1914 / 13 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Jan 1914 18:00:01 GMT) scan diff

niedergelegten Rechte und Pflichten genau kennen lernen. Auch ist es wünschenswert, daß die zuständigen Zivilbebörden von dieser Kabinettsorder offiziell unterrichtet werden. Dadurch würde viel ge⸗ schehen, um in Zukunft eine Wiederholung eines derartigen Konfliktes, wie wir ihn in Elsaß⸗Lothringen gehaht haben, zu vermeiden. Wenn die Kabinettsorder von 1820 heute noch in Preußen Geitung hal⸗ so ist es selbstverständlich, daß ihre Rechtsgültigkeit auch für Elsaß⸗ Lothringen bejaht wird. Nun kann aber auch der Fall eintreten, daß bayerische Kontingente in Elsaß- Lothringen garnisoniert sind, und Bayern besitzt nicht eine Bestimmung, wie sie in der preußischen Kabinettsorder ausgedrückt ist. ; Es würden sich also daraus große Unzuträglichkeiten in den Reichslanden ergeben. Nun ist in diesem Hause viel über das Verhältnis Preußens zum Reiche gesprochen worden. Ich kann mich in der Stellungnahme meiner Fraktion zu dieser aktuellen Frage auf eine rogrammatische Erklärung meiner Partei berufen. lautet; Die JZentruns= fraktion des Deutschen Reiches hat bei ihrer Gründung im März 1871 an die Spitze ibres Programms folgenden Grundsatz für ihre Tätigkeit gestellt, Der Grundcharakter des Reiches als eines Bundesstaates soll gewahrt werden, demgemäß den Bestrebungen, welche auf eine Aenderung des rativen Charakters der Reichtverfassung, abzielen, entgegen gewirkt und von der Selbstbestimmung und, Selbständigkeit der ein⸗ zelnen Staaten in allen inneren Angelegenbeiten nicht mehr Gebrauch gemacht werden, als die Interessen des Ganzen unahweislich es er⸗ sordern. Wie haben sich doch die Zeiten geändert? Damals in den siebziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts wurde vielfach die Befürchtung laut, daß die unitarischen Bestreß ungen dazu führen würden, Preußen nicht diejenige Stellung tin Meiche, zu verschaffen, die ihm nach seiner ganzen historischen Entwicklung Sekührt. Heute nehmen die Befürchtungen die entgegengesetzte Richtung an, man ist besorgt, daß Preußen im Reiche zu urz emmt. Meine Partei wird stets die unvergänglichen Verdienste, Mreußens um das Reich würdigen und die historisch berechtigte Vormacht ftellung Preußens im Reiche erhalten. Bei der engen Verbindung Preußens und des Reichs fördern wir gleichzeitig den Reichsgedanken. Dabei findet das treue Festhalten der übrigen Bundesstaaten an dem Reiche unsere Anerkennung. Preußen hat, die Pflicht, voran zu ein und voran zu bleiben. Von diesem Sinne mögen unsere parla— mentarischen Arbeiten geleitet sein. Alle nationalen Fraste müssen den Autoritätsgedanken und das Staatsgebäude stützen. Mögen die Zerwürfnisse unter den Parteien dieses hohe Ziel nicht gefährden. Das ist unser aufrichtiger vaterländischer Wunschte

Abg. Schiffer (nl. Wir begrüßen mit Freude die Erklärung in der braunschweigischen Frage. Freilich hätten wir, gewünscht un für nützlich und notwendig gehalten, daß diese Erklärung erheblich früher gekommen wäre. Dadurch wäre dem ganzen Lande manches heinliche erspart worden. Wir begrüßen, E, daß mit dieser Er— klärung der letzte Schatten eines Mi herständnisses und einer vein lichen Beklemmung zwischen dem preußischen Volk und dem Fürsten eines benachbarten Bundesstaates, der zugleich der Schwiegersohn des Kaisers ist, verwischt ist. Daß eln solcher Schatten bestanz, solange dieses erlösende Wort fehlte, können wir nicht leugnen. Wenn aber in dieser Sache Angriffe gegen, die national liberale . wurden, so ist das nicht berechtigt. Unsere e orgnisse . gerecht⸗ sertigt worden durch jetzige Gegenerklärung der We fen partei. Wir können nur wüns daß solche Bestrebungen immer in dieser Weise zurückgewiesen werd

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Eine solche Erklärung haben wir ge— wünscht, nicht um Zweifel zu beheben, die wir nicht hatten, sondern um der Welfenpartei die letzte Waffe abzunehmen, mit der Erz klärung des Ministerpräsidenten ist die Sache materiell erledigt. Ich möchte aber wünschen, daß entsprechend dieser Erklärung die politischen Beamten in Hannover nicht darüber in Zweifel gelassen werden, daß eine Förderung der welfischen Tendenzen, soweit sie noch ert dauern, unvereinbar mit ihrer Stellung ist. Wird dieser Standpunkt beachtet, so können wir der weiteren Entwicklung mit Ruhe entgegensehen; ob die Welfenpartei sich auflöst, kann zweifelhaft sein, aber

Sie

föde⸗

die Agonie, die der Auflösung vorangeht, wire jedenfalls eintreten.

Wir achten die Ueberzeugungsfreude und das Smpfinden, das einen

großen Teil der dortigen Bevölkerung beseelt, wie wir jeder ehrlichen 1

Ueberzeugung Achtung schuldig sind. Wir können aus dem Grunde auch die Ausführungen des Abg. von JZedlit entschuldigen. Ich be grüße es immer, wenn die perfönlichen Momente im kenrlliantesten Sinne hervorgerufen werden, und bin erfreut über die Anteilnahme der Abgg. von Heydebrand und Dr. Wiemer an der Krantheit un eres Freundes Friedberg und spreche unseren. Dank dafür aus. Mit dem Abg. von Deydebrand stimmen wir darln überein, daß auf dem Weng

Belastung des Besitzes nicht weitergeschritten werden kann. Es i aber nicht ausgeschlofsen, daß neue Bedürfnisse an das Meich heran treten, und dann werden andere Wege einzuschlagen sein. Ich nehme an, daß dann ernsthaft die Einführung von Monopolen in Aussicht genommen wird. Eine kurze Bemerkung will ich nur machen über die Aeußerungen des Abg. Dr. von Heydebrand. Es ist begreiflich, daß er wünscht, wir sollten eine Haltung einnehmen, die ihm sympathisch erscheint. Ich muß aber Loch feststellen, daß das Jahr 1aä0h, mit seinen Vorgängen daran schuld ist, daß unser beiderseitiges Verhältnis nicht mebr ein so gutes geblieben ist. Das richtige Verfahren wäre gewesen, Sie (nach rechts) hätten damals für die Erbschaftsstener gestimmt. Dann wäre viel Unruhe unserem Volke erspart geblieben. Daß die Lage der lonservativen Partei bei der Besitzfteuer keine beneidenswerte war, ist ja richtig, und ich rerstehe schließlich auch, w sich aus der Affäre ziehen will, indem sie nun ihrerseits Angriffe gegen uns richtet. Angriffe stützen

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Diese haben Sie dadurch zu sti gesucht, daß Sie uns an die Sozialdemokratie heranzudrängen gesucht haben. Das trat zu Tage in den Ausführungen des Abg. von Veyde⸗ hrand, aber auch des Abg. Winckler und in den Zurufen hei den Aus⸗ führungen des Ministerpräsidenten; als dieser von der Mehrheit der bürgerlichen Parteien sprach, da wurde von dem Chor der Namen⸗ sosen gus Ihren Reihen gerufen: Sozialdemokraten. Ich muß aber feststellen: Wir haben mit Zentrum und Fortschritt zusammen⸗ gearbeitet, in keiner Weise aber mit der Soꝛialdemokratze. Nun wird die Behauptung aufgestellt, das Werk sei nur dadurch zustande ge⸗ kammen, daß die Sozigldemokratie dafür stimmte. Das ist wieder nicht richti;. Wenn man die Stimmen der Sozial⸗ demokratie, die für das Gesetz gestimmt haben, abzieht und dagegen aufrechnet, so ergibt sich ein Stimmenverhältnis von 175 zu 158. Sie sehen also, das Gesetz wäre auch ohne das Zutun der Sozial⸗ demokratie zustande gekommen. Die Konservativen haben es ja wiederholt fertig gebracht, aus rein tattischen Gründen mit der Sozialdemokratie zusammen für Dinge zu stimmen, die sie für falsch hielten. Erinnern Sie sich doch nur des Sommers 1911, in dem die konservative Partei entgegen der Erklärung ihres Führers Mann für Mann für das Reschstagswahlrecht in Preußen ge⸗ stimmt hat, lediglich aus taktischen Rücksichten. Gerade um nicht in ein. Abhängigkeitsverhältnis von, der Soz aldemo— kratie zu gelangen, haben wir auf, die Erbschaftssteuer, die wir schlleßlich hätten durchsetzen können, verzichtet und uns damit begnügt, für eine Steuer zu stimmen, Tie wenigstens den Grundgedanken der Erbschaftssteuer enthielt. Das haben wir getan, um die Einigkeit der bürgerlichen Parteien nicht zu sprengen. Das darf doch nicht übersehen werden. Der Minister— präsident hat sich auf Aeußerungen berufen, die Dr. von Seydebland getan hat. Nun meint Dr, von Heydebrand, so habe er es damals nicht gemeint, da sei er mißverstanden worden Da möchte ich doch den Abg. Dr. von Heydebrand bitten, daß er sich möglichst unmih⸗ verständlich ausdrückt. Dr. von Heydebrand wies darauf hin, die Frage der Deckung der Wehrvorlage bãtte ia Zeit ge⸗ babi bis 191. Das ist gar nicht richtig. Gerade die konserbative Partei hat mit aller Entschiedenheit immer wieder betont und daran festgehalten, daß die Wehrvorlage nur im Zusammenhange mit der Deckung verabschiedet werden könnte. Da setzen Sie sich jetzt mit Ihrer Behauptung in Wider pruch mit Ihrer eigenen von uns gebilligten Stellungnahme. Aber nicht nur Dr. von Heydebrand ist mißverstanden worden, sondern ebenso seln

den Gedanken einer Reichsbermögenssteuer für diskutabel. Nun sagt die „Deutsche Tageszeitung.; Distutabel heißt nicht akzeptabel. Das sind so Mißverständnisse, die werden immer vorkommen, unsere Zeit scheint zu Mißverständnissen ganz besonders geneigt zu sein. Sonst könnten wir nicht verstehen, wie vor einigen Tagen wieder im Perren⸗ hause Mißverständnisse passiert sind. Dort hat die Mehrheit ein Mißtrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten beschlosfen, aber im Lande soll beileibe nicht geglaubt werden, daß es sich um ein MNißtrauenspotum handele, das ist wieder so ein Mißverständnis. Den Vorwurf, den Herr ven Buch. Carmzow im Herrenbaufe erhoben hat, müssen wir mit Schärfe, zurückweisen. Wenn zum Ausdruck ge⸗ kommen ist, daß sich die Politik des Herrenhauses nicht um das Volk und seine Stimmung zu kümmern habe, so ist das das Bedenklichste gerade vom Standpunkte der Allgemeinheit. Wir verlangen vom Volke Opfer an Gut und Blut in Hülle und Fülle, an Vermögen und Ahgahen an den Stagt, und da sollen wir es lediglich als ein Objekt behandeln? Daß wir um die Seele des Volkes ringen, ist die schönste ökonomische Aufgabe, die ich lenne. Das alte Preußenlied sagt, daß der Fürstenthron auf der Liebe des freien Mannes und, wie ich zusetze, auf der freien Liebe freien Mannes beruht. Der ganze Ton scheint nicht im Einklang zu stehen für alle, die auf dem Boden der Ver⸗ fassung und des Konstitutionalismus stehen. Auch die Wendung des Abg. von Heydebrand, den Reichstag zum Teufel zu jagen, spricht nicht von Hochschätzung dieser Reichsinstitution. Sine derartige Aus— drucksweise lehne ich für meinen Teil ab. Der Abg. von Heydebrand hat gerade das Wahlrecht mit Worten abgetan, die sehr viel Liebe bekunden, aber sehr wenig Entgegenkommen. Er hat wie die Katze mit der Maus gespielt. Diese scherzhafte Stimmung bat er noch weiter ausgedehnt, indem er unter dem Zuruf einer meine: Partei⸗ freunde sagte, daß die Veröffentlichung von Jagows nichts mit einem Amtẽcharakier zu tun hat. Das ist dasselbe, als wenn der Abg. von Heydebrand einen Artikel schreibt und man sich fragt: Wer ist denn eigentlich dieser Herr von Heydebrand? Das ist doch eine sehr merkwürdige Ausdrucksweise. Er hat auch eine Parallele gezogen mit meinem verstorbenen Parteifreund von Bennigsen,. von Bennigsen hat, bevor er seine Stellungnahme ergriff, sein Amt dem Staat zur Verfügung gestellt. Eine Parallele kann also hier nicht gezogen werden. Abg. von Heydebrand hat auch von Selbst⸗ losigkelt gesprochen. Auch wir sind selbstlos, denn die Hälfte der guten Ratschläge, die er uns gegeben hat, hätten wir gern dem Zentrum gewünscht. Er ist dann auf meinen Parteifreund Röchling zu sprechen gekommen, der von dem Zusammenhange zwischen Land—⸗ wirtschaft und Industrie gesprochen hat. Das hat er mit allem Nach⸗ druck getan, wie das immer von uns geschehen ist:; aber der Abg. Dr. Röchling hat vergessen, über das Kartell der schaffenden Stände zu sprechen. Wir sind mit wirtschaftlichen Organisationen nach der Stellung unserer Partei in keiner Weise verknüpft, wir identifizieren uns weder organisatorisch nech in anderer Weise mit ihnen. Nach der Rede des Abg. von Heydebrand könnte man aber versucht sein, das Kartell der schaffenden Stände mit der Landwirtschaft zu identifizieren. So ähnlich hat sich auch der Abg. Dr. Hahn aus— gesprochen. Nach der Ansicht vieler gelten aber Dr. Hahn und der Bund der Landwirte nicht für die berufenen Vertreter der Landwirt— schaft. Unsere Ansicht über diese Sache werden wir nach allen Seiten hin wahren und schützen. Der Ministerpräsident hat die neue Forde⸗ rung der Einlösung des Königswortes zurückgewiesen.́ Mit derselben Energie, wie wir am Reichstagswahlrecht festhalten, verlangen wir ein anderes Wahlrecht hier; dabei behalten wir uns freie Hand vor, wie wir es gestalten wollen. Wenn das Bedürfnis nicht so gründlich zu⸗ tage tritt, so liegt das an ganz anderen Momenten, als der Minister sagte. Gerade das Umgekehrte ist richtig. Ein weiterer Widerstand auf diesem Gebiete wird nur eine Radikalisierung im Gefolge haben. Wir sind uns über die Basis, die ich gezeichnet habe, einig. Es ift mir unverständlich, wie der Abg. Frhr. von Zedlitz glauben kann, er nur allein habe den einzigen rechten nationalen Weg heraus⸗ gefunden. Was würde der Abg. von Zedlitz antworten auf die Frage, wer die wahrhaft Freikonservativen sind? Ich glaube, eine Antwort darauf wird ihm nicht so leicht fallen. Es ist wirklich schwer, die wahrhaft Freikonservatiwen herauszufinden. Es ist hier die Ansicht gusgesyrochen worden, daß mein Fraktionsfreund Dr. Röchling hier eine Meinungeverschiedenbeit gegenüber der nationalliberalen Reichstagsfraktion zum Ausdruck gebracht hat. Das ist nicht richtig. Die, Rede des Abg. Dr. Röchling lief nur darauf. hinaus, daß er die Abstimmung der Reichstagsfraktion billige und für recht halte Daraus folgt aber, daß diejenigen, die der nattonalliberalen Neichs tagsfraktion antinationale Beweggründe unterschieben, stark im Unrecht sind. Die Anschauungen, die mein Freund Dr. Röchling in seiner Rede dargelegt hat, sind vollkommen vereinbar mit dem Verhalten der nationalliberalen Reichstagsfraktion bei der Abstimmung über das sog. Mißtrauensvotum. Wenn uns hier antinationale Beweggründe unterschoben werden, so möchte ich mich auf einen Kronzeugen, auf den Mintsterpräsidenten selbst berufen. Er hat selbst festgestellt, daß bei der Abstimmung über das Votum nur ein äußeres Zusammengeben mit der Sozialdemokratie bestanden habe, daß aber eine innere Gemeinschaft mit ihr nicht besteht. Er sagt wörtlich: hier scheiden die Geister, hier ist die Sozialdemokratie isoliert, und sie wird es auch immer bleiben. Das Votum, über das im Reichstag abgestimmt wurde, spricht sich weder für noch gegen die Militärverwaltung auß. Es sitellt, nur fest, daß die handlung dieser ganzen Angelegenheit den Anschauungen Reichstags nicht entspricht, und das hat gerade der

g. Dr. Röchling in seiner Nede auf das schlagendste ausgeführt.

r Ministerpräsident bat im Herrenhause das schäne Wort geprägt,

ß der preußische Ministerpräsident den deutschen Reichskanzler nicht Tür steben laͤssen könne. Das gilt doch nicht nur im Herrenhause, sondern auch im Abgeordnesenhause. Ich vertraue darauf, daß der Ministerpräsident sich dafür immer einfetzen wird im Interesse des Neichs und im Jnteresse Preußens. Ein Wort des Ministerpräsidenten scheint mir aber nicht ganz unbedenklich, er sagte im Reichstag am 4. Dejember 1913, man würde in Elsaß⸗Lothringen nicht vorwärts kommen, wenn man nicht von dem fruchtlosen Streben ablasse, aus einem suddeutschen Reichs⸗ länder einen norddeutschen Preußen zu machen. Das will keiner tun. Wir wollen die Stammetßeigentümlichkeiten erhalten, die wir als einen großen Reichtum unscres Volkes ansehen, wir wollen die Per— sönlichteiten des Volkes sich möglichst ausleben lassen. Wenn wir in dieser Beziehung in den Reichslanden dem süddeutschen Charakter Achtung zollen, so müssen wir allerdings auch dieselbe Achtung vor uns beanspruchen. Ich betone mit Nachbruck, daß schon in der Aus— drucksweise in Süddeuischland dieser Achtung vor unserer Art nicht immer genügend Rechnung getragen wird. Sogar an maßgebenden Stellen, in manchen Landtagen, wird von unß so gesprochen, daß auch die Regierung ein Interesse hätte, dagegen aufzutreten. Die Stammeseigentümlichkeiten sollen erhalten bleiben, aber doch nicht so weit, als es nicht mit den gesamten vaterländischen Interessen des Reichs vereinbar ist. Wenn das Deutsche Reich nichts weiter als eine Weiterführung des Zollvereins wäre, nichts weiter als eine Gemeinschaft mit gleichem Maß und Gewicht und gleicher Münze, gleichen Prozeß und Zollvorschriften, dann hätte es nicht gelohnt, daß wir das Jahr 1870 durchkämpften und das Deutsche Reich mit dem Blute so zahlreicher Landeskinder düngten. Ich meine, daß das Deutsche Reich die Erfüllung eines deutschen Traumes, die Vereinigung der gesamten Kultur des deutschen Volkes ist und daß eine höhere Kultur sich entwickeln wird auf der Grund— lage der Kultur der einzelnen Stämme und etwas Neues durch die wechselseitige Durchdringung der einzelnen Stämme hervorbringen muß. Dabei kann Preuhzen nicht ausgeschaltet werden, die Hauptsache in der Leitung des Deutschen Reichs muß vielmehr darin bestehen, daß der segensreiche Einfluß der wechselseitigen Durchdringung der Stämme auch, von der preußischen Eigenart ausgeübt wird, daß diese Eigen⸗ art in das Wesen und den Charafter der anderen Stämme eindringt. Ich mache der konserpvativen Partei zum Vorwurf, daß sie sich allzu sehr auf den borussischen Standpunkt stellt und die Eigentümlichkeiten

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daß unsere süddeutschen Volksgenossen sich willig dem Einfluß, der don Preußen sich auf sie eisttecken muß, fügen. Das De utsche Reich ist nicht bloß äußerlich nur durch Preußen entstanden andern dadurch, daß auch die preußische staatterhalten? Besinnung maßgebend ist. Wenn es richtig ist, Staaten sich nur auf der Grundlage erhalten

auf der sie gegründet sind, jo muß dieser preußische Sinn

preußische Empfinden, das sich zwar manchmal hart und schroff, aber

doch klar und deutlich kundgibt, erhalten bleihen gegenüber der mehr

nachgiebigen, mehr äͤsthetischen, mehr kanstlerischen, mehr wissenschast.

lichen Eigenart unserer Stammesbrüder. Ich habe schon einmal ge.

sagt, preaßisches Eisen und,. deutsches Blut, das ist de richtige Mischung. Fürst Bülow hat sich in ähnlicher Weise ausgesprochen, wenn er meinte, daß die Kunst des Re

gierens immer darin bestehen müsse, die Harmonie zwischen deutschen und preußischem Geist aufrecht zu erhalten. Er sagte weiter, das geistige und politische Leben müßte mit preuỹi⸗ schem und. deutschem Geist durchdrungen sein, preußischer und deutscher Geist müßten miteingnder verwachsen. Die Gelegenheit, in der Richtung einen starfen Schritt vorwärts zu zun, ist da. Ich hoffe, daß auch der Reichskanzler sich dieser Auffasfung anschlicken wird, und daß er nicht glauben wird, es sei am besten, die elsäffijchen Allemannen sich selbst zu üͤberlassen und zu hoffen, daß sie sich fre willig uns zuneigen werden. Diese Hoffnung würde täͤuschen und

nur Disharmonie herhesführen. Qhne, die innerliche Verfshnung

werden wir nie zu befriedigenden Verhältnissen im Elsaß kommen

Daß sich die preußische Politik in die ser Richtung der Versöhnunz bewegen möge, das ist der beste Wunsch, den ich dem Deuischen Reich und dem deutschen Reichsland mitgeben kann.

Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler von Bethmann Hollweg:

Wenn ich an die letzten Worte des Herrn Vorredners anknüpfen kann, so sollte doch über meine Anschauung über den Beruf Preußens in Deutschland kein Zwelfel bestehen, nachdem ich am vorigen Sonnabend im Herrenhaus gesprochen habe. Ich habe dort ausgeführt, daß ich es nach wie vor für den zwingenden Beruf Preußens halte, die ganze Kraft des Staatsgedankens, den Preußen verkörpert, im Reich zum Ausdruck zu bringen, nicht nur im Reich, sondern selbstverständlich auch in den Reichslanden, von denen der Herr Vorredner gesprochen hat. Wenn ich im Reichstage gesagt babe, man solle nicht versuchen, aus dem süddeutschen Reichsländer einen norddeutschen Preußen zu machen, so habe ich dieses Wort lediglich mit Bezug auf solche Bestrebungen gesprochen, welche klagen, wenn in den Reichslanden nicht alles genau nach preußischem Muster ge⸗ schieht. Derartige Klagen sind in einem Teil der Presse im Parlament habe ich sie noch nicht gehört erhoben worden, und gegen solche Klagen wollte ich Front machen. Aber im übrigen, ich werde meinen Beruf fortdauernd darin sehen auch ich bin ein Preuße den preußischen Staatsgedanken zum Ausdruck zu bringen in den Geschäften des Reiches, in den Geschäften der ganzen deutschen Gesamtheit; denn wenn das nicht geschieht, dann ist alle Arbeit, die Preußen geleistet hat seit dem Anfange des vorigen Jahrhunderts für die demnächstige Einigung des Deutschen Reiches, vergeblich gewesen, und das soll sie nicht sein. (Sehr richtig! rechts.)

Ich bin zu meinem lebhaften Bedauern heute vormittag durch anderweitige dringende Dienstgeschäfte verhindert gewesen, an Ihren Beratungen teilzunehmen. So bin ich darauf angewiesen, hler zu sprechen lediglich auf Grund flüchtiger Berichte, die in den letzten Minuten haben erstattet werden können. Trotzdem glaube ich, daß ich auf gewisse Ausführungen, die hier mit Bezug auf meine vorgestrige Rede gemacht worden sind, mlt einer Antwort nicht zögern darf. Ich bitte nur im voraus um Ent schuldigung, wenn ich in der Auffassung dessen, was gesagt worden ss nicht gründlich habe unterrichtet werden können, wenn mir im emn— zelnen vielleicht Nuancen der Reden, die hier gehalten worden sind, entgehen. Meine Herren, mir ist berichtet worden, daß in den Aus— führungen des Herrn Abg. von Heydebrand sich der Zug gefunden habe, als sei es, als ich das letzte Mal über die Reichssteuern des vorigen Jahres hier sprach, mein Bestreben gewesen, die Verant wortung für diese Reichssteuergesetzgebung von mir abzuwälzen und die konservative Partei dafür verantwortlich zu machen. Es llegt nicht in meiner Art, die Verantwortung, die ich zu tragen habe sie ist ja reichlich groß auf irgendeinen anderen Menschen oder irgendeine andere Partei abzuschieben. Ich bin mir der Verant— wortung, die ich zu tragen habe, vollbewußt, und ich möchte den Wunsch aussprechen, daß auch diejenigen, die an meiner Politik Kritik üben zu müssen glauben kraft der ihnen selbst obliegenden Verantwortung, doch auch berücksichtigen möchten, daß die Ver— antwortung, die ich trage, nicht ein gan; leichtes Gewicht ist. Ob ein Schritt, den ich tue, richtig ist, das zeigt sich nicht heute, und das zeigt sich nicht morgen, sondern das zeigt sich in den meisten Fällen erst nach einem Jahrzehnt oder nach 20 Jahren. Sie können versichert sein, daß (s auch mich manche schlaflose Nacht kostet, wenn ich vor der schwerwiegenden Entscheidun stehe, mich zu fragen: tust du nun auch hier das, was deinem Volle dienlich sein wird? Aber das ist das einzige Programm, das ich mir setze; das ist der einzige Imperativ, der meine sämtlichen Handlungen dirigiert, und da möchte ich bitten, daß man bei einer solchen Situation es bezieht sich das nicht auf das, was nach den Be— richten, die ich bekommen habe, Herr von Heydebrand gesagt hat mit den Vorwürfen, die ja so billig sind wie Brombeeren, mit den Vorwürfen der Schwäche, der Passivität, des Schleifenlassens der Zügel am Boden doch etwas vorsichtiger sein möchte. Derartige Vorwürfe sind mir ja neulich vom Herrn Abg. Winckler reichlich ge macht worden. Es ist die geschickte Form, die etwas ungewöhnliche Form gewählt worden, Zeitungsartikel vorzulesen, Zeitungsartikel, die eine möglichst mißwollende Kritik meiner Politik enthielten. Derartigꝛ Vorwürfe sie liegen auf der Straße, sie können von jedem aufgesammelt werden sind nicht mir allein gemacht worden; sie sind auch dem größten Staatsmann gemacht worden, den Preußen und Deutschland je gehabt hat. Aber, ich möchte bitten, meine Herren, bevor solche Vorwürfe wiederholt werden, denken Sie daran, daß es Verantwortlichkeitsgefühl ist, was mich handeln läßt, und was mich an dieser Stelle hält, solange ich das Vertrauen meines Königlichen Herrn genieße. Wenn ich zu der Ueberzeugung komme, daß ich dem Staat keinen Dienst mehr leisten kann, dann werden Sie mich keinen Tag länger hier sehen.

(Fortseßung in der Zweilen Beilage)

Freund Graf von Westarp. Der hat früher gesagt: „Wir halten

der anderen Stämme ablehnt. Aber auf der anderen Seite verlange ich,

(Fortsetzung aus der Ersten Beilage)

Wodurch ist meine letzte Rede entstanden? Ich habe diese Reichsangelegenheit hier nicht aufs Tapet gebracht. Ich bin auch der Ansicht, man soll doch etwas vorsichtig sein, hier zuviel über Reichs⸗ angelegenheiten zu sprechen; sonst kommt man dazu, Menschen oder Parteien über ihre Haltung Vorwürfe zu machen, die nicht in der Lage sind, sie hier im Landtage selber zu vertreten. Ich komme darauf nachher noch zurück. Ich bin veranlaßt worden durch An- griffe, welche gegen mich gerichtet worden sind, und da war es meine Pflicht, ohne jeden polemischen Ton meinerseits wir leben in einer viel zu ernsten Zeit, als daß wir uns gegenseitig hier zanken sollten, wir haben Besseres zu tun (Sehr richtig!) geschichtlich darzustellen, wie die Situation von 1913 entstanden ist. Im Gegensatz zu Ausführungen, die, wie mir gesagt worden ist, der Herr Abg. von Heydebrand gemacht hat, muß ich daran festhalten, daß die lex Bassermann⸗Erzberger die verbündeten Regierungen zwang, ein allgemeines Besitzsteuergesetz vorzulegen, und diese Ver— pflichtung der verbündeten Regierungen ist nicht dadurch abgelöst worden, daß wir den einmaligen Wehrbeitrag gefordert haben. (Sehr richtig Es hat Menschen gegeben, die mir damals gesagt haben: Warum legst du denn ein Besitzsteuergesetz vor? Du willst ja den Besitz durch den Wehrbeitrag so stark fafsen; damit ist die Sache er⸗ ledigt! Ja, meine Herren, wenn wir uns auf den Standpunkt gestellt hätten, was wäre denn die Folge gewesen? Ich habe neulich ausgeführt, daß es schon vor der lex Bassermann⸗Erzberger die communis opinio gewesen ist, daß im Reich bei großen neuen Anforderungen der Besitz mitherangezogen werden müsse. Wenn ich nun bei der Deckung der laufenden Ausgaben für die Wehrvorlage den Besitz unberüchsichtigt gelassen hätte, dann wäre die Folge gewesen, meine Herren, daß mir vom Reichstage die Steuervorlage, die ich an Stelle der Besitzsteuervorlage gemacht hätte, abgelehnt worden wäre und eine Mehrheit des Reichstags mir eine Besitzstener präsentiert hätte; und dann trat der Zustand ein, den Sie vermieden wissen wollen und den auch ich vermieden wissen will, daß der Regierung die Führung der Sache aus der Hand genommen wird, daß sie nachher agieren soll auf Grund von Vorschlägen des Parlaments. Deshalb ist es meiner Ueberzeugung nach richtig gewesen, daß wir bei der Deckungs⸗ vorlage für die Wehrforderungen die Besitzstener mit vorgeschlagen haben.

Nun, meine Herren, auch das muß ich wiederholen wir haben ja keine große Auswahl an solchen Besitzsteuern gehabt. Ver—⸗ mögenssteuer fiel weg; Einkommensteuer fiel weg; es blieb eine Ordnung der Angelegenheit, wie wir sie in der Regierungsvorlage vorgeschlagen haben, oder die Erbschaftssteuer gegeben. Auch das muß ich wiederholen, ohne daß ich weltere Bemerkungen daran knüpfe.

Nun hat der Herr Abg. von Heydebrand weiter den Vorwurf aufrecht

alten, daß die Regierung ihre Vorlage schlecht vertreten hätte, und at bei der Gelegenheit auch Bemerkungen gemacht über das Ver⸗ alten des Reichsschatzsekretärs Kühn. Bei dieser Gelegenheit das ist der Punkt, auf den ich vorhin zielte möchte ich wieder be—⸗ merken, meine Herren, wie bedenklich es ist, solche Reichsangelegen⸗ heiten vor das Forum der Landtage zu ziehen ich bestreite ja nicht die Berechtigung an sich, aber wie bedenklich es ist. Hier werden nun Vorwürfe gegen einen sehr verdienten Beamten des Reiches erhoben ich möchte das unterstreichen —, gegen einen Reichsschatzsekretãär, der von grundsätzlicher Ueberzeugung aus sein Amt nach dem Gesichtspunkt führt: nur nicht wieder eine Deroute der Reichsfinanzen, wie wir sie früher gehabt haben! Der wird hier angegriffen, und er ist nicht in der Lage, hier zu erscheinen und sich zu verteidigen. Ich muß die Verteidigung für ihn über⸗ nehmen. Sehr gern tue ich es! Ich werde jede, der Beamten, die mit mir arbelten, die mir helfen, die mich stützen, immer verteidigen, wenn nicht Handlungen vorliegen, bei denen ich glaube: der Beamte muß überhaupt gänzlich fallen. Nun, meine Herren, ich kann es nicht zugeben, daß der Herr Reichsschatzsekretär Kühn die Sache schlecht ver— treten hätte. Ich babe Ihnen neulich auseinandergesetzt, daß wir ja kelnen sehr freundlichen Empfang gefunden haben, als wir mit der Regierungs⸗ vorlage an den Reichstag gekommen sind. Wir haben sie vertreten, solange wir konnten. Wenn ich den Vorwurf, daß wir von der Reichsregierung aus die Vorlage schlecht vertreten hätten, zurückgeben will, dann kann ich doch sagen: ja, die Parteien, die sich darüber beklagen auch das habe ich neulich schon angedeutet —, hätten schon von vornherein und dann durch alle Stadien der Sache hindurch der Regierung eine ganz andere Unterstützung geben müssen, als die konservative Partel es getan hat. (Sehr richtig h

Nun komme ich meinerseits in die unangenehme Situattlon, zu polemisieren gegen die Haltung der konservativen Partei im Reichs. tage, die ja durch einzelne Mitglieder hier vertreten ist, aber dle ich doch als Partei des Reichstags hier garnicht bezeichnen kann. Ich bin darum in dieser Beziehung sehr vorsichtig. Mir ist neulich, als ich sprach, ein Wort untergelaufen, das unrichtig gewesen ist, wie ich zugebe. Ich habe davon gesprochen, die konservative Partei hätte gesagt, die Reglerungsvorlage wäre unannehmbar gewesen. Das ist nicht richtig; das ist ein Wort, das mir in der Hitze des Gefechts entfallen ist. Im Gegenteil ich kenne ja die Vorgänge ganz genau —, die konservative Partei hat durch den Herrn Grafen don Westarp damals erklären lassen: die Regierungsvorlage ist durch⸗ aus eine geeignete Grundlage für unsere Mitarbeit. Nun ich ver— lange ja garnicht, daß, wenn die Regierung mit einer Vorlage an das Parlament tritt, nun eine Partei sagt: das ist wundervoll, was die Regierung hier bringt, das nehmen wir mit Pauken und Trompeten

Die Zeiten sind vorbei. Jede Partei, ob rechts, ob links, glaubt

capitis diminutio zu erfahren, wenn sie das für gut erklärt, was die Regierung bringt. (Heiterkeit, Uns wird immer vorgehalten, alles gänzlich umgearbeitet werden müsse, wenn etwas Gutes herauskommen solle. Ich bin ein wenig skeptisch darin, ob immer die Sachen sehr viel besser werden, wenn sie umgearbeitet werden.

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Zweite Beilage

Berlin, Freitag, den 16. Janna

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Reichsfinanzreform, auch nicht beim Wehrbeitrag. Also ich gestehe der Partei zu, daß sie mit einer gewissen Vorsicht an die Regierungs⸗ vorlage herangetreten ist. Ich habe aber doch den Eindruck, daß die konservatlve Partei taktisch bei den damaligen Verhandlungen den Moment verpaßt hat, wo sie mit ihren Bedenken gegen die Regierungs⸗ vorlage zurücktreten mußte. Als die Gefahr auftauchte, die Regierungẽ⸗ dorlage kommt nicht durch, da mußte sie stramm an die Seite der Regierung treten und sagen, sie werde mitarbeiten. Das ist nicht geschehen. Noch in den letzten Sitzungen der Kommission ich denke an Aeußerungen, die, wenn ich mich recht entsinne, der Abg. Oertel damals getan hat ist immer wieder hervorgehoben worden ich glaube, auch diesen Ausdruck hat er gebraucht, ich weiß es nicht genau, ich habe mich auf die heutige Verhandlung nicht vorbereiten können, ich habe auch kein Material hier, aber ich glaube, mein Gedächtnis täuscht mich nicht, wenn ich behaupte, Herr Oertel hat gesagt: Für uns wird der Angelpunkt immer der bleiben, ob das Sicherungkgesetz die Erbschaftssteuer enthalten wird. Ich habe schon neulich ausgeführt: damit konnten wir nicht weiter kommen. Und wie glauben Sie denn, daß eine Regierung starrköpfig auf ihren Vor— schlägen bestehen kann gegenüber dem ablehnenden Verhalten aller übrigen Parteien, wenn keine einzige Partei sagt: Jawohl, hier gehen wir mit der Regierung! Das haben die Konservativen nicht getan. Ich halte das für einen taktischn Fehler, den sie begangen haben. Ich will keine Vorwürfe daran knüpfen, die Sache ist ja eine historische. Wir sprechen uns jetzt nachträglich kritisch aus; ich wünsche den Kampf darüber nicht zu erneuern. Ich wiederhole: wir haben ernstere Dinge gegenwärtig zu erledigen.

Aber auf einen Vorwurf, den letzten, muß ich noch kommen. Da ist mir von Herrn v. Heydebrand der taktische Vorwurf gemacht worden: Warum hast du nicht aufgelöst nicht wahr, es stimmt? Suruf bei den Sozialdemokraten: Zum Teufel gejagt!) respektive mit der Auflösung gedroht; ich glaube, das bedeutet dasselbe.

Meine Herren, auch darüber lassen Sie mich ganz offen ein paar Worte sagen. Die Wehrvorlage und die Deckungsvorlage waren ein viel zu ernster nationaler Gegenstand, als daß ich ihn taktisch hätte behandeln können unter dem Gesichtspunkt: ergibt sich hier nicht eine günstige Gelegenheit, durch eine Auflösung des Reichstags zu einem Reichstag zu kommen, der mir angenehmer ist? Dafür war die nationale Bedeutung der Angelegenheit zu stark. Bravo! links und im Zentrum.) In welchem Moment sollte ich auflösen? Nach den Aeußerungen des Herrn Abg. v. Heydebrand, glaube ich, in dem Moment, als sich ergab, daß wit die Regierungsborlage zur Deckung nicht durchbringen konnten. Wie lag die Sache damals? Dle Annahme der Wehr⸗ vorlage war gesichert. Zweifelhaft waren nur noch die drei Kavallerie⸗ regimenter. Die waren doch aber schließlich nicht eine Sache, derent wegen der Reichstag hätte aufgelöst werden können. (Sehr richtig!) Gesichert war der Wehrbeitrag. Diese große Ausgabe, die wir dem Volk zugemutet hatten. Gesichert waren auch die übrigen Steuern. Glauben Sie denn, daß es Verständnis im deutschen Volke, beim Wähler gefunden hätte, wenn ich gesagt hätte: nun einigen wir uns nicht über die 80 Millionen oder wieviel es gewesen sind; alles andere ist gesichert, die Soldaten und das andere Geld ist sicher, aber über den Rest kommt nach dem Willen der Regierung keine Einigung zustande, jetzt löse ich auf. Ich glaube, das wäre ein grober taktischer Fehler gewesen. (Sehr richtig! links und im Zentrum.) Gewiß, auch von der linken Seite ist der Beifall ein sehr lauter; ich begrelfe ihn auch vollkommen. (Große Heiterkeit.) Die Herren ganz links hätten ja bei der Auflösung ganz miserable Geschäfte ge⸗ macht, das ist ganz unzweifelhaft. (Große Heiterkeit) Aber ausschlag— gebend ist die taktische Situation fär mich nicht gewesen, sondern lediglich die nationale Situation. Wenn wir in dem Moment das ist also im Juni gewesen aufgelöst hätten, so stand fest, daß die Wehrvorlage am 1. Oktober vorigen Jahres nicht durchgeführt werden konnte (sehr richtig! links), daß zum mindesten ein halbes, wenn nicht ein ganzes Jahr verloren gewesen wäre. Herr von Heyde⸗ brand schüttelt den Kopf. Auch diese Seite der habe ich mir überlegt; denn die Verantwortung, die ich übernommen habe mit der Annahme der Vermögenszuwachssteuer ist mir absolut klar bis in alle ihre einzelnen Wirkungen hinein. Aber auf Grund der Erörterungen, die ich mit den militärtschen Stellen gepflogen habe, war das Ergebnis, daß die Wehrvorlage rechtzeitig nicht durchgesetzt werden konnte, ein vollkommen sicheres im Falle der Auflösung. Dazu habe ich mich nicht bereit finden können. Wenn sich das deutsche Volk ermannt hatte zu dem Beschluß, diese große Armeevermehrung vorzunehmen, diese enormen Gelder dafür zu be⸗ willigen, so konnte ich um dieser Frage willen nicht sagen: diese Armeebermehrung, die nach meiner Ueberzeugung eine nationale Not— wendigkeit für unsere Sicherheit ist, schiebe ich auch nur um 8 Tage länger auf, als notwendig ist. (Sehr richtig! links.) Das ist der Grund gewesen, weshalb ich so gehandelt habe.

Ich will diesen Ausführungen weiteres nicht hinzusetzen. Es hat mir lediglich daran gelegen, auch die Herren auf der Rechten davon zu überzeugen irren kann jeder Mensch —: daß es lediglich das Ge⸗ fühl der Pflicht gewesen ist, das mich in allen diesen einzelnen Schritten geleitet hat und ich möchte bitten, daß das auch von Ihrer Seite anerkannt wird —, und daß die schweren Lasten, die der einzelne Staatsbürger zu tragen hat mlt den neuen Steuern, nicht erschwert werden dadurch, daß Sie mir Vorwürfe machen: er war ein schlapper Staatsmann, er hätte es ja anders haben können, dann brauchtet Ihr nicht sobiel zu zahlen, ebensowenig wie ich Ihnen nicht den Vorwurf machen mag. (Unruhe und Widerspruch bei den Konservatlven) Ja, meine Herren, ich will nicht scharf werden. Ich habe nicht gesagt, daß Sle es getan haben; ich habe gesagt: ich will es nicht dahin darstellen, alg ob Ste mir diesen Vorwurf machten, ebensowenig wie ich durch meine neulichen Ausführungen nun etwa dem Volke draußen habe sagen wollen: die schlechten Konservativen sind es, die Euch zu dieser Steuer verholfen haben. Das sällt mir

8 (6 * Sache

um Deutschen Reichsanzeiget und Königlich Prenßischen Staatsanzeiger.

Meine Herren, Sie haben ich glaube Herr v. Heydebrand hat das hervorgehoben ebenso wie ich an einer schweren Verantwortung zu tragen, einer schweren Verantwortung, die ich genau so gut anerkenne, wie ich bitte, daß Sie meine Verantwortung anerkennen, und ich glaube, wenn wir in meinem Verhältnis zur konservativen Partel oder zu jeder anderen Partet, die hier im Hause ist (3urufe von den Sozialdemokraten: Auch zu uns?) Zu den Herren auf der äußersten Linken habe ich ja noch keine Beziehungen angeknüpft; (Heiterkeit) ich weiß nicht, wie die Herren sich mir gegenüber stellen werden, ich nehme sie aus. Aber, meine Herren, wenn wir in dem Verhalten der einzelnen Parteien zur Regierung uns immer dessen bewußt bleiben, daß wir beiderseitig lediglich im Verantwortungs— gefühl das Beste des Landes zu fördern versuchen, dann werden wir auch bei den heftigsten sachlichen Differenzen nie zu Zuständen kommen, die in den gegenwärtigen ernsten Tagen und Zeiten das Vaterland gefährden können. (Bravo! links, im Zentrum und bei den Freikonservativen.)

. Ahg. Dr. von Woyna (freikons : Der Mlinlsterpräsident hat keinen Vorwurf gegen das hohe Haus erhoben, daß es schuld daran fei, daß das Volk die hohen Steuern zu tragen habe. Der Fall Zabern ist ausführlich erörtert worden, aber den eigentlichen Schuldigen hat noch niemand genannt: das ist die Presse, und zwar leider der größte Teil der deutschen Presse. Leider ist die Zahl der sogenannten an⸗ ständigen Blätter gering. Was diese Presse an Mangel an nationalem Instinkt, an Mangek an juristische Würdigung des in Frage tommenden Verhälinisses, an Mangel an politischem Scharfsinn gezeigt hat, ist in der Welt noch nicht dagewesen. Hoffentlich führt die Haltung der nationalen Presse bei dieser schweren Prüfung durch den Fall Zabern dahin, daß unser Volk ver— langt, daß eine würdigere Haltung gegenüber dem Auslande gezeigt wird. Die Nationalliberalen werden große Schwierigkeiten haben, die Einwände gegen Abg. Schiffer hak

ihre Wahlrechtsordnung zu widerlegen. Der

dle Rede des Grafen Vorck von Wartenburg im

Herrenhause als Ausdruck dieser ganzen hohen Körperschaft hingeflellt, Gegenüber der Gesamtheit des Herrenbauses ist dies keine gerechte Be— merkung. Ich möchte von dieser Stelle aus erklären, daß wir diese Ausführungen des Abg. Schiffer nscht billigen können— Preußen muß die unbedingte Führung in Deutschland haben. Wir stehen Un einer schweren wirtschaftlichen Krisis, die noch nicht überwunden sst.

Der Baumankt liegt darnieder. Die ganze Entwicklung einer Reihe von Großunternehmungen ist gehemmt. Woran liegt das nun? Ez liegt einmal an der schwierigen internationalen Entwicklung, die augenblicklich herrscht. Dann aber auch zweifellos an der Diekont— politik. Deshalb bitte ich den Minister für Handel und Gewerbe und auch den Finanzminister, ihren ganzen Einfluß dahin geltend zu machen, daß die großen Vertretungen von Handel und Industrie und der Landwirtschaft im Lande in die Lage versetzt werden, einen gewissen Einfluß auf die für unser ganzes Wirtschaftsleben. so wichtige Diskontpolitik auszuüben. Was die Kaltindustrie anbelangt, fo möchte ich bemerken, daß sie nicht deswegen gegen eine neue reichegesetzliche Regelung der Kalifrage ist, weil sie befürchtet, daß sie durch eine besönder? Abgabe zu den Reichslasten herangezogen werden könnte, sondern deshalb, weil sie sich mit einigen? Pe ßnahmen, die die Reglerung durch das neue Gesetz einzuführen beabsichtigt, nicht einverstanden er— lären kann. Die Rede des Abg. De. Röchling war eine außer— ordentlich sympathische gewesen, aber man konnte doch aus ihr ent— nehmen, daß in der nationalliberalen Partei zweifellos verschiedene Strömungen vorhanden sind. Der Abg. Kirsch hat ausgeführt, daß die Sozialdemokraten vor Gericht anders behandelt werden, als die Angehötigen anderer Parteien. Das ist absolut unrichtig, und ich muß dagegen entschieden Einspruch erheben.

Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.): Die Rede des Abg. bon Heydebrand war eine Enttäuschung. So hoch sie rethorsfch stehen mochte, in der Tendenz hat sie enktäuscht. Man! hat kräftige Töne von dem Abg. von Heydebrand erwartet und durfte sie er warten. Es klang aus der Rede des Abg. von Heydebrand so, als ob er zu dem Ministeipräsidenten sagen wollte: Kehre zurück, es soll Dir alles vergeben sein! Aber zu einem vollen Frieden ist es doch nicht gekommen. Der Ministerpräsicent hat soeben sein Ver antwortlichkeitsgefühl' beteuert und zugleich auf die Schwere der Situation verwiesen, in der er sich befand. Was Recht ist, muß Recht bleiben. In dieser finanzpolitischen Auseinandersetzungz mit dem Abg. von Heydebrand hat der Ministerpräsident recht und nicht der Abg. von Heydebrand. Der Führer der konservativen Partei im Reichstage, Graf Westarp, bat unsere Behauptung nicht entkräͤften können, daß die konserpative Partei bei der Beckung der Militärvorlage, also einer großen nationalen Aufgabe, versagt hat. Der Abg. von Heydebrand meint, seine Partei wäre bereit gewesen, auf der Grun lage der Regierungsvorlage weiter zu verhandeln. Es ist aber schon durch den Ministerpräsidenten nachgewiesen auf Grund einer Aeußerung des Grafen Westanp, daß die konservative Partei gerade das Herz und Kernstück der Re ? borlage, nämlich die Besteuerung des Kindeserbes, ausscheiden wollte. Wir geben zu, daß auch der Vermögenszuwachesteuer einige Mängel an⸗ haften. Aber der überwiegende Vorzug bestebt doch darin, daß ssie die Lasten auf die starken Schultern des Besitzes gelegt hat. Es ist recht und billig, daß der Besitz, den der Staat schützt, auch zu den Kosten herangezogen wird, die der Schutz des Besitzes verursacht. Gewiß, auch die Belastung des Besitzes hat ihre Grenzen, und diese Grenzen werden auch von Uns nicht überschritten werden. Die Konser⸗ vativen behaupten nun, daß die finanzielle Selbstständigkein Preußens und der Bundesstagten bedroht sei. Das sagen Sie Cu den Konser— vativen), wo wir einen Etat in Preußen haben, der geradezu das Bild strotzender Gesundheit zeigt. Wir steben einem Etat gegenüber ohne Anleihe, und wir werden in Zukanft noch viel höhere Ueberschüũsse haben, well die Steigerung der Eisenbahneinnahmen aus dem Güter— und Personenverkehr tatsächlich trotz des beginnenden Rückganges noch immer viel größer sein wird, als veranschlagt ist. Die Konserpativei behaupten, eine Verschiebung unserer staatsrechtlichen Verhältnisse soll jetzt eingetreten sein. Das sind diese echt preußischen Leute, gegen die schon Kaiser Wilhelm J. am Anfang der 66er Jahre sich gewehrt hat. Damals bildete sich Preußenverein, aber Kaiser Wilhelm hat damals gesagt: ich kenne keinen Preußenverein, ich kenne nur ein preußtsches Volk. Jetzt erleben wir einen Rückfall in diesen alten preußischen Parti- kularismus, und dies alles nach dem Jubeljahr von 1913. Sie seiern Bismarck, aber Sie begreifen ihn nicht immer. Warum ist denn Fürst Bismarck ein Großer in der Geschichte geworden? Nicht desdalb, weil er Preußen in seiner Sonderstellung beließ, sondern weil er, unterstützt von den Besten der Nation, das Deutsche Reich geschaffen hat. Pie Liberalen haben ihn dabei unterstützt. Und die Liberalen sind sich treu geblieben auch heute nech. Wir schützen unserem Pre— gramm gemäß die bundesstaatlichen Grundlagen, aber wir wollen auch den Ausbau des Reiches fördern. Wir wollen Preußens Anseben in der

. 53 ndigtert

Welt heben und vermehren, indem wir es von dem Ruf der Rückst

aierungas; gierung

Ich will nicht an einzelne Beispiele anknüpfen, auch nicht bei der

nicht ein.

befreien, in welchen es durch die Herrschaft elner Klasse geraten ist.