1916 / 256 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 30 Oct 1916 18:00:01 GMT) scan diff

35 Abg. Schiffer⸗Magdeburg (nl): Der vorliegende Gesetz⸗ entwurf soll Mißständen entgegentreten, die sich im Kriege heraus⸗ gebildet haben und das ganze Hen, en und Wirtschaftsleben, vor allen Dingen Handel, Gewerbe und Industrie, auf das empfindlichste treffen. em Bundesrat ist die Befugnis erteilt, während der Zeit des Krieges diejenigen gesetzlichen Maßnahmen anzuordnen; die . zur Abhilfe wirtschaftlicher Schäden als notwendig erweisen. Der Bundes⸗ rat hat von dieser ihm erteilten Befugnis in sehr weitem Umfange Gebrauch gemacht. Die Ueberfülle von Verordnungen hat zu einer e en Rechtsunsicherheit geführt. Die Leute können sich in diesen Verordnungen gar nicht mehr zurecht finden. Es wird als ein großer Uebelstand empfunden, daß Leute bestraft werden ohne ihre Schuld, weil sie überhaupt die Vorschriften nicht kennen. Dadurch wird das Rechtsleben und auch das Wirtschaftsleben schwer geschädigt. Der Zustand ist jetzt der, daß entweder der Geschäftsmann ein Geschäft unterläßt oder daß er Gefahr läuft, bestraft zu werden. Gerade der ehrliche Kaufmann wird vielleicht sehr gerne bereit sein, finanzielle QWfer auf sich zu nehmen, aber nicht wie jetzt das moxalische Risiko. Die Folge dabon ist, daß der unreelle Kaufmann das Geschäft in die Hand nimmt und das Risiko auf den Preis schlägt. Das Hinein⸗ drängen unsolider Elemente in die Geschäftspraxis ist eine notwendige olge des jetzigen Rechtszustandes. Auskünfte über Verordnungen ind entweder gar nicht oder so spät erteilt worden, daß sie nichts mehr nutzen. Wenn eine Auskunft einen Zweck haben soll, so muß sie schnell erteilt werden. Unser Gesetzentwurf will den vorhandenen Mißständen energisch zu Leibe gehen. Ich beantrage, ihn einer besonderen Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen.

Ohne weitere Erörterung beschließt das Haus nach diesem Antrage. ;

Das Haus setzt darauf die Beratung über den Gesetzent⸗ wurf betreffend die Schutzhaft während eines Kriegszustand es fort.

Abg. Waldstein (föortschr. Volksp.): Meine politischen Freunde schließen sich dem Antrage Gröber an. Die jetzige Rechts⸗ unsicherheit auf dem Gebiete der Schutzhaft wird vom Volke auf das tiefste empfunden, und wir sind es dem Volke schuldig, Abhilfe zu chaffen. Auch während des Krieges dürfen die Forderungen des Rechtsstaates nicht unerfüllt bleiben. Eine Verhaftung darf nur ef sein, wenn es sich darum handelt, eine Gefahr für die Sicher⸗ heit des Reiches abzuwenden. Notwendig ist auch eine Bestimmung über die Zulässigkeit von Aufenthaltsbeschränkungen. Notwendig wird es auch sein, daß die Kommission das erforderliche Material erhält über die Zahl der vorgekommenen Verhaftungen und auch eine Zusammenstellung des gesetzlichen Materials. Das würde die Ver⸗ handlungen erleichtern. Wenn wir während des Krieges schon die nötigen Rechtsgarantien schaffen, so wäre das staatserhaltend und in gutem Sinne konserpvativ. Wir dürfen also wohl auf Unterstützung bon seiten der verbündeten Regierungen rechnen. Das Volk trägt gern die Opfer, die ihm der Krieg auferlegt, aber nicht die Opfer, die ihm unnötig die Behörden auferlegen. Hoffentlich ergibt sich in der Kommission ein brauchbares Resultat, damit wir auf den Boden des Rechts zurückkehren.

Auf Vorschlag des Präsidenten Dr. Kaempf wird der Bericht der Petitionskommission über eine Petition des Kauf— manns Georg Luck aus Saarbrücken, denselben Gegenstand betreffend, mit zur Debatte gestellt. Der Petent bittet, daß I) sobald als tunlich das Gesetz über die militärische Schutzhaft einer eingehenden Durcharbeitung und Umgestaltung unter⸗ zogen wird,) schon für die gegenwärtige Kriegsperiode Mittel und Wege gesucht und gefunden werden, um auch den im Inlande internierten und interniert gewesenen Reichsange— hörigen und deren Familien aus Reichsmitteln eine hinrei—⸗ chende Entschädigung für erlittene Haft, entgangenen Ver⸗ dienst und zugefügte Schädigung zu gewähren. Die Kom⸗ mission beantragt die Ueberweisung an den Reichskanzler zur Erwägung.

Abg. Dr. Rie ßer (nl): Die Schutzhaft verdankt keinem Gesetz ihre Existenz, sondern ist auf Grund anderer Paragraphen durch die Dr is eingeführt. Nach Art. 68 der Reichsverfassung kann der Kaiser jedes Gebiet des Deutschen Reichs mit Ausnahme von Bayern in Kriegszustand versetzen; dann gilt das preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851, und die vollziehende Gewalt geht auf die Oberbefehlshaber über. Damit fallen alle Garantien für die persönliche Freiheit, für das Recht der freien Meinungs— äußerung, für Vereins- und Versammlungsfreiheit usw. fort. Die Generalkommandos und Festungskommandanten können nach ihrem Ermessen die Schutzhaft anordnen, wo es ihnen im Interesse der All— gemeinheit als geboten erscheint. Während des Krieges sind 424 Per⸗ 1 in Schutzhaft genommen, darunter 189 wegen des Verdachtes er Spionage. Die Resolution des Reichstags vom 17. Mai ver—⸗ langt mindestens dieselben Rechtsgarantien, wie sie Untersuchungs⸗ gefangene genießen. Die Untersuchungshaft wird verhängt wegen be— gangener Vergehen, die Schutzhaft dagegen nur zur Verhinderung von Vergehen. Es besteht keinerlei Vorschrift über die Dauer der Schutz— haft und über die Art der Vollstreckung. In der Schutzhaft kann sogar die Postsperre verhängt werden, das kann für Geschäftsleute die Vernichtung der Existenz bedeuten. Sogar Arbeitszwang wird ausgeübt, ein Inhaftierter wurde mit dem Sortieren von Säcken beschäftigt. Wenn gegen jemand Spionageverdacht vorliegt, sollte er in Untersuchungshaft genommen und vor Gericht gestellt werden. Mir sind Fälle bekannt, in denen angesehene Leute infolge der Schutz— haft gemütskrank geworden sind. In einem Falle wurde sogar unter— sagt, die Wäsche zu wechseln. Es ist doch wirklich nicht im Inter⸗ esse der Sicherheit des Staates geboten, daß ein Verhafteter seine Wäsche nicht wechseln kann. Einem Inhaftierten wurde sogar unter⸗ sagt, den Besuch des Sohnes, der auf Urlaub aus dem Felde kam, zu empfangen, ein anderer erhielt nicht die Erlaubnis, an der Be⸗ erdigung seiner Frau teilzunehmen. Wenn man darüber nicht empört wird, muß man sehr viel juristisches Fischblut in sich haben. Wir verlangen, daß den Verhafteten sofort der Grund der Verhaftung angegeben werde. Dem sogenannten lästigen Ausländer hat sich jetzt der lästige Inländer angeschlossen. Es mag sein, daß man wegen Spionagegefahr eine schärfere Behandlung für nötig hält und nicht ohne Schutzhaft auskommen kann, obwohl sie in Bayern überhaupt nicht existiert, aber wir müssen das Minimum der Garantien schaffen, die wir den Untersuchungsgefangenen gewähren. Mindestens sollte für die Dauer des Krieges ein vorläufiges Gesetz erlassen werden, wie wir es vorschlagen, um die Auswüchse zu verhindern. Unser Antrag greift nicht in die Fommandogewalt ein, sondern will nur die größten Härten mildern. Große Fragen aufzurollen, haben wir absichklich unterlassen. Aber wir haben in der Kommission uns schon unterhalten über die Entschädigung für erlittene Haft, über die zivil⸗ und serr e n . Verantwortlichkeit für solche Anordnungen. Zunächst ist wichtig, daß über⸗ haupt etwas zustande kommt, und zwar wünschen wir ein Gesetz, nicht eine bloße kriegsministerielle Instruktion. Bestehen müssen wir darauf, daß das Beschwerderecht und das Recht der Verteidigung gegeben wird. Im Frieden sind Rechtsmittel auch bei Spionage, bei Hoch und Landesverrat vorhanden. Die Be⸗ schwerde soll nach unserem Antrage in Spionagefällen an das Reichs⸗ militärgericht gehen; dadurch wird jede Gewähr für die wirkliche Wahrung der bffentlicken Sicherheit gegeben. Irrtümer sind mensch— lich, deshalb muß ein Rechtsmittel dem Verdächtigten zu Gebote stehen. Die Verteidigung muß ebenfalls ermöglicht werden. In Spionagefällen kann man ja die Verteidiger den bei den Militäͤr⸗ gerichten zugelassenen Rechtsanwälten entnehmen. Nur durch ein sofortiges Provisorsum kann dem berechtigten Verlangen des Volkes nach Remedur guf diesem Gebiete entsprochen werden.

Abg. Dr. Roesicke (dkons.): Auch wir sind der Meinung, daß für die Schutzhaft gewisse Garantien gegeben werden sollten. Wir glauben nicht, daß die Schutzhaft im militärischen Interesse entbehrt werden kann. Gewisse Härten in der DVandhabung zu mildern, sind auch wir bereit. Es ist aber die große Frage, ob dazu ein be⸗

sonderes Gesetz gemacht werden soll oder ob ein bezüglicher Erlaß genügt. Diese große Frage können wir nicht ohne weiteres ent⸗ scheiden. Die Fälle der Spionage und des Verrats militärischer Geheimnisse sind sehr verschieden gelagert und bedürfen einer be⸗ sonderen Behandlung. Wir sind mit der Weiterführung des Ent⸗— wurfs in einer Kommission einverstanden.

Abg. Dittmann lsoz. Arbeitsgem): Die Tendenz des Gesetz⸗ entwurfs ist uns überaus sympathisch. Wir werden an seiner Aus⸗ gestaltung eifrig in der Kommission mitarbeiten, um einen wirklichen Rechtsschutz zu schaffen. Durch dieses Gesetz wird nun aber die völlig ungesetzliche Schutzhaft sanktioniert. Daher sollten Sie sich doch überlegen, ob Sie nicht unserem Antrage auf Aufhebung des Be⸗ lagerungszustandes zustimmen müßten. Der Belagerungszustand wird völlig gesetz⸗ und verfassungswidrig aufrecht erhalten; die Annahme unseres Antrages würde den nationalliberalen Gesetzentwurf sofort überflüssig machen. Herr Dr. Roesicke hat die Schutzhaft für unent⸗ behrlich erklärt, aber selbst er will sie nur aus militärischen, nicht aus politischen Gründen gelten lassen. Die Schutzhaft wird jetzt so ge⸗ handhabt, daß Vormärz⸗ und Sozialistengesetz ihre Wiederauferstehung feiern; die Gesinnungsschnüffelei, das Spitzeltum machen sich jetzt breit unter der Maske des Schutzes der Sicherheit des Vaterlandes. Die Denunziationswut feiert wieder ihre Orgien; und die Denun⸗ ziation genügt, um den Verdächtigen monate⸗, ja jahrelang ohne irgendwelches gerichtliches Verfahren seiner Freiheit zu berauben. Jeder Rechtsschutz ist aufgehoben, und wie zum Hohn nennt man das ganze Verfahren ein Verfahren zur Sicherheit, zum Schutze des Vaterlandes! Der Verbrecher ist dem Schutzhäftling gegenüber in geradezu beneidenswerter Lage. Der in Schutzhaft Befindliche ist geradezu lebendig begraben. Herr Dr. Helfferich meinte in der Kom⸗ mission naiv, es sei doch besser, Herr Mehring bleibe in Schutzhaft, als daß er in Freiheit sei und etwas begehe, wofür er bestraft werde. Das Ideal des Herrn Staatssekretärs scheint also das Nationalzucht⸗ haus zu sein. Mehring lehnt eine solche Fürsorge durchaus ab; er ist stets bereit, für das, was er tut, einzutreten. Er ist in Schutzhaft enommen worden, weil man einen Brief von ihm an den Kollegen Dr. Herzfeld aufgefangen hat, in dem er sich für eine Demon⸗ stration auf dem Potsdamer Platz ausspricht und sich bereit erklärt, ein Flugblatt dazu zu schreiben. Absolut nichts Strafbares hat er begangen, es liegt nichts weiter gegen ihn vor. Wie schlecht muß es um eine Regierung stehen, die die ersten Geister des Landes einsperrt, um das freie Wort zu ersticken. Aehnlich liegt der Fall der Rosa Luxemburg. Sie ist nur in Schutz⸗ haft gesetzt worden, weil sie . mißliebig ist. Die Regierung scheint nicht zu wissen, wie das auf die sozialistische Frauenwelt und das Ausland wirken muß; sie facht dadurch den Kriegswillen im Aus⸗ lande an. Geradezu unwürdig und empörend ist aber die Behandlung, welche man den Inhaftierten zuteil werden läßt. Mehring ist monatelang in einem elenden Loch inhaftiert worden. Die Rosa Luxemburg ist auf dem Polizeipräsidium in eine Zelle gesperrt worden, die sonst Prostituierten angewiesen wird. Die Bekoͤstigung war schlecht, ihr Gesundheitszustand gefährdet. Frau Luxemburg ist plötzlich nach Wronke in der Provinz Posen geschafft worden. Auch die soziglistische Jugendbewegung verfolgt man mit der Schutzhaft. Die Abhaltung von Vorträgen ist einer Kriegerfrau durch Androhung der Schutzhaft unmöglich gemacht worden. Junge Arbeitermädchen werden in Schutzhaft genommen und ihren Familien entzogen, für die sie mit zu sorgen haben. Zwei achtzehnjährige Mädchen wurden verhaftet, nur weil sie Zettel verteilt hatten, die an sich nichts Straf⸗ bares enthielten. Sie wurden mit dem Grünen Wagen nach dem Alexanderplatz geschafft und zeitweise mit Protistuierten eingeschlossen. Ihre sozialistische Erziehung hat sie vor unsittlicher Ansteckung be— wahrt, ein glänzendes Zeugnis für den sittlichen Wert der proleta⸗ rischen Jugend. Das geht aus dem Briefe eines dieser Mädchen hervor, der zugleich ein Schandmal für die bestehende Ordnung ist. Ich sage: Schutz vor solcher Schutzhaft, die eine Schmutzhaft ist. Wenn sich überhaupt der Berliner Polizeipräsident amtlich schämen kann, dann möge er es von diesem Mädchen lernen. Das Mädchen hat seine Stellung verloren, sein Vater steht seit zwei Jahren im Kampfe. Welche Gefühle mögen ihn beseelen. Als das Mädchen nach seiner Entlassung einer politischen Versammlung des Jugendbildungsbvereins beiwohnte, wurde ihm dauernde Schutzhaft angedroht. (Zuruf bei den Sozialdemokraten. Vizepräsident Dr. Paasche: Der Unwille im ganzen Hause ist allgemein; es bedarf Ihrer fortgesetzten Zwischenrufe nicht Die Regierenden haben nichts gelernt und nichts vergessen; oder glaubt man, durch ein solches Vorgehen die Opposition zu unterdrücken? Der Redakteur des „Vorwärts“, Dr. Meyer, sitzt fut Monaten in Schutzhaft wegen einer behördlich nicht genehmigten Gesinnung. Die Schutzhaft wird auch gegen solche verhängt, die der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft Vorschub geleistet haben sollen. Der Unter⸗ zeichner eines Flugblattes, Redakteur Klüß, sitzt bereits acht Monate, weil er gegen den Parteivorstand aufgetreten ist. Er ist in uner— hörter Weise behandelt worden. Sein Antrag auf Entlassung wurde abgelehnt, trotzdzem seine Frau dem Tode nahe war. Schließlich erhielt Klüß die telegraphische Nachricht, daß seine Frau gestorben sei. Sein Telegramm um Entlassung wurde erst nach der Be⸗ erdigung ausgehändigt. Erst fünf Tage nach der Beerdigung erhielt er vom Oberkommando den Bescheid, daß sein Gesuch abgelehnt werde, weil seine Frau inzwischen beerdigt sei. Sind das noch Menschen, die solche Bescheide erlassen, oder nicht vielmehr moderne Folter⸗— knechte und Menschenschinder? Die Zusammenkunft zwischen Vater und Sohn wurde ebenfalls verhindert; in der zu späten Aushändigung eines Briefes lag System. Nicht einmal zur Wahrnehmung eines Termins wegen Wohnungsräumung erhielt der Mann Urlaub. Es ist offenbar systematisch auf seine Vernichtung abgesehen. Je länger dieses System besteht, um so schlimmer ist es geworden, nicht nur in Berlin, sondern auch in der Provinz, z. B. in Düsseldorf. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts wurde benweigert, die Leute werden unwürdig untergebracht. Das Kriegsministerium hat in einem Er⸗ laß die Generalkommandos zu einer milderen Praxis angehalten. Das hat aber nicht verhindert, Sozialdemokraten in Schutzhaft zu nehmen, um sie von einer Agitation gegen den Lebensmittelwucher abzuhalten. In einem Falle in Elberfeld ist ein Arbeitersekretär, der vorher D. U. war, verhaftet und am nächsten Tage als kriegs⸗ verwendungsfähig erklärt und sofort eingezogen worden. Der Fall hat im ganzen Wuppertal maßlose Erbitterung erregt. Dieser Fall ist aber nur einer von sehr vielen. Am Niederrhein werden Rede⸗ verbote verhängt und aufrechterhalten, um jede Kritik, auch an den wirtschaftlichen Maßnahmen, unmöglich zu machen, und für jeden Fall der Uebertretung wird Schutzhaft angedroht. Ein Heer von Be— amten, das sich täglich vermehrt, ist zur Durchführung dieses Schika⸗ nierungssystems nötig; es würde sofort überflüssig werden, wenn man den BelagerungszuZstand aufhöbe; aber diese Herren, die im Schützen⸗ graben viel besser verwendbar wären, halten kramphaft an ihrem Denunziationssystem fest, um ihre Unentbehrlichkeiten zu beweisen. Darum haben wir den Antrag auf Aufhebung des Belagerungs⸗ zustandes und auf Wiederherstellung der Freiheit der Person und der Presse eingebracht, und wir bitten Sie um seine Annahme, damit olchen Zuständen, die für das Deutsche Reich eine Schmach und Schande sind, ein Ende gemacht wird.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Meine Herren! Diejenigen von Ihnen, die den Kommissions— verhandlungen beigewohnt haben, wissen, daß es innerhalb der Reichs⸗ leitung niemand gibt, der die Schutzhaft und den Belagerungszustand als einen erwünschten Zustand ansieht. Wir haben dort die Fragen eingehend, ruhig und sachlich erörtert, und von unserer Seite und auch aus der Mitte der Kommission sind die Gründe vorgetragen und entwickelt worden, die es uns leider unmöglich machen, während des Krieges auf den Belagerungszustand, auf Schutzhaft, auf Zensur und ähnliche unangenehme Dinge zu verzichten. Auch die Herren Redner aus dem Hause, die vor dem letzten Herrn Redner gesprochen haben, waren, wenn ich recht verstanden habe, der Ansicht, daß eine

rabikale Beseiligung des Belage rungszustandes nicht möglich ift. (Lebhafter Widerspruch bei der soz. Arbeitsgem) Darüber kann nach meiner Ansicht kein Zweifel sein.

Meine Herren, das Wort Diktator ist lateinisch, und die In— stitution entstammt aus dem alten Rom. Aus der klassischen Re— publik des alten Roms stammt die Einrichtung der Diktatur. Wenn das Staatswesen dort im Existenzkampf stand, hat man die Not— wendigkeit empfunden, die höchste Gewalt in die Hand eines ein—⸗ zelnen Mannes zu legen, und man hat ihn mit Befugnissen ausge— stattet, denen gegenüber die Befugnisse der Schutzhaft und des Be— lagerungszustandes bei uns nur bescheiden sind. (Zurufe bei der soz. Arbeitsgem) Meine Herren, die ganze geschichtliche Entwicklung des staatlichen Verfassungslebens ist erfüllt von dem Streben nach dem Ausgleich zwischen den Notwendigkeiten des Staates und dem Rechtsschutz für die Staatsbürger. Je nach dem Kulturstand der einzelnen Völker, je nach dem Verhältnis der einzelnen Länder wird das Gleichgewicht auf einer verschiedenen Grundlage gefunden. Cachen und Zurufe bei der soz. Arbeitsgem.) Nein, meine Herren, wir stehen gewiß nicht auf der untersten Stufe. Ich glaube, wenn man unsere Zu— stände in Friedenszeiten betrachtet, so hat man Grund, stolz zu sein. (Lebhafter Widerspruch bei der soz. Arbeitsgem.) Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein. (Zuruf bei der soz. Arbeitsgem. Glocke des Präsidenten.)

Das ist mir gleichgültig, Herr Abgeordneter Ledebour. Wir sprechen von ernsteren Dingen als von Ihrer Person und der meinigen. Ich wiederhole, unser verfassungsrechtlicher Zustand in Deutschland vor dem Ausbruch des Krieges und unser Kulturzustand war ein solcher, daß auf ihn jeder Deutsche stolz sein kann (Widerspruch bei der soz. Arbeitsgem ), und ich hoffe, daß es uns bald möglich sein wird, wieder in die normalen Verhältnisse zurückzukommen aus den ungewöhnlichen Zuständen, wie sie heute unter dem Druck des Krieges leider entstanden sind. (Zuruf bei der soz. Arbeitsgem) Von Neu— orientierung spreche ich hier nicht, ich spreche von dem Gegenstand, der heute auf der Tagesordnung steht. (Glocke des Präsidenten.)

Ich bitte, mich nicht zu unterbrechen. Ich habe auch Ihrem Redner während seiner Rede kein Wort zugerufen; ich bitte, hören Sie auch mich ruhig an!

Wir haben uns in der Kommission über die Dinge unterhalten, und ich wiederhole: in der großen Mehrheit der Kommission bestand Uebereinstimmung darüber, daß wir in einem Kriege, der an die Wurzeln unserer Existenz geht, auf außerordentliche Befugnisse nicht verzichten können. Kein Staat kommt in diesem Kriege ohne Ein— schränkung der verfassungsmäßigen Garantien aus. Sehen Sie nach Frankreich, England, Italien, und Sie werden finden, daß die Aus⸗ nahmebefugnisse des Kriegszustandes dort weiter gehen als bei uns und auch nicht milder gehandhabt werden. Aber das ist selbstverständ⸗ lich keine Entschuldigung und soll auch keine Entschuldigung sein für Mißgriffe.

Wir haben in der Kommission über die Beschwerdepunkte hier vorgetragen wurden, uns gleichfalls ruhig unterhalten. Wo Aufklärung gegeben werden konnte, ist sie gegeben worden, und zwar in der Mehrzahl der dort vorgebrachten Fälle wohl in befriedigender Weise. Wo das Material nicht zur Hand war, ist zugesagt worden, daß die Fälle untersucht werden sollen.

Wir haben ferner in der Kommission von den Aenderungen Mit⸗ teilung gemacht, die seit Beginn des Krieges in bezug auf die Hand habung von Belagerungszustandsgesetz, Zensur, Schutzhaft usw. vor⸗ genommen worden sind. Wir haben uns auch den verschiedenen Wünschen, die hier vorgetragen wurden, keineswegs ablehnend ver— halten. Ich will heute in diesem Stadium keine Stellung zu den einzelnen Anträgen nehmen, da es nicht den parlamentarischen Ge⸗ pflogenheiten und auch nicht dem Geiste unserer Verfassung entspricht, daß die Reichsleitung zu Initiativanträgen in diesem Stadium der Beratung Stellung nimmt. Aber daß wir nach der Richtung bemüht sind, zu arbeiten, die der Tendenz der Anträge entspricht, darüber kann bei Ihnen nach der Kommissionsverhandlung ein Zweifel wohl nicht bestehen, auch nicht darüber, daß wir einiges auf dem Gebiete bereits erreicht haben.

Nun die Fälle, die der Herr Abg. Dittmann hier zur Sprache gebracht hat! Ich will keine Kritik an Mitgliedern des Hauses üben; as steht mir nicht zu. Aber ich darf als deutscher Mann und Patriot agen: ich weiß nicht, ob es gut getan war, diese Fälle hier vor dem

abgesehen avon, daß die Möglichkeit für uns nicht besteht, darauf sofort in voller Kenntnis der 3 (Lebhafte Zu⸗ stimmung.) Ich weiß nicht, ob das gut getan war und im Interesse des Vaterlandes liegt. (Erneute lebhafte Zustimmung.) Es ist ja unmöglich, einem solchen Vortrage zu folgen und darauf sofort zu antworten aus Aktenmaterial, das wir nicht hier haben, das erst beschafft werden muß, und wo erst Personen vernommen werden müssen, um festzustellen, ob das stimmt, was uns hier vorgetragen worden ist. (Cebhafter Widerspruch und erregte Zurufe bei der soz. Arbeitsgem,) In einzelnen Fällen stimmt es nicht, so im Falle Klüß, den Herr Dittmann vorgetragen hat, wo es als große Roheit hin— gestellt worden ist, daß dem Mann verwehrt worden ist, seine Frau zu sehen. In Erinnerung ist mir, daß in der Kommission festgestellt worden ist, daß der Mann seit dem Jahre 1909 von seiner Frau, die er in Kiel hat sitzen lassen, getrennt gelebt hat. (Große Unruhe und stürmische Zurufe von der soz. Arbeitsgem. Glocke des Prä⸗ sidenten.) , n .

Lassen Sie mich, bitte, ausreden! Auch dann, wenn dies richtig ist, würde ich das Vorgehen nicht billigen. Aber es liegt doch immerhin gegenüber der Darstellung, die der Herr Abg. Dittmann vorgetragen hat, ein Moment vor, das mit zur Beurteilung des Falles gehört. Eebhafte Zurufe von der soz. Arbeitsgem.)

In einem weiteren Punkte, der sich auf meine Person bezieht, hat der Herr Abg. Dittmann mir untergeschoben: ich hätte gesagt, es sei ganz gut, daß Dr. Mehring verhaftet worden sei, um ihn davor zu schützen, daß er wegen einer vollendeten Straftat bestraft wird. Was ich gesagt habe, ist folgendes:

Wir sind im Kriege, und so hart es für den einzelnen sein mag: das wichtigste Interesse ist doch die Sichen heit unseres Vater⸗ landes. Ich schließe auch die Sicherheit der Munitionsherstellung ein. Wir können nicht vertragen, daß in denr Minitionsfabriken Streiks ausbrechen und angezettelt werden. Und da stehe ich nicht an, zu sagen: es ist mir lieber, daß der eine oder andere unschuldig leidet, als daß man einen Schuldigen laufem läßt und daraus ein Unheil für unser Vaterland entsteht. Es wörd in manchen Fällen

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nicht zu bermeiden sein, daß Unschuldige leiden. Das bedauern auch wir, und wo sich herausstellt, daß einer unschuldig in Schutz⸗ haft genommen worden ist, wird auch für Remedur gesorgt. Die Sicherheit des Vaterlandes ist aber das oberste Gesetz, und wenn dabei die Verhaftung Unschuldiger gelegentlich mit unterläuft, so müssen das die Unschuldigen tragen, ebenso wie unsere Truppen draußen, die Tag für Tag Blut und Leben für das Vater⸗ land aufs Spiel setzen.

Eine weitere Stelle habe ich in der Schnelligkeit in den Protokollen nicht finden können. Ich habe nach meiner Erinnerung ungefähr folgendes gesagt, wobei ich bemerken darf, daß der Fall festgestellt war durch die Korrespondenz, aus der hervorging, daß Herv Dr. Mehring an der Anzettelung von sogenannten Friedensdemonstrationen auf dem Potsdamer Platz be— teiligt gewesen war. Ich habe im Anschluß an diese Festellung ge sagt: niemand ist wohl so naio, Friedensdemonstrationen auf dem Potsdamer Platz in diesen Zeiten als etwas Harmloses anzusehen. Wir wissen, was daraus werden kann. Ich habe dann hinzugefügt: Obwohl Dr. Mehring über 70 Jahre alt ist, ist es mir lieber, er sitzt in Schutzhaft, als es liegen Tote auf dem Potsdamer Platze. Das halte ich auftecht. Cebhafte Zwischenrufe bei den Sozial— demokraten. Glocke des Präsidenten.)

Ich komme zum Schluß. Das Material, das der Herr Abg. Dittmann hier vorgebracht hat, wird selbstverständlich auf das aller⸗ genaueste geprüft werden. Er hat eine Reihe von Fällen vorgetragen, die, wenn sie so liegen, wie er sie vorgetragen hat, auf das allerschärfste perurteilt werden müssen nicht nur von Ihnen hier im Hause, sondern auch bei der Reichsleitung und bei den militärischen Vorgesetzten, deren untere Organe sich solcher Verfehlungen schuldig gemacht haben,

wie es der Herr Abg. Dit behauptet. Ich glaube, darüber kann nur eine Stimme herrschen. Aber auf der anderen Seite: Gerechtigkeit! Nicht bloß Anschuldigungen in die Welt hinausgehen

lassen, sondern vor der Verurteilung auch eine Untersuchung. Diese

Untersuchung hätte 28 . f 8 4 . dos ist der F

das Haus besonders erregt hat, vorarbeiten können, das ist der jungen Mädchen, die angeblich mit Prostituierten zusammengest

be dem Herrn Abg. Dittmann in der Kom—

91 6 35 . 8 , Abg. Dittmann in einem Falle, der

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ssi0 3 solchen Fall anspielte, zu rufen er möge mission, al solchen Fall anspielte, zugerusen, e moge ortragen. 389 ö , ö vos

das Plenum vor. (Hört, hört! rechts) Das

Dittmann hat geantwortet: das ist er Herr Abgeordnete Dittmann ausgegangen ist,

hes Verfahren lege ich für meine Person und im

aterlandes den schärfsten Einspruch ein. (Bravo!

Abg. Ich glaube im Sinne des ganzen

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Hauses zu iche agt die von dem Abg. Dittmann Forged

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das Schl gt, er billige diese nicht, al es, der die Musik macht. hätte sich nicht auf die igung gegen den Ankläger beschränken sollen, das kann das icht beruhigen, sondern nur die Erklärung, daß solche Zustände ldet werden, daß die Regierung alles tun werde, um Abhilfe

.

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Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

derren! Ich kann mein Erstaunen über die Ausfüh—

r. Paasche nicht verhehlen. Gustimmung

ausdrücklich ausgesprochen, daß, wenn

ungen, die der Herr Abg. Dittmann hier gemacht hat, r

Meine §

ind, dann nicht nur hier im Hause, sondern auch bei der Reichs—

(Sehr richtig! rechts) und bei den militärischen Vorgesetzten gane, die sich solcher Verfehlungen schuldig gemacht orkommnisse der g sicher sind.

4

der, bitte,

teren Or diese V (Sehr richtig! rechts) Ich habe nur hinzugefügt: Herren, verurteilen Sie nicht, ehe die Fälle geprüft sind!“

ich aufrecht. Eebhafte Zustimmung rechts. Unruhe.)

lbg. Ha us (Elsässer): Niemand hat den vorliegenden Antrag freudiger begrüßt als die Elsässer. Elsaß⸗-Lothringen ist leider das klassische Land der Schutzhaft geworden. Mehrere tausend elsässische Bürger sind durch die Schutzhaft seelisch und physisch gebrochen, wirtschaftlich ruiniert worden. Eine ehemalige Kellnerin hat als Vertreterin des Alldeutschen Verbandes in Straßburg unwidersprochen vor Gericht behaupten können, daß sie eine Liste von 180 Personen vorgelegt hat, welche sämtlich in Schutzhaft genommen wurden, Dieses anrüchige Frauenzimmer ist schließlich selber in Schutzhaft genommen worden. Wie die Verhafteten behandelt wurden, ist geradezu skandalös. Die Schutzhäftlinge sind vollständig rechtlos. Einzelne von ihnen hat man nur dadurch vor der Schutzhaft be⸗ wahren wollen, daß sie erklärten, ihre Mandate zum Landtag nieder— zulegen. Strafbare Handlungen konnten den Inhaftierten nicht zur Last gelegt werden, sie waren nur verdächtigt, national nicht zuver⸗ lässig zu sein. Das Eigentümliche ist, daß der Betreffende in den Augen der Regierung wieder ein Ehrenmann und ein guter Patriot ist, wenn er auf ein Ehrenamt verzichtet. Ich könnte die vom Abg. Dittmann vorgebrachte Liste noch verlängern. Die elsaß⸗lothringischen Häftlinge müssen, sobald sie aus der Haft entlassen werden, ins Exil wandern, sie werden von Ort zu Ort gehetzt. Einer von ihnen schrieb, daß er es schlimmer hätte, wie unsere afrikanischen Gefangenen. Er mußte wie ein Zwangsgefangener die Straßen kehren. In Lüden⸗ scheid lag er hungernd und frierend auf der Straße, und in einer Fabrik verlor er eine Hand. Dieser bedauernswerte Mann ist in diese schlimme Lage gekommen, weil es an einer gesetzlichen Bestim⸗ mung fehlt, wer für den Unterhalt des Inhaftierten zu sorgen hat. Im Lager von Holzminden befindet sich eine 70 jährige elsässische Greisin, die vorher in einem politischen Prozesse freigesprochen war. Zwei Söhne dieser armen Frau sind als Helden für das deutsche Vaterland gestorben. Die Mutter dieser beiden Heldensöhne ist auf milde Gaben von Damen der Halbwelt in demselben Internierungs- lager angewiesen. Muß so etwas nicht den deutschen Müttern die Schamröke ins Gesicht treiben? Solche Zustände können doch nicht länger geduldet werden.

Abg. Fehrenbach (Bentr): Gewiß steht der größte Teil des Hauses auf der Seite des Stagtssekretärs, wenn er seinem Stolze auf das alte Deutschland der Gerechtigkeit Ausdruck gab, wenn er sagte, es gelte vor allem die Rettung des Vaterlandes, und wenn er bedauert hat, daß die von dem Abg. Dittmann vorgebrachten Fälle nicht zunächst in vollem Umfange im Ausschuß vorgetragen worden sind. Der Abg. Dittmann muß sich klar machen, welche Stimmung diefe Fälle im Inlande und Auslande machen müssen, wenn er auch nicht die Absicht gehabt haben wird, eine solche Stimmung absichtlich herporzurufen. Wenn die Regierung, nachdem diese Fälle geprüft und als richtig befunden worden wären, darauf nichts getan hätte, dann wäre allerdings kein Wort des Tadels scharf genug gewesen. Trotzdem muß ich sagen, daß doch schon so viel estgestellt ist, daß die Entrüftung des ganzen Hauses berechtigt war. Was der Abg. 6 hier zum Ausdruck gebracht hat, entsprach der Stimmung, des Hauses.

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Fienk der Abg. Paasche den Dank des Hauses. Das sind Justãndẽ, s die dem Deutschen Reiche und Namen nicht zum Ruhme gereichen. Doffentlich werden die Schuldigen auf Milde nicht zu rechnen hahen, Fenn sie haben unseren Namen und unseren Ruf geschädigt. Wir hätten solche Maßnahmen an hervorragenden Stellen nicht für mög— lich gehalten. Hoffentlich wirkt die heutige Erörterung wie ein reinigendes Gewilter. Möge die Regierung mit vollem Ernst, mit Energie und im Interesse der Kultur eingreifen. . Abg. Scheide mann (Soz): Ich stelle den Satz an die Spitze: Fort mit dem Belagerungszustand, der erst alle diese Dinge möglich gemacht hat. Nur die Jensur hat es verschuldet, daß dies 6. nicht bekannt wurden. Die Zensur hat sich sogar in unser eigenen Parteistreitigkeiten gemischt. Dagegen müssen wir uns au das entschiedenste wenden. Man muß sich schämen, daß der fort- schrittliche Abg. Quidde binnen 24 Stunden Berlin vexlassen und nach München reifen mußte. Bis in die Kreise der hohen Diplomatie hinein hat man die Schutzhaft verhängt. Weshalb sind diese Sachen hier im Plenum vorgebracht worden? Weil die Klagen im Ausschuß keinen Erfolg hatten. Ich stimme hier mit dem Abg. Dittmann pvoll⸗ kommen überein. Der Ausnahmezustand mit dem Belagerungszustand ist in politischer Beziehung geradezu ein Unglück für Deutschland.

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Noch schlimmer ist ja, was wir aus Elsas- Lothringen hören müssen. Stolz zu sein auf die bureaukratischen Staatsretter, die in dieser Weise das deutsche Volk und das Deutsche Reich „sichern , dazu haben wir hier nicht die geringste Veranlassung. Es handelt sich nicht um vereinzelte Fälle, es handelt sich um Hunderte von Fällen; da muß allgemein der Ruf erhoben werden: fort mit, dem Helagerungszustand Ein Volk wie das deutsche, das sich so bewährt hat in diesem Kriege, behandelt man nicht fo, wie es diese Klagen beweisen. Noch eine solche Sitzung wie die heutige, dann müssen wir uns in der Tat der Zustände in Deutschland schämen. Das wollen wir aber nicht, wir wollen, daß so schnell als möglich Zustände in Deutschland bestehen, auf die wir alle stolz sein können!

Abg. Dr. Müller-Meiningen ffortschr. Volksp): Die heutige Verhandlung erhringt den vollgültigen Beweis dafür, daß es durchaus geboten ist, sofort, noch während des Krieges, hier an die Reformen zu gehen, die sich als unabwendbar herausgestellt haben. Bei einer so langen Dauer des Krieges kann der jetzige Zustand nicht

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zufrecht erhalten werden. Auf den Fall Quidde gehe ich nicht näher ein, ich frage nur: muß denn durchaus immer neuer Beschwerdestoff gellefert werden? Die Herren scheinen doch von der wahren Stimmung bes Volkes draußen keine Vorstellung zu haben. Wir haben leider in Deutschland auf dem Gebiete der JZensur nicht bloß einen Diktator, sondern Dutzende von Diktatoren, die sogar gegen einander arbeiten. Ein geschlagener, in Verzweiflung befindlicher Staat, der raucht viel⸗ leicht solche Maulkörbe, aber ein Reich, das so hoch steht wie das

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Deutsche, braucht sie nicht. Je eher, desto lieber muß der jetzige un— haltbare Zustand beseitigt werden. Das Bedauerlichste ist, daß sich in alledem ein so bedenklicher Mangel an Vertrauen zum deutschen Volke ausspricht.

Abg. Seyda (Pole): ie rüstung, die heute über das Vorgetragene das ganze Haus ergrissen hat, einer Steigerung nicht mehr fähig ist. Ich will daher davon absehen, Mißstimmung, welche in der polnischen Bevölkerung über die zahllosen gleichartigen Mißgriffe herrscht, an einzelnen Bei⸗ spielen darzutun. Namens meiner Fraktion gebe auch ich der Ueber⸗ zeugung Ausdruck, daß es notwendig ist, besser heut als morgen den Belagerungszustand aufzuheben. Sollte das nicht angehen, dann muß mindestens auf dem Gebiet der Schutzhaft ein erträglicher Zustand durch Gesetz geschaffen werden.

Preußischer Oberst v. Wris berg: Daß im Anfang des Krieges Mißbräuche vorgekommen sind, wird von der Militärverwaltung zu⸗ egeben. Namentlich in den Reichslanden, wo man jeden Tag von i S en ist, hat die Sicherheit des Reiches

Ich bin der Meinung, daß die Ent⸗

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vorgelefen haben, hat doch Ihren Beifall, gefunden, denn es wurde ge⸗ wünscht, daß er veröffentlicht werden sͤlte, und das geschieht auch. Es ist uns nicht möglich, auf die einzelnen Fälle, die heute vorge— tragen sind, zu antworten, wir kennen sie nicht. Aber das habe ich immer betont und jeder Vertreter der Regierung in der Kommission hat das getan, wenn wir sie kennen, und es stellte sich heraus, daß die Schäden sich wirklich ereignet haben, dann wird, dessen seien Sie

51 I 99 1 . 4 3550n J o Masora versichert, mit allem Nachdruck durchgegriffen. Von dem Vorge tragenen ist mir nur eine Tatsache bekannt, nämlich der Erlaß im Bereich des XVII. Armeekorps. Wir haben uns sofort mit dem Generalkommando in Verbindung gesetzt und eine Umänderung für notwendig erklärt. Ich wiederhole, wo etwas schlecht ist, wird von seiten der Heeresperwaltung überall durchgegriffen.

Abg. Dittmann oz. Arbeitsgem,): Die Militärverwaltung braucht, um schnell durchgreifen zu können, den Belagerungszustand nicht. Wir haben ja das Spionagegesetz, dessen 8 10 der Militärver— waltung alle erforderlichen Handhaben gibt und ihr gestattet, alles zu treffen, was im militärischen Interesse getroffen werden muß. So sehr ich es begrüße, daß die Mehrheit ihrer Entrüstung über die schilderten Zustände Ausdruck gegeben hat, so sehr muß ich darauf

Dun k ; . i. harren, daß Sie nun auch zu Taten übergehen und mit uns die Auf⸗ 2 5 6 g V j 264 hebung des Belagerungszustandes beschließen; eine andere Möglichkeit, aus diesen unleidlichen Zuständen herauszukommen, gibt es nicht. ö Me Erlasse der Militärverwaltung sind wirkungslos geblieben. Gegen Dr. Mehring hat Dr. Helfferich tatsächlich wörtlich das gesagt, was ich zitiert habe, er will das jetzt nicht wahr haben, aber gleichzeitig hat er sich ganz zweifelsfrei für den römischen Diktator ausgesprochen, , ? 12 . . 2 der also ist sein Ideal. Die Fälle der beiden Mädchen und des Re— dakteurs Klüß habe ich in der Kommission vorgetragen, und es ist auch darüber dort diskutiert worden. Wenn im Falle Klüß die Dinge auch wirklich so lägen, wie der Staatssekretär behauptet, würde ö . . h ß 8 . 522 . das auch nur das Geringste an der Verurteilung des Verhaltens der Militärbehörde ändern? Nur wer statt des Herzens einen Stein in ĩ. 9 ; 26 35 8 * . der Brust hat, kann sich eine solche Weigerung leisten, dem Manne, den die auf dem Sterbebett liegende Frau noch zu sehen wünscht, den Urlaub zu bersagen. Daß ich den Fall der beiden Mädchen im Plenum vortragen würde, war der Regierung genau bekannt. Nach der oft gehörten Erklärung aller Regierungsvertreter ist ja von ihr eine Abhilfe trotz aller Versprechungen und Zusagen gar nicht zu erwarten, denn nach ihrer Behauptung sind ja die Generalkommandos souverän.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Meine Herren! Ich möchte nicht, daß die Debatte abschließt unter dem Eindruck von Zweifeln und Mißverständnissen, wie sie vorhin nicht nur aus den Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Paasche, sondern aus auch aus denjenigen der Herren Abgg. Fehrenbach und Scheide⸗ mann hervorgingen.

Ich wiederhole noch einmal: ich habe keinen Zweifel darüber gelassen, daß, wenn die Fälle, die hier vorgetragen worden sind, zu⸗ nächst von dem Herrn Abg. Dittmann, dann von dem Herrn Abg. Hauß nach meiner Rede, so liegen, wie sie vorgetragen worden sind, die schärfste Mißbilligung nicht nur bei Ihnen hier in diesem Hause besteht, sondern ebenso bei der Reichsleitung und den militärischen Instanzen, von denen die Unterbeamten, die solche Verfehlungen be⸗ gangen haben, ressortieren. (Zuruf von der soz. Arbeitsgem) Ich wiederhole das noch einmal: ich habe die schärfste Verurteilung und Mißbilligung ausgesprochen, selbstverständlich nicht nur theoretisch ich mache hier keine Theorie —, für den nötigen Nachdruck wird ge⸗

Es mußte gesagt werden, bevor die Sache ins Land ging; insofern ver⸗

sorgt werden.

Aber daz andere sMederhole ssß duch! Ich sehe hier als Vor gesetzter einer sehr großen Anzahl von Beamten. Ich verurteile keinen Beamten, ehe ich ihn gehört habe, und so lange der Mann nicht als schuldig bewiesen ist, ist es meine Pflicht und Schuldigkeit, ihn zu

decken. Das tue ich. (Brapo! rechts.) 64

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Ich habe weiter gesagt es ist das vielleicht vorher in der Er⸗ regung des Hauses verloren gegangen anknüpfend an die Be sprechung in der Kommission, daß die Herren doch bei ruhiger und sachlicher Diskussion sich davon haben überzeugen können, daß wir ernstlich bemüht sind, Mißstände, wo sie bestehen, abzustellen. Ich glaube, ich habe allen Sitzungen von Anfang an beigewohnt und auf⸗ merksam beigewohnt, um mich zu vergewissern, wie die Dinge liegen. Ich wiederhole ferner: Wir haben gegen die Tendenz der Anträge, die

Haus heute beschäftigen, keinen Widerspruch erhoben. Wir haben in der Kommission gezeigt, daß wir auf ähnlichen Wegen den Erfolg, en auch Sie erreichen wollen, herbeizuführen bestrebt sind. Ich habe

vorhin erklärt, daß es nicht der parlamentarischen Gepflogen—⸗

und dem Geiste der Verfassung entspricht, daß die Vertreter der ten Regierungen bei Initiativanträgen in diesem ing nehmen. Aber ich habe erneut bestätigt, daß träge uns sympathisch ist, und daß wir von der Tendenz, di⸗ in Anträgen liegt, eine Besserung erhoffen. Ueber die Wege. auf denen das zu erreichen ist, ob in der Form dieser Anträge oder auf

e Weise, wird man sich verständigen können.

den Ausführungen, die ich vorhin machte bitte ich zu ent⸗

nehmen, daß ich nicht der Mann bin, dem der Herr Abg. Dittmann

sagen darf, daß er für einen deutschen Zuchthausstaat eintrete. Für

einen deutschen Zuchthausstaat bin ich so wenig zu haben wie für die

he S ich vorher auf die alte Zeit zurückgegriffen

es, weil Rom eben die vorbildliche Republik ge⸗

ziktator hatte mit der Sklaverei nichts zu tun; er

Gewalt über den frei römischen Bürger. Denn Rom war

loß der Verfassungsform nach „Republik“. Res publica heißt

'ntliche Sache; das ist das Stäͤatswesen. In Rom war das

Staatsbewußtsein am stärksten ausgeprägt von allen Staaten des

ltertums, und in diesem Rom mit der klassischen Ausbildung des

Ztaatsgedankens und der republikanischen Verfassung hat man an⸗

erkannt, daß in Kriegszeiten Ausnahmeverhältnisse bestehen, und daß

es in schweren Kriegszeiten notwendig ist, das Gleichgewicht zwischen

der Staatsgewalt und den Rechten der Staatsbürger zu ändern, so⸗ weit es die Erhaltung des Staates erfordert.

Meine Herren, noch einen Appell! Bei aller Entrüstung und Empörung, die hemte bei dem Vortrag der einzelnen Fälle durch das Haus gegangen ist, vergessen Sie die Grundlagen nicht, von denen ich ebe rach. Ich wiederhole: in einem Kampfe, wie wir ihn

Existenz Deutschlands, darf der einzelne und

nicht die Rolle spielen wie in Friedenszeiten, wo jedem

nen sein Recht genau zugemessen werden muß, wo genau ge⸗

ft wird und es kein größeres Unglück gibt, als wenn die Gerichte einen Unschuldigen verurteilen und verdammen. In Kriegszeiten gilt nur das Vaterland. In zahlreichen Fällen, nicht nur draußen an der

2 ; 6 . . Non nm romische erel. Wenn

111k. sondern auch in der Heimat, sind rasche Zugriffe notwendig, 5513 8 mis shörfto (Sfaagtsgesma . üb de Cap nur durch eine verschärfte Staatsgewalt gegenüber den Indi- viduen ergriffen werden können. Deshalb bleibe ich dabei im Gegen satz zu den Ausführungen der Herren Dittmann und Scheidemann: eine Abschaffung des Belagerungszustandes kann ich mir in einem Kriege, wie wir ihn durchmachen, nicht denken. (Sehr richtig! rechts) unsere Bemühungen werden wir darauf richten müssen und ingen, das möchte ich Sie versichern, wird sich Reichsleitung anschließen mi besten Kräften —, diesen Belagerungszustand, den wir nur während des Krieges nicht entbehren können, so zu gestalten, so zu verbessern, daß dabei auch R des einzelnen, soweit es irgend denkbar ist, geschützt wird (Bravo! rechts.) ;

Oberst von Wrisberg: Unsere Erlasse haben doch tatsächlich gewirkt, besser ist es unbedingt geworden, das habe ich auf Grund tes Aktenmaterials in der Kommission dargelegt. Der 5 10 des Zpionagegesetzes reicht nicht aus; wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, heißt es regelmäßig: Heeresverwaltung, warum hast du

nicht dafür gesorgt, daß so etwas unterblieb?

Damit schließt die Diskussion.

Der Gesetzentwurf, betreffend die Schutzhaft, wird einer

en Ihren Bemühn is

der oben mitgeteilte Bericht der Petitionskommission.

Darauf werden auf Vorschlag des Vizepräsidenten Dr Paasche noch Petitionen erledigt, zu denen Wortmeldungen nicht vorliegen. Die Beschlußfassung erfolgt durchweg gemäß den Anträgen der Petitionskommission.

Schluß gegen 7 Uhr. Nächste Sitzung Montag 3 Uhr (Anträge des Haushaltsausschusses, betreffend die Zensur, den Belagerungszustand und die Gefangenenbehandlung; Anträge der Kommission für Handel und Gewerbe).

D

Verkehrswesen.

Nach den bestehenden Anordnungen dürfen zurzeit den Paketen nach dem Ausland außer einer Faktura keine anderen Ge⸗ schäftspaptere beigesüst werden. Wenn ausnahmgweise in Fällen nachweisbar dringenden Bedürfnisses Schriftstücke irgend welcher Aft, wie Schlffs papiere, Gesch ifte bücher, Handakten, Zeichnungen oder Ab- bildungen, als Ganzes den Gegenstand der Versendung in Paketen bilden sollen, so sind die Schriftstücke usw. in den Ausfuhrerklaͤtungen einzeln aufgeführt (vollig gleichlautende zahlenmäßig zusammen-⸗ gefaßt) so genau zu bezeichnen, daß jeder Zweifel über ihren Inhalt ausgesch ossen ist. Falls in Paketen nach dem Auslande Bücher, Druckschriften usw. versandt werden, so sind sie in den Ausfuhr⸗ erllärungen nach Titel und Sprache genau ju bezeichnen. Die Postanstalten sind angewiesen, Auslands pakete, die nicht von vor⸗ h ,,. ausgefüllten Ausfuhrerklaͤrungen begleitet sind, nicht an⸗ zunehmen.

Im Briefverkehr zwischen Weutschland und den von Oesterreich Ungarn besetzten Gebteten von Serh len und Montenegro ist nur die deutsche, nicht auch die französische Sprache zugelassen.

Verdingungen.

Der Zuschlag auf die die von dem Verwaltungsressort der Katserlschen' Werft in Wilbelmebaven em 18. September 1916 verdungenen Erd, Maurer-, Asphalt., Dachdecker,, Glempner-, Zimmer., Schmiede und Eisenarbelten jum Neubau der Mechaniker werkftatt auf der neuen Torvedowerst ist der Firma Partzot u.

Slemons G. m. b. H. erteilt worden.

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