1913 / 52 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 28 Feb 1913 18:00:01 GMT) scan diff

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Ministerium der geistlichen und Unterrichts- angelegenheiten.

Der ordentliche Professor Dr. Friedrich Henke zu Königs⸗ berg i. Pr. ist in gleicher Eigenschaft in die medizinische Fakultät der Uniyersität zu Breslau verfetzt worden.

Finanzministerium.

Der Katasterkontrolleur Fisch er ist von Rummelsburg i. P. nach Sinzig versetzt und der Katasterlandmesser Man ist zum Katasterkontrolleur in Rummelsburg i. P. bestellt worden.

Evangelischer Oberkirchenrat.

Der Geheime Konsistorialrat Liz. th. Dr. Groebler, bisher bei dem Königlichen Konsistorium in Danzig, ist in gleicher Eigenschaft an das Königliche Konsistorium in Berlin versetzt worden.

Der in die Pfarr- und Ephoralstelle in Bochow berufene Superintendent Gründler, bisher in Bobersberg, ist zum Superintendenten der Diözese Jüterbog, Regierungsbezirk Potsdam, bestellt worden.

Aichtamkliches. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 28. Februar 1913.

Am 25. d. M. ist hier der außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister der Republik Chile Aug usto Matte, der seit Januar 19096 am hiesigen Allerhöchsten Hofe beglaubigi war, an Herzschwäche verschieden.

Die Kaiserliche Regierung und der große Kreis persön— licher Freunde des Entschlafenen beklagen aufrichtig den Heim— gang dieses ausgezeichneten Mannes, der es sich stets hat an— gelegen sein lassen, die guten Beziehungen zwischen dem Deut— schen Reiche und seinem Heimatlande, zu dessen angesehensten Staatsmännern er gehörte, zu pflegen, und der es während seiner hiesigen siebenjährigen dienstlichen Tätigkeit verstanden hat, sich die Verehrung und Achtung aller zu erwerben, die ihm amtlich oder außeramtlich nahe getreten sind.

Der Ausschuß des Bundesrats für Handel und Verkehr hielt heute nachmittag eine Sitzung.

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In der am 27. d. M. unter dem Vorsitz des Königlich bayerischen Gesandten, Stagtsrats Grafen von Lerchenfeld— Koefering abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesrats wurde der Entwurf eines Gesetzes, betreffend Aenderung der S5 56, 56e der Gewerbeordnung, den zuständigen Ausschüssen über⸗ wiesen. Zur Annahme gelangten der Entwurf von Bestimmungen für die land- und forstwirtschaftlichen Aufnahmen im Jahre 1913 und die Vorlage, betreffend die Prägung von Fünfpfennig⸗ stücken. Die Wahl) von Mitgliedern der Reichsschulden⸗ kommission wurde vollzogen. Demnächst wurde über Anträge auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach dem Ver— sicherungsgesetze für Angestellte, über Anträge auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach 8 1242 der Reichsversicherungs— ordnung sowie über eine Reihe von Eingaben Beschluß gefaßt.

Im Monat Januar 1913 haben 3488 Schiffe (gegen 2704 Schiffe im Januar 1912) mit einem Nettoraumgehalte von 666 246 Registertons (1912: 517617 Registertons) den Kaiser Wilhelm-Kanal benutzt und, nach Abzug des auf die Kanalabgabe in Anrechnung zu bringenden Elblotsgeldes, an Gebühren 307 656 S (1912: 248 445 M) entrichtet.

Laut Meldung des W. T. B.“ sind S. M. S. „Möwe“ am 25. Februar in Daressalam, S. M. S. „Eber“ am 26. Februar in Freetown (Sierra⸗Leone) und S. M. S. „Cormoran“ an demselben Tage auf der Insel Norfolk (Südsee) eingetroffen.

Oefsterreich⸗ Ungarn.

Das österreichische Herrenhaus erledigte gestern die Vorlage, betreffend die Ergänzung des Handels vertrags mit Schweden und Norwegen hinsichtlich der gegenseitigen Meistbegünstigung der Handlungsreisenden.

Der Volkswirtschaftliche Ausschuß hat eine Resolution angenommen, in der, wie „W. T. B.“ meldet, die Befriedigung darüber ausgesprochen wird, daß der Minister— präsident Graf Stuergkh in der letzten Besprechung mit deutsch— böhmischen Abgeordneten, soweit dies die gegenwärtigen Verhält—⸗ nisse gestatteten, beruhigende Mitteilungen über die auswärtige Lage gemacht habe, die auch in wirtschaftlichen Kreisen mit großer Genugtuung aufgenommen worden seien. Der Ausschuß be⸗ dauert, daß diese Erklärung durch eine hochoffiziöfe Kund— gebung außerordentlich abgeschwächt worden sei, durch die nur neuerliche Beunruhigung in der Oeffentlichkeit wach⸗ gerufen wurde.

An Stelle des zurückgetretenen Grafen Zichy ist, obiger Quelle zufolge, der Staatssekretär Bela Jank ovich zum ungarischen Minister für Kultus und Unterricht ernannt worden.

Großbritannien und Irland.

Die Botschafter sind gestern nachmittag im Auswärtigen Amt wieder zu einer Besprechung zusammengetreten.

Das „Reutersche Bureau“ erfährt aus diplomatischen Quellen, daß die Lage hinsichtlich Albaniens augen⸗ blicklich folgende sei:

Obgleich ein Einverständnis unter allen Mächten über die Haupt⸗ fragen der Abgrenzung Albaniens in Aussicht stehe, mache es doch die Fortsetzung des Kriegszustandes und besonders die Kriegslage bei Skutari augenblicklich sehr schwierig, endgültige und formelle Ent— scheidu ngen zu treffen. Sobald der Friede einmal geschlossen sei, würden die Erörterungen dies letzten Wochen und

er die dabei gemachten Voꝛschäge, die schon ene wesent—

liche Entspannung herbeigeführt hätten, wahrscheinlich sofort zu einer freundschaftlichen Regelung führen. Troß des Geistes der Versöhnlichkeit und der Solidarität, von dem die Mächte bei di sen Verhandlungen Beweise gegeben hätten, dürfe man nicht erwarten, daß die grundsätzliche Uebereinstimmung hinsichtlich bestimmter Teile von Albanien sich in formelle und entscheidende Verabredungen um⸗ setzen werde, bevor die Lage, die durch dle Fortsetzung des Krieges geschaffen sei, einen weniger unsicheren Charakter angenommen habe.

Frankreich.

Wie die „Agence Havas“ meldet, beschäftigte sich der Ministerrat gestern mit der Prüfung der Maßregeln zur Hebung des Effektivbestandes der Ar mee. Beschlüͤsse wurden noch nicht gefaßt.

Der frühere Kolonialminister Lebrun ist an Stelle des Kriegsministers Etienne zum Vizepräsidenten der Kammer gewählt worden. . .

Der Finanzminister Klotz brachte gestern in der Kammer die Vorlage ein, die 500 Milltonen zur Beschleunigung der Arbeiten für die nationale Verteidigung fordert.

In der Begründung wird laut Bricht des W. T. B.“ zu⸗ nächst festgestellt, daß die letzten Kriege bestätigt haben, wie notwendig es für die Nationen ist, ihre Verteidigungsmittel beständig auf der Höhe des Fortschritts der Wissenschaft und der Kriegskanst zu halten, da man sonst befürchten muß, sich schnell in einem Zustande der Unterlegenheit zu befinden, dem abzuhelfen dann schwierig sein würde. Diese Kriege trugen auch dazu bei, die Vorstellungen über die Verwendung gewssser Materialten zu ändern. Die Re— gierung hat als unumgänglich notwendige Maßnahmen die Vervoll— kommnung des Kriegsmaterials und der Organifation der Verteidigung aufgeführt, Sie bezeichnet diejenigen Maßnahmen, die besonders dringend sind, und bittet das Parlament um die Erlaubnis, sie zu be— schleunigen. Die Gesamtausgaben, die für die nationale Verteidigung in Aussicht genommen sind, betragen ungefähr 635 Millionen. Wenn der Kriegsminister nur über die gewöhnlichen Kredite verfügen könnte, würde die Ausführung zu lange hinausgeschoben werden. Um einen derartigen Aufschub so viel wie möglich zu beschränken, soweit es die Lage der Industrie zuläßt, werden Ausgaben nötig sein, die die gewöhnlichen Kredite um 500 Millonen Franes ühbersteigen. Trotzdem dlese zeitweilige außerordentliche finanzielle Inanspruchnahme ernsthaft ist, wird sie tatsächlich die Lasten des Landes nicht vermehren. Sie ändert nur die Zeit, wo diese. Ausgaben gemacht werden sollen, und wird die Budgets, die der Periode der beschleunigten Rüstungen folgen, um ebensopfel entlasten. Das Land wird dafür den unschätzbaren Vorteil eintauschen, daß ihm die Früchte des Opfers früher zugute kon men, das auf jeden Fall ge⸗ bracht werden mußte, und es wird sich infolgedessen in merklich besserer Lage befinden, um allen Eventualitäten die Stirn zu bieten.

Die Vorlage bestimmt, daß die Ausgaben von 500 Mil— lionen über den normalen Kredit hinaus ausschließlich für Er— werbungen, Fabrikation und Ausführung von Bauten innerhalb einer Höchstfrist von fünf Jahren verwandt werden. Nach⸗ trägliche Gesetze werden die notwendigen Kredite eröffnen.

Das Marineministerium ist, obiger Quelle zufolge, gegenwärtig mit der Ausarbeitung eines neuen Offizier⸗ kadergesetzes beschäftigt, durch das dem Flottenprogramm Rechnung getragen und ein rascheres Avancement fowie eine Verjüngung des Offizierkorps der Kriegsflotte ermöglicht werden soll.

Rußland.

Der gestrige Ministerrat hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ die von den Kadetten eingebrachten Gesetzentwürfe über Vereins- und Versammlungsfreiheit, über die Unantastbar— keit der Person und über eine Reform der Wahlen zur Reichs⸗ duma für unannehmbar erklärt.

Spanien.

Das Dekret, welches die Verwaltung in Marokko organisiert, enthält neun Artikel. Nach Meldungen des „W. T. B.“ bestimmt es, daß alle spanischen Militär- und Konsularbehörden, die in der spanischen Zone bestehen oder noch errichtet werden könnten, dem Generalkommandanten in Ceuta unterstellt sein sollen, der seinerseits direkt dem Staatsministerium unterstellt ist. Sämtliche Verwaltungsangelegenheiten außer den militärischen, die im Geschäftskreise des Kriegsministeriums, und denen der Marine, die im Geschäftskreise des Marine— ministeriums verbleiben, gehören unter seine Amtsgewalt. Als Hilfskräfte werden ihm beigegeben werden der Konsul Zugasti für allgemeine und Eingeborenenangelegenheiten, der Ingenieur Morales für öffentliche Arbeiten und der Schatzbeamte Torrijos für Finanz- und Verwaltungsangelegenheiten.

Dänemark.

Der König und die Königin sind gestern nachmittag von Berlin in Kopenhagen wieder eingetroffen und von den Mitgliedern der Königlichen Familie, sämtlichen Ministern und den Spitzen der Zivil⸗ und Militärbehörden empfangen worden.

Belgien.

Die Regierung hat der Kammer einen Gesetzentwurf zu⸗ gehen lassen, der die Gleichberechtigung der flämischen Sprache mit der französischen im Heere gewährleisten soll. Dieser Gesetzentwurf war, wie „W. T. B.“ meldet, not— wendig, weil gewisse flämische Kreise Trennung des Heeres in flämische und wallonische Regimenter verlangten.

Türkei.

Die Pforte hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ den türkischen Botschafter in Rom telegraphisch beauftragt, heute auf der Consulta eine Note zu überreichen, in der gemäß dem Artikel 19 des Vertrages von Ouchy die Zahlung der Summe, welche die Kapitalisierung der Einkünfte der Dette Publique aus Tripolis darstellt, verlangt wird. Die italienische Regierung hätte innerhalb 14 Tagen die Summe flüssig zu machen, und zwar 35 Millionen Lire in London und 15 Millionen in Paris hei jenen Banken, die die Pforte bezeichnen wird.

Ein amtliches türkisches Kriegsbulletin vom 27. d. M. besagt, daß gestern bei Bulair und Tschataldscha keine Aenderung der militärischen Lage eingetreten sei. Der Feind habe Adrianopel schwach beschossen. Der Artilleriekampf bauere auf allen Fronten, insbesondere auf der Ostfront, fort.

Der Kommandant des X. Armeekorps Hurschid Pascha und Generalstabschef Enver Bei trafen gestern aus den Dardanellen in Konstantinopel ein und konferierten auf der Pforte mit dem Großwesir.

Die Regierung trifft strenge Vorsichtsmaßregeln, um die Ordnung zu sichern und jedem Versuche, einen Umsturz herbeizuführen, vorzubeugen. Das Amtsblatt veröffent⸗ licht nach einer Meldung des „Wiener K. K. Telegraphen⸗ korrespondenzbureaus“ eine neue Polizeiverordnung, nach der die Polizeibeamten befugt sind, von der Waffe Gebrauch zu machen, wenn dies zur Abwehr von Angriffen oder zur Verhinderung der Flucht von Ver—

brechern notwendig erscheint. Falls für die Aufre te der Ruhe die vorhandenen Polize imannschaften k 2 2 können die Walis und in Konstantinopel der Minister des Innern durch schriftlichen Befehl an den Kommandanten Militär requirieren. Rumänien.

Die Deputiertenkam mer hat gestern einen Gesetz entwurf, betreffend die Verwertung des Budgetüber= schusses im Betrage von 110 391 665 Fr., angenommen.

Serbien. Die Regierung hat sich nach einer Meldung der „Wiener

Allgemeinen Zeitung“ entschlossen, im Einvernehmen mit

Griechenland ein Hilfskorps von über 30 005 Mann auf

griechischen Schiffen von Saloniki den Montenegrinern zu Hilfe zu schicken, um Skutari zu Fall zu bringen. Das Ex— peditionskorps mit 10 Belagerungsgeschützen, 241 Feldgeschützen dem Geniekorps und dem Munitionspark soll in Durazzo, San Giovanni di Medua und Antivari landen und von dort nach Skutari marschieren.

Bulgarien.

Der rumänische Gesandte Ghika ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern früh zur mündlichen Berichterstattung nach Bukarest abgereist.

Heute tritt die Sobranje zusammen, um die unter— brochene Session fortzusetzen.

Amerika.

Dem gmerikanischen Senat ist von seinem Ausschuß für Handelsangelegenheiten ein Bericht unterbreitet worden, in dem die sogenannte Vernunftregel, die der Oberste Gerichtshof in den Prozessen gegen den Tabaktrust und den Oeltrust aufstellte, scharf kritisiert wird. Der Be— richt hetont, wie W. T. B.“ meldet, die Gefahren un— kontrollierter richterlicher Befugnis und fordert die Abände— rung des Shermangesetzes durch neue Gesetze, die den Begriff der gesetzwidrigen Kombination genau festlegen, damit die Geschäftswelt und die Gerichte eine klare Norm für ihr weiteres Vorgehen erhalten. Die Gesetze sollen jedoch eine be⸗ rechtigte Konkurrenz anerkennen. Der Bericht empfiehlt schließlich die Beaufsichtigung der Korporationen durch eine Bundesbehörde.

Wie der amerikanische Gesandte in Nicaragua meldet, hat der Kongreß von Nicaragua in zweiter und end gültiger Abstimmung den Vertrag gutgeheißen, durch den den Vereinigten Stagten das alleinige Recht verliehen wird, einen interozeanischen Kanal durch Nicaragua zu führen, und ein Flottenstützpunkt in der Fonseca⸗Bay ein geräumt wird.

Nach Meldungen des „W. T. B.“ aus Mexiko hat der General Huerta dem eigens für den Zweck zusammengetretenen Abgeordnetenhause ein von ihm entworfenes Am ne stiegesetz übermittelt, das für alle eines politischen Vergehens Beschuldigte gelten soll, die sich innerhalb von 15 Tagen nach dem Erlaß den Behörden stellen.

Afsien.

Einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge hat der Gou verneur in Tsitsikar den russischen Behörden Mit— teilung von einem Aufrufe an die chinesische Bevölkerung ge⸗ macht, durch den die Gerüchte über Zusammenziehungen chine sischer Truppen zum Zwecke eines Krieges gegen Rußland sowie über Vorbereitungen Rußlands als falsch bezeichnet und die militärischen Vorkehrungen der Chinesen mit der Notwendig keit, die Räubereien der Tschuntschusen zu unterdrücken, erklärt werden.

Der japanische Reichstag ist gestern wieder er öffnet worden. Der Ministerpräsident, Admiral Hamamoto betonte obiger Quelle zufolge in einer Rede die Festigkeit des englisch⸗japanischen Bündnisses und die freundschaftlichen Be ziehungen zu den Mächten. Er schlug vor, die Reformvor⸗ schläge Marquis Saionjis auszuführen, und erklärte gleichzeitig, daß das Budget des Katsurakabinetts wieder eingebracht werden würde, da die Zeit fehle, ein neues Budget auszuarbeiten. Yamamoto bezeichnete weiter eine Reform des Steuersystems im Sinne der Entlastung der Steuerzahler als eine dringende Notwendigkeit und erklärte, daß die nötigen Maßregeln im Laufe der Session vorgelegt werden würden.

* Afrika.

Nach einer vom „W. T. B.“ verbreiteten Meldung aus Oran beabsichtigt der Befehlshaber der in Ostmarokko stehenden Besatzungstruppen, General Alix, einen Streifzug gegen die am linken Mulujaufer ansässigen Beni Bujani zu unter— nehmen, die den Franzosen noch immer feindlich gesinnt sind und sie wiederholt durch Angriffe und Beutezüge be⸗ lästigt haben.

Parlamentarische Nachrichten. Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Reichs—⸗

tags und der Bericht über die gestrige Sitzung des Haufes der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten

Beilage.

Die heutige (122.) Sitzung des Reichstags, welcher der Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach beiwohnte, eröffnete der Präsident Dr. Kgempf mit der Mit—

teilung, daß ein Gesetzentwurf, betreffend die vorläufige Regelung des Reichshaushaltsetats für 1913 (Notetat), ein— gegangen ist.

Das Haus setzte die Spezialberatung des Etats der Reichseisenbahnen bei den fortdauernden Ausgaben für die Zentralverwaltung (Chef des Reichsamts für die Verwaltung der Reichseisenbahnen) mit den dazu vorliegenden Resolutionen einschließlich derjenigen schon zum Etat für 1912 beantragten, aber noch nicht zur Abstimmung gebrachten, fort.

Abg. Peirotes (Soz.): Unsere Wünsche sind bisher unerhört verhallt. Die Reichseisenbahnen sind nur ein Anhängsel der preußl— schen Eisenhahnen. Deshalb herrscht dort auch preußischer Geist, der uns natürlich nicht zefällt. Dem Landtage von Elsaß-⸗Lothringen follte Gelegenheit gegeben werden, eine Vorprüfung dieses Etats vornehmen zu können. Das ist leider abgelehnt worden. Man weiß allerdings, daß wir uns dort nicht so leicht abspeisen lassen. Die Frage, ob die Einnahmen der Reichseisenbahnen durch die strategischen Linien beeinträchtigt werden, hat der Minister seltst bejaht. Geprüft muß auch die Frage werden, ob bei Berechnung des Anlagekapitals, also der Verzinsung, richtig vorgegangen wird. Ich glaube nicht, daß man dat blisherige Verfahren kaufmännisch nennen könnte. Die jetzige Rentabilitätsber'chnung bietet dethalb ein wvoll—

sändig falsches Bild. Die Tatsache, daß erhebliche Ueber⸗ schüsse vorhanden sind, läßt sich nicht aus der Welt schaffen, aber von diesen haben die Reichelande keinen Vor— teil. Im Gegenteil, sie müssen nech zu den Bahnbauten bei⸗ steuern, Da müßte man doch wenigstens verlangen, daß das An⸗ lagekapital verzinst wird. Elsaß Lonihringen hat als Grenzland sowieso schon seine Nöte. Es leidet ganz besondeis unter den Zollschranken, die bas dortige Gewerbe beeinträchtigen. Die Veiwaltung der Zölle legt uns zudem höhere Opfer auf, als wir ersetzt bekommen. Hler waͤre ein kleines Aeguivalent am Platze Deshalb müssen wir einen Einfluß auf das Eisenbahnwesen haben. Dies ist um so nötiger, weil unsere Verkehrs— bedürfnisse nicht befriedigt werden. So hat das mittlere und obere EClsaß schlechte Verbindungen. Die dringende Bahnverbindung zwischen Colmar und Frankreich, zwischen den Reichslanden und Wien und den Vogesentannel hat man abgelehnt, trotzdem so große Ueberschüsse vor⸗ handen sind. Ebenso notwendig ist der Bau der Ri⸗dbahn. Man erwägt die Frage, ob man ein drittes oder viertes Gleis auf der Baseler Strecke bauen soll. Billiger und vorteilhafter wäre der Bau der Riedbahn, jumal dadurch wette Gebiete aufgeschlossen würden. Milttäriscke und strategische Einwände können gegen diese Bahn nicht gemacht werden, da sie ja militärisch, wie anerkannt ist, vorteilhaft ist. Auch die Frage der Elektrisierung müßte geprüft werden, ebenso wie die einer Gebirgsbahn längs der Vogesen, wo eine Reihe großer wirtschaftlich blühender Gemeinden liegt, deren Bewohner heute meilenweite Entfernungen zurücklegen müssen, um Bahnanschluß zu finden.

(Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten setzte in der heutigen 143.) Sitzung, welcher der Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow beiwohnte, die zweite Beratung des Etats der Berg⸗, Hütten- und Salinenverwaltung, und zwar zunächst die Debatte über die Einnahmen aus den Ber g⸗ werksprodukten fort.

Abg. Schmed ding (Zentr.): Ein großer Teil meiner politischen Freunde hält die Haltung des Handelsministers zur Syndikats frage für durchaus berechtigt. legen den größten Wert darauf, daß die Kohle, die zu den Hauptlebensbedürfnissen des Volkes gehört, nicht zu sehr verteuert wird. Das liegt im Gesamt⸗ interesse des Staates. Wir leben ja ohnehin in einer Zeit allgemeiner Teuerung, namentlich unter hohen Fleischpreisen. Wenn wir alfo die Hallung des Ministers billigen, so ist damit nicht gesagt, daß wir für alle Zukunft uns gegen eine Beteiligung des Staates am Syndikat ablehnend verhalten. Im Gegentesl, wenn die Verhält— nisse sich günstiger gestalten, haben wir nichts dagegen, daß der Minister versucht, dem Syndikat beizutreten. Einer Ansicht des Abg. Macco muß ich entgegentreten. Das Darniederliegen der klemneren und mittleren Erzbetrlebe im Slegerland ist weniger auf die sozialen Lasten zurückzuführen als auf die größeren Beförderungskosten und dis Konkurrenz anderer Werke. Dle Hauptaufgahe der Bergwerks⸗ berwaltung wird immer die sein, für eine ungestörte und regelmäßige Beschäftigung ihrer Gruben und ihrer Arbeiter zu sorgen. Das liegt nicht nur im Interesse der Gesamtheit des Volkes, im Interesse der Einnahmen, sondern in erster Linie im Interesse der Arbeiter. In Zeiten günstiger wirtschaftlicher Konjunklur wird es im all— gemeinen nicht schwer sein, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Auf⸗ gahe. der Verwaltung ist es aber, sich' auch für die Zeiten rückläufiger Koenjunftur zu rüsten. Man darf nicht ver— gessen, daß der Inlandsverbrauch nicht in demselben Verhältnis gestiegen ist wie die Gesamtproduktion. Es ist wiederholt auf die Not⸗ wendigkeit der Wiedereinführung der Kohlenausfuhrtarife im Interesse des Saarrepiers hingewiesen worden. Ich ve weise in dieser Beziehung auf einen Bericht der Essener Handelt kammer rom Jahre 1912. Zu übersehen ist dabei aber nicht, daß solche Ausfuhriarffe sich nicht von heute auf morgen durchführen lassen. Wenn der Abg. Leinert gegen die Ausfuhrtarife spricht, so übersieht er vollständig, daß gerade die Bergarbeiter ein Jateresse daran haben, dauernd die Ärbeit zu be⸗ halten. Ein Mittel zur Erhaltung des Absatzes find gerade die Aus— fuhrtarie. Ob allerdings auch für das Köhlen redier in Schlefsen Ausfuhrtarife notwendig sind, vermag ich selbst nicht zu beurseilen.

Abg. Dr. Röchling (nl): Die Ausführungen des Abg. Leinert gegen das Kohlensyndikat waren so sehr von einer (inseitigen Unter— nehmerfeindlichkeit getragen, daß sie weder in diesem Hause noch außer⸗ haib des selben auf irgend jemand Eindruck machen können, es sei denn, daß er auf die Sozialdemokratie ein geschworen ist. Ich gehe deshalb im einzelnen nicht darauf ein, sondern will nur zur Kenn— zeichnung des Geistes, der durch seine Ausführungen geht, darauf hinweisen, daß Abg. Leinert von einem Regierungsrat in der Reichs— verwaltung behauptet hat, dieser habe sich bei seinem Austritt aus dem Stahlwerke verband verpflichten müssen, nichts gegen den Stahlwerke verband zu veröffentlichen; denn er habe a seinerzeit nichts gegen den Stahlwerksverband geschrichen. Daraus die Folgerung zu ziehen, daß er eine vertragliche Ver⸗ bflichtung nach, dieler Richtung eingegangen sei, sst wirklich nicht verständlich. Ich habe übrigens telegraphisch angefragt, ob es so ist, habe aber leider noch keine Antwort be⸗ kommen, und werde eventuell sie in einer Geschäftsordnungs⸗ hemerkung mitteilen. Ver Abg. Pachnicke bat sich des Herrn Dr. Keßner, des Verfasseis dez Buches Der Organisationszwang“, angenommen. Weil mein Freund Schifferer an diesem Buche eine scharfe, aher sehr berechtigte Kritik geübt und darauf hingewiesen hat, daß Dr. Keßner in einem Reichsamt beschäftigt sei, fragt Abg. Pachnicke ntrüstet, ob nicht ein Regierungsbeamter wissenschaftliche Studlen machen und sie veröffentlichen dürfe. Die Syndikate wissen ganz genau, daß sie unter dem Staate stehen und daß man gegen sie vor⸗ gehen kann, wenn sie Schaden anrichten. Das ist auch nicht ganz neu. Aber Abg. Dr. Pachnicke hat das Vorgehen des Herrn Keßner im allgemeinen gebilligt. Die Fortschrittler und die Sozialdemokraten sind ja bestrebt, das bewährte System des maßvollen Zollschutzes zu beseitigen, die Fortschrittler allmählich, die Sozialdemokraten mit einem Schlage. Wir Natlonalliberalen sind aber bestrebt, den Zoll⸗ schutz aufrecht zu erhalten, und können uns dem Herrn Dr. Keßner nicht anschließen. Wo ist denn übrigens in die Erscheinung ge⸗ treten, daß das Kohlencyndikat mehr geschadet als genützt hat? Es fragt sich, ob die Vortelle des Syndikats die Nachteile aufheben. Ich glaube, man kann diese Frage hne weiteres bejahen. Es ist ganz unzweifelhaft, daß die ruhige Entwicklung unserer Preise verhältnisse, die gleichmäßige Gestaltung der Marktlage, die finanzielle Sicherstellung der Kommunen hinsichtlich der Steuer⸗ verhältnisse auf die Syndikate zurückzuführen find. Man kann also im großen und ganzen sagen, daß die Syndskete große Vorzüge aufzuweisen haben. Deshalb bedauern wir auch. daß der Minister anläßlich der Preissteigerung für Hausbrandkohle“ um 24 3 aus dem Syndlkat autgekreten' ist. Wenn die ÄÜürbeiter— famisien im Jahre mit 250 4 durch die Verteuerung der Haus— brandkohle mehr belastet werden, so sollte dies doch nicht zum Anlaß genommen werden, aus dem Syndikat auszuscheiden. Ueber⸗ haupt ist der Begriff Hausbrandkohle tein feststehender, man kann darunter alles Mögliche verstehen. Allerdings müssen wir anerkennen, daß durch den Auetritt der Regierung? keine großen Nachteile entstanden sind. Die Preise der Hausbrandkohle sind doch etwas ge⸗ stiegen. Wir begrüßen es, daß der Minsster erklärt hat, er wolle wieder in Verhandlungen mit dem Kohlensyndikat eintreten. Wir balten

S aber für notwendig, daß diese Verhandlungen schon jetzt ge⸗

führt werden, damit für die Zeit der Atschwöchung ker Konjunktur bereits eine geeignete Basis für das Vertragsverhältnis gefunden ist. Aus den Verhandlungen kann nur dann etwas Ersprießliches herauskommen, wenn der Staat sich nicht als Vorgesetzter des Syndikats betrachtet. Der Staat kann dadurch Ein⸗ fliß auf daß Syndikat gewinnen, daß er dem Syn— dikat beitritt. Notwendig sst allerdings, daß der Staat in dem Syndikat vertreten ist durch geeignete Persönlichkeiten, die nicht ur ein Amt, sondern auch (ne Meinung haben.

Die betreffen en Per sönlichkeiten müssen auch mit den Verhälinissen vertraut sein und den guten Willen haben, ein erträgliches Verhäl inis zustande zu bringen. Das Syndikat muß Zuttanen zu diesen Leuten haben können. Darin scheinen ne e Schwierig- keiten zu liegen. Es kann nur dann ermas erreicht werden, wenn sämntliche beteiligten Kreise mit gutem Willen an die Frage herantreten. Der Abg. Schmedding hat schon darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, die Kohlenausfuhrtarife wieder ein! zuführen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Not⸗ wendigkeit der Wiedereinführung der Koh lenausfuhrtarffe für das Saar⸗ revier eine dringliche ist, und man darf damit nicht so lange warten. Die Auctfuhrtarife sollten jetzt schon eingeführt werden, während der günstigen Konjunktur. Wenn man aßwarten will, bls ein Kohlenüberfluß eingetceten ist, dann ist es zu spät. Ver Gedanke, die im Kaligesetz vorgesebene Karenzzelt auf zehn Jahre zu verlängein, ist an sich sympaithisch zu begrüßen. Für be⸗ denklich halten wir es aber, daß in derartige Gesetze Bestimmungen über rückwirkende Kraft aufgenommen werden. Ich erinnere daran, daß das Abgeordnetenhaus sich in ähnlichen Fällen darauf nicht ein⸗ gelassen hat. Das preußische Ministerium würde sich ein Verdienst erwerden, wenn es auf die Reichsregierung dahin einwirkt, bei folchen Gesetzen in Zukunft auf die rückwirkende Kraft zu verzichten.

(Schluß des Blattes.)

Statiftik und Bolkswirtschaft.

Nach dem amtlich xeröffentlichten vorläufigen Ergebnis der all— gemeinen Volkszählung in Rumänien, die Ende 19132 statt— gefunden hat, ist, wie ‚W. T. B.“ aus Bukarest berichtet, die Be⸗ völkerungsziffer von 5 956690 Einwohnein im Jahre 1899 auf 243 916 am Schlusse des Jahres 1912 gestiegen. Der Zuwachs beträgt also mehr als 213 0.

Zur Arbeiterbewegung.

In Crefeld hat, wie die „Köln. Ztg. berichtet, die auf gestern vormittag anberaumte Versammlung der ausständigen Färber (bgl, Nr. 51 d. Bl.) beschlossen, die ihnen erneut gemachten Zu— geständnisse der Arbeitgeber als nicht genügend zurückzuweisen und dem Arbeitgeberverband eine Reihe neuer Forderungen einzureichen. Daraufhin wurde sofort der Arbeitgeber verband der Rhei— nischen Seidenindustrie und ihrer Hilfsindustrien auf heute zu einer neuen Versammlung einberufen, in der weitere Maßnahmen gegenüber den Arbeitnehmern beschlossen werden sollen.

In Oestringen (Amt Bruchsah befinden sich, der „Frkf. Ztg.“ zufolge, etwa 800 Tabakarbeiter in einer Lohnbewegung. Die Arbeiter verlangen eine Lohnerhöhung von 10 3 den Tag. Da, wie man annimmt, die Arbeitgeber diese Forderung ablehnen werden, ist mit einem Ausstand zu rechnen.

Aus Parts wird dem ‚W. T. B.“ telegraphiert: Die Be— sprechungen zur Bekämpfung der Krise in der Sardinen? fischerei zwischen den Vertretern der Fischer und den Fisch⸗ konservenfabrikanten haben Horläufig zu keinem Er⸗ gebnis geführt, obgleich die Fabrikanten auf dringendes Ansuchen des Handelsministers sich veipflichteten, den Fischern bessere Preise als bieher zu zahlen. Die Einigung scheiterte an der Frage der Fischernetze, da die Ver⸗ treter der Fischersyndikate verlangten, daß nur die gegenwärtig benutzten Netze verwendet werden dürften. Die Verhandlungen wurden ahgebrochen und sollen erst am 13. März wieder aufgenommen werden. Der Hande lsminister hofft, daß es bis dahin gelingen werde, einen beide Teile befriedigenden Vorschlag ausfindig zu machen. (Vgl. Nr. 47 d. Bl.)

Wohl fahrtspflege.

Die Herabsetzung des Alters auf 65 Jahre bei Ge— währung der Altersrente würde die Zahl der Altersrentner bei der Versicherungsanstalt Berlin allein um rund 4006 erhöhen. Wie jüngst auf Ersuchen des Reichsversicherungsamts vorgenommene Probeauszählungen ergeben haben, waren in den Jahrgängen 1843 bis 1847, die für die Anwärter von 65 bis Fg Jahren in Betracht kommen, 3389 Männer und 441 Frauen vorhanden, die, die erforderliche Wartezeit für Gewährung der Altersrente erfüllt haben. Im ganzen waren in diesen Jahrgängen 5697 Männer und 3161 Frauen versichert; während von den ersteren rund 60 0, im ständigen Arbeitsverhältnis standen, was aus der Ablieferung der Quittungskarten hervorgeht, sinkt der Prozentsatz bei den Frauen auf rund 14 0j. Am . Januar 1912 wies die Versicherungsanstalt Berlin rund 2300 Altergrentner auf; durch die Herabfetzung des Alters der Anwärter auf 65 Jahre würde ihre Zahk auf Über 6005 steigen. Das Vermögen der Landesverficherungeanstalt Berlin hat im Monat Februar 1913 den Betrag von 100 Millionen Mark überschritten.

Die neue belgische Sezialversicherung.

In dem ausgesprochensten europäischen Industrielande beruhte die Versicherung gegen Alter und Krankheit bisher lediglich auf freiem Willen. Ein Arbeiter, der sich versichern will, kann dies in Belgien bei den großen Privatgesellschaften. Zwar hat der Staat eine allgemeine Pensionékasse für alte Arbeiter eingerichtet, die von ihm auch erhebliche Zuwendungen erhält, aber der Bestritt ist auch hier ein freiwilliger. Keinerlei Zwang darf ausgeübt werden. Diese staatlich unterstützte Pensionskasse wurde lange Zeit von den Arbeitern selbst mit großem Mißtrauen angesehen. Sie war nicht volkstümlich; man traute der stagtlich beeinflußten Kasse und ihren Leistungen nicht recht. Der Zuspruch war gering. Das hat sich jedoch im Laufe der Jahre geändert. Die Regierung hat den genossenschaftlichen Gedanken für die Kasse durch Vermittlung zahlreicher Vereine nutzbar gemacht und jetzt hat sie etwa 700 0900 Mitglieder, und ihre Leistungssähigkeit ist erhoht. Ein Zwang besteht in Belgien nur für die Un fall versicherung, aber auch nicht für sämtliche in Industrie und Ge— werbe beschäfligten Arbeiter. Nur bestimmte Betriebszweige sind zwangsweise versichert; hier lehnen sich die Bestimmungen an die deutsche Unfallversicherung an.

Auch über die Höhe der Versicherung herrscht in Belglen die aus— gedehnteste Freiheit. Es ist jedem selbst überlaffen, nicht nur ob er, sondern auch wie hoch er sich bei der Pensionskasse versichern will. Er kann seine Beiträge und damlt die Rente selbst festsetzen. Auch wann sie gezahlt werden soll, kann er bestimmen. Der Versicherte kann seine Beiträge regelmäßig oder unregelmäßig leisten, kann bestimmen, ob etwaige Hinterlassene auch noch ein Anrecht auf seine Rente haben sollen oder nicht. Alles dies und noch einiges andere kann er bestimmen, und er beeinflußt damit lediglich die Hoͤhe seiner Rente. Es ist der weiteste Spielraum für jede Art Selbstbilfe auf diesem Gebiet gelassen, und peinlich hat man sich von jeder bureau— kratischen Bepormundung ferngehalten. Zum Schaden des Arbeiters, darf man wohl sagen. Das Gefühl der Selbstverantwort“ lichkeit ist nickt stark genug, um überall da, wo eine Fürsorge für Alter und Krankheit notwendig ist, sie auch eintreten zu lassen. In dleser Beziehung ist der deutsche Arbeiter besser daran. Unfere einst viel umstrittene Zwangsversicherung erspart ihm den seelischen Konflikt, ob er von seinem oft geringen Einkommen auch noch die Fürsorge für Alter und Krankheit bestreiten oder ob er nur an den nächsten Tag denken soll.

Auch in Belgien will man jetzt mit dem bisherigen System brechen. Die Regierung hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet und kürzlich veröffentlicht, der, wie bei Betriebsunfällen, so auch für Alter und Krankheit die Zwangsversicherung einfübrt.

Wie in anderen Ländern, so ist auch hier Deutschland Vorbild gewefen

Nach dem Entwurf sind, wie die „Sozialkorrespondenz', das Organ

des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, berichtet, alle Personen versicherungspflichtig, die in Industrie, Gewerbe, Handel oder Landwirtschast gegen Lohn, Gehalt oder sonstige Bezahlung beschäftigt sind. Es ist ganz gleich, ob weiblichen oder männlichen Geschtechte; die Grenze bildet lediglich ein Einkommen von 2400 Franken jährlich. Auch die vom Staate beschäftigten Arbeiter sind nach dem Entwurf versicherungspflichtig. Heimarbeiter und einige Gruppen anderer Arzeiter und Arbelterinnen sind es jedoch nicht; für sie bleibt die frei= willige Versicherung. Der Entwurf schafft für die Kranken und In. validenversicherung zwel Versicherungsträger: die in dieser Tätigkeit von der Regierung bereits anerkannten Genossenschaften und sogenannte Be⸗ zirksversicherungstäte. Dem Versicherungepflichtigen ist es freigestellt, welcher der beiden Kassen er beitreten will. Den Genossenschaften werden bestimmte Mindestleistungen vorgeschrieben, sie behalten ihre Selbstoerwaltung und bestimmen selbst die Höhe der Beiträge. Fär die nicht bei den Genossenschaften Versicherten ist ein jährlicher Bei— trag von 12 Fr. für die Krankenversicherung und von 6 Fr. für die Invaliden versicherung festgesetzt. Die Ganzinvalidenrente soll 365 Fr. betragen. Bedürftigen kann bei der Krankenversicherung die Häffte der Beiträge erlafssen werden; jedoch wird in solchem Falle auch die Entschädigung entsprechend herabgesetzt. ;

Die Invalidenversicherung hört mit dem 65. Lebensjahre des Rentenempfängers auf, und es tritt die Altersversicherung in Kraft. Diese wird der bereits bestehenden öffentlichen Pensionskasse über— lassen. Eine Aenderung tritt nur in der Weise ein, daß der Beiteitt Zwangssache wird und von dem Versicherten eine Beitragsleiftung von 6 Franken jährlich verlangt wird. Nach den vorliegenden Be— rechnungen würde ein Arheiter, der seit dem 14. Lebensjahre seine Bei- träge zahlte, mit dem 65. Lebensjahre eine Rente von 365 Franken beztehen. Für die Uebergangszeit hat der Staat für die älteren Arbeiter, die sonst den Bezug der Rente von 365 Franken Überhaupt nicht erleben würden, Beihilfen in Aussicht gestellt. Die Arbeitgeber sollen für jeden Arbeiter jährlich 6 Franken zahlen, von denen bis zum Jahre 1938 je 4 Franken für die Altersversicherung und 2 Franken für die Kranken⸗ versicherung in Rechnung gestellt werden. Von dem genannten Jahre ab sollen diese Unternehmerkesträge auf die drei Versicherungszweige gleich— mäßig verteilt werden. Weitere Lasten hat der Unternehmer nicht zu tragen; er hat lediglich noch dafür zu sorgen, daß seine Arbetter auch wirklich versichert sind. Man rechnet, daß etwa 1 850 009 Versicherungs⸗ pflichtige vorhanden sind, was eine Beitragsleistung von jährfich 10 800 000 Franken für die Unternehmer ergeben würde. Der Staat will seine für die freiwillige Versicherung schon bisher aufgewer deten Beträge weiter zahlen. Man rechnet für ihn eine Leistung von 145 Millionen Franken jährlich, da die Zahl der Versicherten sich gegen früher ganz erheblich erhöhen wird.

Der Gedanke der staatlichen Arbeiterfürsorge ist im letzten Jahrzehnt in allen Kulturländern zu starkem Einfluß gelangt. Er ist, wenn auch oft wohl läckenhaft, durchgeführt in Anlehnung an das deutsche Vorbild in Desterreich, Frankreich, Italien und England; selbst in Rußland drängt man nach ausgedehnter staatlicher Fürsorge, ebenso in den Vereinigten Staaten von Amerika. Auch Belgien bilbet nun ein Glied dieser Kette. Man kann dieses sieg— hafte Vordringen der staatlichen Arbeiterfürsorge nicht nur vom spzial-humanistischen Standyunkt aus begrüßen, sondern es auch in Hinsicht auf unsere Wettbewerbs fähigkeit willkommen heißen, das letztere jedoch nur mit Einschränkung. Denn ist es richtig, daß die soziale Belastung unserer Industrie einen Ausgleich findet durch die von der staatlichen Fürsorge gesteigerte Leistungsfähigkeit ihrer Arbeiter, so tritt diese Folgeerscheinung natürlich auch im Auslande ein. Auf thren fremden Märkten trifft unsere Industrie also schließlich Mit— bewerber, die zwar ähnliche soziale Lasten wie sie selbst tragen, aber gleichfalls durch soziale Fürsorge eine leistungsfähigere Arbeiterschaft herangezogen haben.

sunst und Wissenschaft.

Die erforderliche Mannschaft für die Hi fsexpedition zu

Rettung der Deutschen Spi angeworben. Wie W. T. B.“ meldet, Leiter Stoxrud und Dr. Böchmann die beiden bekannten Eisfahrer Sören Zacharigssen und Nöis mit zwei geübten Hundefahrern und drei Lappen. Das Fangschiff Hertha“ geht morgen von Sandesjord ab und erreicht Tromsö am 10. März. Die Zeitungen, Tidens Tegn und „Aften⸗ vosten, veröffentlichen ein drahtloses Telegramm aus Spitzbergen vom 27. . M., wonach aus der Croßbay telegraphiert wurde, daß der Leite des dortigen deutschen Observatoriums Dr. Wegener es mit 9ilfs⸗ mannschaft versuche, von der Kingsbay aus, die Wijdebucht und das Expeditionsschiff in der Treurer burgbucht zu erreichen. Er und seine Begleiter brachen am 25. Februar auf und legten auf dem Marsche Provtantdepots an. Die Eroßbav ist in den letzten Tagen mit Eis bedeckt. Von der Mündung des Isfjords bildete sich mehrere Kilometer einwärts ebenfalls neues Eis.

Die Galerie Eduard Schulte bringt in ihrer März⸗Aus⸗ stellung elne Sammlung von 50 ausgewählten Werken jüngerer holländischer Künstler. Ferner Kollektionen von Prof. Walter Geffcken⸗München, Carl Felber Dachau, George Sarcourt⸗Bushey, Benedieta Caesar-Berlin, Carl Heßmert⸗Berlin, Franz Lippisch⸗ Charlottenburg, Rud. Marcuse⸗Charlottenburg, Rud. Mülli⸗München, Ottilie Roederstein⸗Hofheim, Herm. Torggler⸗Wien, Franz Triebsch⸗ Berlin u. a.

Theater und Musik. Königliches Schauspielhaus.

Richard Strauß“ und Hugo von Hofmannsthals Ariadne auf Naxos“, deren Uraufführung am 25. Oktober vorigen Jahres in Stuttgart stattgefunden hatte, ging am gestrigen Donnerstag im hiesigen Königlichen Schauspielhause zum ersten Male in Szene, iachdem in den Mittagestunden des Tages zuvor die Generalprobe „or geladener Zuhörerschaft stattgefunden hatte. Von dem Werk war gelegentlich der Aufführungen in Stuttgart und in Diesden in den Zeitungen sowie in Vorträgen soviel die Rede, daß man seinen Inhalt sast als bekannt voraussetzen darf; dennoch sei an dieser Stesse noch einmal in Kürze darauf hingewiesen. Hugo von Hofmanngsthal und Richard Strauß wählten als Rahmen für ihre künstlerischen Zwecke ein Lustspiel von Moliere, da für diese klassischen französischen Lustspiele von jeher eine musikalische Einführung und Einlagen, wie Lieder und Tänze gedacht waren. Der Bürger als Edelmann“ schien sich beson ders fuͤr die R. Straußschen Absichten zu eignen, da der Titelheld nicht nur die äußeren Manieren der Adelsgesellschaft nachzuahmen sucht, sondern sich auch als Kunstmäcen auffpielen will. H. von Hofmanns— thal arbeitete das Lustspiel zweckentsprechend um: manche Szenen B. B. die ganze Liebesgeschichte von Cleante und Lucile) fielen sort und andere wurden eingefügt; Jourdain, als Beschützer der Künste, läßt jetzt bei einem Festmabl feinen vornehmen Gästen eine neue lyrische Sper Ariadne auf Naxos“ und eine Opera butffa „»Zerbinetta und ihre vier Liebhaber“ vorführen. Daß der kunst⸗ unverständige Jourdain beide Opern zu gleicher Zeit spielen läßt, bringt neue Verwicklungen in das Lustspiel und stellt dem Komponisten neue, eigenartige Aufgaben. Zu Molisres Lustspielen schrieb seinerzeit Lully, der Gründer und Leiter der Großen Oper in Paris, die Mustk. Diese alte Musik ist jetzt etwas verblaßt. Statt ihrer hat Richard Strauß nicht nur eine neue müstkalische Illusiration zu dem klassischen Lustspiel geschaffen, sondern noch eine ernste, wHwrische und eine burleske Oper hineinkomponiert. Das gab ihm Gelegenheit, sein vielseitiges kompositorisches Können gleich an drei ver— schiedenen Stilarten zu erproben, der melodramatischen, die die Lust⸗ spielcharaktere scherzhaft charakterisierend einfübrt und allerlei Vor- gänge auf der Bühne untermalt und begleitet, der pathbetischen der ernsten Oper, die den altgriechischen Sagenstoff umkleidet, und der burlesken Musik der eingeschobenen Opera buffu: „Zeibinetta und ihre vier Liebhaber“, die parodierend neben der ernsten Oper einber-

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