1913 / 102 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 30 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

. Herrenhaus. itzung vom 29. April 1913, Nachmittags 1 Uhr.

(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau“) Die Beratung des Staatshaushaltsetats für Etatsjahr 1913 wird bei dem Etat des Ministe⸗ iums der geistlichen und Unterrichtsange⸗ legenheiten fortgesetz. Graf zu Rantzau und Graf von der Schulen⸗ burg -Grünthal beantragen: Die Staatsregierung zu ersuchen, in ernste Erwägungen darüber einzutreten, wie die Jugend länger, als es bei der 6 igen Lage der Gesetzgebung möglich ist, einer ö Zucht und Auf sicht unterworfen wer⸗ den kann. 5 Betracht kann zur Grreichung dieses Zweckes kommen, die Verpflichtung zum Besuche der Volksschule bis zum vollendeten 16. Lebensjahre auszudehnen; dabei kann dann eine all⸗ ö. Befreiung vom Schulbesuch für die beiden letzten Sommer⸗

albjahre vorgesehen werden“. Berichterstatter Herr Dr. . Der Bild der Fürsorge der Staats⸗

Kultusetat zeigt ein erfreuliches 3 . , für alle. Gebiete des geistigen Lebens. Die Pflege der leiblichen Uebung geht Hand in Hand mit der Für⸗ sorge für die geistige Ausbildung der Jugend. Die Aus- aben für die agg fe, die bisher 143 Million betrugen, sind auf 23 Millionen erhöht worden, um auch die Mädchen dargn zu be⸗ teiligen. Eingehend wurden in der Kommission auch die . bauten in Dahlem a , nn es wurde dabei darauf hingewiesen, was Preußen auf diesem Gebiete tut. Die Ausgaben für Errichtung einer neuen Fakultät in Münster wurden auch eingehend besprochen.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Erlauben Sie mir, daß ich gleich auf die zuletzt gegebene Anregung des Herrn Referenten eingehe. Es ist mir durch⸗ aug erwünscht, Gelegenheit hier zu finden, über diese Angelegenheit, die die Oeffentlichkeit in der letzten Zeit beschäftigt hat, weitere Auf klärung zu bringen. Ich muß dazu allerdings etwas ausführlicher werden und in dieser Beziehung um Ihre gütige Nachsicht bitten.

Die hiesige Künstlerschaft batte sich entschlossen, die diesjährige große Kunstautstellung zu einer Jubiläumsausstellung zu gestalten und ihr demgemäß einen besonderen Charakter zu geben. Neben anderen in Aussicht genommenen Maßnahmen wandte sich die Ausstellungs⸗ kommission auch an einige bekannte Künstler, unter ihnen auch an Professor Anton von Werner mit dem Ersuchen, sich durch Ausstellung ihrer Werke an dem Unternehmen zu beteiligen. Herr von Werner entsprach diesem Verlangen dadurch, daß er eine Vor⸗ schlagsliste mit einer Reihe seiner Werke der Ausstellungs⸗ kommission vorlegte und die Auswahl aus ihnen anheim⸗ stellte. Er fügte hinzu, daß es rätlich sein werde, dazu noch die Zu⸗ stimmung an maßgebender Stelle einzuholen, damit dort geprüft werde, ob etwa der Ausstellung seiner Schlachtenbilder aus dem deutsch⸗französischen Krieg politische Bedenken entgegenstünden. Die Ausstellungskommission legte mir die Pläne zu der von ihr geplanten Ausstellung vor und entsprach auch dabei dem Wunsche des Herrn von Werner, indem sie mir die von ihm aufgeworfene Frage vortrug. Ich muß nun gestehen, daß ich von selbst nicht auf den Gedanken gekommen wäre, daß bei einer solchen Gelegenheit die politische Frage aufgeworfen werden könne, wo es sich um eine Kunstausstellung nicht etwa in Paris, sondern in Berlin handelte (sehr richtig!), und muß sagen, daß derjenige, der diese Frage aufgeworfen hat, doch viel⸗ leicht nicht gerade in erster Linie befugt sein würde, sich zu entrüsten, wenn die Antwort auf jene Frage in bejahendem Sinne ausgefallen wäre. Das aber ist nicht geschehen, und die entgegengesetzte Annahme beruht auf reiner Kombination, die vielleicht darin ihren Grund ge— funden hat, daß eben jene Frage von Herrn von Werner aufgeworfen und dies mir mitgeteilt worden war. Ich war der Meinung, daß hier von politischen Bedenken gar keine Rede sein könne, und habe deshalb auch die Frage dem Auswärtigen Amt gar nicht vorgelegt. (Sehr richtig!)

Allerdings muß ich der Vollständigkeit wegen hinzufügen, daß ein Herr aus einem Ministerium bei einem gelegentlichen Gespräch mit einem Herrn des Auswärtigen Amts auch den Umstand berührte, daß Anton von Werner jene Frage aufgeworfen habe. Aber auch der Herr aus dem Auswärtigen Amt war durchaus meiner Auffassung, sodaß ich um so weniger Anlaß hatte, mich irgendwie mit dem Aus⸗ wärtigen Amt in Verbindung zu setzen. Das Auswärtige Amt ist mit der Angelegenheit überhaupt nicht befaßt gewesen.

Wie ich erwähnte, hatte der Künstler eine Liste seiner Werke übersandt. In der Liste standen 23 Bilder, und dann war noch auf ein 24. Bild hingewiesen, das ebentuell auch noch in Betracht kommen könne, sodaß es sich also im ganzen um 24 Bilder handelte. Davon sind zurückgestellt worden das bekannte und gewiß harmlose Bld Kriegsgefangen“ und das Diorama „Kapitulationsverhandlungen vor Sedan‘. Dagegen sind in der Liste stehen geblieben: Der Kronprinz an der Leiche des Generals Abel Douay bei Weißenburg“, H Modellfskizzen für das Sedanpanorama, „General Reille überbringt Napoleons Brief am 1. September 1870, Bismarcks und Napoleons Zusammentreff en auf der Chaussee am 2. September 1870, Moltke vor Paris, der Kronprinz in der Villa Andrs in Versailles, die Kaiserproklamation in Versallles, das Velarium Krieg und Sieg, der Fries um das Siegesdenkmal. Meine Herren, der Umstand, daß diese Bllder, die ich eben erwähnt habe, in der Liste stehen geblieben sind, muß doch, wie mir scheint, ohne weiteres und mit zwingender Notwendigkeit den Beweis erbringen, daß politische Rücksichten bei der Auswahl der Bilder nicht irgendwie haben maßgebend sein können. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann hätte man auch dilese Bilder, die ich eben genannt habe, zurückweisen müssen. Denn, wenn Sie sie mit andern vergleichen, so ist nach dem Gegenstand kein Unterschied zu finden. Beide stellen Vorgänge aus dem deutsch⸗französischen Kriege dar.

Nun hätten gewiß auch gerade so gut zwei andere Bilder aus— geschieden werden können, und das wäre auch sicher geschehen, wenn zu erkennen gewesen wäre, daß der Künstler auf die Ausstellung gerade dieser beiden Bilder einen besonderen Wert legte. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Im Gegenteil, wie ich schon erwähnte, hatte Anton von Werner seine Bilder zur Auswahl gestellt, und damit steht doch in direktem Widerspruch, wenn jetzt in der Presse die Angabe ent— halten war, daß ohne die beiden Bilder die Ausstellung der Werner⸗ schen Werke nicht möglich gewesen wäre. Das Bild „Kriegsgefangen“ ist zurückgestellt worden, um an seine Stelle das von mir vorher er⸗ wähnte 24. Bild, dessen Autstellung nur zur Erwägung gegeben war, einzurücken. Wenn ich Ihnen dann sage, daß in der Liste drei

Dioramen aufgeführt waren, so erklärt sich ohne weiteres, daß eins von diesen Dioramen zurückgestellt wurde. Denn es war bet dem ver⸗ fügbaren Raume im Ausstellungsgebäude gar nicht daran zu denken, drei Dioramen zur Aufstellung zu bringen.

Das waren der Hauptsache nach die Erwägungen, die für die ge⸗ troffene Auswahl maßgebend gewesen sind. Ich teilte die Ent⸗ schließung der Ausstellungskommission zugleich mit der Zu⸗ stimmung zu den übrigen geplanten Maßnahmen für die Ausstellung mit und mußte erwarten, daß sie das weitere in die Wege leitete; denn nur mit ihr hatte ich es zu tun. Anton von Werner hatte sich an die Kommission gewandt, die Kommisston war bei mir vor⸗ stellig geworden, und nur ihr und nicht etwa Herrn von Werner hatte ich eine Antwort zu geben. Das ist geschehen am 2. Dezember vorigen Jahretz. Dieses Datum ist auch von einer ge⸗ wissen Bedeutung für die Beurteilung der Angelegenheit.

Als ich nun im Januar dieses Jahres erfuhr, daß Herr von Werner seinen Eatschluß geändert und sich an der Aucsstellung nicht mehr beteiligen wolle, bedauerte ich das; denn es schien mir durchaus erwünscht zu sein, daß gerade bei einer solchen Ausstellung die Wernerschen Bilder nicht fehlen. Ich entsandte deshalb einen Herrn aus meinem Ministerium zu dem Künstler mit dem Auftrage, die Angelegenheit mit ihm zu besprechen und ihn, wenn möglich, dazu zu bestimmen, sich doch noch an der Ausstellung zu beteiligen. Dies alleln war der Zweck des Besuchs meines Vertreters, kein anderer, namentlich auch nicht der, daß ich etwa erst hierdurch Anton von Werner die offizielle Mitteilung von der getroffenen Entscheidung machen wollte. Dazu hatte ich, wie ich schon erwähnte, gar keinen Anlaß; und es ist auch nicht anzunehmen, daß eine Entscheidung, die am 2. Dezember erfolgt ist, von mir am 10. Januar mündlich dem Künstler mitgeteilt wurde. Auch diese Annahme ist eine reine Kombination, wie es eine Kombination ist, daß politische Gründe maßgebend für die Entscheidung gewesen wären. Beide Kombinationen aber sind irrig.

Bei der Unterredung zeigte sich der Künstler jedoch ablehnend und ließ sich nicht bereit finden, noch an der Ausstellung teilzunehmen Er sagte, er sel krank, könne sich um die Ausstellung selbst nicht kümmern und wolle die Aufstellung seiner Bilder einem anderen nicht überlassen; vor allem aber könne er nicht den ausreichenden Raum im Ausstellungsgebäude erhalten, um seine Bilder und insbesondere seine Dioramen in wirkungsvoller Weise zur Ausstellung zu bringen. Daran vermochte ich nichts zu ändern, und so mußte ich den Versuch als gescheitert ansehen und die Sache auf sich beruhen lassen. Ich habe dann von ihr erst wieder gehört, als in der vorigen Woche die Auseinandersetzungen in der Presse begannen. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ hat eine Berichtigung gebracht und diejenigen Bilder, die ausgewählt worden waren und die ich mir vorhin zu erwähnen erlaubte, dem Gegen⸗ stande nach bezeichnet, sodaß man wohl annehmen konnte, daß damit ein schlagender Beweis dafür geliefert sei, daß nicht politische Rück— sichten bei dieser Angelegenheit irgendwie bestimmend gewesen sind Ich glaube, deutlicher kann ein Beweis wohl nicht geliefert werden, er ist jedenfalls schlagender, als ihn weitere Ausführungen zu führen vermöchten. So liegt die Sache. Ich hoffe, meine Herren, es ist mir gelungen, sie nunmehr völlig klar zu stellen und die Irrefsihrungen, die in der Oeffentlichkeit entstanden sind, zu beseitigen und damit zugleich die empfindlichen Vorwürfe aus dem Wege zu räumen, dle gegen die Regierung, aber unbegründeterweise, erhoben worden sind. (Bravo!)

Graf zu Rantzau: Meiner Begründung unseres Antrages möchte ich vorausschicken, daß ich nicht in der Lage bin, namens meiner politischen Freunde zu sprechen, da meine Fraktion nicht Ge⸗ legenheit gehabt hat, dazu Stellung zu nehmen, weder für noch gegen den Antrag. Bereits bei Erörterung des Fortbildungsschulgesetzes ist von verschiedenen Seiten betont worden, wie notwendig es ist, die schul⸗ entlassene Jugend einer heilsamen Zucht und einem Jwange zu unter⸗ werfen. Graf von der Schulenburg⸗Grünthal hat mit Unterstützung perschiedener Herren, auch von mir, damals bereits einen Antrag ein⸗ gebracht, der die Regierung aufforderte, einen Gesetzentwurf vorzulegen, wodurch die Verpflichtung zum Besuch der Schule bis zum vollendeten 16. Lebensjahr ausgedehnt werde. Der Wortlaut dieses Antrages ging also weiter, als unser jetziger Antrag, denn dieser erbittet von der Regierung nur eine Erwägung. Der Antrag wurde damals zu⸗ rückgezogen, um ihn beim Etat wieder einzubringen. Absatz 1 unse⸗ Us Antrages spricht einen Wunsch aus, von dem ich mir schmeichle, daß er hier allgemeine Zustimmung finden wird; denn daß die heran⸗ wachsende Jugend zu nützlichen Staatsbürgern erzogen wird, und daß es hierzu sehr wichtig ist, sie in einem so kritischen Lebens⸗ alter zwischen dem 14. und 16. Jahre in richtige Bahnen zu lenken, wer wollte das bestreiten. Die Ausführung dieses Wunsches liegt auch in der Richtung mehr auf nationaler Grundlage stehender Ju⸗ gendpflege; aber Jugendpflege allein kann ohne gesetzliche Hilfe ihren Zweck nicht erreichen, auch die Fortbildungsschule kann ihn mit oder ohne Zwang nur sehr unvollkommen erreichen. Sie dient eigentlich nur zur Vervollkommnung der in der Volksschule erhaltenen Bildung, sie ist eine gewisse fachliche, technische Vorbereitung für den spä—⸗ teren Beruf, und außerdem beschränkt sie sich auf zu wenige Stunden. Während nun die Mittel, die die patriotisch gesinnten Kreise an⸗ wenden, um die heranwachsende Jugend zu guten Patrioten und nütz⸗ lichen Staatsbürgern zu erziehen, als unzureichend bezeichnet werden müssen, bemüht sich mit ng aller Kräfte die Sozialdemokratie mit Hilfe ihrer fozialdemokratischen Jugendpflege, man sollte richtiger sagen Jugendverführung, die Jugend in ihre Bahnen zu führen und sie zu nicht brauchbaren Staatsbürgern zu machen. Absatz 2 will die Erwägung der Staatsreglerung auf ein bestimmtes Ziel hinlenken, indem er die Ausdehnung der Schulpflicht bis zum vollendeten 16. Le⸗ bensjahre erbittet, unter Freilassung der letzten beiden Sommer⸗ semester. Diejenigen Herren, denen dieser Vorschlag etwa zu weit geht, mit Rücksicht auf die hohen Kosten, verweise ich auf die vor—⸗ sichtige Fassung dieses Absatzes; es wird. keine Gesetzesvorlage ver⸗ langt, sondern nur eine Bitte um Erwägung ausgesprochen. Für uns Antragsteller überwiegen die Vorteile, die wir bon einer mög⸗ lichen Ausdehnung der Schulpflicht erwarten, weitaus die etwa mög⸗ lichen Bedenken. Man sagt, die Eltern können ihre Kinder nicht so lange auf der Schule unterhalten. Die entlassenen Kinder könnten selbständig ihr Brot verdienen. Demgegenüber ist nicht zu unter⸗ schäben, daß die Kinder zwischen dem 14. und 16. Jahre ihren Eltern im Haushalte helfen, die jüngeren Kinder beaufsichtigen können, auch können sie mit Hilfe der Dispensation in den beiden Sommern auch etwas berdienen. Dann ist weiter darauf hingewiesen wor— den, in neuerer Zeit würden die Kinder früher reif, als es sonst der Fall war. Bie Kinder würden schon in einem so jugendlichen Alter reif, daß man ihnen nicht mehr umuten könne, nach vollendetem 14. Jahre die Schulbank zu drücken. Das ist eben eine durchaus unge⸗ sunde Frühreife, gegen die Kautelen zu treffen gerade in der Richtung unseres Antrages liegt. Dann ist behauptet worden, wenn die Kinder bis zum 16. Jahre auf der Schule blieben, verlören sie zu viel Zeit, um sich für ihren künftigen Beruf vorzubereiten. Meiner Ansicht nach genügt es, wenn sich die Kinder für ihren späteren Beruf vom 16. Lebensjahre an vorbereiten. Sie haben dann ein viel größeres Verständnis und eine viel bessere Grundlage. Mein persönlicher

( Wunsch wäre der, daß ein deutscher Junge etwa solßende Entwick⸗ lung durchmacht: Volksschule bis zum vollendeten 15.

15. Lebensjahre, dann Fortbildungsschule, unterstützt durch eine patriotische Jügend⸗ gflege, und dann Eintritt in die große deutsche Erziehungsanstalt, die Armee, dann würden wir gute deutsche Patrioten uns heranziehen. Das durchschlagendste Bedenken ist wohl das daß dem Volke durch die Verlängerung der Schulpflicht um zwei Jahre starke neue Lasten aufgebürdet würden. Wir teilen diese Bedenken, und es wird gründ⸗

lich zu erwägen sein, wie weit, um den Gemeinden . Belastung tunlichst zu ersparen, die Staatszuschüsse erhöht werden können, Die Ausdehnung der Schulp . würde keinen Sprung ins Dunkle be— deuten. In Schleswig-Holstein hat bis ganz vor kurzem die Schul⸗ pflicht bis zum vollendeten 16. Jahre gesetzlich gegolten. Die Schles⸗ wig⸗Holsteinische Landwirtschaftskammer, der ich vorsitze, hat für die Wiedereinführung dieses guten alten Gesetzes sich ausgesprochen. Wir bitten Sie, unserer sehr harmlosen Resolution zustimmen zu wollen. Graf von der Schulenburg⸗Grünthal; Jeder von uns, der ein Gymnasium besucht hat, hat der Schulzucht bis zum 18. und 26. Jahre unterstanden. Heute ist der Volksschüler mit 14 Jahren reif, früher unterlag er wohl noch, wenn er die Schule verlassen hatte, der Zucht des Vaters, sodann derjenigen des Lehrherrn. In neuerer Zeit ift das leider nicht mehr der Fall. Väterliche Zucht kann man heutzutage nur noch in sehr wenigen Familien, finden, meistens kümmert sich keiner um den Jungen, es wird höchstens sehr übel vermerkt, wenn irgend jemand sich herausgenommen hat, dem Pflänz⸗ chen etwas zu sagen und ihn zu rektifizieren. Handwerksmeister und Arbeitgeber sagen den Jungen schon lange nichts mehr, weil sie ihnen fonst aus dem Dienst laufen. Und gibt einer dem. Jungen einmal eine Ohrfeige oder sonst eine kleine körperliche Züchtigung, so ist der Skandal groß. So kann es nicht weitergehen. Wenn wir hier bon dem Moment an, wo wir 14 Jahre alt wurden, jeder Zucht, jedes Einflusses von oben entbehrt hätten, aus den meisten von uns wäre nichts geworden, aus mir schon gar nichts. Ob Besserung da⸗ durch möglich ist, daß der Schulbesuch verlängert wird, ist eine schwere Frage. . wird eine große Schwierigkeit in den erhöhten Kosten siegen, aber das wirksaniste Mittel, wäre es unter allen Umständen; denn die Fortbildungsschule wird nie so erzieherisch auf den Knaben wirken wie die Schule selbst. Mit der Verrohung der Jugend muß Halt gemacht werden. Jetzt verlumpt und verlottert unsere Jugend

mmer mehr und dadurch mit der Zeit auch unser Volk.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten P. Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Die Fürsorge für die schulentlassene Jugend ist ganz gewiß eine der wichtigsten Aufgaben für die Staatsregierung. Dleser Verpflichtung gegenüber hat sich auch die Staatsregierung keineswegs ablehnend verhalten. Sie hat die Aufgabe aufge⸗ nommen und, wie ich wohl sagen darf, gerade in der letzten Zeit nach Möglichkeit Maßnahmen ergriffen, um auf die Fortentwicklung der Jugend einen segensreichen Einfluß auszuüben. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir gerade in den letzten Jahren die Jugendpflege in erhöhtem Maße in die Hand genommen haben, daß reiche Mittel bewilligt worden sind, um die Einrichtungen, die diesem Zwecke dienen sollen, wirksam zu unter⸗ stützen, und daß auch auf diesem Gebtete jetzt ein reges Leben herrscht. Wir hoffen, daß auf diesem Wege wirksam und förderlich auf die heranwachsende Jugend eingewirkt wird. In diesem Jahre sind die Mittel für diesen Zweck wieder um eine Million Maik erhöht worden, sodaß wir jetzt in die Lage gesetzt sind, auch den Bestre⸗ bungen, die auf die Pflege der welblichen Jugend gerichtet sind, wirk— sam zur Seite zu treten.

Neben diesen Maßnahmen geht das Bestreben einher, das Fort⸗ bildungsschulwesen zu fördern. Sie selbst, meine Herren, haben erst in dtiesem Jahre einem Gesetzentwurf zugestimmt, durch den in einer Reihe von Provinzen das Fortbildungsschulwesen geordnet und geregelt werden soll. Aber, wenn ich mich nicht irre, ist gerade von Mitgliedern dieses hohen Hauses Wert darauf gelegt worden, daß man keinen Zwang auf die Gemeinden ausübe, sondern daß es in die freie Entscheidung der Gemeinden gestellt wird, ob sie eine Fortbildungsschule errichten wollen oder nicht. Das ist der Weg, den Sie selbst für richtig gehalten haben; auch die Staatsregierung ist der Ansicht, daß wir auf diesem Wege allmählich fortschreiten sollten, sodaß die Bevölkerung selbst den Wert der Fort⸗ bildungsschulen erkennt und sich aus eigenem Entschlusse bereit findet, Fortbildungsschulen einzurichten. Ist die Neigung hierzu in der Be⸗ völkerung immer allgemeiner geworden, so wird es schließlich dahin kommen, daß wir überall eine Fortbildungsschule haben und dann werden wir die allgemeine Fortbildungsschule besitzen, die gewiß er— strebenswert ist.

Das sind die Mittel, die wir bisher ergriffen haben, um dem Gedanken, der in dem ersten Absatz des vorliegenden Antrages zum Ausdruck gekommen ist, gerecht zu werden. Ich glaube also, es bedarf nicht erst einer Ermahnung an die Staatsreglerung, daß wir diesem wichtigen Gebiete unsere Aufmerksamkeit schenken.

Was dagegen, meine Herren, den zwelten Absatz des Antrages betrifft, so stehen ihm doch sehr erhebliche Bedenken entgegen, die die beiden Herren Antragsteller vielleicht nicht in ihrer ganzen Schwere ge— würdigt haben. Ich will dabei heute nur auf die finanzielle Seite eingehen, darauf eingehen, welche finanziellen Wirkungen die Durch⸗ führung dieses Gedankens haben würde. Die laufenden Schul⸗ unterhaltungskosten betragen für Preußen gegenwärtig jährlich rund 421 Milllonen Mark. Wenn nun nach der zur Erörterung stehenden Anregung zwei Jahrgänge mehr in den Schulen wären, wenn also die Volktschüler bis zum vollendeten 16. Lebensjahre die Schule zu besuchen hätten, so würde das zwei Jahrgänge und ein Viertel der Kosten mehr bedeuten, als jetzt für die Volksschulen ausgegeben werden.

Nun wrd man mit Recht einwenden, daß ja vorgesehen sei, dle Sommermonate frei zu lassen und nur während des Winters die Kinder in der Schule festzuhalten. Das würde allerdings eine gewisse Elnschränkung der Kosten bedeuten, aber doch nicht in dem Maße daß man nur von einem Jahrgang mehr sprechen könnte. Denn wir müßten, um diese Mehrzahl von Volksschülern im Winter in die Schule aufnehmen zu können, die Lehrkräfte vermehren und die Räume vergrößern. Wenn nun auch zum Teil in weniger stark besuchten Schulen die vorhandenen Räume und Lehrkräfte ausreichen würden, dieser Aufgabe gerecht zu werden, so würde das doch eben nicht überall der Fall sein. Man würde falsch rechnen, wenn man nur etwa ein Achtel an entstehenden Kosten mehr rechnete. Man wird vielleicht das Richtige treffen, wenn man etwa ein Sechstel das sind natür⸗ lich nur Schätzungen an Mehrkosten annimmt. Man käme dann zu einem Mehraufwande von jährlich 70 Milllonen, der erforderlich wäre, um dem Antrage zu entsprechen. Ich glaube, es ist keine Aus⸗ sicht vorhanden, daß wir das in absehbarer Zeit erreichen können. Wir haben noch viel zu tun, um das Volksschulwesen in seiner jetzigen Begrenzung, die die Volksschulpflicht mit dem 14. Lebensjahre ab⸗

schließt, überall in befriedigender Weise zu gestalten. Wir haben noch zahlreiche überfüllte Schulen und haben noch außerordentlich viel zu tun, um das Vollsschulwesen nach jeder Richtung hin und überall in einen befrtedigenden Zustand zu bringen. Ehe wir das aber nicht er⸗ reicht haben, können wir, glaube ich, an die hier angeregte Maßnahme nicht denken, soviel sich auch, das will ich nicht bestreiten, von manchem Gesichtspunkt aus dafür anführen läßt. Zarzeit scheint sie mir noch eine starke Utopie zu sein; dem Antrag jetzt schon Folge zu geben, würde ich jedenfalls für verfehlt halten. Zunächst werden wir dahin zu streben haben, daß unsere Volksschule innerhalb der jetzt geltenden Begrenzung nach jeder Richtung hin befriedigend ausgestaltet wird. Wenn das Ziel erreicht ist, wird man weiter sehen können. (Bravo!)

. Graf von Haeseler: Der Antrag ist mir sehr sympathisch; ich habe vor td Jahren etwas ganz Aehnliches hiet empfohlen, nur daß ich, die Verlängerung der Schulpflicht bis zum 15. vollendeten Jahre sicherstellen wollte. Wenn das 16. genommen wird, um so besser. Die Regierung hat damals meinen Antrag sehr wohlwollend behandelt, aber auch darauf hingewiesen, daß damit ein Konflikt mit, der Reichsgewerbeordnung gegeben sein würde. Ein solcher Konflikt muß ausgeglichen und das unglückliche Gesetz geän⸗ dert werden. Wenn Jungen und Mädchen mit vollendetem 14. Jahre in die Fabrik gehen, werden sie an Seele und Leib verdorben, und das wollen wir nicht. Das vollendete 14 Lebensjahr reicht für die Schule und für das Leben nicht aus. Der Minister verweist auf die Jugendpflege. Diese ist sehr ideal gedacht, aber alles, was da bisher geschehen ist, beruht in jeder Richtung auf Freiwilligkeit, und damit kommen wir nicht durch. Einen Zwang will jeder Mensch haben. Die Kosten sind ja hoch, aber die Kosten für Armee, für die Veteranen und für die Jugenderziehung muß man immer aufbringen.

Graf zu Rantzau: Ich bleibe auch dabei, daß die freiwilligen Bestrebungen allein nicht ausreichen, auch nicht in Verbindung mit der Fortbildungsschule, selbst wenn jede Gemeinde schon eine auf⸗ zuweisen hätte; die moralische Festigung wird da niemals erreicht werden, die wir für die Zeit zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr für notwendig halten, zumal gegenüber der sozialdemokratischen Ver⸗ führung. Die 70 Millionen würden den Antragstellern nicht zu hoch erscheinen; wir wünschen nicht eine Mehrbelastung der Gemeinden, sondern in erster Linie des Staates. Auch die Ausdehnung bis zum 15. Jahre würden wir schon als einen Fortschritt ansehen. Es sind ja nur Anregungen, welche wir der Regierung geben, um das Ziel, das auch sie anstrebt, zu erreichen. Ich bitte um Annahme des An⸗ trags und um gesonderte Abstimmung über beide Sätze.

Graf von Mirbach: Es handelt sich hier um ein vollkommenes Novum und eine sehr weitgehende neue Belastung; da sollte doch auch erwogen werden, ob die Anforderung und die Belastung, namentlich auch die dingliche. Belastung, zu weit geht.

Herr von Salisch: Es ist hohe Zeit, daß sich der Staat ernstlich der Wünschelrutensache annimmt. Das landwirtschaftliche Ministerium hat anerkannt, daß an der Wünschelrute etwas dran ist. Es ist erwiesen, daß die Wünschelrute auch auf elektrische Ströme reagiert. In einem Kalibergwerk sind drei Rutengänger gegangen, die voneinander nichts wußten; diese drei haben alle an denselben Stellen reagiert. Auch bei Talsperrenanlagen haben die Wün⸗ schelruten große Dienste geleistet. Das Ministerium sollte auf diesem Gebiete Anregung geben, bezw. einen Verein, der sich für diese Zwecke gegründet hat, unterstützen.

Herr Dr. Stapenhorst⸗Bielefeld; In den westlichen Pro⸗ vinzen haben wir Beschwerde darüber zu führen, daß man das schul⸗ pflichtige Lebensalter schon mit 1375 Jahren enden läßt. Um einen einheitlichen Schulentlassungstermin durchzuführen, hat der Oberpräsi⸗ bent eine Anordnung getroffen, welche einen Teil der Kinder schon in diesem Alter aus der Schulpflicht entläßt. Wir halten diese Maß⸗ regel für durchaus unzweckmäßig und unglücklich. Weit eher hätten wir uns mit einer Ausdehnung auf 147 Jahre abgefunden. Der

Minister wolle Abhilfe schaffen und diese Oberpraͤsidialverfügung

aufheben.

Der Antrag Graf Rantzau wird in seinem ersten Teil an⸗ genommen, im zweiten Teil abgelehnt.

Bei den Ausgaben für die Universitäten bemerkt

Herr Dr. Neuber: Die Zahl der Studierenden ist in den letzten 10 Jahren um 33 Y gestiegen. Ebenso ist es auch auf den höheren Schulen. Es ist nicht zutreffend, wenn man darin ein Bild kulturellen Aufschwungs sieht. Ueberkultur ist den Völkern noch niemals gut bekommen. Man findet Rückgang des religiösen Empfindens und der Moral. Sie führt sogar zu einer zügellosen Presse. Man muß sich oft fragen, ob man sich das noch länger gefallen lassen muß. Dazu kommt noch das Frauenstudium, dem ich nicht sehr freundlich gegenüberstehe. Wir haben jetzt schon 2600 studierende Frauen. Wenn die Frau so in das Erwerbsleben ein⸗ greift, wie soll da ein Mann sich eine Familie gründen können? Alles das schafft uns ein gebildetes Proletariat, das ja Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie ist. Ganz besonders schlimm ist es um die Aerzte bestellt, deren freie Betätigung durch die Ausdehnung der Versicherungspflicht immer mehr eingeschränkt wird. Zu beklagen ist dabei noch, daß die Zahl der Ordinariate nicht in demselben Maße wie die der Studierenden gestiegen ist. Darunter leidet das persön⸗ liche Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Hier müßte die Regierung aufklärend schon auf den Schulen wirken und auch auf die Eltern ihren Einfluß auszuüben versuchen.

Herr Dr. Waldeyer: Wir haben eine große Anzahl Privat⸗ dozenken, für die wir aber keinen Raum für Arbeitsplätze haben. Hierin dieße sich sicher an den großen Universitäten leicht Abhilfe schaffen. . .

Herr Dr. Gerding: Die Bewilligung von 50 090 S für eine akademische Turnhalle der Universität Greifswald ist mit Freuden zu begrüßen. Greifswald zählt jetzt 1500 Studenten, und es ist anzunehmen, daß ihre Zahl noch steigt. Trotzdem . jetzt schon die Ginrichtungen der Universität völlig unzureichend. Der Bau eines neuen Seminargebäudes ist dringend notwendig. Geradezu be⸗ klagenswert sind die Zustände in der medizinischen Fakultät. Auf die dringende Notwendigkeit der Schaffung einer Professur für Derma⸗ tologie und Syphilis hat Herr von Hennigs⸗-Techlin schon im Ab⸗ geordnetenhaufe hingewiesen. Es fehlt an einer Klinik für Haut⸗ und Geschlechtskrankheiten, und die alten Baracken für Infektions⸗ krankheiten reichen nicht mehr aus. Greifswald ist die älteste preu⸗ ßische Universität, und der Staat hat gerade für sie am wenigsten gelan. Bei der Verwaltung des Grundbesitzes der Universität sollte man nach denselben Grundsätzen, wie bei Staatsdomänen, verfahren, daß niemand eine Pachtung erhält, der schon selbst ein großes Be⸗ s Bei dem überwiegenden Großgrundhesitz im Kreise sollte

sitztum hat. bberwiegenden G gesitz im man die Unibersitätsgüter für die innere Kolonisation nutzbar Kreise Greifs⸗

machen. g Graf von Behr⸗Behrendorff: Im .

wald ist allerdings der Großgrundbesitz stark vertreten. Aber gergde

dort ist in letzter Zeit eine Anzahl Güter aufgeteilt worden. Ich

kann den Wunsch unterstiltzen, der Staat möchte dies auch bei

den Universitätsgütern zulassen.

weil bei jeder Aufteilung Senat und Rektor der Universität zustimmen

muß. Dem Vorredner möchte ich empfehlen, daß er auf die Stadt

Greifswald einwirkt, da bei ihr die Verhältnisse, ähnlich wie bei der Universität liegen, ebenfalls die innere Kolonisation zu fördern.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Ich nehme es im allgemeinen nicht tragisch, wenn die Zustände an irgend einer Universität in den Parlamenten in besonders schwarzen Farben geschildert werden. Das geschieht, um möglichst für eine Einrichtung, die man gerade wünscht, Propaganda zu machen, und das ist ja auch begreiflich. Ich meine, es wird wohl auch von dem hohen Haus eine Rede, die solche schwarzen Farben

Allerdings ist es hier nicht so leicht,

aufträgt, nicht allzu tragisch genommen werden. Wenn daz nicht der Fall wäre, dann müßte ich doch mit einer gewissen Entschiedenheit gegen die Schilderung Einspruch erheben, die von den Verhältnissen in Greifswald gegeben worden ist. Ich will gar nicht leugnen, daß an der Universität in Greifswald dies und das noch zu verbessern sein wird; aber daß die Zustände in dem Umfange der Verbesserung be⸗ dürften, wie das von dem Herrn Vertreter der Stadt Greifswald hier vorgetragen worden ist, kann ich nicht zugeben. Wir sind ja übrigens mit den Verhältnissen von Greifswald im Ministerium selbstverständlich durchaus be⸗ kannt, und es ist uns auch nichts Neues, daß die Universität Greifswald die älteste preußlsche Universität ist. (Heiterkeit)

Was den Grundbesitz der Universität betrifft, so kann ich hier mitteilen, daß wir dem Gedanken, in der dortigen Gegend in ge⸗ wissem Umfange innere Kolonisation zu treiben, durchaus sympathisch gegenüberstehen. Es ist die Anordnung getroffen, daß bei allen Do⸗ mänen der Universität, wenn es zu Neuverpachtungen kommt, in jedem einzelnen Fall geprüft werden soll, ob sich der Grundbesitz nicht zur Verkleinerung eignet; auch haben schon einzelne solcher Maßnahmen stattgefunden, wenn auch von der Universität ein ganzes Gut noch nicht parzelliert worden ist. Uebrigens bedarf es darin irrte der Herr Vorredner nichi der Zustimmung des Rektors und Senats der Untversität zu solchen Maßnahmen. Diese Stellen sind nur gut⸗ achtlich zu hören. Die Entscheidung ist bei der staatlichen Instanz, sodaß, wenn in einem Falle die Voraussetzungen zu einer solchen Maßnahme gegeben sind, sie sehr wohl zur Ausführung gebracht werden kann, und das wird auch geschehen.

Im übrigen möchte ich mich der Ermahnung des Herrn Grafen von Behr an die Stadt Greifswald anschließen, daß sie auch einmal ihrerseits dieser Frage näher trete, da sie sich in derselben Lage be⸗ findet, wie die Universität.

Herr Dr. Gerding: Ich habe von den Verhältnissen der Universität. Greifswald ein richtiges Bild gegeben., Vielleicht ernennt der Minister einen Kommissar, der alles nachprüft. Hervor⸗ heben möchte ich, daß die Stadt Greifswald ihrerseits schon bei der inneren Kolonisation mitwirkt und entsprechenden Grundbesitz zur Verfügung stellt. Das kann aber nur langsam geschehen, da die meisten Pachtungen noch auf lange JZeit lauten. Neulich haben wir einen großen Gutskomplex an eine Siedlungsbank verkauft.

Graf zu Rantzau: Ich möchte den Herrn Minister bitten, an der Universität Kiel eine Professur für schleswigsche Landesgeschichte zu errichten. Es gibt viele Schleswig-Holsteiner, die über ihre eigene Landesgeschichte nicht genügend orientiert sind. Von dänischer Seite wird Line Fälschung der schleswig-holsteinischen Geschichte getrieben. Das kommt in die Presse, und die öffentliche Meinung wird irre⸗ geführt. Das Studium. der schleswig⸗holsteinischen Landesgeschichte ist, auch für die schleswig holsteinische studierende Jugend von dem größten Interesse,. Für Preußen waren die Ereignisse von 1848 bis 1851 der Hebel für seine weitere Entwicklung. Auch die ältere Ge⸗ schichte Schleswig⸗Holsteins ist nicht genügend bekannt. (Der Redner geht hierauf näher ein Die schleswig⸗-holsteinische Geschichte bildet einen integrierenden Bestandteil der preußischen Geschichte. Wir wollen aus unserer Landesgeschichte lernen, daß wir die Verbindung mit Deutschland Preußen verdanken. Wir wollen uns der Ehre würdig erweisen, jetzt Preußen zu sein. Die Provinz ist gewillt, bis zum letzten Blutstropfen Preußen zu erhalten, als Stütze eines kräftigen Deutschlands, Am liebsten wäre mir eine ordentliche Pro fessur für schleswig⸗holsteinische Landesgeschichte; geht dies aber nicht, so wünschen wir wenigstens eine etatsmäßige außerordentliche ö. fessur. Ueber die Notwendigkeit dieser Professur wird sich noch Pro⸗ sessor Reinke äußern.

Herr Dr. Rejnke: Ich kann die Ausführungen des, Vor— redners bestätigen. Die philosophische Fakultät der Universität Kiel betrachtet die Errichtung eines etatsmäßigen Extraordinariats für schleswiq - holsteinische Landesgeschichte als eine wertvolle Ergänzung ihres Lehrkörpers. Ein Ordinariat dagegen hält sie nicht für not⸗ wendig. Die schleswig⸗holsteinische Landesgeschichte ist sehr kom⸗ pliziert. Die Errichtung eines solchen Extraordinariats würde der Universität sehr nützlich sein.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Ich bin in der glücklichen Lage, den beiden Herren Vorrednern gegenüber mitzuteilen, daß ich heute einen Lehr— auftrag für nordische und speziell schleswig ⸗holsteinische Geschichte an der Universität Kiel erteilt habe. Damit wird den Wünschen, die hier vorgetragen worden sind, entgegengekommen, und ich glaube, daß es wohl der richtige Schritt ist, wenn zunächst nur ein Lehrauftrag nach der gewünschten Richtung hin erteilt wird. (Bravo!)

Fürst zu Salm⸗Horst mar; Der Ausbau der Universität Münster soll sich auf die 2. Hälfte der medizinischen Fakultät und auf die Errichtung einer evangelisch⸗theologischen Fakultät erstrecken. Ich möchte dem Minister dafür unseren warmen Dank aus⸗ sprechen. Dankbar sind wir auch dem gegenwärtigen Finanzminister, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger unseren Wünschen Wohlwollen entgegengebracht hat. Die Provinz hat zu dem Ausbau eine Viertel⸗ million geboten, die Stadt Münster eine halbe Million. Mit diesem letzten Angebot haben sich die Vertreter der Regierung einverstanden erklärt, weil sie von der Provinz 900 000 Ss verlangt haben. Die Provinz hat aber schon sehr viel für die Universität getan, sodaß ihr Heitrag als durchaus angemessen betrachtet werden kann. Stadt und Provinz haben bereits bis jetzt ? Millionen für die medizinische Fakul⸗ tät hergegeben. Das muß doch als angemessen angesehen werden. Die Provinz Westfalen hat außerdem doch auch noch andere Aufgaben zu erfüllen, z. B. demnächst als Garant des Rhein⸗Weserkanals. Andere Provinzen und Städte haben unter ähnlichen Verhältnissen weniger geleistet. Ich erinnere z. B. an Breslau und Danzig. Die reiche Provinz Schlesien hat für die Technische Hochschule keinen einzigen Pfennig hergegeben. Die Universität Berlin ist auch sehr reichlich dom Staate bedacht worden. Die Leistungen für Berlin durch Be⸗ bauung der Domäne Dahlem sind bekannt. Aus der Tasche der Steuerzahler werden erhebliche Zubußen für die Ring⸗ und Stadt⸗ bahnen geleistet mit 114 Millionen. Wir gönnen den Berlinern die wirtschaftliche Entwicklung. Aber es wäre gerecht, auch den Pro⸗ vinzialstädten in ähnlicher Weise entgegenzukommen und nicht Opfer von ihnen zu verlangen. Welche Summen sind auf der Museums⸗ insel verbaut worden? Wir Westfalen haben keine landwirtschaftliche, technische oder Handelshochschule, sondern wir haben nur diese einzige Hochschule. Der preußische Staat hat die Pflicht, der Provinz die Volluniversität wiederzugeben. Es besteht ja nun diese Absicht; es handelt sich nur noch um die Frage des „angemessenen“ Beitrages. Ich wäre dankbar, wenn die Erklärung abgegeben werden könnte, ob nicht die Grundsätze geändert werden, nach denen die Provinzen und Städte sich an diesen Aufwendungen beteiligen müssen. Wir West⸗ alen sind fleißige, sehr an der Scholle hängende, gutmütige Leute. Diese Gutmütigkeit kann aber leicht aufhören, wenn man merkt, daß Gerechtigkeit gegenüber Westfalen nicht so geübt wird, wie gegen andere Propvinzen. Es muß das preußische Suum cuique auch gegenüber Westfalen Platz greifen.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Es kann kein Zweifel sein, daß der preußische Grundsatz: sunm euiquèe auch auf die Provinz Westfalen in vollem

Maße zur Anwendung zu kommen hat und zur Anwendung kommt. Seine Durchlaucht der Fürst zu Salm hat hervorgehoben, daß ich in der Budgetkommtssion des Abgeordnetenhagses die Erklärung ab⸗ gegeben hätte, daß die Staatsregierung grundsätzlich bereit sei, die Universität Müänster völlig auszubauen, indem ihr cine evangelisch⸗ theologlsche Fakultät eingefügt und die medizinische Fakultät ver⸗ vollkommnet wird, derartig, daß ihr die klinischen Einrichtungen hin⸗ zugefügt werden, damit auch die klinischen Semester in Zukunft in Münster absolviert werden können. Diese Erklärung ist abhängig gemacht worden von der Voraussetzung, daß es gelänge, mit der Provinz und der Stadt Münster darüber einig zu werden, daß sie, wie sie es zugesagt hatten, einen angemessenen Beitrag zu den entstehenden Kosten bereitstellen. Die Frage also, ob die Propinz und ob die Stadt Münster bei den entstehenden Kosten heranzuziehen wären, war berelts entschieden, und zwar durch die Provinz und die Stadt selbst, denn diese beiden hatten es der Staatz⸗ regierung angeboten, sie wollten, wenn die Staatsregierung sich bereit fände, die Universität auszubauen, ihrerseits zu den entstehenden Kosten einen angemessenen Beitrag leisten. Gerade die Provinz und die Stadt Münster haben die Initiative ergriffen, sie haben gewisser⸗ maßen die Staatsregierung dazu gedrängt, den Ausbau der Universität Münster vorzunehmen, und haben dies namentlich dadurch unter⸗ stützt, daß sie sich bereit erklärten, an den erhöhten Kosten sich in an⸗ gemessener Weise zu beteiligen. Darüber besteht auch gar kein Streit, Provinz und Stadt Münster erkennen durchaus an, daß sie sich zu dieser Leistung bereit erklärt haben, und sie sind auch bereit, die Leistung zu erfüllen. Der Streit besteht nur noch darüber, was denn ein angemessener Beitrag sei.

Ich habe schon im Abgeordnetenhause ausgeführt, daß die Höhe dieses Beitrages zwar nicht vom Staat allein, aber auch nicht von der Provinz allein festgestellt werden könne, sondern daß darüber zu verhandeln sei und daß man sich darüber verständigen müsse. Nun sind wir ja leider noch recht weit auselnander. Die Provinz beziehungsweise der Provinzialausschuß hat sich bitz⸗ her nur bereit erklärt, einen Beitrag von 250 000 S zu den Unkosten beizusteuern. Dieser Beitrag muß als völlig ungenügend bezeichnet werden. Wenn die Provinz darauf bestände, nur diesen Beitrag zu den Kosten zu leisten, dann würde ich das außerordentlich bedauern und müßte befürchten, daß das Projekt ge⸗ fährdet wäre, sowohl die Einrlchtung der evangelischtheologischen Fakultät wie der Ausbau der medizinischen Fakultät. Ich glaube aber immer noch, daß es gelingen wird, zu einer Einigung zu kommen, und möchte gerade die Herren, die als Vertreter der Provinz Westfalen hier in diesem hohen Hause sitzen, bitten, ihren weitgehenden Einfluß auf die Provlnzialorgane dahin geltend zu machen, daß sie es doch nicht versäumen möchten, jetzt zuzugreifen. Das Eisen soll man schmieden, wenn es heiß ist. Ich fürchte, wenn wir jetzt nicht zu einer Verständigung kommen, dann werden in Zukunft leicht neue Schwierig⸗ keiten entstehen; so günstig für die Erfüllung ihrer Wünsche wird sich der Zeitpunkt vielleicht später nicht wieder zeigen, wie das heute der Fall ist. Wenn der Provinziallandtag bei seiner bevorstehenden Tagung sich entschlösse, einen Beitrag zu bewilligen, wie er auch von der Staatsregierung für angemessen angesehen wird, dann, glaube ich, werden wir mit Sicherheit darauf rechnen können, schon in dem nächsten Etat die erste Rate für den Ausbau der Münsterer Universität zu finden. Ist das aber nicht der Fall, ist die Möglichkeit, die entsprechende Summe in den nächsten Etat einzustellen, nicht gegeben, dann wird man abwarten müssen, ob die Dinge in späterer Zeit wieder so günstig liegen werden. Deshalb erlaubte ich mir, die Herren aus Westfalen

in Westfalen zum Abschluß zu bringen.

Nun ist ja in der Tat die Differenz zwischen 250 000 und 900 000 S, die von uns verlangt werden, ziemlich groß. Als in Münster neulich in kommissarischen Beratungen verhandelt wurde, schlen eigentlich bei den westfälischen Herren die Geneigtheit vor⸗ handen zu sein, eine uns allerdings noch nicht genügende Erhöhung der Summe beim Provinzialausschuß zu befürworten. Ich habe aus den damaligen kommissarischen Beratungen den Eindruck gewonnen, daß die Herren wenigstens für einen Betrag von 5600 000 υν eintreten wärden. Das ist nun aber leider auch nicht geschehen. In der Provinzialausschußsitzung hatte man keine Neigung hierfür, hat es abgelehnt und sich auf den Be⸗ trag von 250 000 M zurückgezogen. Aber wenn ich den Betrag von 500 000 S als von der Provinz angeboten auffassen könnte, so würde noch eine Differenz zwischen 500 000 und 900 000 S bestehen, und es wäre nun vielleicht die Aufgabe, den Mittelweg zwischen diesen beiden Summen zu finden, auf dem man sich dann einigen könnte. Ich möchte diese Andeutung ausgesprochen haben und würde mich freuen, wenn sie zu einem Ergebnis in Westfalen führen würde. Ohne das muß ich, wie gesagt, die Befürchtung hegen, daß wir mit der Sache nicht zum Abschluß kommen.

Die Anforderungen, die ven seiten des Staats an die Provinz gerichtet werden, sind keineswegs so außerordentlich hoch, wie es von dem Herrn Vorredner bezeichnet worden ist. Es ist doch zu bedenken, welche großen Kosten für den Staat durch die Ausgestaltung der medizinischen Fakultät entstehen. Die einmaligen Ausgaben betragen 4086 000 16 rund. An dieser Summe sollen die Stadt und die Pro⸗ vlnz mit 1 400 000 ½ beteiligt werden. Es würde danach der Staat immer noch eine einmalige Aufgabe von 2686 000 M zu tragen haben. Aber die Hauptsache ist doch, daß die dauernden Lasten für den Staat in der Zukunft ganz erheblich steigen es muß von ihm eine jährliche Mehrausgabe von 442 000 6 dauernd übernommen werden. Kommt es dazu, wird die Universität in der Weise ausgestaltet von Staat, Stadt und Provinz, so sind doch künftig Stadt und Provinz von der Unterhaltung frei, sie brauchen sich weiter daran nicht zu beteiligen. Wohl aber wird, das kann man schon jetzt mit Sicherheit voraussagen, die Last des Staates sich in der Zukunft weiter steigern. Denn die Anforderungen für Verbesserung der Einrichtungen in Münster werden genau so kommen, wie sie von anderen Universitäten an uns gelangen. Dann wird der Staat ein⸗ zutreten haben und nicht die Provinz und nicht die Stadt.

Alle diese Dinge werden Sie in Berücksichtigung ziehen müssen, wenn Sie abwägen, ob die Heranziehung von Stadt und Provinz wirklich eine zu hohe ist. Die Gxemplifikation auf andere Unbversitäten und Provinzen kann hier nicht durchschlagend sein. Ich muß an die historische Entwicklung der ganzen Frage erinnern. Der Staat wollte gar nicht die Universttät Münster welter ausbilden, er hatte die Auffassung, daß