1913 / 43 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 18 Feb 1913 18:00:01 GMT) scan diff

daß diese ihre Pflicht noch freudiger tun. Alle Wünsche der Be⸗ amten können ja nicht erfüllt werden, die Post ift ja keine Versorgunganstalt. Ich gebe anheim, ob nicht die Klasse der Dberschaffner ausgestaltet wird. Es könnte wohl möglich sein, daß der eine oder andere dieser Beamten aus seiner Klasse herausgehoben wird. Zu der mittleren Karriere sollten nicht die Bewerber mit dem Ginjähligenzeugnis bevorzugt werden, sondern auch die mit dem Reifezeugnis einer Mittelschule berücksichtizt werden. Im Interesse des Friedens läge es. fest⸗ zustellen, ob bei den vorhandenen Anwärtern der Assistentenklasse eine Differenzierung zwischen Zivil- und Militäranwärtern statifindet. Was die Ostmarkenzulage betrifft, so sollten die Beamten ihren Stolz darein setzen, von dieser Zulage endlich befreit zu werden, 4 ar Unterdrückung der Ehre und Freiheit ist damit zu teuer erkauft.

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke:

Meine Herren! Ich möchte einige Worte dem Herrn Vorredner erwidern. Ich habe nicht recht verstanden, weshalb die Beamten sich durch die Polenzulage wie Sie sie nennen beschwert fühlen sollten. Sowohl die Regierung wie die Beamten stehen doch auf dem Standpunkt, daß diese Zulage ihnen gewährt ist, weil die preußischen Beamten sie beziehen und weil als Grundsatz ausgesprochen ist, daß Gleichheit in den Ge— hältern der Beamten sein soll. Nun habe ich von den Vertretern der polnischen Fraktion nichts gehört, was irgendwie den Beamten zur Last fiele, weil sie irgendeine Zulage be⸗ zögen, sondern es hat bieher nichts als Beweis angeführt werden können, daß diese Zulage schlecht auf den Charakter der Beamten oder auf die Verrichtung der Dienstleistung gewirkt hätte; denn alle die Fälle, die hier angeführt sind, werden Ihnen doch klargelegt haben, daß wirkliches Material gegen diese Zulage und gegen die Handlungen der Beamten nicht vorliegt. (Sehr richtig! bei der fortschrittlichen Volkspartei Das sind Fälle, wie sie in dem gewaltigen Postbetriebe toto die, an jedem Tage, vorkommen. Wenn solche Fälle hier breitgetreten und als etwas Besonderes hingestellt werden, so kann ich immer bloß wiederholen, daß die Herren Vertreter der polnischen Fraktion trotz Aufforderung bisher nicht imstande gewesen sind, Fälle anzuführen, in denen die Postbeamten etwas Unrechtes gegen sie getan. (Wider⸗ spruch bei den Polen) Was gestern oder vorgestern angeführt worden ist, war wirklich nichts, wenn Sie sich das recht betrachten. Wenn jeder einzelne Abgeordnete daraus, daß er diesen oder jenen Brief zu spät bekommen hat, den Schluß ziehen wollte, das sei mit Absicht geschehen, dann würde er dem ganzen ehrenwerten Stande der Postbeamten unrecht tun. Einen derartigen Standpunkt nehmen die Beamten nicht ein. (Zuruf bei den Polen: Soll man sie extra dafür bezahlen?) Sie bezahlen sie überhaupt nicht dafür, sondern die Beamten bekommen ihr Gehalt, und dieses Gehalt ist in gleicher Weise bemessen, wie das Gehalt der preußischen Beamten. Das ist der elnzige Grund gewesen, für die Zulage. Das ist schon so oft von hier erklärt worden, daß man glauben sollte, das wäre be— kannt. Alle die Bemerkungen, die von Korruptionsgeld“ gemacht werden, sind wirklich nicht angebracht, nachdem das so oft widerlegt worden ist. (Sehr richtig! bei der fortschrittlichen Volkspartei.)

Ich möchte weiter auf die Ausführungen eingehen, die der Herr Vorredner bezüglich der Beamtenergänzung gemacht hat. Wenn er fragt: Warum nehmt ihr nur Anwärter, die eine höhere Bildung haben, als vorgeschrieben ist? so möchte ich erwidern: von den Oberpost— direktionen wird bei der Annahme von Anwärtern nicht allein die Schulbildung in dieser Beziehung ist als das geringste Maß die Reife für Untersekunda angegeben , sondern es wird die ganze Persönlichkeit der Bewerber in Betracht gezogen; diese ist entscheidend für die Annahme oder Nichtannahme. Nun haben wir häufig die Fälle gehabt: junge Leute, die länger auf der Schule gewesen sind ein Nachteil ist das doch sicherlich nicht sind vor denjenigen, die die Schule kürzere Zeit besucht haben, bevor— zugt worden. Man kann aber nicht allgemein sagen: ihr dürft die besser Gebildeten nicht annehmen. Es würde doch ungerecht sein, wollte man infolge der Forderung der Reife für Untersekunda als Mindestmaß alle anderen ausschließen, die höhere Bildung haben. Meine Herren, wir sind in der Lage, Ihnen auf Grund unserer Akten Gesuche vorzulegen, wo die Eltern sich bitter darüber beklagten, daß ihr Sohn als Primaner abgewiesen ist. Sie sagten: „Was sollen wir mit unserem Sohne machen? Er hat sehr schnell gelernt, wir konnten ihn aber noch nicht unterbringen, weil er noch nicht das Alte erreicht hatte, und haben ihn daher auf der Schulbank gelassen, und nun hat er die Reife für Obersekunda, warum wollt ihr ihn da nicht nehmen?“ Bei allen Berufen, nicht nur bei der Post, ist großer Andrang von jungen Leuten, und das veranlaßt viele, eine höhere Bildung zu erwerben. Finden sie bei den einzelnen Verwaltungen als Supernumerare dann kein Unterkommen, so bewerben sie sich häufig um Annahme bei der Post. Diesen Leuten nun zu erwidern: euch nehmen wir nicht wegen der Ueberschreitung des geforderten Minimums daß kann ich Ihnen nicht versprechen.

Es ist dann weiter die Frage der Differenzierung der Zivil⸗ und der Milttärassistenten nochmals angeschnitten worden. Diese Frage ist bereits in Form der kurzen Anfrage an uns gerichtet worden, und wir haben sie dahin beantwortet: „Eine Aende— rung der Personalordnung der Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung ist weder in dieser noch in anderer Richtung beabsichtigt.“ Ich möchte wiederholen, daß es nicht in der Absicht der Verwaltung liegt, weder gegenwärtig noch zukünftig, die Assistenten aus dem Militär— und Zivilanwärterstande zu differenzieren.

Wenn der Herr Vorredner dann die Bitte an mich gerichtet hat, ich möchte doch hier erklären, wie ich zu diesen Resolutionen stehe, und mir quasi einen Vorwurf daraus gemacht hat, daß ich meinen Kollegen vom Reichsschatzamt habe allein reden lassen, so möchte ich ihm nur wiederholen, daß die Etatsvorlage, die hier besprochen wird, eine Vorlage der verbündeten Regierungen ist, und daß weder der Reichsschatzsekretär noch der Reichspostsekretär hier eine bindende Er— klärung abgeben können, bevor nicht der Bundesrat entschieden hat. Ich habe schon früher hier oft zum Ausdruck ge⸗ bracht: bei der Besoldungsordnung sind alle Gründe für und gegen Festseöung dieser oder jener Gehaltsklasse viel⸗ seitiz beleuchtet worden, und die Verwaltung hat nach reiflicher Ueberlegung geglaubt, sich dahin entschließen zu müssen, die Gehälter so festzusetzen, wie sie gegenwärtig in der Besoldungsordnung stehen. Ich habe auch bei mancher Gelegenheit keinen Zweifel darüber ge⸗ lassen, daß es meinen persönlichen Wünschen mehr entsprochen hätte, wenn die Besoldung der einen oder der anderen Klasse anders hätte

bemessen werden können. Das kann aber nicht entscheidend sein, sondern man muß sich dem fügen, was die verbündeten Regierungen beschlossen haben, und muß abwarten, was nun infolge dieses dring⸗ lichen Antrages des Reichstags jetzt geschehen wird. Aber dagegen möchte ich mich verwahren, als wenn ich alles meinem Kollegen Kähn überlassen hätte und nicht selbst zu der Sache sprechen wollte. Es sind vor allem etatsrechtliche Fragen, in denen der Reichoͤschatzsekretär immer das erste und ein sehr gewichtiges Wort hat.

Abg. Mum m (wirtsch. Vag.): Die Schwierigkeit bei dem Kapitel liegt in dem Thema: Der Staatssekretär als Arbeitgeber. Ein roter Postmeister würde es nicht leichter haben auf jenem Stuhl als der gegenwärtige Staatssekretär. Der Abg. Fischer von den Sozialdemokraten könnte einige Auskunft darüber geben, welche Schwierigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern bestehen. Die Maschine steht heute mehr im Vordergrunde, als wünschenswert ist. Das Interesse der Unterbeamten wird hier mit einem Eifer von der äußersten Linken vertreten, der in sonderbarem Widerspruch steht mit dem „dickbramsigen Beamten“, dessen man sich nicht so annehmen dürfe; dieser Aufdruck fiel von einem Mitgliede der äußersten Linken. Für einen ausgezeichneten Gedanken halte ich die Kinderzulagen, die hereits 1905 von Stöcker befürwortet worden sind. Die Beamtenausschüsse sollten doch endlich für das Bereich der Postverwaltung eingesetzt werden; es verhandelt sich mit Vertretern besser als mit Massen. Es wäre das schönste Jubiläumsgeschenk für unsern Kaiser, wenn es ihm be⸗ schieden wäte, zufriedene Beamte zu haben. Die Forderung der Besserstellung der Altpensionäre unterstützen wir nachdrücklich. Die Telegraphenarbeiter, die in Wind und Wetter schwere Arbeit zu leisten haben, müssen bessergestellt werden, eine zehn⸗ jährige Wartezeit bis zur Anstellung sollte genügen. Auch ihren Wünschen wegen Aenderung des Verfahrens bei Dienst⸗ beschädigungen, wegen Berücksichtigung weiter Entfernungen zur Arbeitsstelle bei der Bemessung der Arbeitszeit, sowie wegen der Vereinbarung von Tarifverträgen sollte möglichst Erfüllung zu⸗ teil werden. Die wichtigen Verhandlungen, die zwischen zwester und dritter Lesung zwischen dem Staatssekretär und dem Schatz sekretär zur Vorbereitung des Bundesratsbeschlusses stattzufinden haben, werden hoffentlich zu einem günstigen Ende führen und Hunderttausenden von Beamten zum Segen gereichen.

Abg. Dr. Südekum (Soz.): druck „dickbramsig“ gebraucht hat, aber nur kommunale Tätigkeit der in einzelnen Orten gesiedelten Postbeamten, nicht aber in liche Tätigkeit. Wir haben stets für die Aufbesserung der Postbeamten gestimmt; aber das kann uns nicht hinderg, an der oft sehr reaktionären kommunalpolitischen Stellungnahme der Beamten Kritik zu üben. In diesem Sinne stelle ich die Behaup⸗ tung des Abg. Mumm, die auch der „Reichsbote“ schon aufgestellt hat, richtig.

Damit schließt die Besprechung.

Vizepräsident Dr. Pa asche bemerkt, es sei im Anfang der Rede des Abg. Kuckhoff von der äußersten Linken gerufen worden: Es ist ja nicht wahr, was Sie sagen, Schwindelmayer!“ Diese Aeußerung ist durchaus unzulässig. Ich müßte den Betreffenden, wenn er sich meldet, zur Ordnung rufen. (Es meldet sich ein Mit⸗ glied der sozialdemokratischen Fraktion. Dann rufe ich Sie zur Ordnung!

Persönlich bemerkt der

Abg. Mum m (wirtsch. Vag.): Der Abg. Dr. Südekum hat meine Anführungen lediglich bestätigt.

Abg. Dr. Südek um (Soz): Ich hatte ja vorausgefagt, daß es dem Abg. Mumm nicht möglich sein würde, zu unterscheiden, in welchem Sinne das Wort fiel.

Abg. Mum m (wirtsch. Vgg.): Ich habe eben das Wort „dick⸗ bramsige“ hervorgehoben.

Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt, die Resolution Windeck-Hubrich wegen Gleichstellung der Post⸗ beamten in Elsaß-Lothringen mit den Reichseisenbahnbeamten hinsichtlich der Gewährung nichtpensionsfähiger Zuschüsse an⸗ genommen

Bei den Ausgaben für die mittleren Beamten in der Zentralverwaltung verwendet sich der

Abg. Wer ner⸗Hersfeld (8d. Reformp.) unter großer Unruhe des Hauses für die Abstellung gewisser Härten in der Besoldung der mittleren Postbeamten.

Hierauf wird um 6M Uhr die Fortsetzung der Beratung auf Dienstag 1 Uhr pünktlich vertagt; vorher kleine Anfragen und Wahlprüfungen.

Ich bin es, der den Aus— in bezug auf die in großer Zehl an⸗ bezug auf ihre amt⸗

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 134. Sitzung vom 17. Februar 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“ .)

Ueber den Beginn der Sitzung, in der die zweite Be⸗ ratung des Etats der Justizberwaltung, und zwar zu⸗ nächst die bei dem ersten Titel der dauernden Aus gaben, „Gehalt des Ministers“, übliche allgemeine Besprechung fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Auf die daselbst auszugsweise wiedergegebenen Aus⸗ führungen der Abgg. Mathis (nl.) und Müller⸗Koblenz (Zentr.) entgegnet der

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Mit vielem, was der Herr Vorredner gesagt hat, kann ich mich ja durchaus einverstanden erklären; aber mit allem doch nicht. Deshalb bitte ich, zu einzelnen Punkten kurze Bemerkungen machen zu dürfen.

Der Herr Abgeordnete hat zunächst das Examenswesen bei der Justiz einer Erörterung unterzogen, und er hat dabeh darauf hingewiesen, daß dieses Examen auf die Feststellung nicht sowohl gedächtnismäßigen Wissens, sondern der Urteilsfähigkeit der Kandidaten gerichtet werden solle. Er hat aber auch ausgeführt, daß das Examen nur für die Kenntnisse und Befähigung als Jurist, nicht aber auch für die Persönlichkeit und den Charakter eine Gewähr biete. Das ist ganz richtig. Wir können natürlich bei der Prüfung über die Charakter⸗ eigenschaften und sonstigen Eigenschaften des einzelnen keine Autkunft erlangen. Aber bedenken Sie doch, daß alle diejenigen, die das Examen machen, schon vier Jahre in der Praxis tätig gewesen sind und der Regel nach noch eine Reihe von Jahren nachher tätig sein werden, bis ihre Anstellung in Frage kommt. Da bietet sich dann doch die Gelegenheit, auch die andern Eigenschaften, die für einen Richter wichtig sind, kennen zu lernen und beurteilen zu können.

Wenn der Herr Abgeordnete nochmals besonders betont hat, daß diejenigen Kandidaten, welche mit einem günstigen Prädikat aus dem Examen hervorgegangen seien, wesentlich bevorzugt würden, so glaube ich, daß er daß, was ich über die Sache schon gesagt habe,

nicht voll berücksichtigt hat. Zunächst muß ich darauf aufmerksam

machen, daß die Annahme nicht zutrifft, diejenigen, welche sich im Examen besonders hervorgetan haben, würden ganz besonderg früh angestellt. Ich habe ermittelt, daß die Durchschnittszeit nach dem Examen für sie doch immerhin 3 Jahre 2 Monate Tage beträgt; auch bel ihnen liegt also zwischen Examen und Anstellung noch eine geraume Zeit, in der man sich ein Urtell über die Be— fählgung des Assessors bilden kann. Immer wieder muß ich betonen, daß das Examengergebnis allein nicht maßgebend ist.

Der Herr Abgeordnete hat gemeint, früher sei man im wesent⸗ lichen nur nach der Aneiennität gegangen. Ja, meine Herren, das wäre eine sehr bequeme Art der Anstellung, aber nach meiner redlichen Ueberzeugung eine unrichtige. Ste hat auch nicht in der Art bestanden, wie der Herr Abgeordnete es betonte. Daß so nicht verfahren werden kann, ist bei Beratung des Richterbesoldungsgesetzes ausdrücklich erörtert worden. Man hat deshalb eine besondere Be— stimmung in § 3 des Gesetzes aufgenommen, die dem Umstande Rechnung tiägt, daß die Anstellung nicht lediglich nach der Anctennität erfolgen kann.

Es ist dann gesagt worden, die sogenannten Durchschnitteassessoren, wie der Herr Abgeordnete sie genannt hat, wären ja nun eigentlich ganz zurückgedrängt und sähen einer hoffnungslosen Zukunft entgegen. Meine Herren, im letzten Jahre entfällt auf diejenigen, die mit einem besseren Examen abgeschnitten haben, 1, von der Gesamtzahl der An stellungen, und auf die anderen, die sogenannten Durchschnittsassessoren, entfallen 6. Da kann man doch nicht sagen, daß diese überhaupt keine Aussicht hätten, sondern zurückgedrängt würden.

Der Herr Abgeordnete hat dann darauf hingewiesen, daß ganz besondere frühe Anstellungen erfolgt wären. Ich habe ermittelt, daß im letzten Jahre nur in einem Falle ein Richter mit geringerem als einjährigem Dienstalter angestellt worden ist, und der hat wahr— scheinlich ein oder beide Examina mit dem Piädikat vorzüglich“ be standen. Meine Herren, das besagt etwas! Wenn ein Assessor das große Examen mit „vorzüglich besteht und vielleicht das erste auch so bestanden hat, so kann man ziemlich sicher sein, daß er ein Mann von besonderer juristischer Veranlagung ist, bei dem es nachher keiner langen Bewährungèzeit mehr bedarf.

Als besonders schroffes Beispiel hat der Herr Abgeordnete den Assessor angeführt, der 7 Jahre im Dienst gewesen sei. Er sagt, der Assessor habe dem Staat 7 Jahre Dienste geleistet, für die er eigent lich hätte Bezahlung erhalten müssen; des halb habe er jetzt gewisser⸗ maßen ein Recht auf Anstellung. Aber, meine Herren, unter den 7 Jahren werden sich wohl einige Zeiten befinden, in denen er gegen Diäten beschäftigt war, und die übrige Zeit kann ich nicht als eine solche rechnen, für die er eigentlich hätte Be zahlung erhalten müssen. Tie Beschäftigung der unbesoldeten Assessoren bildet heutzutage eine große Schwierigkeit für die Justiz— verwaltung, da es oft kaum möglich ist, eine einigermaßen angemessene Beschäftigung für die einzelnen Herren zu finden. Zu meinem Leidwesen haben deshalb oft die Herren, die unbesoldet tätig sind, außerordentlich wenig zu tun. Diese Zeit können Sie doch unmöglich als eine solche rechnen, für die der Assessor eigentlich hätte Bezahlung erhalten müssen.

Dann hat der Herr Abgeordnete noch darauf hingewiesen, daß die Prozesse zu sehr beschleunigt würden. Ich möchte glauben, daß diese Auffassung nicht überall geteilt wird. (Sehr richtig) Wenigstens die Beschwerden, die hier in der Zentral⸗ instanz eingehen, daß die Prozesse zu lange dauern, sind gar nicht selten; und jedenfalls ist mir nichts davon bekannt, daß ein besonderer Wert auf die „Nummerntötung“ gelegt würde, wie der Herr Ab⸗ geordnete es nannte. Darauf habe ich nech nie gesehen und bin auch in den mir erstatteten Berichten nicht der Auffassung begegnet, daß die einzelnen Richter zu beborzugen seien, weil sie besonders viel „Nummern“ abgemacht hätten. Meine Herren, das war vielleicht in früheren Jahren, die lange zurückliegen, da wurden die Arbeiten so nach Nummern, die man abarbeitete, berechnet. Davon sind wir längst zurückgekommen. Aber daß wir uns eine Uebersicht verschaffen müssen über das, waz überhaupt an den Gerichten im Jahre gearbeitet wird, das ist selbstverständlich; denn wenn die Zahl der Sachen zu groß wird, muß für Hilfe gesorgt werden. Von diesem Gesichtepunkte aus werden die Geschäftsergebnisse geprüft.

Dann meinte der Herr Abgeordnete, die Vorskitzenden der Strafkammern müßten nicht zu lange in der Stellung bleiben Ich stehe dem Gedanken durchaus sympathisch gegenüber. Ich halte es für sehr gut, wenn die Herren öfter wechseln, damit sie nicht ein seitig bloß Strafjuristen oder bloß Ziviljuristen werden, sondern in der Praxis der verschis' denen Materien des Rechts voll bewandert bleiben. Bekanntlich beschließen aber die Präsidenten und die Direktoren unter sich über die Verteilung des Vorsitzes, ohne daß ich einen bestimmenden Einfluß darauf zu üben im Stande bin. Daß ein häufiger Wechsel hier erwünscht sein würde, das be— streite ich gar nicht. .

Sehr streng hat der Herr Abgeordnete gesprochen über die Tätig keit der deutschen Richter hinsichtlich der Anklagen wegen Schmutz und Schund in Wort und Bild. Der Herr Abgeordnete hat von deutschen Richtern gesprochen und gesagt, der deutsche Richter— stand habe versagt. Das ist doch wohl ein sehr scharfer Aus— spruch. Ich weiß nicht, wie weit der Herr Abgeordnete auch die preußischen Gerichte mit einbegriffen hat, aber in der Allgemeinheit, wie er es getan hat, muß ich annehmen, daß sich auch gegen diese seine Aeußerung mit gerichtet hat. Daß hier und da Urteile ge— sprochen sein mögen, die dem Herrn Abgeordneten nach seiner Auffassung nicht genügten, ist ja durchaus möglich; aber daß man nun allgemein sagen könnte, die Richter hätten versagt in dieser Hinsicht, dem muß ich doch nach meinen eigenen Erfahrungen entgegentreten. Außerdem will ich bemerken, daß, um auch dem Gedanken des Herrn Abgeordneten Rechnung zu tragen, hier, soweit es möglich ist, Abhilfe zu schaffen, schon jetzt eine Zentralisierung der Verfolgung der

artiger Vergehen eingerichtet ist, sowohl was Lie Poltzei anlangt, als auch was die Staatzanwaltschaft angeht. (Sehr guth Wir glauben, damit einen guten Erfolg zu erzielen. (Bravo) Der Herr Abgeordnete wolle überzeugt sein, daß die von ihm an⸗ geregte hochbedeutsame Frage keineswegs der Beachtung der Justiz⸗ verwaltung und der anderen Staatgverwaltungen entgangen sst und daß sie nach Kräften bemüht sind, die Abhilfe zu schaffen, die hier geboten ist. (Bravo! im Zentrum.) ;

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat sich ferner darüber beklagt, daß die Regierung für die Rechtsanwälte, namentlich

2 2 sᷣ . * J 55 91 ür auch dieses Haus nicht mit der Wärme eingetreten sei wie

zie Richter. Zunächst möchte ich darauf bemerken, daß es mir nicht erinnerlich ist, daß hier im Dause irgendwie Angriffe gegen den Stand der Rechtganwälte auch nur annähernd in dem Umfange erfolgt wären nie gegenüber den Gerichten. Schon daraus ergibt sich, daß eine Deranlassung, auch für die Rechttzanwãlte einzutreten, sich wohl kaum in der Art ergeben hat wie für die Richter. Dann kann ich aber dem Herrn Abgeordneten bemerken, daß nach meinen Giefahrungen die Wertschätzung des Rechttanwaltestandes durch die Verwaltung durchaus gepflegt wird. Ich weiß aus meiner Er— sahtmng, wie ausgezeichnet das Einvernehmen zwischen Richtern und Rechtlaͤnwälten sein kann, wenn auf beiden Selten der gute Wille, der borhanden sein soll, auch wirklich besteht, und daß, wenn dieses IMsumenwirken stattfindet, es auch die besten Früchte trägt. Mie Herren, daß es stattfinden soll, ist der Gedanke unserer men Gesetzgebung, und soweit es in den Kräften der Ver— naltung steht, werde ich dahin wirken. (Bravo! im Zentrum.) 9X 2 . Venn der Herr Vorredner gesagt hat, man dränge in den Rechts- amwaltestand auch unwürdige Elemente, die dort nicht hingehören, dann möchte ich doch auf die Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung hinweisen, wonach die Frage der Würdigkeit der Rechtsanwälte zu entscheiden ist vom Vorstand der Anwaltskammer, nicht von der Ver— waltung. Wenn der Vorstand der Anwaltskammer erklärt, daß ein Rechtsanwalt würdig ist, so kann ich nicht anders als ihn zulassen. Also ich weiß nicht, wo die Handhabe ist für die Jussiz— berwaltung, in dieser Beziehung helfend einzugreifen. Der Herr Vorredner mag sich an den Vorstand der Anwaltskammer wenden, wenn er glaubt, daß in dieser Beziehung die Prüfung nicht minutiös genug vorgenommen sei.

Die Gerichtsvollzieher hat der Herr Vorredner auch be— rührt. Ich habe berests neulich erwähnt, daß vor 4 Jahren eine Denkschrift darüber vorgelegt worden ist. Sie ist in diesem hohen Hause besprochen worden, und man hat die Sache als wenigstens zur= seit erledigt angesehen. Ich habe schon neulich gesagt, daß neue Er— fahrungen, die zu einer anderen Stellung der Verwaltung drängten, nicht gemacht sind. Die Umfragen, auf die der Herr Abgeordnete derwies, haben stattgefunden nicht bloß bei den Präsidenten, sondern durch Vermittlung der Präsidenten vielfach auch bei Handelskammern und bei Rechtsanwälten.

Dann möchte ich adininikulierend hier noch sagen, zufällig habe ich erfahren, daß in einem anderen deutschen Bundesstaat, wo noch die früher hier geltende Einrichtung des Gerichtsvollzieherwesens be⸗ steht, jetzt gerade dieselben Klagen erhoben werden wie bei uns. Daraus ersieht man eben, daß das Vollstreckungsberfahren, mag man es so oder so einrichten, immer zu manchen Unzuträglichkeiten führen wird. (Sehr richtig Wir waren überzeugt und ich bin es noch daß dle jetzt eingeführte Ordnung dlejenige ist, die den Ver⸗ hältnissen am meisten Rechnung trägt und am wenlgsten Unzu träglich⸗ keiten hervorruft. Sollte sich das ändern, sollte man erfahren, daß diese Annahme nicht richtig sei, dann wird es Zeit seln, auf die Sache zurück⸗ zukommen; aber jetzt fehlt es mir absolut an Material, um zu be⸗ haupten, daß unser jetziges Verfahren nicht dasjenige sei, welches den Vorzug verdient. Die übrigen Ausführungen des Herrn Abgeordneten bezogen ich bielfach auf legislatives Gebiet; das sind Fragen, deren Erörterung Stunden und Stunden erfordern würde; ich habe den Dertn Abgeordneten auch dahin verstanden, daß er meinte, heute vürde darüber wohl nicht zu reden sein. Ich habe aber einige hwe 9 1 ibweichende Punkte hervorheben wollen, und glaube deshalb nach wie bor dabei stehen bleiben zu können, daß wir im großen und ganzen mm den heute behandelten Fragen auf dem richtigen Wege sind.

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Die Debatte wird geschlossen. bg. Ro senow (ortschr. Volksp-) bedauert, daß er durch den Schluß verhindert sei, auszuführen, daß der Abg. Cassel nicht aus farteipolitischen Rücksichten für das Laienelement eingetreten sei.

Das Kapitel des Ministeriums wird bewilligt.

Bei dem Kapitel der Ju stizprüfungskom— mission bemerkt

lbg. Dr. B el l-Essen Gentr.): Es ist anzuerkennen, daß der siericht den Vorsitzenden der Justizprüfungskommission sich einer leren Ausdrucksweise befleißigt und alle Fremdwörter und Fachaus⸗ hrücke bermeidet. In der Einleitung dieses Berichtes stoßen wir auf i höcht unerfreuliche Tatsache, daß nämlich die Zahl der zur zrusung Ueberwiesenen im letzten Jahre eine Höhe erreicht hat wie ie zubor. Die Zahl der Durchgefallenen hat sich wieder um 3 3. vermehrt. Der Bericht sucht nun den Gründen nachzugehen, weshalb ö Rol der Durchgefallenen eine so beträchtliche Höhe erreicht hat dömal sogar auf 29 3 gestiegen ist. Er sagt: mit der Fort— e ung der Rechtswissenschaft und der Veränderung der wirt— ftlichen Verhältnisse sind die an den Richter herantretenden An⸗ emen. größer geworden. Es könnte hiernach den Anschein ge— len daß. die Anforderungen an das positibe Wissen bei der Justiz⸗ lungs kommission erheblich gesteigert worden sind. Aber da er rn gs gemäh eine nervöse Ueberreizung bei unseren Referendaren breit macht, so ist es angezeigt, die Mahnung an sie zu richten, n ich so sehr darauf ankommt, in alle die Einzelheiten des Ge— . einzudringen, wie darauf, sich einen Ueberblick über die ge— echte hatgrie zu verschaffen und zu beweisen, daß eine klare iische Auffassungsgabe ihnen eigen geworden ist. Der Justiz⸗ . hat mit- Recht darauf hingewiesen, daß ein bierjähriger Vor— n ngsdienst dem Assessorexamen voraufgeht, und daß dieser Vor⸗ unge ienst dem Kandidaten Gelegenheit geben muß, sich das g . Maß. von Rechtskenntnissen anzueignen. Unsere Gesetz— n ömaschine arbeitet fast wie ein perpetuum mobile. Es wird nl auch nicht einmal der erfahrenste Richter in der Lage sein, in

1 nzelheiten des ganzen Gesetzgebungsmaterials einzudringen. Man

n zufrieden sein, wenn man sich einen allgemeinen Ueberblick e, wen kann. Es ist Aufgabe der Praxis, all mählich tiefer in das In bezug auf das außer⸗

66 Zahl d

n ie ebliche Material einzudringen. ; uf das aich wichtige Problem der Ueberfüllung unseres Juristenstandes ö. htte nich zweckmß ig, der Ueber füllung durch eine Verschärfung han orerginens zu steuern. Wenn man einer Verschärfung des sish an m der Uleberfüllung das Wort reden will, dann . 3. Verschärfung beim Referendarexamen eintreten lassen. n . zer dag, Referendarerxgmen bestanden hat und vier Jahre in marta tts gründlich gearbeitet hat, von dem soll man im allgemeinen 6h 9. niche er auch befähigt ist, das Assessorexamen zu bestehen. iet ht angezeigt, eine weitere Verschärfung des Assessorexamens uch gs fn, da dig Anforderungen schen ohnehin sehr hohe sind. sahen . luster der Referendarprüfung sollen auch heim Assessor⸗ an sberdie Flausurarbeiten eingeführt werden. Ich bitte, den . . Auskunft u. geben, wie weit die Vorverhandlungen dez f rage gediehen sinds Ich bin jedenfalls für eine Verschärfung essorexamenz nicht zu haben.

; Dei dem Kapitel der Oberlandesgerichte, und

wa len ahi den Besoldungen der Oberstaatsanwälte

Abg M V . 9.

haft . itz m Ann (al): Die Strafsachen bei der Staatsanwalt

e g en. von Jahr zu Jahr zugenommen. Den Zuverlässigsten Afür liefert die Vermehrung der Stellen für Staatsanmwäalte.

Wir treten für die Bewilligung dieser Stellen freudig ein. Man kann dis Staatsanwaltschaft für die Junahme der Strafsachen nicht verant⸗ wortlich machen. Die Staatsanwaltschaft sollte das Strafverfahren einstellen, wenn ein offentliches Intereffe nicht vorliegt. Dadurch würde nicht so viel Kummer und Sorge in die Famillen getragen werden. Von einem Gemüfehändler in meinem Wahlkreise wird mir mitgeteilt, daß er bestraft worden sei, weil er im Ho sommer für 135 5 ein Pfund Kirschen verkauft hatte, von denen 2 Stück nicht eßbar waren. Man sollte doch hier das Utilitätsprinzip dem Legalitäts⸗ Prinzip vorziehen, dann würden unsere Richter ganz erheblich entlastet werden. Von dem Rechtsmittel der Berufung wird von der Staats— anwaltschaft allzu viel Gebrauch gemacht, besonders von der Amts— anwaltschalt der kleinen Amtsgerichte. Das Schwert der Themis, das zum Schlage gegen das Verbrechen da sein soll, soll nicht miß— hraucht werden zum Holzhacken. In Deutschland ist jede zwölfte Person, von den männlichen Personen jede sechfte bestraft. Da sollte doch von der Waffe der Anklage nur der allernotwendigste Gebrauch gemacht werden. .

Abg. Rosenow (fortschr. Volksp):; Der Oberstaatsanwalt in Königsberg hat im April 1911 an die ersten Staatsanwälte und die Ge gngn i gussesyr seines Bezirkes die Verfügung erlassen, daß dom . Nobemher. 1911 ab die erforderlichen Müllereierzeugnisse, Mehl, Weizen, Gerste, Buchweizengrütze usw. ohne vorausgegangene öffent— liche Ausschreibung von der Bromberger Seehandlungsmühle zu be⸗ eben seien. Dadurch fühlten sich die schwer um ihre Existenz kämpfenden Kleinmüller, die bisher die Lieferung gehabt haben, ge— schadigt, sie wandten sich an die Handelskammer, diese schrieb an den 5 berstagtsanwalt, in Königsberg, und dieser antwortete, daß er keine Auskunft geben könne, sondern anheimstelle, sich an den Justizminister zu wenden. Die Handelskammer schrieb am 16. Juni 1911 an den Justizminister, und da keine Antwort erfolgte, noch einmal am 4. No⸗ bemher 1911. Darauf antwortete der Minister am 14. November, daß die Anfrage vom 16. Juni zurzeit noch nicht erledigt werden könne. Tarauf wandte sich die Handelskammer am 28. Dezember an den Pändelsminister, und dieser antwortete am 15. Februar 1912, daß die Angelegenheit von den zuständigen Stellen geprüft werde, die' Er— mittlungen aber noch nicht abgeschlossen seien. Während all dieser Heir haben die kleinen Müller in der Angst geschwebt, daß sie ihren Absatz verlieren. Auf persnliche Anfrage erklärte mir der Dezernent des Justizministeriums, daß vor nunmehr 5 Wochen die Verfügung des Oberstaatsanwalts in Königsberg aufgehoben sei. Das hat also zwei Jahre gedauert. Ich bitte nun um Auskunft, ob es sich um eine allgemeine Anordnung des Ministers gehandelt hat, und welche Grüne dazu geführt haben.

ö Geheimer Oherjustizrat Plaschke: In der Angabe, daß die

Verfügung vor 6 Wochen aufgehoben sei, habe ich mich getäuscht; der betreffende Erlaß datiert schon vom 11. November 1913 und ist am 13. November an die Handelskammer in Allenstein abgegangen. Er lautet dahin, daß der Oberstaatsanwalt in Königsberg ersucht wird, bei den Lieferungen wieder von dem öffentlichen Ausbietungsverfahren Gebrauch zu machen. Schon seit 1857 besteht bei der Verwaltung des Innern die Vgrschrift, daß die Gefängnisse ihren Bedarf an Mehk und Mühlenprodukten aus den Bromberger Mühlen entnehmen sollen. Darüher wurde Klage geführt, auch in diesem Hause, zum letzten Male am 11. Tebrugr 1897, wo der Abg. von Plötz verlangte, das aufzu— hehen. Der Kommissar des Innern, Geheimrat Bohne, verhielt sich ablehnend, weil die Uebung seit zehn Jahren bestehe, die Lieferungen der Bromberger Mühlen gut und preiswert seien, weil die Brom— berger Mühlen Staatsinstitute seien, die zur Vermeidung der Kon— kurrenz gerade an Staatsanstalten liefern müßten, und weil der Ver— dienst der Bromberger Mühlen wieder in die Staatskasse fließe, sowie weil die Bromberger Mühlen verpflichtet seien, nur inländisches Getreide zu vermahlen. Seit 1897 ist keine Klage mehr gekommen. Trotzdem verhielt sich die Justizverwaltung zögernd und abwartend, weil sie keine generelle Regelung geben wollte und nicht wissen könnte, ob nicht hier und da doch eine Schädigung eintreten könne, die mit dem Vorteil der Staagtskasse in keinem Verhältnis steht. 1910 bat aber die Bromberger Mühlenadministration die Justizverwaltung, das seit langen Jahren bei der Verwaltung des Innern bewährte Ver— fahren auch einzuführen. Da nun die Verwaltung des Innern keine Veranlassung gefunden hatte, ihr Verfahren aufzugeben, so hielten wir das Verlangen der Mühlenadministration nicht für unberechtigt, und als der Staatsanwalt in Königsberg dieses Verfahren einzuführen wünschte, wurde er dazu am 10. Januar 1911 ermächtigt, „soweit es nach seinem Ermessen angemessen und zweckdienlich erscheine“. Darauf erließ er am 4. April 1911 seine Verfügung. Diese Einrichtung wurde aber unter Kontrolle gehalten, und im Mai 1912 stellte sich heraus, daß die Gefängnisse in Tilsit, Ragnit und Pr. Holland teurer wirt- schafteten mit den Bromberger Mühlen als bei der früheren Ein— richtung. Die Produkte der anderen Mühlen waren gleichwertig, und so erwog man die Aufhebung der Verfügung. Als die Eingaben der Handelskammer kamen, waren die Zweifel bereits aufgetaucht, und daher antwortete man, daß man erst Erfahrungen machen wolle. Auf die Mitteilung, daß man mit den Bromberger Mühlen teurer wirk— schafte, antwortete die Mühlenadministration, daß sich noch kein Bild gewinnen lasse und man bis zum Herbst warten möge. Da dann das teurere Wirtschaften bestätigt wurde, erging die aufhebende Verfügung an den Qberstaatsanwalt in Königsberg. Wir haben uns also nicht auf den Standpunkt gestellt, daß von den Bromberger Mühlen geliefert werden müsse, verdienen also keinen Vorwurf.

Abg., Dr. von Campe (nl): Die Klagen des Handwerker⸗ standes über die Gefängnisarbeit haben leider noch nicht aufgehört. Ich möchte heute einen Fall vortragen, dessen Einzelheiten ich dem Winister auf Wunsch mitteilen kann. Eine Behörde wollte einen Schrank anschaffen, wandte sich zu diesem Zweck an drei verschiedene Geschäftsleute und förderte die Einreichung einer Offerte. Schließ— lich wurde aber die Lieferung keinem von diesen Handwerkern über⸗ tragen, sondern der Schrank wurde von einem Gefängnis bezogen 6 halben Preis. Bei dieser großen Preisdifferenz konnte natürlich eine reelle Arbeit geliefert werden. Der Schrank war auch tatfach— lich nach kurzer Zeit unbrauchbar. Durch solche Sachen wird die Un⸗ zufriedenheit unter den Handwerkern geschürt. Deshalb sollte die Be— hörde bei solchen großen Preisunterschieden ganz besonders vorsichtig sein, weil es selbstverständlich ist, daß bei einem allzu geringen Preise keine reelle Arbeit geliefert werden kann. ;

Abg. Rosenow (sfortschr. Volksp.): Nach den Ausführungen des Regierungsvertreters stelle ich fest, daß die Erledigung einer solchen

Beschwerde eines bedrängten Gewerbes vom 11. Juni 1911 bis l3. November 1912 gedauert hat. Die Bromberger Mühlen sind zwar ein Stagtsinstitut, aber sie sind ein gewerbliches Unternehmen, das nicht besser gestellt werden sollte, als ein anderes. Die Konkurrenz von Staatsinstituten sollte keinesfalls stattfinden. Wir werden die Sache weiter verfolgen und dafür sorgen, daß auf allen Gebieten freier Wettbewerb stattfindet, auch wenn die Staatskasse dabei in Betracht kommt.

Geheimer Oberjustizrat Plasch ke: Ueber den von dem Abg. von Campe vorgetragenen Fall kann ich jetzt keine Auskunft geben, da mir die Akten nicht vorliegen. Wenn ich den Abgeordneten richtig verstanden habe, handelt es sich um die Lieferung seitens eines Gefängniffeg an die Justizbehötde. Wenn sich die Sache so verhält, wie es der Abg. von Campe vorgetragen hat, dann wird das Verhalten der Behörde vom Minister mißbilligt. Es ist ein Nonsens, in solchem Falle eine Aus— bietung stattfinden zu lassen, weil dies unzweifelhaft eine gewisse Er— bitterung in Handwerkerkreisen herborrufen muß. Eg ist felbst⸗ verständlich, daß die Handwerker nicht für solche Preise e. können, wie die Gefängnisse der Justizverwaltung ö. ihre eigene Behörde. Der Abg. Rosenom wird seinen Verwurf nicht aufrecht erhalten können, daß die Erledigung der Beschwerde so lange gedauert habe. Ich habe die Gründe angeführt, weshalb eine frühere Erledigung nicht möglich war. Der Abg. Nosenow hat selbst hervorgehoben, daß die Handelskammern zweimal beschieden worden sind, Man kann aus dem Ergebnig, das sich in Ostprenßen an drei Gefängnissen ergeben hat, unmöglich den Schluß ziehen, daß die Hromberger Mühlen teurer sind. Dle Anstalt in Tegel bezieht auch Mehl aus der Bromberger Mühle, und zwar zu einem sehr vorteil haften Preise. Man kann deshalb nicht sagen: nun muß die gange

Sache beseitigt werden, weil die drei Gefängnisse in Ostpreußen zu teure Preise bezahlt haben.

Abg. Dr. von Campe ak: Die Antwort des Regierungs⸗ vertreters befriedigt mich. Ich will; nur, feststellen, daß der Regierungsvertreter mich in einein Punkt mißverstanden hat. Es handelt . nicht um die Justizbehbrde, sondern um eine andete Staatsbehõrde.

Beim Kapitel „Landgerichte und Amtsgerichte“ bemerkt

Abg. Hamm er (kons. ): Die Detagillistenverbände sind mit dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ün großen unz ganzen zufrieden bis auf die Bestimmungen des Ausberkagufswesens. Eing große zücke in diesen Bestimmungen ist durch eine Entscheidung des Reichsgerichts ausgefüllt worden. Das Reichsgericht hat den Begriff „Ausverkauf, definlert. Mit dieser grundlegenden Entscheidung sind die Detaillisten einverstanden. Dagegen beklagen sie sich darüber, daß die Vertreter der Detaillistenberbande pon vielen Richtern und Staatsanwälten mit ihren Strafanzeigen abgewiesen werden, während von anderen Richtern und Staatzanwaͤlten den Strafanzeigen, in denen es sich um dieselbe Sache handelte, stattgegeben worden ist. Die Detaillistenkammer in Hamburg hat an sämtliche deutsche Detaillistenkammern eine Rund⸗ frage darüber ergehen lassen, ob im Bezirke derartige Klagen gegen Staatsanwälte und Richter von selten der Detaillisten vor⸗ getommen seien. Eine Zusammenstellung der eingegangenen Ant⸗ worten, die an den Deutschen Handelstag gegangen ist, gibt darüber Aufschluß, daß die Staatsanwälte in einer Reihe deutscher Handelskammerbezirke zu keiner Klage Anlaß geben, wahrend anderseit; mit einer Reihe anderer Staatzanwälte wenig günstige Erfahtungen gemacht worden sind. Ja einzelnen Handels⸗ kammerbezirken habe bas Verhalten der Staatsanwaltschaft sogar Anlaß zu Beschwerden bei den zuständigen Ministerien gegeben, Die Detaillisten führen darüber Beschwerde, daß die Richter oft den Gutachten der Sachverständigen entgegen urteilen. Sie können dies von ihrem Standpunkt nicht begreifen. Ein Kaufhaus hatte einen Primahaarhut für 4 6 verkauft. Einige Detaillisten stellten dagegen Strafantrag wegen unlauteren Wettbewerbs, indem sie behaupteten, daß es unmöglich sei, einen Primahaathut schon für 4 60 zu liefern, ein solcher Hut koste mindestens 8 . Das Gericht entschied aber entgegen dem Urteil der Sachverständigen, daß das Angebot von Primaware kein unlauterer Wettbewerb sei, wenn für minderwertige Qualität ein geringerer Preis gefordert wird. Diese Auffassung aber kann kein Kaufmann tellen. Die kauf⸗

männischen Sachberständigen sagen, daß bei dieser Auslegung der

weck des Gesetzes verfehlt ist. Ein Warenhaus kündigte einen *

Tag an und sagte, daß fehlende Waren ergänzt werden. Einige

Detaillisten aber erhielten keine Ware und stellten deshalb Straf⸗ antrag wegen unlauteren Wettbewerbs. Der Geschäfteführer sagte

bei seiner polizeilichen Vernehmung aus, sie hätten bergweise von

dieser Ware verkauft und könnten sich nicht vorstellen, daß die be⸗ treffenden Detasllisten keine Ware erhalten hätten. Die Staats⸗ anwaltschaft lehnte daraufhin auf Grund dieser Vernehmung ein Ein⸗ schreiten ab. Aber die Detaillistenderbände halten die Ablehnung für unbegründet und bitten den Minister, in eine Prüfung dieses Falles ein⸗ zugehen. Die Detaillisten sprechen ferner den Wansch aus, daß die

Interessenten von dem Termin eines Strafverfahrens in Kenntnis gesetzt werden, und daß sie auf Ersuchen eine Abschrift des Urteils erhalten.

Sie könnten dann dieses Urteil demjenigen vorzeigen, der sich eines Verstoßes gegen das Gesetz schuldig gemacht hat. und schon dadurch ohne Prozeß einen ö auf ihn ausüben. Wenn dies innerhalb der Machtbefugnisse des Ministers liegen sollte, so möchte ich ihn bitten, nach dieser Richtung auf eine Besserung hinzuwirken. Neuer dings macht eine Reklame viel von sich reden. Es heißt da: „Zum Selhstkostenpreise mit 190ͤ0 Aufschlag. Das Landgericht 1 hat sich in dieser Frage auf den Standpunkt gestellt, daß hier kein Grund zum Einschreiten vorliege, da der Begriff des Selbstkostenpreises strittig sei. Auch das Kammergericht hat den selben Standpunkt eingenommen, indem es das Gutachten der Berliner Handelskammer für nicht aus⸗ reichend erklärte. Die Berufsorgane der Kaufmannschaft, alle Handels⸗ kammern außer dreien, haben dagegen Front gemacht. Justizrat Fuld⸗ Mainz wetst darauf hin, daß in dieser Frage die Auffassung der Konsumenten maßgebend sei. Er sagt, der Begriff des Selbstkosten⸗ preises sei gleichbedeutend mit Einkaufspreis und Produ kttongpreis. Die Detaillisten haben die Auffassung, daß der Verkauf zum Selbst⸗ kostenpreis mit 100,0 Zuschlag gegen Treue und Glauben verstoße, und daß der ehrliche Kaufmann derartige Dinge nicht mitmachen könne. Wir haben Vertrauen zur preußischen Verwaltung, daß sie auf demselben mittelstandsfreundlichen Standpunkt steht wie die bayerische, die diesen Fragen schon eine größere Beachtung geschenkt hat.

Justizminister Dr. Beseler:

Ich kann dem Herrn Abgeordneten Recht geben, daß es außer⸗ halb meiner Kompetenz liegen würde, wenn ich wegen der schwebenden Prozesse irgendwelche Anweisungen an die Gerichte erteilen wollte. Ich habe auch seine Worte dahin verstanden, daß es ihm vor allem darauf ankommt, die grundsätzliche Frage zu prüfen, inwieweit don der Behörde im Wege der öffentlichen Klage eingeschritten werden soll gegen diejenigen, welche sich des unlauteren Wettbewerbs schuldig gemacht haben. Wenn es hier und da vorgekommen sein sollte, daß die staatsanwaltschaftlichen Behörden grundsätzlich abgelehnt hätten, in einem solchen Fall einzuschreiten, wie er ihn dar— gelegt hat, so würde das nicht zu billigen sein. Es muß vielmehr in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob ein öffentliches Interesse vorliegt, und für diese Prüfung können sehr wohl, solche. Untersuchungen, dienlich sein, wie sie in dem eben mitgeteilten Erlaß des baverischen Justizministers ent—⸗ halten sein sollen. Ich kann nur sagen, daß der dort eingenommene Standpunkt sich aus unserer Gesetzgebung in dieser Hinsicht als selbst⸗ verständlich ergibt. Es steht aber auch denjenigen, welche von den Entscheidungen des Staatsanwalts getroffen werden in einer Weise, die sie für unbegründet halten, frei, den Beschwerdeweg einzuschlagen. Sie sind sogar berechtigt, im Wege eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung die Erhebung der Anklage zu erzwingen. Die Auswahl der Zeugen und Sachverständigen muß sich nach dem einzelnen Fall richten. Es ist nicht möglich, nach dieser Richtung allgemeine Anweisungen an die Staatsanwaltschaften ergehen zu lassen. Jeden falls ist es ihres Amtes, die geeigneten Sachverständigen ausfindig zu machen und die Zeugen dem Gericht zu benennen.

; Der Wunsch des Herrn Abgeordneten, daß den antragsberechtigten Verbänden Urteilsabschriften gegeben werden möchten, wird in gewissem Sinne entsprochen werden können. Es kann jeder, der ein begrũndetes rechtliches Interesse daran hat, von einem Strafurteil Kenntnis zu erhalten oder Abschrift zu bekommen, die Erteilung einer solchen nach⸗ suchen. Die Entscheidung über das Gesuch liegt außerhalb des Straf⸗ verfahrens; sie ist eine Verwaltungsmaßregel. Wenn das berechtigte Interesse nicht anerkannt wird, so steht dem Betreffenden frei, Be⸗ schwerde zu führen, und die würde am letzten Ende vom Justizminister zu entscheiden sein. Ich wiederhole, daß diejenigen, die von grund⸗ sätzlich unrichtigem Vorgehen der Staatsanwaltschaften auf dem hier in Rede stehenden Gebtete betroffen werden, durchaus in der Tage sind, ihr Recht wirksam zu verfolgen.

Abg. Klau sener (Sentr) wüunscht einen Erweiterungsbau des Gerlchtegebäudes in Aachen, dessen Räume gänz unzulänglich seien.

661 Dinzuziehung von Privatgebäuden sei diesem Uebelstande nicht abzuhelfen.