1914 / 110 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 11 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

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räumt sind, ferner die an patriotischen Festtagen besonders angeord⸗

neten Gottesdienste in Betracht, an denen die Schule in ihrer Ge⸗

samtheit zu erscheinen verpflichtet ist. Insbesondere müssen wir erwarten, daß am Geburtstage Seiner Majestät des Kaisers Lehrer,

Lehrerinnen und Schüler in ihrer Gesamtheit dem vollständigen

Gottesdienste beiwohnen, für den vom Herrn Fürstbischof in den

katholischen Kirchen nach einem am Vorabende und unmittelbar

vor dem Gottesdienst stattfindenden halbstündigen Geläute ein feierliches Votivhochamt mit darauffolgendem Te Deum vor⸗ geschrieben ist.

Die Kreisschulinspektoren werden dann angewiesen, darauf zu achten, daß demgemäß verfahren wird, und darüber zu berichten, ob das geschehen sei. Dagegen wird nichts einzuwenden sein, und ich habe infolgedessen der Regierung erwidert:

Es ist selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden, daß sich die Regierung über die Teilnahme der Lehrer und Schulkinder an den anläßlich des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs stattfindenden Gottesdiensten Bericht erstatten läßt. Es muß jedoch vermieden werden, daß in der Oeffentlichkeit der An— schein entsteht, als ob die Kreisschulinspektoren mit einer Ueber— wachung der kirchlichen Gottesdienste beauftragt seien.

Ich habe das schon in der Kommission gesagt, und habe das also auch der Regierung besonders zum Ausdruck gebracht. Damit ist dieser Fall vielleicht als erledigt anzusehen.

Wenn von konservativer Seite die Ferienordnun g zur Sprache gebracht und betont worden ist, daß die Ferien auf dem Lande nach den besonderen Verhältnissen, die dort bestehen, zu ordnen seien, so bin ich derselben Ansicht; ich habe das auch in der von mir neu erlassenen Ferienordnung mit Nachdruck betont. Die Ferien auf dem Lande werden durch die Kreisschulinspektoren und den Landrat nach Anhörung der Ortsbehörden festgesetzt. Also jene Stellen sollen sich mit den Ortsbehörde Verbindung setzen. Wenn ich im übrigen die Gleichlegu Ferien auf den höheren Schulen und d sind für mich dabei soziale Rücksichten maßgebend gewesen und nament⸗ lich die Ve tisse in den großen Städten (Sehr richtigh, wo es zu vielem Mißbehagen geführt hatte, daß die Ferien der Volksschüler anders gelegt waren wie die Ferien der Schüler der höheren Lehr— anstalten. n vielen Familien ist es dort dadurch zu erheblichen Schwierigkeiten gekommen, weil die Kinder z. T. in die Volksschule, z. T. in die höhere Schule gehen. Das ist der Ausgangspunkt für meine Maßnahme gewesen, und ich glaube, daß sie sich ganz gut in der von mir vorgesehenen Form wird durchführen lassen.

Im übrigen ist die Festlegung der Ferien in den einzelnen Pro⸗ vinzen dem Oberpräsidenten überlassen, um nach Möglichkeit den provinziellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können. Die Ver⸗ hältnisse sind verschieden, und es ist schwer, diese Verschiedenheiten hier von Berlin in gebührender Weise zu berücksichtigen, wie die Er— fahrung gelehrt hat. (Sehr richtig!

Auch darin stimme ich den Rednern der konserbativen Partei bei, daß man sich bei Schulbauten an die örtliche Bauweise anschließen und die Bauten so gestalten soll, wie es in der Gegend üblich ist, damit sie zugleich auch als Vorbild für die Bauten der Gegend dienen können. Wir wollen keine Luxusbauten aufführen, sondern zweck⸗ mäßige hübsche Häuser, die in den Rahmen passen, in den sie gestellt sind. Ebenso gilt es von den Wirtschaftsgebäuden, daß sie den Be⸗ dürfnissen der Schulstelle angepaßt werden müssen; dafür ist maß—⸗ gebend die Größe des Schulbesuchs und dergleichen. Soviel ich weiß, wird auch danach verfahren, und wo es nicht geschehen sollte, müßte allerdings Abhilfe geschaffen werden.

Nun ist der Abg. Viereck auf die Frage der Uebertragung des Schulunterhaltungsgesetzes oder wenigstens einiger Teile desselben auf die Provinz Posen gekommen; er hat die Bedenken, die dagegen sprechen, gewürdigt, und seine Ausführungen damit geschlossen, daß er die Verantwortung dafür, den geeigneten Zeitpunkt für diese Maßnahme zu finden, der Staatsregierung zuweisen müßte. Ich glaube, er hat damit durchaus Recht. Selbstverständlich wird und muß es das Ziel der preußischen Schulpolitik bleiben, das Volksschul⸗ unterhaltungsgesetz mit der Zeit auch in Posen einzuführen; das wird die Richtschnur der weiteren Maßnahmen sein; aber die Regierung ist der Ansicht, daß dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen ist und eine Zeit abzuwarten sein wird, in der die Verhältnisse in den Provinzen sich mehr konsolidiert haben, was, wie wir hoffen, in nicht allzuferner Zeit eintreten wird. Wenn ich somit eine baldige Uebertragung des Volksschulunterhaltungsgesetzes oder einiger Teile von ihm auf die Provinz Posen noch nicht in Aussicht stellen kann, so ist die Re— gierung doch bereit, gewisse Ungleichheiten, die empfindlich berühren, zu beseitigen. Das gilt besonders von dem in Posen noch mangelnden Steuerprivileg der Geistlichen, Beamten und Lehrer. Die Herren Viereck, von Wentzel und von Kries haben ja einen diesbezüglichen Antrag eingebracht; die Regierung ist bereit, auf der Grundlage dieses Antrages an die Lösung der Frage heranzutreten.

Herr von Campe hat dann auch den Entw urf einer Novelle zum Landes verwaltungsgesetz berührt, soweit dabei Schulangelegenheiten in Betracht kommen. Ich möchte es mir versagen, hierauf heute näher einzugehen; es wird dazu ja aus— reichend Gelegenheit sein, wenn dieser Gesetzentwurf zur Beratung gestellt ist. Nur einige der völlig irrigen Auffassungen, die in der Oeffentlichkeit und auch hier im Hause über die Bedeutung und den Einfluß der in dem Entwurf vorgesehenen Bestimmungen auf die Schulverwaltung zum Ausdruck gebracht worden sind, möchte ich mit einigen Worten zurückweisen.

Wenn gesagt worden ist, durch diese Bestimmungen und nament— lich durch die Bestimmung, daß der Regierungspräsident an die Stelle der Schulabteilung tritt, würde der Unterrichtsminister aus der Schulverwaltung ausgeschaltet, so kann natürlich davon gar keine Rede sein. Wenn der Regierungspräsident an die Stelle der Schul⸗ abteilung tritt, so tritt er damit in dieselbe Stelle, die bisher die Schulabteilung dem Minister gegenüber gehabt hat. Wenn man darüber rechten will, ob der Einfluß des Ministers durch die Vorlage wächst oder vermindert wird, so könnte man nur dazu kommen, daß der Einfluß des Ministers verstärkt wird; denn sein Einfluß einem ein— zelnen Beamten gegenüber ist natürlich größer als einem Kollegium gegenüber, das nicht so faßbar ist.

Ebenso kann davon keine Rede sein, daß die Stellung der Re⸗ gierungs- und Schulräte durch die erwähnte Maßnahme beeinträchtigt würde. Die Regierungs- und Schulräte behalten den Lehrern und

den Kreisschulinspektoren gegenüber absolut dieselbe Stellung, die fie jetzt haben. Sie sind in Zukunft nicht mehr ihrem Kollegium, sondern dem Regierungspräsidenten gegenüber in derselben Weise verantwort⸗ lich. Das Kollegium war aber doch keineswegs nur von Regierungs⸗ und Schulräten gebildet, sodaß diese da ausschlaggebend gewesen wären. Sie saßen in dem Kollegium mit einer Reihe von anderen Beamten zusammen und hatten dort nirgends die Majorität. Also diese Befürchtungen sind ungerecht.

Dann hat es namentlich in der Presse geheißen, daß nun der Kreisausschuß und der Landrat, der Bezirksausschuß der Vor⸗ gesetzte der Lehrer und der Kreisschulinspektoren wäre. Ja, meine Herren, woraus werden denn diese Befürchtungen entnommen? Auch

nicht ein Wort darüber steht in der Novelle, und daran denkt kein Mensch. (Na, na! bei den Sozialdemokraten.) Es denkt auch nie⸗ mand daran, den Kreisschulinspektor unter den Landrat zu stellen.

Es ist niemals diese Frage innerhalb der Staatsregierung auch nur erörtert worden, und Sie werden mir keine einzige Bestimmung nennen können, aus der man auch nur mit einigem Recht diese Be⸗ fürchtung entnehmen könnte. Alles das sind Gespenster, die man sich geschaffen hat, die aber in der Wirklichkeit keinen Grund haben.

Deswegen kann ich auch die Mahnung des Herrn Abg. Ernst, doch auf das Wort so sachberständiger Herren zu hören, wie diese Lehrer es seien, die sich gegen die erwähnten Bestimmungen ausge⸗ sprochen haben, nicht so stark ins Gewicht fallen lassen. Denn durch solche Ausführungen, die absolut keinen Grund in der Vorlage und in den bestehenden Bestimmungen über unsere innere Verwaltung fin— den, bringt man nicht den Nachweis, daß man besonders sachberständig auf diesem Gebiete ist.

Meine Herren, ich wollte mich auf diese allgemeinen Ausführun⸗ gen beschränken, um aber doch den Versuch zu machen, ausgesprochene Befürchtungen aus der Oeffentlichkeit zu beseitigen und mit dazu bei— zutragen, daß in eine ruhige, objektive Kritik der Vorlage der Re⸗ gierung eingetreten wird. Daß man von dem einen oder anderen Standpunkt aus eine andere Auffassung haben kann, als sie in der No— belle niedergelegt ist, das versteht sich von selbst. Aber mit solchen übertriebenen Angriffen sollte man fortbleiben, damit dient man der Sache nicht, wenn man zu einer objektiven Entschließung in dieser Frage kommen will.

Nun hat mich der Herr Abg. Ernst davor gewarnt, an alten Tra— ditionen festzuhalten. Auch der Mahnung vermag ich nicht zu ent— sprechen. Ich bin vielmehr sehr geneigt, an Traditionen festzuhalten, die sich seit Jahrzehnten und noch länger bewährt haben. Das schließt natürlich nicht aus, die Schule zu einer ruhigen, stetigen Vorwärts⸗ entwicklung zu führen. Das muß geschehen und ist durchaus meine Absicht. Aber mit einschneidenden Reformen in sich ruhig ent— wickelnde Verhältnisse einzugreifen, davor sollte man sich hüten, so lange dazu nicht eine unbedingte, zwingende Notwendigkeit vorliegt. Sonst soll man die Dinge sich ruhig vorwärts entwickeln lassen und Schritt für Schritt Verbesserungen da anfügen, wo sie notwendig geworden sind. Wenn man so verfährt, so, glaube ich, wird man unserer Schule den besten Dienst leisten; denn was hilft das alles, meine Herren, wenn immer wieder gesagt wird: wir brauchen Ruhe. Wenn das richtig ist, dann soll man auch danach seine Maßnahmen einrichten.

Wenn ich somit an alten Traditionen, die sich bewährt haben, festhalten will, ohne berechtigten Fortschritten entgegenzutreten, die vielmehr auch ich fördern werde, so werde ich aber vor allen Dingen an der alten preußischen Tradition festhalten, daß in unserer Volks— schule gelehrt wird Gottesfurcht, Vaterlandsliebe und Königstreue (Lebhafter Beifall rechts), und daran wird mich auch die sozialdemo⸗ kratische Partei nicht hindern. (Erneuter Beifall rechts.)

Abg., Dr. Heß (8entr): Bezüglich des Landesverwaltungs⸗ gesetzes stehen wir im großen und ganzen auf dem Standpunkt, den der Abg. von Campe gestern eingenommen hat. Man muß dem Gesetzentwurf mit ernsten Bedenken gegenüberstehen. In der Kritik, die hier geübt wurde, ist ein berechtigter Kern. Der Titel „De⸗ zentralisation / ist unzutreffend, man könnte mit viel größerem Recht von einer Zentralisation sprechen. Eg werden ausgedehnte Be— fugnisse in die Hand eines Beamten gelegt. Nach 5 19 ist der Fe— gierungspräsident überhaupt an niemand mehr gebunden. Die De zentralisation darf nicht dahin gehen, daß die Schulverwaltung unter das Ressort des Minssters des Innern kommt. Wir wollen auch kein besonderes Unterrichtsministerium; wir wollen den Mittelweg be⸗ halten, den wir jetzt haben. Bel der geplanten Dezentralisation liegt die Gefahr nahe, daß die Erziehung im rein fiskalischen Interesse an die Wand gedrückt wird. Durch das jetzige Kollegium ist eine Fortentwicklung des Schulwesenz viel besser möglich als unter Oberaufsicht des Regierungspraͤsidenten. Die gesamte Lehrer—⸗ schaft würde das Vertrauen zur Regierung verlieren, wenn der Gesetzentwurf durchgeht. Das wäre ungeheuer schädlich für das ganze Unterrichtswesen. Der Regierungspräsident paßt in den Rahmen der Entwicklung des Schulwesens überhaupt nicht hinein. Hätte an den Vorbereitungen des Gesetzentwurfs ein reisschulinspektor mitgewirkt, so würde manches anders ausgesehen haben. Einer Er⸗ setzung des Kollegialsystems durch das sogenannte Bureausystem stehen große prinzipielle Bedenken entgegen. Die Stellungnahme des Abg. Ernst gegenüber dem Kreisschulinspektor in Posen sst mir ver= dächtig, denn er kann doch aus feiner freisinnigen Haut nicht heraus. Aus seinem Vergleich zwischen dem deutschen Lehrerverein und dem katholischen Lehrerverbande geht hervor, daß der katholische Lehrerverband ein sehr moderner Verein ift. Der Abg Viereck führte gestern aus, er wolle keinen Gesetzentwurf vorlegen. Es würde bedenklich sein, wenn man dazu übergehen wollte, zu Ctatgtiteln keine Anträge mehr, fondern Gesetzentwürfe borzulegen. Die Regterung möge die Materie des Antrages bald regeln. Der Abg. von Campe hat den natlonalliberalen Antrag nicht begründet, infolgedessen ist es nicht gut möglich, dazu Stesllun zu nehmen. PrinzipielUl sind wir für eine baldige Regelung der Schul⸗ verhältnisse in Posen und Westpreußen. Den jetzigen Ausnahme- zustand bedauern wir. Es müssen auf diese beiden Probinzen alle Bestimmungen des Volksschulunterhaltungsgesetzes übertragen werden. Das will jedoch der nationalliberale Antrag nicht. Er will einen Ausnahmezustand wegschaffen und durch einen anderen ersetzen. Der Antrag widerspricht dem Wefen des Volksschulunterhaltungsgefetzes, das auf dem Kommunalprinzip beruht, mit dem die religiose Frage auf das engste berknüpft ist. Zwischen beiden besteht ein Kausalnexus allerengster Art. Die jetzt übliche Klassenfrequenz kann man nicht mehr als normal bezeichnen. Die Unterrichtsverwaltung u hier dringend Abhilfe schaffen. Die einklassige Schule ist kein Institut zur richtigen Heran⸗ bildung der Lehrer. Es muß dafür gesorgt werden, daß ben jungen Lehrern, die vom Seminar kommen, die Möglichkeit gegeben wird, sich in städtischen Schulen unter Anleitung von erfahrenen Rektoren und Lehrern weiter zu bilden. Ich möchte besonders die Stadt⸗ bderwaltungen bitten, nach dieser Richtung zu wirken. Eine Gleich stellung der Stadt- und Landlehrer muß unbedingt erfolgen. Wir haben nur eine ganz geringe Zahl von katholischen Geistlichen, die zu hauptamtlichen Kreisschulinspektoren ernannt worden ist. Ich glaube, es bedarf nur eines . darauf, und die Unterrichts verwaltung schafft hierin Wandef.

Ein Schlußantrag wird angenommen.

Zur Geschäftsordnung bemerkt

Abg. Dr. Hach nicke lfortschr. Volksp.): Der Schluß der De batte widerspricht einer Abrede, die unter den Parteien getroffen war. Es sind lediglich die Vertreter von der konservativen Parte und dom Zentrum zum zweiten Male zum Wort gekommen, aber uns ist unmöglich gemacht, darauf zu antworten. Wir bedauern, da wir infolge der Ech lig eng. der Debatte nicht mehr in der Lage sind auf die Angriffe des Minissters einzugehen. Wir halten das nicht für ganz loyal und protestieren gegen dieses Verfahren.

Abg. von Pappenheim (kons.): Ich bestreite, daß irgendwelche Zusicherungen wegen der zweiten Garnitur der Redner gegeben worden sind. Der Abg. Dr. Pachnicke spricht immer zu viel pon lleber. hastung und Ueberlastung, und es sind gerade die Vertreser seiner Partei, die hier Dauerreden halten. Wu haben mit Ausnahme der Polen am allerwenigsten geredet, am meisten haben selbstverstãn dlic die Sozialdemokraten gesprochen. Die Sozialdemokraten und Frey sinnigen haben fast doppelt so viel pro Kopf geredet wie wir. (Zuruf links: Pro Koyf!) Neden Sie denn mit einem anderen Ten als mit dem Kopf?

Abg. Dr. Dittrich (Sentr): Von einer Zusicherung, daß auch die, zweite Serie der Redner noch zu Worte kommen soll, ist mir nichts bekannt.

Abg. Dr. Pach n icke (fortschr. Volksp.): Der Abg. von Ditfurth hat eine Rede gehalten, die zwar äußerst interessant war, aber doch nicht zu diesem Titel gehörte. Gleichwohl hat er eine gute Dreiviertel stunde gesprochen. Gesündigt wird also auch auf Ihrer Seite. Die Verlängerung der Etatsberatung ist darauf zurückzuführen, daß die Initiattvanträge in Etatsresolutionen umgewandelt worden sind, und daß das politische Interesse im Lande sich erhöht hat.

Präsident Dr. Graf von Schwerin: Der Praäͤsident ist in bezug auf Schließung der Besprechung auf die Anträge und Be⸗ schlußfassung des Hauses angewiesen. Wir haben in den früheren Jahren für die Beratung des Etaks durchschnittlich 25 bis 30 Tage gebraucht. Für die jetzige Etatsberatung werden wir aber mindestens 70 Tage, wahrscheinlich 75 Tage gebrauchen. Es kommt noch hinzu, daß in früheren Legislaturperioden dle Sitzungen fast niemals über 4 Uhr ausgedehnt wurden, während wir jetzt fast immer bis 5 oder 6 Ühr Sitzungen abhalten. Danach haben wir einen Mehranspruch an Zeit für die Etatsberatung allein in der letzten Session gegenüber der vorigen Session um mindestens 60 bis 76 co zu verzeichnen. Wenn dat so weiter geht, dann würden wir im nächsten Jahr für die Etatsberatung etwa 1090 bis 140 Sitzungen nötig haben. Wenn der Ctat dem Hause auch vor Weihnachten vorgelegt wird, würde es niemals möglich sein, ihn einigermaßen rechtzeitig fertigzustellen. Um dem abzuhelfen, müssen wir entweder die Sitzungen länger ausdehnen oder die Zahl der Redner verkürzen oder die Länge der Reden einschränken. Meinem Wunsche würde es mehr entsprechen, die Länge der Reden zu ver— kürzen. Dadurch wird ermöglicht, daß möglichst viel Redner zu Werte kommen. Wir haben die Pflicht, die Geschäfte des Hausez nach Möglichkeit zu fördern. Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die Interessen des Landes geradezu auf das schwerste geschädigt werden würden, wenn es nicht möglich sein würde, den Etat so recht⸗ zeitig fertigzustellen, daß er vor Pfingsten auch seitens des Herren. hauses erledigt wird. Wenn dies aber nicht geschieht, so muß ich die Verantwortung dafür für das Präsidium ablehnen und sie den Parteien selbst zuschleben. Von seiten des Präsidtums ist alles geschehen, um die Verhandlungen des Hauses zu fördern, und es kann nicht verantwortlich gemacht werden, wenn eine weitere Verzögerung eintreten sollte, die ich im Interesse des Landes lebhaft bebauern würde.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Es wäre besser gewesen, an der ersten Abrede festzuhalten und sich mit einem Redner zu begnügen. Durch die Zulassung eines zweiten Redners sind die J erst entstanden. Ich habe mich deshalb abschneiden lassen, um die zweite Lesung möglichft zu fördern, und auch mit Rücksicht auf den Kultusminister, der sich schon halb tot geredet hat. Es ist immer so gewesen: wenn der Etat nicht zu Ostern fertig war, hat sich seine Beratung immer ins Endlose autz⸗ gedehnt. Wir haben im nächsten Jahr die Pflicht, den Etat unter allen Umständen vor dem 1. April zustande zu bringen.

Abg. Dr. Friedberg (nl): Der Abg. bon Pappenheim wollte die Verantwortung auf andere abschieben. Uns ist von einer Abweichung von den Abmachungen nichts mitgeteilt geworden. Wenn eine Abmachung, noch eine zweite Serie von Rednern zu Worte kommen zu lassen, getroffen worden war, dann mußte sie auch ein—⸗ gehalten werden. Es ist noch nicht vorgekommen, daß das Zentcum, das selbst einen Redner vorschickt, der andere angreift, selbst einen Schlußantrag einbringt.

Abg. Dr. Heß IZentr.): Ich muß sowohl dem Abg. Friedberg als auch dem Abg. Pächnicke recht geben. Ich kann aber versichern, daß es nur ein Mißberständnis ist, das sich leider nicht mehr ändern läßt. Ich selbst habe gegen den Schluß gestimmt.

Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.): Es steht fest, daß eine zweite Abrede getroffen war, die nunmehr durchbrochen ist, und daß wir Grund haben, uns über die Durchbrechung zu beschweren. Dem Präsidenten muß ich die Anerkennung aussprechen, daß er bemüht war, die Geschäfte nach Möglichkeit zu fördern. Ich wünsche, daß ihm diese Anerkenung immer ausgesprochen werden kann. Es scheint jetzt das Bestreben aufzukommen, die ruhige Methode der Beratung zu , n Derartigen Versuchen gegenüber erkläre ich: wir sind durch- aus für eine sachgemäße Behandlung der Geschäfte und wollen sie nicht verzögern. Wir wehren uns aber dagegen, wenn versucht werden soll te, Gewalt anzuwenden und uns durch Abendsitzungen Sitzungsverlän gerungen aufzubürden, die wir schließlich nicht tragen können. Bie Herren, die überhaupt anwesend sind, arbeiten fleißig. Sie arbeiten von Morgens 8 Uhr bis Mitternacht um 12 Uhr, und schließlich ist der Parlamentarier im Nebenamt auch noch Mensch. Machen Sie einen Versuch mit Abendsitzungen nicht, wenn Sie einigermaßen Ruhe haben wollen. Gewiß gibt es Momente im parlamentarischen Leben, wo man Schluß machen darf und muß, aber das darf man nicht dann tun, wenn eine Abrede zu dem Zwecke durchbrochen werden muß. Wir halten es für durchaus möglich, in sachlicher Weise den Etah bis zu Himmelfahrt durchzuberaten und auch in dritter Lesung zu erledigen, und dann bleibt dem Herrenhause sehr gut die Möglichkeit, noch vor Pfingsten den Etat zu beraten. Wir müssen dann noch einige Tage den Beamten widmen, nachdem jetzt alle Beamtenwünsche zurückge— stellt worden sind. Vom 9. Juni ab können wir dann uns mit dem Jischereigesetz und den sonstigen Vorlagen beschäftigen. All diese Schwierigkeiten würden aber gar nicht entstehen, wenn die Regierung endlich dem Wunsche des Hauses folgen und den Etat schon vor Weihnachten uns zugehen lassen und den Landtag schon im Herbst einberufen würde.

Abg. Dr. Dättrich⸗Braunsberg (Zentr.): Es ist hier die Rede davon gewesen, daß der Abg. Kesternich Verbindlichkeiten ein- gegangen sei in bezug auf die zweite Rednergarnitur. Ich kann nur feststellen, daß mir davon nichts bekannt war, und daß er jedenfalls im Auftrage der Fraktion nicht gehandelt hat. Wir werden wieder zu dem früheren Brauch zurückkommen müssen, die Ctatsberatungen unter Ausschluß der Anträge durchzuführen. ;

Abg. Adolf Hoffmann (Soz): Die letzten Worte des Vor— redners kann ich nur unterschreiben. Wenn Sie sich beklagen über lange Reden auch von unserer Seite, so sind diese ja gerade dadurch hervor⸗ gerufen worden, daß Sie von der alten Praxis abgegangen sind und immer wieder neue Methoden einführen. Solange wir in diesem Hause sind, ist noch nie am J. April ein Etat fertiggeworden. (Stür⸗ mische Heiterkeit) Ihr Lachen habe ich vorausgesehen, Sie sind wirk⸗ lich auf die Leimrute gehüpft. Zehn Jahre lang vorher ist der Etat nämlich auch nicht rechtzeitig fertig geworden. hr lachen Sie doch wieder. Also an der Sozialdemokratie hat es wirklich nicht gelegen.

(Fortsetzung in der Zweiten Beilage.)

3weite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preu

n 110.

(Fortsetzung aus der Ersten Beilage)

Wenn abends noch Kommissionssitzungen sind. dann dauert die Arbeit jetzt meistens von 11 bis 11 Uhr. Freilich, Sie auf der Rechten sind ja oft kaum noch zu Zweit im Saale. Zpischenrufe rechts) Nein, auch bei Ihren eigenen Rednern find Sie kaum da, außer wenn viel⸗ leicht, hier der Abg. Diederich Hahn einmal antanzt Und über alles Mögliche redet. Dann aber heißt es wieder, die Sozialdemokraten hiel⸗ ten die Verhandlungen auf. Diejenigen, die wirklich hier arbeiten, werden ungeheuer in ihrer Kraft ausgenutzt. Freilich, die bloßen Diätenschlucker, die nur am Ersten hier ankommen oder vielleicht auch dann sich das Geld schicken laffen, die überarbeiten sich ja nicht. Der Abg. Münsterberg hat ja festgestellt, daß bei einer ganz wichtigen Frage des Kultusetats kaum zwanzig Abgeordnete im Saale und vielleicht noch zehn im Restauramt waren. Ber Abg. von Pappenheim hat uns vorgerechnet, wieviel jeder redet auf den of der Fraktion, und als wir ihm zuriefen: „pro Kopf?“, hat er geantwortet: Ja, womit reden Sie denn sonst? Pie Antwort war vielleicht geeignet, in Ostelbien das wiehernde Donnern aller Ställe herauszufordern, aber hier war das recht unangebracht.

Abg. Dr. Friedberg (ul.): Von einer Unklarheit kann ich im borliegenden Falle nichts bemerken. Es ist eine ganz klare Abmachung getroffen worden. Ich kann höchstens annehmen, daß der Abg. Kester⸗ nich keine Vollmacht hatte, wir werden daher in Zukunft vorsichtiger sein und uns an die Abgeordneten Porsch oder Dittrich halten. Ich halte es für eine Pflicht der Gerechtigkeit, immerhin hervorzuheben, daß eine Anzahl der Herren vom Zentrum nicht für den Schluß ge— stimmt hat. (Zuruf beim Zentrum: Sehr viele) Das ändert aber nichts daran, daß der Schlußantrag auch vom Zentrum aus⸗ gegangen ist. ;

6. Dr. Dittrich⸗-Braunsberg Zentr.): Ich hatte gestern gehört, daß der zweite in Aussicht genommene nationalliberale Redner heute nicht anwesend sein könnte; daß er n en durch einen anderen ersetzt worden ist, ging aus der Rede des Ministers hervor.

Abg. Otto⸗Charlottenburg (fortschr. Volksp.): Ich bedaure, daß mir das Wort abgeschnitten worden ist, im Interesse der Volks— schule. (Heiterkeit. Ich stelle fest, daß Sie, sobald das Wort Volks⸗ schule fällt, in Gelächler ausbrechen. Durch den vorzeitigen Schluß ist die parlamentarische Verhandlung über die Volksschule nicht zu dem Rechte gekommen, das sie beanspruchen muß. Was der Abg. von Ditfurth über die deutsche Sprache gelegt hat, unterschreibe ich gern. Aber er sagte selbst, daß er diese Rede ebensogut bei höheren Lehranstalten hätte halten können. Ich bedaure, daß er das nicht ge⸗ tan hat und dadurch die Zeit für das Volksschulwesen abgekürzt worden ist. Ich bedaure, daß es mir nicht möglich ist, auf die Ausführungen des Abg. Dr. Heß über den deutschen Lehrerverein, die ganz unzutreffend waren, zu antworten.

Hierauf werden die Anträge der Budgetkommission über⸗ wiesen. . .

Unter den Ausgaben für die Sch ulaufsicht werden 15 neue Stellen für hauptam tliche rei ö. ul⸗ in spektoren gesordert, und zwar in Fischhausen, Goldap, Sensburg, Rathenow, Stargard i. P., Schlawe, Bunzlau, Salzwedel, Wittenberg, Weißensee, Oldenburg i. H., Hildesheim, Lehrte, Eschwege und Aachen. . . .

Die Budgetkommission hat die Stellen sämtlich bewilligt.

Hierzu liegen folgende Anträge vor:

ie Abgg. Aronsohn Cfortschr. Volksp.) und Genossen

beantragen:

die Regierung aufzufordern, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um a. die geistliche Ortsschulinspektion aufzuheben, b. mit tunlichster Beschleunigung die nebenamtliche Kreisschulinspektion Durch die hauptamtliche zu ersetzen und hierfür im Dienst der Volksschule ersahrene Männer, insbesondere in größerer Zahl als bisher seminarisch vorgebildete Lehrer zu berufen.

Die Abgg. Dr. Arendt (freikons.) und Genossen be⸗ antragen:

die Regierung zu ersuchen, 1) nach Maßgabe des steigenden Be⸗ dürfnisses und unter Berüchsichtigung der örtlichen Verhältnisse die nebenamtlichen Kreisschulinspektionen durch hauptamtliche zu er setzen, ? zu hauptamtlichen Kreisschulinspektoren vornehmlich im Dienst der Volksschule erfahrene Männer, insbesondere nach Mög—⸗ lichkeit auch seminarisch vorgebildete Lehrer zu berufen.

Die Abgg. Dr. Porsch (Zentr.) und Genossen be— antragen: .

die Regierung zu ersuchen, I) Anordnungen zu treffen, wodurch die künstliche Einrichtung des Rektorensystems an Volksschulen, besonders auch durch n n ng der Gemeinschaftserziehung beider Geschlechter, verhindert wird, 2) auch bei Einführung des Rektoren⸗ systems die geistliche Ortsschulaufficht beizubehalten, solange nicht in anderer Weise das der Kirche gebührende Recht auf Mit— aufsicht über den gesamten Unterrichl in den Volksschulen sicher⸗ gestellt ist. . 5

Ahg. Dr. Dittrich-Braunsberg (Zentr): Wir müssen uns entschieden gegen den Antrag Aronsohn und Genossen wenden der eine Aufhebung der geistlichen Schulinspektion fordert. Der Libe⸗ ralismus will die Mitwirkung der Kirche an der Schule einschrän⸗ ken; und wenn einmal die letzten Ziele des Liberalismus erfüllt sind, dann werden wir die konfessionslose Schule, die rein weltliche Schule haben. Diese will auch erzieherisch wirken, aber hauptsächlich durch den sog. ethischen Unterricht. Das ist ja nur ein rein vernunft— mäßiger Unterricht und hat mit dem Religionsunterricht, welcher auf der überirdischen Offenbarung beruht, wenig gemein. Schon Lasker hat ausgeführt, daß die Liberalen in der Ausschaltung der Kirche aus der Schule das beste Mittel erblicken, um den Rluriglen Einfluß auf das Volk zu beseitigen. Weil wir die letzten Absichten des Liberalismus kennen, halten wir fest an der geistlichen Orts⸗ schulqufsicht und mißtrauen allen Anträgen, die dagegen sturmlaufen. Die Kirche ist nach dem Willen ihres Stifters die große Erziehungs⸗ anstalt für alle Menschen, nicht bloß für die Erwachsenen, sondern auch für die Kinder: Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret ihnen nicht! Wo immer also erzieherisch gearbeitet wird, da will die Kirche mitarbeiten als von Gott gesetzte Erziehungsanstalt der Menschen. Die Volksschule in Preußen ist eine konfessionelle. Der gesamte Unterricht muß sich nach der betreffenden Konfession rich⸗ ten. Das liegt im Wesen der konfe tionellen Schule, und das hedingt wieder einen Einfluß der Kirche. Deshalb, fordern wir ein Mitauf— sichtsrecht der Kirche und wünschen, daß die geistlichen Schulinspek⸗ toren für die Volksschule erhalten bleiben. Der Minister hat wieder holt ausgesprochen, daß er gar nicht daran denke, die geistliche Schul⸗ inspektihn über die Volkeschule allgemein aufzuheben. Aber hie und da kommen Klagen, daß doch nicht in genügendem Maße die be⸗ rechtigten Wünsche des latholischen Volkes berücksichtigt werden. Solche Klagen sind z. B. aus dem Kreise Ratibor gekommen. In der Rertorenfrage stimmen wir nicht mit dem Minister überein. Wir geben zu: Wo mehrere Lehrer an einer Schule arbeiten, da muß ein Leiter vorhanden sein. Nun meint aber der Minister, neben den Rektoren sei kein Platz mehr für die geistlichen Srtẽschulinspekioren. Das erkennen wir nicht an. Wenn der Ortsschulinspektor seine Auf⸗ gabe richtig auffaßt, wenn er sich mehr als Berater und Freund ge—

Berlin, Montag den Il. Mai

ischen Staatsanzeiger. 1244.

bärdet denn als Vorgesetzter, und wenn er sich des Eingriffs in den eigentlichen schultechnischen Betrieb enthält und sein Augenmerk rich⸗ tet auf die sittliche Förderung allein, dann behält er seinen hohen Wert für die Schule. Am Rhein sind in verschiedenen Städten die Ortsschulinspektoren einfach abgesetzt worden, und die Gemeinden wurden angewiesen, in ihren Etat das Rektorensystem zu berücksichti⸗ en, was für einige mit recht erheblichen Kosten verbunden war. Die Koedukation halten wir für unsinnig. Sie geht gegen die Natur— Die Mädchenbildung hat andere Aufgaben und andere Ziele als die Knabenbildung, und es müssen auch andere Mittel angewendet wer⸗ den, Gewiß läßt sich eine Koedukation nicht überall vermeiden, bei einklassigen Schulen usw. Aber daß man die Koedukation künstlich einführt, um etwa große Schulsysteme zu schaffen, das halten wir nicht für berechtigt. In den Städten mit mehreren Schulen gibt es nur eine Schuldeputation, in der nur ein Geistlicher ist. Wie soll nun dieser Geistliche einen Einfluß auf die religiöse Erziehung in sämtlichen Schulen ausüben können? Deshalb bitte ich: Halten wir fest an dem, was wir jetzt haben, bis wir etwas Bess. be⸗ kommen. . ö

Abg. Freiherr von 3 edlitz und Neukirch (rreikons.): Dem Vorredner muß ich entschieden widersprechen. Der Zentrumz⸗ antrag ist sehr geschickt aufgebaut; er beginnt mit Pianissimo, um im Fortissimo auszuklingen. Er enthält eine Kriegsansage an die Schule Preußens. Den ersten Teil des Zentrumsantrags lehnen wir ab. Die Unterrichtsverwaltung eilt der Entwicklung der Dinge nicht voran, sondern folgt ihr vorsichtig nach. Bezüglich der zweiten Forderung des Zentrumsantrags, die Ortsschulaufficht durch Geistliche beizubehalten, gibt es in Preußen nicht eine Aufsicht durch den Geistlichen aus eigenem Recht. Der Geistliche übt die Aufsicht nur im Auftrage des Staates aus. Selbst der Unterrichtsminister hat gesagt, daß da, wo die Aufsicht durch einen Fachmann ausgeübt werden kann, die Auf— sicht durch einen Geistlichen entbehrlich ift. Was den Antrag vom grund- sätzlichen Standpunkt aus völlig unannehmbar macht, ist, daß er sich auf den Anspruch der katholischen Kirche auf Mitaufsicht über den gesamten Unterricht der Volksschuse stüßzt. Ein solcher Anspruch ist mit dem Schulrecht und? der historischen Entwicklung und Gestaltung der Volksschule völlig unvereinbar. Die Durchführung dieser Forderung würde die Volksschule hinter die Zett des allgemeinen Landrechts, hinter die Zeit Friedrichs des Großen zurückführen. Die Preußenschule ist eine Veranstaltung des Staates, und dieser übt durch seine Behörden die Aufsicht aus. Bei der Erteilung des Religionunterrichts ist der Kirche ein völlig aus— reichender Einfluß eingeräumt. Unfere Schule kann ihre Aufgaben erfüllen, neben Vermiltlung der nötigen Kenninisse die Erziehung zu uten Menschen, zu guten Christen, zu guten Patrioten. Auch der er r rg Antrag empfiehlt sich zur Annahme nicht, weniger aus grundsätzlichen Erwägungen, sondein weil er von einem zu radikalen Geiste getragen ist und nicht das richtige Maß inne⸗ hält. Bezüglich des ersten Absatzes ist zu bemerken, daß es eine geistliche Schulaufsicht in Preußen nicht gibt. Wenn das aber der Fall ist, kann man sie auch nicht beseitigen. Die weitere Forderung, allgemein die Schulaussicht durch Geistliche zu heseitigen, geht zu weit. Namentlich bei der großen Anzahl junger Lehrer ist die Ortsaufsicht nicht zu entbehren. Man könnte vielleicht diejenigen Lehrer, die etwa 15 Jahre im Dienste der Schule gestanden haben bon der Orteschulgufsicht entbinden und sie unmittelbar unter die Kreisschulaufsicht stellen. Wenn man keine andere geeignete Persön⸗ lichkeit hat, ist der Geistliche naturgemäß derjenige, dem in, erster Linie die Schulaufsicht übertragen werden muß Zu Kreisschul⸗ inspektoren sollten nur Männer ernannt werden, die ihre dolle Kraft in den Dienst der Schule stellen können. Die Doppelstellung der Geistlichen als Kreisschulinspektor und als Geistlicher kann dem wirklichen Amte nicht zum Segen gereichen. Für das Amt des Kreisschulinspektors ist eine Bewährung im Vol k⸗ schuldienste unerläßlich. Schon jetzt werden Klagen laut, daß es nicht möglich ist, die hauptamtlichen Kreisschulinspektorenstellen mit ge⸗ nügend erfahrenen Männern zu besetzen. Gerade bet dem steigen den Bedürfnis muß man auf eine gute Stellenbesetzung achten. Die nebenamtliche Kreisschulinsvektion hat sich im allgemeinen bewährt; die Verwaltung sollte an diesen Verhältnissen nicht rütteln, solange sich eine Aenderung nicht als unbedingt notwendig herausstellt. Vorerst muß es bei der kollegialen Schulabteilung der Regierung bleiben. Unter dieser Vorgussetzung tut die Unter richtsverwaltung gut daran, die historisch gewordenen Ver⸗ hältnisse in Schleswig, Holstein und in Hannover, wo die Kreisschul⸗ inspekttonen durch Geistliche wahrgenommen werden, so zu belassen. Sie soll nicht mit rauher Hand in die Entwicklung eingreifen. Bei Umwandlung der nebenamtlichen Kreisschulinspektion in eine haupt— amtliche müssen die örtlichen Verhältnisse mit voller Schonung be⸗ handelt werden. Wenn wir so vorgehen, werden wir sn absehbarer Zeit unser Ziel erreichen, überall da, wo es zweckmäßtg, nötig oder wünschenswert ist, die nebenamtliche Schulinspektton durch hauptamt⸗ liche zu ersetzen. Und dieses Ziel liegt im Interesse der Volks⸗

ule. ö. Abg. Graue (fortschr. Volksp.): Für uns ist die allmähliche aber tunlichst beschleunigte Umwandkung der nebenamtlichen Kreits⸗ schulinspeklionen in hauptamtliche und die Beseltigung der Orts⸗ schulaufsicht, vornehmlich die, die durch Geistliche ausgeübt wird, nicht eine bloße Parteifrage, sondern eine kulturpolitische Frage von der höchsten Wichtigkeit für unser Land. Die Herren von der Rechten klagen lebhaft über die Landflucht, dann muͤssen sie aber auch dafür sorgen, daß unserem Volke das Land lieb gemacht wind nicht bloß durch wirtschaftliche Maßnahmen, sondern dadurch, daß den Verlockungen der Großstadt durch die Heimatspflege entgegengewirtt wird, damit auch der Einfältige empfindet, daß es in seinem Dorf viel besser ist als in dem Steinmeer der Weltstadt. Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssen die Kulturträger auf dem Lande, insbesondere Pfarrer und Lehrer, einmütig zusammenarheiten. Das Verhältnis von Pfarrer und Lehrer muß gesund und für beide Teile befriedigend sein. Die Ortsschulaufsicht, die von Staats 3 den Geistlichen verliehen wird, läßt dieses gesunde Verhältnis aber nicht aufkommen. Nicht aus parteipolitischen Gründen, sondern aus lebhaftem Interesse an der ländlichen Heimaspflege haben wir unseren Antrag eingebracht. Den Antrag des Zentrums werden wir bekämpfen, und wir bitten das Haus, ihn abzulehnen. Die Kirche hat kein Recht auf Mit; aufsicht des gesamten Schulunterrichtes. Dies ist eine Fixion. Die Ansprüche des Zentrumsantrages lassen sich durch die Verfassung nicht begiünden. In der Verfassung, in dem Artikel 24 Absatz 2, ist nur die Leitung des Religiongunterrichts durch die Kirche vorgesehen. Juristisch ist dadurch eine Verpflichtung für den Staat nicht ent standen, denn dieser Artikel wird juri tisch durch den Artikel 26 suspendiert. Sie soll erst dann Rechtens sein, wenn das allgemeine Unterrichtsgesetz, das wir noch nicht hesitzen, erlassen ist. Der preußische Staat ist den religiösen Bedürfnissen der katholischen und evangelischen Kirche, schon in weitestgehendem Maße entgegen⸗ gekommen,. Es ist. nicht zu bestreiten, daß die geistliche Schulqufsicht der Schule und. Kirche schädlich ist, schädlich für die Schule, weil dadurch die Beruftfreudigkeit unserers Lehrerstandes gelähmt, wird. Ich leugne nicht, daß eine Aufsicht nötig f. aber sch wünsche, daß sie so spärlich wie möglich erfolgt. Die Garantie für einen gewissenhaften Uagterricht liegt nicht in der Aufsicht, sondern in der Lehrervorbildung. Nicht nur die evan— gelischen, sondern auch die katholischen Lehrer fordern die Aufhebung

der geistlichen Schulgufsicht. Daß die Kirche auch auf die Rektorats⸗ schulen über den Religionsunterricht hinaus Einfluß haben will, er= scheint mir fast ungeheuerlich. Durch die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht wird die Autorität der Kirche nicht unterwühlt. Im Gegenteil, es gefährdet das Ansehen der Kirche und auch des geist— lichen Standes, wenn den Pfarrern Pflichten zugewiesen werden, für die sie ihrer ganzen Vorbildung nach nicht legitimiert sind. Die Konservativen haben sich leider aus parteitaktischen Rücksichten dom Zentrum in dieser Frage ins Schlepptau nehmen lassen. Wir wünschen, daß Pfarrer und Ährer in Stadt und Land einträchtig zusammen arbeiten, wir wünschen einen Wetteifer von Kiische und Schule. Das Zentrum stellt es aber fo dar, als ob die Kirche der Schule voranstaͤnde. Durch den Gang der Entwicklung ist die geist⸗ liche Schulaufsicht eine absterbende Einrichtung geworden. Wir buten Sie deshalb, unseren Antrag anzunehmen uns ken Antrag Porsch in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Abg. von Pappenheim (kons): Ich wundere mich darüber, daß sowohl in dem Antrag Aronsohn wie in dem Antrag Porsch der Ausdruck geistliche Ortsschulaufsicht! wiederkehrt; wir kennen keine geiftliche Orts schulaufsicht, sondern nur eine Ortsschulaufsicht, die durch Geistliche ausgeübt wird. Nach den Ausführungen, die wir foeben über das Verhältnis der Schule zur Kirche gehört haben, wäre es allerdings kein Unglück, wenn wir die sogenannte geistliche Orteschulaufsicht obligatorisch hätten. Die Freisinnigen wollen die Ortsschulaufsicht überhaupt nicht, sie sehen darin eine Verringerung ez Änsehens der Lehrer, die die Lehrer berletz', ich kenne aber keinen Beamtenftand, der nicht unter Auf⸗ sicht steht. Selbst die klügsten und gewissenhaftesten Beamten werden dankbar sein, daß ihnen eine Aussicht übergeordnet ist, besonders wenn sie noch nicht reich an Erfahrungen sind und die Aufsicht sie auf dem rechten Wege hält; dadurch wird dem Beamten eine Sicherhelt seiner Posstion gegeben, die nur zu begrüßen ist. Daß dadurch das Ansehen der Tehrer verletzt wird, ist eine Be— hauptung, die an den Haaren herbeigezogen und in der Sache nicht begründet ist. Der Vorredner ist überhaupt in seinen Behauptungen etwas kühn gewesen. Wenn er behauptet, daß meine Freunde durch parteitaktische Rücksichten sich bewegen ließen, im Schlepptau des Zentrums zu gehen, so hat er entweder eine ahgedroschene Redens⸗ art auswendig gelernt oder, wenn er dle Frage selbst geprüft hat, hat er die Behauptung mit elner Kühnheit aufgestellt, für die er Unter⸗ lagen nicht geben kann. Ich weise auf das allerentschiedenste die Verdächtigung zurück, als ob wir in einer so hochernsten und wichtigen Frage uns pon taktischen Rücksichten leiten ließen. Es ist eine Verkennung der parlamentarischen Geschichte und der Entwicklung dieser Frage, eine solche Behauptung aufzustellen, die nur in, der parlamentarischen Jugend des Vorredner einigermaßen triftige Entschuldigung findet. Wäre es nicht geradezu unerhört, wenn man aus taktischen Rücksichten im Parteiinteresse sich verführen ließe, sich in einer solchen Frage einer anderen Partei dienstbar zu machen? Was für ein unerhörter Vorwurf liegt darin! Ich hoffe, auch der Vorredner wird sich der Ungeheuerlichkeit des Vorwurf nicht bewußt gewesen sein, sonst hätte er ihn nicht erhoben. Unsere Stellung zu den Anträgen hat gestern Herr Malle dargelegt. Wir lehnen den Antrag Porsch ab. Die unter Nr. 2 aufgestellte Forderung weisen wir aus grundsätzlichen Rücksichten zurück. Auch die Nr. 1 des Antrags Porsch ist uns bedenklich. Wenn nicht die vorliegende Redaktion zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte, so könnte ich mich wohl damit einverftanden erklären, daß die Er⸗ setzung der Ortsschulinspektoren durch Rektoren nicht über das not- wendige Maß hinausgehen soll, aber ich würde es doch für sehr ver⸗ fehlt halten, das Rektorensystem zu beseiligen. Die Schulaufsicht durch Rektoren, die in ihrer Person keinerlei Bedenken erregen, zu beseitigen, wäre bedenklich. Wir wollen die Aufsicht durch Personen haben, die Gewähr leisten für die richtige Erfüllung der Aufgaben der Schule, wie sie in der vortrefflichen Rede des Ministers heute charakterisiert ist. Neben der geistlichen Schulinspektion haben sich auch mit großem Erfolg seminaristisch ge⸗ bildete Kreisschulinspektoren bewährt. Die Einführung der haupt amtlichen Kreisschulinspektion muß sich durchaus nach den lokalen Bedürfnissen richten; sie ist einerselts nicht prinzipiell zu verurteilen, aber anderseits darf sie nicht eingeführt werden, wo geeignete Männer im Nebenamt dieser Aufgabe gerecht werden. Wir haben immer an⸗ erkannt, wie diese Herren sich der schweren Aufgabe widmen, und welchen Segen sie für die Schule haben. Es wird aber auch eine ernste Pflicht der Kirche sein, dafür zu sorgen, daß auch in Zukunft solche Männer sich finden. Ich kann mich nur den Ausführungen des Abg. von Zeylitz anschließen, und auch die Ausführung des Ministers entspricht meiner Ansicht, daß man das Bewährte erhalten, mit der Zeit fortschreiten, den Bedürfnissen der Zeit gerecht werden soll, aber nicht das, was sich in langen Jahren außerordentlich bewährt hat, einfach aus Prinzipienreiteref, wie es die Fecisinnigen wollen, be⸗ seitigen solle. In der Entwicklung unferer Schule findet der An⸗ trag der Freisinnigen durchaus keine Begründung; die Geschichte der Schule lehrt uns, daß unter der nebenamtlichen Kreisschul⸗ inspektion S abgesehen von einzelnen Mißgriffen Segen für die Schule gestiftet ist. Wir wollen grundsätzlich dem Bedürfnis folgen, wenn schwierige, komplizierte Verhältnisse die nebenamtliche Kreis⸗ schullnspektion unmöglich machen. .

Abg. Dr. von Campe (nl): Der Schwerpunkt liegt in dem Antrage des Zentrums. Meine Freunde stehen im wesentlichen auf dem Standpunkt des freisinnigen Antrages in dem Sinne, wie unser verstorbener Freund Hackenberg es früher dargelegt hat. Vor allem müßte das Tempo, in welchem die hauptamtliche Kreisschulinspektion eingeführt wird, etwas beschleunigt werden; wir nähern uns dadurch dem Stank vunkt des Abg. von Zedlitz, wenn ich diefen bei seiner vor⸗ sichtigen Redeweise richtig verstanden habe. Wir haben alljährlich in der Budgetkommission um die Elnrichtung hauptamtlicher Kreisschul⸗ inspektorstellen gestritten, immer mit dem Refustat, daß die Stellen bewilligt wurden. (Zwischenruf des Abg. von Pappenheim.) Es kam auch vor, Abg von Pappenhelm, daß eine Stelle in einem Jahre abgelehnt wurde, sie wurde aber immer im nächsten Jahre, obwohl eine weitere Begründung nicht stattfand, doch bewilligt. Der Abg. Hammer hat doch einmal die Ablehnung nur damit motlt⸗ diert, die Konservatipen wollten nur zeigen, daß sie da seien, wollten nur ihre Visitenkarte beim Kultutminister abgeben. (wischenruf des Abg. von Pappenheim.) Das war bei der Kreisschul⸗ inspektorstelle in Potsdam. Dem ersten Antrage Arendt werden wir zustimmen, wenn der freisinnige Antrag abgelehnt werden sollte, aber wir erkennen damit nicht an, daß daz Tempo der Stellenerrichtung uns richtig erscheint. Den Standpunkt des zweiten Antrages Arendt, daß auch seminarisch vorgebildete Lehrer zur Schulaufsicht berufen werden, haben wir immer vertreten, und wir stimmen für diesen Antrag. Zu dem Antrage des Zentrums liegt schlechterdings keine Veranlassung vor, von einer künst= lichen Einichtung des Rektorensystems habe ich noch nichts gehört. Wir halten das Rektorensystem für ein gutes, wo es aus pädagogischen und schultechnischen Gesichts punkten erforderlich ist; ausschließlich hiernach muß verfahren werden. Natürlich ist es nicht von heut, auf morgen zu machen, eg kann auch im einzelnen Fall von der Einführung des Rektorats abgesehen werden, wenn man einen be⸗ sonders geeigneten Ortsschulinspektor hat. Einen solchen darf man nicht ö. rauher Hand beseitigen. Wir sehen auch nach der Be⸗ gründung des Abg. Dittrich keinen Anlaß zu diesem Antrag. Von

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