.
6 stark diskattert worden ist. Man könnte ja die zielbewußten Re uiten fern halten und die nicht zielbewußten here nlassen. Am 23 Di 19817 machte im baherischen Landtag der Staatsminister pon Soden diesen Vorschlag. Er ist. allerdings nicht gemacht worden 6 die Jesuiten, sondern für di Sozialdemostatis. Man könnte aber iese Erfindung des Mänsstert von Soden zuerst ginmal boi den Jafuiten 32 erproben. Dag . stellt eg ö dar, als oh s in der Sozialdemokratie einen jesültenfeindlichen Flügel gebe. Man spricht don einer Kölner Richtung bei ung. Ich habe allerdings nut immer von einer Berliner Richtung gehört. Das Zentrum kann doch aber
nicht verlangen, daß es bei jeder Partei so wie bei ihm zugehe. Wir Sozialdemokraten stimmen Mann für Mann gegen das Jesuitengesetz. Das Zentrum wird es nie erleben, daß wir für ein Ausnahmegesetz zu haben sind. Wir fürchten die Jesuiten nicht, auch wenn das Jenttum
—
ö als Retter des Staates und der Gesellschaft anpreist. Die Jesuiten
llen imstande sein, die Sozialdemokratie zu vernichten. Das ist die chwerste Jesuitenmission, die sich denken läßt, Dieses Anpreisen der Jesuiten zeigt die ganze Hilflosigkeit und Verständnislosigkeit des Jenttums gegenüber der sozialistischen Bewegung. Wer eine so große Bewegung durch Religion lahmlegen zu können glaubt, der kennt ihre Triebkräfte nicht. So lange unser Vaterland mit Hilfe des Zentrums guf dem Boden der heutigen Gesellschaft steht, so lange hält man den Vormarsch der Sozialdemokratie nicht auf. Es gibt allerdings ein Hilfsmittel gegen die drohende plötzliche soziale Revolution, das ist eine grofʒügige Sozialreform. Das erkannte selbst die Kreuzzeitung — die die Sozialdemokratie das Problem aller Politik nannte. Deshalb muß die ie. erst noch geboren werden, die die Sozialdemokratie brechen kann.
Abg. Dr. Junck (ul.): Die eben gehörte Rede ist nicht zu unterschätzen, ganz besonders nicht wegen dieser Behandlung des Zen⸗ trums mit Zuckerbrot und Peitsche. Wenn sie aber nicht gehalten werden wäre, dann würde doch der Antrag des Zentrums in diesem Vause in zweiter Lesung eine sehr erhebliche Mehrheit gefunden haben. VDiese Erscheinung ist 79 uns wichtiger als die Jesuitenfrage selbst, fie zeigt, daß zwei sich sonst diametral gegenüberstehende Parteien jeder⸗ zeit und mühelos eine Mehrheit bilden können, wo es negatibe Politik zu treiben gilt. Das Zentrum wollte sein ferneres Verhalten ent⸗ sprechend der Stellungnahme des Reichskanzlers in der Jesuitenfrage einrichten. Das haben ja auch schon Abstimmungen der letzten Tage gezeigt. Man merkt die Absicht, und man wird verstimmt. Die ganze politische Situation ist so markant und interessant, daß zu bedauern ist, daß sich weder der Reichskanzler noch ein Stellvertreter an der Beratung beteiligt. Vielleicht holt man dies bei der zweiten Lesung nach, nicht als ob wir der Unterstützung der Reichsregierung bedürfen. Hier hätte man doch die sonst übliche Zurückhaltung gegenüber Ini⸗ fiativanträgen beiseite lassen können, um so mehr, als das Schicksal hieses Gesetzes ja nicht in Frage steht. Wir haben so viel Verhand— lungen in früheren Jahren darüher schon gehabt, daß man einfach die Stenogramme der gehaltenen Reden verlesen könnte. Eine neue Nuanc' war der Versuch des Freiherrn von Hertling, ein Reichsgesetz durch eine besondere Auslegung frisch und munter aus der Welt zu schaffen. Der Versuch ist gescheitert. Man stellt es als loyal hin, daß der Erlaß zurückgezogen worden ist, das war aber nach dem Spruch des Bundesrates einfache Gehorsamspflicht. Eine weiter Nuance war die Erklärung des Grafen Praschma im Abgeordneten⸗ hause, daß die Moral der Jesuiten die der Katholiken ist. Diesen Ausspruch bat ja heute der Nbg. Dr. Spahn ergänzt. Neu war dann 66 Bemerkung, daß über dem geltenden Gesetz die Gerechtigkeit tehe. Die Auffassung des modernen Staates geht aber doch dahin, daß einem Gesetze, so in,, es besteht, Achtung zu schulden ist. Es ist immerhin interessant, daß dieses Bekenntnis zu dem Naturrecht, das über dem des Staates steht, hier abgegeben worden ist. Im übrigen glaube ich, im Finverständnis mit meinen politischen Freunden mich auf eine ganz kurze Darlegung beschränken zu müssen. Wir haben keine Veranlassung, uns daran zu beteiligen, die Temperatur der Volks⸗ seele durch Wiederholungen zu erhitzen, wie Sie (zum Zentrum) es kun. Das beantragte Gesetz ist für uns unannehmbar. Gewiß sind die heutigen Jesuiten andere wie die früheren, obwohl an dem Satze Sint ut gunt, aut non sint“ nichts geändert worden ist, aber die Stellung des katholischen Volkes zu ihnen ist eine andere geworden. Wir überlassen die Bekämpfung der Moral der Jesuiten den Stimmen, wie sie sich früher aus dem katholischen Lager selhst erhoben haben. Diese Stimmen sind jetzt verstummt oder, besser gesagt, zum Schwei— en gebracht. Das protestantische deutsche Volk hat nicht Furcht vor en Jesuiten, ein solcher Ausdruck ist ein vergifteter Pfeil; aber es besteht die Befürchtung, daß der konfessionelle Frieden leiden wird, wenn die Jesuiten zurückberufen werden. Der Orden der Gesellschaft Jesu gilt für uns als der Anwalt jener Bestrebungen der römischen Kurie, die dahingehen, die Kirche über die Gesetze des Staats zu stellen, eines Anspruches, der immer wieder angemeldet wird. Auf Einzel⸗ heiten gehe ich nicht ein. Die Aussprüche des Papstes über den Modernisteneid, über die christlichen Gewerkschaften ufw. haben diesen Anspruch heute wieder angemeldet, und zu unserem großen Bedauern ist von dieser Stelle aus (Bundesratstisch) Ihnen die gebührende Ant— wort nicht zuteil geworden. Eine Stunde wie die gegenwärtige zu benutzen, um diejenigen zurückzuxufen, die als das Garderegiment der Kurie bezeichnet worden sind, ist für uns vollkommen ausgeschlossen. Das bringe ich mit aller Entschiedenheit zum Ausdruck. Wird der k angenommen, so wünschen wir, daß der Bundesrat bald mit einem deutlichen Ja oder Nein antwortet; wir halten nicht für wünschenswert, daß der Antrag jahrelang wie 1899 in der Schwebe gehalten und dann eine neue Offerte des Reichstages angenommen wird, wie damals die Aufhebung des 8 2. Ich spreche auch den WVunsch aus, daß die Erledigung der großen nationalen Aufgabe, der Stärkung unserer Wehrkraft nicht leiden möge unter den Jefuiten.
Abg. Graf Kanitz (dkons.): Ich habe namens meiner Fraktion folgende Erklärung abzugeben: Bei unserer Stellungnahme zum Jesuitengesetz wissen wir uns vollkommen frei von kulturkämpferischen Bestrebungen. Wir können nur wiederholen, es liegt uns jede Un— freundlichkeit gegen die katholische Konfession fern. Wir find der Meinung, daß die auf dem Boden des Bekenntnisses stehenden Teile des evangelischen und des katholischen Volkes durch nahe Berührungs⸗ punkte miteinander verbunden sind, weil beide eine gemeinsame Front— stellung gegen den Unglauben haben. Wir sind nicht gewillt, evangelische Interessen preiszugeben. Gerade weil wir den konfessio⸗ nellen Frieden wollen, müssen wir auf die Ueberzeugungen Rücksicht nehmen, die in unserer evangelischen Bevölkerung auf Grund der ge— schichtlichen Entwicklung tief eingewurzelt sind. Solange diesen Be— sorgnissen nicht genügend Rechnung getragen ist, werken wir einem Antrag wie dem vorliegenden, der die Aufhebung des Jesuitengesetzes verlangt, nicht zustimmen.
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Die Fraktion der fortschrittlichen Volkspartei erkennt an, daß der Wort— aut des 81 des Gesetzes vom 4. Juli 1872 der erwünschten Klar— keit entbehrt, und daß diese Unklarheit auch durch die Auslegung des Bundesrats nicht beseitigt worden ist. Ein kleiner Teil meiner politischen Freunde wird für die Aufhebung des § 1 stimmen, vor allem deshalb, weil er ihn als ein Ausnahmegesetz betrachtet und die Anschauung vertritt, daß die Aufrechterhaltung bei der jetzigen Aus—⸗ legung ohne praftische Bedeutung sei. Die große Mehrheit lehnt dagegen die Aufhebung des 5 1 des Gesetzes ab. Der Charakter des Gesetzes als Ausnahmegesetz wird verneint in der Erwägung, daß die Regelung der gesetzlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche auch sonst zu individualisierender Bebandlung zwingt. Die überwiegende Mehrheit der Fraktion befürchtet von der Aufhebung des Gesetzes eine Störung des konfessionellen Friedens und sieht sich in dieser Auffassung bestärkt durch die zahlreichen Versuche in letzter Zeit, die Grenze zwischen der staatlichen und küchlichen Autorität zu— unsten der letzteren zu verschieben. Sie betracht, t den Orden der
esellschaft Jesu nach seiner Satzung, nach seiner Entwicklung und nach seiner fast 400 jahrigen Tätigkeit als eine Organisation zur Be⸗ kämpfung Anderggläubiger, sie besorgt von der ihm vorge⸗ schriebenen Tätigkeit duf dem Gebiete des Unterrichts und der Frrziehung eine schwere Schädigung unserer Jugend und er— blickt in dem von ker Ordenssatzung geforderten unbedingten
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Gehorsam gegen die Oberen eine schwere Gefahr für den Staat. Sie verschließt sich der Elnsicht nicht, daß die Aufhebung des Gesetzes dem Orden durch die Gewährung des Schutzes des 5 166 des Reichs⸗ strafgesetzbuchs eine privilegierte und bei seinen Prinzipien besonders er r, tellung verleihen würde; sie befürchlet endlich, daß die durch die Aufhebung des Reichsgesetzeg bedingte Verpflanzung dis Kampfes in die Einzelstaaten nicht zu einer e , ,, sondern zu einer Verschärfung führen würde; denn darüber besseht bei der fort— schtittlichen Volkspartei volle Uebereinstimmung, daß auch nach einer etwaigen Aufhebung des Gesetzes die Zuständigkeit der Einzelstagten zur Regelung des Verhältnisses zum Olden der Gesellschaft Jesu aufrecht erhalten bleibt. Wir haben einen die Feststellung dieses Rechtszustandes bezweckenden Antrag eingebracht, um jeden Zweifel auszuschließen, um dessen Annahme wir das ganze Haus bitten.
Abg. Graf Morawski⸗-Dzierzykraj (Pole) nimmt unter großer andauernder Unruhe des Hauses, die der Vizepraäͤsident Paasche wiederholt zu dämpfen versucht, das Wort: Es handelt sich hler um eine allgemeine Prinzipienfrage. Die Jesuiten können auf die Verfolgungen, denen sie ausgesetzt sind, stolz sein. Das un⸗ glaublichste Zeug wird in Artikeln und Broschüren über sie verbreitet. Unbegreiflich ist insbesondere die Haltung der Liberalen zu dem Ge—⸗ setz von 1872. Die Polenfraktion verwirft alle Ausnahmegesetze und stunmt daher auch fär den heutigen Antrag. .
Abg. Mertin (Ry); Ich möchte zunächst namens meiner Freunde unserem Bedauern Ausdruck geben darüber, daß wir diese Debatte haben müssen, daß wir sie haben müssen gerade in einer Zeit, wo alle Parteien sich aufs engste zusammenschließen sollten. Ich erkläre für die Reichspartei, daß wir gegen den Antrag des Zentrums stimmen werden. Wir stehen auf dem Standpunkte, den Fürst Bismarck 1885 einnahm, also zu einer Zeit, wo er seinen Frieden mit dem Zentrum längst gemacht hatte; und dieser Standpunkt war: wir bekämpfen die Jesuiten nicht wegen ihres Katholizismus, sondern wegen ihrer Jaternationalität. Was Bismarck dawals gesagt hat, gilt für heute durchaus auch noch. Papst Leo XIII. hat selbst an— erkannt, daß die katholische Kirche in keinem anderen Lande der Welt eine so gesicherte Stellung einnimmt wie in Deutschland. Die evangelische Bevölkerung will der katholischen Kirche diese Stellung durchaus eihalten. Man hat das Jesuitengesetz ein Ausnahme—⸗ gesetz genannt. Tatsächlich ist es als ein Notgesetz, ein Notstandsgesetz erlassen worden. Es gibt ja auch andere Ausnahmegesetze auf bürgerlichem Gebiet. Man hat gesagt, das Jesuitengesetz würde aus ÄAngst vor den Jesuiten nicht aufgehoben. Das evangelische Bekenntnis ist so tief befestigt, daß es nach meiner Ueberzeugung durch irgendwelche Angriffe nicht erschüttert werden kann. Man hat die Aufhebung des Jesuitengesetzes zur Bekämpfung umstürzlerischer, anarchistischer und sozialistifcher Bestrebungen ver— langt. Die Erfahrungen auf diesem Gebiete in Belgien sind nicht vielversprechend. Das Wesentliche ist aber, daß die Zurückberufung der Jesuiten auch nach der Meinung überzeugter Katholiken eine tiefe Störung des konfessionellen Friedens hervorrufen würde. Die Be— wegung gegen den Jesuitenorten ist nicht von protestantischer Seite künstlich erzeugt. Eine solche Bewegung kann man verstärken und an— feuern, aber nicht künstlich schaffen. Die Ueberzeugung, daß der Jesuitenorden schädlich ist, ist' da, die Ueberzeugung, daß der Jesuitenorden eine Kampfesorganisation ist, diese Ueberzeugung ist in den verschiedensten Zeiten vorhanden gewesen, zum Beispiel in Bayern. Glauben Sie mir, wir wollen den Frieden. Wir reichen den katholischen Mitbürgern unsere Hände weit entgegen. Wir wollen den Frieden haben, weil das Vaterland ihn auf das allernotwendigste braucht. Der geistreiche preußische König Friedrich Wilhelm IV. sagte einmal von den Meyerbeerschen „Hugenotten“: Katholiken und Protestanten schlagen sich gegenseinig die Köpfe ein und der Jude macht die Musik dazu. Heuke ist derjenige, der zu dieser gegenseitigen Bekämpfung die Musik macht, ein anderer, es ist die religionsfeindliche, vaterlandsfeindliche Sozialdemokratie.
Abg. Graf Oppersdorff (b. k. F): Es ist wiederholt betont worden es handele sich bei diesem Gesetz nicht um einen Angriff gegen die katholische Kirche. Hierbei scheint mir jedech die Logik nicht auf seiten der Gegner der IJ suiten zu sein. Der Jesuit ist in erster Linie Priester und in zweiter Linie erst Ordensmann. Er gehört zu— erst der Kirche an, die ibm die Mittel und Wege zur Verfünung stellt, deshalb darf er niemals den Boden verlassen, den die Kirche festgesetzt hat. Das festzustellen, ist wichtig, ganz besonders gegenüber dem letzten Buudesratsbeschluß. Wenn ein einzelner Jesuit Missionen abhält, so muß man die Persönlichkeit des einzelnen und seine Tät gkeit unterscheiden. Der einzelne gehört natürlich dem Orden an. In seiner Tätigkeit untersteht er aber der Aafsicht des betreffenden Pfarrers, der es nicht zulassen wird, daß der Jesuit sich in seine Gemeinde eindrängt. Wenn der Jesuitenorden wirklich staatsfeindliche Ziele verfolgte, dann würde ihn die katholische Kiiche einfach nicht dulden. Der Kanzler sprach vom evangellschen Volksempfinden, das sich gegen die Tätigkeit der Jesulten richte, und führt es auf geschichtliche Tatsachen zurück. Er meinte, auch jetzt noch sickere die Erinnerung an jene Zeiten durch, wo fanatischer Haß unser Vaterland zerriß. Aber man darf doch Leute von heute nicht für die Taten der Leute von damals ver— antwortlich machen. Das scheint aber immer mehr modern zu werden. Das kam auch bei den Polendebatten zum Ausdruck. Was würde man aber sagen, wenn man für die Tatsache, daß, als Napoleon 1806 in Bertin einzog, sieben preußische Minister ibm huldigten, die jetzigen Minister verantwortlich machen wollte? In England und Holland kennt man nichts von diesem Jesuitenkoller, und das sind doch keine schlechteren Protestanten als die Deutschen. Dazu kommt, daß die Jesuiten im Auslande von hervorragenden Deutschen ganz anders beurteilt werden. Nur nach Deutschland dürfen sie nicht kommen. Den 52 hat man doch aufgehoben. Weshalb hat der jetzige Kanzler, der doch damals nicht ganz einflußlos war, dies nicht verhindert? Damals sträubte sich das evangelische Emrfinden nicht dagegen. Epangelische Kreise sind allerdings stark gegen die Jesuiten eingenommen. Das kommt aber daher, weil alte geschicht— liche Lügen noch nachwirken, die längst abgetan und beifeite ge— schoben sind. Der Jesuit ist deshalb für sie der Inbegriff alles Bösen. So ist jetzt im Reichstage ein Buch verteilt worden mit dem Titel: Jesuitenmoral. Es ist geradezu eine Sammlung von Un geheuerlichkeiten und Unwahrheiten. Ich habe da ein anderes Buch auf den Tisch des Hauses gelegt von Dr. Victor Naumann, das den Jesuiten gerecht wird. Das erste Büchlein ist ein Beispiel, das zeigt, mit welcher Gehässigkeit Bücher geschrleben werden. Das evangelische Volksempfinden wollen wir auch unangetastet lassen. Dieses wird aber durch solche Vorgänge irregeführt. Ich wünsche, daß sich endlich das alte Bismarcksche Wort erfüllen möge, daß ,, ., Volk nur den Hertgott fürchtet und sonst nichts auf der Welt.
Abg. Mum m (wirtsch. Vgg.): Dadurch, daß Deutschland neben einem Drittel katholischer zwei Drittel evangelischer Ein wohner hat, besitzt es eine Bepölkerungsmischung, die sich in keinem anderen Staate der Erde wiederfindet. Das legt dem deutschen Volke eine durchaus schwere Aufgabe auf. Seit dem Dreißigjährigen Kriege bis zu den Freiheitskriegen sehen wir, wie schwer es den Deutschen war, sich zur nationalen Einheit durch zuringen. Ernste Katholiken und ernste Evangelische haben das ehr— liche Verlangen, miteinander gut aus ukommen. Ich welß, daß das Jesultengesetz aus dem Kulturkampfe heraus geboren ist, und weiß auch, daß man es auf katholischer Seite schwer empfindet. Man kann des⸗ halb den Wunsch nach Aufhebung verstehen. Wie man die Sache aber auch drehen und deuteln will, immer wird man finden, daß diese ganze Frage weiter nichts ist als ein kleiner Ausschnitt aus dem groß n Kapitel von dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Der sozialdemokratische Redner sagte, unter dem Kreuze würden sich Protestanten und Katholiken niemals zusammenfinden. Ich meiner 66 hoffe zu Gott, daß wir unter dem Kreuze zusammengehen werden.
Abg. Dr. Haegy (Glsasser): Aus den Reden der Vorredner klang heraut, daß der Kulturkampf tot ist und nie wieder erwachen wird. Das Jesuitengesetz ist ein Ausnahmegesetz und gehört zu den
l'tzten Resten des Kultürkampfeg. Der Jesuitenorden will nur i scheidener Ast aa dem Baum des katholischen Mönchswesenz sein 6e Gegner dieses Ordens kennen ihn nicht. Die Zulassung der 2 in Preußen kann den preußischen Staat lange nicht so erschsn len wie man es befürchtet. Man sagt, der Orden sei gegründet wo en, zur Befämpfung der evangelischen Kirche. Dies ist 21 lichtig.. Gewiß arbeitet er mit an der Selbstbehaäptang 9 katholischen Krche in Abwehr der Angriffe der Reformanon, . tut dabei da⸗selke wie die katholische Kimche als solche auch. In der geistlichen Wettbewerb hat sich der Staat nicht einzumischen? ee evangelische Bund ist 1887 ganz ausdrücklich zu dem Zweck gegründe worden, die durch den Abb uch der Kulturk-⸗mpfgesetz g bung durch den Fürsten Bismarck inaugurierte Friedenspolitik zu betämpfen. Blr Rücksicht auf Gefühle hat Fürst Bismarck niemals gelten lassen Wohin wären wir gekommen, wenn wir mit, Rücksicht auf anti. semitische Gesühle eine Entrechtung des israelitischen Volksteils vor genommen hätten? Der, Geist gegenseitiger Nachgiebigkeit muß ge— pflegt werden. Die religiöse Spaltung seit der Reformation ist oft bitter empfunden worden, diese Wunde ist durch den Kulturkampf noch erweitert worden, und deshalb hat Bismarck den Kulturkampf abge brochen. Es ist Zeit, daß wir den letzten Nest des Kulturkampfes ausräumen müssen. Im Namen der Ehässer muß ich erklären, daß der Jesuiten orden bei uns segensreich gewirkt hat; deshalb ist das Jesuttengesetz von uns aufs schmerzlichste empfunden worden. Als Jugenderzieher sind die Jesuiten im Elsaß tätig gewesen, wie in Schlesien unter Friedrich II. Deshalb haben sich Klerus und Volk einmütig gegen die Vertreibung der Jesuiten erklärt. Das Jesuitengesetz widerspricht der Gerechtigkeit. Die Zeit wird und muß kommen, wo die Jesuiten wiederkommen.
Damit schließt die erste Beratung.
In der zweiten Beratung bemerkt zu § 1 der
Abg. Dr. Erdmann (Sez.): Wir sind gegen den Antrag Ablaß, weil er etwas Selbstverständliches enthält. Inzwischen haben die Antragsteller ihrem Antrag den Zusatz gegeben „soweit sie den Reichsgesetzen nicht widersprechen“. Wir müssen uns auch gegen diese Formulierung aussprechen. Es ist allerdings negative Arbeit, die wir hier machen; ich halte die Abschaffung des Jesuitengesetzes nicht für positive Arbeit. Auch die Abschaffung des preußischen Wahliechts, dieses brutalsten aller Wahlgesetze, wäre keine positive Arbeit. Positive Arbeit wäre die Abschaffung der Wucherzölle, die die Teuerung verursachen. Die Nationalliberalen wollen das Jesuiter gesetsz aus nationalem Interesse sind sie es, die nachgerade das Klerikalismus überantwortet haben. Dahin sind die National— liberalen mit ihrer nationalen Kulturkämpferei gekommen. Mit der Aufbebung des Jesuitengesetzes würde man auch nur einer altpreußischen Tradition folgen. Das Zentrum hat ja schon so viel Kanonen, Soldaten und Schiffe bewilligt, daß es unbillig wäre, ihm länger den verdienten Lohn vorzuenthalten. Wenn man 40 Jahre lang regierende und ausschlaggebende Partei ist, kann man schon etwas erreichen; das Zentrum hätte seine geliebten Jesuiten längst, wenn es für die Aufhebung des Gesetzes nur die Hälfte der Energie aufgewendet hätte, wie gegen die Erbschaftssteuer.
F 1 wird mit den Stimmen des Zentrums, der Sozial demokraten, Polen, des Grafen Oppersdorff und des Abg. von Payer (fortschr. Volksp.) angenommen.
Zu S AWliegt der abgeänderte Antrag Ablaß vor.
Abg. Müller-Meiningen (fortschr. Volksp.): Ich möchte den Abg. Spahn fragen, ob die Herren der Meinung sind, daß die lan der⸗ gesetzlichen Vorschriften auch ohne eine solche Bestimmung, wie sie un ser Amendement enthält, unberührt bleiben. Es wäre mir sehr wertpoll, ob die Zentrumspartei dieser Arschauung ist, dann würden wit den Antrag eventuell gern zurückziehen. Schenkt man uns darüber nicht klaren Wein ein, dann muß eine solche Bestimmung nach unserer Meinung in das Gesetz aufgenommen werden. Sehr bedauerlich ist es, daß der Bundesrat während der ganzen Verhandlung unvertreten geblieben ist. In Wurttemberg ist eine soiche Erklärung durch die Regierung abgegeben worden. Es würde sonst ein Vakuum entstehen, der Jesuitenorden würde all anderen Otlden und Kongregationen gegenüber privilegiert Es ist eine große Gefahr, daß der Bundesrat vielleicht aus seiner Schublade plötz ich auf einen arten, vielleicht vor 5 oder 10 Jah en gefaßten Beschlutz des Parlaments zurückgreift; eine Wiederholung solches Mißbrauchs, wie sie 1804 erfolgte, sollte unter allen Um— ständen vermieden werden. ;
Abg. Graf Westarp (8kons.): Wir können den Antrag nicht annehmen. Unserer Auffassung nach bleiben selbstverständlich auch dann, wenn das Gesetz aufgehoben werden sollte, die landen gesetzlichen Vorschriften unberührt.
Abg. Schultz⸗Bromberg (Rp.): Wir lehnen den Antrag ab in der Befürchtung, daß er Unklarheiten herbeiführen kann.
Abg. Gröb er Gentr.): Ich muß mich namens des Zentrums gegen den Antrag Ablaß aussprechen. Entweder ist er richtig, dann ist er selbstverständlich, oder er enthält Unrichtiges, und dann müssen wir ihn verwerfen. Es handelt sich in der Frage um das Verhaltnis von Reichsrecht zu Landesrecht. Das Jesuitengesetz ist erlassen worden, ohne daß man Bestimmung traf über die landesrechtlicher Bestimmungen zu dem Jesuitenorden. Reichsrecht geht dem Landes recht vor; im Zweifelsfalle haben die Gerichte zu entscheiden Ob die landesrechtlichen Vorschriften mit der Aufhebung de Gesetzes auch aufgehoben bleiben, oder ob sie dann, po seblst wieder in Kraft treten, mögen die Gerichte entscheiden. Die Sache ist um so schwieriger, da inzwischen das deutsche Reichs vereins, und. Versammlungsgesetz erlassen
worden ist. Es kann doch nicht bestritten werden, daß man das Reichsvpereins und Versammlungsgesetz auch auf Jesuiten anwendet. Sie dürfen in Volksversammlungen nicht über Religion sprechen, was dech keinem anderen Staatsbürger verboten ist. So will es die Auslegung des Bundesrats. Wir kennen die einzelnen Vorschriften in den einzelnen Bundesstaaten nicht genau. Sollen wir nun, ohne diese zu kennen, unsere Genehmigung vielleicht zu irgendeinem bundesratlichen Plunder aussprechen 3 Das fällt uns nicht ein. Wir haben kein Veranlassung, irgendein Ausnahmegesetz in einem Bundesstaate auf recht zu erhalten.
Abg. Dr. Ju nck (nl): Wir sind der Ansicht, daß, wenn das Reichsgesetz aufgehoben werden soll, es nicht wünschenswert ist., auch die bundesstaatlichen Gesetze zu beseitigen. Den Antrag Ablaß halten wir eigentlich nicht für notwendig. Trotzdem werden wir füt den Antrag stunmen, weil wir seine Tendenz billigen und er vielleicht die Frage mit klären helfen kann. ö
Abg. Dr. Mül!ler-⸗Meiningen (fortschr. Volksp): Wir würden gern unsern Antrag zurückziehen, wenn die Mehiheitsparteien seim Selhstverständlichkeit anerkennen würden. Aber gerade dieses Herum—⸗ drücken und Versteckspielen hat den Anlaß zu unserem Antrage ge, geben. Der Abg. Gröber hat das Vereinsgesetz herangezogen. Er . aber den Hauptpunkt verschwiegen, daß nämlich der 8 27 dis gent lichen Orden und Kongregationen freiläßt. Daß, wenn das Nen gesetz fällt, die bundesstaatlichen Gesetze wieder in Kraft treten, h if die württembergische Regierung für selbstverftändlich. ct wir volle Klarheit wollen, können wir unseren Antrag mi zurückziehen.
5s 2 des Gesetzentwurfs wird mit der vorigen M angenommen, der Antrag Ablaß gegen Fortschrittliche. partei und Nationalliberale abgelehnt, auch 8 3 wir genommen, ebenso Einleitung und Ueberschrift.
ehrheit Volks⸗
n⸗
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königli
M 45.
Schluß aus der Ersten Beilage)
Da ein Widerspruch aus dem Hause nicht erfolgt, wird auf Antrag Spahn gleich die dritte Lesung vorgenommen und das Gesetz in dritter Lesung ohne Debatte endgültig ver— abschiedet. Dafür stimmen geschlossen Sozialdemokraten, Zentrum, Polen, Elsaß-Lothringer und die Abgg. Payer, Br. Braband, Dr. Kerschensteiner und der Däne Hanssen.
Damit ist die Tagesordnung erledigt.
Schluß nach 5 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. Gleinere Vorlagen; Fortsetzung der Etatsberatung: Postetat, Reichseisenbahnamt und Reichseisenbahnen.)
Prenfischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 136. Sitzung vom 19. Februar 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau*.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt zunächst die zweite Beratung des Etats der Justizverwaltung und zwar die Besprechung der ein— maligen und außerordentlichen Ausgaben fort.
Für den Neubau eines Geschäftsgebäudes für die Zivil— abteilung des Landgerichts und des Amtsgerichts in Beuthen in Oberschlesien wird eine erste Rate von 200 000 S6 (Ge— samtbedarf 732 4090 46) gefordert.
Die Budgetkommission beantragt, diese Forderung zu streichen, eine Petition um Bewilligung dieser Mittel für erledigt zu erklären und über eine Petition um Errichtung eines neuen Landgerichts in Oberschlesien zur Tagesordnung überzugehen.
Die Abgg. Dr. Porsch (Zentr) und Genossen be— antragen die Wiederherstellung der Etatsposition.
Berichterstatter Abg. von dem Hagen (Zentr): Die Kom—⸗ mission hat die Position mit neun gegen neun Stimmen abgelehnt. Dieser Beschluß ist aber vielleicht darauf zurückzuführen, daß die be⸗ treffende Sitzung bis gegen z17 Uhr Abends gedauert hat und infolgedessen nicht voll besetzt war. Eg ist daher begreiflich, daß der Wunsch ausgesprochen worden ist, die Position wieder herzustellen.
Justizminister Dr. Be seler:
Meine Herren! Das Geschäftsgebäude für das Land- und Amts— kricht in Beuthen ist von vornherein nur ein sehr mäßiges gewesen E bestand anfangs nur aus dem alten Kreisgerichts gebäude, welches schn an sich recht erhebliche Mängel zeigte und überdies bei weitem zu klein war. Nach einiger Zeit hat man deshalb einen Anbau errichtet, der nicht sehr viel Raum hinzufũgte. In⸗ folgedessen hat sich bald nach Fertigstellung des Erweiterungs⸗ baues die Notwendigkeit ergeben, weitere Räume für Geschäfts zwecke anzumieten. In Beuthen hefinden sich die jetzigen Geschäftsräume an drei verschiedenen Stellen; es sind zwei Privathäuser mit rund 30 Einzelräumen gemietet worden, um dem augenblicklichen größten Notstand zu begegnen; die Räume in diesen Mietshäusern sind durch— aus unzureichend und für die Zwecke der Gerichte nicht geeignet. Es ist daher die höchste Zeit, daß für Beuthen etwas geschieht. Nach langen und gründlichen Erwägungen ist man zu dem Vorschlag ge⸗ langt, einen Neubau zu errichten, der bestimmt ist, die Zlvilabteilungen aufzuneh men, während das alte Geschäftshaus sich für die Straf— abteilungen wird einrichten lassen.
Meine Herren, der Bezirk Beuthen ist räumlich nicht ausgedehnt, hat jedoch naturgemäß mit der Zeit einen großen Bevölkerungszuwachs erfahren, wie das in Industriebezirken die Regel ist. Trotzdem ist das Landgericht durchaus in der Lage, die Rechtspflege so zu üben, wie es den allseitigen Interessen entspricht. Das Amtsgericht bleibt, wie es ift; es ist ein großes Gericht und nimmt den größten Tell der Räume, die in Frage kommen, ein.
Ein Bedürfnis für den Neubau besteht also ganz unzweifelhaft. Der Rechtspflege kann nur gedient sein, wenn die gegenwärtige Organisation erhalten bleibt. Wie ich schon erwähnte, ist der Bezirk des Landgerichts klein, und die Verbindungsmöglichkeiten in ihm sind sehr gut, sehr vlel besser als in vielen anderen Landgerichtsbezirken. Dazu kommt, daß das Verbleiben des Gerichts in seiner jetzigen Gestalt vom Standpunkt der Straftechtspflege aus eigentlich eine Notwendigkeit ist. Das folgt daraus, daß, wie ja auch hier vielfach beklagt worden ist, in der dortigen Gegend sich Banden von Ver⸗ brechern bilden (sehr wahr!), die über den ganzen Bezirk sich ver— breiten. Deren Verfolgung ist eine wichtige Aufgabe der Staats- anwaltschaft (Zustimmung); die Verfolgung wird aber sehr erschwert, wenn das ganze Vorgehen nicht von einer Stelle geleitet wird. Das ist ein sehr wesentliches und dringendes Interesse.
Also im allgemeinen würde, wenn nicht ganz besondere Gründe vorliegen, alles dafür sprechen, daß man das Landgericht in Beuthen beläßt und ihm die nötigen Geschäftsräume gewährt. Das ist der Standpunkt der Regierungs vorlage. —
Nun ist, wie Sie wissen, und wie der Herr Berichterstatter heute auch schon erwähnt hat, bel der Nachbarstadt Kattowitz der Wunsch hervorgetreten, auch in ihren Mauern ein Landgericht zu haben, das sich zum größten Teile aus Tellen des jetzigen Landgerichts Beuthen zusammensetzen soll. Hier ergibt sich die Frage, ob es im Interesse der Rechtspflege geboten ist, ein Landgericht nach Kattowitz zu legen, um dadurch elne bessere Verwaltung der Rechtspflege zu ermöglichen. Meine Herren, ich kann zurzeit keineswegs anerkennen, daß ein derartiges Gebot vorläge. Wie erwähnt, sind die Verbindungen nach Beuthen durchweg gut. Da es sich hier um ein Land— gericht handelt — die Amtsgerichte sollen ja bleiben, wie sie sind — ᷣ kommt eg für die Bevölkerung zumesst darauf hinaus, daß hin und wieder bei Prozessen in Strafkammersachen das Gericht auf. desucht werden muß. Das trifft den Ginzelnen im Begtrk nur selten, and wenn es ihn trifft, so heißt es nichts anderes, alg daß er eine larze Strecke Wegs weiter zu fahren hat. Dag ist eine so gering—
Zweite Beilage
Berlin, Donnerstag, den 20. Februar
fügige Erschwerung, daß sie gegenüber den wesentlichen Interessen, die zugunsten von Beuthen ins Gewicht fallen, nicht gut ins Feld geführt werden kann.
Wenn man dem Wunsche, ein Landgericht in Kattowitz zu er⸗ richten, überhaupt näher treten wollte, so würde die selbstoerständliche Folge sein, daß zurzeit gar nichts geschehen könnte. Denn ein Land— gericht läßt sich nicht binnen kurzem herstellen. Die Herren werden sich aus den Verhandlungen zwischen Crefeld und Gladbach erinnern. was für Interessen da aufeinanderstoßen, und was alles zu berück— sichtigen ist. Es vergehen Jahre darüber, ehe sich ein Ausgleich herbeiführen läßt. Schon die Prüfung der Frage, wie der Landgerichtsbezirk Beuthen geteilt werden könnte, würde geraume Zeit in Anspruch nehmen, und unterdessen würde in Beuthen geradezu ein Notstand eintreten, denn der Raummangel ist so groß, daß man auch in Kattowitz ein neues Landgericht bauen — in Beuthen jedenfalls auch gebaut werden muß (sehr richtig!); es bleibt also für Beuthen auf alle Fälle ein Raumbedarf zu erfüllen, der durch die vorhandenen Räume nicht annähernd gedeckt wird. (Sehr richtig) Bei dieser Sachlage kann ich die Ablehnung der jetzt geforderten Baurate nicht für gerechtfertigt halten, bin vielmehr der Meinung, daß es im staat— lichen Interesse und insbesondere im Interesse des Bezirksz Beuthen. Kattowitz geboten ist, das von der Regierung vorgelegte Bauprojekt alsbald auszuführen. (Sehr richtig h)
Meine Herren, daß Kattowitz, eine aufblühende schöne Stadt, den Wunsch hat, auch ein Landgericht zu erhalten, ist ja ganz begreiflich. Dieser Wunsch läßt sich zurzeit nicht erfüllen, daß er überhaupt unerfüllbar sei, kann ich heute nicht sagen. Die Frage, ob und wo man im ober— schlesischen Industriebezirk ein drittes Landgericht einrichten soll, ist noch nicht spruchreif. Muß sie später erörtert werden, weil der Um— fang der Geschäfte des Landgerichts Beuthen eine Teilung des Bezirks geboten erscheinen läßt, so würde damit auch die Frage, ob nicht Kattowitz Sitz eines Landgerichts werden soll, von neuem hervortreten und zu prüfen sein. Ein Präjudiz gegen Kattowitz erfolgt also keines— wegs, wenn die heute von mir vertretene Etatsposition genehmigt wird. Den in Aussicht genommenen Neubau aber halte ich für un— bedingt nötig und möchte deshalb dringend darum bitten, daß der jetzt gestellte Antrag auf Wiederherstellung der Ctatsposition vom hohen Hause genehmigt werde und es bet der Vorlage verbleibe. (Bravoh
Abg. Graf Henckel von Donnersmarck (Zentr.) Auch ich möchte das hohe Haus bitten, für die Wiederherstellung der Position zu stimmen. Die jetzigen Räume des Gebäudes sind gänz— lich unzureichend. Beuthen entwickelt sich immer mehr, und es ist auch eine sehr bequeme Verbindung nach Beuthen vorhanden. Auch zur Verfolgung der Verbrecherbanden ist Beuthen als Zentralpunkt besonders geeignet.
Abg. Pe ter⸗Gleiwitz (Gentr.) tritt für die Wiederherstellung der Position ein und bittet, die Interessen der Stadt Gleiwitz zu berücksichtigen.
Abg. Ha arm ann (nl) spricht sich ebenfalls für die Be⸗ willigung aus.
Abg. Krause⸗Waldenburg (freikons.): Leider hat der Minister eine bestimmte Erklärung darüber nicht abgegeben, ob das Landgericht in Beuthen geteilt werden soll, und welcher Ort Schlesiens das andere Landgericht erhalten soll. Dadurch scheint die Entscheidung dleser Frage in weite Entfernung gerückt zu sein. Wir werden für die Wieder— herstellung dieser Position stimmen, bitten aber den Minister, die Frage der Errichtung eines zweiten Landgerichts fortgesetzt im Auge zu behalten. Es sprechen gewichtige Gründe für die Teilung des Landgerichtsbezirkes Beuthen. Es gibt eine große Zahl von Orten, die sehr weit vom Landgericht Beuthen entfernt liegen. Der Redner setzt sich sodann mit der Haltung des Zentrums zu dieser Frage auseinander und verwesst schließlich auf die Entwicklung des Kohlenbergbaues in Oberschlesien, die die Errichtung eines zweiten Landgerichts notwendig mache.
Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Die Errichtung eines zweiten Landgerichts würde so lange dauern, daß mit diesem Umbau nicht ge— wartet werden darf. Dazu kommt, daß auch die Geschäfte des Amks⸗ gerichts eine bedeutende Erweiterung erfahren werden.
Abg. Dr. Por sch (Zentr.: Ich könnte dem Abg. Krause in einigen Punkten widersprechen, mit Rücksicht auf die Geschäftslage will ich Las aber für eine spätere Gelegenheit verschieben und hoffe, daß die Position mit überwtegender Mehrheit genehmigt wird.
Dem Antrage Porsch entsprechend wird die Forderung mit sehr großer Mehrheit wieder hergestellt; die Petitionen werden für erledigt erklärt.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) weist darauf hin, daß eine ganze Reihe von extraordinären Forderungen für den Neubau von Gerichts—⸗ gebäuden damit begründet werde, daß die in den bisherigen Gerichts⸗ gebäuden vorhandenen Gefängnisräume in sanitärer Beziehung zu wünschen übrig lassen. Der Regierungsvertreter, der gestern über diese Sache gesprochen habe, scheine über diese Zustände nicht genügend unterrichtet zu sein. Den Ton, den er gegen ihn anzuschlagen gewagt habe, und der parlamentarisch nicht charakterisiert werden dürfe, würde sich eine Mehrheitspartei nicht haben gefallen lassen. Ueber die Zu⸗ stände der Gefängnisse müsse dem Hause eine Denkschrift vorgelegt werden.
Abg. Winckler (kons.): Ich spreche melne besondere Befriedigung darüber aus, daß für den Neubau eines Geschäftsgebäudes für das Oberlandesgericht in Naumburg die erste Rate in den Etat eingestellt worden ist, weil damit das Oberlandesgericht dauernd der Stadt Naumburg gesichert wird. Dies liegt nicht allein im Interesse der Stadt Naumburg, für die das Oberlandesgericht eine Lebens frage bedeutet, sondern auch im Interesse des Oberlandesgerichts selbst, weil keine geeignetere Stadt als Naumburg für den Sitz des Ober⸗ landesgerichts gefunden werden kann. ü ̃
Abg. Dr. Grunenberg Gentr) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß in Rothenburg ein Dienstwohnungsgebäude für den Amtsrichter errichtet wird.
Der Rest des Justizetats wird ohne Debatte be⸗ willigt. 3
Es folgt die Beratung des Etats der Handels und Gewerbeverwaltung.
Die Einnahmen werden ohne Debatte bewilligt. Bei den
dauernden Ausgaben, und zwar beim Titel Minister⸗
gehalt, bemerkt Abg. Dammer (kons): Wenn ich auch im allgemeinen nur
über Dinge rede, die mich und meinen Stand angehen, so kann
ich doch nicht umhin, auf die wirtschaftliche Lage des deutschen Volkes einzugehen. Der Finanzminister hat schon die außerordent⸗
liche Entwicklung nicht nur der Finanzen, sondern auch der
ch Preußischen Staatsanzeiger.
1913.
Industrie und der Landwirtschaft betont. Ich will dies nur mit wenigen Zahlen ergänzen. Die Eisenproduktion in Deutschland hat sich um 13 5j gegen das Vorjahr gehoben. Die deutsche Eisenproduktion hat im vorigen Jahre England und Frankreich auf diesem Gebiet. üÜberflügelt dank dem segensreichen Schutzzoll. Auch die Kohlenproduktion hat sich ganz bedeutend gesteigert. Infolge dieser günstigen Entwicklung ist der Güterverkehr um ? 9so gestiegen, der Import um 4 (, und der Ausfuhrverkehr um 11 00. BVerschiedene Handelskammern betonen ausdrücklich, daß die Wider⸗ standskraft des inländischen Marktes gegenüber dem ausländtschen Markt auf der Kaufkraft unserer Landwirtschaft beruht. Auch die Dandelskammer Berlin hat in ihrem Bericht hervorgehoben, daß die Kaufkraft der Landwirtschaft die Grundlage unserer wirtschaftlichen Entwicklung ist und bleibt. Aber eins muß hervorgehoben werden, auch die Berliner Handelskammer bemerkt richtig, daß wir wobl eine gute Arbeitskonjunkrur gehabt haben, daß aber von einer Prei konjunktur keine Rede sei, weil die Löhne so außerordentlich gestiegen feien. Die Handelskammer betont außerdem noch, daß die große Bürre und die Viehseuchen im Jahre 1911 die Landwirtfchaft stark geschädigt und damit das Handwerk auf dem platten Lande schwer getroffen haben. Die Handelskammer in Breslau hat betont, daß Blei, Erz und Kies über 0Q0oso gestiegen seien. In verschiedenen Handelsblättern wird seit Jahren die Steigerung der Rohstoffe auf die Schutzzollpolitik zurückgeführt. Das ist nicht zutreffend. Es gibt eine ganze Reihe von Rohstoffen, die den Zöllen nicht unterworfen sind. Besonders schlecht ist die Steinindustrie weggekommen. Die Preise sind derartig gestiegen, daß auch die Arbeiter in dieser Industrte stark gefährdet eischeinen. Zieht man nun das Fazit alles dessen, was der Finanz⸗ minister mit eteilt hat, so muß man mit Entschiedenheit betonen, daß wir alle Ursache baben, am Schutze unserer nationalen Arbeit festzuhalten. Dabei können nur alle Stände gewinnen, wenn man auch zugeben muß, daß ein kleiner Zweig unserer Industrie, die Exportinduftrie, darunter zu leiden hat. Wenn man die Vieh- und Getreidezölle abbauen will, u man ebenso bei der Industrie vor⸗ geben. Industrie und Landwirtschaft müssen zum Segen des Mittel standes zusammenhalten. Es ist eine erfreuliche Tatsache, daß wir heute nur 26 000 Menschen an das Ausland jährlich abgeben, während, wir vor 12 Jahren noch 220 000 Einwohner im Durch— schnitt jährlich verloren. Ich freue mich, daß der Handelsetat mit 24,8 Millionen abschließt, also 15 Millionen mehr als im Vorjahre. Seit Jahren werden in den Etat 190 000 „ als Zubuße für Hand⸗ werkékammern eingesetzt. Die Regierung hält dies für ausreichend, ich persönlich will dahinter ein Fragezeichen setzen und glaube, des weitere Anforderungen auf diesem Gebiete notwendig sein werden. Es werden heute erst 160 sämtlicher militärischer Aufträge an Hand⸗ werker vergeben. Sie müssen mir zugeben, daß auf . Gebiete noch mehr geschehen könnte, dann würde eine große Reihe von Hhand⸗ werkszweigen lebensfähig erhalten werden. Es ist ja ohne weiteres zuzugeben, daß auf seiten der Submittenten auch viele Fehler gemacht werden. Der Reichsdeutsche Mittelstandsverband, der seinen Sitz in Leipzig hat, hat im Königreich Sachsen erfreulicherweise einen zlem⸗ lichen Einfluß gewonnen, weil die Königlich sächsische Regierung ein⸗ gesehen hat, daß, wenn man den Mittelstand in Stadt und Land nicht schützt, die rote Flut immer höher steigen wird. Wir muͤssen den Mittelstand so stark wie möglich erhalten. Die Regierung des König⸗ reichs Sachsen hat in dankenswerter Weise im Vorjahre 30 000 4 mehr gegeben, um ein Submissionsamt für das Königreich Sachsen zu er⸗ richten. Meine Auffassung über Submissionsamter geht nun dahin, daß Submissionsämter, wie sie in Sachsen bestehen, auch für unt eine dringende Notwendigkeit sind. Die Aufgabe des Submissiong⸗ amtes ist, das Angebot von Staats- und Kommunalaufträgen zu überwachen und auf eine schleunige Bekanntmachung derselben hinzu— wirken. Wir würden hier viel besser abschneiden, wenn wir schon Submissionsẽmter hätten, weil man dann Normalstatute aufstellen könnte. Es gibt einzelne Handwerkskreise, welche glauben, wenn Submissionz⸗ ämter eingeführt werden, daß damit eine gewisse Kontrolle der Regierung verbunden set. Dieser Auffassung sind meine politischen Freunde nicht. Die Handwerker können durch Einspruch, Beschwerde und Petitionen an das Abgeordnetenhaus ihre Rechte vollkommen wahren. Das Sub⸗ missionsamt könnte an die Handwerkskammern und an andere Orga nisationen angegliedert werden. Der Reichsdeutsche Mittelstands⸗ verband hält die Handwerkskammern nicht für geeignet, aber man kann doch nicht ad hog in einer Stadt einige Sachverständige zusammenrufen, die das Submissionsamt zu bilden hätten. Aller⸗ dings müßten Vertreter der Behörden und event. auch der Handels⸗ kammern in dem Submissionsamt vertreten sein. Die Kosten müßten zu zwei Dritteln vom Handelsministerium übernommen werden. In Sachsen werden die ganzen Kosten vom Staat getragen; ich halte das nicht für richtig, die Beteiligten müssen vielmehr beitragen. In jeder Provinz müßten wir ö und nach ein Submissionsamt erhalten. Als vorsichtiger Mann bin ich dafür, daß erst einmal in einer Provinz ein Versuch gemacht wird. Vorschläge sind schon von den Handwerkskammern in Stettin und Breslau gemacht worden; eine treffliche Initiative hat die Breslauer Handwerkskammer er⸗ griffen, sie hat bereits ein Submissionsamt errichtet und, wie die Schlesier einmal sind, glaubt die Kammer, daß sie nur einen Zuschuß in Höhe der Hälfte der Kosten, etwa 12 060 66, brauchen wird. Die Frage der Sicherung der Baufonrderungen bedarf dringend der vollkommenen Lösung; der zweite Abschnitt des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen muß eingeführt werden. Die Regierung hat sich bisher ablehnend verhalten, und deshalb hat die Kommission für Dandel und Gewerbe einen Antrag angenommen, wo⸗ nach der zweite Abschnitt des Gesetzes in den Städten, wo Bau⸗ schwindel festgestellt wurde, auf 16 Jahre eingeführt werden möge. Die Einführung ist allerdings nicht möglich, solange nicht auch die Taxämter mit bffentlich rechtlichem Charakter unter amtlichem Vorsitz eingeführt sind. Dann wird auch wieder Sicherheit auf dem QWywothekenmarkte eintreten. Der erste Abschnitt des Gesetzes zur Sicherung der Bauforderungen enthält allerdings auch Mängel, die Regierung hat bisher noch kein Mittel zur Abstellung der Mißstände ergriffen; nach der Erklärung eines Regierungskommiffars ist das aber wenigstens noch zu erwarten. Die Bestimmung über den Anschlag der Bauvorschriften auf jeden Bau wird vielfach nicht beachtet; der Polizeipräsident hat erklart, daß er kein Mittel zur Kontrolle habe. Ich bitte deshalb den Minister um Abbtlfe. Die Interpellation des Abg. Dr. Arendt, die auch von meinen Freunden unterstützt war, wegen der Einführung von amortisablen Sicherheits hypotheken kann segentreich wirken; der Haus. und Grundbesitzerverein in Spandau hat sich auf denselben maßvollen Standpunkt ge⸗ stellrt, den die Freikonservativen und Konservativen eingenommen haben. Der Deutsche Handwerks. und Gewerbekammertag hat eine Reyxision der Gewerbeordnung in manchen Punkten gewüunscht, und meine Freunde stehen hinter diesen Wünschen. 3. B. ö die Frage der Unterscheidung zwischen Sandwerks und , öst werden. Der Erlaß des früheren Ministers Möller, der alle Intelligenzen dem Handwerk entzog. indem er sie zu Fabrikanten stempelte, muß aufgehoben werden.ů Ferner muß die Frage der Lehrlingsausbildung geiegelt werden; jetzt feblen dem Handwerk ausgebildete Gehilfen. s muß auf diesem Gebiete dezentralisiert werden. Eg muß wieder der Anreiz gefördert werden, ein Dandwerk zu erlernen. Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, daß das Handwerk bereits verloren sei. Die Dentisten bitten, daß man die dressährige Lehrzeit für sie obligatorisch mache, und daß man sie unter die Gewerbeordnung
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