Minister hat in Aussicht gestellt, die staatliche Beihilfe zu erhöhen, damit die bestehende Anstalt, falls ein Bedürfnis vorliegt, weiter ausgebaut werden kann. Der Vorredner hat darauf hingewiesen, daß von der Schulbehörde eine scharfe Ver⸗ fügung gegen die Stadt erlassen worden sei. Das ist aber auf die hartnäckige Weigerung der Stadt zurückzuführen.
Abg. Lippmann sfortschr. Volksp.) : In der Frage, was national ist oder nicht, ist der Abg. Borchardt nicht kompetent. Das vom Abg. Wagner erwähnte französische Gedicht, das mit den Worten
der. Arbeiten, die Ihnen noch vorliegen, erledigt werden,
schließt: „Wir wollen leben und sterben für diese Gegend“, ist doch;
wohl etwas mehr als eine Schilderung einer schönen Gegend. Auch die Ausführungen des Abg. Siebert zu dieser Angelegenheit sind un— berechtigt. Im Anschluß an die Aeußerungen des Abg. von Goßler muß ich es als unerläßlich bezeichnen, daß endlich ein Rechtsboden für die Privatschulen geschaffen wird. Gegen die gesetz liche Regelung dieser Frage wird geltend gemacht, daß damst eine Verfasfungs. änderung, herbeigeführt werde. Aber es wäre doch wohl besser, die Verfassung zu ändern, anstatt im Verwaltungswege Anordnungen zu treffen, die mit der Verfassung im Widerspruch flehen. Die Bedürfnisfrage muß gewiß vor der Genehmigung neuer Privat- schulen geprüft werden, aber man sollte nicht die politische und religiöse Zuverlässigkeit derjenigen, die sich um die Erlaubnis zur Errichtung von Privatschulen bewerben, als Vorbedingung für die Genehmigung betrachten, weil das der Verfassung widerfpricht. Auch die Privatlehrer unterstehen leider einer derartigen Kontrolle. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, daß der Minister den Privatschulen sein Wohlwollen zugesagt hat, wir müssen den Privatschulen vielmehr gesetz lichen Schutz angedeihen lassen. Ich bitte den Minister, endlich einen gesetzmäßigen Zustand herbeizuführen, der den Privatschulen auch ermöglicht, gegen die Entscheidung der Schulbehörde eine gericht⸗ liche Entscheidung anzurufen.
Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:
Meine Herren! Die Frage der gesetzlichen Regelung des Privatschulwesens geht weit über das Gebiet hinaus, das hier den Anlaß gegeben hat, sie zur Erörterung zu bringen. Hier handelt es sich bekanntlich nur um eine ganz bestimmte Kategorie von Schulen, die privaten höheren Mädchenschulen, und ihre Behandlung nach Einführung der Schulreform, über die wir uns hier unterhalten haben. Die Ordnung des Prlvatschulwesens greift sehr viel weiter, hat eine sehr viel weiter tragende Bedeutung. Sie haben sich, meine Herren, über diese wichtige Frage in der Kommission eingehend unter⸗ halten, und ich glaube, allen Herren, die an diesen Kommissions⸗ beratungen teilgenommen haben, ist es auf das deutlichste klar ge⸗ worden, welch tiefgehende, eingreifende Bedeutung diese Frage hat, und wie zweifelhaft es ist, ob es möglich seln wird, ohne tiefgehende Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause hervorzurufen, jetzt eine gesetzliche Regelung dieser Frage in Angriff zu nehmen. Deshalb ist auch in der Kommission davon Abstand genommen worden, eine gesetz⸗ liche Regelung dieser Frage in ihrem ganzen Umfange bei der König⸗ lichen Staatsregierung in Anregung zu bringen, und man bat sich darauf beschränkt, die Staatsregierung auf einen bestimmten Punkt zur gesetzlichen Regelung hinzuwelsen, nämlich die Einführung eines Streitverfahrens gegen Verfügungen der Schulbehörde mit Beziehung auf die Erteilung von Privatunterricht und die Genehmigung der Einrichtung von prwwaten Unterrichtsanstalten. Mein Herr Vorredner hat schon erwähnt, daß dieser Kommlssionsbericht in diesem hohen Hause noch nicht zur Be— ratung gekommen ist. Die Staatsregierung hielt es für angezeigt, diese Beratung zunächst abzuwarten, ehe sie ihrerseits zu der angeregten Frage endgültig Stellung nimmt. Daß ich persönlich nicht abgeneigt bin, in die Prüfung dieser Frage einzutreten, habe ich bereits im vorigen Jahre hier zum Ausdruck gebracht. Daß aber gerade die gegenwärtige Session nicht geeignet war, in diese Frage noch einzu— treten, das, meine Herren, werden Sie mir vielleicht zugeben, wenn Sie sich vergegenwärtigen, wie stark bereits diese Session belastet ist (sehr richtig) und wie dringend notwendig es ist, daß wenigstens die zumal der Schluß der Session ja unerläßlich bald erfolgen muß.
Das sind die Gründe gewesen, weshalb dieser Frage in diesem
Jahre noch nicht näher getreten worden ist. Abg. Bartscher (Sentr.): In katholischen Keeisen wird lebhaft Klage darüber geführt, daß der Errichtung und dem Ausbau höherer katholischer Lehranstalten und Ordensschulen regierungsseitig vielfach Schwierigkeiten bereitet werden. So ist kürzlich die Genehmigung zur Errichtung einer Ordensschule in der Stadt Appeldorn in West— falen verweigert worden mit der Begründung, daß eine derartige Schule die Interessen der evangelischen und jüdischen Einwohner Appeldorns auf das schwerste verletzen würde. Eine solchꝛ Begründung geht weit über die lokale Bedeutung hinaus und verdient deshalb Frößte Beachtung. Ich bitte den Minister, daß er hier Wandel schafft, damit die freie Entfaltung kirchlicher Einrichtungen nicht ein— geschnürt wird.
Abg. It schert (Zentr.) erklärt, daß er seine vorhin aufgestellten Behauptungen in vollem Umfange aufrecht erhalte.
Abg. Borchardt (Soz) bemerkt, daß der Abg. Lippmann keinen Grund habe, das betreffende französische Gedicht für deutsch— feindlich zu halten.
Abg. Lippmann (fortschr. Volksp.) widerspricht dem. Es handle sich hier um ein Gedicht, das mehr als eine bloße Schilderung einer schönen Gegend sei. Für die Zusicherung, eine gesetzliche Regelung der Konzessionserteilung und -entziehung bezüglich der Privat⸗ schulen in die Wege zu leiten, und zwar auf dem Wege des Ver⸗ waltungsstreitverfahrens, danke er dem Minister. Jedenfalls habe er den Minister so verstanden, und an einem Ministerwort solle man nicht rütteln.
Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:
Meine Herren! Ich muß auf die letzten Worte doch einiges sagen. Es ist bekannt, daß ein Ressortminister eine Zusicherung über gesetzgeberische Maßnahmen nur dann geben kann, wenn das König⸗ liche Staatsministerium sich mit der betreffenden Angelegenheit be⸗ schäftigt hat. Es ging ohne Zweifel aus meinen Ausführungen her— vor, daß das zurzeit noch nicht der Fall ist. Ich habe aber ausge⸗— führt, daß ich persönlich nicht abgeneigt sei, mich mit dieser Frage zu beschäftigen in dem Sinne, wie es von diesem hohen Hause gewünscht worden ist, und daß ich diese Erklärung auch schon im vorigen Jahre abgegeben habe. Diese Einschränkung muß ich zu dem, was der Herr Vorredner gesagt hat, machen.
Damit schließt die Debatte.
Persönlich bemerkt
Abg. Dr. Wag ner-⸗Breslau (freikons. ): Ich habe aus dem Einzelfall der deutschen Lehrerschaft nicht den Vorwurf machen wollen, daß sie die nationale Erziehung unserer Jugend vernachlässigt. Ich bitte mein Stenogramm dahin verschärfen zu dürfen.
Abg. Siebert (kons.) : Nach dieser Bemerkung erübrigt es sich, auf die Ausführungen des Abg. Wagner einzugehen.
Die Etatspositionen für die höheren Lehranstalten für weib⸗ liche Schüler werden bewilligt.
Es folgt die allgemeine Besprechung über das gesamte ESlementarunterrichtswesen unter Ausschluß be⸗ sonderer Besprechungen über das Turnlehrerbildungswesen, das Taubstummen⸗ und Blindenwesen und die Jugendpflege.
Die Kommission beantragt eine Resolution, worin die
Regierung ersucht wird, den Fonds für die Ergänzungszuschüsse an Schulverbände wegen Unvermögens für die laufenden Aus-
Schulunterhallung, der mit 15,4 Millionen ein—
gaben der l ̃ im nächsten Etat dem Bedürfnis entsprechend zu
gestellt ist, erhöhen.
Abg. Hecken roth (konf.) einzig in seiner Art. Mit der allgemeinen Schulpflicht ist Preußen allen europäischen Staaten vorangegangen. Der Grundsatz wurde schon unter Friedrich Wilhelm J. ausgesprochen, wenn auch erst nach den Freiheitskriegen durchgeführt. Frankreich führte den Schulzwang erst 1821 ein, nicht früher England, er besteht noch nicht in Rußland, und in Oesterreich ist er noch nicht konsequent durchgeführt. Die Zahl der Analphabeten beträgt bet uns nur 0 05 ou, dagegen in der Schweiz 9,1 0/0, Dänemark 0.2 . England 1 (0, Frankreich 0,5 G, Desterreich-Ungarn 25 d und Rußland sogar 91 C. Preußen bringt für das Volksschulwesen 176 Millionen Mark auf. Durch die, Lehrerbesoldungs ordnung von 1909 kommt bis zum kleinsten Dorf jeder Lehrer zu dem Genuß eines End⸗ gehalts von 3300 ½ neben freier Wohnung, während in den großen Städten das Gehalt bis 4500 S6 und darüber hinaus steigt. Bel der Lehrerbesoldung ist leider die Gleichstellung zwischen Stadt und Land noch nicht durchzuführen gewesen, muß aber noch in der Zukunft durchgeführt werden. Das Problem wird im Wege der Lehrerbesoldungskassen zu lösen sein. Sonst hat die Besoldungs⸗ ordnung gut gewirkt und Ruhe und Zufriedenheit in die Lehrerwelt gebracht; sie wird nur noch wachgehalten durch die nicht festen Bezüge der Ortszulagen und Amtszulagen, sie ist auch nicht aus der Welt zu schaffen, weil diese Zulagen je nach den Verhältnissen ver— schieden bemessen werden müssen. Die Höhe der Ortszulagen überläßt das Gesetz den Lokal- und Provinzialinstanzen, nur soll die Provinzialinstanz auf eine gleichartige Behandlung bei gleichartigen Orten Bedacht nehmen. Bezüglich der Amtszulagen wird die inzwischen erfolgte Deklaration der gesetzlichen Bestimmung die gewünschte Ruhe bringen. Wenn man von den Leistungen des Staats für das Volksschulwesen spricht, darf man die außerordentllchen Opfer der Gemeinden für diesen Zweck nicht übersehen. Die Gemeinden sind vielfach mit Schullasten überbürdet bis zu 300, 400 ja sogar 00 9½ Staatssteuerzuschlag. Deshalb erbittet die Kemmission die Erhöhung der Ergänzungszuschüsse für leistungsschwache Gemeinden, gleichviel, ob kleine oder große. Eine segensreiche Wirkung der Besoldungsordnung ist, daß die Landflucht der Lehrer bedeutend nachgelassen hat? Fruchtbringend kann die Arbeit des Lehrers nur sein, wenn er Land und Leute kennt und Verständnis für die Sitten der Landbewohner hat. Darum muß der Lehrer möglichst lange auf dem Lande seßhaft bleiben und seine Stelle nicht als Durchgangsposten ansehen, um möglichst bald in die Stadt zu kommen. Bei der Befetzung von Land⸗ lehrerstellen müssen in erster Linie diejenigen bedacht werden, die vom Lande stammen, weil ein Sohn des Landes die meiste Liebe zum Lande mitbringt. Versuchsweise sind von berufener Seite Vorträge über Heimatpflege und über die Eigenart des Landes an den Seminaren gehalten worden, diese Vorträge wecken die Liebe der jungen Lehrer zum Lande. Eine erfreuliche Folge des ,, ist es, daß die unzureichenden Schul häuser und Lehrerwohnungen auf dem Lande immer mehr ver⸗ schwinden. Der Fonds für Schulhausbauten hat von 3 Millionen auf 6 Millionen erhöht werden müssen, ein Beweis dafür, wie rege sich die Bautätigkeit auf dem Lande entfaltet. So werden die Versäum⸗ nisse mancher Jahrzehnte nachgeholt werden können. Da der Staat zum Neubau jedesmal ein Drittel zuzahlen muß, so wirkt er bei allen Neubauten mit. Ich bitte nur, daß man bei der Raumbemessung für die Lehrerwohnung nicht immer nach dem knappsten Maße verfahre. Der Minister sagte im vorigen Jahre, eine aute Seminar⸗ bildung sei die Vorbedingung für das Blühen der Volksschule, wir stimmen ihm sämtlich zu. Die Lehrpläne der Seminare von 1901 sind als zweckmäßig und gut allgemein anerkannt worden. Wenn sie noch nicht gut durchgeführt sind, so liegt das nicht an dem Lehrermaterial, sondern an dem Schülermaterial. Die Semingrlehrer leisten ibre Arheit mit Treue und Hingebung. Die neuen Lehrpläne wollen die Zöglinge der Seminare nicht nur mit Wissen ausstatten, sondern auch ihre Beobachtungsgabe und Urteils kraft, ihre Gemütsbtldung und ihren Charakter stärken und fördern. Um dieses erstrebenswerte Ziel zu erreichen, ist für die Seminare das beste Lehrermaterial gerade gut genug. Daß an den Seminaren neben den seminaristisch gebildeten Lehrern auch akademische Kräfte wirken, ist eine gesunde Mischung. Ich verstehe es auch, daß eine Seminar lehrerstelle in eine gehobene umgewandelt werden soll, daß aber diese Prorektorstelle mit der ausschließlichen Befugnis zur Verkretung des Direktors allein den Akademikern vorbehalten wird, erregt Be— denken. Es mag eine zweite Oberlehrerstelle mit dem Gehalt der Oberlehrer der höheren Anstalten geschaffen und den akademischen Lehrern vorbehalten werden. Aber die Vertretung des Direktors sollte auch älteren seminaristischen Lehrern offen gehalten werden. Mit der Neuordnung des Seminarpräparandenwesens, mit seiner engen Verbindung mit den Seminaren und seiner Iinterordnung unter den Seminardirektor, mit der festen An⸗ stellung der Präparandenlehrer sind wir einverstanden. Wir be⸗ grüßen auch das neu eröffnete Avancement der Präparandenlehrer, ebenso die weitere Fortbildung der Seminatrlehrer in besonderen Kursen mit Freuden. Es wird da nicht bloß formales Wissen den Lehrern mitgegeben, sondern alles, was sie für ihren Beruf ge⸗ brauchen und was der Volksschule zum Segen gereicht. Aus diesen Kursisten wird ein tüchtiger Lehrerstand erwachsen. In den Kreisen meiner Freunde besteht die Befürchtung, daß die Kirchengemeinden auf dem Lande in Verlegenheit mit der Auswahl der Srganisten kommen können, weil auf das Orgelsptel nicht mehr so viel Gewicht gelegt wird. Dem Wunsche nach Einführung einer zweiten Lehrer⸗ prüfung ist der Minister entgegengekommen; die zweite Prüfung soll nicht eine Wiederholung der ersten sein, sondern sie soll die praktische Befähigung des Lehrers erweisen und deshalb in der Schule selbst, an der Stätte des Wirkens des Lehrers, vorgenommen werden. Durch die Neuordnung des Prüfungswesens wird die Stellung des Kreisschulinspektors noch bedeutsamer. Für diese Stellen brauchen wir Männer, die praktischen Blick für die Schule haben und sittlich gefestigte, christliche Charaktere sind. Eg ist er⸗ freulich, daß die Unterstützungssumme für die Altpensionäre unter den Lehrern in diesem Etat erhöht ist. Wir wünschen, daß bei der Prüfung der persönlichen Verhältnisse der Altpensionäre so schonend wie möglich verfahren wird. In den Lokalinstanzen geschieht das leider nicht. Die Auswüchse der Jugendliteratur will der Minister nach seinen Erklärungen in der Kommission beachten, aber er bat noch keinen Anlaß zum Einschreiten gefunden, da sich in dieser Literatur keine sozialdemokratischen Tendenzen gezeigt haben. Ich habe aber Erscheinungen gefunden, die einen in dieser Beziehung besorgt machen können. (Vizepräsident Dr. Porsch macht den Redner darauf aufmerksam, daß über die Jugendliteratur in einer besonderen Debatte verhandelt werden soll.) Die Schule soll autonom sein, aber sie darf sich von der christlichen Grundlage nicht entfernen. Zwischen den Anschauungen des Herrn Tews, die er im „Berliner Tageblatt“ vertreten hat, und unseren Anschauungen gibt es einen ab⸗ rundtiefen Graben. Wir wollen die Kinder zu sittlich-religiösen Fharakteren erziehen und im lebendigen Glauben an die Person des Heilands. Wir wollen ein inniges Band der Liebe zwischen der Kindesseele und dem Heiland knuͤpfen, das auch von den Stürmen des Lebens nicht r . werden kann. Ein glaubensstarker Geist wird jederzeit bereit sein, solche Opfer zu bringen, die wir vor 100 Jahren erlebt haben. Dieser Geist muß in den Herzen der Jugend gepflegt werden. Das muß die vornehmste Aufgabe der Volksschule sein.
Abg. Dr. Heß Zentr.): Wir stellen uns dem Verlangen der Lehrer nach Zulassung zum Universitätsstudium durchaus wohlwollend gegenüber, allerdings mit einem gewissen Vorbehalt; wenn wir die Ueberzeugung erlangen, daß diese Art der Weiterbildung nicht genügen sollte, werden wir die Regterung zu neuen und besseren Einrichtungen drängen. Unsere Stellungnahme zu derartigen Fragen basiert auf der Idee eines gesunden Fortschrittes. Seit mehreren Jahren hat in
Das preußische Schulwesen ist
unserem Unterrichtsbetrleb eine gewisse Beunruhigung Platz gegriffen Die Nuhe ist durch eine Reihe von Erlassen gestört worden, die sich auf das Turnen, Zeichnen und die Jugendpflege beziehen. Eine unerwünschte Folge dieser Erlasse war das starke Ueberhand⸗ nehmen des Kursuswesentz. Es muß deshalb jetzt einmal mit größeren Reformen aufgehört werden. An die Stelle, des Mädchenturnens sollte man auf dem Lande besser den Handarbeitsunterricht einführen. Man könnte auch daran denken, die Mädchen in der Haushaltungs⸗ kunde zu unterrichten. Das Wesentliche des Volksschulunterrichts wird immer bleiben ein gediegener Unterricht in den Hauptfächern. Die Volksschule muß auf der Grundlage eines glaubentstarken und glaubenstreuen Christentums aufgebaut werden. Ich möchte auch noch Stellung nehmen zu der großen Lehrerversamm⸗ lung des Deutschen Lebrervereins im Zirkus Schumann vom vorigen Jahre. Der Vorsitzende des Deutschen Lehrervereins hat bei dieser Gelegenheit eine programmatische Erklärung abgegeben, die als wichtiges Dokument für das Wesen und Wollen dieses Vereins gufgefaßt werden kann. Der Deutsche Lehrerverein erklärt darin, daß er kein politischer Verein sei. Demgegenüber stelle ich fest, daß der Verein seit vielen Jahren in dem freisinnigen Fahrwasser geführt wird. Ich will damit aber nicht etwa sagen, daß der Deutsche Lehrerverein ein freisinniger Wahlverein sei. Dann heißt es in der Erklärung weiter: Die Losung des Deutschen Lehrer⸗ vereins sei nicht: Los von der Kirche! Aber der Verein ver⸗ langt einen Platz neben der Kirche und tritt für eine autonome Schule ein. Wir bedauern diese Erklärung um der Sache willen, wir begrüßen sie andererseits deshalb, weil sie eine wertvolle Feststellung über das Wesen und den Zweck des Vereins darstellt. Wir lehnen eine autonome Schule unbedingt ab; denn das wäre der kürzeste Weg zur religionslosen Schule. Kirche und Staat, Gemeinde und Familie geben die Ziele an, nach denen die Schule ihre Arbeit einzurichten hat; darüber darf nicht der einzelne Lehrer oder etwa der Deutsche Lehrerverein bestimmen. Der Vorsitzende sagt dann weiter, daß außer der pädagogischen Wissen⸗ schaft nur noch die natürlichen Zwecke der Erziehung bestimmend sein sollen für die Aufgabe der Schule. Davon wollen wir erst recht nichts wissen. Wir stellen den natürlichen Zwecken der Schule die übernatürlichen gegenüber. Uns steht immer noch über der Erziehung für die irdischen Zwecke die Erziehung für das Jenseits. Wir ver⸗ langen, daß die Kirche einen Platz in der Schule hat. Wir werden es uns in Zukunft nicht nehmen lassen, die Ruhe dieses Vereins nach Kräften zu stören, weil wir den freisinnigen Zug, der diese Organi⸗ sation beherrscht, für ein Unglück für unser ganzes Volkswesen halten. In der Schulaufsichtsfrage gehen wir Zuständen entgegen, die für den Staat, für die Kirche und für die Schule selbst außerordentlich gefährlich sind. Wenn heute das Verhältnis zwischen Kirche und Schule täglich immer mehr gelockert wird, so bat dies seinen Grund in dem Schulaufsichtsgesetz von 1872. Die organische Ver⸗ bindung zwischen Kirche und Schule ist dadurch beseitigt worden Wir verlangen die Wiederherstellung dieser organischen Verbindung. Wir erkennen aber gern die Oberaufsicht des Staates an. Von der absoluten Herrschaft der Kirche über die Schule ist in unseren For⸗ derungen gar keine Rede, wir verlangen nur, daß die Kirche gebührenden Anteil an der Erziehung der Jugend, besonders an dem religiösen Unterricht hat. Die Standesforderungen der Lehrer in dieser Frage sind sehr wohl vereinhar mit unferem Standpunkt. Was für Rechte hat denn heute die Kirche noch in der Schule? Der Einfluß der Kirche auf die Schule ist fast ganz verschwunden, was wir sehr bedauern. Wir erkennen gern an, daß unser König darauf hin⸗ weist, daß dem Volke der Glaube erhalten werden muß, aber man muß doch fragen, wo bleiben denn diesem Königswort gegen⸗ über die praktischen Konsequenzen? Warum gibt man z. B. den gewerblichen Fortbildungsschulen den Religionsunterricht nicht, wenn sie ihn ausdrücklich verlangen? Es ist sehr bedauerlich, daß sich unser König in der Schulaufsichtsfrage lebhaft beeinflussen läßt. Die Regierung möge doch endlich Schluß machen mit der Vertreibung der Kirche aus dem Organismus der Volkeschule. Wo die Vexhindung zwischen Schule und Kirche zerrissen ist, muß die Wiederherstellung der Verbindung in der Weise erfolgen, daß der Kirche ihr Einfluß auf die gesamte Erziehung wieder garantiert wird, der unbedingt notwendig ist, auch aus Gründen der staatlichen Klug⸗ heit angesichts der Ausdehnung der revolutionären Bewegung in unserem Vaterlande. Zweitens fragen wir: was ift aus unserem Antrag von 1911 geworden, der die Regierung ersucht, darüber in Erwägung zu treten, wie der Einfluß der Kirche auf die Volksschule gesichert werden kann? Drittens fordern wir: die praktische Ausübung der Schulaussicht muß einem Vertreter der Kirche übertragen werden. Elne organische Verbindung zwischen Schule und Kirche ist auch neben dem Vor⸗ handensein der Fachaufsicht möglich. Viertens verlangen wir, daß die katholische Kirche nicht gehindert wird, in enge Verbindung mit der konfessionellen Volksschule zu treten. Es ist ein großes Unrecht, wenn man der katholischen Kirche lediglich deshalb etwas nimmt, weil die evangelische Kirche darauf aus dirsen oder jenen Gründen keinen Wert legt. Leider ist auf unsere Forderungen bisher sehr wenig Rücksicht genommen worden, obwohl man den liberalen Forderungen in diesem Hause stets entgegengekommen ist. Die organische Ver⸗ bindung zwischen Kirche und Schule ist die einzige Möglichkeit, dem Umsturz wirksam zu begegnen. In dieser Hinsicht stehen wir völlig auf dem Boden, den der Abg. Heckenroth mit den Worten betreten hat: Kirche und Schule dürfen nicht auseinander gerissen werden, sondern sie müssen in gemeinsamer Arbeit zusammenstehen und zu⸗ sammenwirken. ;
Abg. Dr. von Campe (nl.): Diesen Ausführungen muß ich ent⸗ schieden widersprechen. Wenn der Abg. Heß meint, die Schulgesetz gebung nehme auf den Liberalismus eine ganz ungebührliche Rück— sicht, so hat er Vergrößerungsgläser vor den Augen. Ich wüßte nicht, wo diese weitgehende Rücksicht vorhanden sein sollte (Ruf im Zentrum: Schulaufsicht )., Das wäre ja auch schon eine parlamen—⸗ tarische Unmöglichkeit bei der starken konservativ⸗klerikalen Mehrheit in diesem Hause. In der Schulgesetzgebung gehen diese beiden Parteien doch Hand in Hand. Ich sage das, ohne irgend welche Spitze hinelnzulegen Wir haben ja auch seit Jahrzehnten durchaus konservative Ministerien gehabt. Wenn der Abg. Heß sagt, bei dem Schulgesetz von 1392 habe der König sich liberal beeinflusfen lassen, so habe ich eine solche Aeußerung über die Krone in diesem Hause noch nicht gehört. Ich halte es nicht für richtig, hier zu erklären, daß sich irgendwelche unmöglichen Einflüsse auf die Krone geltend gemacht hätten. Der Abg. Heß hat heute das Testament Windthorsts wahrgemacht, daß, nachdem der eigentliche Kulturkampf ausgefochten sei, der Kulturkampf um die Schule kommen werde. Die Rede des Abg. Heß war ein Sturmläuten und Sturmlaufen gegen die Staate schule. Wenn er sagt, die Gesetzgebung laufe auf eine systematische Verdrängung der Kirche aus der Schule hinaus, so weiß ich nicht, wo er die Belege dafür hernimmt (Ruf im Zentrum: Schulaufsicht). Das Schulaufsichtsgesetz zu bekämpfen, ist Ihr gutes Recht. Aber es ist doch eines der grundlegenden Gesetze unserer Schulgesetzgebung. (Ruf im Zentrum:; Leider! Sie sagen „leider“, aber das steht im Widerspruch mit der Aeußerung des Abg. Heß, daß Sie an Gesetz und Verfassung nicht rütteln wollen. Wenn Sie sagen, Sie erkennen die Oberaufsicht des Staates über die Schule an, so sind Sie uns den Beweis schuldig geblieben, was Sie darunter verstehen. Die Aufsicht verwerfen Sie, und die Oberaufsicht erkennen Sie an. Diesen Widerspruch verstebe, wer kann. In der Aeußerung des , des Lehrervereins Herrn Röhl, daß der Verein die autonome Schule verlange, hat der Abg. Heß den Ausdruck autonom in seiner gewandten Dialektik so gedeutet, wie er gar nicht im Sinne des Herrn Röhl liegt. Der Verein verlangt die Einrichtung der Schule nach pädagogischen Rücksichten, d h., nach den Rücksichten, die nun einmal dem Er wesen inhärent sind. Heir Röhl sagt, die natürlichen Ziele der Schule sollten maßgebend sein. Der Abg. Heß konstruiert aber den Satz so, daß er darauf erwidern kann, er wolle übernatürliche Ziele. Röhl hat aber gar nicht an irdische Ziele gedacht. Wenn der Abg. Heß sagt, ihm siänden die ewigen Ziele höher, so frage er nur Röhr, ab dieser nicht genau, dasselbe denkt (Zwischenruf im Zentrum).
Fragen Sie nur Röhl, was er unter den natürlichen Zielen
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