1914 / 109 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 09 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

des Reichsmarineamts folgen. Jetzt, wo dieser Wunsch erfüllt werden soll, wurde das Pressereferat mit überwältigender Mehrheit gegen die Stimmen meiner politischen Freunde abgelehnt. Man hatte die Annahme der Forderung erwartet, nicht nur, weil sie zweckmäßig war, sondern weil sie in 36. Presse und auch hier im Reichstag früher oft und wiederholt geltend gemacht worden ist. Die Ablehnung hat eine recht herbe Kritik . Ich möchte die Worte, die in der Presse gefallen sind, nicht wiederholen, weil ich jede Erörterung ver— meiden will, da ich hoffe, noch eine Revision des Beschlusses herbei⸗ . zu können. Die Presse aller Parteien, des Zentrums, der Nationalliberalen, auch der fortschrittlichen Volkspartei, hat den Be⸗ Hluß des Saushaltungsausschuffes für völlig unverständlich erklärt. Der Reichsverband der deutschen Presse hat in einer Eingahe an den Reichstag die Hoffnung ausgesprochen, daß sich keine bürgerliche Partei der Erfüllung ihrer Bitte um Bewilligung dieser Forderung entziehen werde. Heute früh ist die letzte Nummer des „Zeitungs⸗ verlag“, der Zeitschrift des Verbandes deutscher Zeitungsverleger, erschienen, in der dieselbe Bitte mit derselben Entschiedenheit aus⸗ gesprochen und der Hoffnung Ausdruck gegeben wird, daß die bürger— lichen Parteien die Forderung einmütig wiederherstellen. Das sollte uns doch bedenklich machen, auf den Boden zu treten, den die sonst so urteilsfähige und verständige Budgetkommission eingenommen hat. Welche Gründe haben nun den Ausschuß bestimmt? Da ist zunächst die Furcht vor einer Beeinflussung durch dieses Pressereferat. Eine Furcht vor einer Beeinflussung der Schriftleitungen der Zeitungen durch die Herren von dem Pressereferat hege ich nicht. Wer die deutschen Schriftleitungen kennt, weiß, daß sie Beeinflussungen nicht zugänglich sind. Ich möchte den Zeitungsredakteur sehen, der . von einem noch so liebenswürdigen Leiter des Pressereferats Kuckuckseier in sein Nest legen ließe. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ihre Presse kenne ich nicht; die mag solchen Einflüssen zugänglich sein, unsere nicht. Hierzu sind die Leiter unserer Zeitungen viel zu machtvolle Leute. Weiter wird gesagt, dieses Pressereferat sei vielleicht dazu geeignet, die berechtigte Kritik der Presse zu unterbinden. Was müßte das für ein Schwächling sein, der sich in der deutschen Presse durch die Ueber— mittelung von . oder durch die Beantwortung von Anfragen seine sonst berechtigte Kritik unterbinden ließe. Es können nur sehr untergeordnete Menschen sein, die sich in dieser Weise beeinflussen ließen. Es ist dann auf einige Mißgriffe hingewiesen worden, die sich das Pressereferat hat zu schulden kommen lassen. Auf die Vorgänge von 1907 gehe ich nicht ein; dafür können wir die Herren im Kriegs⸗ ministerium nicht verantwortlich machen. Zuzugeben ist allerdings, daß die Versendung eines Artikels über die Zaberner Angelegenheit nicht gerade den Gipfel und Höhepunkt der Geschicklichkeit gezeigt hat. Ich glaube aber nicht, daß eine derartige Entgleisung wieder vorkommen wird. Außer diesem einzigen Fall habe ich keinen anderen kennen gelernt. Weiter hat man befürchtet, daß diese besondere Abteilung im Kriegsministerium zu Reibungen Anlaß geben könnte. Auch diese Be— fürchtung teile ich nicht. Was soll das Pressereferat? Seine Auf⸗— gabe soll eine dreifache sein: Einmal sollen Nachrichten gesammelt werden für den Bedarf, die Kenntnisnahme der Heeresverwaltung. Diese Aufgabe interessiert die Oeffentlichkeit am wenigsten. Zweitens aber soll das Pressereferat eine Auskunftsstelle für die Presse sein. Wer in der Presse steht, weiß, wie dringend notwendig eine derartige Auskunfterteilung ist. Auskunft ist uns auch vorher erteilt worden, soweit es möglich war. Weil aber keine bestimmte Stelle da war, an die man sich unter allen Umständen wenden konnte, die die Pflicht hatte, Auskunft zu geben, ist die Auskunfterteilung erschwert. End— lich, und das ist die Hauptsache, halte ich es für eine Aufgabe des Pressereferats, eine Berichtigungsstelle zu sein. Es tauchen in der Presse eine ganze Menge von Nachrichten auf, die zum Teil bedenklich ind, die um Teil hart an den Verrat militärischer Geheimnisse streifen. Wir müssen eine Stelle haben, die uns sagt, das ist un— richtig, die Mitteilung dieser Dinge ist unerwünscht, sie würde ein Verrat militärischer Geheimnisse sein. Ich brauche Sie bloß an den Gesetzentwurf in bezug auf den Verrat militärischer Geheimnisse zu erinnern. Diese Verbindung mit der Oeffentlichkeit, mit der Presse, liegt nicht nur im Interesse der Presse, sondern des ganzen Volkes, seiner sorgfältigen und richtigen Unterrichtung. Ein Pressereferat be—⸗ steht ja schon einige Zeit. Ich habe mich oft an das Referat ge⸗ wendet, und ich bin dankbar, daß der Leiter mir Auskunft auf die schnellste Weise gegeben hat. Ein Beeinflussungsversuch hat niemals stattgefunden; man würde dabei auch auf Granit gebissen haben. Der Mann, der an der Spitze steht, ist auch besonders befähigt für einen solchen Posten. Die Freudigkeit, mit der er sein Amt ausführt, und vor allem auch die Liebenswürdigkeit, die ihn auszeichnet, macht ihn besonders geeignet für diese Aufgabe. Es gehört eine gewisse Liebens— würdigkeit dazu, wenn man mit den kommandierenden Generalen der Presse zweckmäßig verkehren will. Ich würde es lebhaft bedauern, wenn durch einen Beschluß des Reichstags dieser Herr verhindert wer⸗ den sollte, seine Tätigkeit weiter auszuüben. Ich bitte Sie dringend, die Forderung ohne Abstriche und ohne Aenderungen zu bewilligen. Man hat gemeint, ein Offizier genüge. Nein, das ist durchaus un— richtig. Die Nachrichtenstelle muß nicht nur in den Tagesstunden, sondern auch in den Nachtstunden bis zur Herstellung der Morgen— zeitungen tätig sein. Soll verhütet werden, daß falsche Nachrichten weitergegeben werden, dann muß unbedingt der eine Offizier durch den zweiten abgelöst werden. Ein inaktiver Stabsoffizier genügt auch nicht. Gewiß gibt es unter den verabschiedeten Stabsoffiziern außer— ordentlich tüchtige und verhältnismäßig noch arbeitsfähige Herren, aber der Leiter des Pressereferats muß eine frische, bis zu einem ge— wissen Grade jugendliche, lebendige Kraft sein. Ein Stabsoffizier, der ein Bein verloren hat, kann die Stelle nicht ausfüllen. Der Leiter muß hin- und herlaufen, fortwährend in Bewegung sein. (Zu⸗ ruf: Kühn! Der Staatssekretär des Reichsschatzamts arbeitet doch nicht mit den Beinen, der Leiter des Pressereferats dagegen muß trepp— auf treppab im Kriegsministerium laufen. Die Herren vom Zentrum möchte ich auf einen Artikel der „Kölnischen Volkszeitung“ hinweisen, die sehr gut geleitet ist, und die sich ganz entschieden für diese Forde— rung ausspricht, Der Redner verliest den betreffenden Artikel. Ich ver— weise Sie auch nochmals auf den Artikel des „Zeitungsverlag“, der sich in demselben Sinne äußert. (Der Redner zitiert auch diesen Artikel.) Ich will aber nun den Herren, die im Ausschuß gegen die Forderung gestimmt haben, eine goldene Brücke bauen. Wir wollen uns auf einen Vermittlungsvorschlag einigen, wir wollen alles bewilligen, was die verbündeten Regierungen beziehungsweise das Kriegsministrium efordert hat, mit einer Ausnahme, mit Ausnahme des Namens. k ist ein Fremdwort und bezeichnet die Wirkung der Nach⸗ richtenstelle nicht. Es ist mir völlig unerfindlich, wie man auf den Namen gekommen ist. Ich will Ihnen nun keinen Namen vor⸗ schlagen, man könnte ja vielleicht „Nachrichtenstelle“ sagen. Vor allem aber kommt es darauf an, daß diese Stelle überhaupt be— willigt wird. Wir sind auf die Mitwirkung der Presse angewiesen. Viele Reden sind der Vorarbeit der Presse entsprungen, aber auch nachher haben die Herren der Presse für uns zu schaffen und zu ar— beiten. Wir sind ja die Achillesse. Aber was wären wir, wenn wir nicht die Herren Homeri da oben hätten. Gewiß haben die Herren von der Presse den Reichstag oft böse behandelt. Bei mir schlägt das Herz als Reichstagsabgeordneter aber doch noch um eine Abtönung chneller wie als Zeitungsmensch, und ich glaube, die Presse verdient ein solches Pressereferat reichlich. *

Abg. Schiffer⸗Magdeburg (nl): Der Abg. Dr. Oertel, der seinen Antrag so eingehend und beweglich begründet hat, verstieg sich zum Schluß zu einer Art Drohung, mit der man doch bei der jetzigen Sachlage besonders vorsichtig sein sollte. In der Sache selbst haben wir den gleichen Antrag gestellt, obwohl wir nicht wissen, ob die Vorlage in allen Punkten das Richtige trifft. Ueber eine gute Ver— bindung zwischen dem Kriegsministerium und der Presse, über die Notwendigkeit einer besseren als der früher bestandenen sind alle Kommissionsmitglieder einig gewesen. Wir wollen selbstverständlich, daß die Presse möglichst n,. und möglichst gut informiert wird, daß ihr ihr schwerer Dienst, den sie dem Lande leistet, nach Möglichkeit erleichtert wird. Diese Verbindung ist wohl imstande, Beunruhigung und Schlimmeres zu verhüten, wenn sie gut funktioniert. Unsere Be⸗ denken richten sich ausschließlich dagegen, ob wirklich der große Apparat,

der in Aussicht genommen ist, zweckentsprechend und nötig ist. Der zegenwärtige Leiter des Pressereferats kann sicherlich ö i mit dem, was ganz allgemein die deutsche Presse von ihm sagt, daß er nämlich ganz ausgezeichnet die Verbindung zwischen seiner Be⸗ hörde und der fe hergestellt hat, und die gesamte Presse hat sich, auch wohl aus Dankbarkeit gegen ihn, so für ihn eingesetzt. Wir hätten aber gewünscht, es würde wenigstens der Versuch gemacht, ob nicht wenigstens eine der Stellen durch einen pensionierten Offizier u besetzen wäre, während der andere, der aktive, gewissermaßen die Tradition festhielte. Wir haben aber mit diesem Vermittlungs⸗ vorschlage kein Glück gehabt, es ließ sich dafür keine Mehrheit ge⸗ winnen. Jetzt stehen wir vor der Wahl, entweder garnichts oder die Vorlage anzunehmen, und da wählen wir im Interesse der Presse das letztere.

Abg. Stücklen (Soz): Gegen den Beschluß der Kommission hat sich nicht die ganze Presse, sondern nur die offiziöse Presse ge⸗ wendet. Die Auskunftsstelle im Kriegsministerium hat schon bestan— den und niemand, auch wir nicht, will sie beseitigen. Wir wenden uns nur gegen die geforderte Vermehrung des Personals dieser Stelle; niemand hat uns über die Gründe, die dafür sprechen, genügende Aus⸗ kunft geben können. Stutzig gemacht hat uns hbesonders der Hin⸗ weis auf die „Marine⸗Rundschau“, die die Presse in großem Um⸗ fange zu beeinflussen versteht. Warum es durchaus aktive Offiziere sein müssen, hat uns auch der Abg. Oertel nicht überzeugend dargetan. Soll der Reichskanzler der einzige verantwortliche Reichsbeamte alles unbesehen verantworten, was von der ,, Presseabteilung des Kriegsministeriums ausgegeben wird? Der Kriegsminister lehnt die Absicht der Beeinflussung der Presse ab; aber weiß man denn, wie lange er Kriegsminister sein wird? Wir bitten Sie, die Anträge auf Wiederherstellung der Forderung abzulehnen.

Abg. Li 5 g (fortschr. Volksp.): Es handelt sich hier ledig⸗ lich um eine Auskunftsstelle für die Presse, um eine Stelle, die kein politisches Organ sein soll und darf. Wir wünschen, daß zunächst ein Stabsoffizier bewilligt wird. (Die weiteren Ausführungen des Red⸗ ners gehen in der steigenden Unruhe des Hauses für die Journalisten⸗ tribüne verloren.)

Preußischer Kriegsminister, Generalleutnant von Fal⸗ kenhayn:

Meine Herren! Die Fragen, die der Herr Abg. Liesching an mich gerichtet hat, kann ich fast sämtlich bejahen, jedenfalls diejenige, daß ich die Verantwortung für die Tätigkeit dieser Nachrichten⸗, Aus⸗ kunfts- oder Sammelstelle, falls sie mir bewilligt werden sollte, auch hier im Reichstag übernehme, und daß ich dafür sorgen würde, daß diese Stelle nicht im parteipolitischen Interesse tätig ist, eine Versicherung, die ich schon neulich abgegeben habe.

Die Gründe, die für die Bewilligung der Anforderung sprechen, sind meiner Ansicht nach von den Herren Abg. Dr. Oertel und Schiffer so ausgezeichnet hier dargelegt worden, daß ich dem nichts mehr hinzuzufügen habe. Es wäre überraschend, wenn ich daraufhin noch erklären würde: ich könnte mich auch mit weniger einrichten. SHeiterkeit.)

Falls hohe politische Gründe Sie veranlassen sollten, nicht auf den Vorschlag der konservativen und der nationalliberalen Partei einzugehen, so würde ich doch wenigstens bitten, dem Vorschlage der Fortschrittlichen Volkspartei Ihre Zustimmung nicht zu versagen. Allerdings kann ich die Bindung, die der Herr Abg. Liesching für die Zukunft von mir verlangt, meiner Ansicht nach nicht abgeben. (Sehr richtig! im Zentrum.)

Im übrigen bin ich ihm dankbar, daß er versucht hat, dem drin⸗ genden Bedürfnis, das im Kriegsministerium besteht, wenigstens zum Teil entgegenzukommen.

Da der Antrag Liesching⸗Wiemer nur erst handschriftlich vorliegt und bei der Abstimmung nicht in den Händen des Präsidiums ist, aber anderseits auch eine Aenderung des Dis positivs enthält, entsteht über den Modus der Abstimmung eine längere Geschäftsordnungsdebatte. Der Antrag Liesching wird inzwischen zur Stelle geschafft; es ergibt sich, daß er die gefor⸗ derte Stelle des Stabsoffiziers bewilligen will, doch soll die e im Falle der Erledigung durch einen pensionierten Stabsoffizier er— setzt werden.

Die Anträge Basser mann und Graf We st arp wer—⸗ den gegen die Stimmen der Rechten und der Nationalliberalen abgelehnt; auch der Antrag Liesching fällt, für ihn stimmen die Rechte, die Nationalliberalen, die fortschrittliche Volkspartei und 2 bis 3 Zentrumsmitglieder. Damit ist die im Etat beantragte Einrichtung eines besonderen Pressereferats abgelehnt.

Zu dem Kapitel 16 „Militärintendantur“ be⸗ merkt der

Abg. Kunert (Soz): Vor fünf Jahren verlangten wir in einer Resolution eine Reform des gesamten Intendanturwesens. Diesem Wunsche ist insofern entsprochen worden, als eine Kommission eingesetzt wurde. Der Kriegsminister versprach uns damals die Her⸗ ausgabe einer Denkschrift, die wir bis heute noch nicht erhalten haben. Auf. Grund einer kleinen Anfrage nach dem Schicksal dieser Denk— schrift wurde mir mitgeteilt, daß eine Beantwortung im Rahmen der Anfrage nicht möglich sei. Gegen eine solche Art der Behandlung der Anfrage müssen wir protestieren. Die Denkschrift soll fertig sein. Wenn es nötig ist, sie umzuarbeiten, dann hat das deutsche Volk ein Recht, zu verlangen, daß die Angelegenheit schnell erledigt wird. Die Intendantur muß dann auf eigene Füße gestellt werden, und ihre Beamten müssen voll und ganz unter das Beamtengesetz gestellt wer⸗ den. Ein Fachmann führt aus, daß unsere jetzige Intendantur im Frieden vollständig verknöchert ist und im Kriege vollständig versagen muß. Vom Kriegsminister haben wir diesmal vergeblich auf eine Auskunft in dieser Frage gewartet. Der furchtbarste Feind der mo— dernen Massenheere ist eine erbärmliche Intendantur und der Hunger. Unter diesen Umständen müssen wir die geforderten? Millionen ab— lehnen.

Die Diskussion wird auch gleichzeitig ausgedehnt auf die Ausgaben für Naturalverpflegung.

Abg. Haeusler Gentr.): Seit Jahren warten wir vergebens auf die versprochene Denkschrift. Man will uns wieder auf ein Jahr vertrösten. Es ist geradezu erstaunlich, mit welcher Fixigkeit man bei uns mit großen Wehrvorlagen kommt, die so tief in das ganze Leben des Volkes eingreifen, und mit welcher Schwerfälligkeit man daran geht, Mängel zu beseitigen, um diese Massen auch im Kriege schlag⸗ fertig zu erhalten. Ich weiß, es ist keine leichte Aufgabe, eine Ver⸗ waltung, die sich im Laufe eines Jahrhunderts entwickelt hat, neu aufzubauen. Wie schnell auch eine starke Armee durch eine schlechte Intendantur zugrunde geht, das zeigen die letzten Balkankriege. Die Intendantur bedarf deshalb dringend einer Reform, ganz besonders in bezug auf die höheren Beamten. Gerade von den leitenden Stellen wird große Uebersicht und Kenntnis gefordert. Wie soll sie ein Be⸗ amter erhalten, der als Vorkenntnis nur die Kenntnis des gesamten Strafrechts mitbringt. Mit Pandekten kann man keine Menschen und Pferde satt machen. Die höheren Beamten bleiben deshalb immer don den unteren abhängig, sodaß die Vorsteher meist en nur ihre Namen zu unterzeichnen haben. Wir könnten unsere Militärverwal⸗ tung viel hilliger gestalten. Zwischen den Beamtenkategorien der In⸗ tendantur besteht noch dazu eine tiefe Kluft. Es fehlt an der Homo⸗ genität, auf die unser Offizierkorps so stolz ist. Zwischen einem neu eingetretenen Intendanturassessor und einem Sekretär ist der Unter⸗ schied viel größer als zwischen einem Armeeinspekteur und einem Leut⸗

nant. Die Verantwortung dafür, daß wir noch keine Denkschrift be— kommen haben, trägt der Kriegsminister ebenso, als wenn wir infolge Versagens der jetzigen Intendantur in einem Kriege große Verluste erleiden. Man darf nicht vergessen, daß die Intendantur keine eigene Kriegsverwaltung ist. Die ins Feld rückende wird vollständig neu gebildet und hat ganz andere Aufgaben. Hier liegt eine Gefahr vor, die viel größer ist, als sie die Wehr— vereine je heraufbeschwören können. Bls jetzt ist bei allem Drängen auf Reorganisation nichts weiter ,, als die Einsetzung einer Kommission, von deren Tätigkeit man immer noch nichts gehört hat. Die Geld⸗, Naturalverpflegung und die Intendantur müssen schon im Frieden bon der Kommandogewalt losgelöst werden, da diese Dinge mit der Truppenführung nichts zu tun haben. Auch unser Proviantamtswesen muß auf eine ganz neue Grundlage gestellt werden. Da uns im Kriege die Zufuhr abgeschnitten werden kann, so wollen wir nachdrücklichen Schutz unserer Landwirtschaft erreichen, damit wir vom Auslande möglichst unabhängig sind. Ich bitte Sie, uns in diesen Bestrebungen zu unterstützen. Ganz besonders muß das Ein— kaufswesen der Nahrungsmittel vollständig neu geregelt werden, es muß von den Lieferanten vollständig unabhängig gemacht werden. Wir brauchen erfahrene Proviantamtsbeamte, die kaufmännische Kenntnisse besitzen, aber auch die nötige Entschlußfähigkeit haben. Das Arbeiten vom grünen Tisch aus muß aufhören. Auf jeden Fall muß auch die Kontrolle und das Rechnungswesen von der Kommandogewalt getrennt werden. In Frankreich wird die Kontrolle im Namen des verantwort lichen Kriegsministers ausgeführt. Alle Truppenkommandeure müssen mit ihrem Vermögen und mit ihrem Gehalt für die Durchführung der Vorschriften haften. Ein Komptabilitätsgesetz besteht bis heute leider nicht. Die kommandierenden Generale in Preußen sind dem Kriegsminister nicht untergeordnet wie bei uns in Bayern. Das Verhältnis der Verwaltung zur Kommandogewalt führt zur Korrup⸗— tion. Es ist unhaltbar, daß ein Zahlmeister mehr zu sagen hat als ein Korpskommandeur. Wir müssen die Entscheidung in die Hand der Truppenkommandeure legen. Das jetzige Verhältnis schädigt die ganze Militärverwaltung. Alle Feldverwaltungsbeamten sollten den Unteroffiziers- oder Offizierscharakter erhalten. Es ist ein einheitliches Verwaltungsunteroffizierkorps notwendig, dann werden die kleinlichen gegenseitigen Reibereien aufhören. Eine Einheitlichkeit ist aber nur zu erreichen durch die Militärverwaltung. Hand müssen die Feldverwaltungsstellen auch mit Angehörigen des Be— urlaubtenstandes besetzt werden. Unsere Intendantur, wie sie jetzt be steht, genügt in keiner Weise den Anforderungen des Ernstfalles. Der künftige Krieg stellt nicht nur gesteigerte Anforderungen an die Führer, sondern noch mehr an die Verwaltung. Die Erhaltung des guten Geistes in der Armee ist die Hauptsache. Der gute Geist in der Armee, Pflichttreue und Disziplin lassen nichts zu wünschen übrig. Aber der gute Geist kann nur erhalten werden durch eine gute Verpflegung der Soldaten. Fehler in der Verwaltung der Magazine usw. würden heute unfehlbares Verderben herbeiführen. Darum war es ein Fehler, das Heer zu vermehren, ohne die Militärintendantur zu reformieren. Diese Reform ist nicht eine steuerliche Mehrbelastung, sie würde große Ersparnisse herbeiführen.

Abg. Werner⸗Hersfeld (wirtsch. Vgg.): Mit dem Vorredner befürchte ich, daß die heutige Intendantur in ihrem Aufbau, in ihrer Verfassung den Aufgaben nicht gewgchsen ist, die im Falle eines Krieges an sie gestellt werden müssen. Es ist nicht zu beghyeifen warum in den höheren Intendanturstellen soviel Juristen sind. Manche Aufgaben können sehr gut durch einen Sekretär erfüllt werden. Ein Zurückdrängen des Assessorismus ist durchaus am Platze. Auch in bezug auf eine engere Fühlung des Trains mit der Intendantur bin ich mit dem Vorredner einverstanden. Die Trainoffiziere müßten eine Zeitlang in die Intendantur kommandiert werden. Unsere heutige Intendantur muß nach praktischen Gesichtspunkten reformiert werden. Unbegreiflich ist es, daß diese Reform so lange auf sich warten läßt. Nachdem wir eine große Militärvorlage bewilligt hatten, mußten wir eine solche Reform umso mehr erwarten. Im ganzen ist anzuerkennen,

daß die Verwaltung den Intendanturbeamten in der Erwerbung der“

Kenntnis fremder Sprachen entgegenkommt. Zu bedauern ist aber, daß einem Intendantursekretär eine Hilfe von seinem Intendanten verweigert worden ist. Der Titel „Intendantursekretär“ entspricht nicht mehr der Tätigkeit dieser Beamten. Jedenfalls verdienen die Vorschläge des Abg. Haeusler, eines verdienten alten bayerischen Ge— nerals, volle Beachtung.

Preußischer Kriegsminister, Generalleutnant von Fal⸗— kenhayn:

Meine Herren! Der Herr Abg. Haeusler hat hier einige Punkte berührt, die ich gern richtig stellen wollte. Er meinte, daß wir die Sekretariatsbeamten im Felde in den höheren Stellen der Feld— beamten verwendeten. Das ist nicht richtig; sondern in den höheren Stellen der Feldbeamten werden ausschließlich höhere Beamte, die auch schon im Frieden höhere Beamte sind, verwendet, und diese höheren Beamten bekommen, wie ich in der Budgetkommission ein gehend dargelegt habe, für ihre Kriegstätigkeit eine ganz besondere Ausbildung. Diese Ausbildung wird noch intensiver werden und gefördert werden wenn mir das hohe Haus die Mittel bewilligt, die in diesem Jahre für diesen Zweck in den Etat eingestellt worden sind.

Der Herr Abgeordnete wandte sich dann dagegen, daß Train offiziere zur Infanterie kommandiert würden. Irgendwelche früheren anderen Kommandos der Trainoffiziere werden durch dieses Kom mando nicht geändert. Dieses Kommando hat den Zweck, den wohl auch der Herr Abgeordnete nicht tadeln wird, den Zusammenhang innerhalb der verschiedenen Waffengattungen zu fördern. Daß er für den Trainoffizier von wesentlicher Bedeutung ist, den Dienst der Truppe und die Verhältnisse bei der Truppe kennen zu lernen, der er den ganzen Nachschub nachführen soll, wird auch von dem Herrn Abgeordneten Haeusler nicht bestritten werden.

Er meinte ferner, der kommandierende General wäre Vorgesetzter des Intendanten des Armeekorps in bezug auf die Kontrolle und Rechnungführung. Das trifft nicht zu, meine Herren. Der kom—

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mandierende General steht in dieser Beziehung in keinem Vorgesetztenverhältnis zu dem Intendanten; sondern der Intendant

bearbeitet unter dem Befehl des kommandierenden Generals nur die Angelegenheiten der sogenannten Sektion 4 a; das ist die Sektion, die sich mit der Verwendung der Truppenfonds befaßt, die den Truppen zur Bewirtschaftung überwiesen sind, dann mit den Unterstützungs fonds, ferner mit all den Angelegenheiten, die den eigentlichen Truppen dienst betreffen. Meine Herren, einer kann da nur entscheiden, und ich ziehe vor, daß dann der lokale kommandierende General entscheidet, der wohl für die Bedürfnisse der ihm unterstellten Truppe das beste und klarste Urteil hat.

Schließlich hat der Herr Abgeordnete gemeint, es wäre unerhört, daß ich mich hier als Kriegsminister des Königs von Preußen vor gestellt hätte. (Widerspruch im Zentrum) Er hat das Wort „unerhört“ nicht gebraucht; aber das etwa war der Sinn seiner Aus führungen. Ich möchte ihm zu bedenken geben, daß ich tatsächlich nichts anderes bin. Wenn er das zu ändern wünscht, kann er ja Anträge stellen. Ich bin wirklich nichts anderes, und ich bin nicht gewohnt, mich unter falscher Flagge hier oder sonstwo einzuführen.

(Fortsetzung in der Zweiten Beilage)

in Hand damit

Zweite Beilage

zum Deutschen Neichsanzeiger und Königlich Prenßischen Stantsanzeiger.

M 109.

Berlin, Sonnabend, den 9. Mai

1914.

rr ——

(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

Dann hat der Herr Abgeordnete mir oder der Heeresverwaltung vorgeworfen, daß die berühmte Denkschrift immer noch nicht vorgelegt worden sei. Ich gebe ohne weiteres zu, daß sich die Denkschrift etwas lange verzögert hat. Aber ich von meinem Standpunkt konnte nichts anderes tun, als sie zurückhalten. Ich habe die Gründe dafür in der Budgetkommission klargelegt, und ich glaube auch, daß ich auf Verständnis für meine Ausführungen gestoßen bin. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, die Zweifel, die sich mir bei der Prüfung der fertigen Denkschrift aufgedrängt haben, erst völlig zu lösen, ehe ich damit an den Reichstag gehe.

Schließlich hat der Herr Abgeordnete hier sehr lange Ausführun⸗ gen über die Intendanturbeamten und deren Tätigkeit gemacht und seine Zukunftsabsichten in bezug auf die Organisation unserer Inten—⸗ danturen entwickelt. Vielleicht wäre es dienlich gewesen, diese Aus⸗ führungen kürzer oder gedrängter zu gestalten. (Zurufe bei den So⸗ zialdemokraten: Nanu?) Das soll keinerlei Angriff sein, sondern nur der Hinweis auf die Ausführungen meines Herrn Vorgängers vom 30. Januar 1911, in denen derselbe in der eingehendsten Weise auf eine große Anzahl von Fragen eingegangen ist, die hier behandelt wurden. Ueberhaupt habe ich den Eindruck, daß der Herr Abgeordnete die Maßregeln in allen seinen Darlegungen als wichtiger hinstellt als die Menschen. Ich glaube aber doch an das alte Wort: men not measures, und, meine Herren, ich bin fest überzeugt, daß wir auch unter unseren jetzigen Intendanturbeamten und unter der jetzigen Organisation die Männer haben, die uns die Verpflegung der Armee im Kriege sicherstellen. (Bravo! rechts) Daß wir reformieren können, das bestreite ich nicht (Zuruf von den Sozialdemokraten), und das beweist am besten, daß ich diese Denkschrift noch zurückgehalten habe. Im übrigen kann ich nur noch einmal betonen, zweifelt bei uns niemand daran, daß die Verpflegung in Zukunft eine große, ernste und schwie⸗ rige Aufgabe für jeden dabei Beteiligten ist, aber ebensowenig daran, daß wir, was in Menschenkraft steht, dafür gesorgt haben, daß unsere Truppen in dieser Beziehung nicht Mangel leiden werden. (Bravo! rechts.)

Abg. Haeusler (Zentr); Der Kriegsminister hat mir den Vorhalt zu großer Ausführlichkeit gemacht. Ich hätte gewünscht, der Kriegsminister wäre ausführlicher gewesen. Er ist nur auf ganz un— bedeutende Sachen eingegangen, z. B. die Vorgesetzteneigenschaft der kommandierenden Generale gegenüber dem Korpsintendanten. Diese stehen tatsächlich unter dem kommandierenden General, es sind ihnen aber sehr viele Verwaltungszweige unterstellt, in denen der komman. dierende General nichts hineinzureden hat. Der Kriegsminister hat ausgeführt, daß wir Männer hätten, die die Verpflegung auch im Vobilmachungs falle wahrnehmen. Ich will unseren pflichtlreuen Be amten keinen Vorwurf machen; die ganze Sache liegt im System. Wenn aber Männer vorhanden sind, dann weiß sie eben der Kriegs⸗ minister nicht zu finden. Ich frage den Minister, wieviele von unseren höheren Intendanturbeamten die Dolmetscherprüfung abgelegt haben. 8 Sekretäre haben diese Prüfung gemacht, aber nur zwei höhere Intendanturbeamte, und zwar diese als Offiziere.

Das Kapitel wird bewilligt. .

Bei den dauernden Ausgaben für die Militäpseel⸗⸗ sorge bringt der

Abg. Schulz -Erfurt (Soz) einen Fall zur Sprache, wonach der Sohn eines Disidenten, ein Soldat, der nicht konfirmiert worden ist, nachdem er 6 Wochen bei der Truppe stand, durch den Oberst und den Divisionsprediger solgnge drangsaliert wurde, bis er mit noch einigen anderen an einem Konfirmandenunterricht beim Diyxisions— prediger teilnahm und zuletzt auch gegen seinen Willen konfirmiert

wurde. Bei einem sächsischen Regiment ist auf der anderen Seite ein Rekrut vom Fahneneid und vom Kirchenbesuch entbunden worden. In einem anderen Falle durfte ein, Soldat lediglich durch Handschlag den Fahneneid leisten. Diese Fälle, sowie ein weiterer, wo der oberste Kriegsherr selbst in dieser Weise verfuhr, beweisen, daß es auch anders gemacht werden kann. .

Generalmgjor Freiherr von Langermgann und Gr4en⸗ amp: Die Militärgeistlichen haben die Pflicht, auf die Erfüllung der kirchlichen Pflichten bei den Soldaten hinzuwirken. Sie wirken aber nicht nur in der Kirche, sondern sie treten auch den Soldaten Als Freunde und Berater in Freud und Leid, nahe. Ein Zwang konnte nicht ausgeübt, werden, weil der Geistliche kein Vorgesetzter des Rekruten ist. Sollte ein dienstlicher Vorgesetzter einen Zwang ausgeübt haben, so kann das nicht gebilligt werden.

Bei den Ausgaben für die Militärjustizver wal⸗ tung kommt der

Abg. Hofrichter (Soz) auf die große Zahl der Fälle von Verurteilung wegen Fahnenflucht zu sprechen. Die Zahlen. diffe⸗ rieren bei den einzelnen Armeekorps sehr stark. Bei der 15. Division erreiche die Zahl der Verurteilungen den Rekord. Dieser ungewöhn⸗ lichen Häufung müßten auch besondere Ursgchen zugrunde liegen. Ein besonders großer Prozentsatz entfällt, auf die Garnison Trier, nämlich 38, fast der 17. Teil, der 1912 im ganzen Heere zur Ah⸗ urteilung gelangten Fälle. Die Nähe der Grenze allein. reiche für die Erklärung dieser auffälligen Erscheinung nicht aus. Die Ursachen der Fahnenflucht wie der Selbstmorde, die auch in Trier häufig vor⸗ gekommen seien, liege in den Mißhandlungen. Die mißhandelten Rekruten wagten es nicht, sich zu beschweren, weil sie dabon noch Schlimmeres für sich fürchteten, sondern suchten sich den Mißhand= lungen durch Fahnenflucht zu entziehen. Der Redner trägt den Tatbestand einer Reihe hierher gehöriger Fälle vor. Für die geringfügigsten Versehen würden die Rekruten aufs grausamste verprügelt und miß⸗ handelt. Leider werde die Oeffentlichkeit bei den Kriegsgerichtsber⸗ handlungen, sobald sich die Anklage gegen Offiziere richte, immer aus⸗ geschlossen. Die Strafen für die Mißhandler fielen oft ganz unver⸗ hältnismäßig milde aus. Auch Trierer Offiziere hätten in den letzten Jahren im Mittelpunkte recht unangenehmer Vorgänge gestanden, die bedenklich an das Bilsesche Buch „Aus einer kleinen Garnison, er—⸗ innerten. Einen nachteiligen Einfluß auf die Beförderung schienen Bestrafungen für verübte Mißhandlungen bei Offizieren nicht aus zuüben. Bei den Mißhandlungen Untergebener werde das Ehrgefühl der Soldaten oft aufs brutalste mit Füßen getreten. Auch der Soldat aber sei doch schließlich nach einem ausdrücklichen Ausspruch des Kriegsministers zum Rächer seiner Ehre berufen. Man muß sich gegenüber diesen , wundern, daß man den Soldaten gegen⸗ über solchen scheußlichen Mißhandlungen nicht das Recht der Notwehr

zugesteht, zumal diese trotz aller Erlasse nicht einmal abnehmen. Das Militärstrafgesetz fordert auch Kadavergehorsam in solchen Fällen.

Wehrk sich der Soldat, dann wird er noch rigoros bestraft. Bayern hatte früher viel schärfere Bestimmungen, ehe es das preußische Gesetz bekam. Es empfiehlt sich, wenigstens diese Bestimmungen

wieder einzuführen. Für die Fahnenflüchtigen ist die Fremdenlegion 3 die letzte Zuflucht, trotzdem sie vom Regen in die Traufe kommen. Aber die jungen Leute glauben, dort ein abenteuerliches Leben führen zu können. Die Maßregeln gegenüber der Fremdenlegion sind in Wort und Schrift in ein Verfahren ausgeartet, das unwillkürlich an Indianergeschichten erinnert und nur geeignet ist, noch mehr Reklame 9 sie zu machen. Ganz besonders hoch sind die Strafen auf Fahnen⸗ lucht im Rückfall. Trotzdem ist sogar mehrfache Fahnenflucht nicht allzu selten. Immer wird bei Fahnenflucht auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt. Hiervon kann nur abge— 6 werden, wenn der Betreffende sich in den ersten sechs Wochen freiwillig stellt. Durch den Verlust der Kokarde wird der Soldat öffentlich gebrandmarkt. Das ist jetzt noch schlimmer, als das An— denprangerstellen im Mittelalter. Um dem Uebel an die Wurzel zu gehen, muß man eine Reform des Militärstrafgesetzbuches vor— nehmen mit ganz besonders schweren Strafen für Soldatenmißhand⸗ lungen.

Generalmajor Freiherr von Langermann und Erler—⸗ gamp: Aus der Statistik geht hervor, daß von 1901 bis 1911 be— straft worden sind a. ahnen fn htl 521, b. abwesende Fahnenflüch⸗ tige 919. Bringt man das Verhältnis von 1912 zur Iststärke, so er⸗ gibt sich, daß auf 1009 nicht ganz eine Verurteilung und das Andert⸗ halbfache der Fahnenfluchtbeschlüsse im deutschen Heere entfallen. Dies im allgemeinen, im besonderen hat der Abg. Hofrichter behauptet daß im Jahre 1912 bei der 16. Division in Trier 6 Verurteilungen wegen Fahnenflucht erfolgt wären. Nach einem vorliegenden Telegramm der 6. Division sind es 36 Fälle gewesen. Aus welchen Gründen die Leute fahnenflüchtig geworden sind, darüber wird er doch wohl nur Vermutungen hegen können. Um diese Gründe zu erfahren muß man doch die Akten einsehen und wissen, was die Angetlagten ausgesagt haben. Aus der ganzen Rede geht aber hewor, daß die Fahnenftucht⸗ fälle bis auf den letzten Fall durch Mißhandlungen herbeigeführt wor⸗ den sind. Den Beweis dafür hat er aber nicht bringen können. Die beiden anderen Fälle, die er zur Sprache gebracht hat, sind mir leider nicht bekannt. Ich werde mir aber die Akten einfordern und sie genau durchprüfen, und wenn es der Herr Abgeordnete wünscht, bei der näch- sten Gelegenheit hier gern Auskunft geben. Der Abgeordnete hat dann auch noch den Ausschluß der Oeffentlichkeit erwähnt. Ich will den Wortlaut der Allerhöchsten Verordnung über den Ausschluß der Oeffentlichkeit hier nicht wieder lesen, das hat schon der Kriegsminister von Einem seinerzeit getan. Ich möchte nur hinzufügen, daß die Mili⸗ täwerwaltung, wenn ihr ein Fall bekannt wird, wo die Oeffentlichkeit ausgeschlossen worden ist, jedesmal die Akten eingefordert und das Er— forderliche veranlaßt wird. Endlich hat der Vorredner noch behauptet, daß die Zahl der Mißhandlungen nicht zurückgegangen sei. Ich kann auch hier wieder statistisches Material anführen. Es sind wegen Miß— handlungen 1991 770, 1907 391, 1911 137 und 1912 285 Militär— personen bestraft worden. Aus diesen Zahlen geht doch deutlich her— vor, daß die Zahl der Mißhandlungen in der Armee in diesem Zeit— raum zurückgegangen ist.

Hierauf wird um 714 Uhr die weitere Beratung des Mili— täretats auf Son nabend 12 Uhr vertagt.

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 75. Sitzung vom 8. Mai 1914, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus setzt die zweite Beratung des Et ats des Ministeriums der geistlichen und Unterrichts— angelegenheiten, und zwar die allgemeine Besprechung des gesamten Volksschulwesens fort, mit der eine Er— örterung der Schulunterhaltungspflicht in den Pro⸗ vinzen Westpreußen und Posen und der dazu gestellten Anträge verbunden wird.

Abg. Viereck (freikons: Meine neulichen Ausführungen über den Religionsunterricht in der Volksschule und in den höheren Lehr— anstalten sind mißverstanden worden. Ich hahe in der Erörterung über die Kirchenaustrittsbewegung ausgeführt, daß das preußische Volt im Grunde seines Herzens an seinem Glauben hängt, sich aber doch eine gewisse Gleichgültigkeit zeigt, nicht so sehr in den breiten Schichten des Volkegz, wie gerade bei den Gebildeten, und ich habe deshalb die Pflege der Religionswissenschaft an den höheren Lehranstalten und auch auf den Universitäten be— sonders empfohlen. Der Abg. Stroebel und auch die „Pädagogische Zeitung“ haben meine Ausführungen müißverstanden, wenn sie mir entgegenhalten, daß die Wissenschaft vor der Volksschule nicht Halt machen dürfe. Ich bin wohl nur wegen der Kürze meiner Aus— führungen mißverstanden worden. Nach pädagogischem Grundsatz soll sich der Unterricht überall dem Verständnis der Schüler anpassen, besonders auch der R lig'ongunterricht. Wenn der Religionsunterricht mit biblischen Geschichten und einfacher Glaubenslehre anfängt, so soll er allmählich vertieft werden. Ich bin der Letzte, der wünscht, daß man die Kinder nur mit Worten und Erzählungen und Dogmen unterrichten solle; auch in der Volksschule soll der Religions⸗ unterricht den Verstand mit den christlichen Wahrheiten erleuchten und anderseits die Kinder für die christlichen Werke erwärmen. Ferner soll man die Kinder auch aufmerksam machen auf den Wert der Religion im allgemeinen und auch auf die Religion der anderen Völker, um zu zeigen, daß die Religion Allgemeingut der Menschheit ist. Die Hauptsache bleibt immer, daß der Charakter auf religiöser Grundlage so befestigt wird, daß die Kinder den Gefahren des Lebens gefestigt gegenüberstehen. In den oberen Klassen der höheren Schulen haben wir eg aber schon mit dem Wissensdurst der Schüler zu tun, ihre Denkfähigkeit wird in allen Unterrichtsfächern in Anspruch genommen, deshalb treten an den Religsons⸗ unterricht für diese Schüler andere Aufgaben heran, man kann sie in das Religionswissen eindringen lassen, die Probleme der Religionsphilosophie mit ihnen lösen und den tiefen Kern der in Religion herausschälen. Dies kann man aber bei den Volkeschülern von 14 oder 165 Jahren nicht tun. Ich wollte die Volksschüler . in der Art des Unterrichts herabsetzen, sondern den Unterricht nur ihrem jüngeren Alter angepaßt wissen. Dadurch ist wohl meine Auffassung klargestellt. Sodann müssen die Kinder auch zu guten Staatsbürgern erzogen werden, man muß ihnen begreiflich machen, daß es Pflicht des einzelnen ist, für das Vaterland mit— zuarbeiten. Deshalb muß man ihnen die staatlichen Organi⸗ sationen, die Tätigkeiten der Gemeinden, die Fürsorge des Staates usw. klar machen. Deshalb müssen auch die Lehrer im Seminar ausreichend mit staatsbürgerlichem Wissen ausgestattet werden. Es erscheint mir zweckmäßig, daß im Laufe der Lehrerausbildung ein zusammengefaßter Unterricht über die Staatseinrichtungen erteilt wird. Was die Anträge wegen der Schulunterhaltung in den Provinzen Posen und Westpreußen betrifft, so empfinden wir den Ausnahme- zustand in diesen Provinzen noch heute als unbehaglich. Wir haben

auch schon die Regierung um ein Gesetz ersucht, wonach die Ver⸗

hältnisse in Posen und nationalen Schwlerigkeiten hat sich aus nationalen

Westpreußen unter Berücksichtigung der geregelt werden sollen. Die Regierung ; Bedenken dazu noch nicht entschließen können. Wir würden uns auch scheuen, nationale Er— schütterungen in diese Provinzen zu tragen, aber die Ver⸗ antwortung, daß der xichtige Zeitpunkt zur Regelung der Schul unterhaltungspflicht in Posen und Westpreußen wahrgenommen wird, müssen wir der Regierung überlassen. Die Schwierigkeiten liegen ja auf der Hand, aber die Schulsojietätebeiträge der Beamten, Geist- lichen, Lehrer usw. werden doch schwer empfunden. Wenn die Regie⸗ rung noch nicht die Schulunterhaltungspflicht anders regeln kann, so sollen wenigstens die genannten Personen nicht schlechter stehen, als in den anderen Landesteilen. Wir ziehen den von uns eingebrachten Gesetzentwurf, der der Not dieser Beamten abhelfen soll, zurück und wollen die Regierung nur in einer Resolution ersuchen, in der vor— geschlagenen Weise durch ein Notgesetz Abhilfe zu schaffen. Wir bitten die Regierung, die Schulunterhaltung in Posen und West— preußen und die Notlage der Beamten usw. gründlich nachzuprüfen, . beantragen die sämtlichen Anträge der Budgetkommission zu über⸗ weisen.

Abg. Dr. von Campe (nl): den hochangesehenen Schulrat Kabisch in Bromberg wegen eines von ihm verfaßten Artikelz. Der Artikel geht zwar von einer Ver— allgemeinerung aus, die der Sachlage nicht entspricht, aber man wird dem Manne nicht gerecht, wenn man nur einen einzigen Punkt hervorhebt und in die Debatte wirft. Man muß auch die Tätigkeit des ganzen Mannes zugleich würdigen. Ich kann jedes Wort, was der Abg. Viereck bezüglich des Religionsunterrichts ausführte, unter schreiben, namentlich, daß der Religionsunterricht wachsen muß mit dem Alter des Kindes. Dadurch werden ganz von selbst sofort Zweifel erweckt, denn eine Wissenschaft ohne Zweifel kann es nicht geben. Sie ist aber dazu da, diesen Zweifel zu beheben, und erst, was man durch den Kampf des Lebens gewonnen hat, ist des Mannes Be— sitz geworden. Von diesem Standpunkte ausgehend, bitte ich, den Artikel des Schulrats Kabisch noch einmal ganz zu lesen. Ich bitte den Minister, den älteren Lehrern, die das Reltoratserxamen gemacht haben, mehr als bisher Rektorate zuzuweisen, und auch, daß die Er— nennung von Hauptlehrern im weiteren Umfange erfolgen möchte. Die Regierung hat geglaubt, dieser Anregung leine Folge geben zu können; ich hoffe aber doch, daß hierüber ersprjeßliche Bestimmungen erlassen werden können. Von ärztlicher Seite ist betont worden, daß das siebente Lebengjahr zum Eintritt in die Schule nicht geeignet sei. Ich bitte, dieser Frage einmal ernstlich nachzugehen. Bezüglich des Antrags auf Regelung der Volksschulunterhaltungspflicht in der Pro— vinz Posen bitte ich die Regierung, sich nicht ablehnend zu verhalten. Wir freuen uns immer darüber, wenn uns in der Kommission alljährlich mitgeteilt werden kann, daß die Zahl der Schüler in den einzelnen Klassen zurückgegangen ist. Hoffentlich wird sie noch weiter zurückgehen. Bei der Statistik muß man aber von einer anderen Basis aufgehen. Man darf nicht erst eine Klasse als überfüllt anseben, wenn sie 80 Schüler enthält, sondern man muß von 50 bis 55 Schülern ausgehen. Eine bedenk— liche Erscheinung ist, daß im letzten Jahre der Zugang der Schuler nicht so stark war wie früher. Das wurde auf den Geburten rückgang zurückgeführt. Nun wird der Gehurtenrückgang zum Teil paralisiert durch bessere Hygiene. Deshalb wird der Rückgang nicht so groß werden, doch bitte ich den Minister, auf Grund dieser Zahlen in der Schaffung neuer Lehrerstellen nicht nach—Q zulassen. Dann möchte ich bitten, den Lehrern in Nordschleswig eine feste Nordmarkenzulage zu gewähren. Der Minifter hat eine Verfügung erlassen, daß die Bewerber um Lehrerstellen an dem Orte ihrer Tätigkeit die Probelektion erteilen. Dag halte ich für richtig; denn die Probelektion vor vollkommen fremden Schülern kann zu zufälligen Resultaten führen. Mir scheint jedoch die Verfügung etwas zu allgemein zu sein, weshalb ich bitte, sie einer Revision zu unterziehen. Das Haus war sich in früheren Jahren einig, daß in der Schulorganisation eine gewisse Dezentralisation stattzufinden habe; gewisse Kompetenzen sollten auf den Kreis übertragen werden. Da die Novelle zum Landes verwaltungsgesetz erst im Herbst beraten wird, halte ich es für geboten, unsere Wünsche hier noch einmal zu betonen. Unsere Stellungnahme dazu ist dieselbe wie früher. Wenn die Kompetenzen der Abteilung 11 im wesentlichen dem Regierungs—⸗ präsidenten überwiesen werden sollen, so muß jedoch dafür in irgend⸗ einer Weise ein Korrelat geschaffen werden; denn mit der Ueber⸗ tragung der Schulangelegenheiten auf den Regierungspräsidenten werden diese in eine weit engere Beziehung zu den allgemeinen pollti—⸗ schen Behörden gebracht, als es bisher der Fall war. Der Forderung nach allgemein losgelösten Schulämtern kann ich nicht beitreten. Ich bitte den Minister, nochmals zu prüfen, ob es nicht möglich ist, in der Kreisinstanz ein wirklich vollwertiges Kreisschulamt zu schaffen. Dieses Kreisschulamt muß dazu berufen sein, diejenigen Gesichtt= punkte in der Schulverwaltung geltend zu machen, deren Geltend⸗ machung bis dahin den Bezirksschultäten in der Regierungsinstanz zustand. Die Regierungspräsidenten sind heute schon reichlich mit

Ich bedauere die Angriffe gegen

* Geschäften belastet, und wenn ihnen noch weitere Aufgaben über⸗ tragen werden, so ist das doch einigermaßen bedenklich. Wir wünschen weiter, daß in dieser Kreisschulinstanz die Interessenten der Schule mehr zu Wort kommen als bisher. Den Einwand, daß durch die Schaffung eines Kreisschulamtes die Einheitlichkeit der Schul⸗ verwaltung gefährdet wird, kann ich nicht anerkennen. Wenn es möglich war, bei einer Dezentralisation auf die Bezirksregierung die Einheitlichkeit festzuhalten, dann wird man dies auch eireichen, wenn die Schulpflege in den unteren Instanzen beim Kreise liegt. Heute unterstehen dem Schulrat durchschnittlich 1200 bis 2009 Lehrer. Bei der Größe unserer Regierungsbezirke ist zu wünschen, daß hier eine weitere Dezentralisation eintritt, um eine bessere Verbindung zwischen den Verwaltungsbeamten und den Lehrern herzustellen. Ich glaube, daß eine derartige Organisation zum Segen der Schule ge⸗ reichen wird.

Abg. Ern st (fortschr. Volksp.); Wir würden es hedauern, wenn in einzelnen Schulen ein Gegensatz zwischen Rektor und Lehrern bestünde, denn ersprießliche Arbeit kann nur ge⸗ leistet werden, wenn volle Kollegialität besteht. Den Klassen— lehrern muß die Möglichkeit gegeben werden, ihre Persönlich—⸗ keit voll zur Geltung zu bringen, da der Erfolg des Üünterrichts in erster Linie von der Persönlichkeit des Lehrers abhängt. Daß die Einheitsschule ein theoretisches Problem blelben wird, halte ich nicht für richtig. Im Gegenteil, alle Gründe sprechen für die Einheits—⸗ schule. Die Einheitsschule ist nur so lange nicht möglich, als der Minister sie nicht will, denn er ist ja die irdlsche Vorsehung in unserem Volksschulwesen. Seit einer Reihe von Jahren machen wir für elne organische Verbindung der Lehrpläne der Volks⸗ schulen mit denen der höheren Schulen Stimmung. Leider ist unser Wunsch immer noch nicht erfüllt. Eine Reform des Volksschulwesens, das auf den allgemeinen Bestimmungen des Jahres 1852 beruht, ist dringend notwendig. Ein ge⸗ meinsamer Unterbau für alle Schulen ist zu wünschen. Bie Zahl derer, die den Lehrgang der Mittelschulen ganz durchmachen, ist eine verhältnismäßig geringe und viel zu kleine im Vergleich mit dem Bedürfnis des Mittelstandes. Von dem Beschluß des Hauses im vorigen Jahre, daß auch seminaxistisch gebildete Lehrer Direktoren

von Seminaren werden können, ist bisher kein Gebrauch gemacht