Wenn das chon der Erste Staatsanwalt im Amte so treibt, wie mögen es dann erst die nachgeordneten Staatsanwälte treiben! Jur Rettung des k erhebe ich wiederholt die Forderung, daß die Staatsanwälte felbständiger und ungbhängiger nach oben ge— macht werden müssen, sonst lee kein Mensch au ihre Objektivität. Der Abg. Merkin hat in allem 69st angedeutet, es gebe preußische Staatsanwälte, die eher für die Ehre eines Sozialdemoktaten als ines Konservativen einschreiten würden. Das glaubt doch der stärkste kann nicht. Der Abg. Mertin soll uns einen solchen Staatsanwalt dorzeigen, der, auch nur die Ehre eines Fortschriltsmannés höher ein. schatzte als, die eines Konservativen; solche Bemerkungen , ge⸗ radezu komisch und lächerlich wirken. Damit komme ich auf die Reform der Strafprozeßgrdnung und des Gerichte he rfassungsgesetzes. In der Deutschen n , . hat der Schriftleiter eine Reihe von Aeußerungen von eichstagsmitgliedern über diese Reformfragen publiziert, Mit den Grundgepanken, die ich da entwickelt habe, haben sich die. Abgg. Wellstein, Schiffer und Haafe einderstanden erklärt. Einigkeit baer über die Reform im. Wege der Rot. und Spezial— ere enn. Wir können nicht ig bis 13 Jahrs auf bie a ernot⸗ wendigsten . warten; entscheidend ist allein das Bedürfnis des deutschen Volkes, des rechtsuchenden Publikums. Die Reform der Lidesabnahme, die R. iehung der Lehrer zum Schöffen Und Ge— schworenenamt, e L feng des Zeugniszwanges für die Presse, diese Fragen sind völlig spruchrei⸗ Keine 8 ung scheint sich erzielen a lassen über die Berufung in Strafsachen. Wenn Graf Westaip in einem Artikel in der „Deutschen Juristenzeitung“ gemeint hat, bei einer solchen Notgesetzgebung leide die wissenschaftliche Systematik, so ist diese gn ee nicht mehr vorhanden oder doch stark durch⸗ brochen, so bei der Jugendgerichtsgesetzgtebung. Die Anträge Ba ser⸗ mann-Schiffer gehen viel weiter als unfere dort gemachten Vor— schläge; manche guten Gedanken sind nur kur angedeutet und so all⸗ gemein gehalten, so nichtssagend, daß ö Antrag anzunehmen. Was keen die religiöse Erziehung der Kinder anbetrifft, so kommen wir hier doch auf ein Gebiet, das von Reichs wegen aufzunehmen sich früher gerade die Nationalliberalen, so beim ersten Teil des Toleranzantrages, ganz energisch geweigert haben; es ist also in diesem Punkte bei ihnen eine vollstandige Meinungsänderung eingetreten. Auf die Einzelheiten der Frage wird übrigens mein Freund Dobe noch näher eingehen. . auf die große Reform werden wir nicht warten, wir . den Weg der ot ggf bun beschreiten und uns dabei auf gewisse streng umrissene Gebiete beschränken. Wir folgen damit nur dem Vorgang der Regierung, die ja auch ihre Wün che auf dem Wege des 8 zu erreichen sucht. Heute ist schon wieder ein neuer Gesetzentwur vorgelegt, der ganz gewaltige, auch politische Gefahren in diesem Hause heraufbeschwört. Ein Entwurf in der Richtung der berühmten Lex Heinze ist uns zugegangen. Ich habe nichts dagegen, wenn dem Unwesen der Animierkneipen und der Rummelplätze entgegengetreten wird, selbst wenn der Besuch der Agrarwoche etwas darunter leiden sollte; ich habe auch nichts gegen eine Beschränkung des Kinobesuches durch Kinder. Aber die Aus— arbeiter der Vorlage scheinen sick der großen Kämpfe um die Lex Heinze nicht mehr recht zu entsinnen. Selbst der Abg. Dr. Oertel hat heule erklärt, 5 184 und 1844 des 89 genügen zur Bekämpfung des wirklichen Schmutzes und der wirklichen Unsittlichkeit; derfelben Meinung hat der frühere bayerische Justizminister von Miktner Aus— druck gegeben. Viel radikaler aber ist der Kollege Bell, weit radikaler als der Kollege Oertel. Ich warne schon jetzt vor den Folgen einer solchen etwas unüberlegten Gesetzgebung. Es ist eine heilige Pflicht aller Parteien, den wirklichen Schmutz und den wirklichen Schund ins⸗ besondere im Interesse unserer deutfchen Jugend zu bekämpfen. Aber ich muß mich doch 9 die Art wenden wie Dr. Oertel heute wieder gegen die echte, ernste Kunst hergezogen ift. Dr. Oertel wirft eine . ernste Kunstrichtung wie die 8 n mit den Futuristen und Kubisten gsgmmen; er sagt ja selbst, daß er die Kunst nicht kennt. Mit einigen eleganten Schlagworten hilft er sich über die Schwierig⸗ keiten hinweg, unter dem Deckmantel der Sittlichkeit darf sich die un⸗ sittliche Feigenblattmoral nicht breit machen. Das schmutzige Zeug, das man in den Papierkorb wirft, soll man doch nicht als ty . deutsche Kunst ansprechen. Die größten Zotenjäger aller Gesellschafts⸗ kreise machen am meisten nach außen hin in Sittlichkeit; es wiid ein Sittlichkeitsmäntelchen krausgehängt, und dabei? die schmutzigste Sinnlichkeit poussiert. Sensationslüsterne Schweinerei darf in der Berichterstattung ebensowenig geduldet werden als sonstwo; das Uebel wird aber nur durch die Selbsthilse in der Hress selbst be⸗ seitigt werden können. Die anständige große Pre se sollte unter keinen Umstnden dem schlechten Geschmack des Spießers nachgeben, sondern als Erzieher des deutschen Volkes wirken. Zur Rettung der Sittlichkeit wird mit oft geradezu lächerlichen Schritten vorgegangen. (Eben hat das Reichsgericht das Verhalten der 12. Berline! Straf⸗ kammer desavouiert. *. Strafkammer leidet offenbar an fixen Ideen, inshesondere den Postkarten gegenüber; sie hat ja ausgesprochen, daß auch ein lr unzüchtig sein könne. Das ist doch auch künstlerisch völlig unsinnig. Der Standpunkt der Strafkammer erinnert an das Wort von der „Rinnsteinkunst“. Auch Rembrandt und Albrecht Dürer sind dann in den Rinnstein hinabgestiegen. Das Einhaüchen des künstlerischen Odems in die Materie macht das Kunst⸗ werk. Und nun soll ein Kunstwerk in einer noch so künstlerischen Reproduktion unzüchtig sein? Mit aller Energie wendet sich die Künstlerschaft gegen diese Herabdrückung der Reproduktion. Beson⸗ ders unzüchtig soll nun die ö sein. Der Zweck der Künstler= postkarten ist heute in den meisten Fällen der gleiche, wie der der viel teureren photographischen Reproduktion; diese kann die große Masse des Volkes nicht kaufen. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Frage ist in Deutschland sehr groß; es handelt sich um eine der größten und geachtetsten Industrien. Ich habe die 43 Postkarten, welche die Berliner Strafkammer beschlagnahmen ließ und die das Reichs⸗ gericht freigegeben hat, auf den Tisch des Hauses niedergelegt. Es handelt sich hier nicht um die öffentliche Auslegung der Postkarten in großen Massen und Reihen, wie es der preußische Justizminister darstellte, sondern sie sind alle aus den Mappen der Grossisten durch die Schutzleute hergusgenommen worden. Gewiß kann die Ärt der Aufmachung eine Schmutzerei sein; aber das kommt hier nicht in Betracht. Bei einem Verleger erschienen mehrfach fechs bis acht Be— amte, nahmen Tausende von Postkarten mit und stellten sie ihm erst nach langen Monaten wieder zu, obwohl nur eine einzige Postkarte einmal inkriminiert worden war, und nachher erfolgte durchweg Frei sprechung; ein Beweis wie plan- und ziellos Schutz eute und Staats. anwälte vorgehen. Weiter handelt es sich bei diesen keuschen Re⸗ produktionen meist um öffentliche Kunstdenkmäler, nicht um Schmiere⸗ reien. In Tübingen wird es homerisches Gelächter erregen, wenn man hört, daß die i. die am Neckar steht, ebenfalls beschlag⸗ nahmt worden ist. an hat sich hier wieder einmal vor der ganzen Welt blamiert, Der. Rat der Stadt Dresden, der doch wohl nicht an hesonderer Unsittlichkeit leidet, hat sich gegen die Beschlagnahme erklärt. Auf der anderen Seite läßt man offenkundige Schmutzereien ungeschoren, nicht bloß unbedingt unzüchtige, sondern auch die ge— schmacklosen Postkarten, die, ohne unzüchtig e sein, das Scham⸗ gefühl gröblich verletzen. Ich habe hier auf, den Tisch bes Hauses eine Reihe derartiger Pestkarten ausgelegt, die von der Polizei frei⸗ gegeben sind. Hier zeigt sich, daß die Polizei in solchen Fällen wie der Flefant im Porzellanladen vorgeht. Der Feldzug der Polizei gegen die Wachtbüsten in Friseur und Konfektionsläden ist direkt eine Tar— tüfferie. Ich möchte fragen, ob man eine e nir, wegen einer solchen Tracht zurückweisen würde. Aber hier geht man gegen Wachsbüsten vor (Abg. Heins. Die find Auch verlockender wie. Hof— damen ). Herr Heine, ich weiß nichtz ob Sie eine solche Praxis für DHofbälle haben. Dort sind auch vielleicht junge Leutnants, die doch auch verdorben werden lagen. So die Sittlichkeit retten e e, ist doch direkt sinnlos. Man sagt, es würde hier wegen Ge ährdun der Jugend öffentliches Aergernis genommen. Deffentliches Aergerni ist doch ein sehr böser Begriff, der, selbst in Richterkreifen böses Aergernis bereitet. Er ist einer der kautschukartigften Begriffe, ganz besonderg, wenn es den e,, . angeht. Man hat mir erzählt ein. Ange llagter ist von zwei Schutzleuten in einer sehr wenig sittlich Pbönen Weise angetroffen worden. Vor Gericht erklärte ber eine Schutzmann, er habe vorschriftsmäßig das öffentliche Aergernis genom⸗ men, während der zweite das verneinte. Auf die verwunderte Frage des
e Bedenken tragen, den
Vorsitzenden erklärte dieser, daß der olizeihauptmann ihnen verboten habe, Aergernis zu nehmen, es sei gesagt worden, sie sollten nur darauf achten, ob andere Aergernis nehmen. Auf weitete Frage bezüglich der Aussage es ersten Schutz. manns wurde erklärt, daß dieser in der betreffenden Instruktionsstunde nicht zugegen gewesen sei. Wir sollten uns hüten, von neuem diesen Begriff in die angekündigte Gesetzgehung aufzunehmen, zumal es einer Verschärfung gar nicht bedarf. Die Konfiszierung einer anderen künstlerischen Postkarte ist in der typische Fall einer porno— graphia eventualis. Auf ihr nimmt ein junger Mann bon einer am Fenster stehenden jungen Frau mit einem Kinde auf dem Arme lbschied. Die Postkarte ist von dem Schutz mann konfisziert worden, weil die Frau keinen Trauring hat und man annehmen . daß hier
auf die Folgen eines illegitimen Verhältnisses hingewiesen werden soll. Der Polizist ist putatip unzüchtig gewesen. Ein Gerichtshof, der allerdings den ganzen Tag nur in Sittlichkeit macht, wie die Strafkammer, muß allmählich ein gewisses anormales Sittlichkeits⸗ gefühl bekommen. Ich muß mich deshalb gegen eine Konzentrierung der Sittlichkeitsprozesse wenden. Das kann nur die vorhandene krankhafte Sittlichkeitstuerei und Heuchelei fördern. Der Vortrag des Kollegen Bell hat eine sehr ernste Seite. Die berühmte Turn⸗ hose der lid wirkt auf weite Kreise unsittlich. Es it des halb ein Segen, daß der König von Bayern und der Deutsche Kaiser 69 von ihrer Harmlosigkeit selbst überzeugt haben. Aber man hat sich nicht bloß gegen diese, sondern fogar gegen die Matrosenhosen eines Jungen, die durchbrochene Bluse eines jungen Mädchens 6 gewendet, weil die deutschen Schweinekerle sich dabei aufregen. Sogar an einem anatomischen Wandbild, das den Aufbau des mensch— lichen Körpers zeigt, hat man Anstoß genommen, ebenso wie man eine Lehrerin, die einen entblößten Hals hatte, als n u, Weibsbild bezeichnete. Das Allertollste ist aber die Verball hornisierun ö. r , Dichter. Hier wäre ein Gesetz zum Schutze der . chen Klassiker notwendig. Ueberall wird Reinigungssucht in den Schul— büchern betrieben. Goldene Worte sind in dem Münchener Sittlich⸗ keitsberein gesprochen worden, wo als bestes Kampfmittel die richtige sittliche Erziehung in der gesunden Gewöhnung an das Nackte gefordert wird. Weiter wird gefordert, die Kinder so zu erziehen, daß sie auch das Nackte in der Kunst rein sehen können. Mit dem Begriff zur Er⸗ ishung zur religiösen deutschen Auffaffung säßt fich nichts anfangen. Man soll bedenken, daß das Ebenbild Gottes boch nackt auf die Welt gekommen ist. Gute Litergtur nützt hier tausendmal mehr als die deutschen Sittlichkeitsschnüffeleien. Der Staat hat bisher hier nur wenig Positives getan. Pestalozzi hat darauf hingewiesen, daß es eine Schande sei, wenn man das Unkraut solange wachsen läßt, bis es über— wuchert. Wenn hier abwegige Urteile gefällt werden, fo kommt es von der Weltfremdheit der betreffenden Richter. Aber es rührt sich in deutschen Richterkreisen, damit der Richterstand wieder die alte Stellung im Volke einnimmt. Der Richter muß wie in den großen Kulturfragen auch in der Kunst Bescheid wissen. Es klingt wie eine Aeußerung moralischen Katers, wenn in der „Deutschen Richter⸗ eitung“ Erwägungen zu finden sind, daß unsere Richter meist nur noch gragraphenmenschen sind. Der Richter muß sich wieder mehr am öffentlichen Leben beteiligen, damit er frei vom allen innerlichen Vor⸗ urteilen wird. Er gehört vor die Front des deutschen Volkes. Wir wollen alle darauf hinarbeiten, daß der Richter die ihm gebührende Stellung einnimmt im Interesse der Fortentwicklung unseres ganzen Staatsgedankens.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat sich, wie auch schon andere Herren Redner, mit verschiedenen gerichtlichen Entscheidungen beschäftigt, durch welche in den letzten Zeiten Postkarten mit Nach— bildungen von Werken bildender Kunst für unzüchtig erklärt worden sind. Ich stimme selbstverständlich allen den Herren durchaus zu,
die da ausgeführt haben, daß der Schm utz in Schrift und Bild
energisch bekämpft werden muß; und ich bin fest überzeugt, daß darüber in diesem hohen Hause auch nur eine Stimme sein kann. Die Schwierig. keiten, meine Herren, beginnen erst dann, wenn es sich um die Ver⸗ breitung von Nachbildungen von Kunstwerken handelt, und zu diesem Punkte ist eine Reihe von einzelnen Fällen angeführt. Ich kann mich zu diesen einzelnen Fällen nur im allgemeinen äußern; sie sind mir in ihren Einzelheiten nicht bekannt und ohne diese Kenntnis ist es natür- lich nicht möglich, zu ihnen Stellung zu nehmen. Wenn man z. B. hört, daß Postkarten mit Abbildungen von Bildern anerkannter Meister, deren Originale in Museen hängen, für unzüchtig erklärt worden sind, so gebe ich gern zu, daß eine solche Entscheidung zunächst überrascht. Sieht man aber dann bei näherem Eingehen auf die Sachlage, daß die Karte von dem betreffenden Händler etwa in einer Umgebung, die die Lüsternheit wachruft, vielleicht zusammen mit obszönen Darstellungen feilgeboten wurde, dann gewinnt die Sache ein durchaus anderes Gesicht. Im übrigen will ich gar nicht bestreiten, daß man über die Richtigkeit der einen und anderen Entscheidung auf diesem Gebiet verschiedener Meinung sein kann. Wer jemals sich mit diesen Fragen näher beschäftigt hat, weiß, welche Schwierigkeiten die Abgrenzung der Begriffe des Unzüchtigen bietet, und es ist nur natürlich, daß dabei in Ermangelung eines allgemeinen gültigen greifbaren Maßstabes die Ansichten im einzelnen Falle auseinander gehen. Man wird aber aus solchen ein⸗ zelnen Entscheidungen weitgehende Schlüsse nicht ziehen dürfen.
Das Reichsgericht hat bei Auslegung der maßgebenden Bestim— mungen über die Verbreitung unzüchtiger Schriften und Abbildungen ständig die Auffassung vertreten, daß die bildliche Darstellung des Nackten an sich ebensowenig unzüchtig ist, wie der unverhüllte mensch⸗ liche Körper selbst. Ebensowenig hat sich das Reichsgericht der Er⸗ kenntnis verschlossen, daß durch die vorherrschende künstlerische Idee auch bei Darstellungen sinnlicher Schönheit die sinnliche Empfindung zurückgedrängt und damit eine Verletzung des Scham⸗ und Sittlichkeits⸗ gefühls ausgeschlossen wird. Damit wird grundsätzlich der Kunst die⸗ jenige Bewegungsfreiheit gewährleistet, deren sie zur Vollentfaltung ihrer Kräfte bedarf.
Auf der anderen Seite hat das Reichsgericht in ebenso ständiger Rechtsprechung angenommen, daß Reproduktionen von Kunstwerken insbesondere in Postkartenform in einer Weise mißbraucht werden können, daß sie zu unzüchtigen Abbildungen werden. Der Mißbrauch kann in der Art der Darstellung liegen indem z. B. — das hat auch der Herr Abg. Oertel angeführt, — unter Verzerrung des künstlerischen Charakters des Urbildes das Grobsinnliche in den Vordergrund ge⸗ drängt wird. Er kann aber auch in den äußeren Umständen der Zur— schaustellung, in geflissentlicher Zusammenstellung einer Reihe von Nacktdarstellungen und anderem gefunden werden. Das Reichsgericht hat sich nun, wie hier schon angeführt ist, vor einigen Tagen erneut mit dieser Frage beschäftigt. Das Landgericht 1 Berlin hatte einige Karten lediglich aus dem Grunde für unzüchtig erklärt, weil sie Ab— bildungen von nackten männlichen und weiblichen Körpern darstellten und als Massenmaterial zur Verbreitung im großen Publikum be— stimmt waren. Das Reichsgericht ist dieser Auffassung entgegen. getreten. Ich habe eine Abschrift des Urteils heute erhalten und bin in der Lage, den Herren einige Sätze aus dieser neuesten Entscheidung vorzutragen. Das Reichsgericht führt aus:
„Zum Begriffe des Unzüchtigen gehört notwendigerweise eine Beziehung zum Geschlechtsleben. Eine Schrift oder eine Abbildung ist nach 5 184 des Strafgesetzbuchs nur insofern unzüchtig, als sie
hnen in der Instruktionsstunde⸗
das im Volke herrschende allgemeine Scham⸗ und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen geeignet ist. Die Dar⸗ stellung des unverhüllten menschlichen Körpers wird aber, wie das Reichsgericht wiederholt ausgesprochen hat, für sich allein in der Regel nicht geeignet sein, eine solche schamverletzende Wirkung her⸗ vorzurufen. Es müssen besondere, das Geschlechtsleben be= rührende Umstände hinzutreten, um dasjenige, was zunächst nur die natürliche Erscheinung des natürlichen Menschen ist, zu einer unsitt⸗ lichen oder schamlosen Erscheinung umzuwandeln.“
An einer anderen Stelle des Urteils wird ausgeführt:
„Daß Werke der Bildhauerkunst, in denen der nackte Körper des Menschen zur Erscheinung kommt, sich auch den Blicken von Personen zeigen, die das Künstlerische an ihnen nicht zu erkennen und nicht zu würdigen vermögen, deren Auge vielmehr am Geschlechtlichen haften bleibt, wird sich niemals vermeiden lassen. Wäre die Rücksicht auf sie allein maßgebend, dann müßte jede Aufstellung solcher Bildwerke im Freien und jede Verwendung derselben zum Schmuck der Gärten und Häuser unterbleiben. Das wäre unerträglich. In der Wirklichkeit wird denn auch eine so weitgehende Rücksicht nicht geübt. Bild⸗ werken mit der Darstellung unverhüllter menschlicher Gestalten be—⸗ gegnet man in den öffentlichen Anlagen unserer Großstädte häufig, und die Allgemeinheit pflegt keinen Anstoß daran zu nehmen, daß sie auch Unerwachsenen und Ungebildeten zu Gesicht kommen, die in dem Nackten vielleicht nur das schlechthin Gemeine erblicken. Kann aber nicht angenommen werden, daß die öffentliche Aufstellung von Kunst⸗ werken solcher Art den herrschenden Anschauungen über Zucht und Sitte zuwiderläuft, so leuchtet nicht ein, wie das Zurschaustellen von photographischen Abbildungen dieser Werke, vorausgesetz! daß sie die künstlerische Bedeutung des Originals noch erkennen lassen, und der Umstand, daß die Bilder zur Massenverbreitung bestimmt sind, ihnen den Stempel des Unzüchtigen soll aufdrücken können.“
Daß diese Gedanken an sich richtig sind, ist hier schon mehr— fach hervorgehoben worden. Sachgemäß angewendet, führen sie zu gesunden Ergebnissen, und ich möchte noch mitteilen: auch die Straf— rechtskommission hat sich zu einer Aenderung der Bestimmungen des zurzeit geltenden Strafgesetzbuches nicht veranlaßt gesehen.
Zum Schluß bitte ich mit einigen Worten noch auf die Beschlag⸗ nahme von Postkarten in der Dresdener Galerie übergehen zu dürfen.
Soweit mir bekannt, ist die Unbrauchbarmachung in einem Strafver⸗ fahren ausgesprochen worden, das gegen einen Postkartenhändler an— hängig war, und in dem sich die Unzüchtigkeit aus den Umständen des Vertriebes ergab. Meine Herren, ob in derartigen Fällen in der Tat die Unbrauchbarmachung aller Postkarten — einerlei, wo sie sich be= finden, und wie sie verbreitet werden, ausgesprochen werden muß, oder ob es nicht dem Gesetze mehr entspricht, sich auf die Einziehung der⸗ jenigen Karten zu beschränken, die sich bei dem abgeurteilten Händler befinden, das scheint mir noch weiterer Klärung zu bedürfen, und es wird eine Aufgabe der Rechtsprechung sein, diese Frage erneut der Prüfung zu unterziehen.
Abg. Heine (Soz.): Die gesetzliche Regelung der Verhältnisse der Bureaugehilfen darf nicht bis zum Abschluß der Tarifvertrags— verhandlungen verschoben werden, denn selbst wenn zwischen dem . waltsverein und den Angestellten ein Tarifvertrag zustande käme, so besteht doch keinerlei Exekutivgewalt, kein Mittel, den Vertrag durch⸗ zusetzen. Was den Schutz der Ehre betrifft, so hat . der Abg. Böhme mitgeteilt, daß nicht weniger als 27 Konservative und Mitglieder des Bundes der Landwirte wegen Beleidigung der führen. den Männer des deutschen Bauernbundes verurteist worden sind. Mir scheinen Beleidigung klagen das ungeeignetste Mittel im poli— tischen Kampf zu sein. Ich will gerade nicht sagen, daß der Deutsche lügt; wenn er höflich ist, aber diese schwächliche Angst vor jedem deutlichen deutschen Wort geht wirklich zu weit. Wurde doch der Bergmann Krämer seinerzeit wegen formeller Beleidigung verurteilt, weil er den Ausdruck „der hochmögende Herr Bergrat“ gebraucht hatte, und im bekannten Cölner Prozeß erfolgte Verurteilung wegen des Wortes „Backschisch'. Dabei haben sowohl die Strafkammer in Trier wie das Landgericht Cöln materiell geradezu ausgezeichnet entschieden, und doch kamen sie nicht über diesen einen Punkt hin⸗ weg. Wenn diese beiden ausgezeichneten Gerichtshöfe verurteilen zu müssen glauben, wie geht es dann erst bei anderen nicht so aus⸗ gezeichnet zusammengesetzten und geleiteten zu! Gerade das Reichs⸗ gericht ist es, welches den Begriff der Beleidigung so maßlos aus— gedehnt hat, in jedem Scherzwort schon eine Beleidigung sieht. Anderseits besteht ein Interesse daran, daß jemand, dem etwas Ehrenrühriges nachgesagt worden ist, die Beweisaufnahme zur Klar— stellung erzwingen kann; das wäre möglich, ohne neue Fesseln für das freie Wort zu schaffen. Ganz verfehlt aber ist es, den größeren Schutz der Ehre durch Erhöhung der Strafe und Beschränkung der Beweis- aufnahme herheiführen zu wollen. Das Palladium des Angeklagten, das Recht auf die Beweisaufnahme, soll man nicht preisgeben, auch nicht für die Wiedereinführung der Berufung. Mit dem Wort Klassenjustiz“ sagen wir den Richtern nicht die bewußte Absicht der Rechtsbeugung nach; aber in Prozessen über Mißhandlungen auf Polizeiwächen, über Uebergriffe von Schutzleuten usw. zeigt es sich immer wieder, daß viele Richter sich von den ihnen anerzogenen An— schauungen nicht loszumachen vermögen. Mit dem Begriff des „dolus exentualis. wird hierbei gegen uns der ärgste Mißbrauch getrieben. Klassenjustiz' heißt auch nicht, daß der Arme verurteilt, der Reiche freigesprochen wird, so liegt die Sache nicht; es fehlt den Richtern für das Aufwärtsstreben des Arbeiterstandes vielfach das Verständ⸗ nis; der Richter glaubt, im wesentlichen vom Standpunkte des Auto⸗ ritätsschützers vorgehen zu müssen, er faßt es nicht, daß der Arbeiter Rechte für sich in Anspurch nimmt. Wir stecken ebem noch viel zu sehr im Absolutistischen, im Polizeistaat. So erklären sich die Ver⸗ herrlichungen der Streikbrecher in manchen Richtersprüchen. In den letzten Monaten erleben wir fortgesetzt, daß bei Verurteilungen wegen Streikdeliktes die Strafen dreimal so hoch ausfallen, als noch bor zwei Jahren. Dabei sprechen die Richter es aus, es werde ja jetzt schon im Reichstage verlangt, die Streikbrecher mehr zu schützen, also müßten die Gerichte auf höhere Strafen erkennen. Das ist keine Gerechtigkeit mehr. In der Staagtsanwaltschaft, und nicht nur in Norddeutschland, kommt eine große Fülle politischer Parteilichkeit vor; das ist auch kein Wunder, da die Staatsanwaltschaft politisch abhängig ist von der Regierung. So weit sind wir eben noch nicht, daß ein Sozialdemokrat feine Ehre vertrauensvoll in die Hände des Staatsanwalts legen kann. Die politischen Prozesse sind der Tod der Gerechtigkeit; wenn sie berschwinden, wird es auch mit der Klassen⸗ justiz rasch ein Ende haben. Was die unzüchtigen Reproduktionen von Kunstwerken betrifft, so ist auch hier as Reichsgericht schuld. Zum Begriff des Unzüchtigen gehört die Absicht der Frregung der Sinnenlust, 6 hat es auch früher das Reichsgericht angesehen; von da ist, die Vorstellung entstanden, daß jede Darstellung eines nackten weiblichen Körpers unzüchtig sein könne oder sei. Hier hat die ganze Lerrohte Auffgssung ihren Ausgang genommen, die sich auch in der Judikatur geltend gemacht hat, der jetzt auch die Reproduktionen unterworfen worden sind. h. habe auf den Tisch des Hauses Re— propuktignen von Kunstwerken niedergelegt, welche die h r. phische Gesellschaft“ geliefert hat, und die eben alls, obwoh ausgezeichnete Arbeiten sind, als unzüchtig 566 lagnahmt sind. mit perversen Gedankengängen hat 6 die Staatsanwaltschaft ihre Behauptungen begründen können; gewisfe „Schatten“ auf den Photo⸗ wiaphien sollen unzüchtige Wirkungen erzeugen! Auf diesen Blödsinn ist das Reichsgericht nicht eingegangen; aber solche Staatsanwälte
sie ganz
Foölizei, dieser Staatsanwaltschaft neue diskretionäre Befugnisse zu
Le, gegenüber solchen Ausdrücken nochmals Stellung zu nehmen.
Nur
eden auf die. Kunst ,, ,. Nicht ganz schuldlos sind die minstler und die Kunstverleger selbst gewesen, weil sie ni g . tig für die Abwehr sorgten. In der, 12. Strafkammer in Berlin i sich geradezu eine „Stern kammer“ gegen die Kunst etabliert. die traurigen Erfahrungen mit solchen Sonderkammern haben ja r Aenderung der. Bestimmungen über die e a te verteilung bei kn Gerichten gführt; hier liegt also. zin Rückfall in den alten stand vor. Auch das sogenannte objektive Verfahren gegen diese oiographien wird mißbrauchlich gehandhabt; die Staatsanwaltschaft shlagt diesen Weg ein, wenn es sich um angesehene Künstler oder herleger handelt, die die Richter doch wohl nicht als Pornographen seurteilen würden. Damit werden wir beinahe auf osterreichische sstände gebracht, und es scheint mir hohe Zeit zu sein, daß hier uigeschritten wird. Tatsächlich ist auch schon auf Bolitischem Gehiete gen die sozialdemokratische Presse von diesem objektiven Verfahren ‚hpurchaus rechtswidriger Weise Gebrauch gemacht worden; man hat f bie sem Wege u. 4. die Verurteilung von Flugblattverbreitern wegen Hochverrats erzielt. Dig bestehenden Vorschriften und Ge— ce reichen vollständig aus. Dieselben Leute, die über die un⸗ lichen Postkarten zetern, erhalten anderseits die Jugend in einem öscheulichen Stumpfsinn. Knaben, die durch unsere Schule gegangen nd, die in unseren Turnvereinen ihren, Körper ehren und achten keint haben, werden sich durch solche Dinge nicht verführen lassen. E Ganze ist eine Frage der Bildung und der Kultur. Dieser
en, davon kann aber unter keinen Umständen die Rede sein. br,
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:
Nach meinen Notizen hat der Abgeordnete Heine hier einige Aus— rücke gebraucht, die ich nicht ohne weiteres durchgehen lassen kann. Fo viel ich gehört habe, hat er gesprochen von einer verrückten Recht⸗— spiechung des Reichsgerichts, er hat gesprochen von perversen Ge⸗ mkengängen der Staatsanwaltschaft, er hat davon gesprochen, daß z Reichsgericht diesen Blödsinn hoffentlich nicht mitmachen wird, tz Landgericht sei bei seinen Ausführungen entweder kindlich, wenn ncht bösartig sei. Meine Herren, ich muß diese Ausdrücke ent⸗ hieden zurückweisen (Bravo! rechts.) und ich möchte doch bitten, daß
(.
vir uns hier in solchen Ausdrücken bewegen, daß ich mich nicht genötigt
Bravo! rechts.)
Abg. Dr. Gerlach Gentr.): In einer Versgmmlung von Irren⸗ tten hat man sich mit einer reichsgesetzlichen Regelung des Irren⸗
s einverstanden erklärt. Von verschiedenen Seiten sind Bedenken
zer laut geworden, daß gesunde Personen in einer JIrrenanstalt sterniert werden können. Das ist aber bei der strengen Regelung der ufnahmebestimmungen so gut wie ausgeschlossen. Die Direktoren der saatlichen und anderer Anstalten haben ganz genaue Vorschriften. Fei Privatanstalten darf ein Kranker nur aufgenommen werden, wenn En Zeugnis eines Medizinalbeamten, eines Kreisarztes oder eines irektors einer staatlichen Anstalt vorliegt. Nach Aufnahme in die sstalt werden zuerst die betreffenden. Papiere genau untersucht und uch bei den Kranken festgestellt, ob die in den Papieren mitgeteilten iutsachen wirklich stimmen. Wo es wünschenswert erscheint, wird bsort ein Vormund oder Pfleger bestimmt, in welchem Falle dann bei waigen Reklamationen die betreffenden Papiere den Behörden zur herfügung gestellt werden. In einem Falle beschwerte sich ein Geist⸗ ker direkt, daß ein Mann, dem jeder schon die Krankheit ansieht, itt Aufnahme findet. Wenn es schon bei einem Kranken schwer ist, nn ersieht man, wie schwer es sein muß, einen Gesunden in eine untalt zu bringen. Auch für die Entlassung liegen ganz bestimmte goschriften vor. Es läßt sich nicht leugnen, daß hier einmal Be⸗ nken für die Sicherheit der Allgemeinheit entstehen können. Aber zer dann einzuschreiten und den Betreffenden in seiner persönlichen Etzeit beschränken zu können, das ist Sache der Gerichte und der be⸗ seffenden Instanzen. Eine Internierung nach Freisprechung geistes⸗ unker Verbrecher kann nur durch gerichtlichen Beschluß erfolgen. Der kedner erörtert dann noch ausführlich den Fall Wagner, der auch he⸗ peise, daß Fehlgriffe durch kein Gesetz verhindert werden können. Es ein Zeichen der Zeit, daß die Massenmorde zunehmen und daß auch viel Jugendliche den Weg des Verbrechens betreten. Ohne eine
shtige ethische Erziehung und vor allem ohne eine religiöse Erziehung vürde es nicht möglich sein, unsere Jugend vom Verbrechen zurück— halten. Die Vorurteile gegen die Irrenärzte haben sich in den letzten Jahren vermindert; die Pfychiater werden sich trotz aller Anfeindungen sicht davon abbringen lassen, den Kranken zu helfen und gleichmäßig ie Interessen der Kranken wie der Jugendpflege wahrzunehmen.
Abg. Deve ffortschr. Velksp.: Der Vorredner hat seinen faktionsgenossen Belzer widerlegt, nur schade, daß er dies nicht hon in der Fraktion getan hat. Wenn Irrtümer bei den Psychigtern erkommen, so ist das menschlich, es wäre aber ein Fehler, die Wissen—⸗
J
sbaft nicht zu Rate zu ziehen. Man wird dafür sorgen müssen, daß ie Gerichte imstande sind, gestützt auf psychigtrische Urteile, zu ent— scheiden, ob der Kranke noch weiter in der Anstalt zu bleiben hat oder licht. Die Resolutionen Bassermann⸗Schiffer verfolgen zwei sich Fidersprechende Ziele. Die eine wendet sich an die kontemplative Natur es Reichskanzlers. Ich fürchte, daß sich die Zahl der schlaflosen lichte des Reichskanzlers erheblich vermehren wird. Manche der Wünsche mögen ja berechtigt sein, aber bei solcher Fülle von Stoff ann es dahin kommen, daß wir schließlich gegen das Ganze stimmen nüssen. Was die Vereinheitlichung des Verfahrens und die gemischten Berichtshöfe betrifft, so glaube ich, daß nur ein geringer Teil der Zachen zu einer solchen Verhandlung geeignet ist, wie es die Re—⸗ solution vorfieht. Der neuzuschaffende Gerichtshof würde wieder nur in neues Verfahren und einen neuen Instanzenzug nach sich ziehen. Tas Verdienst der beiden Resolutionen ist, daß fie eine Reihe wich⸗ kiger Fragen direkt auf die Tagesordnung der gesetzgehenden Faktoren hestellt haben. Die Frage der Gültigkeit oder Ungültigkeit der mit un⸗ fannt Irren abgeschlossenen Rechtsgeschäfte bedarf durchaus einer kegelung, die die gegenwärtig vorhandenen großen Unzuträglichkeiten Feseitigt. Eine solche Regelung ist, wie zahlreiche Eingaben der inter⸗ fssierten Kreise beweisen, dringend notwendig, und die verbündeten Regierungen, die doch bei der Frage der Haftung des Tierhalters so mtnell bei der Hand waren, sollten auch diese Frage nochmals in gründ- liche Erwägung ziehen, auch wenn die Unzuträglichkeiten hauptsächlich ur in Berlin hervorgetreten sind. Der Schutz der Inhaber von Schuldverschreibungen der Kreditorganisationen muß bei dem in Aus⸗ ich gestellten Gesetzentwurf, betreffend den ,,, außer⸗ Ualb des Konkurses, auch wirksamer gestaltet werden, als es zurzeit all ist. Zu dem Thema der Klassensustiz möchte ich meiner Freude Uedruck geben, daß wir jetzt durch die Biskuffion zu einer gewissen slärung gekommen sind. Der Vorwurf der. bewußten Klassenjustiz bird nicht mehr erhoben. Wir wollen alle die Mißstände beseitigen, bie in der Judikatur auftreten; aber wir wollen auch nicht das iel aus dem Auge verlieren, daß das Vertrauen in unsere Rechts⸗ Rege nicht erschültert werden darf, und wollen doch auch anerkennen, daß unsere Rechtspflege im großen und ganzen eine gute ist. Abg. Sachse (Soz.: Der Abg. Mertin hat gestern einen Fall wähnt, daß der Staatsanwalt in Waldenburg gegen einen dortigen dafteur Anklage erhoben hat, weil, er behaupteß hat, in meinem Heisein seien Unterschriften unter einem, Wahlflugblatt gefälscht borden. Ich wurde verschiedentlich deshalb in der Presse aufgefordert, nein Mandat niederzulegen. Ich habe Strafantrag gestellt, einmal um ie Sache ö dann um dig Unparteilichkeit des Staats⸗ Hwalts zu prüfen, der in anderen Fällen gegen sozialdemokratische Redakteu e sofort öffentliche Anklage erhoben hat. In dem kommen⸗ J Prozeß wird es sich herausstellen, daß die gen mich erhobenen Heschuldigungen jeder Grundlage entbehren. (Abg. Mertin: Das hat doch mit meinen Ausführungen nichts zu tun!)
Damit schließt die allgemeine Diskussion. Die Frage der Witwe Hamm in Flandersbach soll be⸗ smnders bchandelt werden.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:
Meine Herren! Bevor Sie in die Verhandlung über die Straf⸗ sache gegen die Witwe Hamm eintreten, bitte ich Sie, mir für wenige Worte Gehör zu schenken. Bereits am 12. Dezember v. J. haben
ratung des Justizetats den Fall der Witwe Hamm in Flandersbach, die im Jahre 1908 zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, zum Gegenstand ausführlicher Besprechung machen würden, und zwar be— sonders unter dem Gesichtspunkte der Gutachten des Polizeirats Braun, der Kommissare Kutzki und Metelmann und des Nahrungsmittelunter— suchungsamts des Königlichen Polizeipräsidiums in Berlin. So dank— bar ich natürlich für jede vorherige Ankündigung einer derartigen Er⸗ örterung bin, möchte ich Sie doch bitten, diese Erörterung auf das möglichste zu beschränken. Die Akten in dieser Strafsache haben mir bisher niemals vorgelegen. Sie werden andauernd gebraucht, und ich kann Ihnen nur auf Grund von Mitteilungen, die mir ein Herr aus dem preußischen Justizministerium gemacht hat, folgendes sagen: Die Witwe Hamm ist im Jahre 19608 wegen Beihilfe bei der Ermordung ihres Ehemannes zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt worden und ver— büßt zurzeit diese Strafe. Nachdem die Verurteilung ausgesprochen, sind mehrere Voruntersuchungen eingeleitet worden, um den mutmaß⸗ lichen Täter zu ermitteln. Diese Voruntersuchungen haben aber ein— gestellt werden müssen, weil der Täter nicht zu ermitteln war. Es hat dann vor mehreren Jahren ein Wiederaufnahmeverfahren geschwebt. Das Wiederaufnahmegesuch ist aber abgelehnt und die Beschwerde von dem Oberlandesgericht Düsseldorf zurückgewiesen worden. Neuerdings sind wieder zwei Voruntersuchungen eingeleitet worden, um den Täter zu ermitteln, und gleichzeitig schwebt seit Ende Januar d. J. wieder ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten der Witwe Hamm. Der Fall ist neuerlich im preußischen Abgeordnetenhause ausführlich verhandelt worden; eine nochmalige Erörterung würde sich angesichts des schweben⸗ den Wiederaufnahmeverfahrens und im Hinblick auf die schwebenden Voruntersuchungen als eine Besprechung eines schwebenden Rechtsver⸗ fahrens darstellen. Von diesem Gesichtspunkte aus wie besonders mit Rücksicht darauf, daß die Herren in eine eingehende Würdigung der erhobenen Beweise eintreten wollen, unterliegt jede Erörterung des Falles in diesem hohen Hause erheblichen Bedenken. Ich meinerseits muß mich bei dieser Sachlage von jeder weiteren Erörterung dieser Angelegenheit zurückhalten und kann an derselben nicht teilnehmen. Ich glaube den Herren die dringende Bitte ans Herz legen zu sollen, ihrerseits entweder die ganze Erörterung zu unterlassen oder sich wenigstens die größte Zurückhaltung aufzuerlegen.
Hierauf wird Vertagung beschlossen.
Persönlich bemerkt der ö ;
Abg. Dr. Junck (nl; Der Abg. Dr. Oertel hat gesagt, es wäre auch bei manchem Mitglied dieses Hauses ein kleiner patholo⸗ gischer Zug zu entdecken. Er sagte dann weiter: beim Abg. Dr. Junck nicht und bei mir auch nicht. Vom Standpunkte des guten Geschmacks hat der Abg. Oertel keine Veranlassung zu seiner Aeußerung. Ich möchte den Abg. Oertel doch bitten, wenn er wieder glaubt versteckte Witze und Anspielungen machen zu müssen, es auf seine eigenen Kosten u tun und meine Person aus dem Spiele zu lassen. Ich muß mir jedenfalls sein Vorgehen mit aller Entschiedenheit verbitten. .
Abg. Dr. Oertel (Gkons: Ich möchte dem Abg. Junck in aller Ruhe sagen, daß meine Nebenbemerkung durchaus nicht böse gemeint war.
Abg. Dr. Junck (nl): ü ; der Abg. Oertel seine Bemerkung böse gemeint hätte. sie entsprach nicht dem guten Geschmack.
Schluß 637 Uhr. Nächste Sitzung Donn erstag 1L Uhr pünktlich. (Fortsetzung der Beratung des Justizetats; Marineetat.)
Es wäre ja noch schöner gewesen, wenn Ich wiederhole,
Preußischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. 30. Sitzung vom 18. Februar 1914, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats des Ministeriums des Innern, und zwar zunächst die Ver— handlungen im Anschluß an das Ausgabekapitel „Landrät⸗ liche Behörden und Aemter“, fort.
Hierzu liegt der Antrag der Abgg. Dr. von Campe und Genossen (nl. vor, die Staatsregierung zu ersuchen, in erhöhtem Maße und schleuniger als bisher eine Verstaat— lichung der Bureaus der Landratsämter vorzunehmen.
Ferner wird von den Abgg. Graf von der Groeben und Genossen (kons. beantragt, die Staatsregierung wolle möglichst bald durch Vorlegung eines Gesetzes der Frage der Regelung der Stadtrezesse der neuvorpommerschen Städte nähertreten.
Auf Bemerkungen des widert der
Minister des Innern Dr. von Dall—witz:
Melne Kerren! Der Herr Abg. Richtarskt hat sich darüber be⸗— schwert, daß im Jahre 1899 ein evangelischer Landrat im Kreise Leobschütz ernannt worden ist, während der Kreis, wie der Herr Ab— geordnete angibt, lieber einen katholischen Landrat haben wollte. (Heiterkeit) Ganz genau ist mir die Sache nicht erinnerlich; ich war damals nicht Minister, und es ist schon 14 Jahre her. Aber, wie mir gesagt worden ist, ist als feststehend anzunehmen, daß der Kreis— tag als solcher überhaupt das Vorschlagsrecht nicht ausgeübt und sich nicht gegen die Ernennung des jetzigen Landrats ausgesprochen hat. (Hört, hört! rechts und bei den Natktonalliberalen.)
Die zweite Beschwerde, die der Herr Abg. Richtarski vorgebracht hat, bestand darin, daß angeblich die Tendenz bestehe, mit Hilfe der Amtsvorsteher die Zentrumspartei aus der Kommunalverwaltung aus— zuscheiden. Das ist eine so allgemeine Behauptung, daß Sie mir darin Recht geben werden, daß damit nicht viel anzufangen ist. (Sehr richtig! recht) Im übrigen bin ich aber der Ansicht, daß konfessionelle Momente mit der Kreiskommunalverwaltung überhaupt nichts zu tun haben (sehr richtig! rechts und bel den Nationalliberale), und daß lediglich die Zugebörigkeit zur Zentrumspartei jedenfalls einen besonderen Titel nicht bildet, um an der Kommunalverwaltung teilzunehmen. (Sehr richtig! rechtss und bei den Nationalliberalen.)
Drittens aber hat Herr Abg. Richtarski einen Fall vorgebracht, der im Jahre 1912, also vor zwei Jahren, im Ministertum entschieden sein soll. Dunkel ist mir der Fall auch erinnerllch. Der Herr Ab—
Abg. Richtarsky (Zentr,) er⸗
werden sollte. geblich irgendwelche Bevorzugungen oder Unregelmäßigkeiten vorge⸗ s nommen haben sollte. Das Beweisergebnis hatte dies nicht in dem Maße 4 Mitglieder dieses hohen Hauses mir mitgeteilt, daß sie bei der Be-. den Landrat präsident hatte nach eingehender Prüfung der Sachlage den Bescheid des Landrats aufrecht erhalten, und dasselbe ist seinerzeit im Mi⸗ nisterium des Innern geschehen. Ich kann nicht zugeben, daß gend etwas Unzutreffendes und Unrichtiges weder von den höheren Instanzen noch von dem Landrat begangen worden wäre. Abg. Richtarski daraus die Schlußfolgerung gezogen hat, daß der Landrat nicht die richtige Auffassung von seinen Amtspflichten habe, so ist das meines Dafürhaltens eine willkürliche Behauptung, der entgegenzutreten ich mich für verpflichtet halte. bei den Nationalliberalen.)
Es handelte sich um einen Gemeindevorsteher, der an⸗
wie behauptet worden war; darum hatte gegen nicht eingeschritten werden können. Der demgemäß abgelehnt, der Regierungs⸗
bestätigt, Gemeindevorsteher hatte es
Wenn nun der err
(Bravo! rechts und
Abg. von Bockelberg (kons.): Meine Freunde haben gegen
den Antrag von Campe erhebliche Bedenken, da er zu einer Ver— mehrung der staatlichen Beamten führen würde. auch, fraglich, ob durch eine Veistaatlichung der Landratsbureaus eine Veibesserung der Arbeitsleistungen erzielt wird.
System wollen wir zurzeit nicht abweichen, da es sich durchaus he⸗ währt hat und auf diesem Wege eine bessere Ausbildung der Hilfs⸗
Es erscheint uns
Von dem jetzigen
arbeiter möglich ist. Allerdings halten es meine Freunde nicht für angebracht, daß die Steueweranlagung von Privatangestellten durch⸗ geführt wird. Sie wänschen hier, daß in den landrätlichen Steuer⸗ bureaus staailiche Beamte angestellt werden. Junge Leute, die durch ihre Tätigkeit den Naa weis ihrer Befähigung erbrächt haben, sollten dann zu Steuerassinenten ernannt werden. Mit der. Ueberweisung des Antrages an die Budgetkommission sind wir einverstanden. Abg. Dr. von Woyna ffreikons. ): Die von dem Abg. Richtarsky vorgebrachten Paritätsbeschwerden sind ja sehr alt. Schon
im alten Abgeordnetenhause haben wir uns mit dem Abg. Bachem
sehr eingehend über die Frage der Berücksichtigung der Angehörigen
des Zentrums bei der Besetzung der Verwalzungsstellen
unterhalten. Es handelt sich hierbei um lokale Beschwerden,
und diese Beschwerden sind nicht geeignet, an dem System,
das, in Preußen besteht, irgendetwas zu ändern. Die
Nationalliberalen haben in den letzten Jahren sich bemüht,
Mißstände auf dem Gebiet der inneien Verwaltung abzustellen.
Dahin gehört auch der Antrag Schiffer wegen der Polizei⸗
verordnungen. Ich habe schon vor 13 Jahren gesagt, daß wir in
Preußen in Polizeiverodnungen ersticken. Die Cendenz dieses An—
trages ist also richtig. Nur ist das Ziel auf dem von ihm vor⸗
geschlagenen Wege nicht zu erreichen. Aehnlich verhält es sich mit
dem Antrag von Campe, der uns heute vorliegt. Durch die
Beschäftigung junger Leute aus allen möglichen bürgerlichen
Berufen nach Absolvierung der Volksschule in den Landrats⸗
ämtern ist es möglich, diese Jungen in Lehensstellungen zu
lancieren, die sie sonst nicht erreichen würden. Ich kenne selbst
eine große Anzahl solcher Jungen, die unter mir ausgebildet
sind, und die mir dafür dankbar sind. Es wäre nicht an⸗
gebracht, diese Verhältnisse zu verändern. Auch finanzielle Be⸗
denken sprechen gegen den Antrag von Campe. Wir würden
einen Mehtaufwand von etwa 10, Millionen Mart brauchen.
Ich kann nicht zugeben, daß die Geschäfte bei einer Verstaat⸗
lichung besser fahren würden. Es kommt doch einmal vor, daß
ein Angestellter sich nicht eignet, dann muß das Vertrags verhältnis
sofort gelöst werden können. Ist er aber fest angestellt, so muß man
ihn dauernd behalten. In der letzten Zeit sind die Landratsämter be-
sonders überlastet gewesen durch die mit der Einziehung des Wehr⸗ beitiags verbundene Arbeit. Die Ausführungsbeß immungen sind so spät gekommen, daß alles sich im letzten Augenblick zusammendrängte. Ich hoffe, daß künftig bei solchen besonderen Änlässen die Ausführungs⸗ bestimmungen früher erlassen werden.
Minister des Innern Dr. von Dallwitz:
Zu der Beschwerde, die der Herr Abg. Richtarsky gegen die Er⸗ nennung des Landrates im Kreise Leobschütz vorgetragen hat, kann ich noch nachtragen, daß, wie ich festgestellt habe, der Landrat des Kreises Leobschütz im Jahre 1899 ernannt worden ist, nachdem der Kreistag einstimmig zu seinen Gunsten auf die Ausübung seines Vorschlagsrechts verzichtet hatte. (Hört, hört! rechts.)
Soweit der Herr Abg. von Bockelberg die Frage der Anstellung staatlicher Beamten bei den Steuerbureaus berührt hat, kann ich, wie er selbst ausgeführt hat, darauf nicht eingehen, weil diese Sache nicht zu meinem Ressort gehört.
Ich habe nur das Wort genommen, um ganz kurz Stellung zu dem Antrag von Campe zu nehmen. Wenn der Antrag des Herrn Dr. von Campe lediglich den Zweck hätte, anzuregen, daß nach einiger Zeit doch wieder in stärkerem Maße staatliche Assistenten in den Landratsämtern angestellt würden, so würde ich dagegen nichts ein⸗ zuwenden haben; denn die Absicht, eine größere Anzahl staatlicher Assistenten in den Landratsämtern anzustellen, ist keineswegs auf⸗ gegeben, sondern nur die Ausführung einstweilen mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse, wie ich demnächst ausführen werde, verlangsamt worden.
Dagegen muß ich mich gegen den Antrag in der Form und in dem Wortlaut, den er jetzt angenommen hat, wenden, weil ich aus dem Wortlaut entnehmen zu müssen glaube, daß Herr v. Campe eine völlige Verstaatlichung der Landratsbureaus in Aussicht ge⸗ nommen hat. Daz würde nach meinem Dafürhalten weder den staatlichen Interessen noch den Interessen der Landräte noch auch den Interessen der jetzigen Privatgehilfen der Landräte entsprechen. Das staatliche Interesse ist von den beiden Herren Vorrednern, dem Herrn Abe. von Woyna und dem Herrn Abg. von Bockel⸗ berg, genügend daigelegt worden. Es würde finanziell recht bedenkliche Konsequenzen haben. Im übrigen kann es auch nicht erwünscht sein, ohne Not den staatlichen Beamtenkörper in so erheblichem Maße zu vermehren, wie es der Fall sein würde, wenn dem Antrag v. Campe stattgegeben werden sollte.
Ein anderer Gesichtspunkt, der gegen eine völlige Ver⸗ staatlichung der landrätlichen Bureaus spricht, ist der, daß gerade die Arbeit in den landrätlichen Bureaus in ihrem Umfange nach den Jahreszeiten außerordentlich schwankt; es glbt Zeiten, in denen außerordentlich viel zu tun ist, und andere Zeiten, in denen verhältnismäßig weniger zu tun ist. Bet keiner anderen Behörde findet ein derartiges Schwanken der Tätigkeit statt wie gerade bei den Landratsämtern. Nun bietet die jetzige Regelung den Landräten die Möglichkeit, zeitweilig Hilfskräfte einzustellen, die nach einiger Zeit wieder entlassen werden können, wenn Der Umfang der Arbeit geringer geworden ist. Das würde, wenn die Bureaus verstaatlicht würden, nicht der Fall sein können. Es ist aus⸗ geschlossen, die Zahl der Anzustellenden nach Maßgabe der vorüber. gehenden Arbeit zu bemessen, sondern es würde ein gewisses Durch. schnittsmaß von Arbeitskräften angestellt werden müssen, das aber in Zelten großer Arbeltslast nicht ausreichend sein
Hierzu ergreift das Wort der
geordnete hat mir nicht mitgeteilt, daß der Fall heute hier vorgebracht
würde. Schon aus diesem Grunde ist es meines Dafürhalten