1918 / 113 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 15 May 1918 18:00:01 GMT) scan diff

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bringen. Darüber kann man doch recht verschsed Wir leben nun einmal in einer außergewöhnlicher regten Zeit, und ob sie gerade auf diesem Gebiete ist, solche großen Reformwerke schon in die Hand zu nehmen, ich mein so in die Hand zu nehmen, daß sie den gesetz zebenden Faktoren, besonders dem Reichs tage, vorgelegt werden, das kann recht zweifelhaft ) Hie Mr 85498 3. 6 r F . sein. Die Vorarbeiten dazu aber kann man sehr wohl in Angriff nehmen, und ich darf hier sagen, daß der allererste Anfang bezüglich ö 9 hof gr ö z einer Reform d emacht ist, und zwar nach ge—

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erfahren, straffere Gestal⸗ tung der Prozeßleitung usü. mehr kann ich in diesem Augenblicke nicht sagen —. Ich werde mich und habe diese Absicht zum Teil schon ausgeführt mit dem preußischen Herrn Justizminister in Ver— bindung setzen und dann sehen, wie wir die Sache zunächst einmal in Vorbereitung nehmen. Gut wäre es ja, wenn wir nachher, wenn wir zum Frieden und in geordnete, ruhigere Verhältnisse kommen, solche Gesetzgebungswerke bereits vorlegen können. Wir werden die Er⸗ fahrung, die der Krieg ich komme darauf noch mit einigen Worten zurück uns gebracht hat, dabei verwerten müssen.

Was die Strafprozeßreform betrifft, so glaube ich, an dem Standpunkt festhalten und ihn teilen zu sollen, den, wie der Herr Abgeordnete Belzer hier angeführt hat, der preußische Herr Justiz⸗ minister auch zum Ausdruck gebracht hat. Ich halte es für unmöglich, an eine Strafprozeßreform und an eine Regelung der Zuständigkeit usw. heranzugehen, bevor nicht das materielle Strafrecht eine Regelung erfahren hat. Denn von der Einteilung der Straftaten im Strafrecht und anderen Aenderungen gegenüber dem jetzigen Zustande (sehr richtig! bei den Nationalliberalen) wird es unbedingt abhängen müssen, wie die Strafgerichtsverfassung und die Straßprozeßordnung zu gestalten sein wird.

Was nun das Strafrecht betrifft, meine Herren, so sind wir in den Vorbereitungen schon einen Schritt weiter. Ihnen ist bekannt, daß eine große Kommission von hochangesehenen Juristen einen Straf— gesetzentwurf, auch den Entwurf eines Einführungsgesetzes, bereits ver⸗ faßt hat. Diese Entwürfe waren vor dem Kriege fertiggestellt, aber während der ersten Jahre des Krieges liegen geblieben. Ich habe, bald nachdem ich mein Amt angetreten habe, Veranlassung genommen, die Frage aufzuwerfen, ob wir nun nicht an eine weitere Vorbereitung bieser Sache gehen können. Das ist auch zunächst geschehen ich darf das hier mitteilen —. Ein Amtsentwurf aus dem Reichsjustiz⸗ amt soll aufgestellt werden unter Berücksichtigung aller der Erfahrungen, die wir im Kriege gemacht haben. An der Bearbeitung dieses Amts— entwurfs sind Beamte des Reichsjustizamts, ein sehr erfahrener und als Autorität auf dem Gebiete des Strafrechts geltender Reichs— gerichtsrat und ein Beamter des preußischen Justizministeriums be— eiligt. Die Herren sind bereits in die Arbeit eingetreten, und ich hoffe, daß in absehbarer Zeit ein Entwurf, der als ein Amtsentwurf weder die verbündeten Regierungen noch die Reichsleitung verbindet, fertiggestellt wird und dann der öffentlichen Kritik unterworfen werden kann.

Bezüglich einiger Punkte, die hier erwähnt worden sind, möchte ich gegenüber dem Herrn Abgeordneten Müller⸗-Meiningen auf eins hinveisen. Er hat den Wunsch ausgesprochen, daß die Verordnung über die Verfolgungen von Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über wirtschaftliche Maßnahmen vom 18. Januar 1917, die ja die Möglichkeit schafft, daß der sogenannte Strafrechtsirrtum berück— sichtigt werden kann, auch auf die Verbote, die nach 5 9h des Be⸗ lagerungszustandgesetzes ergehen, ausgedehnt werden möchte. Eine solche Ausdehnung ist aber nicht erforderlich. Ich darf darauf hin⸗ weisen, daß das Reichsgericht in feststehender Rechtsprechung Verbote der bezeichneten Art als außerstrafrechtliche Normen angesehen und einen Irrtum hierüber als einen sogenannten Tatirrtum behandelt hat, auf den 5 59 des Strafgesetzbuchs Anwendung findet Es würde also bei schuldloser Unkenntnis des Verbots oder seiner Anwendbar— keit im einzelnen Falle Freisprechung zu erfolgen haben. Was der Herr Abgeordnete vermißt, ist also bereits bestehendes Recht; sein Bedenken ist daher wohl nicht gerechtfertigt.

Es ist nun auf die Frage der Bestrafung Jugendlicher hinge— wiesen worden. Meine Herren, wer wollte verkennen, daß das eines der wichtigsten Kapitel unserer Strafrechtspflege und überhaupt unserer rechtépolitischen Maßnahmen ist. Auch hier kann die Frage aufgeworfen werden, ob gegenwärtig der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ich kann aber sagen, wenn der Reichstag zu erkennen geben würde, vielleicht in der Form eines Initiativantrages, daß er die Frage schon jetzt behandelt wissen will, würden die verbündeten Re— gierungen ihre tätige und wohlwollende Mitwirkung dabei nicht ver— sagen. (Hört, hört! links.) Selbst einen Entwurf einzubringen, ist der Reichsleitung wie soll ich sagen wohl nicht gut zuzumuten. Sie hat seinerzeit ich denke, es war im Jahre 1912 einen Gesetzentwurf eingebracht, den sie von ihrem Standpunkt aus für den besseren gehalten hat. Dieser Entwurf ist in sehr vielen Punkten vom Reichstage geändert worden. In manchen Punkten hat die Reichsregierung zu erkennen gegeben, daß sie für sie akzeptabel wären, und daß eventuell der Gesetzentwurf auch mit den Aenderungen die Billigung finden werde. Damit war aber nicht anerkannt worden, und es kann auch heute nicht anerkannt werden, daß diese Veränderungen, die der Reichstag hineingebracht hat, Verbess rungen sind. In welcher Lage befindet sich nun die Reichsregierung? Soll sie ihren ersten Entwurf wieder einbringen? Das wäre eine Art Unfreundlichkeit gegenüber dem Reichstag und würde auch unklug sein, denn der Reichs⸗ tag will ja diesen Entwurf nicht. Aber wenn der Reichstag etwa aus eigener Initiative heraus einen solchen Entwurf bringen würde, dann das kann ich ohne weiteres sagen wird von uns jederzeit die Mitwirkung gewährt werden.

Ich möchte dem Herren Abgeordneten Heine darin zustimmen, daß das sogenannte Notgesetz, das von dem Zentralverein für Jugend— fürsorge ausgearbeitet worden ist, eine wenig brauchbare Grundlage für die Regelung darstellt. Es bleibt darin so viel offen, und es sind so viele Fragen zu regeln, daß man, wie ich glaube, damit nicht sehr viel weiterkommen wird. Dann muß man die Dinge schon so vor— arbeiten, daß sie auch zweckmäßig ausgestaltet und wirklich ausgeführt werden können.

Diese Frage der Ausführung ist nun gerade wieder ein Punkt, der es nicht unzweifelhaft erscheinen läßt, ob der jetzige Zeitpunkt für diese gesetzgeberische Arbeit der geeignete ist; denn alles, was zur Ausführung erforderlich ist an Personen, an Material, an sachlichen

Einrichtungen usw., wird in der Vetztzei n nächsten

el l überh n können, so daz man dann vielleicht ein Gesetz hat, das zwar Vorschriften enthält, ie an sich geeignet wären, Besserung herbeizuführen, daß sie aber eben aus der Not der Zeit heraus nicht ausgeführt und daher nicht in die Wirklichkeit übersetzt werden können.“

Meine Herren, ein wesentlicher Teil der bisherigen Erörterungen bezog sich auf die Frage der Wuchergesetzgebung und die Rückforderung unlauterer Gewinne. Bezüglich des letzteren Punktes, der Rückforde⸗

unlauterer Gewinne, ist die vom Reichstag gefaßte Resolution

. eingehend geprüft worden. Wir haben nicht die Ueberzeugung

innen können, Wege etwas Ersprießliches und

weckmäßiges zu ereichen ist. i i

daß auf diesen Es gibt bereits eine Bestimmung in Recht, und das ist der § sl7 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Impfangnahme von Leistungen gegen ein gesetzliches Verb

egen die guten Sitten ein Rückforderungsrecht gewährt. Bestimmung, in Verbindung mit der Verordnung gegen ü zig Preissteigerung vom 23. Juli 1915 würde wohl dem Reichsfi ibe auch Privatpersonen die Möglichkeit geben, einen Rückforderungs— anspruch zu erheben. Solche Rückforderungsansprüche sind meine— Wissens allerdings bisher kaum erheben worden. Auch große prak tische Schwierigkeiten sind vorhanden. Diese Dinge kommen kaum zur Kenntnis der Behörden und noch weniger der Gerichte. Man würde da, um die Sache praktisch zu gestalten, zunächst einmal eine Anzeigepflicht für alle solche Ungesetzlichkeiten einführen müssen. Ob das in der Praxis einen Nutzen stiften würde, das ist sehr die Frage. Der Empfänger würde natürlich die Anzeige nicht machen, aber auch der Leistende nicht, dem es weniger darauf ankommt, sein Geld zurück⸗ zu bekommen als die Sache, die er übermäßig bezahlt hat, zu behalten und auch künftig von demselben Lieferanten weiter beziehen zu können. Also davon ist außerordentlich wenig zu erwarten. Wenn man aber dem Fiskus den Anspruch auch in solchen Fällen geben wollte, in denen Privatpersonen auf solche Weise verletzt worden sind, so würden die Ansprüche des Fiskus und der Privatpersonen nebeneinander be— stehen. Wie sollen die nun nebeneinander geregelt werden? Es sind verschiedene Vorschläge gemacht worden, sie haben sich aber alle als nicht brauchbar erwiesen, und letzten Endes krankt die Sache auch wieder daran, daß man das Material nicht so zusammenbekommt, daß sich ein solches Vorgehen ermöglichen läßt.

Es bleibt dann die Frage offen, wie es bezüglich der unlauteren Gewinne aus der Zeit vor der Verordnung vom 25. Juli 1915 zu halten ist, von denen gerade im Reichstage die Rede gewesen ist. Ja, meine Herren, da, muß ich Ihnen sagen, gibt es einen Rechtsgrundsatz und das ist nicht formale Juristerei, sondern ein Grundsatz, der zur Erhaltung des Rechtslebens und Rechtsbewußtseins im Volke, das, wie mit Recht gesagt wurde, sehr erschüttert ist, unbedingt befolgt werden muß der Rechtsgrundsatz, daß man solche Gesetze nicht mit rückwirkender Kraft geben darf. Wenn man aus der Zeit vor dem 253. Juli 1915 jetzt einmal nachforschen wollte, welche Gewinne gegen Verbote oder gegen die guten Sitten gemacht worden sind, so würde das zunächst einmal eine ungeheure Unruhe stiften. Viele würden sich prüfen müssen, wie weit sie innerhalb des Gesetzes gehandelt haben oder nicht. Es würde in der Tat das Bewußtsein, daß man sich auf den gesetzlichen Zustand, wie er einmal ist, verlassen kann und muß, aufs alleräußerste erschüttert werden.

Also, meine Herren, wir haben die Sache gewissenhaft und nach allen Richtungen geprüft; wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Rückforderung in diesem Sinne nicht angängig ist. Die alte Bestimmung des Preußischen Allgemeinen Landrechts, daß der Fiskus verbotswidrige Gewinne dem Empfänger, wie es dort drastisch aus⸗ gedrückt ist, ent reißen kann, ist im Laufe des Jahrhunderts, in welchem das Allgemeine Landrecht gegolten hat, kaum wirksam geworden. (Zuruf links) Ja, es sind zwei Aus ahmen, bei den berüchtigten Diätenprozessen und beim Spielen in auswärtigen Lotterien. Ich glaube aber nicht, daß diese Vorgänge dazu führen können, dem Ge— danken, der in diesem Paragraphen des Allgemeinen Landrechts ent— halten ist, heute noch neue Anhänger zuzuführen. Also alle diese Dinge sind außerordentlich sorgfältig und gewissenhaft geprüft worden, aber wir sind nicht dazu gelangt, gesetzliche Vorschläge zu machen.

Anders liegt es bezüglich des Wuchers, wie es allgemein bekannt ist. Da ist dem Herrn Abgeordneten Belzer wohl eine Notiz in den Zeitungen entgangen. Am 8. d. Mts. hat der Bundesrat dem Ent⸗ wurf einer Verordnung gegen Preistreibereien zugestimmt, und ich kann Ihnen mitteilen, daß in dem heute erscheinenden Reichs⸗Gesetz⸗ blatt diese Verordnung bereits veröffentlicht werden wird. Ich glaube, es ist vielleicht nicht gerade sehr zweckmäßig, daß wir uns über diese Sache heute eingehend unterhalten. Es wird natürlich diese Verord⸗ nung dem Reichstage nach den Vorschriften des Ermãchtigungsgesetzes zur Kenntnis gebracht werden. Der Reichstag ist berechtigt, darüber zu befinden, ob sie aufrechterhalten oder aufgehoben werden soll. Ich nehme an, daß dann die Gelegenheit gekommen sein wird, die Sache funditus zu besprechen.

Ich möchte aber doch einige Punkte erwähnen. Der Herr Ab⸗ geordnete Belzer hat auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Gröber bezüglich der Wuchergesetzgebung hingewiesen. Mir liegen die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Gröber darüber vom 24. März 1917 vor, und ich glaube, bei einer Nachprüfung wird mir der Herr Abgeordnete Gröber darin rechtgeben, daß seine damaligen Anregungen fast ausnahmslos in dieser Verordnung zum gesetzgobe⸗ rischen Ausdruck gekomen sind. Es ist bereits eine Notiz in der „Nord⸗ deutschen Allgemeinen Zeitung“ darüber erschienen, und ich möchte nur ganz kurz einige Punkte aus der Verordnung mitteilen, die vielleicht die wesentlichsten sind. Es sind neue Strafvorschriften eingeführt worden die sich auch gegen den sogenannten Previsionswucher richten, also gegen das Fordern übermäßiger Vergütungen für die Vermittlung von Geschäften über Gegenstände des täglichen Bedarfs und des Kriegebedarfs, dann gegen die Betriebsinhaber und „leiter, welche es unterlassen, die Angestellten von einer Verletzung dieser Verordnung abzuhalten. Für die Verbraucher bringt die neue Verordnung gewisse Erleichterungen. Vielfach ist gefordert worden, daß der Käufer im Falle einer Höchstpreisüberschreitung nur dann strafbar sein soll, wenn er die Höchstpreise beim Erwerb für Zwecke der Weite weräußerung mit Ge⸗ winn überschreitet, oder wenn er selbst zur Ueberschreitung auffordert. Ich glaube, es entspricht der allgemeinen Auffassung, daß nicht jede klein— liche Sache vor den Strafrichter gebracht werden soll. Ich erinnere nur an die Hausfrauen, die die Höchstpreise im Interesse der Ver— sorgung ihrer Familie überschreiten. Es kann sich aber auch um

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Ueberschreitungen der Höchstpreise handeln in Fällen, in denen die

; ersorgung der Allgemeinheit n ommen. In dieser Beziehung ist der Fall in Neukbll Ve⸗ wähnt worden, wo nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung sonder lediglich im Interesse der armen Bevölkerung formale Bestimnun n ich will einmal den Ausdruck hier gebrauchen verletzt 2 Soweit jedoch durch das Verhalten der Erwerber selbst .

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reise gesteigert worden sind, also ein Anreiz zu Höchstpreisi

seitungen gegeben worden ist, bleibt natürlich die Stra barkeit c

Die Strafdrohungen sind erheblich verschärft und namentlich 1111

ist im Falle des wiederholten Rückfalles in sehr krassen Fällen eine Zuchthausstrafe vorgesehen. (Bravo!) Alle diejenigen, die unter Hint anhaltung jeder ethischen Rücksicht und jeden Rechtsbewußts. ae. Volk in seiner Net im schlimmsten Sinne des Wort . sollen die entehrende Strafe im höchsten Sinne des Worte erleit.⸗ (Erneute Zustimmung.) ö

Dann kommt die Frage der Einziehung des unlauteren Ge winnes. Bei dieser Verordnung ist in weitestem Umfange die Ein- ziehung des übermäßigen Gewinnes vorgesehen. Nicht bloß bei dem— jenigen, von dem der Gewinn erzielt ist, sondern auch bei Wei terver⸗ schiebungen kann der übermäßige Gewinn noch erfaßt werden. (GBravoh Diese Vorschrift richtet sich gegen alle natürlichen und juristischen Per⸗ sonen, denen der übermäßige Gewinn durch die Tat zugeflossen ist oder nach der Tat zum Zwecke der Vereitelung der Einziehung zuge— wendet worden ist. Auch berechtigte Beschwerden des Handels sind berücksichtigt worden. .

Meine Herren, ich darf hier vielleicht einen Augenblick auf den eigentlichen Charakter dieser Straftaten hinweisen. Ich will keine juristischen Theorien hier vortragen, ob man überhaupt den Begriff des Wuchers, wie er im Strasgesetzbuch enthalten ist, hier heran ziehen kann oder nicht. Ich persönlich möchte das verneinen. Die Be⸗ stimmungen des Wuchers im allgemeinen Sinn des Strafgesetzbuchs sind zwar auch Bestimmungen zum Schutze der Allgemeinheit. In erster Linie sollen sie aber die Einzelperson, das Individuum, schützen, das bewuchert wird. Das ist das besondere Ziel der allge—= meinen Wuchervorschriften. Bei Preistreibereien aber, die hier in Frage stehen, handelt es sich um Vergehen und Verbrechen, die man eigentlich nach der Einteilung des Strafgesetzbuchs unter die Gruppe der gemeingefährlichen Vergehen und Verbrechen bringen müßte. (Hu— stimmung Nicht um den Schutz des einzelnen handelt es sich hier. Wie wir ja alle wissen und täglich erfahren, hält sich vielfach der einzelne gar nicht für benachteiligt, sondern sogar für bevorzugt, daß gerade ihm die Ware zugeführt worden ist und nicht einem anderen. Also nicht die Richtung auf die Schädigung des einzelnen, sondern auf die Schädigung des allgemeinen Wohls bei einer Notlage des Volkes, das ist das Kennzeichen dieser Preistreibereien, und daraus leiten sich wieder das werden alle Juristen bestätigen die großen SEchwierig⸗ keiten der Regelung her.

Da kommen die Gegensätze zwischen den Interessen der Ver⸗ braucher in erster Linie und den Interessen derjenigen, die Hamdel treiben oder Produzenten sind, und denen man nun zumutet, daß sie von ihren Gewohnheiten, von ihren durchaus berechtigten Gewohn— heiten im Interesse der Allgemeinheit zurücktreten sollen. Ich sage: berechtigte Gewohnheiten! Weil ich durchaus der Meinung bin: wenn der Handel hohe Gewinne, auch sehr hohe Gewinne macht, so mag er das in Friedenszeiten unter gewöhnlichen Verhältnissen tun, das ist durchaus sein gutes Recht, ebenso wie das des Arbeiters, der seinen Lohn so hoch wie möglich zu steigern sucht, wie des Handwerkerk, der seinen Verdienst so hoch wie möglich zu treiben versucht; das liegt in unseren wirtschaftlichen Verhältnissen, und das ist niemandem zu verdenken. Jetzt liegen die Verhältnisse aber anders. Jetzt kann diese Freiheit nicht mehr gewährt werden; sondern jetzt kommt das Interesse des Volkes, der Allgemeinheit, das gewahrt werden muß, und deshalb müssen sich die einzelnen Berufsstände Beschränkungen unterwerfen, die ihnen und ihrem ganzen Betrieb, ihrem innersten Wesen außerordentlich fremd sind. Darin liegt die Beunruhigung, die vielfach in Produzenten⸗ und Handelskreisen eingetreten ist. Das ist aber etwas, worauf sich der Handel einrichten muß undi deshalb ist in dieser Beziehung, was die Grundlagen der Wuchergesetzgebung anbe— trifft, an der bisherigen Gesetzgebung nichts geändert worden. Wir haben auch die Gegenstände des täglichen Bedarfs usw. nicht näher bezeichnen können, weil das ein Beginnen ist, das ergebnislos bleiben muß. Wir haben auch daran nichts ändern können, daß der über⸗ mäßige Gewinn nun mal in irgend einer Weise kalkuliert werden muß. Die Art der Kalkulierung, wie das Reichsgericht sie gemacht hat, hat allmählich zu einem sicheren Rechtszustande geführt, mit dem man leben kann, und mit dem Handel und Produzenten leben müssen, weil das Interesse der Allgemeinheit diese Beschränkung erfordert. Ich möchte übrigens, was die Stellung des Reichsjustizamts betrifft, sagen: in allen diesen Dingen hat ja das Reichsjustizamt eine etwas eigenartige Stellung. Nicht wie bei großen Reformgesetzen ist hier das Reichsjustizamt gewissermaßen der Führer bei der Gesetzgebung, sondern hier hat die Reichsjustizverwaltung eigentlich wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf eine Art Hilfsdienst zu leisten, Hilfs⸗ dienst für die Regelung der Preise in wirischaftlicher Beziehung. Cine Niedrighaltung der Preise oder wenigstens ein Widerstand gegen zu starke Preissteigerung das ist der eigentliche wirtschaftliche Zweck“ dieser Verordnung nicht in erster Reihe die Bestrafung, die Sühne für das Vergehen. Hier leistet die rechtspolitische Gesetzgebung einen Hilfsdienst. Auch hieraus ergibt sich eine große Reihe von Schwie— rigkeiten.

Aber ich komme zurück. Es sind auch durchaus berechtigte Bedenken vom Handelsstande und vom Produzentenstande erhoben worden. Diesen sucht die neue Verordnung in mancher Beziehung Rechnung zu tragen. So ist zunächst die Durchschnittsrechnung für Waren gleicher Art gestattet worden. Gestatten Sie mir da vielleicht einen nicht ganz des Humors entbehrenden Punkt zu berühren! Nehmen Sie einmal den Fall ich weiß: er ist ja vielfach durch die Presse gegangen der Herrenkragen. Es gibt natürlich Herrenkragen von größerer und ge⸗ ringerer Weite, und ganz enge Kragen. Die Kragen mit größerer Weite werden weniger und weniger in Anspruch genommmen. (GHeiter⸗ keit, weil Leute von solcher Fülle, daß sie Kragen von großer Weite tragen können, immer seltener werden. Nun liegt die Sache aber so; gerade weil diese weiten Kragen so wenig verlangt werden, und weil der Stoff, der zu diesen Kragen verwendet ist, noch aus der Friedens⸗ zeit herrührt und billig eingekauft ist, können diese weiten Kragen sehr billig verkauft werden, während die Kragen, zu denen die Stoffe

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erst jetzt haben beschafft werden müssen, die weniger weiten Kragen, sehr

ueblich keurer sind. Wenn Sie nun an dem allen Prinzip festhallen, (En ide Sache für sich daraufhin zu beurteilen ist, ob daran über—= . Gewinn erzielt worden ist, so werden die weiten Kragen billig . engen Kragen teuer verkauft. Der Kaufmann ist nicht in der 3. heide zusammenzuwerfen und diejenigen, die weite Kragen brauchen, 3 mehr zu belasten als diejenigen, die enge Kragen brauchen, was ausn grade bel der derminderten Sympathie für rte nm! blen und starkleibigen Herren, die weite Kragen brauchen, doch 2 als wünschenswert bezeichnen ,, (Geiterkeit) Der zustand ist eben nicht mehr so, wie Julius Cäsar nach Shakespeare . usgedrückt hat, daß man sagt: Ich will wohlbeleibte Leute um nich haben, die nachts gut schlafen. Heute stehen die wohlbeleibten Leute nicht besonders hoch im Kurse. (Heiterkeit.)

Dann, meine Herren, ist eine sehr wesentliche Bestimmung, die, ie ich glaube, im Interesse der Allgemeinheit liegt und manche Be⸗ ter sungen und Verfolgungen wegen leberschreitung der Höchstpreise berhindern wird, die, daß das Einhalten der Döchstpreise oder yonstiger yon einer Behörde festgesetzter Richtpreise straffrei macht. Die Sache sst ja leider nicht mehr so, daß wir von döchstpreisen im eigentlichen Sinne reden, sondern die Höchstpreise sind eben die normalen Hreise eworden, und wer nur diese Preise nimmt oder sich von Behörden sctgestellte Richtpreise zahlen läßt, den soll ö glaube ich, nicht ver⸗ solzen. Nach dieser Richtung hin ist eine Aenderung gegenüber der schigen Gesetzgebung eingeführt worden.

Dann ist der Exporthandel, wie er doch, wenn wir wieder friedlichere Zeiten bekommen, und vielleicht schon, wenn wir uns inen nähern, sehr wichtig für unser Land werden kann, von Ein⸗ schränkungen bezüglich der Höhe der Preise freigelassen worden. Für den Importhandel ist auch eine Bestimmung getroffen: daß der Reichskanzler oder eine von ihm bestimmte Stelle für Einfuhrge⸗ scäfte Ausnahmen von Höchstpreisen und sonstigen Bestimmungen der Verordnung bewilligen kann.

Das sind wohl im wesentlichen die Bestimmungen, die ge— troffen worden sind. Ich möchte nicht unterlassen, hierbei noch eine Hemerkung zu machen. Es ist bisher noch kein Bedenken hier in der Verhandlung geäußert worden; ich möchte aber selbst darauf kommen. Der Reichstag hat die Vorlegung eines Gesetzes verlangt. Wir haben ken Weg Der Verordnung beschritten, die übrigens „Verordnung zezen Preistreiberei“ genannt wird. Das soll jetzt der technische ueschuß sein, weil das Wort „Wucher“ hier garnicht in demselben Einne zutrifft, den es im allgemeinen Strafrecht hat, und weil es tas Treiben dieser Leute sehr treffend charakterisiert, die man mit den Strasvorschriften treffen will. Ich sage, wir haben den Weg der Lerordnung gewählt. Das ist ein zuverlässiger Weg auf Grund des Ermächtigungsgesetzes, wie niemand wird bestreiten können. Ich nöchte sagen, es ist ein typischer Fall von Maßnahmen zur Abwehr pirtschaftlicher Schädigungen. Wir haben ihn aber auch aus einem nderen Grunde gewählt und da knüpfe ich an einen Punkt an, der ken einem Herrn Redner angeführt ist, von Herrn Dr. Belzer, der nech nicht wußte, daß diese Verordnung bereits ergangen ist, ninlich im Interesse einer schleunigeren Behandlung der Sache. Ich kam nicht sagen, daß die Sache, wie sie bei uns bearbeitet worden ist, beonders schnell erledigt worden ist. Denn es ist schließlich geraume Hät, vielleicht von 7 bis 8 Monaten dahin gegangen, ehe wir dazu fclommen sind, die Verordnung zu erlassen. Aber wenn diese Ver— hmnng in einem Entwurf dem Reichstag jetzt vorgelegt würde, k nler Hochachtung vor der großen Sachkunde und dem vielen

hüt und der Arbeitskraft der Herren Abgeordneten des Reichs— ah so würden wieder vielleicht Monate vergehen, ehe es zu einer ahültigen Feststellung eines Gesetzes kommen würde, und da wir nn glaubten, daß im großen und ganzen doch den von allen Seiten utgesprochenen Wünschen Rechnung getragen ist, vielleicht darüber sinmus in mancher Beziehung wesentliche Verbesserungen eingeführt iind, lann man den eingeschlagenen Weg sehr wohl rechtfertigen. Ich nil es meinerseits jedenfalls unter allen Umständen verantworten, kiß wir dieses Gebiet in der Form einer Verordnung geregelt haben.

Ich glaube, zum Schlusse kommen zu sollen, und will nur noch tinen Punkt berühren, der die Reform des Strafrechts betrifft. Ich habe ja gesagt, in welchem Zustande die Vorbereitung der Angelegen— heit augenblicklich ist. Ich möchte nur nach der inhaltlichen Seite mine Bemerkung machen. Es ist mir ganz selbstverständlich, daß der Entwurf des Strafgesetzbuchs, wie er im Jahre 1914 bereits vorlag, nuch wenn er damals in weiterem Umfange Zustimmung im Lande nd auch im Reichstag gefunden hätte, heute nicht mehr in jener Form aufrechterhalten werden könnte. (Sehr richtig) Die Er— sihrungen, die Erlebnisse dieses Krieges in unserem Volke sind solche, beß eine Neubearbeitung unter allen Umständen notwendig ist. Den allgemeinen Gesichtspunkt, von dem aus man diese Neubearbeitung mngreifen soll und angreifen kann, wird man in einer allgemeinen um. einer allgemeinen Redewendung zum Ausdruck bringen können. Ich möchte ihn etwa dahin formulieren: es ist die Beziehung zwischen Staat und Volk. Der Wert der Persönlichkeit innerhalb der Ge— selschaft und des Volks hat eine Umwertung erfahren, und das winschenswerte Vertrauen zwischen dem Staat und dem einzelnen, hwischen dem Staat und dem Volk, ist so stark in den Vordergrund Rtteten daß man aus diesem allgemeinen Gesichtspunkte ich ver— behle mir garnicht, daß es nicht mehr wie eine Redewendung ist, die nber dielleicht erkennen läßt, was ich meine, bei einer ganzen Reihe ö strafrechtlichen Bestimmungen zu einer Aenderung der Straf— ann wie des Tatbestandes übergehen muß, und daß man nach In, Richtung eine Nachprüfung wird vornehmen müssen. Benn

Herr Abgeordnete Heine in einer außerordentlich pessimistischen

. fe ue ochen und gemeint hat, man könne überhaupt von pomesen ; mehr, prechen, so scheint mir das doch eine Uebertreibung 9 . sein. Eehr, richtig Ganz gewiß sind solche unerfreulichen .. . deren Grund wir alle kennen, den ich nicht noch einmal ut ö brauche, eingetreten. Ich möchte fast sagen, mit einer fan . aturnotwendigkeit ist das Rechtsbewußtsein gesunlen oder 3 wunden. Es sind eben Gewalten da, denen gegenüber die Aber 2 ö. einzelnen Menschen nicht mehr ausgereicht hahen. blick spr . daraus? Wenn er von einem wenig sonnigen Aus— eech nete ö habe ich doch ein größeres Zutrauen zu unserem aus. laß n ö deutschen Volke, als daß ich glauben . uusanmenhcn n den fürchterlichen Weltkrieg und alles, was dannt ö. ö bewolkte Himmel, auch der Nechtõ himmel nicht doch

nieser ge onniger werden könnte. Wir müssen nur alle auch in Beniehung zusammenhalten und alles tun, was wir tun können.

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Wir wollen des Wortes gedenken, das der Philosoph Kant gesprochen hat: „Wir sind nicht dazu da, glücklich zu sein, sondern unsere Schuldigkeit zu tun. Tun wir alle unsere Schuldigkeit, so wird es auch in dieser Beziehung besser im Vaterlande werden. (Leb—

hafter Beifall) V

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165. Sitzung von Dienstag, den 14. Mai 1918, . Nachmittags 2 Uhr.

(Bericht von Wolffs Telegraphenbüro.) Am Bundesratstische: Der Staatssekretär des Reichs⸗

iustizamts Dr. von Krauffe.

Erster Vizepräsident Dr. Paasche eröffnet die Sitzung um Uhr.

Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfragen.

36.Ab8. R up p- Baden (kon) fragt. nach Maßnahmen, damit Hühnerhalter nicht zu ungebührlich hohen Eierlieferungen herangezogen und bei Nichterfüllung nicht durch den Entzug von Lebensmitteln usw. bestraft werden. Angehörigen soll sogar deswegen der Urlaub entzogen worden sein. Weiter wird gefragt, ob der Reschskanzler bereit ist, die Cierproduktion durch Ueberlassung von Hinterkorn zu fördern.

Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt Dr. Müller: Die Irfassung der Eier ist Landes angelegenheit. Der Verbrauch der Geflügelhalter sollte zunächst nicht beschränkt werden. Diese Be— stimmung wurde jedoch aufgehoben, um den Landesbehörden alle Möglichkeit zur Erfassung von Eiern an die Hand zu geben. Alle derartigen. Verordnung sind deshalb in vollem Umfang zulässig und rechtsgültig. Eine Zwangslieferung von Eiern vorzuschreiben, ist edenfalls da notwendig, wo sich der Schleichhandel bemerkbar macht. Daß Soldaten wegen Nichtablieferung pon Eiern durch Angehörige der Urlaub verweigert worden fei, ist bisher nicht bekannt geworden.

Abg. Bollert (nl. fragt nach Maßnahmen, um Doppel⸗ besteuerung hansegtischer Staatsangehöriger infolge Versetzung nach Preußen bei den Gemeindeabgaben zu vermeiden.

Direktor im Reichsamt des Innern Dammann: Die Be⸗ steuerung von Offizieren hanseatischer Staagtsangehörigkeit erfolgt in Hamburg zu den direkten Staatssteuern auf Grund ihres Wohnfitzes. In den preußischen Gemeinden werden sie nach mehr als dreimbnat— lichem Aufenthalt auf Grund des Freizügigkeitsgesetzes zu den direkten Gemeindesteuern herangezogen. Ein Fall kommunaler Doppel besteuerung im Rechtssinne ist damit nicht gegeben. Reichs⸗ gesetzliche Vorschriften zur Verhütung kommunaler Doppel— besteuerung bestehen bisher nicht. Das Doppelsteuergesetz vom 22. März 1909 betrifft nur die Staatssteuer. Verhandlungen zwischen Preußen und Hamburg in dieser Frage sind gescheitert. Die Reichs— leitung ist mit der Angelegenheit befaßt worden, ohne zunächst einen Erfolg zu erzielen. Um allgemein die Verhütung kommunaler Doppelhesteuerung innerhalb des Reiches zu sichern, sind Verhand— lungen über ein reichsgesetzliches Eingreifen im Gange.

Abg. List⸗-Eßlingen (nl) fragt, ob Sorge getragen ist, daß die deutschen Städte möglichst frühzeitig und reichlich während der gün— stigen Verkehrszeit mit Hausbrandkohle für den kommenden Winter beliefert werden.

Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt Dr. Müller: Es ist dafür Sorge getragen. Der Reichskommissar für die Kohlen? berteilung hat für die Monate Mai bis September 1918 Hausbrand— lieferungen in gleicher Höhe vorgesehen, als das Soll während der Wintermonate . Bei dem wesentlich geringeren Verbrauch im Sommer muß sich bei Belieferung des Solls der Wintermonate eine beträchtliche Bevorratung während des Sommers ergeben. Für be— senders schwer zu versorgende Bezirke sind die Kontingente für den Sommer erhöht worden.

Abg. Dr. Belzer (GGentr) bittet um Maßnahmen, daß die Entfernung der Blitzableiter erst nach Ende der Gewitkerzeit und erst wenn Ersatz vorhanden erfolgen darf.

Hauptmann bon Specht: Seit längerer Zeit ist die Anordnung getroffen, daß kupferne Blitzableiter erst abgenommen zu werden brauchen, wenn das eiserne Blitzableitermaterial, welches einen voll— wertigen Ersatz des kupfernen darstellt, zur Stelle ist und Zug um Zug gegen das Kupfermaterial ausgewechselt werden kann. Die Auswechslung kann somit ohne Blitzgefahr für das Gebäude zu jeder Jahreszeit erfolgen. Die , sind ferner ermächtigt, die Abnahme von kupfernen Blitzableitern von hochragenden, schwer zu— gänglichen Kirchtürmen zurückzustellen.

Hierauf setzt das Haus die Einzelberatung des Reich s⸗ haushaltsplanes für 1918 fort und nimmt die

estern vertagte allgemine Erörterung beim Reichshaus— . für die Reichsju stizver waltung, fort— dauernde Ausgaben, Reichsjustizamt, Staatssekretär,

wieder auf. Abg. Dr. Pfleger (Sentr.): Es ist heute gar nicht mehr möglich, alle Delikte gegen die unzähligen Kriegsver⸗ ordnungen zur Verantwortung zu ziehen, und die Richter gehen nur mit einer gewissen ÜUnlust daran, auf hohe Strafen zu erkennen, weil sie sich sagen, daß jedem einzelnen Verurteilten nicht Dutzende, sondern Hunderte gegenüberstehen, die sich derfelben Straf— tat schuldig gemacht haben, aber doch frei herumlaufen. In An— knüpfung an eine gestrige Aeußerung des neuen Chefs des Reichs— justizamts darf ich erklären, daß die Rechtsanwaltschaft selbst es Löchlich bedauert, wenn von einzelnen ihrer Mitglieder das gute Einvernehmen zwischen Rechtsaanwaltschaft und Gerichten durch un— sachliche Aeußerungen gestört und das Ansehen der Rechtspflege beein— trächtigt wird. Freilich hätte ich auch manche Ausführungen in öffentlichen Publikalionen von zichterlichen Persunen gegen die Rechts- anwälte lieber nicht gelesen. Der deutsche Richter, der den Rechts⸗ anwaltsstand herabsetzt, setzt zugleich das Ansehen des Richterstandes herab. Die von uns vorgelegte Resolution fordert eine soziale Orga—⸗ nisation der Rechtsanwaltschaft, eine soziale Gesetzgebung für Rechts⸗ anwälte und ihre Angestellten auf allen Gebieten. Wo bisher die soziale Gesetzgebung nicht eingegriffen oder wo sie versagt hat, haben sich die vorhandenen Schäden während des Krieges ganz außerordent⸗ lich ausgewachsen, und es sind Zustände entstanden, die durchaus auf baldigste gesetzliche Abhilfe drängen. So auch hier. Eine völlig neue Organisation wäre weder nötig, noch zweckmäßig. Es genügt, an das Vorhandene anzuknüpfen und die bereits bestehenden Hilfskassen für deutsche Rechtsanwälte und die bestehende Ruhegehalts Witwen— und Waisengeldversicherung auszubauen, wobei zwar die Zwangsmit— gliedschaft eingeführt, jedoch die Selbstoerwaltung aufrechterhalten werden muß. Der Rechtsanwalt soll einen Rechtsanspruch haben wie sein Angestellter. Die Mittel sollen nach unserem Antrage auf— gebracht werden einmal durch Pflichtbeiträge aller Rechtsanwälte, sodann durch Zuweisung der in. Armensachen anfallenden Ge⸗ bühren und Auslagen aus Reichsmitteln. Bisher mutet man dem Rechtsanwalt zu, die Vertretung in Armensachen unent⸗ geltlich zu übernehmen, also auch Ausgaben dafür zu machen. Das ist eine Ungerechtigkeit, die beseitiat werden muß. Eine Staatshilt kann in dieser Zuweisung nicht erblickt werden. Weiter soll zur Auf⸗ bringung der Mittel die Zuweisung eines progressiv abgestuften Pro— zentsatzes der in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten mit hohen Gegen⸗ standssummen anfallenden Gebühren erfolgen, und endlich sollen die Rechtsanwälte, die ein besonders hohes Berufseinkommen beziehen, mit besonderen Pflichtbeiträgen herangezogen werden. Den un⸗ entbehrlichen Faktor, den die Rechtsanwaltschaft in der Rechtspflege bildet, wirtschaftlich unabhängig zu stellen, ist der Hauptzweck des Antrages; denn nur mit einer solchen Rechtsanwaltschaft kann eine korrekte und gerechte Rechtsprechung verbürgt werden. Abg., Behrens (Veutsche Fraktion; Wir sind, don den— Gesinnungen erfüllt, denen gestern der Staatssekretär dem aus dem Amte geschiedenen Lisch Aus⸗

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selbe

gegenüber Dr.

druck gegeben hat. Der Zentrumsresolution stehen wir sym⸗ pathisch gegenüber. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, die eringen Freiheitsstrafen etwa bis zu einem Monat durchweg in Heldstrafen umzuwandeln. Die Erfahrungen dieses Krieges mit den unzählige Uebertretungen der erlassenen Tausende von Kriegsverordnungen verlangen das gebieterisch. Ein Lob der Kriegsverordnungen mit ihren Strafandrohungen habe ich hier gestern auf keiner Seite vernommen. Im Gegenteil ist der Unwille darüher mit der Dauer des Krieges im Volke immer mehr gewachsen. Es wäre zu erwägen, ob nicht mindestens die größten Unzuträglichkeiten schon jetzt beseitigt werden müßten. Die Cle e mm sollten ver⸗ pflichtet sein, jedes Gnadengesuch weiterzugeben. Dem Volks— empfinden muß jedenfalls auch bei der Gesetzgebung Rechnung ge— tragen werden. Die Anordnungen der Generalkommandos stehen vielfach mit denen anderer Behörden im schroffen Widerspruch. Die Wucherer und Hamsterer im großen läßt man laufen, während man die kleinen, die aus Unkenntnis eine Verordnung übertreten, bestraft. Abg. Herzfeld (U. Soz.): Dem Antrag Gröber stehen wir wohlwollend gegenüber, doch scheint es geraten, daß die Rechis— anwälte erst einmal selbst ihre Wünsche in dieser Beziehung kundtun. Eine weitere Erhöhung der Pfändbarkeitsgrenze vom Lohn und Gehalt ist dringend notwendig. Kinder unter 15 Jahren gehören nicht ins Gefängnis. Wir brauchen ein neues Jugendgesetz,. bei dem der Strafrichter möglichst ausgeschaltet sein muß. Unter der Militär diktatur sind alle Bestimmungen zum Schutze der persönlichen Frei⸗ heit hinfällig, zumal das Reichsgericht hier direkt die Verfügung de Generalkommandos stützt. Daß hier solche Zustände einreißen konn— ten, daran ist auch der Reichstag mitschuldig. In diesem furchtbaren Kriege, in dem die Arbeiterschaft unzählige Opfer an Gut und Blut gebracht hat, in diesem Kriege erklärt das Reichsgericht auf Grund des Landesverratsparagraphen Arbeiter, die für den Frieden und für den Fortschritt in Flugblättern eintreten, durch Verurteilung zu schweren Zuchthausstrafen für ehrlos. (Pfuirufe bei den U. Soz.) Wegen solcher Ausführungen in einem Flugblatt hat das Reichsgericht gegen einen der Angeklagten 8 Jahre Zuchthaus verhängt. (Pfui— rufe bei den U. Soz. Vizepräftdent Dr. Paasche ersucht, die Pfui⸗ rufe zu unterlassen. (Die Pfuirufe wiederholen fich. Äbg. Kunert wird vom Präsidenten zur Srdmung gerufen. Der Drucker er⸗ hielt vier Jahre Zuchthaus. (Wiederholte Pfuirufe) Ein zwanzig— jähriges Fräulein auch vier Jahre Zuchthaus. (Neue Pfuirufe. Vizepräsident Dr. Paasche: Es scheint Absicht zu sein, daß Sie sich der Ordnung des Hauses nscht fügen wollen. Ich habe keine anderen Machtmittel. Aus der Mitte des Haufes wird der äußersten Linken zugerufen: Komödianten! Zurufe bei den U. Soz.: Idioten! Gemeinheit) Das Reichsgericht hat alles getan, um die Macht der Diktatur durch diese tendenziösen Bluturteike zu stärken, die an die Zeit des preußischen Obertribunals in der schwärzesten preußischen Reaktionsperiode erinnern. (Stürmischer Beifall bel den üͤ. Soz.)

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. von Krause: )

Abg. Landsberg (Soz): Für den Grundgedanken des Antrags Gröber treten auch wir ein. Es genügt aber nicht, bloß die baldmöglichste Vorlegung eines Gesetzentwurfs zu fordern. Wir empfehlen daher den auch von uns unter— stützten Antrag, der zunächst die gesetzliche Möglichkeit zu einem Vorgehen in dieser Richtung schaffen will. Ich hoffe, daß sämtliche Parteien sich auf einen Inikiativantrag zur Schaffung eines Jugend⸗ gesetzes vereinigen, wozu der Reichstag sich schon einmal im Jahre 1913 entschlossen hat. Das Anklagerecht der Staatsanwälte muß ebenfalls einer Durchsicht unterzogen werden. Der Staatssekretär weigert sich, während des Krieges eine durchgreifende Aenderung des Strafrechts vorzunehmen. Aber ganz untätig wird der Staatssekretär doch nicht bleiben können. So muß für eine Reihe von Vergehen sicher allein die Geldstrafe eingeführt werden. Gesetze, die ohne Äus— übung des Begnadigungsrechtes unerträglich sind, müssen abgeschafft werden. Die Rechtsprechung der außerordentlichen Kriegsgerichte hat außerordentliche Erregung hervorgerufen. Indem man hier dem Rechtsempfinden des Volkes genügt, dürfte man die Stimmung im Volke sehr viel bessern.

Abg. Gohn-Nordhausen (U. Soz)): Wir werden für die Resolution Gröber stimmen. Ich verstehe nicht recht, weshalb der Staatssekretär sich so zögernd und zurückhaltend gegenüber einer Aenderung des Jugendgesetzes verhält. Hier liegt doch sicher eine durch den Krieg bedingte Notlage vor. Für den Antrag auf Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters treten wir natürlich ein. Aber dies allein genügt nicht. Mit dem Ausdrücke der Klassenjustiz wollte mein Freund Herifeld den Richtern keine be— wußte Rechtsbeugung vorwerfen. Es sollte nur gezeigt werden, daß auch die Richter infolge ihrer Erziehung nicht immer in der Lage sind, sich in die Anschauungen anderer hineinzuversetzen. Wir sind übenzeugt, daß die Richter nach ihrem besten Können und Wössen ihre Pflicht, iun. Schaudemd habe ich aber hier in Berlin won außer— ordentlichen Kriegsgerichten dergrtige Urteile von Klassenjustiz erlebt. Was wurhe da nicht alles als Landesverrat ausgelegt. Die Militär— gerichte haben mit einem Schlage dabei auch das aufgehoben, was man in Preußen im Interesse der jugendlichen Angeklagten verordnet hat. Redner führte dann Fälle aus den besetzten Gebieten an, wo nach einer Meinung Rechtsherletzungen ärgster Art vorgekommen . Man habe die höchsten Richter Belgiens wegen ihrer Rechtsprechung ins Gefängnis geworfen. Man kann nur sagen: Hut ab vor dem Kardinal Mercier und vor den belgischen Richtern, die unter der Augen und in der Gewalt des Feindes den hohen moralischen Mut gehabt hatten, Recht Recht sein zu lassen. Die Verlotterung des Rechtsgefühls übersteigt alle Begriffe. Es sei doch eine Frage der Ethik und des Rechtsgefühls, wenn man der Welt vorredet, man habe einen Frieden mit Rußland geschlossen, und wenn man gleichzeitig sein Gebiet besetzt und darin vordringt, zu keinem anderen Zweck, als um Getreide und Munition zu rauben. (Stürmische Unterbrechungen. Der Präsident fordert den Redner auf, diese Ausführungen abzuhrechen. Es müsse alles daran gesetzt werden, aus dem Krieg in den Frieden, aus der Lüge in die Wahrheit zu kommen. (Erneute stürmische Unterbrechungen) Sodann ersuchte Redner den Staatssekretär des Reichsjustizamts, dafür zu sorgen, daß den Eltern von zum Tode Ver— urteilen von dem Tode hurl eit Mitteilung gemacht weide. Cp räsi⸗ dent: Das gehört nicht zum Reichsjustizamt! Auch haben Si wäiederholt von Klassenjustiz gesprochken. Ich kann das nicht dulden. Große Unruhe und stürmischer Widerspruch bei den Unabhängigen Sozialdemokraten. Herr Président, Sie machen wiederholt den Ver—⸗ such, guf. den Inhalt einer Rede einzuwirken,. Ich erkläre Ihnen: Wir lassen uns das nicht länger gefallen. (Großer Lärm und Auf⸗ regung im ganzen Hause, Der Präsident ruft den. Redner, der seinen Protest, wiederholt, zweimal zur Drdnung. Ich kann nicht dulden, daß Sie die Kriegsgerichte der Klassenjustiz beschusdigen. Das ist ein. Eingriff in die Debatte, der Ihnen nicht zufteht! (Der Präsident ruft den Redner zum dritten Male zur Ord⸗— n ung.. Zurufe bei den Sozialdemokraten; Ein liberaler Präsident! (Bräsident Dr. Pag sche: Es gibt hier keine liberalen Präsi⸗ denten sondern nur Präsidenten, die die Ordnung aufrecht zu erhalten haben) Der Redner schließt darauf, mit den Worten: Wir erleben jetzt, im vierten Kriegsjahre, daß die Klassenjustiz auch unter die Fittiche der Präsidenten genommen wird. Ich stelle das fest vor dem Lande. (Vizepräsident Dr. Paasche ruft den Redner nochmals zur Ordnung.)

Damit schließt die Aussprache.

In einer persönlichen Bemerkung erklärt

Abg. Dr. Müller⸗-Meiningen: Dem Abg. Dr. Cohn will ich sagen, daß ich mich nur gegen die geradezu theatralische Art wende, in der von der äußersten Linken jede Betonung unseres Krieges als eines Verteidigungskrieges aufgenommen wird. Diese häßliche Art und

) Die Rede des Staatssekretärs des Reichsjustizamts Dr. von Krause kann wegen verspäteten Eingangs des Steno— gramms erst morgen im Wortlaut mitgeteilt werden.

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