1913 / 93 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 19 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

strafen wird bel den Kontrollversammlungen mehr als freigebig gewirtschaftet. Der Redner führt eine Reihe von Fällen an. Mit diesen Herren sind die vier Kapläne zusammengeraten und in der bekann ten Weise angeschnauzt und beschimpft worden. Für ihre in⸗ korrekt abgefaßte Eingabe sind sie zu sechs Monaten Gefängnis ver⸗ urteilt worden wegen Insubordination und „Bedrohung“ des Bezirks⸗ kommandeurts, well sie diese unwürdige Behandlung event. im Land- tage zur Sprache bringen zu wollen erklärten. Die Strafe ist nachher auf 6 Monate Festungshaft herabgesetzt worden. Vom all⸗ gemeinen menschlichen Standpunke ist es unerhört und paßt in unsere moderne Kulturwelt nicht hinein, was diesen Leuten Ehr⸗ verletzendes zugefügt worden ist. Weder gebildete noch ungebildete Leute dürfen in dieser Weise behandelt werden. Die Leute haben 4 Monate abgesessen, und der Hauptmann amtet weiter und schnauzt weiter. Die Forderung einer Revision des Militärstraf⸗ gesetzbuches muß hier mit allem Nachdruck erhoben werden. Die Eingabe ist von den Geistlichen nicht als eine dienstliche An— gelegenheit sondern als eine rein persönliche Beschwerde aufgefaßt worden. Sie wurde auch nicht am Tage der Kontrollversammlung erhoben. Die Herren hatten nicht gedient, sie konnten höchstens als Krankenwärter herangezogen werden. Nach französischen. Rechts— rundsätzen würde ein solcher Fall überhaupt nicht möglich sein, e, die Art der Strafvollstreckang gegen die vier Geistlichen ist bedenklich. Sie haben ihre Festungshaft in Magdeburg absitzen müssen. Eine gute Seite hat die Sache, daß eine ganze Reihe von Perfonen, die die betreffenden Strafbestimmungen nicht kannten, sich nunmehr vorsehen können. Daß solche Fälle dem Ansehen der Armee in Elsaß⸗Lothringen abträglich sind, ist auch von einem Assessor bei dem dortigen Ministerium in einem Artikel anerkannt worden. Der Kriegsminister wird wissen, was er in solchen Fällen zu tun hat.

Preußischer Kriegsminister, von Heeringen:

Meine Herren! Ueber das Verhalten von Bezirksoffizieren habe ich mich in der Kommission und hier im Reichstag reichlich aus— gesprochen. Ich will infolgedessen auch auf die Fälle nicht einzeln eingehen. Das Verhalten des Bezirksoffiziers in Diedenhofen ist zur Würdigung eines Gerichts gebracht worden und dieses hat ein direktes strafwürdiges Vergehen bei ihm nicht feststellen können. In allen Fällen, die der Herr Abgeordnete sonst noch angeführt hat, hatte eben⸗ falls eine gerichtliche Untersuchung stattgefunden und dementsprechend ist eingegriffen worden. Er hat ja selbst schon gesagt, daß in dieser etwas betrunkenen Angelegenheit in Mülhausen (Heiterkeit), wo die Leute des Morgens früh durch die Stadt gezogen sind, Bestrafungen stattgefunden haben. Nach diesem Bericht hat eigentlich ein Aufsehen oder ein mißliebiges Aufsehen bei der Bevölkerung nicht stattgefunden. Im Gegentell, ein großer Teil der Bevölkerung ist mitgezogen, und es hat vielleicht andere Leute geärgert, daß sie die Wacht am Rhein mitgesungen haben. Das war vielleicht der Kern der ganzen Sache. Aber an und für sich lege ich auf diese Sache keinen Wert. Betreffs des Generals von Prittwitz kann ich nur wiederholen, was ich gestern sagte: Wenn ein Kommandierender General so lange an der äußersten Grenze des Reichs auf einem so verantwortlichen Posten gestanden hat wie der General von Prittwitz, so kann man es ihm nicht übelnehmen, wenn er in dem intimen Kreise eines Kriegervereins auch einen Rückblick auf seine Tätigkeit wirft und dabei auf die bedauerlichen antinationalen Vorgänge zu sprechen kommt, die in Lothringen nun einmal nicht aus der Welt zu schaffen sind und die jeder Patriot, jeder gute Deutsche mit mir nur bedauern kann. Gegen eines muß ich Verwahrung einlegen, das ist das Motiv, welches der Herr Abgeordnete den Offizieren in Elsaß⸗Lothringen unterschiebt betreffs der Jagdscheine. Das Motiv habe ich geliefert, und zwar lediglich im Interesse der Landesverteidigung, und ich meine, es liegt doch auf der Hand, daß in demjenigen Gebiete, welches doch nun ein— mal im Falle eines Krieges unser Aufmarschgebiet bilden soll, an Ausländer keine Jagden verpachtet werden, weder um Festungen noch sonst, und wenn ich das getan habe, habe ich lediglich meine Pflicht als Kriegsminister getan. (Lebhafter Beifall rechts.)

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): In der Duellfrage herrscht in meiner Partei kein Gegensatz. Wir haben uns gegen den Zentrums⸗ antrag erklärt, weil wir prinzipielle Gegner von fixierten. Strafen sind und weil implicite die exzeptionelle Stellung der Regierung zu Duellen gebilligt wird. Wir wünschen, daß die Duelle, einfach wie jede andere Schlägerei, wie jede gemeine Tötung behandelt werden. Vom militärischer Seite wird beständig zum Kriege gehetzt. Haben wir denn übrigens nicht das Wort aus dem Munde eines hohen Milttärs gehört; „Wenn es doch endlich einmal, losginge!“ Hat nicht Freiberr von der Goltz in Potsdam gesagt: Wir brauchen feine Tugendbolde!' Solche Aeußerungen in einer Zeit der allge— meinen Erregung müssen die Kriegsgefahr steigern. Die Praxis unserer Militärlieferanken muß hier doch einmal wieder gründlich be— leuchtet werden. Es gibt in Deutschland einen Marineverständigungè⸗ konzern zwischen den verschiedenen Marinelieferanten, die sich gegenseitig den Profit an den Lieferungen garantieren. Der „Vorwärts“ hat den dokumentarischen Beweis dafür erbracht, daß Deutschland hier einen Vampir an seinem Leibe zu sitzen hat. Das Kapital ist vaterlandslos und international, und um so vaterlandsloser, je patriotischer es sich gebärdet. Die Rüstungspatrioten liefern ja strupellos an alle Welt, gleichviel, ob sich die Waffen nachher gegen das deutsche Volk kehren. Die Eigentumsverhältnisse der Dillinger Hütte erfordern unsere eifrigste Aufmerksamkeit. Sie ist zum großen Teil mit französischem Kapital dotiert; die französische Sprache ist die Geschäftssprache, die französischen Interessenten erfahren alle Interng der deutschen Landesverteidigung und arbeiten in rührender Gemeinschaft mit den deutschen, dem deutschen Volke möglichst viel Geld abzuknöpfen. Von hier aus wird die Aufnahme von Artikeln im Pariser. . betrieben, die die deutschen Munitions.! und Waffenfabriken zu Urhebern haben und die darauf hinauslaufen, daß fran⸗ zösische Heeresvermehrungen geplant werden. Zu welchem Zweck? Um damit in Deutschland Stimmung zu machen, um Auftrage zu bekommen, damit das Geld im Kasten klingt. Was sagt die deutsche Deeresberwaltung dazu? Die größte deutsche Waffenfabrik arbeitet mit Manipulationen, denen selbst die Rechte kaum Beifall spenden wird. Der Vorstand der Firma Krupp unterhielt in Berlin bis vor wenigen Wochen einen Beamten namens Brand, einen früheren Feuer— werker, der die Beamten der Armee⸗ und Marineverwaltung zu be⸗ stechen hatte, um Kenntnis von Schriftstücken zu erhalten, bie die Firma interessierten. Brand hatte, zu diesem Zweck große Mittel zur Verfügung; diese Firma nützt ihre reichen Geldmittel dazu aus, um höhere und mittlere preußische Beamte zum Verrat militärischer Geheimnisse zu veranlassen. Bei einem Herrn von Dewitz in Essen, einem öheren Beamten der Firma, liegen diese Berichte in Geheimschränken säuberlich zu⸗ sammen. Ich habe dem Kriegsminister hiervon Kenntnis gegeben. Ber Kriegsminifter hat seine volle Schuldigkeit getan, er hat ein. gegriffen, und zwar nicht nur gegen Militärpersonen, sondern auch egen Zivilpversonen; gegen 5 oder 7 Personen, auch hochgestellte 986, schwebt die Voruniersuchung. Im wesentlichen hat die Unter— suchung das bestätigt, was ich hier vorgetragen habe. Im Inter— ö des deutschen Volkes und des europälschen Friedens habe i diese Dinge hier vorgebracht. Wenn die Firma Krupp le. tut, wird man ihr auch zutrauen können, daß sie auch Praktiken wie die der Waffen. und Munitionsfabriken übt. Unternehmungen, deren Gewissenhaftigkeit auf diesen Minuspunkt ge⸗ sunken ist, bel denen kann man sich auf alles gefaßt machen. Dillingen

General der Infanterie

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heißt von Schubert, Stumm ist gleich Post. Es war die „Post“, die

im Jahre 1911 jenen Artikel brachte bei der Marofkogffäre, um die deutsche Regierung aufzuputschen. Sie schrieb den Artikel: Guillaume le timide. Die „Post war auch zuerst das Mundstück der General⸗ stabselique, zu deren Füßen der Kriegsminister heute liegt, nachdem er die Heerespvorlage eingebracht hat. Es war auch die „Post“, die, als der Friede auf dem Balkan drohte, so darf man sagen, plötzlich im Westen noch ein viel gefährlicheres Gefahrenzentrum entdeckte. Die Post“ hat auch aus den Vorgängen von Nancy besonders starkes Kapital geschlagen, indem sie mit ihrem patriotischen Degen an ihr patriotisches Schild schlug. Parteigenossen! Ich entnehme aus Ihrem Lachen, daß Sie anerkennen, daß es auch Ihnen unmöglich erscheint, einen Sozialdemokraten in einem Atemzuge mit solchen Leuten zu nennen. Die „Post“ hat aber schließlich nur an den Gelobeutel ihrer Interessenten geschlagen, sodaß es einen solchen Klang hatte. Solche Vorgänge wie in Nancy haben sich auch früher schon gelegentlich ereignet. Sie sind überall und auch in Frankreich bedauert worden. Diese werden aber jetzt systematisch ausgenutzt, um immer schärferes Mißtrauen zwischen Deutschland und Frankreich aufrecht zu erhalten, um den Boden für die Rüstungsinteressenten zu schaffen. Wir kennen aber auch den engeren Zusammenhang zwischen anderen Abteilungen des Rüstungskapitals und anderen Zeitungen Deutsch⸗ lands, die seit jeher die größten Rufer im Streit waren gegen eine friedliche Lösung der europäischen Schwierigkeiten. Da ist die „Rheinisch⸗Westfälische Zeitung“, die den Stempel des Rästungs— kapitals an der Stirn trägt. Jedermann weiß, wie Kolonial⸗ politik gemacht wird, wie man es anstellt, um Grund zu haben, in dem betreffenden Lande Fuß zu fassen. Ich will nicht so weit gehen und den Verdacht äußern, daß etwa bei gewissen unliebsamen Vorgängen in Frankreich deutsches Kapital im Spiele war. Aber man darf keinen Zweifel daran lassen, wir trauen Diesen Ueberpatrioten alles zu, auch dieses. Die Rüstungsinteressenten haben dieselben Interessen, ob Frankreich oder Deutschland rüstet. Sie arbeiten Hand in Hand. Deshalb können sich Krupp, Stumm und auch die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken nichts Besseres wünschen, als wenn auch Frankreich rüstet. Diese schüren die Zwie⸗ tracht zwischen den Völtern, um Geld zu verdienen. Die Höhe der Prozente ist schlechthin proportional dem Grade des Hasses zwischen den verschledenen Völkern. Ich hin sicher, daß die französische Firma Schneider-Creuzot nicht anständiger ist als die deutschen Firmen, und die französische Hetzpresse von diesen Rüstungs⸗ interessenten ebenso abhängig wie unsere schlimmste Hetzpresse ist. Die Staatsregierung hat es bisher mit ihrer Pflicht für vereinbar gehalten, nicht nur mit diesen Militärlieferanten in Beziehung zu treten, sie war wohl nicht unterrichtet. Der Kriegsminister hat uns zwar gesagt, daß die Zeitungen im Ministerium gengu gelesen werden. Die eine Sache aber von der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik, auf die der Kriegs-; minister nicht hat eingehen können, ist bereits im „Vorwärts“ veröffentlicht worden. Man hat, sie wahrscheinlich über— sehen. Die Militärpverwaltung hat diesen Privatindustriellen nicht nur bisher fette Aufträge gegeben, sondern ist sogar so weit gegangen, die staatlichen Anstalten in ihrer Tätigkeitz einzu⸗ schränken zu dem Zwecke, damit diese Aufträge der Privatindustrie gegeben werden konnten. Es heißt, die Kriegsverwaltung hat es nötig, die Privatindustrie leistungsfähig zu erhalten. Für den Minister kann tatsächlich in dieser Beziehung eine gewisse Zwangslage bestehen. Mit diesem System muß aber ein Ende ge— macht werden, wenn die Hände des Deutschen Reiches rein bleiben sollen. Die Regierung darf mit Firmen, denen derartige Praktiken nachgewiesen worden sind, keinerlei Beziehungen mehr haben. Als ich bor zwei Tagen den Kriegsminister in der Kommission fragte, als es sich um ein paar grme Schächer handelte, erklärte er, daß es seit Jahren Praxis der Verwaltung sei, jede Verbindung mit derartigen Firmen abzubrechen. Deshalb dürfen auch die jetzt in Frage kommenden Firmen keinerlei Aufträge mehr bekommen für die künftige Heeresvorlage. Es ist Pflicht der deutschen Regierung und des Reichs—⸗ tages, in dieser Beziehung für Reinlichkeit zu sorgen. Die Ver⸗ staatlichung der gesamten Rüstungsindustrie muß deshalb mit aller Schnelle durchgeführt werden, koste es, was es wolle. Es ist nötig, eine Interessentenklasse auszumerzen, deren Existenz eine ständige Kriegsgefahr bedeutet für die ganze Welt, und die eine Wurzel des Völkerzwistes ist.

Preußischer Kriegsminister, von Heeringen:

Die späte Stunde zwingt mich dazu, kurz zu sein. Ich glaube, daß der Herr Abgeordnete die ganze Angelegenheit wesentlich lüber⸗ trieben hat (Zurufe von den Sozialdemokraten), indem er der Deut schen Waffen- und Munitionsfabrik oder der Firma Krupp die Macht zutraut, europäische Geschichte zu machen. (Lachen bei den Sozial⸗ demokraten.) So liegt die Sache wirklich nicht. Dann würde man ihnen auch vorwerfen können, daß sie die Balkanereignisse 2c. auf ihr Konto zu schreiben hätten. (Abg. Ledebour: Machen Sie keine faulen Witze! Unruhe rechts. Abg. Ledebour: Das sind faule Witze. Glocke des Präsidenten.)

Der Herr Abgeordnete hat gesagt, er wolle mir keinen Vorwurf machen. Aber in dem Moment, wo er das vorbringt, macht er mir doch damit einen Vorwurf, daß ich die Privatindustrie besonders be⸗ günstigt hätte, als ich im vorigen Jahre die Zahl der Arbeiter in den staatlichen Fabriken eingeschränkt, der Privatindustrie aber mehr Auf, träge gegeben hätte. In dem Umfang ist das nicht der Fall gewesen. Wir sind auf unsere Privatindustrie im Mobilmachungsfall unbedingt angewiesen; wir können im Frieden unmöglich so viel an Beständen niederlegen, als wir im Fall eines Krieges brauchen. Es muß also im Mobllmachungsfalle eine große Masse von Beständen fertiggestellt werden. Das kann unmöglich in staatlichen Fabriken allein geschehen. Da müssen wir Privatfabriken heranziehen. Infolgedessen ist die Kriegsverwaltung daran interessiert, eine leistungsfähige Privatindustrie zu besitzen. Im Frieden können wir diesen Fabriken nicht so viel Bestellungen geben, daß sie für den Mobilmachungsfall leistungsfähig sind. Das ist der Grund, weshalb unsere Privatindustrie auf Auslandsbestellungen an⸗ gewiesen ist. Wer hat den Vorteil davon? Doch zweifellos die Klasse, deren Vertreter die Herren Sozialdemokraten sein wollen (Lachen bei den Sozialdemokraten), das sind die Arbeiter; denn wenn die Auslandsbestellungen wegfielen, würden diese Fabriken, die ihnen Lohn und Brot geben, überhaupt nicht existieren können. (Lachen bei den Sozialdemokraten Den Fall von der Deutschen Waffen und Munitionsfabrik habe ich zurzeit nicht zur Stelle. Soweit ich mich erinnere, liegt er mehrere Jahre zurück. Er wurde schon einmal im Reichstag behandelt und damals erledigt. (Sehr richtig! im Zentrum.) Er muß also nicht so schlimm gelegen haben, wie der Herr Abg. Liebknecht ausgeführt hat.

Die Behauptung des Herrn Abgeordneten, daß ich mich zu Füßen einer Generalstabsclique befände, hat mich amüsiert. Der Herr Reichskanzler hat schon von dieser Stelle aus davon gesprochen, daß er im November vorigen Jahres in Verbindung mit dem Chef des Generalstabs der Armee und mir den Entschluß faßte, eine Heeresvorlage einzubringen. Ich kann Ihnen weiter sagen, daß die Anregung dazu von mir ausgegangen ist. Wenn der Chef des General⸗ stabs der Armee aber auch seinerseits Anregungen für die Ausge⸗

General der Infanterie

staltung der Heeresvorlage gegeben hat, so hat er damit nur seine ver⸗ dammte Pflicht und Schuldigkeit getan; denn schließlich muß doch derjenige, der der verantwortliche Ratgeber des Kaisers in den ernsten

Tagen eines Krieges sein soll, auch beurteilen, welche Vorbereitungen nach dieser Richtung im Frieden noch notwendig sind. Wenn er das zur Sprache bringt und betont, dann tut er nichts anderes als seine

Pflicht.

Was die Angelegenheit der Firma Krupp anbelangt, so be⸗ dauere ich, daß der Herr Abgeordnete die Sache hier zur Sprache gebracht hat. Ich hatte ihn gebeten, im Interesse der Vorunter— suchung davon vorläufig Abstand zu nehmen. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Die Untersuchung ist erfolgt) Sie ist noch nicht abgeschlossen, das Hauptverfahren ist überhaupt noch nicht eröffnet. Soviel ich weiß, steht zurzeit nur fest, daß ein unterer Beamter der Berliner Geschäftsstelle der Firma Krupp einige Feld- webel des Zeug⸗ und Feuerwerkspersonals verleitet hat, ihm Mit— teilungen zu machen, die gegen ihre Dienstpflicht waren (hört, hört! bei den Sozialdemokraten), und auch ein mittlerer Beamter ist dabei beteiligt. Wie garnicht anders zu erwarten war, ist aber fest— gestellt, daß es sich hierbei in keiner Weise um Landesverrat oder um den Verrat solcher militärischer Geheimnisse handelte, die für die Sicherheit des Deutschen Reichs irgendwie in Betracht kämen. Ob und inwieweit das Direktorium der Firma Krupp dabei beteiligt ist, ist zurzeit noch in keiner Weise festgestellt. Ich möchte deshalb bitten, das Urteil über die Firma Krupp zurzeit noch zurückzuhalten. Solange es nicht bewiesen ist, daß nach dieser Richtung hin Be— lastendes vorliegt, kann ich nur betonen, daß das deutsche Heer mit der Firma Krupp ein Jahrhundert lang zusammengearbeitet hat, und daß sich diese Firma sehr viel Verdienste um die deutsche Armee, ins— besondere um unsere Artillerie und damit auch um das deutsche Vater— land erworben hat. Losgelöst von dieser Sache, müssen wir dies dankbar anerkennen.

Abg. Le deb our (Soz.) weist auf die Notwendigkeit hin, die Debatte auf diesen Punkt zu konzentrieren. Er bittet deshalb, dem Abg. Liebknecht zunächst das Wort zu gestatten.

ö Der Präsident bemerkt, daß dies nur möglich sei, wenn der nächstfolgende Redner, Abg. Gans Edler Herr zu Putlitz, dem Abg. Liebknecht das Wort abtrete, dies sei aber nicht der Fall.

Abg. Gans Edler Herr zu Putlitz (dkons.): Auf die Ausführungen des Abg. Liebknecht über die Firma Krupp werde ich mich nicht einlassen, weil, wie der Kriegsminister bereits gesagt hat, das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Sollte sich die Dar⸗ stellung des Abg. Liebknecht als richtig herausstellen, so würden wir den Vorgang auf das allerschärfste verdammen und verurteilen und verlangen, daß die nötigen Konsequenzen hieraus gezogen würden. Die Firma müßte alles tun, um Beamte, die sich fo ver— gangen haben, von sich abzuschütteln. Daß durch großkapitalistische Strömungen bei uns ein Krieg herbeigeführt werden könnte, möchte ich doch entschieden bezweifeln. Nach wie vor wünschen wir, daß der Kriegsminister den Wunsch nach kleinen Garnisonen berück— sichtigen möge. Weiter wünschen wir, daß der Kriegsminister auch weiter dem Luxus in der Armee entgegentrete, ihn unterdrücke. Je mehr dies geschieht, um so kraftvoller wird unsere Armee sein. Was unser Offizierkorps anbetrifft, so hat es auch in den letzten Jahrzehnten an verschiedenen Stellen bewiesen, daß es ebenso seine Pflicht tut wie vor 40, 50 Jahren. Dem sozialdemokratischen Abgeordneten Stücklen gegenüber stelle ich fest, daß sich das deutsche Volk bei der Unterdrückung“ durch das Heer außerordentlich wohl gefühlt hat. Das Heer hat eine große volkserzieherische Bedeutung. Unser Heer ist nicht dazu da, das Volk zu unterdrücken, sondern es vor Feinden zu schützen. Hat die sozialdemokratische Partei nicht den offenkundigen Zweck, den Staat zu vernichten? Die Sozialdemokraten bekennen nach wie vor, international zu seln. Wie pereinigt sich das mit den nationalen Aufgaben? Ihre antimilitaristische Agitation richtet sich ganz direkt gegen die Machtmittel, die der Stagt in den Händen hat, gegen das Heer. Die sozialdemokratische Agitation geht direkt darauf aus, unsere Soldaten vor dem Eintritt und nach dem Eintritt in das Heer mit Ekel gegen unsere Heereseinrichtungen zu er— füllen. Wenn die Sozialdemokraten eine solche antimilitaristische Agitation betreiben, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn der Staat dem entgegentritt, Wenn auch darüber kein Zweifel ist, daß die Agitation, die die Sozialdemokratie im Heere treibt, nur bei einem verhältnismäßig kleinen Teile Anklang findet, so ist es doch klar, daß auch dies dazu beiträgt, unsere Wehrkraft für den Ernstfall zu schwächen. Wenn der Staat dagegen auftritt, so tut er nur seine Pflicht, das erfordert seine Selbsterhaltung. Es lag mir daran, hier auszusprechen, daß die Beurteilung unseres Heeres, wie sie uns von sozialdemokratischer Seite ent— gegenschallt, bei uns im Lande keinen Widerhall findet. Die Grundlage unseres Heeres ist und bleibt das Verhältnis zwischen Offizieren und Mannschaften, wie es sich in allen Feldzügen auss glänzendste bewährt hat. In den Feldzügen, die wir geführt haben, hat der Offizier für die Mannschaften gesorgt, und die Leute haben zu den Offizieren Vertrauen gehabt. Man hat hier von einer Generalstat sel que gesprochen. Unser Offizierkorps hat sich im Frieden nicht auf seine Lerbeeren gelegt, sondern im Generalstab und wo immer eine geistige Regsamkeit entwickelt, um die wir beneidet werden können. Und wenn in so ernsten Zeiten wie den heutigen auch aus dem Generalstabe sich Stimmen Geltung verschafften, so haben sie, wie der Kriegsminister, mit Recht gesagt hat, nur ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit getan. Die Grundlagen unseres Heeres, das Vertrauensverhältnis zwischen, Offizieren und Mannschaften und das Treueverhältnis zum höchsten Kriegsherrn werden die Sozialdemokraten nicht erschüttern. Denn in, weiten Volksschichten, auch in denen, woraus sich die Sozialdemokraten rekrutieren, gibt, es Unzählige, die in dieser Beziehung ganz meiner Meinung sind. Darum wollen wir unser Heer erhalten, wie es ist. Wir wollen bessern, wo es notwendig erscheint, aber diese Grundlagen wollen wir in ihrer ganzen Stärke erhalten. .

ö. Nach 71 Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf Sonnabend 11 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 169. Sitzung vom 18. April 1913, Mittags 12 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“)

Ueber den Beginn der Sitzung, in der zunächst die dritte Beratung des Staatshaushaltsetats für das Rech— nungsjahr 1913 fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Bei der Diskussion über den Etat des Ministeriums des Innern bemerkt

Abg. Schif ter (nl), in seiner Rede fortfahrend: Es muß ent— schieden dagegen Front gemacht werden, daß die Gemeinden in nicht un— erheblichem Umfang dazu benutzt werden, Staatsgeschäfte auf eigene Kosten zu erledigen. Die Gemeinden sollten doch nicht zu Brief⸗ trägerdiensten im Interesse des Staates herangezogen werden.

(Schluß in der Zweiten Beilage) 14

osten zu erledigen haben.

auf die Anklagebank Ja, Tilsit ist ein Mann wegen Verunreinigung der Straße von der

der Proypinz Hannover

8⸗

1 sz.

3weite Beilage zum Deutschen Neichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Sonnabend, den 1. April

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Schluß aus der Ersten Beilage)

Es wäre endlich einmal an der Zeit, daß die Zustellung der Kriegs⸗ beorderungen der Reichspost überwiesen wird. Es gibt noch eine zanje Reihe anderer Staatsgeschäfte, welche die Gemeinden auf ihre r erled: n. Dieser Mißstand bedarf dringend der Abhilfe. Es ist auch höchste Zeit, daß einmal genau festgestellt wird, inwieweit der Staat durch Festhalten an veralteten und un— klaren Verordnungen die Rechte der Staatsbürger in unzulässiger Weise beschränkt. Ich will anerkennen, daß die Regierung bereits Maßnahmen ergriffen hat, um den Wust solcher veralteter Polizeiverordnungen zu beseitigen. Es ist bedauerlich, daß das Haus in dieser Beziehung keinen übereinstimmenben Standpunkt ein— kann. Ein Mitglied des Hauses, dessen Namen ich nicht

will, ist sogar in einem warmen Aufsatz für die Polizei—⸗

nehmen

nennen

erordnungen eingetreten, die niemandem zum Schaden geceichen würden.

Der Verfasser kommt zu dem Schluß, daß die Polizeiverordnungen dazu dienen, der Freiheit eine Gasse zu bahnen. Der selige Arnold Winkelried wird sich im Grabe umdrehen. Der Verfaffer meint weiter, daß die Polizeiverordnungen die Rechte und Befugnisse der Untertanen und der Behörden gegeneinander abgrenzen. Diefe Gegen— überstellung von Untertanen und Behörden ist eine vollständige Ber— kennung der ganzen Entwickelung, auf die wir stolz sind. Wir find nicht Untertanen der Behörden, sondern der Staat ist des Volkes wegen

da, und erst wenn wir auf diesem Standpunkt stehen, leben wir in einem

konstitutionellen Staatszwesen. Wir Bürger sind nicht bloß Objekte der

Gesetz gebung, Im Zweifel, bei Konflikten muß das Interesse des Volkes dem der Behörden vorangehen. Unser Antrag wegen Sichtung des gesetz=

geberischen und des Verordnungsmaterials ist von der Regierung und bon der Rechten mit dem Gedanken bekaͤmpft worden, daß auch die Behörden sich gar nicht mehr in allen diesen Bestimmungen zurecht—

finden könnten, und daß die Autorität des Staates erhalten werden mwüsse. Was ist das aber für eine Autorität, die nicht einmal auf die Probe gestellt werden kann?

Wenn die gesetzlichen Bestimmungen selbst von den Behörden nicht beherrscht werden können, so ist das ein völlig unerträglicher Zustand. Wenn man sich in den Gesetzen nicht mehr zurechtfinden kann, so muß die Gesetzgebung verbheffert werden. Was wir als Erben der Jahrhunderte übernommen haben, wollen wir. hochhalten und schätzen, aber die Art, wie auf Grund von Polizeiverordnungen der einzelne Bürger in unzähligen Fällen gebracht werden kann, ist unerträglich.

Polizei bestraft worden, weil er ein Straßenbahnbillet fortgeworfen hat, und er ist in der ersten Instanz auch verurteilt worden, weil die Verunreinigung darin liege, daß er es nach der Aufforderung des Be— amten nicht aufgehoben hat. Eine große Masse von Poltzeiverord—⸗ nungen, auch solche, die von dem Regierungspräsidenten selbst erlassen sind, wird für rechtsungültig erklart. Auf Grund einer solchen ungültigen Polizeiverordnung kann ein Mann bestraft werden und die Strafe absitzen und nachher erfahren, daß das ganze Ver⸗ ahren überhaupt; rechtsungültig war. Eine Polizelverordnung wurde von dem Oberpräsidenten von Hannober für den Umfang der Propinz Hannover erlassen; neuerdings ist allerdings der Umfang er zin etwas schwankend geworden, aber in dieser Polizeiverordnung findet sich der Passus: „Ausnabinen können ir den Landes polizeibezirk Berlin von dem Poltzeipräsidenten von Berlin gemacht werden“. Dieser Irrtum ist dadurch entstanden. daß eine Berliner Polijeiverordnung in Hannover einfach abgeschrieben worden ist. Alle diese Dinge entsprechen nicht den Anschauungen unserer Zeit als Trägerin eines konstitutionellen Staatswesens ünd einer beispiellosen wirtschaftlichen Entwicklung. Gecshüber der frelen, vom Staate nicht geförderten beispiellosen wirtschd ichen Entwicklung in Lanzwirtschaft, Handel und Industrie ist Hisere Verwaltung zurückgeblieben. Selbstverständlich können locir auf unsere Entwicklung im ganzen stolz sein, aber darum können wir doch einzelne Punkte schildern, wo wir noch rückständig sind. Da ist es doch Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Es besteht eine tiefe Kluft zwischen diesen Anschauungen. Gewiß müssen wir erhalten, was wir von den Vätern bekommen haben, aber was morsch ist, müssen wir ausmerzen. Wir müssen Luft und Licht hineinbringen,

damit das Volk wohlgemut dem Staate gegenübersteht, wir müssen

die Freudigkeit zum Staate heben. Das tun wir nicht, indem wir alle die Beschränkungen, die nicht notwendig und nicht verträglich sind mit dem Volksleben, aufrecht erhalten. So müssen wir den

Geist weiter pflegen, der vor hundert Jahren durch das Volk ging

und von Stein und Hardenberg angeregt worden ist. Der Staat muß das belebende Moment für das Volk sein, aber die Staatsver⸗ waltung, wie sie jetzt ist, ist beengend und hemmt das Volk, daß es sich nicht entwickeln kann. Die freien Volkskräfte müssen immer mehr vorwärts schreiten, um uns weiter zu führen und groß zu machen. Dazu muß sich die Verwaltung, muß sich Form und Geist des Staates der neuen Entwicklung anpassen. Dieser Entwicklung wollen wir mit unsern Anträgen dienen. Damit verfolgen wir nicht ein einseitiges Parteiinteresse, son⸗ dern die Notwendigkeiten des preußischen Staates selbst.

Minister des Innern Dr. von Dallwitz:

Meine Herren! Es ist mir nicht möglich, und ich glaube auch nicht, daß es der Aufgabe der Staatzregterung entsprechen würde, jetzt am Schlusse der Legislaturperiode ausführlich auf die zum Teil programmatischen Anregungen und die sehr interessanten Ausführungen mehr theoretischer Art hier näher einzugehen. (Sehr richtig! rechts. Zuruf links: Theoretisch?) Ich werde mich daher auf einige Punkte beschränken, die mir zu Bemerkungen Anlaß geben. Der Herr Vor- redner hat mit besonderem Nachdruck die Entwicklung der Polizei⸗ verordnungen bei uns mißbilligt und die Einengung der persön⸗ lichen Freiheit, welche sich daraus ergibt, berührt. Ich kann mit ihm darin durchaus übereinstimmen, daß die Zahl der Polizeiverordnungen, und besonders jener Poltzeiverordnungen, welche von alters her sich in unsere Tage hinübergerettet haben, eine unnötig große ist, und daß es ganz außerordentlich erwünscht sein würde, die Zahl zu vermindern, auch auf eine Einschränkung in bezug auf den Erlaß neuer Polizeiperordnungen hinzuwirken. Sowelt dies im Verwaltungs⸗ wege möglich ist, ist es von mir geschehen. (Sehr richtig! rechts.) Der Herr Vorredner hat liebenswürdiger Weise auch anerkannt, daß meinerseits durch mehrfache Verfügungen das Bestreben bekundet worden ist, auf eine Einschränkung des Erlasses von neuen Polizei⸗ berordnungen hinzuwirken und die Beseitigung veralteter Verordnungen herbeizuführen. Ob der von ihm vorgeschlagene gesetzgeberische Weg besser zum Ziele führen wird, daß will ich heute dahingestellt sein lassen. Ich glaube, daß jedenfalls die von mir getroffenen Maß⸗ nahmen immerhin eine wefentliche Besserung herbeizuführen geeignet sein werden.

Der Herr Vorredner bat aber meines Dafürhaltens übersehen oder nicht genügend berücksichtigt, daß die große Zahl der neu zu er— lassenden Pollielpetordnur gen ganz wesentlich auf die stetig weiter⸗

gehende gewerbliche Entwicklung unseres Lebens zurückzuführen ist (sehr richtig! rechts), auf die wachsende Kompliztertheit und Schwierig⸗ keit unserer ganzen öffentlichen Verhältnisse, die es notwendig machen, regelnd einzutreten im Interesse gerade der schwachen, der minder mächtigen Teile der Bevölkerung, der Arbeiter (sehr richtig! rechts), daß das bei den gewerblichen Verordnungen, die in großer Zahl vom Reich erlassen worden sind, auch der Fall gewesen ist; und ich glaube, daß ein großer Teil der Klagen diesen Umstand nicht genügend berücksichtigt, und daß das Anwachsen der Polizeiverordnungen in neuerer Zeit ganz wesentlich auf diese steigende gewerbliche Ent⸗ wicklung und die dadurch herbeigeführten Notwendigkeiten zurück— zuführen sein dürste. .

Dann hat der Herr Vorredner das Wohnungsgesetz in den Kreis seiner Erörterungen gezogen. Hierzu Stellung zu nehmen, bin ich nicht in der Lage, da das Wohnungsgesetz im Staatsministerium überhaupt noch nicht durchberaten worden ist, das Staatsministerium dazu nicht Stellung genommen hat, und da das Wohnungsgesetz in einem anderen Ressort, im Handelsressort, ausgearbettet worden ist, sodaß es bei der Beratung meines Etats überhaupt nicht wohl hätte zur Sprache gebracht werden können. (Sehr richtig! rechts) Was den Uebergang der Wohnungspolizei an die Städte betrifft, über den der Herr Abg. Schiffer im Zusammenhange mit seinen Ausführungen über das Wohnungsgesetz gesprochen hat, so möchte ich ihm entgegen halten, daß in einem weltgehenden Umfange die Wohnungspoltzei an die Kommunen übertragen ist; es gibt eine große Anzahl von Kommunen, die die staatliche Wohnungspolizet haben; es kann aber in einer großen Monarchie wie Preußen nicht, wie das in den kleineren Staaten geschieht, die der Herr Abg. Schiffer angeführt hat ich glaube Baden, Württemberg nannte er (Zuruf links: Oesterreich!) alles ganz gleichmäßig behandelt werden. Dazu sind die Verhältnisse bei uns zu verschieden. Vor allen Dingen möchte ich ihn darauf hin— weisen, daß die Notwendigkeit, in größeren und ganz großen Städten die Sicherheitspolizei in den Händen des Staats zu behalten aus Gründen, die ja wohl einleuchtend sind und die näher darzulegen ich nicht notwendig habe es nicht möglich erscheinen läßt, in ganz großen Städten bei dem engen Zusammenhang der Wohnungs- und der Sicherheitspolizei die Wohnungspolize! den Kommunen ohne weiteres zu übertragen. Genügende Kautelen, daß nach dieser Richtung hin die Sicherheitspolizei nicht leiden würde, sind bis jetzt jedenfalls noch nicht gefunden worden. Wenn der Herr Abg. Schiffer dann seinerseits betont hat, daß es sich nicht darum handle, die Auf⸗— sichtsbefugnisse der Aufsichtsbehörden den Kommunen gegenüber im einzelnen zu regeln, sondern daß es sich um den Erlaß eines all⸗ gemeinen kommunalen Aufsichtsgesetzes handle und daß dies unbedingt notwendig sei, weil eine Bebormundung der Kommunen seitens der staatlichen Aufsichtsbehörden platzgreife, die eine Einschränkung und Begrenzung dringend erheische, so muß ich ihm entgegenhalten, daß tatsächlich die allgemeine Aufsicht über die Kommunen seitens der staatlichen Aufsichtsbehörden seit Jahren von Jahr zu Jahr in sehr viel geringerem Maße ausgeübt worden ist, und daß je größer und lelistungsfähiger und auch innerltch, auch geistig potenter die betreffenden Kommunen werden, desto mehr die staatliche Aufsicht in ihrer Aus⸗ übung eingeschränkt worden ist. Ich kann ihm versichern, daß den größeren Städten gegenüber von einer Ausübung der allgemeinen kommunalen Aufsicht überhaupt nicht die Rede sein kann. (Widerspruch links.) Nein, meine Herren, sie aber wesentlich zu beschränken oder ganz fallen zu lassen, auch kleineren, kleinsten Gemeinden gegenüber, das, glaube ich, würde im Interesse gerade dieser Kommunen unter Um ständen recht bedenklich sein. (Sehr richtig! rechts Nun würde ich durchaus nichts dagegen einzuwenden haben, wenn es möglich wäre, eine zweckmäßige Umgrenzung des Begriffes der allgemeinen kommu— nalen Aufsicht zu finden. Aber gerade der Herr Vorredner, der doch den Beratungen der Immediatkommission beigewohnt hat, wird mir recht geben, daß außerordentliche Schwierigkeiten nach dieser Richtung hin bestehen und daß es bisher noch nicht gelungen ist, diese Schwierig⸗ keiten in befriedigender Weise zu lösen. Immerhin will ich ihm die Versicherung geben, daß ich jedenfalls bestrebt sein werde, dafür zu sorgen, daß die allgemeine Aufsicht den Kommunen gegenüber mit tun⸗ ichster Zurückhaltung ausgeübt werde.

Der Herr Vorredner hat schließlich und das ist auch der Hauptanlaß dafür gewesen, daß ich soeben das Wort erbeten habe behauptet, die Stellungnahme der Staatsregierung zur Wahlrechtsreform sei mit der Thronrede vom Jahre 1908 wohl nicht vereinbar. Ich kann nur annehmen, daß er zu dieser Auf⸗ fassung dadurch geführt worden ist die ja auch meines Dafür haltens von dem Herrn Abg. Dr. Friedberg vor zwei Tagen gleich⸗ falls geäußert worden ist —, daß er mißverständlicherweise ange⸗ nommen hat, daß ich in meinen Ausführungen bei der zweiten Be⸗ ratung des Etats und vor zwei Tagen ganz pure und a limine mich gegen jede Wahlrechtsreform ausgesprochen hätte. Das ist ein Miß— verständnis. Ich habe namentlich in meinen Ausführungen vor zwei Tagen die Wahlrechtsreform überhaupt nicht erwähnt. Ich habe, lediglich veranlaßt durch die Ausführungen des Herrn Abg. Leinert, meinerseits dargelegt, daß und warum die Einführung des Reichstags⸗ wahlrechts für die Landtagswahlen nicht in Frage kommen könne und daß vielmehr an einem abgestuften Wahlrecht in Preußen festgehalten werden müsse. Zur Wahlrechtzreform im allgemeinen Stellung zu nehmen, hatte ich jetzt am Schlusse der Legislaturperiode keinerlet Anlaß (Heiterkeit links), um so weniger, als die Stellungnahme der Staatsregierung von mir wiederholt in ganz unmißverständlicher Weise hier in diesem hohen Hause vorgetragen worden ist. Ich kann darauf hinwelsen, daß ich beispielswelfe im vorigen Jahr in Erwiderung auf Ausführungen des Herrn Abg. Pachnicke ausgeführt habe:

Nach seinen Ausführungen wie auch schon nach früheren Auß⸗ führungen könnte es beinahe den Anschein erwecken, als ob die Staatsregierung nicht ernstlich bemüht gewesen sei, die in der Thronrede vom Jahre 1908 angekündigte Absicht einer organischen

1913.

Fortentwicklung des bestehenden Wahlrechts zu verwirklichen, als ob insbesondere die im Jahre 1919 von der Staatsregierung eln⸗ gebrachte Wahlrechtsvorlage eine Ausführung der in der Thronrede angekündigten Absicht nicht enthalte. Meine Herren, um einer Legendenbildung vorzubeugen, will ich ausdrücklich feststellen, daß der im Jahre 1910 eingebrachte Wahlrechtsentwurf vollkommen den Intentionen der Thronrede von 1908 (hört, hört! bei den Sozial⸗ demokraten) und den zu ihrer Erläuterung von dem Herrn Ministerpräsidenten abgegebenen Erklärungen entsprochen hat. Nachdem nun der in Ausführung der Thronrede von 19608 von der Staatsregierung eingebrachte Wahlrechtsentwurf an dem Widerstreit der Meinungen in diesem hohen Hause gescheitert ist, muß die Königliche Staatsregierung das Recht für sich in Anspruch nehmen, nach pflichtmäßigem eigenen Ermessen darüber zu befinden, wann ihr der Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Wahlrechtsverhandlungen gekommen zu sein scheint. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.)

Wenn Herr Abg. Friedberg diese Stellungnahme als ein Zelchen der Schwäche bezeichnet (fehr richtig! bei den Sozialdemokraten), so muß ich dem widersprechen. diese Stellungnahme vielmehr durchaus berechtigt und begründet ist, das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß beispielsweise, wie die Verhandlungen des national⸗ liberalen Parteitags in Hannover erst kürzlich deutlich dargelegt haben, selbst innerhalb der nationalliberalen Partei die Ansichten über die bei einer Wahlrechtsform zu verfolgenden Zwecke und Ziele in keiner Weise geklärt sind. (Sehr gut! Große Heiterkeit und lebhafter Beifall rechts und im Zentium Lachen und Zurufe links Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Freiherr von Gamp⸗Massaunen (freikons.): Der Illusion⸗ daß die Nationalliberalen in den Kommunen die Selbstverwaltung eingeführt hätten, muß ich energisch entgegentreten. Ich bedaure, daß der Kollege Schiffer solch schlechtes Gedächtnis hat. Es sollte doch bekannt sein, daß unsere Partei den größten Anteil an der Einführung der Selbsiverwaltung hat. Sie (zu den Nationalltberalen) haben an der Sache nur ein sehr geringes Verdienst. Kollege Schiffer, ich habe das alles miterlebt, Sie nicht. Es wird gesagt, es müßte der Wille des Volkes in der Gesetzgebung mehr zum Ausdruck gebracht werden. Ich hätte gewünscht, daß der Wille des Volkes, mit Ausnahme der Sozial⸗ demokratie, in bezug auf den Schutz der Arbeitswilligen durchgeführt worden wäre. Aber Sie hatten nicht den Mut, für die Arbeitswilligen einzu⸗ treten. (Zwischenruf des Abg. Dr. Friedberg.) Ich verbitte mir das, Kollege Friedberg, von einer unwahren Darstellung ist keine Rede. Die Nationalliberalen sagten, sie wären ja mit dem Schutz der Arbeitswilligen einverstanden, aber das dürfe nicht im Wege der Gesetzgebung geschehen. Sie stützen sich auf das in Zukunft zu er⸗ wartende Strafgesetzbuch. Ich stimme dem Abg. Schiffer darin bei, daß die Regierung der Selbstverwaltung der Siädte mehr die Zägel lassen solte. Ich bitte den Minister um Auskunft darüber, ob eine Gemeinde, die im Austtgge der Regierung Arbeiten vornimmt, eine Entschädigung dafür erhält. Der Westpreußische Städteberein hat ein sehr ausgiehiges Material über die Beantwortung dieser Frage gesammelt. Ich kann dies dem Minister nur empfehlen. Es ist nicht zu leugnen, daß eine große Ungleichheit in der Belastung der Gemeinden besteht. Aber noch viel schlimmer ist die Belastung der Gemeinden, die durch Anregung von Staatsbehörden veranlaßt wird. Auf diesem Gebiete werden viellach Anforderungen gestellt, die die Gemeinden geradezu ruinieren. Auch darin stimme ich dem Abge⸗ ordnelen Schiffer bei, daß eine Vereinfachung der Verwaltung durch⸗ aus geboten ist. Ich freue mich über die Anregungen, die er in dieser Beziehung gegeben hat. Ich stehe da voll und ganz auf seinem Boden. Es dürfte bekannt sein, daß der Minister sich mit der Absicht trägt, durchgreifende Aenderungen des Kommunalsteuergesetzes in die Wege zu leiten. In welchem Stadium sich diese Materie zurzeit befindet, ist mir nicht bekannt. Ich habe mich in einer Eingabe an den Minister gewandt, aber er hat mir darauf noch nicht geantwortet. Ich hoffe, daß meine Rede dazu beitragen wird, meiner Bitte eine günstigere Aufnahme zu verschaffen. (Zwischenruf des Abg. Hoffmann). Wenn Sie, Abg. Hoffmann, weniger ieden würden, würde ich häufiger herkommen. Das kommunale Steuergesetz bedarf dringend der Abänderung, vor allem ist es ein ganz unhaltbarer Zustand, daß man den Begriff „Wohnsitz“' im Einkommensteuergesetz anders auslegt, als im Bürger⸗ lichen Gesetzbuch. Das hat manche Unzuträglichkeiten im Gefolge. Seit Errichtung der Verfassung werden die Abgeordneten von der Berlin zu den Kommunalabgaben herangezogen. Dadurch werden die Gemeinden und Kreise, wo die Abgeordneten ihren eigent⸗ lichen Wohnsitz haben, benachteiligt. Ganz besonders bedauerlich ist, daß die Stadt Berlin den Grundsatz der Gleichmäßigkeit bei der Ver⸗ anlagung der Abgeordneten verletzt; denn namentlich die Mitglieder der konservativen Parteien werden von der Stadt Berlin zu den Kommunalabgaben herangezogen. Ich muß jedenfalls feststellen, daß eine Reihe von Abgeordneten, die nicht der tonservativen Partei angehören, nicht zur Steuer veranlagt sind. Damit hat die Stadt das Gesetz verletzt. Zu meinem Bedauern hat der Minister keine Veranlassung gefunden, den Magistrat von Berlin auf die Pflicht, alle von der Steuer Betroffenen gleichmäßig nach festen Grundsätzen heranzuziehen, aufmerksam zu machen. Ich vertrete keineswegs das Interesse der Abgeordneten, sondern das Interesse der Gemeinden und. Kreise, die dadurch auf das empfindlichste geschädigt werden. Auch finde ich darin eine große Ungerechtigkeit, daß die Stadt Berlin den Abgeordneten, die sich eine eigene Wohnung halten wollen, so große Schwierigkeiten macht. Ich bitte den Minister, eine Bestimmung ins Kommunal- steuergeseg aufzunehmen, wonach die Bestimmung, daß die Steuer⸗ pflicht nach einem dreimonatigen Aufenthalt in der Stadt be⸗ ginnt, auf die Mitglteder von Parlamenten keine Anwendung findet. Von Steueifreiheit ist hier keine Rede, denn jeder Staatsbürger hat ja sein volles Einkommen auch bei den Kommunen zu besteuern. Ich muß z. B. in Ostpreußen 115 0, Einkommensteuer zahlen und außer⸗ dem auch noch in Berlin für die Zeit meines Aufenthaltes. Das Gesetz muß auch nach der Richtung hin geändert werden, daß den Kommunalbehörden untersagt wird, die Steuer zwangsweise einzuziehen, wenn der betreffende Zensit schon in einer anderen Gemeinde die Steuer bezahlt hat und über die Veranlagung ein Rechtsstreit schwebt. Bei dieser Gelegenheit muß ich einen bedauerlichen Fall zur Sprache bringen, der sich im Jahre 19609 in Berlin ereignet hat. Ein Zensit war von der Stadt Berlin unberechtigterweise zu den Kommunal- abgaben herangezogen worden, obgleich er schon in anderen Kreisen veranlagt worden war. Der Zensit erhob gegen die Veranlagung Einspruch, und der Magistrar erkannte auch die Berechtigung des Einspruches an, er erklärte sich bereit, zwei Drittel der gezahlten Steuer zurückzuzahlen, wenn der Zensit seinen Anspruch auf die volle Zurückerstattung des Betrages fallen lasse. Ein solches Verfahren muß aufs schärfste verurteilt werden. Welche Verwirrung muß es in den Budgets der Gemeinden, besonders in den Budgets der ichen und Schulvorstände, verursachen, wenn z. B. nach einer Reihe bon Jahren die Veranlagung duich eine Gatscheldung der Verwaltung⸗ behörden umgeworfen wird. Unter allen Umftänden muß dersenige,

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