1913 / 101 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 29 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

mobile Kapital sei bei der direkten Steuer gegenüber dem Grundbesitz bevorzugt. Die englische Geetzgebung hat den Steuersatz für den Grundbesitz entsprechend niedeiger bemessen. Graf Kanitz hat in einem Vortrage betont, daß das ganze Einkommen aus dem land⸗— wirtschaftlichen Betriebe umbarmherzig herangezogen worden ist, die Steuerschraube wird auf das stärkste angezegen. Die Kapitals und Vermögensbildung wird hierdurch sehr erschwert. Der Ertragswert eines Grundstücks wird durch Witterungskelamifäten oft in Frage gestellt. Der Redner führt aus seiner Praxis verschiedene Fälle über die steuerliche Be⸗ lastung in seiner Heimat an, aus denen heivorg ht, daß ein Besitzer 4) 00 seineg Einkommens an direkten Steuern und Abgaben zu zahlen hatte. Er selbst zahle für ein Gut von 4000 Morgen, das keine großer Erträge abwerfe, das nur einen Pachtwert von 6 S pro Morgen

habe, eine so hobe Summe. daß dles einer Konfiskation gleichkomme.

Hier müsse Wandel geschaffen werden. Die von ihm angeführten Zahlen seien bisher richt widerlegt, worden. Die Grundlage einer jeden Besteuerung müsse sein, daß ein j dec Zensit nach seiner Kraft und Leistung herangezogen werde und so zu den allgemeinen Bedürfnissen beitrage; aber man müsse die Grundlage der Präsentationsfähigkeit schonen, denn schlleßlich sei es unmöglich, Steuern zu zahlen. Der landwirtschaftliche Osten habe hoh? Kommunallasten zu tragen. Königsberg zahle 200 Zuschläge, der Berliner Grunewald 50 fo. Daher auch die starke Abwanderung aus dem Ofen. Man stehe vor einem neuen Bankrott, jetzt nach 109 Jahren sei eine ernste Prüfung der Sache am Platze; Geschenke verlange er nicht.

Dr. Freiherr von Rheinbaben: Die Ausführungen des Vor— redners erinnerten mich an den wiederholten Meinungsaustausch, den ich an einer anderen Stelle mit ihm zu führen hatte. Ich bin goöttlob nicht verpflichtet, amtlich auf alle Einzelheiten einzugehen. Die schwere Belastung durch Steuern und namentlich durch die Schule e kenne ich an. Ob aber wirklich 40 , des Einkommens im Qsten an direkten Steuern gejahlt werden, kann ich nicht kontrollieren. Ich begreise da nicht, wie die Steigerung der Bodenpreise möglich ist bei der Uebergabe der Grund⸗ stücke von der einen Hand in die andere. Diese steigenden Güter— preise werden doch nicht nur von Industriellen, sondern auch von Landwirten gezahlt. Die Hebung der Landwirtschaft bezieht sich doch auch auf den Osten, und es kann nicht das Selbstvertrauen heben, wenn man von einem Bankrott spricht. In England ist die Landwirtschaft viel höher belastet als bei uns. Der Anbau von Getreide in England ist außerordentlich zurück— gegangen. Nur ein Siebentel dez benötigten Weizens wird im Lande erzeugt, die Pachtverträge werden immer auf ein Jahr abgeschlossen. Eine Stärkung der Landwirtschaft bei einem Zollschutz für die Land wirtschaft versseht sich natürlich von selbst. Der Vorredner hat gemeint, ich hätte schon als Finanzmininer Erziehungsversuche an ihm gemacht. Nach dem heutigen Vorgange maß ich sagen, daß diese Erziehungsversuche leider vergeblich waren. Eine Schärfe der Polemik hat mir fern gelegen, somit eln persönlicher Angriff. Ich werde nur die scharfe Kritik gegenüber dem verehrten Herrn Wagner nicht unbeantwortet lassen. Ich verstehe nicht, wie Graf, Mirbach in den Ausführungen von Exrzellen; Wagner irgend eine Kränkung sehen konnte. Dieser meint“, daß die indirekten Steuern bei uns sehr wohl eine Steigerung erfahren könnten, dabei müsse aber auch eine Erhöhung der direkten Steuern erfolgen. Er hat bel seinen letzten Ausführungen klar gestellt, daz er eine direkte Besteuerung nicht durch das Reich, sondern durch die Einzel. staaten wolle. Mit einer direkten Reichs zesteuerung würde allerdings die Finanzselbständigkeit der Einzelstagten gefäbrdet. Exzellenz Wagner hat nur gesagt, daß alle Klassen und Stände opferwillig sein müßten. Die Gegenüberstellung von Bismarck und Bebel mußte die Anschauung lebendig werden lassen, daß Graf Mirbach Exzellenz Wagner nicht auf der Seite Bismarcks stehend ansehe. Ich bin erfreut, daß diese Deutung nicht der Absicht des Grafen Mirbach entspricht.

Finanzminister Dr. Lentze:

Meine Herren! Herr Graf Mirbach hat in seinen letzten Aus⸗ führungen eine Reihe von Tatsachen angeführt, die ich unmöglich ohne weiteres hier widerlegen kann. Aber auf eins halte ich mich doch verpflichtet einzugehen, weil Herr Graf Mirbach da bestimmte Zahlen genannt hat. Herr Graf Mirbach hat ein Rechenexempel aufgemacht, wonach der ostpreußische Landwirt unter Umständen mit 40 0 seines Einkommens belastet ist. (Graf von Mirbach: Unter gewissen Voraussetzungen! Ich will dieselben Voraussetzungen ruhig bestehen lassen. Ich bin nicht in der Lage gewesen, die einzelnen Positionen sämtlich so schnell notieren zu können, aber schon einzelne bergen so offenbare materielle Irrtümer in sich, daß ich Sie sofort überzeugen kann, daß Herr Graf Mirbach irrt. Ich möchte vorausschicken: wenn man von der Besteuerung sprechen will, so muß man doch einen festen Begriff zugrunde legen, und der Begriff, der zugrunde gelegt werden muß, ist das Einkommen, und zwar das Reineinkom men. Unser Einkommen wird verst⸗uert nach Abzug bestimmter Unkosten, die durch das Steuergesetz als abzugsfähig bezeichnet sind. Nun sagt also Graf Mirbach: Unter den bestimmten Voraussetzungen hat der Betreffende zu zahlen 30/9 von seinem Einkommen als Staatseinkommensteuer. Das ist zutreffend. Ferner: 1 bis Ho seines Einkommens als Er⸗ gänzungssteuern. (Graf von Mirbach: 13!) Ich habe deutlich gehört: bis 5oö/ y. (Graf von Mirbach: manchmal bis 50) Auch anderthalb Prozent ist schon hoch gegriffen. Denn die Er— gänzungssteuer beträgt einschließlich der Zuschläge (, 66 0 vom Vermögen. Wenn man das umrechnet in die Einkommensteuer, so gibt das etwa 1) 00.

Dann hat Herr Graf von Mirbach gesagt: 9o / des Einkommens aus dem Grundbesitz. Meine Herren, hier sitzt ein ganz eminenter Fehler, ein Kardinalfehler. Er rechnet hier mit einem Faktor, der überhaupt nicht additionsfähig ist in der Reihe der anderen Faktoren, denn bei der Grundsteuer handelt es sich nicht um elne Einkommen— steuer vom Grundstück. Unsere Grundsteuer ist bekanntlich ein für allemal festgesetzt, sie wird nicht von dem jeweiligen Grundeinkommen erhoben. Sie ist veranlagt worden Anfang der 60 er Jahre, und zwar ist der Reinertrag veranlagt worden nach den Naturalerträgen, berechnet nach den Martini⸗Durchschnittsmarktpreisen des zuständigen Marktorts für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse während des Zeitraums der Jahre von 1837 bis 1860 unter Weglassung der zwei teuersten und der zwei wohlfeilsten Jahre. Der damals hiernach berechnete Grundsteuerreinertrag wird mit 90½ besteuert, er hat sich inswischen aber in einer Weise erhöht, daß die Ro / gegenüber dem Einkommen höchstens noch 1 0, oder 20/0 vom Einkommen ausmachen. Also die Summe von 9oso kann man in diesem Falle überhaupt nicht einstellen, da die Grundsteuer keine 90/7 vom Einkommen ausmacht, sondern ganz erheblich niedriger ist. (Graf von Mirbach-Sorquitten: Aber bei der Ver—= schuldung bis zur Hälfte statt 4 doch wieder 90/0!) Mit dieser Zahl kann man gar nicht operieren.

Dann hat Herr Graf Mirbach die Invalidenrenten mit ein⸗ gerechnet. Meine Herren, die Werbungskosten werden bei der Land⸗ wirtschaft von dem zu versteuernden Einkommen abgezogen; die Alters. und Invalidenversicherungsbeiträge sind Werbungskosten. Yiit demselben Rechte könnte Herr Graf Mirbach auch die Löhne der Aibeiter, die er beschäftigt, mit einrechnen, denn sie werden ihm auch abgefordert und er muß sie von der Bruttoeinnahme bezahlen. Aber bei der Versteuerung des Nettoeinkommens darf er sie nicht

mitberechnen. So geht das ganze Rechenexempel weiter; wenn man die Zihlen nicht hineinbringt, die gar nicht in das Exempel hinein⸗ gehören, dann kommt man zu einer erheblich geringeren Besteuerung. Ich gebe zu, daß an sich die kommunale Besteuerung sehr groß ist und glaube auch, daß die Provinz Ostpreußen ihre ganz besonderen Schwierigkeiten hat. In der Provinz Ostpreußen ist die geographische Lage, das Klima usw. alles mit zu berücksichtigen und die Einwohner dieser Provinz stehen allerdings schwierigen Verhältnissen gegenüber. Aber wenn Herr Graf Mirbach sagt, die Provinz Ostpreußen ist mit Steuern in dieser Weise überlastet, so ist es absolut unzutreffend, denn die Zahlen, die sein Rechenexempel enthält, sind zum größten Teil falsch.

Ich habe in diesem Jahre Gelegenheit gehabt, die Provinz Ost⸗ preußen persönlich zu besuchen; ich bin eine Neihe von Tagen duich die Provinz hindurchgefahren und habe mir alles genau angesehen. Da habe ich zu meiner Freude gefunden, daß die Provinz Ostpreußen in hohem Maße aufgeblüht ist und daß alle die reichen Staatsmittel, die zur Hebung der Probinz Ostpreußen in den vergangenen Jahren flüssig ge⸗ macht worden sind, durchaus gut angewendet worden sind, denn die Provinz ist tatsächlich in die Höhe gekommen. Ich habe aber auch datz gefunden, meine Herren, daß da, wo die Staatemittel besonders reichlich verausgabt worden waren und die Landeskultur dadurch wesentlich gehoben worden war, eine außerordentliche Fluktuation der Bevölkerung eingetreten und der Grundbesitz mobilisiert worden ist. Die Einzelnen, welche durch die Melioration Vorteile erhalten haften, haben verkauft, und das habe ich außerordentlich bedauert. Meine Herren, gerade Ostpreußen würde sehr viel besser daran sein, wenn die Bevölkerung bodenständig bliebe und die Königliche Staatsregierung wird jedenfalls alles tun, um die Provinz Ostpreußen noch weiter zu fördern. Aber ich muß von vornherein erklären: eine Rechnung zu⸗ gunsten der Provinz Ostpreußen, wie sie hier Herr Graf Mirbach aufgestellt hat, ist unzutreffend und kann ohne Widerspruch nicht in die Welt hinausgehen. (Bravo!)

Graf von Mirbach: Ich halte meine Berechnungen aufrecht und werde dem Minister das darauf bezügliche Material einreichen. Ich werde für die Interessen der schwer bedrohten Landwirtschaft des Ostens immer kämpfen, gleichviel, ob ich bei hohen Staatsbeamten irgendwie Mißfallen errege.

Ueber den Etat der Verwaltung der Zölle und in⸗ direkten Steuern berichtet derselbe Berichterstatter Herr Dr. Oehler.

Der Etat passiert ohne Debatte, ebenso der Etat der Lotterie verwaltung.

Nachträglich erwidert ein Regierungskommissar auf die beiden Spezialfragen, die Graf von Mirbach beim Etat des Finanz⸗ ministeriums an die Regierung gestellt hatte, daß ein Teil der Benutzung der Wagenpferde zu wirtschaftlichen Zwecken als Werbungskosten abzugsfähig sei. Der Regierungsvertreter gibt dann noch Auskunst über das Verfahren bei der Berechnung der Abnutzungsquore bei Grundstücken zur Berechnung der Grund— steuer und verweist dabei auf eine Entscheidung des Oberverwaltungs— gerichts.

Der Etat der Königlichen Seehandlung, der Etat der Münzverwaltung, der Zuschuß zur Rente des Kron— fideikommißfonds und der Etat der Staatsschuldenverwaltung rufen eine Debatte nicht hervor.

Beim Etat des Herrenhauses bemerkt

Graf von Hutten⸗Ezapski: Das Abgeordnetenhaus hat für seine Mitglieder freie Fahrt auf preußischen Bahnen für die ganze Legislaturperiode beantragt. Vom Standpunkt des Herren⸗ hauses möchte ich weder diesen Vorschlag noch irgend einen ähnlichen empfehlen. Ich verlange keine freie Eisenbahnfahrt für die Mitglieder des Herrenhauses, wohl aber muß gefordert werden, daß, wenn eine solche den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses gewährt wird, sie auch den Mitgliedern irgend einer anderen gesetzlichen Körperschaft gewährt wird. Wir können jedenfalls ein Entgegenkommen der Regierung auf diesem Gebiete weder verlangen noch annehmen.

Bei dem Etat der allgemeinen Finanzver⸗ waltung weist der

Berichterstatter Herr Dr. Oehler darauf hin, daß in der Kommission Beschwerden namentlich aus städtischen Kreisen über die Reichswertzuwachssteuer erhoben worden sind. Besonders schwer werde der Umsatzstempel empfunden, der in Höhe von 13 erhohen wird. Mindestens müsse das zoo fortfallen, damit wieder Geschäfte mit Grundstücken gemacht werden können.

Dr. Graf Horck von Wartenburg: Exzellenz Wagner hat gestern betont, daß es wohl kein Mitglied dieses bohen Hauses gibt, welches nicht bereit wäre, freudig jedes Opfer für unser Vaterland zu bringen. Nach diesen Wonten verzichte ich auf die Betonung der gleichen Gesichtspunkte. Gewiß ist der Friede ein schätzenswertes Gut, aber er ist nicht das höchste Gut. Ich würde es im Interesse unserer Nation nicht beklagen, wenn wir jetzt dazu berufen würden, unsere Stellung in Europa mit dem Schwert zu wahren. Der Reichskanzler hat die Frage aufgeworfen, wer der Er⸗ finder der großartigen Idee des Wehrbeitrages sei. Er hat sich für Staatssekretär Kühn entschieden. Der Reichskanzler irrt. Der Er⸗. finder ist der König Servius Tullius. Man müßte also diesem Könige ein Denkmal in Berlin errtchten. Finanzielle Opfer können gebracht werden und müssen gebracht werden, wenn es die Staatsnotwendigkeit erheischt. Aber man sollte doch bei allen Opfern, die in Gestalt von Steuern erhoben werden sollen, sorgfältig prüfen, ob sie dem ethischen Empfinden und der historischen Entwicklung des Volkes entsprechen. Leider scheint die Regierung bei der geplanten Erweiterung des Erb⸗ rechts des Staates diesem Gesichtepunkt nicht Rechnung getragen zu haben. Es ist ja richtig, daß sich hervorragende Männer der Wissen⸗ schaft im Sinne dieser Vorlage ausgesprochen haben. Ich will auch zugeben, daß diese Vorlage den Anschauungen weiter Keeise unseres Volkes entspricht. Dies wird auch gleich zuerst in der Begründung der Vorlage angeführt. Aber ich halte es doch für durchaus unrichtig, daß man das Erbrecht in der Art umgemodelt hat, daß sp zifi che und spezielle Nutzeffekte erreicht werden. Es ist nicht zu leugnen, daß die ethischen Beziehungen der Grund und die Quelle des Erhrechts sind. Aber hier bei der Vorlage hat man doch die ethischen Gesichtspunkte verletzt. Es geht nicht an, daß die Reichsregierung, welche berufen ist, Hüter der Kontinuität des Rechts zu sein, hier auf einmal diese Kontinuität unterbricht. Ich halte die gegenwärtige Ordnung des alten Erb— rechtes nicht für sozusagen heilig. Aber darauf darf man doch Anspruch erheben, daß man dann, wenn Aenderungen am Bürger— lichen Gesetzbuch vorgenommen werden, moralisch vorgeht. Ich bin überzeugt, daß, wenn die Erbrechtsvorlage Gesetz wird, sich eine ganze Reihe von Prozessen zwischen Staat und Erben daran kaüpfen wird. Ich hoffe, daß, wenn diesmal der Gesetzentwurf im Reichstage ab— gelehnt wird, daß dann Preußen im Bundesrat dahin wirkt, daß eine ähnliche Vorlage nicht wiederholt wird.

Herr Dr. von Dziembowski: Den Anfanas⸗ und Schluß⸗ worten des Vorredners kann ich nur beitreten. Die Folge jenes Gesetzes würde eine Abnahme der Testamente sein. Die Fähigkeit zu testieren ist ein so unveräußerliches Recht der Persönlichkeit, daß jeder Eingriff sehr bedenklich ist. Ich halte also den Gedanken des Erbrechts des Staates für wenig empfehlenswert. Am Sonnabend ist gesagt worden, daß nicht indirekte oder direkte Steuern, sondern indirekte und direkte Steuern das Richtige sind. Ich möchte das unter⸗ schreiben. Jeder moderne Kulturstaat strebt mit Recht danach,

sein S'euersystem nach dieser Richtung zu entwlckeln. Die ge— machten Vorschläne sind nicht geeignet, beide Gebiete abzugrenzen. Die Einkommensteuer ist nicht von der Vermögenssteuer zu trennen. Exzellenz Wagner empfahl in erster Linie die Erbschafts⸗ steuer. Er sagte, die Bezeichnung der Steuer als Witwen- und Waisensteuer sel eine verwerfliche Phrase. Wir haben doch schon eine Reichserbschaftssteuer mit ziemlich hohen Sätzen bis zu 15060. Zweck, Ziel und Inhalt des 1909 vorgeschlagenen und jetzt befürworteten Weges ist die Heranziehung der Deszendenten und Ehegatten. Der Volksmund nennt das eine Witwen- und Waisensteuer. Diese Auf⸗ fassung, die in weiten Kreisen gehegt wird, wird sich auch durch Exzellenz Wanner nicht irre machen lassen. Man sagt, in England würden 300 bis 600 Millionen Mark aus der Erbschaftssteuer ge⸗ zogen. Die englische Erbschaftssteuer hat aber einen ganz anderen Zweck. Die Erbschaftssteuer ist eine primitive, veraltete Form der direkten Steuer, sie ist auch volkswirtschaftlich minimal, sie nimmt eine Quote des Vermögens und konsumiert sie für die Allgemeinheit. Sie wirkt nicht gleichmäßig, weil sie den einen Grundbesitz schärfer erfaßt als den anderen. Sie erfaßt zwar physische Personen stärker, aber nicht juristische Personen, in denen das Kapital von Jahr zu Jahr wächst. Warum werden die Aktiengesellschaften von einer Reichserbschaftssteuer freigelassen? Die Erbschaftssteuer hat ferner den großen Nachteil, daß sie die Steuerleistungsfähigkeit nicht be⸗ rücksichtigt, der Verwandtengrad hat mit der Skeuerleistungsfähigkeit nichts zu tun. Aber der wichtigste Einwand gegen die Steuer ist der, daß sie nichts bringt, selbst wenn man die Deszendenten und Ehegatten heranzieht. Wer tragt denn die Steuer? In Irland besteht schon elne solche Steuer, dort wird die Steuer aufgebracht von den kleinen Ver— mögen bis zu 500990 é, daraus folgt, daß ein tiefer Eingriff in die Kreise des Mittelstandes erfolgen muß. Dagegen möchte ich mich mit aller Entschiedenheit aussprechen. Daß Sie mit der Erbschafts⸗ steuer die Sozialdemokratie einschüchtern würden, glaube ich nicht, ich glaube, daß Sie ihr nur neue Anhänger werben würden. Das Reich zahlt den Hinterbliebenen der Arbeiter Witwen- und Waisenrenten. Jetzt soll den Witwen und Waisen der Handwerker usw. eine Steuer abgefordert werden. Eine zu hohe Anspannung der direkten Steuern, wie sie leider an manchen Orten Preußens, namentlich durch die Bundes staaten, stattfindet, hat zur Folge, daß so mancher Steuer⸗ groschen nur mit Kummer und Sorge gezahlt wird. Das ist der Grund der Steuerflucht nach den großen Städten, und daß eine all⸗ gemeine Abwanderung von den erwerbsfähigen Berufen Platz greift. Die realen Verhältnisse halten davon ab, die direkten Steuern über ein gewisses Maß anzuspannen. Das tritt ein, wenn das Reich die direkten Steuern an sich reißt. Die Bundes⸗ staaten werden dann nur noch gewissermaßen die Brockensammler des Reiches sein. .

Herr Dr. Wagner: Den Ausführungen des Grafen Vorck habe ich stets gern gesauscht. Ich habe viel von ihm gelernt. Auch in der Frage des staatlichen Erbrechts hat er einige Punkte hervorgehoben, die bisher zum Teil noch nicht so gewürdigt worden sind, als sie es verdienen. Ich bestreite, daß in der Frage des Erbrechts des Staates finanzielle Gesichtspunke eine große Rolle spielen, auch nicht bei der Regierung. Es handelt sich vielmehr um die Frage einer zweckmäßigen Gestaltung dieser Steuer. Es handelt sich hier, vom christlichen Standpunkte aus gesehen, nicht nur um die engere Familie, sondern um weite Kreise der Bevölkerung, um den ganzen Staatsverband. Daraus rechtfertigt sich auch eine umfassendere Erbschaftssteuer. Es kommen hier auch die weiten Kreise des Volkes in Betracht, die sich in einem Staat vereinigen. Historische Momente, auf die sich Graf Vorck bezog, ändern sich fortwährend. Solange die Familien früher in engerer Verbindung standen, war es begreiflich, daß auch die ärmeren Verwandten erben durften; beute ist das ganz anders ge— worden. Dazu kommt, daß die Verpflichtungen innerhalb des stamilienverbandes im wesentlichen fortgefallen sind, daß diese Ver⸗ pflichtungen auf den Staat übergegangen sind. Daraus ergibt sich auch, daß der Staat an die Stelle der entfernteren Verwandten tritt. Ich bin nicht der einzige, der diese Gedanken vertritt, andere haben es viel umfassender getan, so Justizrat Bamberger. Ich kann mich daher nicht überzeugen, daß die Gründe des Grafen Yorck maßgebend sind. Es entspricht den modernen Verhältnissen, daß der große Verband, dem wir für unsere Sicherheit des Lebens und Gedeihens so viel verdanken, uns näher rückt. Das ist keine radikale Forderung. Offenbar hat wiederum mein Tadel über das Wort „Witwen⸗ und Waisenbesteuerung“ Anstoß erregt. Es tut mir leid, aber es ist meine innere Ueberzeugung. Dieser Einwurf trifft im Grunde jede Steuer, auch die Einkommensteuer, und das schon bei meinen Lebzeiten und noch viel schärfer als die Erbschaftssteuer. Bei Todesfällen findet ja unvermeidlich eine Reihe von Regulterungen statt, die Erbschafts⸗ steuer gräbt da nicht tiefer ein. Ich kann mich nicht davon überzeugen, 33 ö. Reich in der Beschränkung des Intestaterbrechts auf falschem Wege ist.

391 Graf Jorck von Wartenburg: Ich danke dem Vorredner für die liebenswürdige Art, mit der der Vorredner meine Aus⸗ führungen behandelt hat. Ich kann nicht finden, daß die Vorlage weniger einen finanziellen Schlußeffekt im Auge hat als eine orga— nische Reform der Erbschaftssteuer. Dem widersprechen die Motive des Entwurfs. Ich habe mich nur gegen die Aenderung des Ver⸗ wandtenrechts im Zusammenhang mit Steuerfragen gewandt. Will der Reichskanzler eine organische Reform, so soll er sich erst mit Autoritäten auf diesem Gebiete in Verbindung setzen. Ich muß vor den Konsequenzen des Schrittes der Reichsregierung warnen.

Herr Körte⸗Königsberg: Es besteht ein wundersamer Gegensatz zwischen dem Eintreten der gesamten Nation für die Mehrforderungen, die an die Steuerkraft des Volkes gestellt werden, und der negativen Haltung dieses Hauses zur Erbschaftssteuerfrage. Wenn irgend eine Besitzsteuer geschaffen werden soll, so bleibt doch nur die Nationalsteuer im Sinne einer Deszendenten⸗ und Ehe— gattensteuer. Ich, stehe auf. dem Standpunkt des Vorredners, daß die Steuer christlich-sittlichen Anschauungen nicht widerspricht. Das Bedenken, daß die Aermsten dadurch getroffen werden, daß die Steuer zur Zeit der Not behoben werde, wird im Ernst nicht erhoben werden können, wenn die Gren;e richtig bemessen wird, Der Einwand, daß die Steuer nicht viel bringe, wenn man nicht tief in die Kreise des Mittelstandes hineingräbt, ist durch Be— weise nicht gestützt worden. Das Maß des Besitzes, des Wohl— standes im allgemeinen im Reich und Preußen ist so außerordentlich gewachsen, wie wir es vor Jahrzehnten kaum zu hoffen gewagt haben. Die Erbschaftssteuer der verbündeten Regierungen wird viel größere Erträge liefern, als sie selbst glauben. Ich kenne keine Steuer, die so sittlich und gerecht wäre, wie die Erbschaftssteuer. Ich würde es bedauern, wenn das Herrenhaus sich lediglich auf einen negativen Standpunkt stellen wollte. .

Dr. Freiherr von Landsberg: In der Presse von links wie auch in der sozialdemokratischen wird gesagt, der Großegrundbesitz sträube sich gegen die Erbschaftssteuer. Das üt ganz unrichtig. Die Opposition geht von den kleinen und mitileren Befitzern aus. Der westfälische Bauernbund hat sich einstimmig gegen die Erbschafts⸗ steuer erklärt. Wenn die Gesetzgebung auf die Erhaltung des Bauernstandes ein so großes Gewicht legt, fo ist es um so unbegreif⸗ licher wenn diesem eine solche Steuer auferlegt werden soll. Im Interesse des kleinen und mittleren Besitzes ist die Einführung dieser Steuer sehr bedenklich. Ich hoffe, daß es zu einer solchen Steuer nicht kommt. . .

Herr von Buch⸗-⸗Carmzow: Herr Körte sagte, es müßte nach außen einen schlechten Eindruck machen, wenn von dieser Seite Bedenken gegen das Projekt erhoben würden. Ich kann das nicht. zu⸗ geben Es handelt sich hier um 15 Millionen, und ich begreife nicht, weshalb die Regierung bei einer folchen Lappalle die Frage überhaupt angeregt hat. wir den Besitz belasten wollen, energisch belasten wollen, beweist die Bereitwilligkeit, mit der wir dem Wehrbeltrag zu⸗ gestimmt baben. Der Bundesrat hat übrigens eine Erbanfallsteuer nicht eingebracht. Diese Frage ist augenblicklich nicht brennend.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Dienstag, den 29. April

3 161.

Schluß aus der Cisten Beilage)

Wir bedauern. daß die Sache im Reichstag nicht ganz anders behandelt worden ist. Wir hahen es erleben müssen, daß auf die hochpatriotischen Ausführungen des Reichskanzlers gleich ein Sozialdemokrat geant⸗ wertet hat. Das muß schon kränken. Ich möchte dem Verfuch dringend entgegentreten, daß die Ausführungen des Grafen Yorck zu einer falschen Stimmungsmache ausgebeutet werden.

Herr Körte glaubt, mit seinen Ausführungen zu einer so scharfen Erwiderung keinen Anlaß gegeben zu . BPVerr Or. Waldeyer; In dem Streit zwischen der General— intendanz der Königlichen Theater in Berlin und dem Hofkapell— meister Weingartner ist wohl auf beiden Seiten gefehlt worden. Der ersteren kann man es ja nicht verdenken, daß sie ein wenig die Geduld verloren hat. Auf der anderen Seite ist aber zu berück— sichtigen, daß Weingartner sich nicht recht klar gewesen ist, welche Tragweite der mit ihm geschloffene Vertrag haben konnte. Es würde einen vornehmen Eindruck machen, wenn die General⸗ intendanz die Hand zur Versöhnung böte und von einer strengen Durchführung des Vertrages absähe. Schließlich möchte ich noch auf die hohen Preise der Königlichen Theater hinweisen, die den Besuch unserer Kunstinstitute wesentlich erschweren.

Herr Dr. Soetbeer⸗Glogau: Ich möchte dem Vorredner in bezug auf den Fall Weingartner beipflichten. Dieser Fall hat in Musikkreisen großes Aufsehen erregt. Juristisch mag der Fall zweifelhaft sein. Die maßgebenden Kreise würden sich aber ein großes Verdienst erwerben, wenn sie es bermieden, daß ein Mann von dem Range eines Weingartner auf Jahre hinaus von jeder Tätigkeit in Berlin ausgeschlossen ist.

Ueber den Etat der Handels- und Gewerbe⸗ verwaltung berichtet Herr Veltman-⸗Aachen.

Graf von Hutten-Ezapski weist auf die großen Schädigungen hin, welche kleine Bauern usw. durch den Zusammen— bruch einer Bank in Posen erlitten haben, die durch Annahme der Bezeichnung Provinzialbank“ den Anschein erweckte, als stände sie unter dem Schutz des Staates. Das Kammergericht habe sich dahin schlüssig gemacht, daß Eintragungen, die den Glauben erwecken können, als sei die Firma eine Veranstaltung des Staates oder einer Tommune, zu den unerlaubten Eintragungen gehören. Ob in diesem Falle eine Verschuldung vorliege, wolle er nicht untersuchen. Jeden⸗ falls solle die Regierung dafür sorgen, daß künftig derartige Fälle vermieden werden.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Der Fall, den der Herr Vorredner zur Sprache gebracht hat, ist auf anderem Wege auch zu meiner Kenntnis gekommen. Es handelte sich um eine Bank, die sich ‚„Provinzialbank Kommanditgesellschaft auf Aktien in Kolmar“ nannte. Der Handelsregisterrichter hatte diese Firma, die später, wie der Herr Vorredner mitgeteilt hat, in Konkurs geraten ist, im Handelsregister eingetragen und diesen Zusatz „Provinzialbank“ nicht für einen solchen erachtet, der geeignet sei, eine Täuschung über die Art und den Umfang des Geschäfts oder die Verhãaltnisse des Geschäftsinhaberg herbeizuführen. Die zuständige Handelskammer in Bromberg hätte die rechtliche Be⸗ fugnis gehabt, die Löschung dieser Firma beim Gerichte zu beantragen und hätte ihren Antrag eventuell bis zum Kammergericht verfolgen können. Sie hat das nicht getan, weil sie der Meinung war, daß jedermann aus der Bezeichnung „Kommanditgesellschaft auf Aktien“ ersehen könnte, daß es sich um ein privates Unternehmen handelte. Ich möchte glauben, daß diese Auffaffung nicht unbedenklich ist. Abgesehen davon, daß doch eine Beteiligung des Pro⸗ vinzialverbandes auch bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien möglich ist, würde, wie der Herr Vorredner mit Recht hervorgehoben hat, für jemand, der nicht besonders juristisch bewandert ist, der Schluß sehr nahe liegen, daß die Provinz doch an einer Bank, die sich Provinzialbank nennt, beteiligt sein müsse. Da nun das Kammergericht in mehreren ähnlichen Fällen solche Zusätze zu Namensfirmen wle Stadtmühlenwerke⸗ oder „Stadtbrauerei“ für unzulässig erachtet hat, wenn die Stadt nicht daran beteiligt war, so würde voraussichtlich ein Antrag auf Löschung im Instanzenwege einen Erfolg gehabt haben. Ich habe diese meine Auffassung der Handelskammer in Bromberg mitgeteilt und bin auch bereit, von dieser Verfügung den übrigen Handelskammern Kenntnis zu geben. Jedenfalls möchte ich glauben, daß die bestehende Gesetz⸗ gebung eine hinreichende Handhabe bietet, bei Benutzung der gegebenen Rechtsbehelfe in Zukunft solchen Vorkommnissen vorzubeugen.

Der Etat der Handels- und Gewerbeverwaltung wird genehmigt, ebenso der Etat der Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung und eine Reihe kleinerer Etats ohne Debatte. .

Ueber den Etat der Ju stẽizverwaltung berichtet Herr Körte.

Herr Dr. Hillebrandt⸗Breslau; Ich möchte die Auf⸗ merksamkeit der Regierung auf die Tatsache richten, daß in weiten Kreisen eine gewisse Erregung darüber besteht, daß jetzt Assessoren, die längere Zeit ün Dienste sind, von seiten der Justizverwaltung als für den weiteren Justizdienst ungeeignet bezeichnet und entlassen werden. Im Prinzip kann ich ja dem Minister zustimmen. Gewiß, die Justizverwaltung muß darauf achten, daß nur brauchbare Leute im Justijdienst angestellt werden, anderseits aber liegt doch darin, daß Hö- und It jährige Manner plötzlich entlassen werden, eine große Härte. Mein Wunsch geht nun dahin, daß man schon möglichst in früheren Jahren, z. B. in der Referendarzeit, mit der Aus merzung anfängt. Das juristische Studium dauert ja 35 Jahre und die Referendarzeit ist auf vier Jahre bemessen. In dieser Zeit werden ungefähr gegen 20 Zeugnisse über die Leistungen des Neserendar abgegeben. Nun meine lich, daß man schon während dieser Zeit erkennen könnte, ob der junge Mann sich zum Justizdienst eignet. Jedenfalls sollte man den jungen Leuten zur rechten Zeit sagen, daß sie fortgehen sollen. Ich bin der Meinung, daß diese Ausmerzung in der Wurzel geschehen müsse, und daß die Gymnasen sich auf ihre Pflicht besinnen müssen und schon hier eine gewisse Auswahl der Tüchtigssen erfolgt. Solange dies aher noch nicht geschieht, müssen wir uns darauf beschränken, diese Auslese beim Referendar⸗

examen stattfinden zu lassen. Ich bitte den Minister, die Härten, die sich , ö die 35. und 36 jährigen Leute plötzlich

entlassen werden, möglichst zu beseitigen. Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Auf die Ausbildung in der Zeit bis zum Neferendareramen, von der Herr Geheimrat Hillebrandt sprach, hat

die Justizverwaltung keine entscheidende Einwirkung. Unseren rulm— reichen Universitäten können wir diese Ausbildung auch ruhig an—⸗ vertrauen; denn wenn der Lehrplan einer Ergänzung bedarf, wird sie nicht ausblelben. Mittelbar übt die Justizverwaltung allerdings einen Einfluß aus; denn ihre Aufgabe ist es, für ein Examen zu sorgen, das ihr die Beurteilung ermöglicht, ob die Ausbildung den an einen Referendar zu stellenden Anforderungen genügt. Da das Examen zum Teil in den Händen der Universitäts⸗ lehrer liegt, die sich regelmäßig zur Hälfte der Mitglieder an ihm beteiligen, so wird hierdurch eine Wechselbeziehung zwischen den An⸗ forderungen im Examen und der Einwirkung, welche die Universitäts⸗ lehrer an den Universitäten üben können, hergestellt.

Der Herr Vorredner hat ferner hervorgehoben, es führe zu Härten, wenn jungen Männern, die sich schon eine Reihe von Jahren dem Justiz⸗ dienst hingegeben haben, eine Mitteilung gemacht würde, daß sie als für den Justtzdienst ungeeignet angesehen werden müßten, obgleich sie die beiden Examina bestanden haben. Zu diesen Eröffnungen mußten wir gelangen, weil sich nicht verkennen ließ, daß ein wahlloses An⸗ stellen derer, die nur die Formalltäten der Prüfungen erfüllten, vom Uebel sein müsse. Die Justizverwaltung sieht es als ihre Pflicht an, alle auszuscheiden, die nicht voll das leisten, was man von einem hohen Beamten, zu denen der Richter doch gewiß gehören muß, ver⸗ langen muß. Das ist im Interesse der Allgemeinheit eine Not⸗ wendigkeit. Die Justizverwaltung muß dafür sorgen, daß die an— gestellten Richter ihrer Aufgabe voll gewachsen sind. Wenn daz nicht geschleht, wenn man nachsichtig ist und oft bloß aus Mitleid sagt, es möge doch einmal versucht werden, so wird sich das später oft sehr schwer rächen, und die Verantwortung trifft dann die, durch deren Schuld der Richter angestellt worden ist. Ich halte es also für eine notwendige Pflicht, hier nicht falsche Milde walten zu lassen. We bei allen neuen Einrichtungen sich Härten und Schwierigkeiten er⸗ geben, so ist das auch hier der Fall gewesen. Daß die Assessoren gewissermaßen durch Ersitzung in die Aemter kamen, hatte den Brauch eingeführt, daß sie, auch wenn ihre Bewerbungen jahrelang erfolglos blieben, doch weiter warteten. Es ergab sich deshalb die Notwendigkelt, diejenigen von ihnen, welche die Richterlaufbahn gewählt und gar nicht daran gedacht hatten, daß sie einen verfehlten Weg eingeschlagen hatten, nachträglich hierauf aufmerksam zu machen. Wie gesagt, die Härten, die darin liegen, sind klar, und ich habe niemals daran gezweifelt, daß sie eintreten würden. Deshalb bin ich auch von vornherein darauf bedacht gewesen, sir möglichst zu mildern und, wenn es geht, mit der Zeit verschwinden zu lassen. Es ist ganz richtig, daß es am besten ist, den jungen Herren so früh wie möglich zu sagen, daß sie nicht geeignet sesen. Ez ist deshalb auch schon angeordnet worden, daß besonders auf die Referendare und ihre weitere Ausbildung von den stanzen geachtet werden soll. Ferner ist eine eingeführt worden, von ? der man sich vielleicht in dieser Richtung einen guten Erfolg versprechen kann. Sie besteht darin, daß wir jetzt bei den Gerichten durchweg Kurse zur Unter⸗ weisung und zur Fortbildung eingeführt haben und daß der Richter, der Kursusleiter ist, auch die Aufgabe und den Auftrag hat, sich über jeden einzelnen der ihm zur Ausbildung überwiesen Referendare ein Urteil zu bilden und, wenn er irgend welche Zweifel über die Be— fähigung des einen oder anderen hegen sollte, davon Mitteilung zu machen. Wenn sich diese Mitteilung bei weiterer Beobachtung, die dann besonders scharf sein wird, bewahrheiten sollte, so wird bereits dem Referendar gesagt, er möge lieber diese Laufbahn aufgeben. Das ist natürlich, wenn es einen Referendar trifft, immer noch weniger schmerzhaft, als wenn es einen älteren Assessor trlfft. Auch in dieser Hinsicht glaube ich aber, daß wir die jetzt zutage getretenen Härten mit der Zeit vermelden müssen und können. Es ist einmal vor— gesehen, daß auch das zweite Examen mit noch größerer Zuver lässigkeit stattfinden soll, daß namentlich durch schriftliche Klausurarbeiten den Prüflingen Gelegenheit gegeben werden soll, ihre Urteilsfähigkeit besser zu beweisen. Ferner ist dem Präsidenten be⸗ sonders zur Pflicht gemacht, sich von Anfang an ein Urteil zu ver— schaffen, wie sich die Assessoren in die Praxis einleben und darin be⸗ währen. Durch diese Einrichtungen werden wir es dahin bringen, daß wir viel besser und viel schneller als früher über die Leistungs⸗ fähigkeit der jungen angehenden Richter unterrichtet sein werden. Erglbt sich dennoch, daß der eine oder andere trotz allen Fleißes ganz ungeeignet ist für die Tätigkeit, der er sich widmen will, so ist es eben Pflicht, ihm zu sagen, er möge sich eine andere Laufbahn suchen. Je früher das auch bei Assessoren geschehen kann, um so besser ist es. Hierin stimme ich also durchauß überein mit den Worten des Vorredners. Ich kann die Versicherung abgeben, daß die Frage mit dem größten Ernst von der Justizwerwaltung behandelt wird und daß die getroffenen Einrichtungen weiter erprobt und wenn möglich noch verbessert werden sollen. Ich darf mich daher der Hoffnung hingeben, daß sich die Entwicklung günstiger als bieher gestalten wird und daß namentlich die Härten, die der Herr Vorredner beklagt hat, mit der Zeit fast ganz verschwinden werden.

Herr Dr. Hillebrandt: Die Regierung sollte schon in den ersten zwei Jahren der Referendarzeit die Enischeidung darüber fällen, ob die jungen Leute für die Justizdienste geeignet sind oder nicht. Ich glaube, daß nicht immer die besten Juristen dazu ausgewählt werden, die Kurse für Referendare an den Gerichten zu leiten. Man sollte die Referendare mehr zur Selbständigkeit erziehen. Die Regierung überweist ihren Regterungsreferendgren oftmals Bürger⸗ de, zur Verwaltung, damit sie zur Selbständigkeit erzogen werden.

Justizminister Dr. Be seler:

Meine Herren! Ich möchte ein paar kurze Worte erwidern. Bei dem zweiten Examen soll durchaus nicht der Gedächtniskram und das Wissen den Hauptgegenstand der Prüfung bilden, sondern gerade die Urteilskraft soll geprüft werden. Dle Kandidaten sollen gerade zeigen, wie sie ihr Wissen in der Praxis anzuwenden verstehen. Also

Neuerung

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dazu berufenen In⸗

1913.

wat der Herr Vorredner befürchtet, daß besonders viel Einzelheiten abgefragt werden würden, das trifft durchaus nicht zu.

Der Gedanke, daß für die Ausbildung der Referendare die be⸗ gabtesten Richter ausgewählt werden sollen, ist unzweifelhaft richtig. Es ist aber auch bei allen Anordnungen betont worden, es sei sorg⸗ fältig darauf zu achten, daß gerade die geeignetsten Beamten dazu genommen werden. Um ach ein eigenes Urteil für die Zentralstelle zu ermöglichen, wohnen auch Kommissare den Unterrichtsstunden bei. Ich glaube, daß es nicht möglich ist, ein mehreres zu tun.

Wenn der Herr Vorredner endlich meint, die Referendare müßten schon mehr zu selbständigen Arbeiten angehalten werden, so ist das gewiß wünschenswert. Aber wir sind hier beschränkt durch die Gesetz⸗ gebung. Der Schwerpunkt muß deshalb darauf gelegt werden, daß sie ihre Urteilskraft üben sollen außer durch die Vorträge in den Kollegien vor allem bei den Unterweisungen durch die Richter, um auf diese Weise möglichst vollkommen in ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entwickelt zu werden.

Berichterstatter Herr Veltm an spricht seine volle Zustimmung zu den Ausführungen des Justizministers aus.

Herr Dr. Hillebrandt gibt mit Rücksicht auf die schwierigen örtlichen Verhältnisse in der Nähe Breslaus dem Justiz⸗ minister zur Erwägung anheim, ob nicht der Errichtung eines Amts⸗ gerichts in Lissa bei Breslau näher zu treten sei.

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Die Frage ist geprüft worden und man hat sich nicht dazu verstehen können, auf die Wünsche einzugehen. Wenn ein Amtsgericht in Deutsch Lissa lebensfähig sein sollte, müßte eine Reihe von Ortschaften zu ihm geschlagen, die in nächster Nähe von Breslau liegen. Sie wollen aber nicht dahin, wollen vielmehr durchaus bei Breslau bleihen, weil dies ihnen bequemer ist. Es würde für sie also eine außerordentlich störende Neueinrichtung geschaffen werden. Wir gehen aber bei unseren Einrichtungen immer davon aus, daß wir möglichst die Wünsche der Eingesessenen berücksichtigen, und daß auch diejenigen, die das Bestehende erhalten wollen, Berücksichtigung ver⸗ dienen. Aus diesen Gründen habe ich bisher nicht finden können, daß ein genügender Anlaß vorliegt, den vorgetragenen Wünschen zu ent⸗ sprechen.

Nach einer kurzen Erwiderung des Herrn Dr. Hillebrandt wird der Justizetat genehmigt.

Gegen 61“ Uhr wird die Fortsetzung der Etatsberatung auf Dienstag, 1 Uhr, vertagt.

Haus der Abgeordneten. 177. Sitzung vom 28. April 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau.)

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d. Bl. berichtet worden.

Die daselbst auszugsweise wiedergegebene Erklärung, die bei der dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Abänderung des Gesetzes über die Eisen⸗ bahnunternehmungen vom 3. November 1838, der Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitendach abge⸗ geben hat, hatte folgenden Wortlaut:

Meine Herren! Gegen den Wunsch und den Rat der Staats⸗ regierung ist das Eisenbahnanliegergesetz am letzten Sonnabend in zweiter Beratung verhandelt und auch angenommen worden. Als Grund für die Beratung dieses Gesetzes wurde bekannt gegeben, daß es erwünscht und notwendig sei, das Plenum des Hauses in einer Frage zu hören, seine Entscheidung anzurufen, die seit Jahren in den Kommissionen verhandelt worden ist. Ich muß anerkennen, daß ein solcher Wunsch nicht ohne Berechtigung ist; ich möchte aber heute meine Bitte hier wiederholen, das Gesetz nicht in dritter Lesung hier zu verabschieden. Das Eisenbahngesetz vom Jahre 1838, dessen Aende⸗ rung angestrebt wird, ist ein Gesetz von größter Bedeutung, ein Spezialgesetz, dessen Wert dadurch nicht herabgemindert ist, daß es sich 5 Jahre in Geltung befindet, ohne irgendwelche Abänderungen er= fahren zu haben; nicht einmal ein Kommentar ist über das Gesetz erschienen.

Ich habe neulich mit Bedauern hören müssen, daß dieses Gesetz als obsolet bezeichnet ist. Ich muß dem ausdrücklich wider⸗ sprechen; das Gesetz hat sich, obwohl zur Zeit seines Erlasses nur die Linie von Berlin nach Potsdam in Betrieb war, glänzend bewährt. Unter seiner Geltung sind in Preußen 40 000 km Eisenbahnen, in denen ein Volksvermögen von 12 bis 15 Milliarden Mark investiert ist, gebaut, in Betrieb genommen und weiter entwickelt, und während seiner Wirksamkeit hat sich die Verstaatlichung des großen Privatbahnnetzes vollzogen, und es ist eins der größten Systeme von Eisenbahnen in den Händen des Staates entstanden. Ein solches Gesetz wird man nach meinem Ermessen gegen den Rat und Wunsch der Staatsregierung nicht in einem Augenblick ändern wollen, indem man sich zwischen Tür und Angel befindet, indem man voraussehen muß, daß das Gesetz nicht in dieser Session verabschiedet werden kann.

Ich erkenne an, daß die Beratungen der Kommission sehr ein gehend gewesen sind; ich erkenne nicht an, daß sie die schwerwiegende Materie erschöpft haben. Ich kann der Beratung in zweiter Lesung einen materiellen Wert nicht beimessen. Sie erfolgte durchaus summarisch vor einem Hause, dem zeitweilig nicht mehr Mitglieder angehörten al in der Kommission vertreten waren. Ich habe neulich ausgesprochen, daß die Staatsregierung gewillt ist, dem gesetz⸗ geberischen Gedanken Rechnung zu tragen, ihn unter Umständen fort- zuentwickeln; ich habe erkennen lassen, daß die Staatsregierung das Gesetz, wie es aus der Kommission hervorgegangen ist, nicht akzeptieren kann. Ich stelle hiermit in Aussicht, daß die Staatsreglerung in der nächsten Session alsbald ein neues Gesetz vorlegen wird, und stelle nochmals zur Erwägung, ob es unter diesen Umständen angezeigt ist,

heute in die dritte Lesung des Gesetzes einzutreten.

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Numme

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