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en Stůdten uninste beeinfteßt. (icht richtia. teäth,
und das ist für mich der Hauptgrund gewesen, weshalb ich mich auch
heute noch nicht entschließen kann, eine derartige Maßnahme zu unter⸗ stützen. Unter diesen Verhältnissen ist es außerordentlich verständlich und begreiflich, wenn man sagt: ja, wenn diese Einrichtungen unzu⸗ reichend sind, warum bringt das Reich nicht elne allgemeine obli⸗ gatorische Versicherung aller Arbeiter und Angestellien?
Ich will auf die Frage nicht eingehen, ob die Ausschaltung der Selbsthilfe, einen Einwand, den der Herr Vorredner so leiden schaftlich bekämpft hat, oder die Ausschaltung der Selbstverantwortlich- keit eine Erwägung wäre, über die man nicht in irgendwelcher Form hinwegkommen könnte. Zweifellos ist es ein Unterschied, ob jemand aus freier Entschließung heraus fär sich und seine Zukunft sorgt oder ob er vom Staate dazu gezwungen wird und andere mit ihm die Lasten tragen. Jedenfalls ist es eine Schwierigkeit, die wir mit den ung bisher zur Verfügung stehenden Mitteln der Statistik und anderen Hilfsmitteln nicht überwinden können.
Vorher möchte ich aber noch einen anderen Punkt erwähnen. Es ist eine Schwierigkeit, deren man sehr schwer Herr werden wird, nämlich festzustellen, wann der Versicherungsfall gegeben ist (sehr richtig! rechts), weil es sich schließlich tatsächlich um ein Ereignis handelt, das nicht ganz ohne den Willen des betreffenden Versicherungepflichtigen eintreten kann, wenn auch nicht einzutreten braucht, und ich bin der Ansicht, daß aus diesem Grunde die Tendenz zur Simulation, d. h. die Tendenz, eine gewollte zu einer ungewollten Arbeitslosigkelt zu stempeln, sehr stark sein wird, und daß sich hier Schwierigkeiten ergeben, die die Kassen, wenn wir zu einer solchen Institution über⸗ haupt kommen sollten, außerordentlich schwer belasten. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Krankenversicherung) Meine Herren, Kranken—⸗ veisicherung ist etwas ganz anderes. Die Tatsache, daß ein Mensch krank wird, kann unbestristen und zwelfellos ganz objektiv festgestellt werden. Die Tatsache feststellen aber, ob jemand ohne sein Ver⸗ schulden arbeitslos ist oder nicht, ist überaus schwierig. (Zuruf links: Simulation) Die Bezeichnung Simulation war vielleicht nicht glücklich. Ich meine die Vorspiegelung einer ungewollten Arbeitslofigkeit in Fällen, wo tatsächlich eine gewollte Arbelteslosigkeit vorliegt, d. h. in Fällen, in denen jemand, wenn er sich darum
bemüht hätte, Arbeit gefunden hätte, oder die Arbelt, die man
ihm angeboten, nicht übernommen hat; denn von 100 Arbeiten, die man elnem Arbellslesen anbietet, wird er 99 zurückweisen, weil sie ihm aus irgend einem Grunde nicht passen. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ich habe meine Erfahrungen, und ich mache den Arbeitern zum Teil daraus gar keinen Vorwurf. Es ist klar, daß ein Tapezierer nicht in der Lage ist, Erdarbeiten zu machen, daß ein Mann, der Innenarbelter ist, nicht bei 7 Kalte die Schlebekarre in die Hände nehmen will und kann.
Eine weitere Schwierigkeit liegt aber in der Frage der Lasten⸗ verteilung und zwar mit Rüdsicht darauf, daß das Maß der Arbeite losigkelt in den verschiedenen Erwerbsgruppen und den verschiedenen Landesteilen ein ganz verschiedenes ist, daß häufig nur bestimmte Er— werbsgruppen von der Arbeitslosigkeit ergriffen sind, andere aber frei davon sind, wie z. B. die Landwirtschaft, die immer Arbeitermangel hat, und die man darum beim besten Willen nicht zu einer derartigen Versicherung heranziehen kann, während man umgekehrt die Landwirtschaft nicht ausschließen kann, wenn man nicht die Landflucht nach über das bi'herige Maß hinaus wieder vermehren will.
Und dann, meine Herren, noch ein Moment, auf das ich hin— weisen möchte. Wir sind bis jetzt speziell in Deutschland — und jedenfalls in Deutschland viel mehr als in anderen Ländern — ge— wöhnt, daß die industciellen Betriebe auch in den Zeiten des Nieder— gangs soweit wie irgend möglich ihre Leute, namentlich die gelernten Arbeiter, halten, daß sie die Betriebe nicht schließen, sondern nur elne Verkürzung der Arbeltszeit eintreten lassen, daß sie Feierschichten ein treten lassen. Das sind Zustände, die ich aus ethischen, wirtschaft—⸗ lichen und sozialpolitischen Gründen für überaus nützlich und not— wendig halte. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Die Ge— fahr ist nun sehr groß. daß ein Unternehmer, der zu einer solchen Ver⸗ sicherung erhebliche Beiträge zu zahlen hat, in dem Augenblick, wo der Betrieb unrentabel wird, den Betrieb schließt und sagt: nun geht hin und laßt euch eure Arbeitslosenunterstützung auszablen!
Zu allen solchen Eventualitäten, die ich hier nicht vertiefen will, kommt eine dritte Schwierigkeit, nämlich daß man ein solchez Unter— nehmen zurzeit nicht finanzieren kann. Wir sind absolut außer⸗ stande, zu übersehen, zu welchen Konsegquenzen eine allgemeine obliga⸗ torische Arbeitslosenversicherung führen wärde. Jedenfalls sind wir dazu so lange außerstande, als wir nicht über eine bessere Statistik verfügen. Ich bin im Eingange meiner Ausführungen des—⸗ wegen so in das Detail der Statistiken hineingegangen, um an der Hand dleser unvollkommenen Statistik nachzuweisen, daß man auf solchen Grundlagen nicht Entschlüsse fassen kann, wie sie die Herren von der Linken heute von uns verlangen, und daß, ehe wir an die Lösung dieser Aufgabe überhaupt herantreten, elne Statistik geschaffen werden muß, die uns annähernd die Unterlage gibt für die Be⸗ urteilung der Konsequenzen eines solchen Entcchlusses.
Dazu tritt nun aber, was den gegenwärtigen Augenblick betrifft, noch ein weiteres Moment. Ich halte es für ausgeschlossen, daß wir an eine allgemeine Arbeitslosenversicherung herantreten, bevor überhaupt die Reichsversicherungsordnung mit ihren erheblichen neuen Lasten wirksam geworden ist. (Sehr richtig! rechis) Ich halte es für ausgeschlossen, daß wir so hohe Lasten, deren Umfang wir gar nicht übersehen können, dem Lande auferlegen, solange Landwirtschaft, Handel, Handwerk und Industrie die Lasten, die ihnen die Ver⸗ sicherungsordnung auferlegt — ich möchte sagen —, noch nicht verdaut haben. Wir müssen erst wissen, wie diese neueste Last der sozialen Gesetzgebung auf das Volk und auf unsere wirtschaftlichen Verhält⸗ nisse wirkt, che wir überhaupt daran denken können, mit neuen Lasten an das Land heranzutreten. Dazu kommt, daß wir vor einem Jahre die Angestelltendersicherung in Kraft gesetzt haben, eine Veisicherung, die nicht nur den Unternehmer, sondern auch den Angestellten selbst erheblich belastet, und deren Wirkungen wir doch abwarten müssen, ehe wir nun auch noch elne Arbeitalosenversicherung für Angestellte, die ja zweifellos erhebliche Beiträge verlangen würde, einführen können.
Dann kommt ein letztes. Ich halte eine derartige, weit aut⸗ sehende und großzügige Arbeitslosenfürsorge auch so lange für aus— geschlossen, als wir nicht ein entwickeltes, organisch miteinander ver⸗ bundenes Netz von Arbeitsnachweisen haben (sehr richtig! bei
den Nationalliberalen. — Zurufe von den Sozialdemokraten: Sie lehnen ja die Grundlagen dafür ab, die in der Weise zentralisiert sind, daß sie den Arbeitsmarkt übersehen können, daß sie willkürliche Be⸗ einflussungen des Arbeitsmarktes verhindern können, und daß sie Angebot und Nachfrage, namentlich in Zeiten der Krisen, angemessen ausgleichen können.
Nun ist mir zugerufen worden, ich hätte die Grundlagen für eine derartige Einrichtung bisher abgelehnt. Meine Herren, das ist nicht richtig. Ich glaube heute noch, daß in dem Stellenvermittlergesetz die Grundlagen für eine allmähliche Herausarbeitung einer Zentral- instanz für unsere Arbeitsnachweise gegeben sind. In England hat man allerdings, um die Arbeitslosenversicherung durch⸗ führen zu können, sofort einen allgemeinen bureaukratisch organisierten Arbeite nachweis von Staats wegen organisiert. Aber England stand hier sehr vlel einfacheren Verhältnissen gegenüber als wir. Denn ich glaube, kein Land der Welt verfügt über eine so große Zahl zum Teil vorzüglich arbeitender Arbeits nachweise wie Deutsch⸗ land; die Schwierigkeit liegt nur darin, daß diese Arbeitsnachweise teils in den Händen der Arbeitgeber, teils in den Händen der Arbeitnehmer, teils in den Händen von Kommunen und von gemeinnützigen Verelnen liegen. Aber ich halte die Ent⸗ wicklung für zu welt vorgeschritten, als daß man in der Lage wäre, dlese an sich gesunden, lebenskräftigen Gebilde zu zertrümmern, um ste durch eine bureaukratische Organlsation zu ersetzen, die — nebenbei gesagt — wahrscheinlich sehr viel Geld kosten werde. Ich halte es für richtiger, daß man den Versuch macht — und die Ansätze und der gute Wille dazu sind überall vorhanden —, es zu einem gemeinschaftlichen Zusammenarbeiten und zu einer zentralen Spitze zu bringen. Ich bin der Meinung, daß die Handhaben, die uns das Stellenvermittlergesetz gibt, vorerst jedenfalls ausreichen werden, um diese Organisation durchzuführen. Was späterhin not⸗ wendig ist, darüber brauchen wir uns heute nicht den Kopf zu zer brechen.
Um meinen guten Willen auf diesem Gebiete etwas zu betätigen, habe ich auch die Etatsvosition für die Unter⸗ stützung der Arbeitsnachweise um 20000 S erhöht mit der ausgesprochenen Absicht, sie in einer anderen Weise als früher zu verwenden, nämlich für besondere von den Verbänden nachzuweisende Verwendungezwecke zu verbrauchen. Ich nehme an, daß die Bundes- staaten in diesem Punkte dem Belspiel des Reichs folgen werden.
Ich möchte im Anschluß daran noch bemerken, daß ich auch, und zwar bereits bevor die Interpellation hier eingegangen war, Vorsorge getroffen habe, daß die Arbeitsmarktstatistik verbessert wird. Die Verhandlungen in dieser Hinsicht schweben. Ich babe also auch auf diesem Gebiete daz getan, was nach meiner Ansicht notwendig war, um die Mängel, die ich ausdrücklich anerkenne, aus der Welt zu schaffen.
Ich möchte aber meine heutigen Ausführungen nicht schließen, ohne Sle noch zu bitten, mit mir einen kurzen Blick auf das Ausland zu werfen. Wenn man den Ausführungen des Herrn Vor⸗ redners nicht mit einer gewissen Sachkunde gefolgt wäre, hätten sie den Eindruck erwecken können, als wenn uns das Ausland auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung erheblich über wäre. Meine Herren, auch im Auslande ist man über das Stadium der Versuche noch nicht heraus. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) — Ja, Deutschland in der Welt voran. Wir sind auf sozial⸗ politischem Gebiete bisher immer voran gewesen. (Hört! hört!) Ich gebe zu, daß England zahlenmäßig in allerneuster Zeit uns hin—⸗ sichlich eines Teils der Versicherungsgesetzgebung etwas voraus ist. Trotzdem aber können wir uns mit unseren Leistungen auf diesem Gebiet immer noch sehen lassen. (Sehr richtig) Und England hat, was ich ausdrücklich bemerken möchte, keine Angestelltenversiche⸗ rung elngeführt.
Ich komme also auf das Ausland zurück. Es gibt nur wenige Länder, die eine Arbeitslosenversicherung auf der Grundlage einer gesetz lichen Regelung eingeführt haben. Das sind nur Großbritannien, Norwegen und Dänemark Von diesen Ländern hat nur Großbritannien den Versuch einer Zwangtversicherung gemacht, aber diese Zwangs⸗ persicherung in Großbritannien umfaßt nur gewiße Gewerbe, nämlich alle Lohnarbeiler über 16 Jahre im Baugewerbe, Maschinenbau, Schiffs! und Wagenbau, in der Gisengießerei und Säge— müllerei. Alle übrigen Berufe sind verwiesen auf die Ver⸗ sicherung der Berufsvereine, die allerdings, soweit ich übersehen kann, ebenso wle die obligatorische Versicherung, eine staat⸗ liche Unterstützung bekommen. Der Zwangeversicherung in England unterliegen aber von 14 Millionen Arbeitern nur 25 Millionen und von diesen 2.5 Milllonen sind 63 oo gelernte Arbeiter. Aus alledem ergibt sich, daß England mit anerkennens⸗ wertem Mute hier einen großen Versuch gemacht hat, der aber noch lange nicht die Lösung der Dinge bedeutet, der noch lange nicht eine Einrichtung schafft, von der man annehmen kann, daß sie einer großen Krisis standhält. Wir wollen einmal abwarten, wie die Ergebnisse dieser Einrichtung sich in einigen Jahren gestaltet haben.
Das zweite Land, das seine Arbeitslosenversicherung gesetzlich eguliert hat, ist Norwegen. Hier ist die Sache wiederum auf den Berufsvereinen aufgebaut, und zwar sind bei O4 Millionen Lohnarbeitern beteiligt 27 000 Mann an der Versicherung in 17 Arbelter⸗ und 2 Angestelltenkassen.
Am einfachsten haben sich die Verhältnisse in Dänemark ent⸗ wickelt. Aber auch hier ist die Versicherung auf den Berufsverelnen aufgebaut, und zwar sind hier von 3 Million Lohnarbeltern durch die Berufsvereine 111787 Mitglteder versichert. Das ist alles auch wieder eine verhältnismäßig gerlnge Summe, mit der Gesamtzahl vergllchen.
Auf den schweizer Kanton Neuenburg will ich nicht weiter eingehen. Hier handelt es sich um den Entwurf zu einer kleinen Organisatlon für die Uhrmacher und Arbeiter der Kleinmechanik.
Nun kommt die viel interessantere Kategorle der Auslands staaten, die eine freiwillige Arbeitslosenversicherung von Arbeiterverelnen mit öffentlicher Subvention, aber ohne gesetzliche Regelung eingeführt haben. Hier handelt es sich um Luxemburg, Frankreich, die Niederlande, Belgien und um einige Kantone der Schwelz. Dies sind nun sehr bescheidene Versuche. In Luxemburg sind an dieser Versicherung beteiligt 300 Mitglieder von 8 Vereinen. In Frankreich sind die Zahlen außerorbentlich gering, auch in den Niederlanden sind sie nicht sehr viel höher, und hlerzu tritt nun noch die Schweiz, die öffentliche freiwillige Arbeitslosenversicherungs—
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kassen eingericttet ge . 3 Kantonen. ler handelt es sich ö. 1214 und 636 Mitglieder. Also wenn man sich dieses Bild betrachtet, so kommt man jwelfelles
zu dem Ergebnis, daß auch das Ausland aus dem Studieren und aus dem Probieren noch nicht heraus ist, sondern daß das Ausland auch nur Versuche gemacht hat, schüchterne Versuche, die nicht annähernd den Anforderungen entsprechen, die man an eine wirksame und durch⸗
sfende Arbeitslosenversicherung stellen muß. ö 96 un diesem Bilde, das ich von den Verhältnissen des Auslands
n habe, stimmen überein die Verhandlungen der Inter ,, keit, die auf ihrem letzten Kongreß zwar als das erstrebenswerte Ideal die allgemelne Zwangsversicherung durch das Reich, durch den Staat hin. gestellt hat, aber ausdrücklich erklärt hat, in Angriff genommen könne eine solche Versicherung erst werden, wenn eine brauchbare Arbeits⸗ losenstatistik und eine elnwandsfreie Organisation der Aꝛbeitgnach· weise vorhanden sei. Also diese Herren, die in Gent, losgelbst von besonderen wirtschaftlichen und volstischen Beziehungen, diese Frage geprüft haben, find ungefähr zu dem M ben Ergebnis gekommen wie ich; daß die Verhältnisse in Deutschland zursckt jedenfalls für eine Arbeitslosenversicherung nicht reif sein würden. . w
Meine Herren, ich möchte hiermit schließen und möchte vad a. gebnis meiner Ausführungen, die zu meinem Bedauern länger ge dau ent haben, als ich in Ihrem Interesse gehofft habe, nochmals kurz Ru sammenfassen. Erstens: eine alle Angestellten und Arbeiter umfassende relchsgesetzliche Arbeitslosenversicherung ist jedenfalls zurzeit nicht spruchreif und nicht durchführbar. Zweitens: selbst wenn sich die bestehenden grundsatzlichen und praktischen Bedenken gegen ihre Durchführbarkelt überwinden lassen sollten, ist an sie nicht za denken, solange nicht Handel und Industrie, Handwerk und Land⸗ wirtschaft die durch die Versicherungsordnung ihnen auferlegten neuen Lasten verarbeitet haben und sich die Wirkungen dieser Lasten über- sehen lassen. Drittens: Was zunächst geschehen muß, ist eine Ber= vollkommnung unserer Arbeitsmarktstatistik und ein sachgemäßer Auß= bau unserer Arbeitsnachwelse. In dieser Beziehung, meine Herren, sind die erforderlichen Anordnungen von mir bereits getroffen, und ich werde dafür sorgen, daß alles geschieht, was nach meiner Ansicht notwendig ist oder der Sache förderlich sein kann. (Belfall rechts. — Zuruf von den Sozialdemokraten: Ist das alles?)
findet die Besprechung der Interpellation statt. .
Abg. Giesberts Gentr): So dankenswert die letzten Zu⸗ e des Staatssekretärs waren, so wenig haben wohl seine ganzen lusführungen den Erwartungen entsprochen. Die Frage der Be= kämpfung der Arbeitslosigkeit und der Verschaffung von Arbeitsstätten ist zweifellos eine so wichtige, daß ihr kein moderner Stägt dauernd aus dem Wege gehen kann. Diese Frage muß genau so gelöst werden wie die, Fürsorge zu schaffen für die Kranken und Invaliden. 8 Schwierigkeiten sind hier verhältnismäßig größer als bei der Kranken⸗, Unfall- und Invalidenfürforge. Darin gebe ich dem Staatssekretät recht. Aber diese Schwierigkeiten dürfen nicht dazu führen, sich da⸗ hinter zu verschanzen und nichts zu tun. Die Schwierigkeiten müssen eben überwunden werden. Eins darf ich wohl feststellen, daß wohl die meisten die Arbeitslosenfrage nicht mehr als eine solche der Vagabon⸗ den und Faulenzer betrachten. Man hat dem Zentrum vorgeworfen, daß es sich früher einmal gegen eine Arbeitslosenfürsorge ausgesprochen hat. Damals handelte es sich aber nur um die Frage der Fürsorge für die Wanderarbeiter. Die Arbeitslosenfrage ist in den letzten 10 Jahren außerordentlich fortschrittlich behandelt worden. Sie hat die stete Aufmerksamkeit aller derer erfordert, die im ganzen Wirtschaftsleben eine Rolle spielen. Ganz besonders die christlichen Gewerkschaften haben sich mit dieser Frage beschäftigt. Ich erinnere auch an den Verein zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Also die Frage ist im Fluß und wird nicht mehr zum Stillstand kommen. Man muß aber auch die Art der Arbeitslosigkeit im Auge behalten. Es gibt eine Reihe von Menschen, die nicht Lohnarbeiter sind. Es gibt auch eine Arbeitslosigkeit durch Stellenwechsel. Ebenso müßte man der. Arbeits⸗ losigkeit im Saisongewerbe zuleibe gehen. Hier ließen sich vielleicht ge⸗ setzliche Bestimmungen einführen, die es ermöglichen, daß die Saison⸗ arbeiter nach Beendigung der einen Arbeit leicht zu anderen Erwerbs⸗ zweigen übergehen können. Erinnern möchte ich noch an die große Arbeitslosigkeit, die infolge der schlechten Lage des Baumarktes her⸗ vorgerufen worden ist. Hier macht sich allerdings schon eine Besserung bemerkbar. In einer ganzen Reihe von Städten, wo vor drei his vier Jahren noch 10 25 der Wohnungen leer standen, ist dieser Satz auf bis 1595 25 zurückgegangen. Beachtenswert ist auch, sich die Frage vorzulegen, wieviel Charakterwert des Menschen durch die Arbeits- losigkeit verloren geht. Wir tun alles, um den Bildungsgrad. des Arbeiters zu heben. Da muß dann auch gesucht werden, daß er seinen Bildungsgrade nach immer Beschäftigung findet. Wie sehr der Wunsch nach Arbeit in den Arbeitern vorhanden ist, das kann man z. B. in Göln sehen. Dort werden die Herren die seit Jahren die Arbeits⸗ losenpflege leiten, sehr gern über die Qualität der Arbeitslosen Aus⸗ kunft geben. Da wird gern die Auskunft gegeben werden, daß die Leute alles tun, um Arbeit zu erlangen, daß sie sogar unter Umständen sich weit verschicken lassen und auf den Unterstützungswohnsitz ver⸗ zichten. Um der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, gibt es zwei Wege. Der vornehmste ist die Arbeitsvermittlung, und wenn diese nicht mög⸗ lich ist, die Arbeitslosenversicherung. Wir werden nicht darum herum kommen, von Staats wegen einzugreifen, um auf unsere Produktions- verhältnisse regelnd hinzüwirken. Sie dürfen sich nicht anarchistisch entwickeln. Das zeigen ja die Maßnahmen der Syndikate und Kar⸗ telle, die darauf hinauslaufen, eine gewisse Regelung hierin vorzuneh⸗ men. Auch der Regelung des Arbeitsmarktes muß Aufmerksamkeit zugewandt werden. Wir stehen im Zeichen einer weichenden Kon⸗ unktur. Wir müssen uns da fragen, oh unsere Vertretung im Aus⸗ lande und in der Diplomatie so geeignet und so gestaltet ist, daß sie das Augenmerk darauf richtet, daß unsere. Exportindustrie nicht so schwer leidet, indem man ihr die Möglichkeit gibt, bei herannahenden Krisen die ausstehenden Forderungen einzutreiben und neue Absatz⸗ gebiete aufzusuchen. Das sind einige Vorschläge, die auch schon pon anderen gemacht worden sind. Ganz besonders möchte ich die Vor⸗ schläge der internationglen Vereinigung zur Bekämpfung der Arbeits⸗ sosigkeit empfehlen. Mit der Bewilligung außerordentlicher Mittel für Notstandsarbeiten ist es nicht getan. Die Projekte müssen. meist erst ausgearbeitet werden wodurch viel Zeit verloren geht. Hier ist eine weit ausschauende Tätigkeit am Platze. Die wichtigste Frage bleibt aber immer die der Arbeitsvermittlung. Sie darf man nicht ohne weiteres in die Hände von Gemeinden oder Gemeindevertretungen legen. Diese haben nicht das nötige Verständnis dafür. Sie haben nur die Mittel zu bewilligen, sie zu finanzieren. Die Arbeitsnach⸗ weise müssen miteinander in Verbindung stehen. Es ist deshalb nötig, hierfür eine Zentralstelle zu schaffen, Der charitativen Mitwirkung wird man bei der Linderung der Arbeitsnot und bei der Unter—
Das menschliche
diesen d nicht mit allen d die dadurch werden.
(Fortsetzung in der Zweilen Beilage.)
C M- R
Auf Antrag des Abgeordneten Moltkenbuhr Soz.)
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich
(Fortsetzung aus der Ersten Beilage,)
Der sozialdemokratische Vorschlag, den Gewerkschaften die Ver— waltung der Mittel der Arbeitslosenversicherung zu über— eben, erscheint mir nicht nur bedenklich, sondern auch undurch— rar. Die Gewerkschaften müßten dann ja doch eine Sicherstellung des Vermögens leisten, eine Kontrolle zulassen. Es könnte die ganze Selbständigkeit der Organisation leiden, wenn sie solche öffentlich— rechtlichen Dinge auszuführen hätte. Die Sache ist außerordentlich schwierig, und ich mochte nicht ohne weiteres Ja sagen. Dagegen könnten sehr wohl bestimmte Richtlinien aufgestellt werden, nach denen im Lande die Versuche der Arbeitslosenversicherung fortgesetzt werden könnten. Das Vorbild von Bayern und Württemberg ist außerordent— lich dankenswert, Die Stadt Cöln hat sich auf diesem Gebiete schon sehr nützlich betätigt. Jedenfalls könnten allgemeine Vorschriften er— lassen und ein Druck von oben ausgeübt werden. Die Hauptsache ist, daß überhaupt etwas geschieht. Ein Reichszuschuß erscheint mir zu— nächst nicht am Platze. Es handelt sich hier um eine Aufgabe der Ginzelstaaten und Gemeinden. Allerdings haben manche von diesen sich 5 scharf gegen eine kommunale Arbeitslosenversicherung ausgesprochen. Insere Gemeinden sollten nicht so engherzig sein. Dasselbe gilt von den Einzelstaaten. Namentlich das stolze Preußen sollte einmal das tun, was Bayern bisher schon getan hat. Die Städte, die bereits dorgegangen sind, verdienen unsere vollste Anerkennung und Aufmunte— rung. Was schließlich den Wunsch des Abg. Silberschmidt anbetrifft, die Frage einer Kommission zur Prüfung zu überweisen, so könnte man diesem Wunsche sehr schnell Rechnung tragen, wenn die sozialdemokra— tische Partei einen Initiativantrag oder Gesetzentwurf einbrächte, der einer Kommission überwiesen werden könnte. Wir würden gern daran mitarbeiten. . Abg. Dr. Qu arck-Coburg (nl): Es gibt wohl niemanden in diesem Hause, der dem Problem der Arbeitslosenversicherung nicht Teilnahme und Aufmerksamkeit zuwendete. Es handelt sich hier in der Tat um eine brennende offene Wunde unseres Wirtschaftslebens. Wäh— rend nun die einen wünschen, daß diese Versicherung als Schlußstein der reichsgesetzlichen Arbeiterversicherung eingefügt werde, werden auf der anderen Seite Stimmen laut, die von der Uferlosigkeit unserer Sozial⸗ politik sprechen. Ich meine, daß die Rücksicht auf die Belastungsmög⸗ lichkeit der Allgemeinheit und die Konkurrenzfähigkeit der Industrie zurücktreten muß. Es ist Pflicht, das Risiko derjenigen Gxistenzen, die dem wirtschaftlichen Kampfe schutzlos und mit⸗ tellos ausgeliefert sind. nach Möglichkeit einzuschränken. Daß die Arbeitslosennot Schuld der Arbeiter sei, kann heute niemand mehr behaupten. Es ist auch ohne weiteres zuzugeben, daß die Maß⸗ nahmen, die hier getroffen werden können, nicht in das Gebiet der Wohltätigkeit oder gar der Armenpflege gelegt werden dürfen. Da⸗ für hat die Allgemeinheit ein viel zu großes Interesse an der Er⸗ haltung eines gesunden, leistungsfählgen Arbeiterstandes. Um vor— übergehende Erscheinungen handelt es sich nicht. Die wichtigste Auf— gabe ist, ihren Ursachen nachzugehen. Von einem non possumus dürfen wir hier nicht sprechen. Uuch ich bin der Meinung, daß Vor— beugungsmaßregeln rechtzeitig eingeführt werden müssen. Falsch wäre es, unsere Wirtschaftspolitik für bie Arbeitslosigkeit verantwortlich zu machen. Es ist auch nicht Schuld unseres sogenannten kapitalisti⸗ Hen Systems, 6 gewisse Branchen im Winter oder zu anderen eiten je nach der Mode vder der Saison mit Arbeitseinschränkungen borgehen. Ungrfreulich ist es, daß wir mehr als o00 00) aus ländische Arbeiter im Lande habe, daß fast 4 * unserer Arbeitsstätten mit fremden Arbeitern befetzt sind und daß auch in Zeilen der Depression der Zuzug ausländischer Arbeiter nicht abnimmt. Heute hat sich dieser Zuzug gleichmäßig auch auf die inländische Induftrie ausgedehnt. Gleichzeitig muß beachtet werden, daß das platte Land unter Zuzug von den Städten zu leiden hat. Es fehlt nicht sowohl an Arbeits⸗ gelegenheit, als an einer ausgleichenden Arbeitsberteilung. Das liegt gleichmäßig an dem ungenügenden Ausbau der Arbeitsnachweise wie an der fortschreitenden Differenzierung unserer Arbeiterwelt. Ich glaube nicht, wie der Begründer der, Interpellation, daß es der Industrie auf diesem Gebiete an Nächstenliebe gefehlt hat. Die Großstädte verschlingen die Zuwanderer und verstärken bei Krifen das Heer der Arbeitslosen. 1895 hatte bei der damaligen Krise in Stuttgart noch nicht die Hälfte der dortigen Arbeiter ihren Unter— stützungswohnsitz in der Stadt. Wir können nur wünschen, daß auf dem Gebiete der inneren Kolonisation auch die Hilfe des Reiches mit Rat und Tat nicht ausbleiben, daß die Versuche zur Urbarmachung der Moore vom Reiche aus eifrige Förderung finden mögen. Ver— sicherungstechnische Grundlagen für eine Arbeitslosenversicherung zu finden, ist bei der mangelnden Statistik noch außerordentlich schwer. Wir bedauern dies, wir bedauern ebenso, daß aus den Erklärungen des Staatssekretärs so wenig Positives für die Zukunft herausklang; das liegt aber weniger an dem Mangel an Wohlwollen, als an der Schwere des Problems. Bei dieser Sachlage darf auch die ver⸗ änderte Stellungnahme der Interpellanten nicht übersehen werden; früher verwiesen Sie den Gedanken der staatlichen Fürsorge in das Traumland; jetzt soll das Reich es aber doch machen. Einer Reichs— arbeitslosenversicherung stehen ganz erhebliche Bedenken, auch abgesehen von den versicherungstechnischen Grundlagen, entgegen. 1908 bemaß der Abg. Molkenbuhr die daraus entstehende Last auf 220 Millionen, andere rechnen mit 300 Millionen. Ich halte es für überaus bedenk— lich, bei den heutigen Verhältnissen die sozialen Lasten auch nur um ein Drittel dieser Summe zu steigern. Nachdem wir in der Sozial⸗ politik soviel vorangegangen sind, können wir auf diesem Gebiete mal England vorangehen lassen und dessen Erfahrungen benutzen. Es sind viele Fragen zu lösen, wer z. B. der Empfänger der Leistungen ist, was verschuldete und unverschuldete Arbeitslosigkeit ist, ob die Ver⸗ sicherungssumme ausgezahlt werden soll oder nicht, wie ein Mißbrauch verhindert wird usw. Wie kann es ferner gelingen, Beiträge der Unternehmer zu bekommen, ohne befürchten zu müssen, daß diesen die Lust schwindet, die Krisen der . mit ihren Arbeitern durchzufechten. Die Arbeitgeber werden dann die Fürsorge für ihre Arbeiter auf die Allgemeinheit abwälzen wollen. Wie soll man der Ungerechtigkeit begegnen, daß das Land Beiträge zahlt und trotzdem noch weniger Aussicht hat, seinen eigenen Bedarf an Arbeitern zu decken, da die Attraktion der Städte durch die Arbeitslosenfürsorge sicherlich noch steigen wird. Niemand kann Klarheit schaffen, wie es mit der Annahmepflicht für zugewiesene Arbeit gehalten werden soll, die doch ein Korrelat für die Versicherung sein muß. Es würde ferner ein neuer großer Behördenapparat erforderlich werden, der ohne Ein— mischung in die wirtschaftlichen Kämpfe nicht würde auskommen können. Alle diese Bedenken sprechen gegen die Arbeitslosenbersiche— rung von Reichswegen. Aber es würde doch dankbar zu begrüßen sein, wenn das Reich den Kommunen mit Rat und Tat helfen wollte. Zu⸗ nächst wäre es Sache der Kommunen und der Organisationen, auf diesem Gebiete zu helfen. Wir unterstützen den Organisationsgedanken oweit wie möglich und würden auch der Einführung der Rechts« ähigkeit der We fen rein zustimmen. Uebrig bleibt immer noch die Fürsorge für die unorganisierten Arbeiter, namentlich die unge= lernten und die Saisonarbeiter. Da könnte nur der Zwang helfen; den Kommunen müßte von Reichswegen die Ermächtigung gegeben werden, einen Sparzwang oder Versicherungszwang einzurichten. Vor allem müssen Vorbeugunggzmaßnahmen getroffen werden. Das System der Arhellsnachweise muß auggebauß werden, und dabei darf in den Arbeitsnachweisen nicht der Bureaukratismus herischen. Erforderlich ist auch eine Fürsorge für die Wanderarmen durch Schaffung eines
Zweite Beilage
Berlin, Sonnahend, den 6. Dezemher
KD— — 8 * mm e.
Netzes von Wanderarbeitsstätten. Wenso müßte, man versuchen, Arbeitsscheue auf eine höhere Stufe der Arbeitswilligkeit zu heben. Die Beschränkung der Zahl der ungelernten Arbeiter it eine Ehren— pflicht des Staates. Wichtig ist ferner die rechtzeitige Vergebung und die rechtzeitige Deckung des Bedarfs für den Staat. Es wird immer wieder geklagt, daß die Eisenbahnverwaltung gerade bei sinkender Konjunktur mit Aufträgen zurückhält. Daß die Kommunen bei den heutigen Geldverhältnissen und ihrer schweren Zinsenlast Not⸗ standsarbeiten vornehmen sollen, ist eine harte Zumutung. Das Reich kann auf dem Gebiete der großen Politik Maßnahmen treffen durch eine weitausschauende Exportpolitik, durch langfristige Handelsver— träge und überhaupt durch eine aktive Auslandspolitik. Eine gule allgemeine Politik ist überhaupt die Voraussetzung einer dernünftigen und weisen Sozialpolitik. Hoffentlich wird es dem heißen Bemühen aller gelingen, Besserung zu schaffen. ; Abg. Wein hau sen (fortschr. Volksp): Meine politischen Freunde halten die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit für eine sozial⸗ politische, volkswirtschaftliche und kulturelle Pflicht. Wir begrüßen mit Genugtuung jeden praktischen Verfuch, der gemacht wird, um iesem Uehel abzuhelfen. Inshesondere begrüßen wir die erheblichen Geldmittel, die von den Fachorganisationen jahraus jahrein für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aufgebracht werden. Auch die entsprechenden Versuche der Gemeinden erkennen wir dankbar an. Ich weiß sehr wohl, daß diese Versuche sehr verschieden bewertet werden. Aber bei dem gegenwärtigen wirtschaftlichen JZustande muß man auch jedes kleine Mittel, das die Arbeitsnot einschränkt, freudig willkommen heißen. Wir begrüßen auch, daß die Regierung in letzter Zeit praktisch eingreift, wie es in Bayern und Württemberg geschehen ist. Selbst— verständlich sind wir nicht grundsätzliche Gegner einer Reichsacheits losenversicherung. Schon nach unserer politischen Vergangenheit wäre dies unmöglich. Ist es doch einer der Unseren gewesen, Sonne— mann, der zuerst den Gedanken der Arbeitslosenversicherung vertreten hat. Wir lehnen alle die törichten Einwände ab, die gegen diese Ver— sicherung vorgebracht worden sind. Daß der, welcher arbeiten will auch immer Arbeit findet, ist nicht richtig. Auch der Cinwand ist nicht ernst zu nehmen, daß die Versicherung den Anreiz zur Fauk— heit und Bequemlichkeit gibt. Auch können wir es nicht für richtig halten, daß die einzelnen Städte nicht vorgehen könnten, weil sonst Vonigtöpfe. geschaffen werden, wo die Arbeitslosen zusammenströmen. Diese Honigtopftheorie können wir nicht mitmachen. Wenn wir auch grundsätzlich der Arbeitslosenversicherung sympathisch gegenüber— stehen, so können wir uns aber doch nicht den Schwierigkeiten ver— schließen, die der praktischen Durchführung gegenüberstehen. Wir glauben, daß wir der Sache einen besseren Dienst leisten, wenn wir die Schwierigkeiten offen zugeben, als wenn wir sie leugnen. Wir sehen eine große Schwierigkeit schon in der Arbeitslosenzählung. Auch die Aufbringung der Mittel ist schwierig. Die Arbeitslosen selbst haben ja keine Gelder, und den Arbeitgebern allein die ganze Last aufzubürden, das geht doch nicht an. Zurzeit hat das Reich selbst nicht die Mittel dafür; es bleibt schließlich nur übrig die Auf— bringung durch die Kassen der Fachvereine mit Zuschüssen des Reiches. Dann aber tritt auch sofort ein Kontrollrecht des Reiches in Wirk— samkeit, wodurch die Selbständigkeit der Kassen tangiert wird. Von anderen Mitteln zum Zweck ist die Aufbringung durch die Kassen mit Zuschüssen der Kommunen in den Vordergrund getreten. Relativ am meisten bewährt hat sich das Genter System. Daß es nur die Orga⸗ nisierten berücksichtigt und also indirekt den Koalitionszwang aus⸗ übt, würde mich nicht abschrecken; viel bedenklicher erscheint mir der Umstand, daß die am schlechtesten bezahlten Arbeiter dabei auch am wenigsten bekommen. Immerhin sollten die Leistungen dieses Systems mehr als bisher gewürdigt werden. Auch die Bestrebungen des Ver⸗ eins für innere Kolonisation unterstützen wir; aber diese Experimente bleiben doch immer nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Vor allem ist ein Reichsgesetz zur Regelung der Arbeitsvermittlung er⸗ forderlich; wir können nicht warten, bis die privaten Bestrebungen zur Vereinigung der Arbeitsnachweise ihr Ziel erreicht haben. Die Schwierigkeiten zur Feststellung der unverschuldeten Arbeitslosigkeit sollten auch nicht überschätzt werden. Der Staatssekretär hat die Arbeitslosenversicherung zurückgestellt, aber uns wenigstens die Hoff⸗ nung gelassen, daß die erste Voraussetzung, die Regelung des Arbeits—⸗ nachweises, ernsthaft in die Tat umgesetzt werden soll. Wir wollen gern diesen oder jenen Weg mitgehen, der sich als gangbar erweist, um aus dem jetzigen Zustand herauszukommen. Die Schwierigkeiten sind tatsächlich dazu da, um überwunden zu werden. Wir würden danach auch mit der Einsetzung einer Kommission einverstanden sein, die vielleicht in das Baugewerbe mit seiner ständigen großen Arbeits- losigkeit, vielleicht auch in ein Gewerbe mit geringer Arbeitslosigkeit hinübergriffe. Bei der heutigen Interessenlosigkeit der Frage gegen. über darf es nicht bleiben. Wir müssen wieder an der Spitze der Sozialpolitik spazieren.
Abg. Graf von Carmer-⸗Zieserwitz Gkons): Die heute uns vorliegende Interpellation können wir in einer ganzen Reihe von Sätzen, die sie enthält, unterstützen. Ich nenne gleich den ersten Ab— satz, den können wir vollständig billigen; ebenso auch den zweiten Satz in dem letzten Absatz. Wir können uns nur da nicht damit einver— standen erklären, wo die Einführung einer alle Arbeiter und Ange⸗ stellte umfassenden reichsgesetzlichen Arbeitslosenversicherung verlangt wird. Besonders ist anzuerkennen, daß die Arbeitslosigkeik, wie wir sie jetzt haben, und wie sie sich in ihren Begleiterscheinungen jetzt ge⸗ zeigt hat, schwere Schäden mit sich bringt, nicht nur mit Rücksicht auf das materielle Elend der Arbeitslosen und ihrer Familien, sondern auch wegen der moralischen Schäden, die dem Arbeiter dadurch zugefügt werden. Aus diesem Grunde sind wir gern bereit, mitzuarbeiten an der Milderung dieser Schäden; alles zu tun, um den schlimmen Folgen der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Meiner Ansicht nach scheiden zwei Kategorien vorweg aus bei der Besprechung der Arbeits⸗ losigkeit. Es sind dies einmal die, die infolge von Streiks und von Aussperrungen arbeitslos geworden sind. die der Arbeitsscheuen. Es
der
Vaterlande.
Preußi hen Staatsanzeiger. k
An Arbeitsgelegenheit aber fehlt es doch nicht in Deutschland. Der Fehler liegt darin, daß in einem Teil des Deutschen Reiches in den großen Städten eine außergewöhnliche Ansammlung von Arbeitskräften vorhanden ist, während anderseits auf dem platten Lande, in den kleineren und mittleren Städten ein großer Arbeitermangel schon seit langen Jahren herrscht. Es ist traurig, daß der Zug in die Groß stadt, der die Bevölkerung des Landes schon seit Jahren dahin bringt, immer wieder stärker geworden ist. Es J ja nachzuweisen, wenn man die Vermehrung der Großstädte über 100 000 Einwohnern in den letzten Jahren verfolgt, im Jahre 1875 hatten wir nur 12 Groß= städte, im Jahre 1919 war die Zahl auf 48, also auf das vierfache gestiegen. Während im Jahre 1875 jeder zwanzigste Mensch in Deutschland in einer Greßstadt lebte, trifft dies im Jahre 1916 auf jeden fünften Einwohner zu. Die Gründe sind ziemlich klar. Die jungen Leute auf dem Lande versprechen sich in der Großstadt mehr Vergnügen, mehr Freiheit, sie wollen sich dem Elternhause entziehen. Darum geht die Jugend in die Großstadt und — leider sei es et
kommt sie oft nach kurzer Zeit verlumpt und verelendet wieder. Dann kommen sie reumütig zurück, aber ihre ö. Kraft hahen sie in der Großstadt verpufft. Da hat die Bevölkerung der kleinen Städte und auch auf dem platten Lande einen schweren Stand, wenn die Jugend, die dort mit Mühe und mit Kosten aufgezogen worden ist, dann in die Großstadt geht. Einer der Vorredner hat gemeint, es herrsche auf dem Lande jetzt auch Arbeitslosigkeit. Für einen Nach⸗ weis dieser Behauptung wäre ich außerordentlich dankbar. Auf dem Lande herrscht gerade ein Mangel an ledigem Gesinde, an Mägden und Knechten. Der Großgrundbesitz, der mit verheirateten Leuten rechnet, ist da gar nicht so schlimm daran, wie der kleinere Besitz. Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß der kleinere 3 viel für die Versorgung des Landes mit Fleisch leiste. Gerade dieser aber leidet unter dem Mangel an ledigen Arbeitskräften. Ganz gewiß hat jeder das Recht auf Arbeit, und zwar auf lohnende Arbeit, aber wenn jemand, der eine lohnende Arbeit hat, diese Arbeit aufgibt ohne irgend⸗ welchen Zwang, wenn er fortgeht, ohne sich zu vergewissern, ob er an einem neuen Ort lohnende Arbeit findet, so hat er sich die Not selbft zuzuschreiben. Wenn sie nun kommen und sagen, wir haben die Arbeitslosenversicherung, dann wollen sie damit diese Verantwortung, die der Arbeiter hat, dem Staate aufbürden. Dann müssen sie . noch einen Schritt weiter gehen, und darauf hat der Abg. Gothein im Jahre 1968 auch mit Recht hingewiesen: Wenn der Staat die Verantwortung haben soll, daß der Betreffende Arbeit bekommt, dann muß er auch die Möglichkeit haben, diejenigen an eine Stelle zu schicken, wo es Arbeit gibt. Nicht bloß ich, sondern wie schon er⸗ vähnt, auch die Herren von der Linken stehen ja auf diesem Stand- punkt. Dann müßte aber das 3m e n ,,,, werden. Das werden Sie wahrscheinlich nicht wollen. as ist einer der grundlegenden Faktoren, warum meine Freunde diesen Vorschlag be⸗ kämpfen. Es ist gesagt worden, wir stehen nicht mehr an der Ip der Sozialpolitik, aber wir haben nach den großen Wohlfahrtsgesetzen die wir geschaffen haben, doch wohl das Recht zu sagen, daß wir noch immer an der Spitze der Nationen marschieren. Durch die An⸗ gestelltenversicherung sind doch schon wieder ganz . Lasten den Arbeitgebern aufgebürdet worden. Die Interpellation verlangt eine Versicherung für alle Arbeiter und Angestellten. Das ist eine Ungerechtigkeit, wenn man sich die kleinen selbständigen Existenzen ansieht. Diese sind absolut nicht besser gestellt, oft sogar noch viel schlechter. An diese soll überhaupt nicht gedacht werden, sondern sie sollen auch noch mit zu den Lasten beitragen. Wenn überhaupt eine Arbeitslosenversicherung möglich wäre, dann wäre sie nur möglich auf dem Gebiete der Kommunen, da weder der Staat, noch das Reich dazu in der Lage sind. Ich bin sehr gern bereit, mitzuarbeiten an der Linderung der Schädigungen und der Nachteile, die durch die Arbeits⸗ losigkeit entstanden sind. Aber man 1 zwei Punkte herausheben. Es muß einmal von langer Hand her für lohnende Arbeit gesorgt werden. Ich meine, daß die Arbeit aber nicht in aller Geschwindig⸗ keit gefunden werden darf. Ich weise ganz besonders auf die Oe ländereien und deren Kultur hin. Ganz besonders ist es ja schon in der Nähe von Berlin geschehen, daß man Arbeitslose dorthin gebracht hat, um sie auf dem Lande wieder heimisch zu machen. Gar; diese Ansiedlung auf DOedländereien hat auch ein großes wirtschaftlich Interesse durch Schaffung neuen Kulturlandes. So hat sich z. B. Charlottenburg entschlossen, diese ländlichen Kolonien zu unterstützen. Dadurch werden die Armenlasten der großen Städte herabgedrückt. Der andere Punkt betrifft die Arbeitsnachweise. Wir haben ja den Arbeitsnachweisverband, der das ganze Reich umspannt. Aber hier fehlt noch manches. Erfreulich ist, daß die neuesten Provinzialver⸗ bände hier mit gutem Beispiel vorangehen. Gehen wir in dieser Weise vor, dann können wir der Not der Arbeitslosigkeit steuern. Daran wollen wir mitarbeiten, aber die Versicherung * wir nicht für einen gangbaren Weg.
Abg. Warmuth (Rp): Maßregeln gegen die Arbeitslosigkeit sind nötig, und auch wir wollen daran mitwirken. Es darf aber nicht bergessen werden, daß die Arbeitslosigkeit eine ständig wiederkehrende Erscheinung ist. Alle Maßnahmen, die zur Lösung dieses Problems vorgeschlagen sind, stoßen auf große Schwierigkeiten. So muß man doch unterscheiden zwischen unverschuldeter und selbstverschuldeter Ar⸗ beitslosigkeit. Jemand, der ohne Grund aus seinem Arbeitsberhältnis herausgeht, darf doch nicht wie jemand behandelt werden, der schuldlos arbeitslos geworden ist. Es geht nicht an, daß Leute, die nicht arbeiten wollen, auf Kosten anderer einen großen Teil des Jahres unterstützt werden. Zu bedenken ist auch, daß eine Reihe von Arbeitern zurzeit der Hochkonjunktur in die Großstadt geht und dann später arbeitslos wird. Da darf man doch, wenn sich z. B. auf dem Lande wieder loh⸗ nende Arbeit findet, den Betreffenden nicht unterstützen, damit er ab⸗ warten kann, bis sich wieder eine Hochkonjunktur einstellt. Eine andere Frage von besonderer Wichtigkeit ist auch die, wie die streikenden Ar= beiter behandelt werden sollen. Die Sozialdemokraten meinen ja ohne weiteres, sie müßten unterstützt und wie Arbeitslose behandelt werden, die unverschuldet um ihre Arbeit gekommen sind. Auch au die Bauarbeiter muß man denken und an die Saisonarbeiter. Diese arbeiten gewöhnlich nur einen Teil des Jahres und sind vielfach in anderen Berufen beschäftigt. Wenn nun in einem solchen ihrer Nebenberufe gestreikt wird, wie sind sie dann zu behandeln? Alle biefe Fragen muß man genau im Auge behalten. Kir Sozialdemokratie ist ja nicht nur heute, sondern auch schon früher mit Wärme für die Ar⸗ beitslosen eingetreten. Wenn diese Wärme wirklich echt ist, warum gibt dann die Sozialdemokratie nur den zehnten Teil ihrer Einnahmen zur Linderung der Not der Arbeitslosen aus? Aber die Gewerkschaften sind ja in erster Linie Kampforganisationen, und man will verhindern, daß sie ihre Mittel für andere als Kampfeszwecke anwenden. Wir können doch unmöglich die Arbeitslosen unterstützen, nur um den Gewerk⸗ schaften, die offen staatsfeindlich sind, eine Last abzunehmen. Ich weise da auf einen Artikel des Vorwärts hin, in dem ausgeführt wird, daß die Linderung der Arbeitslosigkeit nicht so sehr durch humanitäre und soziale Gründe bedingt ist, sondern um das Proletariat fähig zu machen, die Kämpfe zu führen, die es seinem Ziele näherbringen. Von . ster Entscheidung ist aber die Frage, woher die Mittel für eine allgemeine Arheitslosenbersicherung genommen werden sollen. Die Beitrage der Arbeitgeber würden sich auf 30 Millionen belaufen, der Staatszusch auf 10 Millionen, und es fragt sich doch, ob man den nternekmen eine solche große neue Belastung auferlegen soll. Kann denn die Yn dustrie wirklich eine solche Last tragen, wo doch unsere Erportindusfti eine so starke Konkurrenz der überseischen Lander auszuhalten be