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den Abgeordneten mitgeteilten Selbstmordfälle infolge angeblicher Mißhandlungen babe ergeben, daß von 40 Fällen bloß einer auf Mißhandlung zurückzuführen sei. In Beantwortung einer Jnter⸗
pellation, betreffend die Zugebörigkeit von Kadetten und Offisieren der
Reserve zu studentischen Korporationen, die prinzipiell Juden die Satis faktion verweigern, betonte der Minister, daß die grundsätzliche Verweigerung der Genugtuung gegenüber Angebörigen juͤdischer Kon⸗ fession den in der Armee herrschenden Ehrbegriffen widerspreche. Oer Offizier habe sich den Angehörigen jeder Nationalität und jeder Kon⸗ fession gegenüber ganz gleich zu verhalten. Auf den Beitritt der Reserveoffiziere und Kadetten zu politischen Vereinen könne die Keiegs⸗ verwaltung keinen Einfluß nehmen, da der Beitritt weder dem Militär⸗ reglement, noch den Gesetzen widerspreche.
Die nächste Sitzung findet im Falle der Erledigung des Budgetprovisoriums im Budgetausschuß am Donnerstag statt. — Die deutsch⸗tschechische Ausgleichs konferenz ist gestern durch besondere Besprechung des Ministerpräsidenten mit den Vertretern der tschechischen Landesparteien und mit den. Vertretern des Verbandes der deutsch⸗böhmi⸗ schen Abgeordneten wieder aufgenommen worden. Der Ministerpräsident erläuterte, obiger Quelle zufolge, die Absichten der Regierung und übergab den Konferenz— teilnehmern die vorbereiteten Regierungsvorlagen, stellte die noch erforderlichen Ergänzungen in Aussicht und fügte hinzu, daß er sich vorbehalte, den Minister des Innern Frei⸗ herrn von Heinold und den Statthalter von Böhmen, den Fürsten Thun, zu weiteren Verhandlungen einzuladen. Die Konferenzteilnehmer erklärten, daß sie nach Prüfung der Regierungsvorlagen ihre Stellungnahme in der nächsten Kon⸗ ferenz bekannt geben wollen.
— In der gestrigen Sitzung des ungarischen Abge⸗ ordnetenhauses kam es bei der Spezialberatung über den Preßreformentwurf zwischen dem Präsidenten und den Oppositionellen, die der Geschäftsordnung mehrfach Widerstand entgegensetzten, zu heftigen Auseinandersetzungen. Zahlreiche Oppositionelle wurden zur Ordnung gerufen. Ueber den Ver⸗ lauf der Sitzung berichtet „W. T. B.“, wie folgt:
Während der Spezialdebatte verlangte Graf In ltus Andrassy das Wort zur Hausordnung. Der Ministerpräsident Graf Tisza befragte das Haus, ob es den Grafen Andrassy hören wolle. Die Mehrheit lehnte es ab, diese Erlaubnis zu erteilen. Graf Andrassy betonte demgegenüber, daß ihm gemäß der alten Hausordnung das Recht zustehe, unabhängig von der Erlaubnis des Hauses zur Haus— ordnung zu sprechen. Mehrere Oppositionelle schrieen unausgesetzt: Höret Andrassy! Der Lärm wuchs von Minute zu Minute. Da die Verhandlungen wegen der ständigen Ruhestörungen nicht fortgesetzt werden konnten, war der Präsident ge— nötigt, sechs oppositionelle Abgeordnete durch die Parlaments. wache aus dem Sitzungssaal entfernen zu lassen. Graf Andrassy widersetzte sich erneut den Anordnungen des Präsidenten und begann zu reden. Inmitten großen Lärms schloß der Präsident die Debatte über den Paragraphen 1 des Preßgeśrtzes, der darauf von der Mehrheit angenommen wurde. Graf Andrassy wurde, da er fortfuhr zu sprechen, an den Immunitätsausschuß verwiesen, und die gesamte Rechte erhob sich für diesen Antrag des Präsidenten. Graf Andrassy setzte trotzdem seine Rede fort. (Großer Lärm.) Zahl⸗ reiche Abgeordnete, darunter Graf Albert Apponyi, wurden zu Ord— nung gerufen. Der Schriftführer verlas darauf den Paragraphen 2 der Vorlage. Der Peäsident erteilte dem oppositionellen Abgeord⸗ neten Geza Polonvi das Wort. In dem herrschenden Lärm sprachen Polonyi und Andrassy zu gleicher Zeit. Der Präsident suspendierte hierauf die Sitzung. Die Rechte verließ den Saal. Nach einer Pause von 10 Minuten erschien die Parlamentswache und forderte die Abgg. Graf Andrassy, Graf Batthyany und Stefan Haller auf, sich aus dem Saale zu entfernen. Diese letzteren leisteten der Aufforderung Folge und verließen, von je zwei Gardisten begleitet, den Saal und das Gebäude. Nach der Wiedereröffnung der Sitzung erklärte Graf Albert Apponyi, daß die Opposition nunmehr der neuen Hausordnung, da der Pröäsident sie willkärlich handhabe, entschie denen Widerstand entgegensetzen werde. Hierauf erhob sich Graf Aladar Zichy und versuchte zu sprechen, trotzdem ihm nicht das Wort erteilt worden war. Zvischen ihm und dem Präsidenten entstanden unter großem Lärm heftige Auseinandersetzungen, weil Zichy darauf beharrte, zu sprechen. Die Sitzung wurde aufs neue suspendiert und wieder erschien die Parlamentswache. Der Saaltommissar forderte die Abag. Grafen Zichy und Johann Ju sth auf, das Haus zu verlassen. Beide entfernten sich, worauf die Wache abzog. Nach Wiederaufnahme der Sitzung wurde die Verfügung des Präsidenten mit 154 gegen 60 Stimmen genehmigt und die Abgg. Zichy und Justh wurden dem Immunltätsausschuß überwiesen. Darauf erhob Graf Albeit Apponyi Einspruch gegen das Vorgehen der Mehrheit, die es der Opposition unmöglich mache, an den Beratungen teilzunehmen. Ugter seiner Führung verließ hierauf die g samte Opposition den Sttzungssaal. Der Präsident erklärte, daß der Einspruch des Abg. Apponyi, der sich gegen die Beschlüsse des Hauses richte, null
und nichtig sei.
Das Haus setzte sodann in Abwesenheit der Opposition die Spezialdebatte über die Preßvorlage fort, die bis zum 8 17 angenommen wurde.
Frankreich.
Der griechische Ministerpräsident Venizelos ist heute früh aus London in Paris eingetroffen.
Die Minister des Krieges, der Marine und der Finanzen haben in der gestrigen Kammersitzung den bereits an⸗ gekündigten Gesetzentwurf, betreffend die Eröffnung der Kredite für die nationale Verteidigung, eingebracht. Wie „W. T. B.“ meldet, betragen diese Kredite 7541. Millionen für das Heer und 1351 Millionen Francs für die Kriegsflotte und sind zum großen Teil für die Ver—⸗ besserung des Kriegsmaterials und namentlich der Festungs⸗ artillerie, für Uebungszwecke, Eisenbahnen, das Flugwesen, die Intendantur und den Sanitätsdienst bestimmt. Eine be— sondere Bestimmung des Gesetzentwurfs gestattet die Kiellegung von drei Aufklärungsschiffen im Jahre 1914 sowie eine Aus—⸗ gabe von 30 000 000 Fr. für das Marine⸗Flugwesen. Die Gesamtausgaben von 890 Millionen, von denen bereits unter dem vorhergegangenen Ministerium 250 Millionen ihrem Zweck zugeführt worden sind, werden nicht in das ordentliche Budget, sondern in besonderer Rechnung eingestellt werden.
Die Kammer nahm gestern die Erörterung der Uenza— Interpellationen wieder auf.
Der Sozialist Bedouce warf obiger Quelle zufolge dem Generalgouvernement von Algerien vor, systematisch dem Parlament einen Teil der Wahrheit über die Uenza⸗Angelegenheit vorenthalten zu haben. Bedouce bestand darauf, daß es für Algerien notwendig sei, ständig Hert seiner Eisenbahnen zu bleiben, und verlangte soziale Garantien für die Arbeiter. Der frühere Minister für öffentliche Arbeiten Thierry unterbrach ibn und bemerkte, daß sich im Anhang zur Konvention solche Garantien finden. Bedouce drückte die Befürchtung aus, daß man Algerien selbst nicht genug Eisenerze gelassen habe, um sie an Ort und Stelle zu verarbeiten und daraus das beste Gußeisen und den feinsten Stahl herzu— stellen. Der Abg Jaures sprach über die deutschen, in Uenza interessierten Minenbesitzer. In diesem Zusammenhang erklärte er, er sei gegen Deutschland nicht voreingenommen; man habe ihm ost das Gegentell vorgeworfen. Er sei davon überzeugt, daß ein dauer—
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bafter Frieden zwischen Deutschland und Frankreich notwendig sei, der vorbereitet werden müsse durch ein Zusammenarbelten der beiden Völker. In Uen a aber kandelte es sich um eine Beiriebeführung, die bis zum Monopol ginge. Es lasse sich garnicht absehen, welche Zwischenfälle sich ereignen würden, wenn Frankreich eines Tages in
einer Zeit der Not erfahren würde, daß Deutschland an erster Stelle
von den M enen in Uenza bedient würde. Alle großen Nattonen dächten daran, sich den Besitz von Eisenbahnen, Kohle und Petroleum und selbst von radiumhaltigen Gebieten zu sichern. Zu einer Zeit, in der die Ausgaben für Kriegszwecke wüchsen, nähmen auch die segensreichen
Ausgaben für Werke des Friedens zu. (In diesem Augenblicke betrat der Progressist Pierre Leroi-Beaulieu den Sitzungsaal und warf
ziemlich lebhaft einen Satz hin, in dem er seinem Mißvergnügen, Jaurèsz auf der Tribüne zu sehen, Ausdruck gab. Jiefen einstimmigen Protest hervor, und in der ganzen Kammer erscholl
Beifall, als Jaunes erklärte, er kehre sich nicht an Unflätigkeiten. Der Präsident Deschanel erklärte, der amtliche Bericht würde diese
Unterbrechung nicht veröffentlichen. Zum Schluß beschwor
Jaurès die Regierung, Uenza nicht ungewissen oder zweifelhaften
Gruppterungen auszuliefern. Der Minister Fernand David be— stärigte das aufrichtige Zusammenarbeiten des Generalgouverneurs
von Algier Jonnart mit dem Ministerium. Dann erinnerte der
Minister an die ernsten Unannehmlichkeiten, zu denen die erste Kon— vention der Anlaß war, besonders wegen der Beschlagnahme der Eisenbahnen.
Algerien die Herischaft über seine Eisenbahnen sich⸗re, und erklärte dann, Algerien habe daran denken müssen, seinen Erzen Äbsatz zu ver— schaffen. Hierin liege der Grund, daß 31 0½ des Geschäfts in den Händen von Metallindustriellen seien und 36 0½ in den Händen von Geldleuten. Das französische Interesse sei gewahrt, da ja 67 0/0 des Kapitals rein französiicher Besitz, 33 0 o in auslaändischem Besitz seien. Aber diese ausländischen Gesellschaften hätten noch französische Teil⸗ haber, was den Anteil des fremden Kapitals vermindere. Der Minister schloß mit der Bitte, sich zu einer friedlichen und gerechten Lösung der Frage zu vereinigen.
— Im Senat beantwortete gestern der Unterstaatssekretär im Kriegsministerium Maginot eine Anfrage des Senators D'Estournelles de Constant nach dem Zustande der für die Durchführung des Dreijahresgesetzes vorgesehenen Kasernen laut Meldung des „W. T. B.“, wie folgt:
Die Lage sei nicht derartig, daß sie Besorgnisse hervorrufen müßte. Zweifellos hätten die Soldaten nicht alle wünschenswerte Bequemlschkeit, aber es sei unmöglich, mehr zu tun, wegen der be— trächtlichen Vermehrung der Effettivstreitkräfte und der ungünstigen Witterungsverhaäͤltnisse. Maginot beschrieb sodann den Zustand der Kasernen und veisicherte, die Gesundheit der Leute werde nicht ge— fährdet. Moral und Gefundhelt der Truppen seien ausgezeichnet.
Im weiteren Verlauf der Sitzung brachte der Senator Reymond eine Interpellation über die militärische Luft⸗ schiffahrt ein.
Der Interpellant verglich die Zahl und Stärke der deutschen und der französischen Lustschiffe und stellte fest, daß die deutschen Luft- schiffe eine sehr starke Kriegswaffe darstellten. Er kritisierte sodann die Langsamkeit der Ausführung des franiösischen Bauprogramms für Luftschiffe und unterzon die Fragen der Ballonhülle und des Wasserstoffes einer technischen Prüfung. Er wies darauf hin, daß es in Frankreich keine staatliche Wasserstoffabrik gebe; eine Fabrik sei die Filiale einer deutschen Fabrik. Frank reich stehe Deutschland nach in der Zahl und der Einrichtung der Man hätte das
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nichtung der Laftschiffe zu geben. Der Redner machte auf die unge— nügende Anzabl von Fliegeroffizieren aufmerksam.
minister Noulens warf ein, daß alle Waffengattungen im Jahre 1913 ihre Offiziere notwendig gehabt hätten wegen des Dreijahrs esetzes. Der Minister fügte hinzu, daß
33 Gesuche von Offizieren zur Aufnahme in die Fliegertruppe im März angenommen werden würden. Reymond bemängelte die Art der Ergänzung der Fliegeroffiziere und beklagte sich über gewisse Korpskommandanten, die ihren Untergebenen abrieten, sich in die Fliegertruppe aufnehmen zu lassen. Der Redner bemängelte ferner, daß die höheren Offiziere (1s Besehlshaber von Flugzeuafuhrern teil⸗ weise versagten. Man müßte die Flieger von der Verpflichtung ent⸗ binden, eine bestimmte Zeit bei der Truppe abzudienen, um zu einem höheren Grade befördert werden zu können. Die Sitzung wurde darauf geschlossen.
Rußland.
Gestern fand in St. Petersburg im Beisein des Kaisers, der Großfürsten und sämtlicher Minister ein von den Semstwos veranstalteter Rout statt. Der Präsident des St. Petersburger Semstwos dankte dem Kaiser für das hohe Glück seines Be— suches und versicherte, die Semstwomitglieder würden eingedenk der gnädigen Kaiserworte im Winterpalais über die Bedürfnisse des Landes zu ihrer Tätigkeit mit erneuten Kräftest zurück kehren. Er bitte den Kaiser, Salz und Brot entgegenzunehmen. Der Kaiser dankte für den herzlichen Empfang und sprach seine Genugtuung darüber aus, in der Hauptstadt einen großen Teil der Semstwomitglieder versammelt zu sehen. Er wünsche den Semstwos fruchtbare Tätigkeit.
— Der Reichsrat begann gestern mit der Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Bekämpfung der Trunksucht.
Wie „W. T. B.“ meldet, legte Graf Witte in langer Rede dar, seine Nachfolger im Amt als Finanzmmister hätten sein Werk, das Branntweinmonopal, das die Unterdrückung der Trunksucht er— zirlen sollte, entstellt. Das Volk bezahle für den Monopolschnaps über eine Milliarde, während für Voltsaufklärung nur 160 Millionen verausgabt würden. In zehn Jahren seien die Monopoleinnahmen
um eine halbe Milliarde gestießgen. Es sei nicht zu ver— wundern, daß dadurch ein großer Barbestand gebildet worden sei. Doch das Mittel, durch welches dieser vornehmlich für die Landesverteidigung bestimmte Barbestand erzielt worden sei, sei anormal. Ez wäre besser, die Monopoleinnahmen zu fixieren und die Ueberschüsse zur Bekämpfung des Volks
üubels zu verwenden. Mittel zur Landesverteidigung müßten bereit gehalten werden, sie dürften aber nicht durch Förderung der Volks—⸗ schwäche gesammelt, sondern müßten durch neue Anleihen und Steuern beschafft werden. Der Ministerptäsident Kokowtzow erwiderte, die Ziele des Grafen Witte seien nicht vergessen und würden wie früher gefördert. Der Schnapskonsum auf den Kopf sei in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen. Die Einkünfte des Monopols seien nicht nur durch Erhöhung des Alkoholabsatzes, sondern auch durch Preiserhöhung des Branntweins und durch Herabsetzung der Exploitationsausgaben infolge technischer Vervollkommnungen erreicht worden. Die Maß⸗ nahmen zur Bekämpfung der Trunksucht würden ebenso energisch fort⸗ geführt wie zu Wittes Zeiten, und eine dieser Maßnahmen bilde der vorliegende Gesetzentwurf.
Serbien.
Der Kronprinz Alexander und der Ministerpräsident Paschitsch sind gestern nach St. Petersburg abgereist, um der Taufe des Sohnes der Prinzessin Helene, der Tochter des Königs Peter, beizuwohnen. Während der Abwesenheit von Paschitsch übernimmt der Finanzminister Patschu interimistisch das Ministerium des Auswärtigen.
Seine Worte
Der Redner verglich die erste Konvention mit der kürzlich unterzeichneten, deren Vorteile er besonders hervorhob, da sie
Albanien.
Ueber die Ursachen der Demission des Präsidenten der vorläufigen Regierung Ismail Kemal wird dem Ver— treter des „Wiener K. K. Telegraphen⸗Korrespondenz⸗Bureaus“ von maßgebender Seite mitgeteilt:
Angefichis der seit geraumer Zeit schwierigen Lage Albaniens schlug Ismail Kemal vor etwa zwei Wochen der Kontrollkommission vor, die Ankunft des Fürsten von Albanien möglichst zu beschleunigen, oder daß der Fürst, falls er den Moment der Thronbesteigung nicht gekommen erachte, seinen bevollmächtigten Kommissar entsende, oder daß die Großmächte die Kontrollkommission als ihre Reprä⸗ sentantin ermächtigen, bis zur Ankunft des ürsten die Regierung zu übernehmen. Auf Grund des Einverständnisses der Groß— mächte erhielt die Kontrollkommission die Vollmacht, die Regierung interimistisch zu übernehmen und jeilte dies den Mitgliedern der vor⸗ läufigen Regierung mit. Daraufhin erklärte Ismail Kemal, er sei gleiche' Sinnes mit den übrigen Mitgliedern der Regierung, wenn er erkläre, im diesem Vorgang das Heil des Landes zu erblicken. Er danke den Großmächten, daß sie neuerlich den Beweis geliefert hätten, wie sehr ihnen das Wohl des neuen Staats am Herzen liege. Die Kontrollkommission ernannte hierauf FeviBei zum Regierungs— direktor für das gesamte der Regierung von Valona unterstehende Gebiet. Die bisherigen Regierungsmitglieder, ausgenommen Je mail Kemol, dessen Funktionen die Kontrollkommission übernimmt, wurden mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die ihr Gesamtiücktritt herbei— führen würde, ersucht, die Leitung ihrer Ressorts weiterhin beizube⸗ halten, wozu sie sich bereit erklärten.
Der zurückgetretene Präsident Ismail Kemal Bei, hat an den österreichisch- ungarischen Minister des Aeußern Grafen Berchtold, wie „W. T. B.“ meldet, folgendes Telegramm gerichtet:
In dem Augenblick, wo ich die Regierungsgewalt, die mir die Vertreter des albanischen Volkes anvertraut haben, in die Hände der Vertreter der Großmächte zurücklege, erachte ich es für meine Pflicht, Eurer Exzellenz und der Kaiserlich⸗ König lichen Regierung meinen aufrichtigen Dank auszusprechen, daß Sie die Güte hatten, meiner Bitte zu willfahren, die internationale Kommission mit der Leitung der Regierungsgeschäfte von ganz Albanten zu betrauen, worin das einzige Mittel liegt, die Einheitlichkeit der Regierung zu verwirtlichen, ohne die die Ordnung nicht hergestellt werden konnte. Ich benutze die Gelegenheit, um den Dank aller meiner Landsleute für das Wohlwollen zu erneuern, mit dem Eure Exjellenz Albanten während seiner Konstituierung unaus⸗ gesetzt überhäuft haben sowie meine volle Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen für all das Gute, dessen ich persönlich in den vierzehn Monaten, während welcher ich die Verwaltung des Landes innehatte, teilhaftig geworden bin. Ich bitte Eure Exzellenz nochmals, diesem tapferen, unglücklichen Volke beistehen und seine von seinen Feinden so wenig geachteten Rechte verteidigen zu wollen.
(gez) Der gewesene Präsident der vorläufigen albanischen Re⸗ gierung Ismail Kemal.
Amerika.
Der Präsident Wil son hat zu seinem Vorschlage über die Regelung der Einwanderung, wie „W. T. B.“ meldet, die Erklärung abgegeben, daß er nicht beabsichtige, die Ver⸗ träge mit Japan zu verletzen. Seine Vorschläge zielten in erster Linie auf die Ausschließung der Hindus ab. Angesichts der Einschränkungen, denen die Einwanderung von Hindus in verschiedenen britischen Kolonien unterworfen ist, erwartet man keinen Einspruch von seiten Großbritanniens.
Die chilenischen Kammern haben nach einer Meldung des „W. T. B.“ ein Gesetz über die Reorganisation der Eisenbahn en und die Verbesserung des Betriebes angenommen und 4710 0900 Pfd. Sterl. zur Beschaffung von Betriebsmaterial und zum Bau neuer Linien bewilligt.
Asien.
K . 14 ö .
Im japanischen Parlament hielt gestern der Minister des Auswärtigen Baron Makino bei der Einbringung des Etats laut Meldung des „W. T. B.“ folgende Rede:
Die Beziehungen des Reichs zu den Vertragsmächten werden immer vertraulicher und herzlicher, und besonders in China haben wir hinsichtlich der allgemeinen Lage zu unserer großen Freude mit den Großmächten zusammenwirken können, um die Ordnung in Ost— asien aufrecht zu erhalten, wie es denn ja überhaupt ein fundamen— taler Geundsatz unserer Chinapol itik ist, die Unabhängigkeit und Inte⸗ grität dieser Macht zu sichern. Gegenstand unseres Bündnisses mit Geoßbritannien war, praktisch dasselbe Grundprinzip hochz e halten, und wenn die Welt sich aufrichtig darüber freuen kann, daß F iede und Ruhe so schnell in China wiederhergestellt wurde, ist es gleich— zitig eine unhestreitbare Tatsache, daß die Wiederherstellung von Friede und Ruhe nicht zum wenigsten ein Verdienst der Existenz des fapanischeenglischen Bündnisses ist, von dem zu erwarten steht, daß es künftighin seine Kraft zur Erhaltung des Friedens noch stärker beweisen wird. Wag die Feagen betrifft, die sich auf solche Gebiete Chinas heziehen, in denen japanische und russische Interessen sich berühren, so hat die Kserliche Regierung entsprechend den zwischen den beiden Ländern bestehen den Konventionen unablässig an einer Verständigung mit Rußland gearbeitet und kann mit großer Befriedigung feststellen, daß die Beziehungen zwischen den belden Kaiserreichen immer inniger werden. In der Südmandschurei und der östlichen inneren Mongolei nimmt Japan kraft seiner Verträge und aus anderen Gründen eine besondere St Uung ein und da diese Provinzen an unser Gebtet stoßen und spezielle Be— ziehungen zu Japan haben, so stehen wir ihnen anders gegenüber als den anderen Provinzen Chinas. Wir haben nicht unterlassen, von Zeit zu Zeit, je nach Bedürfnis, angemessene Erklärungen abzugeben, um unsere spezielle Lage in jenen Gegenden sicherzuttellen. Wir bemerken ferner zu unserer Freude, daß wir nicht nur mit China als Ganzem innig verbunden sind, sondern daß die Grundlage unserer Macht in wirtschaftlicher Beziehung neuer— dings stark befestigt ist, und daß wir bemerkenswerte Fortschritte in Handel und Schiffahrt gemacht haben sowie daß die Anzahl der in China lebenden Japaner ein ausgesprochenes Wachs tum aufweist, und da die Grundlagen unserer Stellung in ganz China nunmehr schpell an Stärke zunehmen, so zeigen die wittschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern die Tendenz, inniger zu werden. als je zuvor. Der hierin liegende Anreiz ist eine unentbehrliche Vorbe— dingung zur Förderung unserer Interessen und daher von der höchsten Wichtigkeit bet der Durchführung unserer Chinapolitik. ö
Die Rede berührt darauf die chinesischen Anleihen und wendet sich sodann zu den zweiten Unruhen in China; hierbei wird Wert darauf gelegt, daß die Kaiserliche Regierung die Gesandten und die in Betracht kommenden Generalkonsuln bei mehr als einer Gelegenheit angewiesen hat, die beiderseitigen Führer in freundschaftlicher Offenheit darauf aufmerksam zu machen, daß sie durch den Appell an die Gewalt die Grund— lagen des neuen Systems und vielleicht sogar den Frieden in ganz Ostasien gefährdeten, und daß ihnen daher vorsichtiges und umsichtiges Handeln obläge. Die Rede berührt sodann die Erledigung der Jenchow⸗, Hankau⸗ und Nankingangelegenheiten sowie die Frage der Anerkennung der chinesischen Republik und gibt weiter die folgende Darlegung des Sachverhalts bei der Entsendung der „Izumo“ nach Mexiko.
Im Februar v. J. brach eine Revolution in der Hauptstadt Mexitos aus und der General Huerta wurde am 19 desselben Monats vorläufiger Präsident. Das ganze Land blieb in Wirren und seit der Einnahme von Torreon wurde die Lage sogar allgemein noch eraster.
Pa dle Anzahl der in Mexiko lebenden Japaner nahezu 3000 beträgt, . 3 selbstverständlich nötig, geeignete Schutzmaßregeln für en Fall der Gefährdung ihres Lebens oder Eigentums zu treffen, und die Kailserliche Regierung entsandte am 20. November v. J. a, Kreujer - Ijumo. nach Mexiko. Dieser steht jetzt mit nserem Gesandien in Mexiko in Verbindung, sodan jede mogliche Vorsorge getroffen ist, um die in Mriko lebenden Japaner i schützen. Ferner baben die in der Stadt Mexiko lebenden Japaner im Verein mit anderen Bewohnern Freiwilligenkorps oruanisiert, und unser Gesandter hat sich mit den Vertretern der anderen Machte über die Ergreifung von Verteidigungsmaßregeln verständigt. Da einige sener Japaner in großer Not sind, so unternimmt der Gesandte in Herbindung mit dem Kommandeur der ⸗Iumo. Schritte zu ihrer Unterftützung. Die Kaiserliche Regierung hofft aufrichtig, daß Friede md Ruhe sohald wie möglich in Mexiko wiederbergestellt sein werden, und daß die Bewohner dieses Landes, Eingeborene wie Fremde, frei „on Besorgnissen werden leben können.
Afrika.
Nach Meldungen des „W. T. B.“ aus Pretoria sind mit ganz geringen Ausnahmen alle Arbeiter zur Arbeit zurück⸗ gekehrt Die Kommandos in den Bezirken Pretoria und Frankfort, die noch nicht entlassen sind, werden heute aufgelöst werden.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Reichs⸗ tags sowie der Bericht über die gestrige Sitzung des 3 auses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
Auf der Tagesordnung der heutigen (199.) Sitzung des Reichstags stand zunächst die erste Beratung des von der fortschrittlichen Volkspartei (Ablaß und Genossen) eingebrachten Initiativgesetzentwurfs, betreffend die Befugnis der bewaff⸗ Feten Macht zur Ausübung der staatlichen Zwangs— gewalt. Der Gesetzentwurf hat folgenden Worlaut. 1. Die bewaffnete Macht kann zur Unterdrückung innerer Unruhen nur auf Ersuchen der zuständigen Zivilbehörde verwendet werden. Die Fälle, in denen ein solches Ersuchen zulässig ist., und die Formen, in denen es zu erfolgen bat, bestimmt der Bundesrat.
sz 3. Unberührt bleibt das Recht der bewaffneten Macht, die Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit gegen Angriffe und Storungen zu schützen.
ö . 3. In den Fällen der 85 1 und 2 ist der Gebrauch der Waffen, abgesehen vom Fall der Notwehr, nur gestattet; . j) Zur Abwehr eines Angriffes oder zur Ueberwältigung eines durch Taͤtlichkeit oder ,, Drohung geleisteten Widerstandes. 2) Zur Erzwingung der Ablegung der Waffen oder anzerer zum Änzriff oder Widerstand geeigneter oder sonst gefährlicher Werkzeuge. . 3) Zum Schutze der ihrer Bewachung anvertrauten Personen oder Sachen. J 4) Zur Vereitlung der Flucht von Personen, welche ihr als Gefangene zur Bewachung anvertraut oder von ihr ergriffen oder festgenommen sind. .
534. Die Bestimmungen über den Belagerungszustand werden durch dieses Gesetz nicht berührt.
Auf Vorschlag des Präsidenten wurde mit der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs verbunden die Beratung der vier auf den gleichen Gegenstand bezüglichen, von anderen Parteien eingebrachten Anträge:
1 Antrag Delsor und Genossen (Elsässer und Polen):
In Anbetracht: 1) des durch das Vorgehen des Obersten don Reuter in Zabern entstandenen Konflikts zwischen der Militär⸗ behörde und der Zivilverwaltung; 2) der Meinungsverschiedenheit zwischen der Militärbehörde und der Militäriustiz einerseits und dem Unterftad sfekretär des Innern im Mmisterium für Elsaß— Lothringen andererseits über die Gültigkeit der preußiichen Kabinetts. order von 1820 in Elsaß⸗Lothringen; 3) der Gefahren, welche für die öffentliche Sicherheit und Rechtsordnung, für die persön, liche bürgerliche Freiheit aus dieser Rechtsungewißheit sich ergeben, die um so größer ist, als für die in Elsaß Lothringen stehenden baverischen Truppenteile andere Vorschriften gelten; den Reichs— kanzler zu ersuchen, baldigst einen beschleunigten Gesetzentwurf ein- zubringen, welcher die Befugnis der bewaffneten Macht zur Aus⸗ übung der staatlichen Zwangsgewalt für das Reich einheitlich regelt und der Rechtsauffaffung Geltung verschafft, daß das Militär nur auf Requͤisition der Zivilbehörde zu polizeilichen Zwecken ver— wendet werden darf.
2) Antrag Albrecht und Genossen (Soz.):
den Reichskanzler zu ersuchen, einen Gesetzentwurf ein⸗ zubringen, durch den. unter Aufhebung der Militärgerichtsbar keit die Militärpersonen des aktiven Heeres und der aktiven Marine und die übrigen in 5 1 der Militärstrafgerichts ardnung für das Deutsche Reich genannten Personen der bürgerlichen Straf⸗ gerichtsbarkeit unterstellt werden.
3) Antrag Ba ssermann und Genossen (ul):
Der Reichttag nimmt davon Kenntnis, daß eine Nachprüfung der Bienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs vom Jahre 1899 angeordnet worden ist, nachdem sich bei den jüngsten Ereignissen in . Zweifel daran ergeben haben, ob diese Vor⸗ schrift die Befugnisse der Zivil- und Militärbehörden richtig ab⸗ grenzt. Der Reichstag ersucht den Herrn Reichskanzler, das Er⸗ gebnis diefer Nachprüfung baldigst dem Reichstag bekannt zu geben.
4) Antrag Spahn Gentr.):
Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, bei den verbündeten Re⸗ giertengen dahin zu wirken, daß die Voraussetzungen für das Ein— schreiren des Militärs in voltzeilichen Angelegenhelten überein⸗ stimmend in seiner die Selbstoerwaltung der Zivilverwaltung sichernden Weise geregelt werden. .
Abg. Dr. Mü ller⸗Meiningen ffortschr. Volksy.): Ich be⸗ antrage, den Antrag, wonach der Reichskanzler ersucht wird. dahin zu wirken, daß die Vorausfetzungen für das Einschreiten des Militärs in volizeilichen Angefegenhelten überelnstimmend in einer die Selbständig. keit der Zivilverwaltung sichernden Weise geregelt weren, sofort anzunehmen und die anderen Anträge an eine Fommission von 21 Mitgliedern zu verweisen. Wir haben vom Stadium des Urteils zum Vollzug überzugehen. Die Antwort des Reichskanzlers war für' uns vollftaͤndig ungenügend, da er nicht gesagt hat, was ge— schehen soll, damit in Zukunft solche Affären vermieden werden. Gine Resolution zu fassen genügt nicht. Wir haben mit den Reso⸗ lutionen ganz besonders in der letzten Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Was mit den Resolutionen geschieht, darüber bat fich ja der Reichskanzler im preußischen HDerrenhause ausgesprochen. Gs scheimt danach die AÄbsicht zu bestehen, auf die Anträge, die der Reichstag mit großer Mehrheit gefaßt hat. überhaupt nichts zu tun.“ Ich muß bei dieser Gelegenheit dagegen protestieren, daß auf die Wünsche des Reichstags nicht eingegangen, wird:; Der Ton, in dem hier geredet ist, entspricht ja ganz dem Auftreten der Kriegs ministers am 3. und 4. Dezember. Wir protestteren schon jetzt dagegen, daß die Wünsche des Parlaments so behandelt werden Die Antworten in der Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundesrats sind eine ununterbrochene Keite von Provokationen der Voltsvertre— tung. Es siebt so aus, als ob man seitens der Degres verwaltung den Konflikt vom Zaune brechen will. Das Zentrum hat einen sehr be—
merkenswerten Antrag eingebracht. Es will, daß die Zusammenstellung der Beschlüsse erst der Budgetkommission zur Prüfung vorgelegt wird.
Ich fasse das ale emen Protest des Zentrums auf. Keine Partei, die
etwas auf sich hält, kann so etwas sich gefallen lassen. Ganz be⸗ sonders möchte ich an die Nattonalliberalen appellieren, die damals alle unsere Beschlüsse mitge faßt haben. Ich begrüße von diesem Standpunkt aus alle Anträge. Wenn je ein Akt parla— meniarischer Solidarität notwendig ist, so ist es der jetzige, die Herren von der Rechten nehme ich natürlich davon aus. Aus all diesen Gründen haben wir den Weg der gesetzlichen Initiative beschrirten. Ich kann mich kurz fassen, da mein Freund von Litzft die Anträge schon genügend begründet hat. Von gewisser Seite sollen einige parttkularistischée Bedenken erhoben worden sem. Aber die Süddeutschen brauchen nichts zu befürchten. Wir halten infolge der ganzen Entwicklung den Erlaß eines Reichs—⸗ gesetzes für dringend notwendig. Der 5 1 enthält die Rechtg⸗ zustände in Bavern und Württemberg und enthält auch die preußischen Kantonnementsvorschriften von 1902, ebenso wie den Grundsatz des Art. 36 der preußischen Verfassung. Mit Ausnahme der Rechten kann dieser Paragraph von allen Parteien angenommen werden. Uaser Antrag hat allerdings gewisse Lücken, darauf hat schon mein Freund Liszt hingewiesen. Aber wir sind mit allen Verbesse— rungen unseres Antrags einverstanden. Wir wollen den Frieden zwischen dem Militär und der Zivilbevölkerung, zwischen der obersten Kommandogewalt und dem Volke. Affären wie die in Zabern können nur durch den Erlaß eines derartigen Reichsgesetzes verhindert werden. Ich bitte deshalb, unsern Antrag anzunehmen.
Abg. Fehrenbach (3): Dem Vorschlage des Abg. Müller⸗Mei⸗ ningen, den Zentrumsantrag anzunehmen und alle übrigen Anträge einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen, schließe ich mich an. Was unseren Antrag anlangt, so hat ja der Reichatanzler gestern im wesentlichen und im allgemeinen eine zustimmende Haltung dazu eingenommen. Aber es ist dem Abg. Müller⸗Meiningen zuzugeben, daß es angesichts der Erfahrungen, die wir mit der Behandlung unserer Resolutionen durch die Regierung gemacht haben, notwendtg ist, den starken Willen des Reichetags zum Ausdruck zu bringen. Hoffentlich wir) dadurch auch eine energische Einflußnahme auf den Willen der Regierung herbeigeführt. Es liegt uns deshalb daran, daß durch die Stellungnahme des Hauses und schließlich durch eine recht einmütige Annahme unserer Antrages der Wille der deutschen Volksvertretung der Regierung gegenüber zu einem klaren und bestimmten Ausdruck kommt. Im übrigen kann ich mich zur Begründung unseres Antrages auf das bezlehen, was ich gestern schon gesagt habe. Wir stimmen in weitestem Umfange einer gesetzlichen Regelung zu. Wir haben uns in unserem Antrage nicht auf eine reichsgesetzliche Regelung festgelegt, nicht etwa weil wir gegen eine reichsgesetzliche Regelung Bedenken hätten, aber wir wollen Rücksicht nehmen auf gewisse partikularrechtliche Strömungen. Wir möchten nicht, daß durch eine reichsgesetzliche Rege— lung die Einzelstaaten benachteiligt werden. Auch wir sind der Meinung, daß die Requisition des Militärs zu polizeilichen Zwecken nur auf Requisition der Zivilbehörden erfolgen darf. Und wir sind der Meinung, daß, wenn die Sache auf partikularem Wege in Preußen ge— regelt wird, es nicht anders geschehen kann, als in dem gleichen Sinne.
Art. 36 der preußischen Verfassung besagt ausdrücklich, daß die bewaff⸗
nete Macht zur Unterdrückung innerer Unruhen und zur Aus⸗ führung der Gesetze nur in den vom Gesetze bestimmten Fällen verwendet werden darf. Ausnahmen können nur durch Gesetz bestimmt werden. Was den Antrag anbetrifft, die übrigen
Anträge einer Kommission zu überweisen, so folgen wir bei dessen Annahme einer vom Reichstage stets gebrauchten Uebung, daß, wenn eine bedeutende Partei einen solchen Antrag stellt, die anderen Parteien hier auch Gelegenheit geben, alle Details darzutun Diese Möglichkeit ergibt sich aus der Ueberweisung an eine Kommission. Gewisse Erfahrungen der letzten Tage lehren uns, daß die Kommissien die Möglichkeit 8.
zu einem weiteren energischen Verfolgen der Sache gibt. Schließlich bitte ich auch den Antrag Bassermann anzunehmen.
Abg. Tr. Müll er-Meiningen (Fortscht. Vpt.) zur Geschäfts⸗ ordnung: Ich habe beantragt, sämtliche Anträge einer Kommission zu Üüberweisen, weil ich der Meinung war, daß der Antrag Basser⸗ mann zurückgezogen werden sollte. Da dies nicht der Fall ist, erksäre
ich, daß wir unfererseits bereit sind, auch diesen Antrag sofort anzu—
der Wehrvorlage nicht voraus gesagt. Unsere Forderungen mußten in das hineingearbeitet werden. Es sind von anderer Seite sehr starke Worte ge⸗ braucht worden, aber di⸗se Worte bedeuten garnichts, wenn hinter ihnen nicht energische Taten stehen. Wie sehr die Regierung den Reichstag mißachtet, beweisen die leeren Bänke der Regierung. Wenn der Reichstag auch nur einen Funken Achtung vor sich selbst hat, so muß er nunmehr der Regierung seine ganze Macht zeigen. Wir werden abwarten, wie die bürgerlichen Abgeordneten sich gegen den Fußtritt der Regierung, einen anderen Ausdruck kann ich nicht gebrauchen, in Zukunft verbalten werden. ö ; Präsident Dr. Kaempf: Es ist meiner Ansicht nach nicht zu⸗ ässig, von einem Fußtritt zu sprechen, den die Regierung dem Reichstage versetzt hat, und ich rufe deshalb den Abg. Haase zur Ordnung.
Abg. Haase (Soz.) fortfahrend: Es r unter allen Umständen festgestellt werden, daß das Militär nur auf Requisilion der Zivilbehörde einschreiten, darf. Die Selbstänyigkeit der Verwaltung darf durch das Verhalten des Militärs nicht ge⸗ fährdet werden. Wir werden den Antrag Spahn annehmen. Der Antrag Bassermann beagt eigentlich fast nichts. Wir haben aber keinen Anlaß, ihn nicht anzunehmen. Unser Antrag spricht für sich. Er ist oft genug gestellt worden. Seine nähere Begründung kann aber nur in der Kommission geschehen, wir schließen uns deshalb dem Antrag auf Kommissionsvecweisung unseres Antragetäz und auch der übrigen Anträge an. ö.
Abg. Hauß (Els.): An der Erklärung des Reichskanzlers ist erfreulich, daß er eine Prüfung für notwendig darüber hielt, ob die Kabinettsorder von 1820 sich mit der Verfassung, mit Len Gesetzen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen vertrage. Wir Elsässer haben allerdings gar keinen Anlaß, auf diese Ankündigung hin himmelhoch zu jauchzen und den Tag vor dem Abend zu loben, denn wir sind wiederholt nach der Richtung schwer getäuscht worden. Immerhin bieten uns die gestrigen Ertläarungen des Reichskanzlers die Gewähr, daß wenigstens der Versuch unternommen werden soell, den schwankenden Rechtsboden in Elsaß-Lothringen wieder zu be— festigen. Bei ung im Elsaß ist nach französischem Gesetz in erster Linie der Bürgermelster befugt, wenn die Zivilgewalt nicht mehr autzreicht, die Silte des Milliärs zu requirieren. Wir be— dauern, daß dieser Rechteboden bei uns vom Militär verlassen worden ist. Man hat eingewendet, daß durch die Einführung der Reiche verfassang in Elsatz-Lothringen auch jene Kabinettsorder eingeführt sei. Das ist total falsch. Wäre das richtig, so hätte kein Anlaß bestanden, später das preußische Militärgesetz durch ein be⸗ sonderes Gesetz in Elsaß⸗Lothringen einzuführen. Auch die Kabinetts⸗ order könnte nur im Wege des Gesetzes oder durch eine Kaiserliche Verordnung eingeführt werden. Zu welchen Zuständen führt eg, wenn jeder Soldat im Elsaß die Dienstvorschriften selnes Landes in seinem Tornister trägt! Wäre das xichtig, so hätten wir im Elsaß nicht nur Reichs⸗ und Landes— recht, sondern auch preußisches, bayerisches und württem⸗ bergisches Recht. Nebmen wir an, es bräche in Metz ein Aufruhr aus und es müßte Militär einschreiten. Dann könnten auf Grund der Kabinettsorder von 1820 die preußischen Truppen
Gesetz
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muß auch für Preußen
obne weiteres vorgehen, während die bayerischen nur auf Requisitten der Zivilgewalt folgen könnten. Dann würde auf dem nächsten Preußentage gesagt werden: die Preußen mußten
wieder vorgehen, um den Bayern Courage beizubringen. Zur Be— gründung unseres Antrages brauche ich nichts weiter hinzuzufügen. Ich hätte nunmehr allen Anlaß, auf verschiedene Aeußerungen, die gestern gefallen sind, näher einzugehen. Angesichts der Geschäftslage will ich darauf verzichten; es wird später dazu Gelegenheit sein.
Ueber das Verhältnis des Zivils zum Militär, über die Nationalisten. frage, insbesondere darüber,d wie die elsässische Verfassung ausgeführt Zunächst kommt es darauf an, daß
wird, wird noch zu sprechen sein. s ⸗ dafür gesorgt würde daß Recht und Gesetz auch in Elsaß⸗Lothringen
wieder eine Heimstätte finde.
Abg. Bassermann (nl): Ich bitte um Annahme unseres An⸗ trages, der bezweckt, die Dienstvorschrift von 1899 einer Nachprüfung zu unterziehen, da Zweifel über die Abgrenzung der Machtbefugnisse der Zioil und Militärbehörde entstanden sind. Daß dlese Zweifel berechtigt sind, hat der Reichskanzler auch anerkannt. In Ausnahme⸗ fällen muß dem Militär das Recht zum selbständigen Einschreiten vorbehalten bleiben, da der Fall eintreten kann, daß die Zivilhehörden nicht mehr am Platze sind. Diese Fälle müssen aber gesetzlich geregelt sein. Deswegen sind die in unserm Gesetzentwurf vorgesehenen Aus⸗ nahmen berechtigt.
Damit schloß die Diskussion der Anträge und die erste Beratung des Gesetzentwurfs Ablaß. In der Abstimmung wurde letzterer und die Anträge Albrecht und Delsor einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen, der Antrag Spahn mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Deutschkonser⸗ vativen und der Reichspartei angenommen und ebenso der Antrag Bassermann. Gegen den Antrag auf Kommissions⸗ überweisung stimmte die Rechte ebenfalls.
Es lief ein Antrag auf Vertagung ein, gestellt von den Abgg. Dr. Müller⸗Meiningen, Gröber und Haase. Der Antrag wurde ausreichend unterstützt. Für die Vertagung stimmten die Sozialdemokraten, die Fortschrittliche Volkspartei, das Zentrum, die Polen und die Elsässer. Die Vertagung wurde beschlossen.
Schluß 11 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch, den 28. Ja⸗ nuar, Nachm. 2 Uhr (Etat des Reichsamts des Innern).
— In der heutigen (11.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer bei⸗ wohnte, wurde die zweite Beratung des Etats der land⸗ wirtschaftlichen Verwaltung bei dein Kapitel der allgemeinen Ausgaben fortgesetzt.
Zu dem Dispositionsfonds zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Vereine und zur Förderung der Land kultur im allgemeinen bemerkt
Abg. Dr. Varenhorst (freikons.): In der Kartoffelnahrung müssen wir uns vom Auslande unabhängig machen. Die Kartoffel ist aber wegen ihres großen Wassergehalts sehr der Fäulnis ausgesetzt. Deshalb muß das Trockensystem mehr ausgebildet werden. Wenn man die Kartoffel dann jahrelang konserpieren kann, so wird dies für das Heer und die Maxine von großer Bedeutung. Die Konservierung ist aber vorläufig nur auf genossenschaftlichem
Wege möglich, weil die Apparate für den einzelnen Land⸗ wirt zu teuer sind. Ich bitte den Minister, diesen Ge⸗
Augenmerk zuzuwenden. Ich bitte ihn Ermäßigung der Eisenbahnfrachten hinzuwirken. nimmt der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer das Wort, dessen Rede am Montag im Wortlaut wiedergegeben werden wird.
(Schluß des Blattes.)
nossenschaften sein
auch, auf eine Hierauf
Wohlfahrtspflege.
Die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung hat im Deutschen Reiche in den letzten 5 Jahren 47 455 Volks- bibliotheken mit 1015783 Bänden begründet und unterstützt. Die G sellschaft gibt gegen mäßige Jahresbeiträge Wander- bibliotheken und Eigenbüchereien im Werte von 60 bis 200 ƽ ab. Die Wanderbibliotheken können alljährlich bei völlig freier Wahl neuer Bestände umgetauscht werden. Die Eigen büchereien, die von den betreffenden Körperschaften völlig frei zusammengestellt werden können, werden in 4 Jahren freies Eigentum der Gemeinden. Im letzten Jahie hat die Gesellschaft neben ihren regelmäßigen Leistungen noch als Kaiser Wilhelm-Jubiläumsgabe an 1500 wenig bemlttelte Büchereien 18000 Bände im Werte von 37500 vn unentgeltlich abgegeben. Anträge sind zu richten an die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung, Berlin NW., Lüne⸗ burgerstr. 21. Von der Geschäftsstelle werden über die Gesellschaft unterrichtende Drucksachen kostenfrei versandt.
Theater und Musik.
Deutsches Opernhaus.
Ignatz Waghalter, der, als er noch Kapellmeister an der Komischen Dper war, mit einem eigenen Werk „Der Teufelsweg“ nicht ohne Erfolg hervorgetreten war, kam gestern auch an seiner neuen Wirkungsstätte, dem Charlottenburger Opernhause, als Kom⸗ ponist zum Wort, und zwar mit „Mandragola“, einer komischen Oper in drei Akten, die eine von Paul Eger bearbeitete Komödte des Maecchiavell zur Textunterlage hat. Das Stück ist vor Jahren als literarische Mertwürdigkeit von einem hiesigen dramatischen Verein aufgeführt worden. Tie Wahl just dieses Stoffes, in der die Schrankenlosigkeit des Renajsssancezeitalters in erotischen Dingen all—⸗ zustark he vortritt, ist aber für ein Famtlien⸗ und Abonnententheater nicht gutzuheißen. Selbst zugegeben, daß sowobl der Textverfasser wie der Komponist darauf ausgingen, allzu Krasses und Anstößiges zu mildern, es bleibt doch immer die verwerfliche Grundidee, daß die Gutgläubigkeit eines mit einem jungen Weibe vermählten närrischen
Alten dazu ausgenützt wird, ihn um sein Eheglück zu betrügen, und die Zumutung, sich darüber zu erheitern, daß der Che⸗ mann selbst den als Arzt verkleideten Verführer seiner jungen
Frau vertrauensselig zuführt. Vom rein musikalischen Standpunkt aus betrachtet, ist die Waghaltersche Oper freilich nicht übel geraten; sie ist zwar das Werk eines Mannes, der in mancherlei Partituren Bescheid weiß, also Kapellmeistermusik, aber immerhin Kapellmeister⸗ musik im besseren Sinne. Der leichte Ton des musikalischen Lustspiels ist etwa im Stile der Jungitaliener recht gut getroffen, und es fehlt nicht an gefälligen melodischen Einfällen, an Eigenart der Harmonie und an Anmut der rhythmischen Bewegung. Auf eine kurze orchestrale Ein⸗ leitung folgt beim eisten Aufgehen des Vorhangs ein hübsches Ständchen, dessen Weise, als Vorspiel zum zweiten Akt im Otchester wiederholt, starken Beifall auslöste. Auch eine motivisch verarbeitete, häufig wiederkehrende Liebesmelodie fällt, wenn sie auch an schon Vor handenes gemahnt, angenehm ins Ohr. Recht geschickt ist der auf den Plauderton gestimmte musikalische Dialog behandelt, nur hier und da orchestral ein wenig dicker untermalt als nötig; die Streicher treten gegenüber den Holzinstrumenten zu sehr zurück, doch ist es möglich, daß die akustischen Verhältnisse des Deutschen Opernbauses daran mehr schuld haben als die Instrumentlerung. Jedenfalls würde der Orchesterleiter gut tun, wenn er den Klang etwas mehr dämpfte. Neben den erwähnten Vorzügen hat die Musik unverkennbar aber auch leere Stellen, sinkt zuweilen zu einer nichtesagenden Begleitung herab, die neben dem gesungenen Worte ausdruckslos berläuft und sich allein auf die
Wirkung der Situation komik der Szene verläßt. — Die Auf- führung der neuen Oper, deren musikalische Leitung Herr Waghalter seinem trefflichen Kollegen Nudolf Krasselt über⸗ lassen hatte, wies die gediegene künstlerische Arbeit auf,
die man am Deutschen Opernhause bisher stets rühmen konnte. In der Rolle des alten Pandolfo bewährte sich Julius Lieban als Meister des Sprechgesangs wie der Darstellung. Er suchte mit