önnen, sondern ihr entgegentreten müssen, dürfte selbstverständlich sein. Der Reichskanzler richtete in einem, wie wit gern anerkennen, ersöhnlichen Tone einen Appell an uns, nach dem wir das Kriegs— zeil begraben und uns entschließen möchten, einheitlich und friedlich nntzuarbeiten. e. sind wir, so weit unsere Grundsätze es uns 83 gestatten, stets bereit. Wenn der Reichskanzler in 6 unft einer Polltit den Weg ebnen will, die davon absießt, ums. und unsere Auffassungen um der Sozial. demokratie willen grundsäßlich guszuschließen, so würden wir das mit Freuden begrüßen. Jedenfalls werden wir und die hinter uns stehenden Kreise auch in der Folge, wie bisher, uns durch nichts davon abbringen lassen, unsere Pflicht dem Vaterlande gegenüber in unbe— schränktem Maße zu erfüllen. Dabei erkennen wir in vollem Maße die schwierige Lage unseres Vaterlandes und den Wunsch des Herrn Reichskanzlers an, daß von allen Seiten ohne Aufgabe der eigenen Ueberzen gungen und Meinungen dahin gewirkt werden soll, die Gini— gung zu fördern und nicht zu zerstören. Auch dazu sind wir, so weit. unsere Grundsätze es gestatten, stets bereit. Bravo rechts) Der Abg. Eizberger hat sich auch über das preußische Wahkrecht hier ge⸗ äußert. Das Recht des Reichstags dazu hat auch heute Herr Tands— berg reklamiert und sich dabei auf eine Aeußerung des Herrn Olden—⸗ burg ron 1901 berufen. Er hat aber nicht zitiert, was die Redner anderer Parteien, so Herr Hieber von den Nationalliberalen, Herr Speck vom Zentrum, Herrn von Oldenburg erwidert haben. Man hat strikte Verwahrung dagegen eingelegt, daß nichtpreußische Staaten sich über die Gesteltung ihres Wahlrechts vom Reichstage drein⸗ reden lessen. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Mit solckem Ein— greifen zerstören sie den Unterban des Reiches. Auch Anhänger des Zentrums stehen auf, einem ganz anderen Standpunkte? Ber Rheinische Bauernverein hat sich 1908 grundsätzlich gegen das gleiche Wahlrecht in Preußen und dagegen ausgesprochen, daß darüber im Reichstag diskutiert wird. Wir haben gleichzeitig davor gewarnt, diese Frage in die politische Crörterung zu werfen; unsere Warnung ist nicht gehört worden, die Folgen sind da. Herr von Payer sprach davon, daß die Brotration nicht vermindert werden wird. Als er das sagte, war sie auf dem Lande für die Selbstversorger schon von ü auf 635 Pfund verringert worden! Die Acußerung, die mir Herr Scheidemann im Zusammen⸗ hang mit dieser Frage als von mir bei der Generalversammlung des Bundes der Landwirte getan unterschiebt, habe ich nicht getan; ich habe nur hervorgehoben, daß diese einseitige Herabsetzung von den Landwirten aufs schwerste empfunden werde, nachdem lurz vorher versichert worden war, sie werde nicht erfolgen. Das Land braucht aber jetzt Arbeitskräfte, um dem Lande die Er— nährung zu sichern, und sie müssen genügend ernährt werden. Es handelt sich also nicht um den ö, Landwirt, sondern um die Gesamtheit. Die Ration ist jetzt geringer als in der Stadt, wo die Schwer- und Schwerstarbeiter noch Zulagen bekommen. Von einer Bevorzugung des Großgrundbesitzes bei der Erfassung der Vorräte ist 1 die Rede. Was würden Handel, Gewerbe, In dit h dazu sagen, wenn man ihnen mit militärischen Kommandos auf den Leib rückte. Auch das Vorgehen der Reichsgetreidestelle gibt zu begründeter Bemängelung Anlaß. Kurz, man fängt an, mit der Landwirtschaft in einer Weise umzugehen, die sich nicht gehört. Herr Scheidemann hat versucht, den Streik zu entschuldigen und sich und seine Leute reinzuwaschen. Er hätte ihnen den Kopf waschen sollen. Der Streik ist von außen in die Arbeitermassen hinein— getragen worden. Der Vaterlandspartei sind ihre Versammlungen erade durch die Sozialdemokraten unmöglich gemacht worden. Die zerantwortung für die vorgekommenen . lehnen sie jetzt ab. Eine Erklärung des Bundes der Werkvereine und der „Gelben“ Protestiert gegen die auf die Gelben bezügliche Behauptung des Herrn Scheidemann mit der größten Entschiedenheit. Die Herren Sozial— demokraten beider Richtungen haben ja auch vor dem Streik ö gesetzt auf ihn hiegewiesen, allerdings mit der Formel: „Wär warnen, wir drohen nicht.“ Wenn ein Leutnant für die Zensurtätigkeit nicht die genügende Intelligenz besitzt, wie soll dann das gleiche Wahl— recht für alle Bürger beiderlei Geschlechts über 20 Jahre bestehen können? Die Stellungng me des Herrn von Dandz in München hat man vielfach sehr übel empfunden. Eine Entschuldigung für den Streit gibt es, nicht. Die Arbeitepflicht gilt heute für alle. Wie nachteilig der Streik zu unseren Ungunsten auf das Ausland gewirkt hat, zeigt ein Blick in die Presse. Dort wird direkt darauf hingewiesen, daß der Beschluß des Versailler Kriegsrates durch den Streik mitbedingt worden ist. Auch jetzt schwirren Gerüchte berum, daß es bald wieder zu einein neuen, besser vorbereiteten Streik kommen soll. Ich spreche der Regierung für ihr energisches Auf⸗ treten unseren Dank aus. Dadurch ist Schlimmes verhindert worden. Auch hier hat sich wieder gezeigt, daß allein Wille und Tatkraft Gutes erzeugen kann. Der . im Osten ist ja nur zustande gekommen, weil das deutsche Schwert gezogen wurde. Wir sind glücklich, baß auch in Rußland Ordnung geschaffen wird und seine unschuldigen Völker von der Schreckensherrschaft befreit werden. Auch für unsere Brüder, die dort seit Jahrhunderten ihr Deutschtum hochgehalten haben, schlägt die Erlösungsstunde. Von ihnen können wir lernen, was. Nationalbewußtsein heißt, aber auch von unseren Feinden. Nur die Politik kommt zum Ziele, die nicht vor Drohun— gen zurückschreckt. Zuruf des Abg. Le debour: Die Ärbeiter weichen vor Euren Drohungen nichk zurück! In Augenblicke, wo man einem Ewpresser nachgibt, vergrößern sich seine Forderungen. Auch unseren Feinden gegenüber kann nur Stärke und Kraft ent— sceiden. Dank der wunderbaren Führung unseres Heeres hat sich dies bewiesen. Auch die Ausdauer unserer Bevölkerung ist dafür ein Beispiel, die trotz aller Versuche nicht zu erschüttern ist, und die fest hinter unserer militärischen Führung steht. Wir stellen uns ent— schlossen gegen alle Einflüsse, die das Verhältnis trüben wollen. Wir hoffen, daß der Kanzler bereit ist, diese Stimmung im Volke aus— nutzen, um mit den Männern seines Vertrauens uns zu einem Frieden zu verhelfen, der Deutschlands Zukunft sichert. (Beifall rechts. Zischen bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Freiherr von Schulze⸗Gaevernitz Cfortschr. Volksp.): Das deutsche Volk hielt diesen Krieg als einen Freiheltskrieg. Wir kämpfen für das Weltgleichgewicht und fin den Platz aller an der Sonne. Die Welt war im Begriff, schnell englisch zu werden. Der deutsche Freiheitsglaube muß neu aufgerichtet werden. Bir freuen uns, daß er durch Herrn von Rayer einen Platz am Ministertisch gefunden hat. In der allgemeinen Schul⸗ flicht, im allgenieinen Wahlrecht sind wir der fortschrittlichste Staat. Wenn unsere Gegner uns als Barbaren bezeichnen, fo nehmen wir dies gern an als die Verjünger einer alten Welt. Wir find Bar— baren eigener Art, die in Belgien Kinderschutz und Sozialpolitik ein— geführt und in Frankreich Kunstpflege treiben. Die sinnlofen Flieger⸗ angriffe auf wehrlose deutsche Städte, namentlich auf Freiburg und Larlsruhe, Brand marken wir deshalb. In Freiburg fiel außer esnigen Toten und Verstümmelten ein wissenschaftliches Institut den Flieger⸗ angziffen zum Opfer, das im Frieden feindlichen Ausländern deutfche Gastfreundschaft gewährt hat. Pspchologisch mäffen folche Flieger angriffe lediglich auf die Kriegsleidenschaflen aufpeifschend und krisgs— verlängernd wirken. Man ruft nach Vergeltung. Dies ist aber eine Schraube ohne Ende. So erhebt sich die Frage, ob es nicht zur Verkürzung des Krieges und des Kriegswahnsinns beiträgt, wenn man durch internationales Abkommen alle Fliegerangriffe in gewissem Abstande hinter der Front überhaupt verbietet. Das soll uns nicht verhindern, die Sonde der Kritik auch an uns anzulegen. Der deutsche Freiheitsgedanke ist verdunkelt worden durch tie alldeutschen, Gewal tsansprüche, die die Germanen als die Mar= schäl, zer übrigen minderwertigen Völker hinstellen. Das haf uns im Auslande so verheßt gemacht. Die deulsche Freihest der Praxis ist in den letzten Jahren verkümmert worden durch das ostpreußische Funkertum, das bei der Reichsgründung die Führung hatte und sich seit⸗em wie ein schleickender Nebel als Geist ber Unfreiheit über das Wertsche Land verbreitet hat., Die frischen Worte eines Herrn von benbärg haben riesen Geist, in unwerfälschter Reinhelt gezeigt. Auch Herz Dr. Roesicke hat in dies Horn gestoßen umd die Revolution em die Wand gemalt. Das ist ein' gefährliches Spiel. Der heutige
Zustand der Militärbehörden, die vielfach sogar im Witerspruch untereinander stehen, widerspricht den friderizianischen Ueberlieferungen des preußischen Staates. Es handelt sich dabei nicht darum, mili⸗ tärische Geheimnisse zu sckützen, sondern künstlich Meinungen und Gesinnungen zu schaffen. Die Zensur schadet mehr als As alle die Jilen schaden können, die man als aufreizend ansieht. Das derntsche Volk ist mündig und kann der Wahrheit ins Gesicht sehen. Hätte man die Wahrheit über den Ünterfeebostkrieg seinerzeit zugelassen, manche Spaltung in der deutschen Oeffentlickkeit wäre ver— mieden werden. Schlimmer als die militärische Zenfur wirkt aber die. Beeinflussung der Zeitungen. Sollte es sich bewahrheiten, daß die Kriegsgewinnler durch hochbezahlte Inserate oder sonst wie auf die Zeitungen einwirken, damit durch Kriegsderlängerung ihre Gewinne ungeschmälert bleiben, dann müßte scharf eingegriffen werden. Yen sollte die Kriegsgewinne, wie in England und Arierika, fo hoch besteuern, daß ein geschäftliches Interesse an der Fortsctzung des Krieges nicht mehr besteht. Ich Lerstehe durchaus die Bedenken, die in Ländern, wo es & bis 9) . Analphabeten gibt, gegen die Ein⸗ führung des allgemeinen gleichen Wahlrechts bestehen. Hat aber ein Volk das gleiche Wahlrecht verdient, dann ist es das unsere, welches das schwerste Examen der Weltgeschichte erfolgreich bestanden hat. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht bezeichnet den letzten Punkt der Wahlrechtsentwicklung überhaupt, an dem der bisher rechtlose Untertan endgültig zum voll⸗ und gleichberechtigten Staatsbürger wird. Für uns bedeutet in der heutigen Lage das gleiche Wahlrecht für Preußen zugleich die große Wosserscheide wẽlcke das alle vom neuen Deutschloand scheidet. Wir haben ein Fecht auf ein verjüngtes und verdeutschtes Preußen. Das allgemeine gleiche Wahlrecht klöpft heute mit, eisernen Fingern an unsere Tür. Verhüten wir es, daß es selbst die Tür sprengt und dabei einen Teil des Hauses mit einreißt. Ein Zugeständnis muß also gemacht werden. Man führe es deshalb wäh— rend des Krieges ein. Es ist ein wichtiges Kriegsmittel, um den Krieg zu einem guten Ende zu führen. Ein Dristel unserer Sol⸗ daten sind Sezzialdemokraten. Man kann die Brotrasion herabsetzen, dann erhöhe man aber die Freiheitsratien. Die letzten Streiks sind ein Warnangszeichen und zurückzuführen auf, die Verschleppung. der preußischen Wahlrechts refrrm. Hit militärischen Mitteln allein wird dieser Krieg nicht beendet. In dem Kampf der Geister sind wir Teutschen die Schwächeren, wesin wir dem angelsächsischen Freiheitsgedanken nichts Besseres entgegensetzen als den und eutschralldeutschen Gedanken: Macht geht vor Recht!“ Wir sin? dagegen die Stärkeren, wenn wir den alten deutschen Freiheitsgedanken durchsetzen. An dem Tag, an dem das allgemeine und gleiche Wayhl⸗ recht in Preußen Gesetz ewoarden ist, bricht ein guler Teil des angel⸗ sächsischen Kriegewillens in sich zusanimen. (Sehr richtig! links. Dieser nicht mehr ferne Tag des Heimatsieges sprengt den wöiderngiürlichen Bund zwischen Imperialismus und freiheitlichem Idealismus, auf dem die Zähigkeil des britischen Kampfwillens beruhl. Wir erfüllen unsere heiligste Pflicht gegen uns selbst, indem wir der deutschen Freiheit zun Sisge verhelfen. (Sehr richtig! links Auch konser⸗ bative Politiker haben die preußische Wahlreform als eine zwar un⸗ 4üigenhme aber undbweisbare Notwendigkeit der äußeren und inneren Politik bezeichnet. In der Vaterlandspartei lebt ohne Zweifel ein
gutes Stück vaterländischen Nealismus. Wenn sie sich dem eben aus— gesprochenen Gedanken annähern würden, dann wäre cine breite Kluft eschlossen. Ueber die Kriegsziele würden wir uns sehr bald verständigen denn auch wir erstreben das Höchsterreichbare, ohne uns dadurch mit der Frieden zresolution des Relckstages in Wäderspruch zu setzen. Das s871. zurückeroberte Glsaß⸗Lothringen ist von uns recht und schlecht, tochnisch soxar vorzüglich verwaltet worden; cher (C, würde den, den Köller, Pultkamer u. a. nach ostelbischen , verwaltet und das rief den Protest der demokratisch aber deutsch emzfindenden Bevölkerung hervor. Der erste nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht zusammengefez le Landtag Elsaß Lothringens brachte die Französlinge in ein? per- cööindende Mäinderhelt. Seitden ist? un ser Rechts ite im deichslande, nicht mehr der Eroberung, sondern der der Justim nung des Welker Cebhafte Zustimmung.) Auf dem Wege zum Volfestaat werden“ wir zeugte nicht mehr Halt machen. Durch unfere Heere ist uns die größte Be— freiungstat aller Zeiten gelungen. Die russische Revolution war das Kind deutscher Siege. Die Zurückbrängung des bolschewistischen Chaos nach dem Osten wird uns einst die ganze Welt danken. (Sehr wahr!) Wenn heute ein neues und freiheitkiches Belgien schon ge⸗ boren ist, in dem die Flamen ihre Selbständigkeit durchsetzen werden wenn der Revanchegedanke in Frankreich endfäch zum Tode verurteilt ist, wenn der alles verschlingende britische Imperialismus in diesem Kriege seinen Höhepunkt überschritten hat, wenn die britische Ge— werkschaftsbewegung über ihre infularen Schranken hinaus heute in des Pett, der allgemeinen Arbeiterbewegung einmündet, wenn die amerikanische Staatsgewalt endlich siegt uͤber die Trusts, dann steigt am Horizonte die Linie eines Friedens auf, der die Weltkul ur ein großes Stück vorwärts bringt ünd als Freiheitzfriede in der Welt— geschichte fortleben wird. Auch Ter Name Bethmann Holl⸗ wegs wird in der Weltgeschichte als der eines Säemanns 3er Freiheit eingezeichnet sein. Wem heute noch im Ausland gescgt wird, in Deu ffchland werde um die Ginfüh— rung des . Parlamentarismus der Kampf mit der Krone geführt, so wurde dieser Irrtum durch die alldeutsche Presse unterstützt. Nein, wir kämpfen Um die deutsche Freiheit und haben dabei die Unterstützung der Krone. (Beifall links) .
Nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Erzberger Gentr) und Dr. Roefi cke (dkons.) wird gegen 6 Uhr di Weiterberatung auf Freitag, 13 Uhr, vertagt. Außer dem Gesetz über die Zufammenfetzung des Reichstags.
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Prenszifcher Landtag. Haus der Abgeordneten. IIS. Sitzung. Donnerstag, 28. Februar 1918. (Bericht von Wolffs Telegraphen⸗Büro.)
IIS. Sitzung vom 28. Februar 1918, Vormittags 11 Uhr.
Am Regierungslische: der Justizminister Dr. Spahn. Pröäsident Dr. Graf von Schwerin eröffnet die Sitzung nach 11 Uhr.
Abg. Dr. von Krieg (kons.) bemerkt zur Geschäftsordnung, daß der Aeltestengusschuß beschloffen habe, den? Sonnabend sitzungẽ⸗· frei zu lassen, um dem Hauptausschuß und dem Unterausschuß der Wahlrecht ommission Zeit zu Sitzungen zu lassen, daß aber an diesem Sonnabend die Mehrzahl der Mitglieder des Unterausschusses ver⸗ hindert sei.
Nach kurzer Geschäftsordnungkdebatte erklärte der Präßsident, am Schlusse der Freitagssitzung dem Haufe vorschlagen zu wollen, daß am Sonnabend eine Plenarsitzung stallfinde und der Montag sitzungs⸗ frei bleibe.
Sodann wird die Beratung des Haushalts plans der Ju stizver waltung foͤrigesetz. . Abg. Reinhard (Zentr.): Auch wir l früheren Justizminister Dr. Beseler Anerkennung seiner hohen Geistesgaben, feiner Tatkraft und seinem Getrechtigkeitsgefühl und werden ihm ein dankbares Andenken bewahren. Die für das Vaterland gefallenen Velden aus der Beamtenschaft der Justizverwaltung haben den Dank des Vaterlandes verbsent. Wir freuen unt, daß es trotz des Krieges möglich gewesen ist, im Bereiche ker Justi derwaltung eine große Anzahl neuer planmäßiger Beamtenstellen zu schaffen' Die Vereinigung des Gefängniswesens in der Hand kes Justzź ministers ist die wichtigste Neuerung im Justizetat. Hoffen lich wird der humane Geist, der bisher in der Stra bol streckung geherrscht hat, auch in Zukunft beibehalten. Die Zu⸗
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zollen dem
nahme der Kriminalilät müssen wir aufs tiefste beklagen. Jebei Trieg hat eine Verrohung zur Folge, insbesondere dieser lange Krieg,
mehr im Kopf behalien kann, wirkt verheerend auf das Rechtsbewußt. sein. Wer von uns hätte nicht schon seinem Freunde, der seine Broz, karte vergessen hatte, mit der seinigen ausgeholfen? Weil alle diese Strasperordnungen nicht befolgt werden können, hat sich die Be völkerung gewöhnt, auch die älteren Strafgesetze nicht mehr zu be— achten. So wie bisher können die Verhältnisse in der Rechtspflege nicht mehr weitergehen. Alle diese Bestandsaufnahmen an Kohlen, Kartoffeln usw. in den Haushaltungen lassen sich in der Praxis gar nicht durchführen; es ist manchmal Unfug, was da von den Ge— meinden verlangt wird. Am tiefsten zu ö. en ist die Zunahme der Verbrechen bei der Jugend. Die hohen Berdienste, die jetzt die Jugend aus ihrer Arbeit hat, verführt sie in dem rade zur Ver⸗ schwendung, daß sie selbst mit diesen hohen Einnahmen nicht aus— kommt und zum Verbrechen greift. Ein Jugendlicher, gegen den der Staatsanwalt Gefängnisstrafe beantragt hatte, sagte ganz verwundert; Ich kann doch keine Gefängnisstrafe bekommen, ich bin ja jugendlich. Um die Jugend auf den Pfad der Besserung zu bringen, sollte mehr Gebrauch von der bedingten Strafgussetzung gemacht werden. Den Justizminister bitte ich, nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß eine schnellere Anstellung der Justizbeamten Platz greift. In erster zinie müssen die aus dem Felde heimkehrenden Kriegsteilnehmer be rücksichtigt werden. Die zurückkehrenden Referendare könnten piel—= leicht einige Monate Urlaub erhalten, damit sie ihre Kenntnisse etwas aufftischen können. Das Referendarexamen kann für die Kriegsteilnehmer nicht erleichtert werden, denn in der Praxis muß der Beamte etwas können. Die Prädikatsassessoren dürfen nur in ge— ringem Maße bei der Anstellung bevorzugt werden. Die Lage vieler Rechtsanwälte ist recht trcurig; wie nian diesen Herren Feffen soll, weiß man nicht. Ich kann nur wünschen, daß sie über die schwere
lohnende Tätigkeit finden werden. Herr Haenisch hat einige prakt— tische Fälle in der Rechtspflege abfällig besprochen, er ist nicht Jurist, und ich habe zu ihm das Vertrauen, daß er bona fide geurteilt hat, Daß aber z. B. die Befürwortung eines Gnadengesuches auf ben Staatsanwalt delegiert wird, ist etwas, was jedem Kö Juristen geläufig ist. Der Staatsampalt prüft die Sachlage bob. kemmen objektiv. Daß ein Gericht einem dissidentischen Ehepaar
ebenfalls auf dem gewissenhaften, objektiven Urteil des Jtichters. Der Fall, daß ein junger Mann nur wegen seiner politischen Ge— sinnung in Fürsorgeerziehung gehracht worden sein sell, läßt sich obne Kenntnis der Akten nicht beurteilen, aber nach dem, was ich darüber dernommen habe; liegt der Fall doch anders als Herr Hacnisch ihn darstellte. Da die Hälfte der Justizbeamten zum Heere eingezogen ißt, müssen wir anerkennen, daß die übrige Hälfte die Geschäfte in so guter Weise wahrgenommen hat. Wir ersehen daraus, auf welcher Höhe unsere Rechtspflege stebt. Sie wird im Frieden auf dieser Höhe stehen bleiben. (Beifall.)
Abg. Dr. Gottschalk-Solingen (nl): Auch ich bin von meinen Freunden beauftragt, die großen Verdienste des früheren Justizministers anzuerkennen; er war ein ausgezeichneter Jurist und har sowehl für das Wohl seiner Beamben gesorgt, wie die Unabhängigkeit der Richter gewahrt. Dem jetzigen Minister wird bei einer Amtsführung sicherlich seine reiche parlamentqrische Erfghrung zugute kommen. Der Krieg hat eine erschütternde Zahl von Opfern 6 ; , ö ; T 2 z C rf unter den Justizbeamten erfordert. Die Zunahme der Straf— sachen ist ein besonderes Kapitel, das hoffentlich bald wieder zu Ende geht. Wir können nur auf die Zukunft hoffen und erwarten, daß die deutsche Gründlichkeit Mittel und Wege zur Abhilfe finden witd. Die Kriminalität der Jugend hat allerdings in erschreckendem Miaße zugenommen, wir warnen aber vor Yätteln, die dieseni Uehel sterern sollen, in Wahrheit aber diesen Erfolg nicht haben können. Ein Zickzackkurs fann nichts nützen; die Verhältnisse während dez Krieges müssen als solche gewertet werden, und sie werden sich in Frieden sickerlich wieder ändern. In der AÄnstellung der Diätare scll jetz endlich zum Teil wieder gut gemacht werden, was früher darin Derscumt worden ist. Bei veränderten Verhällnissen müssen auch die Grundsätze für die Anstellung geändert werden. Der traurigen Lage der Rechtsanwälte kann die Gebührenerhöhung nur teilweise ab helfen, denn denen, die noch keine Praxis haben, nützt die Gebührenerhöhnmz nicht. Die Wiederaufnahme der Prozefse, die während des Krieges haben ruhen müssen, wird im Frieden die Geschäfte der Gericht schnell steigern. Die Richter werden vafür nicht ausreichen, und d 6e halb könnte man, wie in der Kommission vorgeschlagen worden ist, die
Rechtsanwälte vorübergehend zu Hilfsrichtern er nennen. Die Assessoren, die sich in der Praxis als besonders tüchtig erwiesen haben, ohne Präikatsassessoren zu sein, müssen ebenso bevonr— zugt werden wie die Hrädikatsassessoren. Wir haben in den letzen Jahren vielfach eine Reform des Kanzleidienstes befürwortet; wäh— rend Les Krieges ist die Reform nicht möglich gewesen, aber hoffentlich läßt sie im Frieden nicht lange auf sich warten. Die Uebernahme des Strafwollzugös auf die. Justizverwaltung ist sehr erfreulich. Hoch anzuerkennen ist das segensreiche Wirken des Geheimrats Kroöhne in der Gefängnisverwallung im Minist rium des Innern; der Geist
dieses hervorragenden Mannes wird hoeffentlich auch im Gefängnis⸗ wesen unter dem Justizministerium maßgebend sein. Der Justij— minister möge seine Ressorts so verwalten, daß das Wort zur Wahr=— heit wird: ia stitia kun damentum regnoru m. (Beifall.
Abg. Dr. Re woldt freikons ): Ver frühere Justiz— minister ist den Anforderüngen seines Amtes in hohem Maße gerecht geworden; das Haus schuldet ihm Dank dafür. Die jungen Juxristen haben durch den Krieg eine schwere Einbuße er— litten; dafür muß ihnen Ersatz werden durch die Förberung in ihren Bernfe nach dem Kriege. Die Jersplitterung im. Gefängniswesen zwiscken den heiden beteiligten Mänisterien hat solche Ucbelftände mit sich gebracht, die von beiden Ministerien anerkamit wurden, daß es Ligentlich Wunder nimmt, daß die Abhilfe folange gedauert hat. Hoffentlich wird sich das Stagtsministerum in anderen reform bedürftigen Fällen rascher entschließen können. In der Strafwoll— streckung darf man weder den Skref weck, noch den Besserungszweck zu sehr in den Vordergrund ziehen; die Strafe muß vielmehr von dem Gesichtspunkt der Buße betrachtet werden, mit welcher der Täter fich der Offentlichkeit gegen uber, gegen die er sich vergangen hat, zu reinign hat. Gewiß sell die Strafe als Uebel empfunden werden, aber weh als Uebel empfunden wird, das ist nach der Indiotbualität des emn— Llnen verschieden. Der Justizminister hat, erklärt, daß auch in zer Recht pflege mit möglichst wenig Arbeitzträften die größimöglichen Leistungen erzielt werden müssen. Angesichts der großen Aufgaben, die uns aus dem Wiederaufbau der wärtschaftlichen Verhältnisse nach dem Kriege erwachsen, bin ich dem Minifter dankbar, daß er sich zu die sein Grundsatz bekannt hat. In der Rechtspflege und im Prozef⸗ derfahren muß jede unnütze Arbeit vermseden werden; gegäh die Versucke eines Angeklagten, die Sacke zu verschlewhen und die Richter mürbe zu machen, müssen wirksame Maß⸗ Tegeln ergriffen werken. Die Deffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens muß allerdings bestehen bleiben, sowohl im Strafprojeß wie im Zivilprozeß. Vie Slrafprozeßreform muß möglichst hald nach, dem Kriege in Angriff genommen werden. Aber die Mündlichkeit und Oeffentlichkeit des Verfahrens darf kein Schibboleth sein, kein Kräutlein Rührmichnichtan, an dem nicht in dicsem oder nem Punkte ehras geändert werden kann. Ich halle es nicht für richtig oder richt für nolwendig, daß die Mändlichkeit in der Weise überspannt wird, daß zum Gefetz erhoben wird der Satz: quod. hol Cet, locutunn, non est in mundo. Jetzt darf der Richter nichts berücksichtigen, was nicht gesprochen worden“ ist. Im Vemwal⸗ r, g geri t gver fs hten [et Tie erb in zung er, Schriftlichkeit amd Mündlichkeit auf die Güte der Urteile sehr günstig eingewarkt.
(Fortseßzung in der Zwelten Beilage) .
Die Fülle der Verordnungen und Strafporschriften, die niemand
Zeit hinwegkommen und, wenn die Friedensglocken läuten, wieder ein. b . / 1 1 /
nicht die Erziehung eines katholischen Kindes anvertraut hat, beruht
zum Deutschen Reichsa
M 52.
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Le , GCGFortsetzung aus der Ersten Bellage) 1.
IJustizminister Dr. Spahn: . Gestatten Sie mir, auf einzelne der berührten Fragen kurz einzu⸗ gehen. Vom vorgestrigen Tage habe ich folgendes nachzutragen. Herr Abgeordneter Haenisch hat die Ginsicht der gerichtlichen Personalakten der Rechts anwälte zur Sprache gebracht. Es steht dieser Einsicht nichts im Wege. Ich weiß aber nicht, ob die Rechtsanwälte Interesse an ihr haben. In den Akten steht in der Hauptsache die Geburtszeit, das Dienstalter, die Konfession, der Dienstort, das Prädikat des Examens; und, wenn die Rechts- anwälte durch das Ehrengericht eine Strafe erlitten haben, so ist auch sie eingetragen. Etwas anderes findet sich nicht darin. Ich muß be⸗ merken, daß mir dies mitgeteilt ist; ich selbst hatte niemals ein Akten—⸗ stück über die Personalien eines Rechtsanwalts in der Hand.
Dann ist die Verleihung von Titeln und des No⸗ tariats an die der sozialdemokratischen Partei angehörenden Rechtsanwälte erwähnt worden. Ich kann diese Fragen einer näheren Erörterung nicht unterziehen, aber das kann ich bemerken: die politische Gesinnung gibt an sich keinen Anlaß, jemand das Notariat oder den Titel Justizrat zu verweigern. Während meiner Amtszeit als Minister ist jedenfalls ein Rechtsanwalt, der zur sozialdemokratischen Partei gehört, zum Justizrat ernannt worden; ich glaube auch, das ist noch in einem weiteren Falle geschehen.
Ferner, meine Herren, war gewünscht worden eine Einwir« kung auf die Staatsanwaltschaft behufs tun— lichster Vermeidung unbegründeter Anklagen wegen Vergehens gegen Kriegsverordnungen. Meine eigene Auffassung stimmt völlig mit diesen Ausführungen über⸗ ein. Es ist — darauf will ich hinweisen, weil gerade dieser Wunsch für das Verfahren hervorgehoben worden ist — bereits im Mai 1917 eine Verordnung ergangen, wonach die Staatsanwaltschaft Gutachten einfordern soll, bevor sie einen Antrag beim Gericht stellt. (Bravoh Schwierigkeiten hat zuweilen die Erlangung geeigneter Gutachter gemacht. Ich glaube, der Wunsch, der hier vorgetragen worden ist, ist durch den Erlaß genügend erfüllt, so daß ein Anlaß zurzeit nicht vor⸗ liegen dürfte, mit einer neuen Verordnung vorzugehen.
Ueber die zur Sprache gebrachte Adoptionssache war ich nicht unterrichtet; die Akten, die eingefordert waren, sind inzwischen eingegangen, und nunmehr kann ich mitteilen, daß in dieser Sache seitens des Vormundschaftsgerichts anscheinend keine Bedenken gegen die Adoption erhoben worden sind, sondern daß die erhobenen Be⸗ denken sich allein gegen die Dispensation gerichtet haben. Diese Frage ist jetzt meiner Entscheidung unterstellt. Deshalb sind die Akten bei mir. Ich habe sie bis jetzt noch nicht einsehen können. Die Frage wird nunmehr geprüft werden.
Nun zu den Fragen, die heute erörtert worden sind! Bei den Bundesratsberordnungen, bei denen ich allein mitwirken kann, ist in äußerst seltenen Fällen eine eidesstattliche Versicherung zugelassen bezw. erfordert. Der Fall, der speziell in der Kommission mitgeteilt worden ist, betraf das Erfordern einer eidesstattlichen Ver⸗ sicherung durch eine Verwaltungsstelle. Darauf habe ich keine Ein⸗ wirkung. ö ö
Was die Beurlaubung der Refe Felde zur Auffrischung ihrer Kenninisse ich gern bereit, die Referendare sofort enden zu lassen, wenn sie aus dem Felde zurückkehren.
rendare im betrifft, so bin ihre Station voll— Aber
die Beurlaubung liegt bei der Militärbehörde, ich habe die
Empfindung, daß man auch dort gern bereit ist, Urlaub zu erteilen, wenn die militärischen Verhältnisse es gestatten. Die mili⸗ tärischen Gründe aber kann ich einer Nachprüfung nicht unterziehen.
Noch eine Bemerkung wegen der Bevorzugung der Prädi⸗ katsassessoren. Ich glaube, man hat aus den Zahlen mehr ge⸗ folgert, als sie in Wirklichkeit gestatten. Im vorigen Jahre sind, wie ich mitgeteilt habe, 12 Prädikatsassessoren angestellt worden un; 58 oder 61 andere Assessoren. Ich habe erfahren, daß sich unter diesen 12 angestellten Prädikatsassessoren zwei befunden haben, die das Examen mit Auszeichnung gemacht hatten. Diese kommen nun noch etwas schneller voran als die, die sich als gut bewähren. Dadurch er⸗ klärt es sich, daß diefes Jahr so günstig in bezug auf die Anstellung der Prädikatsassessoren abgeschlossen hat. Wenn Sie sich nun gegen wärtig halten, daß versucht worden ist, im vorigen Jahre den heutigen Wünschen entsprechend einige der ältesten, nicht im Felde befindlichen Assessoren zur Anstellung zu bringen, so werden Sie finden, daß das durch⸗ schnittliche Anstellungsalter der Nichtprädikatsassessoren umgekehrt ge⸗ rade dadurch ungünstig beeinflußt ist, daß aber verhältnismäßig viel beson⸗ ders alte Assefsoren angestellt sind. Wenn Sie diese beiden Gesichts⸗ punkte berücksichtigen, wird, glaube ich, der Unterschied der Anstellungs⸗ zeit, den ich mit den Zahlen mitgeteilt habe, nicht die Bedeutung haben, die ihm hier im allgemeinen beigelegt worden ist. Ich darf Sie ver— sichern: es werden außer der Qualifikation soviel andere Gründe bei der Erörterung über die Anstellung jeden einzelnen Assessors be—⸗ rücksichtigt, daß nach der Richtung das Mögliche geschieht, um billig zu sein.
Dann, meine Herren, die Reform der Kanzlei. Ich habe mit- geteilt, daß nicht während, aber gleich nach Abschluß des Krieges be— absichtigt ist, die Verhältnisse der Kanzlei anders zu ordnen (Bravoh, wenn möglich, dadurch, daß man die Kanzleigehilfen etatsmäßig oder diätarisch anstellt.
Wegen der un günstigen Anstellungsverhältnisse der mittleren Beamten glaube ich mich für den Augenblick dabei beruhigen zu können, daß eine größere Zahl Etatsstellen geschaffen wurde, so daß ich annehmen kann, daß insbesondere die Aktuare, die bis 1911 angenommen worden sind, zur Anstellung kommen. Ob im nächsten Jahre eine ähnliche Stellendermehrung möglich sein wird, muß ich dahingestellt sein lafssen. Ich habe aber die Absicht, nach der Richtung tätig zu sein. (Bravo! im Zentr) Man kommt den Be—
3 weite Beilage
Berlin, Freitag, den 1. März
nzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
1818.
amten entgegen, soweit es möglich ist, mehr Stellen kann ich aber nicht besetzen, als ich notwendig habe. Das ist ein Grundsatz, von dem ich nicht abweichen kann.
Weiter, meine Herren, ist die Gleichstellung der mittleren Justizbeamten mit den entsprechenden Verwaltungsbeamten betont worden. Als die letzte Be— soldungsreform geschaffen wurde, glaubte man trotz der Differenz im Gehalt, die vorhin erwähnt worden ist, die Gleichstellung unter anderem deshalb erreicht zu haben, weil die Beamten in der Justiz in jüngeren Jahren zur Anstellung kämen als in der Verwaltung. Es wird ja nach dem Kriege eine Erhöhung der Gehälter sowohl für die höheren, wie für die mittleren und für die unteren Beamten nicht zu umgehen sein; dabei wird dann auch diese Frage eingehend wieder ge⸗ prüft werden, und ich werde das Meinige tun, daß meine Beamten nicht schlechter stehen als die Beamten der anderen Verwaltungen. Bravo
Es ist gerügt worden, daß die bedingte Begnadigung zum Teil in die Hände der Staatsanwaltschaft gelegt worden ist. Das ist geschehen, um unnötiges Schreibwerk zu vermeiden. Die Situation ist jetzt so, daß, wenn das Gericht sich für die bedingte Be⸗ gnadigung ausspricht, und der Staatsanwalt stimmt dem zu, dann ist die Sache damit erledigt; wenn aber der Staatsanwalt nicht zu— stimmen will, dann muß die Sache an mich kommen. Also alle Streit⸗ fälle werden im Justizministerium entschieden. Die Regelung ist erst im März 1917 auf Grund der gesammelten Erfahrungen erfolgt; ich denke, wir wollen nicht schon wieder eine Aenderung vornehmen.
Nun ist von der Erleichterungdes Geschäftsganges gesprochen worden. Ich bin im Justizministerium mit den Maß⸗ nahmen, die die Erleichterung des Geschäftsbetriebes bezwecken, nicht rückständig gegen irgend ein anderes Ressort; das glaube ich bestimmt sagen zu können. Was irgendwie in anderen Verwaltungszweigen an Erfahrungen gesammelt worden ist, das ist innerhalb des Justiz— ministeriums verwertet worden, und für gewisse Sachen darf ich be⸗ haupten, daß das Justizministerium vorangegangen ist und die anderen Verwaltungen erst gefolgt sind. (Sehr richtig) Aber ich werde diese Frage sorgfältig im Auge behalten, weil ich ihr großen Wert beilege; rückständig ist das Justizministerium hier nicht.
Endlich ist die Frage der Berufung erwähnt worden. Ich persönlich bin seit nunmehr 30 Jahren ein Freund der Berufung. Ich glaube, ich habe den ersten Bericht im Reichstage, in dem es sich um die Berufungsfrage drehte, geschrieben; der Antrag war damals unter dem Namen Reichenspergers gestellt worden. Aber ich möchte auf eine solche Frage, welche die Reichsgesetzgebung berührt, in diesem Augenblicke nicht eingehen. Diese Fragen können in der Reichsgesetz, gebung jetzt nicht erledigt werden. Die Zeit, sie hier zu verhandeln, wird sich finden, wenn sich das Reich mit diesen Fragen zu beschäftigen haben wird und dann auch unsere Erörterungen, die wir hier pflegen, von aktueller Bedeutung sein werden. (Bravoh
Abg. Kanzow (fortschr. . Die Verteilung, des Gefängniswesens auf das Justizministerium und das Ministe⸗ rium des Innern hat das Gute gehaht, daß beide Mini⸗ sterien miteinander wetteifern, ihre Gefängnisverwaltung auf der Höhe zu halten. Bei dieser Gelegenheit muß auch ich noch das hervorragnde Wirken des Geheimrats Krohne hervorheben. Aber neuerdings hat auch das ö alles getan, um seine Ge⸗ fängnisverwaltung zu derbessern. ei der Bestrafung der Jugend⸗ lichen müssen wir berücksichtigen, daß ihnen im Kriege die nötige Be⸗ aufsichtigung fehlt und daß die Versuchung der hungernden Kinder
moß ist. Der Zweck der Jugendgerichte war, daß der Vormund⸗ . rer hben zugleich Strafrichter ist; danach wird aber in Berlin
vielfach nicht verfahren, indem die jugendlichen Verbrecher vor die
Strafkammer gebracht werden. Im Sinne der Bevölkerungspolitik liegt es, daß Menschen nicht nur geboren werden, sondern auch erhalten werden. Deshalb bedürfen auch die unehelichen Kinder des Schutzes; das Kind hat nicht die Schuld, daß es unehelich ist, deshalb darf ihm das nicht auf Schritt und Tritt vorgehalten werden. Ich bitte des— halb den Minister, dafür zu sorgen, daß den unehelichen Kindern der sogenannte kleine Geburtsschein verabfolgt wird. Lieber den vom Abgeordneten Haenisch ihr , Fall der Fürsorgeerziehung wegen der politischen Gesinnung können wir kein maßgebendes Urteil abgeben, weil wir ihn nicht aktenmäßig kennen. Aber die politische Gesinnung darf nicht Anlaß für die ürsorgeerziehung werden; sonst müßten wir alle Kinder der Unabhängigen Sozl— demokraten in die Fürsorgeerziehung bringen. Der vorige Justiz= minister hat es leider nicht de , daß die richterlichen Beamten mit den Verwaltungsbegmten , . werden; ich bitte den jetzigen Minister, diese, Verbesserung für die richterlichen Beamten herbei⸗ uführen. (Beifall) Die Beamten erkennen schon jetzt nach der urzen Amtszeit des Ministers an, daß dieser ein warmes Herz für seine Bedmten hat. nr, Zwischen Richtern und Staats- anwälten muß mehr als bisher ein Wechsel herbeigeführt werden; der Nutzen wird auf beiden Seiten liegen. Cbenso muß der Wechsel zwischen Strafrichtern und Zivilrichtern öfter vorgenommen werden. In bezug auf die Ausscheidung des Besserungszweckes aus der 6 kann ich dem Abg. Delbrück nicht zustimmen. Bei jedem Straf⸗ urteil muß beachtet werden, aus welchen Verhältnissen der Angeklagte hervorgegangen ist. Deshalb dürfen wir auch den Zweck der Besse⸗ tung bei der Strafverhängung nn außer acht lassen. Das ,,,, muß nach aller Möglichkeit beschränkt werden. Das lusbildungswesen muß gründlich reformiert werden. Die Bevor⸗ zugung der Prädikatsassessoren ist zuzugehen, Es hängt übrigens von bielen ö ab, ab einer das Prädikat bekommt, und wir haben viele sehr tüchtige . die das Epamen nicht als „gut“ gemacht haben. Es ist jedenfalls ein Unrecht, daß die Prädikats⸗ assessoren schon nach 3 Jahren angestellt werden, die übrigen erst nach 8M Jahren. Die Unabhängigkeit der Richter muß vollkommen ge⸗ wahrt werden; der Staat wird am besten fahren, wenn fein Richter⸗ stand unabhängig ist. (ustimmung Die geheimen Konduiten⸗ listen bestehen nach inimer welter, obwohl, sie aufgehoben werden sollten. Im Disziplinarverfahren sollte das Wieder ⸗ ,, zugelassen werden. Um die wirtschaft⸗ liche Lage ihrer Beamten kümmern sich die Behörden viel zu wenig; daher kommt es, daß die Besoldungsfragen viel zu sehr in der Deffent⸗ lichkeit besprechen werden. Die Beamten schreiten wegen der Ein. , , viel zu spät zur Verheiratung. Eine grausame Härte ist es, die Assessoren jahrelang zu beschäftigen und ihnen dann plötzlich anzukündigen, da man sie nicht mehr gebrauchen könne. (Zustimmung) Das Kanzleiwesen muß gründlich reformiert werden; das jetzige System der Ranzleigrbeit ist viel zu umständlick. Der Ueberverdienst der Kgnzleigehilfen muß in anderer Weise geregelt
werden; es kommen jetzt 40 Pfennig für die Stunde heraus. Das ist ein Hungerlohn. Die Not der Rechtsanwälte bestand schon vor
dem Kriege und hat sich natürlich im Kriege noch bedeutend ver⸗ schärft, und es würde unrecht sein, die Gebühren der Rechtsanwälte zweiter Instanz nicht zu erhöhen. Durch die ö der Kriegs ner⸗ ordnungen hat eine Rechtsverwirrung im Volke. Platz gegriffen. Hoffenklich wird es aber doch möglich sein, den alten guten ren. sinn unseres Volkes hochzuhalten. (Beifall.)
Abg. Dr. Liepmann-⸗Teltow (nl) wünscht, daß der Etatsfonds von 34 000 M1 zur Förderung der Fürsorge für die aus der Strafhaft, Entlassenen erhöht wird, und da
für diese Fürsorge eine umfassende Organisation geschaffen wird, die sich besonders der entlassenen jugendlichen Gefangenen annimmt. Füt den Mittelstand ist ein schwerer Schaden entstanden durch den Aus— fall von nachstelligen Hypotheken, der in die Millionen geht. Der Grund liegt darin, daß die gesetzlichen Schranken für die wr, versteigerungen zu eng gezogen sind. Es wird zu erwägen fein, ob nicht andere Bestimmungen . das Höchstgebot gesetzt werden können. Insbesondere ö. gesetzlich, Maßnahmen erforderlich, die geeignet sind, den Realkredit zu erhöhen.
Justizminister Dr. Spahn:
Noch einige kurze Bemerkungen zu dem heute Vorgebrachten. Durch einen Beschluß des Staatsministeriums vom 18. August 191 sind zwei der Wünsche, die hier ausgesprochen worden sind, bereits erledigt.
Einmal hat das Staatsministerium beschlossen, daß in die Per. sonalakten eines Beamten für ihn ungünstige Tatsachen (Vor- kommnisse), nicht aber Urteile, nur nach Anhörung des Beamten ein getragen werden sollen, und daß dessen Aeußerung der Eintragung beizufügen ist. —
Der zweite Beschluß geht dahin, wenn sich der Beamte seit der Verhängung einer Disziplinarstrafe während einer Bewährungsfrist von weiteren Bestrafungen freigehalten hat, diese Disziplinar⸗ strafe zu löschen ist: nach 5 Jahren, falls Verwarnung, Ver⸗ weis oder Geldstrafe bis zu 30 in Frage stehen; nach 10 Jahren, falls eine sonstige Disziplinarstrafe in Frage kommt. Wesentlichste Wirkung der Löschung ist, daß die gelöschte Strafe in den Be⸗ richten an vorgesetzte Behörden und bei Auskunftserteilungen nicht mehr erwähnt werden soll. Der Löschungsvermerk bei Dißfziplinar⸗ strafen ist also dem Löschungsvermerk bei den Strafen gleichgestellt. (Bravoh ,
Bei der Offenlegung der Personalakten der Beamten be steht nach meiner Ansicht kein Anlaß — ich habe das bereits in der Kommission bemerkt und hatte geglaubt, die Zustimmung der Kom— mission gefunden zu haben — im gegenwärtigen Augenblick über diese Maßnahme hinauszugehen.
In bezug auf die Verwendung der Richter ist in einer Verfũgung vom 26. September 1890 darauf hingewiesen, daß zur Erhaltung einer frischen Auffassung und zur Verhütung einer gewissen Einseitig⸗ keit ein öfterer Austausch der Mitglieder zwischen Strafkammern und Zivilkammern unerläßlich ist. So⸗ dann bestimmt eine Verfügung vom 12. Oktober 1882, daß grund⸗ sätzlich davon auszugehen sei, daß für die Handhabung der Straf⸗ rechtspflege ebenso tüchtige Mitglieder erforderlich sind wie für die Handhabung der Zivilrechtspflege. Beigefügt ist eine eingehende Be⸗ gründung dafür, daß auf die Auswahl der Richter für die Straf⸗ rechtspflege die größte Aufmerksamkeit zu richten sci. Diese Ver⸗ fügungen sind später wieder in Erinnerung gebracht.
Ich glaube, ein Bedürfnis zur abermaligen Erneuerung dieser Verfügungen, die ja Anweisungen für die Praäͤsidien enthalten, liegt nicht vor.
Die Reform des Disziplinarstraf verfahrens wird im Zusammenhange mit der Verwaltungs reform erörtert werden. Federführend in diesen Fragen des Disziplinarverfahrens ist das Ministerium des Innern. Die Vorschläge, die seitens des Herrn Kommissars für die Verwaltungsreform gemacht worden sind, werden. wie ich glaube, in nicht zu ferner Zeit im Staatsministerium zur Sprache gebracht werden. Es wird sich dann zeigen, wie die Materie ö. zu behandeln sein wird. Die Sache selbst ist jedenfalls im
uß.
Was die Eröffnung an die Assessoren angeht, daß sie auf An stellung nicht zu rechnen haben, so besteht eine Verfügung an die Oberlandesgerichtspräsidenten, daß sie spätestens nach drei Jahren ein Urteil sich darüber gebildet haben sollen, ob ein Assessor für den Dienst verwenbar sei. Es ist die Erwartung ausge⸗ sprochen, daß die Berichte hierüber so zeitig im Ministerium eingehen, daß eine Benachrichtigung des Assessors nicht erst längere Zeit nach Ablauf des dritten Jahres erfolgt. Ob in den letzten Jahren seit dem Erlaß dieser Verordnung noch eine Eröffnung nach einem Zeit⸗ raum von mehr als 39 Jahren erfolgt ist, ist mir nicht bekannt.
In bezug auf die Diäten für die Aktuare möchte ich be⸗ merken, daß sie vorausgezahlt werden, sobald die Aktuare ständig sind, und das werden sie nach wenigen Jahren. Im Zusammenhang mit der Gehaltsregelung wird auch die Diätenfrage erörtert werden.
Wegen wesentlicher Erhöhung des Satzes für Ueberver⸗ dienst der unwiderruflich angestellten Kanzleigehilfen schweben zurzeit Verhandlungen.
Der Fonds zur Fürsorge für entlassene Ge⸗ fangene kommt erst vom 1. April 1918 ab auf den Justizetat; seither war er auf dem Etat des Ministeriums des Innern. Ich werde erst abschließende Erfahrungen über diesen Fonds sammeln müssen, um entscheiden zu können, ob eine Aufbesserung notwendig ist. Sobald er sich als unzulänglich erweist, werde ich mich bemühen, ihn auf eine zulängliche Höhe zu bringen.
Was die Reform der Kanzlei betrifft, so liegt es mir fern, wie ich glaube deutlich genug gesagt zu haben, sie irgendwie auf die lange Bank zu schieben, wenn sie auch erst nach dem Kriege zum Abschluß kommen kann. Die Arbeiten zur Durchführung sind bereits im vollen Gange. Aber, wie ich auch bemerke: die Frage berührt nicht mein Ressort allein.
Schließlich sind noch zwei Wünsche geltend gemacht worden in bezug auf die 3wangsversteigerungen. Ich will auf den