1913 / 91 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Die andere Vorschrift ist die des 5 152 Abs. 2, die dem Koalitionszwang entgegentritt. Durch den angefochtenen Innungk⸗ beschluß würde ein Koalitionszwang ausgeübt werden. Diesen beiden gesetzlichen Bestimmungen gegenüber können nach meiner Ansicht die Sondervorschriften des 5 SI über die Aufgaben der Innungen zu keiner anderen Auffassung führen; denn die Innungen werden sich, wenn sie ihren Aufgaben entsprechen wollen, innerhalb der sonstigen im Gesetz gezogenen Grenzen halten müssen.

Es ist in der Presse mitgeteilt worden, daß man sich an einer Stelle seitens der Zwangsinnungen auf den Standpunkt berufen habe, den ich neulich in der Magdeburger Angelegenheit hier vertreten habe. Das ist ein Mißverständnis. Damals handelte es sich darum, daß die Innung ihren Mit“ gliedern den Abschluß einer ganz bestimmten Art von Tarif⸗ verträgen verboten hat, in denen nach Wortlaut und Sinn zweierlei enthalten war, was nicht mit dem Gesetz vereinbar war, nämlich erstens die Ausschaltung der Arbeitsnachweise der Innungen, die gerade durch die Innungen gefördert werden sollen, zweitens aber das Verlangen, daß die Abschließenden eine ehren⸗ wörtliche Verpflichtung zur Einhaltung des Vertrages übernehmen sollten, was durch das Reichsgericht als gegen die guten Sitten ver⸗ stoßend bezeichnet wird. Aus diesen beiden Gründen damit habe ich es auch hier motiviert habe ich das Vorgehen der Innung in der Magdeburger Angelegenheit materiell für berechtigt gehalten und ein Eingreifen von Aufsichts wegen abgelehnt. Hier liegt die Sache anders. Nach der, wir mir scheint, wohl nicht zu bestreitenden Aus⸗ legung der Bestimmungen der Gewerbeordnung, die ich hier gegeben habe, würden solche Beschlüsse der Zwangsinnungen nicht aufrecht zu erhalten sein, und ich habe auch in der Zeitung schon gelesen, daß einzelne Aufsichtsbehörden ihre Durchführung abgelehnt haben. Jeden⸗ falls wird dafür gesorgt werden, daß ihnen keine westere Folge ge⸗ geben werden kann. (Bravo! im Zentrum.)

* dt (Soz.): Nicht nur der Minister, sondern a . . e mit den von dem Abg. Giesberts vorgebrachten Dingen beschäftigen. Aber die Gerichte messen in solchen Dingen ja mit zweierlei Maß. Es ist ganz unglaublich, daß die Gerichte den Schutz der Arbeiter gegenüber diesem Verstoß gegen die Gewerbeordnung ablehnen. Das ist wieder einmal ein Beweis dafür, wie oft die Gesetze angewendet werden im Interesse der besitzenden Klassen und zum Nachteil der Arbeiter. Der Abg. Giesberts hat ganz recht, wenn er sagt: wenn es wahr ist, daß durch die Heereevermehrung der Friede gesichert wird, dann müssen die besitzenden Klassen die eine Milliarde als Kinter⸗ Iitzchen betrachten. Aber der Abg. Giesberts vergißt ganz dis laufenden Ausgaben. Nach unserer Ueberzeugung wird ja der Friede durch solche Heeresvermehrungen nur gefährdet werden. Wohin soll das führen? Gerade vom Standpunkt der Landesverteidigung wird man sich fragen müssen, ob man nicht viel billiger und besser zum Ziele kommen kann. Wenn man sich diese Frage überlegt, dann muß man schließlich auf die Miliz zurückkommen. Aus den amtlichen Be⸗ richten über das Ergebnis der Untersuchungen der Zustände in den Bäckereien geht hervor, daß die Zustände in den Kellerbäckereien, die einfach haarsträubend sind, sehyr innig mit, den baulichen Zu⸗ ständen zusammenhängen. Diese Berichte bestätigen das, was wir

bereits gegen die Zustände im Bäckereigewerbe vorgebracht haben. Ich warn. mich freuen, wenn der Abgeordnete Mugdan nach Kenntnis meiner Ausführungen seine Ansichten über die Bäckereiverordnung

revidieren würde. Bei der zweiten Beratung des Etats, als wir dafür eintraten, daß den Hausierern keine Beschränkung in ihrer Tätigkeit auferlegt wird, ist von der rechten Seite dieses Hauses der Zwischenruf gefallen: warum nicht auch für Spitzbuben! Der Zentral⸗ verband der Handelsleute hat nun eine Eingabe an uns gerichtet, in der er sich über eine derartige Beschimpfung mit Recht entrüstet und Genugtuung verlangt. Ich hoffe, daß sich der Abgeordnete meldet, der diese Beleidigung ausgestoßen hat, und sie mit Bedauern zurück— nimmt. .

Abg. Dr. Ehlers (fortschr. Volksp. ); Wenn der Minister meine Auffassung über die Lage der kleinen Gewerbetreibenden Pessi⸗ mistisch nennt, so muß ich das nur tief bedauern. Dem Abg. Giesberts muß ich vorwerfen, daß er von den geschäftlichen Werhält⸗ nissen des Kleingewerbes keine Ahnung hat, sonst hätte er nicht solche Behauptungen ausstellen können. Mit Patriotismus und Hurra⸗ stimmung ist hier allein nichts getan. Man muß doch auch die Wirkungen bedenken, die ein derartiger Aderlaß, wie die Erhebung des Wehrbeitrages, auf unser Volksleben ausübt. Gewiß sind wir keine Gegner der Besitzsteuer, wir sind sogar für die Erbschaftssteuer zu haben. Auch wir haben den dringenden Wunsch, daß nun endlich einmal die Kriegswirren aufhören und wieder geordnete Verhältnisse eintreten.

Abg, Giesbert zg: Der Abg. Dr. Ehlers hat den Weg, der bei der Erhebung des Wehrbeitrages eingeschlagen worden ist, be⸗ mängelt, aber er hat kein einziges Mittel vorgeschlagen, wie diese Milliarde auf andere Weise zu beschaffen sein würde. Die Schwarz⸗ malerei des. Abg. Ehlers ist vollständig unangebracht. Wenn wir unser Heer verstärken wollen, dann müssen wir auch die Mittel dazu bewilligen. (Vizepräsident Dr. Krause bittet den Redner, sich nicht zu weit vom Thema zu entfernen,) Jedenfalls müssen wir die ganze Frage des Wehrbeitrages der sachkundigen Beurteilung des Reichstages überlassen. Wenn wir ein Opfer bringen wollen, dann sollen wir es auch freudig bringen.

Ein Schlußantrag des Abg. von Pappenheim (kons.) wird angenommen. ;

Der Etat für Handel und Gewerbe wird ge⸗ nehmigt. .

Der Antrag Rahardt betreffs Erhöhung der Etats⸗ mittel für Wander- und Meisterkurse wird angenommen.

Es folgt der Etat der Justizverwaltung. Abg. Lohmann (nl) wünscht Dienstwohnungen für Richter.

Justizminister Beseler sagt wohlwollende Prüfung dieser An⸗ gelegenheit zu. .

Abg. Dr. Fle schifortschr. Vollsp.): In einem speziellen Fall, wo eine Fürsorqeerziehnng hätte angeordnet werden sollen, hat das Kammergericht entschieden, daß die bloße Weigerung eines Ortgarmenverhandes, eine Unterstützung zu gewähren, nicht dazu führen könne, die Fürsorge⸗ erziehung anzuordnen. Das Kammergericht hat seinen Standpunkt in dieser Frage noch verschärft. Wenn immer erst abgewartet werden soll, bis wirklich die Verwahrlosung eines Kindes vorliegt, s9 bedeutet das eine ungehenre Verzögerung der Fürsorgeerziehung. In dieser Weise wird die Armenpflege auf dem platten Lande von Umständen abhängig gemacht, die nichts mit ihr zu tun haben. Es bedarf dringend einer Aenderung des Fürsorgeetziehungsgesetzes; die Regierung sollte möglichst bald dem einmütigen Beschluß des Hauses nachkommen . und eine Revision des Gesetzes vornehmen.

Justizminister Dr. Be seler:

Der Herr Abgeordnete wird mir zugeben, daß es für mich nicht möglich ist, auf die Rechtsprechung des Kammergerichts, von dessen Entscheidungen er bei seinen Ausführungen ausging, einzuwirken. Also in dieser Richtung seitens der Justizverwaltung irgend etwas zu ver⸗ un anlassen. wird nicht tunlich sein. Ob übrigens der von dem Herrn Abgebrdneten vorgetragenen letzten Entscheidung eine grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft zukommt, entzieht sich meiner Beurteilung.

5 . .

Eine Stellung zu den einzelnen Punkten, die der Herr Abgeordnete; aber damals hat der Minister erklärt, daß dies nicht so schlimm

sodann noch erörtert hat, ist meinerseits bisher nicht genommen worden. Ich kann nur erklären, daß ich der Meinung bin, daß bei der Prüfung, ob über kurz oder lang eine Aenderung des Fürsorgegesetzes stattfinden muß, auch die von dem Herrn Abgeordneten heute berührten Fragen jedenfalls sorgfältiger Erwägung bedürfen, und ich zweifle nicht, daß sie diese auch finden werden.

Abg. Dr. Flesch (fortschr. Volksp.): Ob die Rechtsprechung des Kammergerichts richtig ist oder nicht, darüber habe ich nicht ge— sprochen, ich meine nur, daß nach Ansicht der Regierung diese Recht⸗ sprechung Folgen nach sich zieht, die ich nicht für richtig halte. Ich kann nur wünschen, daß die Erwägungen der Regierung möglichst bald zu einem Resultat kommen.

Der Etat der Justizverwaltung wird bewilligt.

Es folgt der Etat der Preußischen Zentral—⸗ genossenschaftskasse.

Abg. Dr. Crüger (fertschr. Volksp.): Der Präsident der e, . Zentralgenossenschaftskasse bat bei der zweiten Lesung die Ausdehnung der Preußenkasse auf Süddeutschland zu rechtfertigen gesucht, es fragt sich aber, ob die Preußenkasse sich damit im Rahmen des Gesetzzes hält. Es kommt hier nicht nur der Wechselverkehr mit den süddeutschen Verbandekassen in Frage, sondern die Preußenkasse sucht ganz systematisch ihren Geschäftsbetrieb auf Süddeutschland gus— zudehnen. So ist die Verbindung mit der Badischen Zentralgenossen⸗ schaftskasse genau so wie mit den Preußischen Verbandskassen. Die Preußenkasse ist zu einer deutschen Zentralgenossenschaftskasse geworden, die Ausdehnung nach Süddeutschland steht aber in Widerspruch mit dem Gesetz. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften im Großherzogtum Hessen befinden sich augenblicklich in recht ernster Situation, aber die Preußenkasse hat doch die Absicht, mit ihnen dieselven geschäftlichen Manipulationen auszuführen, die ihr in Preußen zugewtesen sind. In der Budgetkommission hat die Regierung gesagt, daß die Preußenkasse schon seit vielen Jahren mit den ausländischen Kassen arbeitet. Aber das ist doch etwas anderes gewesen, da kam die Mitteldeutsche Verbandt⸗ kasse in Frage, die auch preußtsche Genossenschaften aufnimmt. Meine hier wiederholt dargelegten Anschauungen haben in der Praxis Bestätigung ge⸗ funden. In Oberschlesien hat sich infolge der schwierigen Lage der Genossen⸗ schaften die oberschlesisch⸗ Genossenschaftsbank in Beuthen neu gebildet. Für diese wird eine lebhafte Agitation entwickelt, um andere Ge— nossenschaften in diese Verbandskasse hineinzubringen. Diese Agitation ist nicht geeignet, einer soliden Kreditwirtschaft Vorschub zu leisten. Die Preußenkasse sollte überhaupt alles daran setzen, die Kredit⸗ entwicklung nicht noch zu fördern, sondern ihr einen Hemmschuh an— zulegen. Gerade die Vorgänge des letzten halben Jahres beweisen, wie recht die Reichsbank hatte, als sie vor einer Ueberspannung des Kreditbedürfnisses warnte. In der zweiten Lesung habe ich ver— schtedene Fälle von Riesenhaftsummen angeführt, der Präsident der Zentralgenossenschaftskasse wird sich wohl inzwischen überzeugt haben, daß meine Angaben keine Phantasiegebilde waren, sondern den tat⸗ sächlichen Verhältnissen entsprachen, während er in der zweiten Lesung meinte, daß er bei der Richtigkeit meiner Angaben einen Schauer be— kommen würde. ö

Präsident der Preußischen Zentralaenossenschaftskasse Dr. Heiligen⸗ stadt: Der Abg. Crüger hat die Qualität der Wechsel bemängelt. Ich wundere mich darüber, daß ihm gar nicht aufgefallen ist, daß die badischen Wechsel nicht Warenwechsel sind. Es ist nicht richtig, daß die Preußenkasse in umfangreicher Weise in Korrespondenz mit den außerpreußischen Genossenschaften eingetreten sei. Die Preußische

Zentralgenossenschaftskasse gewährt den süddeutschen Genossenschasten

nur einen ganzen Kontokorrentkredit. Es ist auch nicht richtig, daß die Preußische Zentralgenossenschaftskasse von den sübdeutschen Ge⸗ nossenschaften, spetiell von den badischen, die Ausschließlichkeits⸗ erklärung verlangt. Wenn die badische Verbandskasse ihrerseits die Ausschließlichteit verlangt, so ist das ihre eigene Angelegen⸗ heit. Die preußlsche Zentralgenossenschaftskasse steht auf dem Standpunkt: wir wollen nicht die Ausschließlichkeit. Dann ist es auch unrichtig, wenn der Abg. Crüger behauptet, daß von der Preußenkasse eine umfangreiche Agitation in Hessen veranstaltet werd. Die Tätigkeit der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse in Hessen hat sich aus der Natur der dort bestehenden Schwierigkeiten ergeben. Solange die Zentralgenossenschaftskasse besteht, hat sie auch mit nichtpreußischen Kassen arbeiten müssen. Sie hat auch lange Jahre mit der Neuwieder Zentralkasse in Verbindung gestanden und hat im Laufe der Jahre eine erhebliche Zahl von Wechseln aus Elsaß-Loth— ringen, Bayern und anderen süddeutschen Staaten diskontiert. Es ist auch nicht richtig, daß die Zentralgenossenschaftskasse in Schlesien eine große Agitation betreibe um dort eine Zentralkasse zu gründen. In Schlesien hatte auf Grund einer Agitation, an der die Preußen kasse nicht beteiligt war, eine große Reihe von Genossenschaften Ver— bandskassen gegründet. Aber diese waren alle nicht lebensfähig, des— halb ist speziell auf den Wunsch der Handwerkskammern in Breslau und Liegnitz versucht worden, diese einheitlich zusam menzuschließen zu einer Zentralkasse. tese Bestrebung können wir nur dankbar be— grüßen. Die Haftungen werden sehr sorgfältig geprüft. Dort, wo die Ratschläge der preußischen Zentralkasse befolgt worden sind, sind die Genossenschaften lebenskräftig und gesund geblieben und haben sich

günstig entwickelt.

Abg. Dr. Crüger fortschr. Volksp.) Der Präsident der Zentralgenossenschaftskasse bestreitet einfach die Richtigkeit meiner Behauptungen, ohne das Gegenteil zu beweisen. Ich muß deshalb meine Behauptungen aufrechterhalten. ;

Unterstaatssekretär Dr. Michaelis: Ich muß Verwabrung dagegen einlegen, daß dem Präsidenten der Zentralgenossenschaftskasse vorge— worfen wird, er bestreite alles, ohne das Gegenteil zu beweisen. Wenn jemand Behauptungen aufstellt, so muß er sie beweifen. (Sehr richtig! rechts) Für die Entwicklung der ganzen Debatte wäre es vielleicht richtiger gewesen, der Abg. Crüger hätte das Rundschreiben mitgebracht, das die Zentraltasse bersandt haben soll. Für die Ver⸗ sendung eines Rundschreibens einer außerpreußischen Verbands kasse ist 6 nicht der Präsident der Zentralgenossenschaftskasse verant⸗ wortlich.

Abg. Dr. Crüger lfortschr. Volksp.) verliest das Rundschreiben der badischen Zentralkasse, worin die Genossenschaften aufgefordert werden, eine Ausschlteßlichkeitserklärung beizubringen, wenn sie von der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Kredit wünschen.

Unterstagtssekretär Dr. Michaelis: Aus dem Rundschrelben, das der Abg. Crüger verlesen hat, ergibt sich lediglich, daß die badische Verbands kasse eine Ausschließlichkeilserklärung verlangt. Daß dieselbe . ., preußischen Zentralkasse verlangt wird, sieht mit keinem

ort darin.

Präsident der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Dr. Heiligenstadt: Es ist ganz klar, daß die Badische Zentral⸗ kasse großes Gewicht darauf legt, daß eine Ausschließlichkeits⸗ erklärung abaegeben wird. Seinerzeit hat auch Direktor Kleemann von der Dresdner Bank für größere Kredite die Ausschließlichkeits⸗ erklärung verlangt. Ich habe ausdrücklich gesagt: wir wünschen nicht, daß die Ausschließlichkeitserklärung verlangt wird. Von einem Mißbrauch der Haftungen kann keine Rede sein. Die Wechsel werden von der Zentralgenossenschaftskasse genau daraufhin kontrolliert, ob die Wechselprolongationen abgezahlt werden, und ob sie überhaupt vor⸗—

kommen. Es wird von uns Gewicht darauf gelegt, daß die Wechsel

bei der Reichsbank diskontfähig sind.

Der Etat der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse wird bewilligt. 2

Es folgt der Etat der Verwaltungder direkten Steuern.

Abg von Strom beck (Zentr.): Die Quellentheorle, die Be⸗ steuerung nach der Einkommensquelle, die kürzlich auch das Reichs— gericht in einer Entscheidung vertreten har, führt zu großen Miß⸗ ständen. Ich habe schon bei der zweiten Lefung darauf hingewiesen,

sei. Ich muß aber auch heute an meinen früheren Ausführungen festhalten und fordern, daß die Quellentheorie beseitigt wird.

Ein Schlußantrag des Abg. von Pappenheim (kons) wird angenommen.

Beim Etat der allgemeinen waltung bemerkt

Abg. Dr. von Kries (kons.): Gestern sowohl wie heute ist von verschiedenen Rednern die Wehrvorlage gestreift worden. Meine Freunde haben sich bisher an dieser Diekussion nicht beteiligt. Bei der starken Einwirkung aber, die die Militärvorlage auf die preußischen Finanzen hat, können auch meine politischen Freunde nicht umhin, jetzt auch bei dem Etat der allgemeinen Finanzberwaltung ihrerseits dazu Stellung zu nehmen. Meine politischen Freunde haben mich beauftragt, folgende Erklärung in ihrem Namen abzugeben: „Meine politischen Freunde sind der Ansicht, daß es sich nicht empfiehlt, im gegenwärtigen Augenblick in dem bundesstaatlichen Parlamente die Einzelheiten der Frage zu erörtern, wie die durch die neue Militär— vorlage erwachsenden einmaligen und laufenden Kosten am zweckent— sprechendsten aufzubringen sein würden, weil eine solche Einwirkung der bundesstaatlichen Parlamente im gegenwärtigen Augenblick in die an sich schon schwierige Situation leicht noch weitere Schwierigkeiten hin eintragen kann. Wir glauben aber nicht darauf verzichten zu können, unseren grundsätzlichen Standpunkt in dieser Frage kurz zu kennzeichnen. Der starke Eingriff, den die geplante Aufbringung des einmaligen Wehrbeitrages in das bisher den Einzelstaaten vorbehaltene und das Rückgrat ihrer Finanzgebarung bildende Gebiet der Einkommens— und Vermögensbesteuerung ausübt, kann als eine durch besondere Ver— hältnisse gebotene Ausnahmemaßregel in Anbetracht des Ernstes der Lage angesehen werden, weil die Erhaltung der Wehrfähigkeit unseres Vaterlandes gegenwärtig nicht anders als durch dieses Opfer gewährleistet werden kann. Die Aufbringung der fortlaufenden Kosten der Militär⸗ vorlage unter völligem Verzicht auf das dem Reiche in erster Linie vor— behaltene Gebiet der indirekten Besteuerung muß bei uns schwere Bedenken erregen. Zum mindesten müssen wir verlangen, daß bei diefen Eingriffen in die den Einzelstaaten bisher vorbehaltenen Finanzgebiete wenigstens die Finanzhoheit der Einzelstaaten, soweit als irgend mög— lich, geschoat wird und Maßnahmen vermieden werden, welche die finanzielle Selbständigkeit der Einzelstaaten in Frage stellen und mit dem föderativen Grundgedanken des Reiches in Widerspruch treten würden. Die Regierungsvorlage trägt diesen Rücksichten wenigstens insoweit Rechnung, als sie den Einzelstaaten die Ausgestaltung der aufzubringenden Besitzsteuer überlassen will. Es muß unsererseits entscheidendes Gewicht darauf gelegt werden, daß an diesem Grund— gedanken festgehalten wird und die Einzelstaaten davor bewahrt bleiben, bewährte Steuereinrichtungen mit Röcksicht auf steuerliche Maßnahmen des Reiches auf gleichen Gebieten von Grund aus zu ändern, ihnen vielmehr die Möglichkeit eröffnet wird, diese neue Besitzbesteuerung im Zusammenhang mit ihren bestehenden Finanz— systemen auszubauen.“

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neu kirch (frelkons.) : Ich möchte im Auftrage meiner Freunde die Bedenken des Vorrednerß gegen die Eingriffe des Reichs in die Steuersysteme der Bundes— staaten, besonders mit Bezug auf die Vermögenssteuer, nachdrücklich unterstreichen. Die Vermögenssteuer ist keine selbständige Steuer; sie wird nach dem Vermögen bemessen, aber vom Einkommen entrichtet; sie ist also ein Zweig der Einkommenbesteuerung. Deshalb kann die Ver— mögenssteuer von der Cinkommensteuer im ganzen nicht getrennt werden; sie muß im Zusammenhang mit der Einkommensteuer behandelt und von derselben gesetzgebenden Körperschaft geordnet werden. Wenn daher das Reich die Vermögenssteuer oder einen Teil derselben an sich ziehen sollte, so würde es mit absoluter Naturnotwendigkeit zu einer steuerlichen Mediatisierung der Bundesstaaten durch das Relch kommen. Das wäre vom Standpunkt der Bundesstaaten völltg unannehmbar und vom Standpunkt einer richtigen Reichspolitik, wie sie Färst Bis— marck, der Gründer des Reichs, verstand, durchaus verkehrt, denn die richtige Bismarcksche Reichspolitik ging von dem vernünftigen Stand⸗ punkt aus, daß die Reichsfinanzen und die bundesstaatlichen Finanzen so abgegrenzt werden sollen, daß das Reich nicht als schwere Last von den Bundetstaaten empfunden wird, sondern im Gegenteil als Wohl- täter derselben erscheint. Wenn aber das Reich Einnahmequellen der Bundesstaaten für sich in Anspruch nehmen sollte, dann bringt das unheilvolle Verwirrung in die Finanzen der Einzelstaaten und auch des Reichs hinein. Also keine Reichsvermögenssteuer! Sie ist finanzlell ein Unsinn und politisch ein schwerer Fehler.

Finanzminister Dr. Lentze:

Meine Herren! Ich bin den beiden Herren Vorrednern sehr dankbar, daß sie diese so überaus wichtige Frage hier zur Sprache ge— bracht haben. Sie können mir nachfühlen, daß die Verhandlungen, welche im Reichstage über die Deckungsvorlagen für die Wehrvorlage bis dahin gepflogen worden sind, der preußischen Finanzverwaltung sehr schwere und ernste Sorgen bereiten. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, wenn verschiedene Parteien des Reichstages den Wunsch geäußert haben, anstelle der Matrlkularbeiträge eine Reichs— vermögens steuer einzuführen, so würde ein solches Gesetz zur Folge baben, daß wir hier in unseren Entschließungen lahmgelegt werden, daß der preußische Staat einer seiner wichtigsten Einnahmequellen auf die Dauer beraubt sein wird, und daß die finanzielle Selbständigkelt der einzelnen Bundesstaaten aufs allerschwerste dadurch angetastet wird. (Sehr richtig! rechts.)

keine Herren, ich möchte mir erlauben, dieses näher zu begründen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten. Rufe rechts: Ruhigh Der Herr Reichskanzler hat am 12. April im Reichstag eingehend ausgeführt, welche schweren Konsequenzen es für die einzelnen Bundes— staaten haben würde, wenn eine Reichsvermögenssteuer eingeführt würde. Bis dahin sind die Steuerquellen des Reichs, der Bundes— staaten und zum Teil auch der Kommunen scharf gegeneinander abgegrenzt. Das Reich hat bis dahin seine Ausgaben wesentlich aus indirekten Steuern und Zöllen und aus der Erbschaftssteuer bestritten, den Bundesstaaten blieben die Vermögentsteuer, die Einkommensteuer und die Ertragssteuern vor— behalten. Wir haben in Preußen die Ertragssteuern, um die Kom— munen zu entlasten und ihnen eigene Einnahmenquellen zu verschaffen, den Kommunen überwiesen. Meine Herren, der preußische Staat hat also an direkten Steuern nur noch die Einkommensteuer und die Ver— mögenssteuer. Die Kommunen versehen die Einkommensteuer des Staats mit Zuschlägen, und auch der Kommunalhaushalt wird wesent⸗ lich mit aus der Einkommensteuer bestritten. Die zurzeit bei uns in Preußen in Geltung befindliche Vermögenssteuer ist in der Form der Er— gänzungssteuer eingeführt, indem das fundlerte Einkommen eine Vor⸗ belastung erfährt, gegenüber dem nicht fundierten Einkommen. Wie der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz soeben durchaus zutreffend aus— geführt hat, kann man eine Vermögenssteuer selbständig ohne eine Einkommensteuer nicht veranlagen; die beiden Steuern hängen auf allerengste miteinander zusammen. (Sehr richtig) Meine Herren, wenn nun das Recht zur Erhebung einer Vermögenssteuer einem anderen übertragen wird, der dann darüber zu befinden hat, welches Maß der Belastung er bei der Vermögenssteuer eintreten lassen will, dann hat das selbstverständlich auch seine Rückwirkungen auf daß Maß der Belastung des Einkommens, welches der Staat den einzelnen Einkommen gegenüber zur Anwendung bringen kann; denn

Finanzver⸗

eine stark in Anspruch genommene Vermögenssteuer hat selbst⸗ verständlich zur Folge, daß die Einkommensteuer entsprechend reduziert werden muß lsehr richtig! rechts); derselbe Steuerträger kann nicht immer wieder neue Lasten bekommen, auch seine Lelstungs⸗ fähigkeit ist nach obenhin begrenzt.

daß das Reich bei der nächsten Ausgabenwelle, die kommt, wiederum von der Vermögenssteuer noch mehr mit Beschlag belegen und noch höhere Vermögenssteuern auferlegen wird, dann muß das zur Folge haben, daß entweder im Staate oder in den Kommunen oder in beiden diese Steuerquelle nur noch geringer fließen kann. (Sehr richtig! rechts) Der Staat und die Kommunen müssen alsdann ihre Steuer entsprechend herabsetzen. Meine Herren, wohin soll das führen? Wir in Preußen haben keine andere Quelle mehr, wie unsere Einkommensteuer und Vermögenssteuer; die Kommunen sind auch am Rande ihrer Leistungsfähigkeit mit ihren Steuerquellen. (Sehr richtig! rechts) Wenn also das Reich als der Stärkste von den dreien anfängt, diese Steuerquellen mit Beschlag zu belegen und immer weiter auszuschöpfen, dann werden sowohl der preußische Staat wie auch unsere Kommunen entschieden leistungsschwach und dies müssen wir unter allen Umständen verhindern. (Sehr richtig!)

Dle Deckungs vorlagen für die neuen Militärvorlagen haben ja an sich schon außerordentliche Anforderungen an die Bundesstaaten gestellt; sie bedeuten schon einen sehr wesentlichen Einschnitt in die Finanzen und die Finanzhoheit der einzelnen Bundesstaaten. (Sehr richtig) Es ist bis dahin noch niemals dagewesen, daß durch ein Reichsgesetz vorgeschrieben ist, in welcher Art die Bundesstaaten den Finanzbedarf für das Reich aufzubringen haben. Es ist in der Vorlage bestimmt worden, daß die Bundes⸗ staaten verpflichtet sein sollen, den Matrikularbeitrag entweder durch Einführung oder durch Erhöhung einer Einkommensteuer, Ver⸗ mögenssteuer oder Erbschaftssteuer oder durch Ertragssteuern oder Kombinationen davon aufzubringen. Meine Herren, in dieser Weise hat his dahin noch niemals ein Reichsgesetz in die Finanzhoheit der Einzelstaaten eingegriffen; aber angesichts der Notlage, in der sich das Reich und auch die Bundesstaaten hierbei befinden, haben die ver— bündeten Regierungen doch geglaubt, dies noch konzedieren zu können; denn es ist dabei dem Einzelstaat doch überlassen, innerhalb seines eigenen Haushalts abzuwägen, welche Verteilung der Steuern er vornehmen und welche von den Steuerquellen, die das Reich vor⸗ geschrleben hat, er in Anspruch nehmen will und wie da die einzelnen Leistungen gegeneinander abgewogen werden sollen. Wenn dagegen vom Reich durch eine Reichsvermögenssteuer dekretiert wird, daß so und so viel für jedes Vermögen an das Reich abgeführt werden muß, und wenn da Abstufungen vorgenommen werden, welche sich mit unseren Einkommensteuerabstufungen gar nicht vertragen, dann werden Zustände entstehen, welche tatsächlich die Bundes— staaten und auch die Kommunen lahm legen. (Sehr richtig! rechts.) Ich sehe infolgedessen in diesen Bestrebungen eine ganz außerordent⸗ liche Gefahr sowohl für die Bundesstaaten als auch für unsere Kom⸗ munen. (Sehr wahr! rechts.) Meine Herren, eine Reichsvermögens—⸗ steuer wird ferner dazü führen, daß das Reich für diesen Zweck be— sondere Behörden einrichten muß. Bis dahin werden die sämtlichen Reichsabgaben von den Bundesstaaten erhoben, die indirekten Steuern, die Zölle, die Erbschaftssteuer usw. werden alle von den Bundes— staaten erhoben und an das Reich abgeführt. Das wird aber bei einer alljährlich wiederkehrenden Steuer unmöglich sein, und zwar deswegen, well eine Gleichmäßigkeit der Veranlagung und Erhebung im ganzen Reich gesichert sein muß. Wie wichtig und bedeutsam das ist, das hat sich schon ergeben bel dem einmaligen Wehr⸗ beitrage, indem hier schon Reichskommissare vorgesehen werden mußten, welche in den einzelnen Bundesstaaten auf eine gleichmäßige Veranlagung und Erhebung zu sehen haben; wieviel mehr wird, wenn eine dauernde Steuer zu erheben ist, das dazu nötigen, eine einheitliche Veranlagung im ganzen Reich durch Reichs⸗ behörden einzuführen! Das würde aber auch wieder eine ganz wesentliche Schmälerung der Finanzhoheit der einzelnen Bundsstaaten bedeuten. Ich möchte deshalb aufs dringlichste davor warnen, dem Gedanken einer Reichsvermögenssteuer näher zu treten, und ich möchte gerade diejenigen Herren und alle Parteien, die im Reichstage mitwirken, dringend bitten, daß sie diesem Gedanken entgegentreten. Denn wenn einmal erst eine Reichsvermögenssteuer da ist, dann wird das Reich diese Vermögenssteuer ausbauen nach allen Richtungen. (Sehr richtig! rechts) Die Vermögenssteuer ist aber gar nicht fähig, ausgebaut zu werden, ohne daß zu gleicher Zeit die Einkommen⸗ steuer auf denselben Steuerberechtigten mit übergeht. (Sehr richtig) Wir werden dann also als notwendige Konsequenz später erleben, daß wir nicht nur unsere Vermögenssteuer, sondern auch unsere Ein⸗ kommensteuer an das Reich abgeben müssen. Bei der Besprechung im Reichstag hat der Abg. Dr. Südekum genau dasselbe ausgeführt, er hat gesagt, wenn wir die Reichsvermögens⸗ steuer haben, werden wir auch die Reichseinkommensteuer er⸗ halten, denn das ist dle ganz notwendige Folge. (Sehr richtig! Die Reichseinkommensteuer ist dann auch nicht abzuwehren, und ich möchte Sie fragen: wohin werden wir dann treiben? Wir haben bis dahin in Preußen noch einige Einnahmen, welche nicht aus Steuern herrühren, aber ich habe mir schon bei meiner Etats⸗ rede auszuführen erlaubt, daß das von unserem ganzen Nettobedarf nur etwa 40 sind; 60 liefern unsere Steuern. Und wenn unsere Steuerquellen in diesem Maße von dem Reich uns weg⸗ genommen werden, so werden wir in Zukunft leistungsunfähig werden! (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Ist es denn für den preußlschen Staat schließlich seiner selbst würdig, wenn er finanziell vollständig abhängig ist von dem Reiche? (Sehr gut! rechts.) Bisher ist es umgekehrt gewesen: das Reich ist auf föderativer Grundlage aufgebaut, und die Einzelstaaten sollten selbständig bleiben, aber das Reich sollte auch die Möglichkeit von eigenen Ein⸗ nahmen haben. Jetzt wollen Einzelne den Schritt versuchen, die

Haupteinnahmen den Bundesstaaten fortzunehmen und auf das Reich

zu übertragen. Meine Herren, ich würde das für ein großes Unglück, für ein namenloses Unglück für die Einzelstaaten halten. Ich möchte Sie daher dringend bitten, alles zu tun, was in Ihren Kräften steht, um dagegen zu wirken, daß eine Reichsvermögenssteuer eingeführt wird. (Lebhafter Beifall rechts.) . (

Aßg. Br. leb ecchk (6c . Hier wird ein Drama auf— geführt von den Parteien in Verbinsung mit den Finanzminiter, um ein Pronunztamento gegen das Reich zu veranstalten, den

Wenn also eine Reichs vermögenssteuer eingeführt wird und ich zweifle nicht daran,

Einzelstaat aufzuputschen gegen das Reich. Dieses Schauspiel ist

ein so drastischer Beweis dafür, daß es dringend an der Zeit 1. vin Lieser preußische Junkerübermut ein Ende nimmt. Hier berrscht ein?

frivole Auffassung bei den Parteien und der Regierung über das. Reich. (Präsident Dr. Graf von Schwerin: dürfen der preußischen Regierung keine frivole Auffassung vorwerfen) Wenn das eine Verabredung ist, fo beweist sie,

wie sehr die Regierung von der Rechten abhängig oder wenigstens mit ihr ein Herz und eine Seele ist. Der Finanzminister sagt: künftig soll das Reich finanziell selbständig werden, die Einzel— staaten sollen unabhängig werden, hisher sei es umgekehrt gewesen. Das kennzeichnet die preußische Finanzpolitik, sie will das Reich finanztell nicht selbständig werden lassen. Die Parteien, die für die Wehrvorlage eintreten, wollen die Deckung möglichst so geftalten, daß sie ihnen möglichst wenig wehe tut. Die Wehrvorlage will möglichst viel Rekruten einstellen, die Disziplin möglichst weit erstrecken um den inneren Feind bekämpfen zu können. Gerade die deuische Armee wirkt am meisten störend in den ̃inter— nationalen Verhältnissen. Der Finanzminister denkt ja schon an die nächste Wehrvorlage, das Wettrüsten wird weitergehen. Sie wünschen für die Ewigkeit die indirekten Steuern im Reiche aufrechtzuerhalten, die indirekten Steuern find aber daz ungerechteste, das es gibt, sie können nicht mehr für Finanzreformen in Frage kommen, Sie wollen das Reich lediglich verweisen auf die Massen des Volkes. Das Reich hat jetzt gar keine andere Möglschkeit, als zu direkten Steuern überzugehen. Bie Reichs vermögenssteuer ist für Sie ein Schreckbild, und die Reichserbschaftssteuer wird von Fhnen gleichfalls als das größte aller Uebel bezeichnet. Sie haben die Reichs— regierung bereits über Ihre Klinge springen lassen, die sich in diefer Hinsicht Ihren Wünschen nicht fügen wollte. Well Sie im Reichstage in der Minderheit sind, unternehmen Sie den Ansturm von Preußen auf das Reich. Das beweist die Gefährlichkeit des preußtschen Junkerreglments, die Reichsfeindschaft der Mehrheitsparteien dieses Hauses und auch die Reichsfeindschaft der preußischen Regierung. Das Reich muß ge— kräftigt werden, indem es auf breitere Füße geftellt wird. Sie wollen ez aber an der Kette der Abhängigkeit vom preußischen Junkertum festhalten. Diese Brüskierung des Reichstags wird im Reichstag eine Stimmung auslösen, daß man nur um so eher darangehen wird, die Finanzen um; ugestalten nach den Bedürfnissen des Volkes, nicht nach denen des Junkertums, Ich hoffe, daß der nationalllberale Vertreter mit der⸗ selben Schärfe gegen Ihre Reichsfeindschaft auftreten wird. Es war merkwürdig, daß, als gestern der Abg. Müller (Meiningen) im Reiche tag die Ausweisung des französischen Sozialisten Compéere— Morel verurteilte, zu gleicher Stunde in diesem Hause ein Vertreter derselben Partei das Vorgehen der Poltzei rechtfertigte. Die Fort- schrittler treiben oft hier und im Reichstage eine verschiedene Politik. Wichtig ist, daß dieser Vorgang wieder auf das deutlichste in die breiten Massen hinaus, bis in die Kreise des Mittelstandes die Ueber⸗ zeugung tragen wird, daß der Kampf im Reichstag gegen die Deckungs— vorlage gefuhrt werden muß im Sinne der Sozialdemokratie. Die heute von Ihnen hier getriebene Politik ist für die Sozialdemokratie ein glänzendes Materia für den Wahlkampf; daß Sie diesen Tag noch manchmal beklagen werden, daran zweifeln wir keinen Moment. Diese Resonanz gegen Ihre deutschen Freunde ist uns nicht uner⸗ wünscht. Wir sind froh, daß die preußischen Junker sich wieder einmal demaskiert haben.

Finanzminister Dr. Lentze:

Mteine Herren! Ich glaube, es war für uns alle ein äußerst er— bauliches Schauspiel, den Entrüstungsparoxysmus des Abg. Liebknecht eben anzuhören und anzusehen. (Sehr richtig! Die Herren Sozial⸗ demokraten fühlen sich bet dieser Vorlage ganz besonders in der Klemme. (Rufe bei den Sozialdemokraten: Ach) Tatsächlich hat die Wehrvorlage alle Forderungen erfüllt, die man an eine solche Vorlage stellen kann, wenn man verlangt, es sollen die Besitzenden die Vorlage bezahlen. (Sehr richtig! rechts.) Die Sozialdemokraten befinden sich in der Lage der Gerber, denen die Felle weggeschwommen sind. (Sehr gut! Lachen bei den Sozialdemokraten. Tatsächlich haben die verbündeten Regierungen in diesem Falle für die Deckung Gesetzentwürfe eingebracht, von denen selbst der größte Feind nicht sagen kann, daß sie übermäßig besitzfreundlich wären. Sie sind tatsächlich so, daß der Besitz belastet wird, und die⸗ jenigen, die nichts haben, nicht belastet werden. Aus diesem Grunde heraus fehlte es auch dem Abg. Liebknecht vollständig an der materiellen Unterlage für seine Ausführungen, und infolgedessen hat er seine Ausführungen auf lauter tatsächlichen Unrichtigkeiten aufgebaut. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)

Er hat zunächst davon gesprochen, daß hier preußischen Regierung und vom hohen Hause dafür worden wäre, daß die Deckungskosten für die Wehr—⸗ vorlage durch indirekte Steuern aufgebracht werden sollten. Davon ist ja gar nicht die Rede gewesen. Die verbündeten Re— gierungen haben lauter direkte Steuern, abgesehen von den paar Stempelsteuern, die auch den Besttz treffen, eingebracht. Im übrigen aber ist von neuen indirekten Steuern ganz abgesehen. Der Abg. Liebknecht erhebt hier auf einmal die große Anklage: „dieses Geldsackparlament! im Verein mit der preußischen Regierung will für die Deckung der Wehrvorlage indirekte Steuern ein führen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten Er kämpft gegen einen Feind, der überhaupt gar nicht vorhanden ist. Es haadelt sich nur um direkte Steuern, und alles, was er ausgeführt hat, entbehrt tatsächlich jeder Unterlage.

Er spricht ferner davon, es solle hier gegen den Reichstag frondiert werden. Meine Herren, ist das ein Frondieren gegen den Reichstag, wenn hier von mir befürwortet wird, es möchte die Vor⸗ lage der verbündeten Regierungen an den Reichstag unterstützt werden? (Sehr tichtig) Ist das eine Fronde gegen⸗ über dem Reichstag? Im Gegenteil, ich habe etwas getan, was ein jeder tun muß und tun darf (sehr richtigh und wozu ein verantwortlicher Minister eines Bundesstaats sogar verpflichtet ist. Ich bin verpflichtet, dem Landtag klar zu machen, welche Folgen in den Vorlagen der Reglerung beruhen, und welches die Folgen sein können, welche Abänderungsvorlagen seitens einiger Parteien des Relchstags haben können. Es ist durchaus nicht der Reichstag, gegen den frondiert wird. Wie kann man da von einer Fronde, von einem Feldzug gegen den Reichstag sprechen? Das heißt doch, die Tatsachen auf den Kopf stellen.

Dann hat er ausgeführt, ich hätte wäre früher finanziell unselbständig und die Bundesstaaten selbständig gewesen, jetzt werde von mir geplant, dieses in das Gegenteil zu verkehren, dagegen müsse man sich wenden. Also, der böse Staat Preußen hat den schwarzen Plan gefaßt, das Reich unselbständig zu machen. Ist Ihnen jemals eine ab⸗ geschmacktere Behauptung vorgekommen? Ich habe ausgeführt, das Reich, die Bundesstaaten und die Kommunen sind in ihren Finanz— quellen bis dahin selbständig, es besteht eine scharfe Scheidung, und es ist absolut notwendig für das Nebeneinanderbestehen von Resch, Staat und Kommunen, das diese Scheidung bleibt und

von der plädiert

erklärt, das Reich

nicht verwischt wird. Diejenigen, die die Reicht vermögens

Sie

unternehmen,

*

steuer beantragen, wollen die Verwischung und wollen hineingreifen in die Steuersphäre der Ginzelstaaten. (Sehr richtig! rechts) Diese

SSteuersphäre der Einzelstaaten darf allerdings meiner Ansicht nach

nicht angetastet werden, und wenn Herr Abg. Liebknecht sagt, die preußische Regierung wolle eine Fronde gegen den Reichstag so wird er aus jedem bundesstaatlichen Parlament genau dasselbe sich entgegenschallen hören, denn alle bundesstaatlichen Parlamente werden sagen: das geht unter keinen Umständen, daß das Reich eine Reichsvermögenssteuer einführt, well damit unsere eigene Selbständigkeit aufgehoben wird. Sehr wahr! rechts) Das ist ganz etwas anderes, was ich ausgeführt habe, als was der Herr Abg. Lieb⸗ knecht mir in den Mund gelegt hat.

Alles, was der Herr Abg. Liebknecht gesagt hat, hat keinen tatsächlichen Untergrund und hat im Grunde nichts zu bedeuten. (Sehr richtig! rechts) Er will in das Volk etwas hineinrufen. Was kann er hinelnrufen? Daß Besitzsteuervorlagen in umfang⸗ reichem Maße eingebracht sind und daß von seiten der preußischen Regierung empfohlen wird, diese Besitzsteuergesetze anzunehmen. Rufen Sie das nur in das Volk hinein, das Volk wird Sie verstehen. (Heiterkeit recht) Aber Sie werden sich hüten, das hineinzurufen.

Sie sprechen von Volksausbeutung, von einem Geldsackparlament, welches sich selbst schonen will. Davon ist keine Rede. Die Vorlage der verbündeten Regierungen schreibt ausdrücklich vor, daß die Einzel⸗ staaten Besitzsteuern aufzubringen haben für diesen Zweck. Es ist also wieder der Besitz, dem Sie so gern ans Leben wollen, der heran⸗ gezogen wird. Daß irgend eine Attacke auf den Geldbeutel der Armen vorliegt, müssen Sie mir erst nachweisen.

Dann hat der Herr Abg. Liebknecht meine Ausführung, daß die nächste Ausgabenwelle im Reich, wenn eine Reichs vermögenssteuer eingeführt sei, dazu führen würde, die Steuersätze ganz anders zu er⸗ höhen, dahin ausgelegt: Aha, es wird eine neue Militärvorlage an⸗ gekündigt. Zunächst möchte ich fragen: wäre ez nicht unsinnig, daß, wenn die verbündeten Regierungen schon wüßten, daß eine neue Militärvorlage vorgelegt werden müßte, sie damit warteten und nicht lieber die neue Militärvorlage zugleich mit der jetzigen vorlegten. Das wäre schon an sich blödsinnig, möchte ich beinahe sagen. (Heiterkeit) Ich habe das auch garnicht angedeutet. Es ist doch eine Binsen— wahrheit, daß dem Reich immer wieder neue Ausgaben entstehen, geradeso wie uns, und daß infolgedessen eine Deckung für diese Aus⸗ gaben beschafft werden muß, und wenn ich in bezug hierauf sage, „die nächste Ausgabenwelle wird dahin führen“, so ist das doch ganz anders zu verstehen.

Ich möchte bemerken, daß schon der Herr Reichskanzler in seiner Rede vom 12. April ähnliches ausgesprochen hat. Er hat gesagt:

Ich bitte die Herren, überlegen Sie sich einmal, wohin die Ausführung des Projekts einer Reichsvermögenssteuer am Ende führt. Haben Sie erst einmal eine Vermögenssteuer des Reichs eingeführt, meine Herren, dann bauen Sie sie unzweifelhaft immer weiter aus. Wenn Sie erst einmal von Ihrer Jugendliebe ge⸗ ö dann lassen Sie nicht wieder von ihr. (Sehr wahr! rechts.

Also der Herr Reichskanzler hat schon darauf hingewiesen, daß die Reichsvermögenssteuer vom Reichstage bet jeder Gelegen⸗ heit weiter und kräftiger ausgebaut werden würde. Dag ist die große Gefahr, die ich dem Landtag klar zu machen mich bemüht habe. Wenn der Reichstag die Reichs⸗ vermögenssteuer erst hat, wird er bei jeder Gelegenheit die Ver— mögenssteuersätze steigern, und jede Steigerung wird zur Folge haben, daß wir in unseren eigenen einzelstaatlichen Finanzverhältnissen dadurch bedrängt werden, daß wir verkürzt werden, und daß wir sowohl unsere Kommunen wie uns selbst alsdann einschränken müssen, und daß wir in die allergrößte Ver⸗ legenheit und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Reich kommen. Da das nicht nötig ist, da die Vorlage der verbündeten Regterungen diese Folgen abwendet, da sie Vorkehrungen trifft, daß das nicht eintritt kann mir daraus ein Vorwurf gemacht werden, wenn ich ihre Ab⸗ änderung durch die Reichsvermögenssteuer bekämpfe? Wir wollen und ich bitte Ste alle darum dafür sorgen, daß lieber die Vorlage der verbündeten Regierungen angenommen wird, und daß nicht der Weg beschritten wird, der zu einer Reichsvermögenssteuer führt. (Lebbaftes Bravo! rechts.)

Abg. Dr. Friedberg (nl):

Ich muß gestehen, daß man, wenn man die drei

i ersten Redner gehört hat, ganz natürlich das. Empfinden haben mußte, daß es doch eine ganz bestimmte Aufmachung ist, um eine Debatte herbeizuführen, die gewisse Direktiven für, die eine oder andere Partei geben sollte. Ich bin dem Finanzminister dafür dankbar, daß er meine Freunde nicht hier hineingezogen hat, sonst hätte ich sagen müssen, daß wir eine Förderung der Reichsfinanzen von dieser Debatte nicht erwarten. Dem Zusammenarbeiten der bürgerlichen Parteien, das zur Erledigung der Vorlagen erforderlich ist, ist die Debarte nicht ersprießlich, fondern geradezu gefährlich. Ich will meinen Freunden im Reichstag nicht dorgreifen, aber ich will doch erklären, daß meine Freunde an dem Standpunkt festhalten, daß wir eine allgemeine Befitzsteuer haben müssen. Ueber die Form derselben lassen wir selbstverständlich mit uns reden, wenn sie nur die notwendigen sozialpolltischen An- forderungen erfüllt. Deshalb stehen wir der Frage führ gegen⸗ über, ob es eine Reichshermögenssteuer oder eine Reichserbschafts⸗ steuer sein wird. Ich will nicht leugnen, daß die Ausführungen des Abgeordneten von Zedlitz und des Finanzministers sehr richtig hervor⸗ gehoben haben, daß sich der Reichs bermögenssteuer gewiffe Schwierig- keiten entgegenstellen. Ich vermisse aber in diesen Äusführungen den Schluß, daß nun die Erbschaftssteuer an die Reihe kommt. as ist diejenige Steuer, die alle Schwierigkeiten beseitigt, das ist die Steuer, die in die Finanzhoheit der Bundesstaaten in keiner Weise eingreift. Daß diese Schlußfolgerung ausblieb, hat mich zwar nicht überrascht, das habe ich aber als eine gewaltige Lücke entdeckt. Es ist eine ganz unverantwortliche Politik, daß Sie diefe Erbschaftez—⸗ steuer nicht haben wollen, und daß schon die vorige Reichsfinanz- reform daran gescheitert ist. Der Einwand, daß wir nun auch noch die Toten besteuern wollten, ist doch eine leere Redensart. Dieses Verhalten der Konservativen, das bis in die Reihe der Frei⸗ konservativen hineingeht, finde ich geradezu unverantwortlich gegenüber der schwierigen Lage, in der sich das Deutsche Reich jetzt ,, Es ist bedauerlich, daß Sie sich in dieser Weise von dem Bund der Landwirte beennflussen lassen. Den Finanzminister mache ich doch darauf aufmerksam, daß noch niemals so in die Finanzhoheit der Einzelstaaten eingegriffen worden ist, als durch die Deckungs⸗ vorlage der verbündeten Regierungen. Wenn man den Einzelstaaten vorschteibt, daß sie eine ganz bestimmte Steuer einführen müßten, um die erhöhten Matrikularbeiträge aufzubringen, fo ist das ein ganz erheblicher Cingriff in die Fingnzhohest ber, Bumdesstaaten. Vas ist um so schlimmer, als der Finanzminister in elner Denk schift vom vorigen Jahle in dieser Trage eine andere Haltung ein- genommen hat. Der Abg. von Z. dlitz hat sogar an Bismarck 1