1919 / 154 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 11 Jul 1919 18:00:01 GMT) scan diff

wird aber durch die Wahl unmögllch gemacht. Sie vermag eine ver⸗ nünftige Ausbildung der Richter nicht zu gewährseiften. Auch kommt der Richter unter die Herrschaft der Parteien und Programme. Er verliert damit die Unabhängigkeit, die ist aber die Grundlage des deutschen Staatenlebens.

Abg. Warm uth (D. Nat.): Der Ce'enrte Richter steht in einem unp-reinbzren Gegensatz zu dem Volksrichter. Das stärkste Uebel ist je enfallt, wenn der richter sich zu ehr von Gefühlen leiten läßt. Dem begegnet die richtige Ausbildung. Wie kein anderer teht der Ria ter mitten im Leben. Er muß sich in alle Rechtsver⸗ bältnisse und Lerne sStedürfnisse des Volkes bineindenlen. Wir brauchen eine objektive Justiz, und die gewährleistet ein solcher Rechter. S* glich wird auch bei der Anstellung von Volkerichtern nach dem Vorleben des Kandidaten gefrant, und solch Laienrichter würde fein ganzes Leben vor der Oeffentlichkeit dargestellt sehen müssen. Die Warl' würde somit die Ün bhängigkeit des Richters aufs äußerste gefährden, und die Verpflichtungen die er bei der Wahl bernimmt, würden seine Entsch idungen binden.

Abg. Katzenstein (Soz.): Wir können dem Antrag der Un— abhängigen nicht zustimmen, denn fier sollen Michter auf Grund des Reichstagswahlrechts gewählt werden. Der Abg. Henke hat recht mit seinen Ausführungen über die Klassenjustiz. Was dagegen von der rechten Seite dieses Hauses vorgebracht worden ist, entspricht nicht den Tatsachen. Der Richterstand inuß fortan den neuen Gestaltungen unseres staatlichen Lebens volles Verständnis entgegenbringen. Aber was der Antrag der Unabhängigen will, ist nicht das Richtige. Praktisch hieße das, eine Klassenjustiz durch eine andere beseiligen. Denken Sie doch an dem von den Groß Berliner Arbeiterräten gebilligten Grundsatz, Arbeitsgenossen wegen ihrer politischen Gesinnung aus— stohen zu dürfen, Leute, die solchen Grundsätzen zustimmen können, verfügen nicht über die Resfe und das Verantwortlichkeitsgefühl, das die Voraussetzung zur Ausübung des Richteramts ist. (Bei— fall) Unabhängige als Richter sind noch lange keine unabhängigen Richter. (Lebhafte Zustimmung. Das heutige Beamtenrichtertum ist aber auch kein Ideal. In den künftigen Gerichten muß durch ein starkes Laienelement, das aus Volkswahlen hervorgegangen ist, ein Gegengewicht geschaffen werden. Berufsrichter und Volksrichter müssen zusammenwirken. Das geeignete Element können wir gewinnen durch zweckmäßigen Ausbau der staatsbürgerlichen Erziehung, durch rechts—⸗ kundliche Aufklärung möglichst breiter Massen. Wo die Richterwahl eingeführt ist, haben wir keineswegs vorbildliche Zustände. (Beifall.) Besspielsweise habe ich in der Schweiz gefunden, daß bei den Richter⸗ wahlen das parteipolitische Element in den Vordergrund tritt. Bei der Durchführung des unabhängigen Antrags würden wir die Gefahr schaffen, daß die Juristen bei der Partei antichambrieren, die die Aemter zu vergeben hat. In dieser Hinsicht haben wir seit dem 9. November allerlei erlebt. (Andauernde Zustimmung bei den Soz.). Ueber das System der zu Richtern gewählten Laien werden wir bei dem in Kürze zu erwartenden Gerichte verfassungsgesetz Anträge einbringen, die beffer geeignet find als der Antrag der Un⸗ abhängigen der Unabhängkeit der Rechtsprechung zu dienen. (zLebh. Beifall.)

Abg. Dr. Ab laß (Dem.): Entgegen der Behauptung des Abg. Henke habe ich unsere Rechtsprechung' nicht als Klassenjustiz ge⸗ kennzeichntt, wohl aber mit meiner Kritik über fehlerhafte Gerichks⸗ sprüche nicht zurückgehalten. Der Richter ist in der Tat vielfach als Beauftragter eines bestimmten Standes hervorgetreten, weil ihm bei der Abgeschlossenheit seiner Bildung und seines gesell⸗ schaftlichen Standes vielfach der weite Blick fehlte für“ das Verständnis des Standpunktes anderer Schichten. Aus diesem Um⸗ stande haben sich Rechtssprüche ergeben, die mit gesundem Rechte⸗ empfinden nicht zu vereinigen sind. Der von dem Abg. Henke porge— schlagene Weg zur Sicherung einer unabhängigen Rechtsprechung würde aber geradezu die Grundlagen der Unabhängigkeit der Richter er— schüttern und den Teufel durch Beeljebub austreiben. (Zustimmung.) Die Wahl könnte sich doch nur so vollziehen, daß der Richter sich um die Gunst der Wähler bemühen muß, die ihm ein Amt verleihen sollen. Das würde Kauf des Amtes im schlimmsten Sinne des Wortes bedeuten. Der unmöglichste Weg, den es geben kann. (Zu⸗ stimmung,) Die Rechtsprechung der Zukunft soll begründet sein

auf dem Glauben an die Demokratie, gegen die allerdings die Partei der Unabhängigen im Kampfe steht. Demokratie, die Achtung vor allem, was Menschenantlitz trägt, die Achtung auch vor der Meinung der anderen, wird fortan die sicherste Grundlage für unabhängige Volksrichter sein. (Beifall.)

Abg. Henke (d. Soz.): Wie setzt sich Herr Katzenstein mit dem Erfurter Programm auseinander? Er hat es in diesem Punkte wie in so vielen anderen aufgegeben. (Sehr richtig! bei den Ü. Soz.) Den Glauben an die Demokratse haben wir auch, aber nicht an die Demokratie des Herrn Ablaß, denn die ist weiter nichts als ver— hüllter Kapitalismus. Parteien im heutigen Sinne wird es im sozialistischen Staate nicht mehr geben, deshalb wird dann auch die Wahl der Richter keine Abhängigkeit von den Parteien bedeuten.

Abg. Katzenstein (Soz.): Dem Herrn Vorredner könnte ich zunächst erwidern, daß Programme nicht ewig sind. (Aha! bei den U. Soz.) Im übrigen sind es grade Sie (zu den U. Soz.) die den wichtigsten Grundsaß der Demokratie, das allgemeine gleiche Wahl— recht, schon längst zum alten Eisen geworfen haben. Weiter aber steht im Erfurter Programm kein Wort davon, daß die Rächter auf Grund der Reichstagswahlen gewählt werden sollen.

Abg. Dr. Rieß er (D. V.): Es gibt auf der ganzen Welt kein Volk, das über so unparteiische Richter verfügt wie das deutsche. Bewußte Klassenjusliz wird jedenfalls von unseren Richtern nicht ge— trieben. (Widerspruch und Lachen bei den U. Soz.) Und die Frei— sprechung Ihres Genossen Ledebour duich denselben Richter, den dieser während der Verhandlung fortgesetzt so scharf angegriffen hat, ist der beste Beweis für den Geist, der in unserem Richterstande herrscht. Aber Sie (zu den U. Soz.) wollen ja überhaupt von unabhängigen Gerichten nichts wissen. Sie aibeiten lieber mit dem Terror, mit der Straße, und deswegen wollen Sie ge— wählte Richter, die abhängig sind von Ihrer Parteivolitik. Nachdem Sie die Disziplin im Heere untergraben, nachdem Sie die Verwaltung lahmgelegt haben, wollen Sie jetzt das letzte Palladtum unseres Volkes, die Unabhängigkeit der Richter, beseitigen und damit den Abbau jeder staatlichen Autorität vollenden, aber ich bin über— zeugt, die Nationalversammlung wird Sie dabei nicht unterstützen.

Abg. Henke (ll. Soz,): Herrn Katzenstein kann ich nur erwidern, daß selbst mehrheitssozialistische Blätter, wie z. B. das „Hamburger Echo“, in der Beurteilung unserer Forderungen einen andelen Stand—

punkt einnehmen, als er. Abg. von Brentano (Zentr.): Unser Richterstand hat

wirklich eine bessere Beurteilung verdient, als die, daß man ihm mehr oder weniger verblümt den Vorwurf einer bewußten Klassenjustiz macht. Gewiß, räudige Schafe gibt es in allen Ständen, wenn man aber aus allen Berufen und Ständen jeden einzelnen herausgreifen wollte, der mal nicht so ist, wie er sein sollte, dann würden wahr— scheinlich die Herren von der unabhängigen Sozialdemokratie am schlechtesten fahren. Bei einem mehr als mäßigen Einkommen und bei einem arbeitsreichen Leben haben die deutschen Richter bis jetzt ihr Amt objektiv ausgeübt. (Sehr richtig! und lebhafte Zustimmung./ Im übrigen werden auch Sie (zu den U. Soz.) nicht bestreiten können, auch ein Wahlrichter wird durch die Wahl nicht plötzlich ein höheres Wesen, sondern er bleibt denselben Schwächen und Irrtümern unterworfen wie der ernannte Richter. Vor allen Dingen aber, wo bliebe die konstante Rechtsprechung, wenn alle paar Jahre das Richterpersonal wechseln würde? Die Unabhängigkeit und die Unabsetzbarkeit der Richter ist die Grundlage unserer Recht— sprechung und die muß unter allen Umständen erhalten werden. Gewiß könnte, dem Laientum in der Rechtsprechung, ein größerer Einfluß eingeräumt werden, aber dazu ist es nicht nötig, mit einem Hunderte von Jahren bestehenden ausgezeichneten System zu brechen und an seine Stelle cinen Versuch s zum Besten der Rechtsprechung ausfallen würde.

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(Lebh. Bravo!) 1

zu setzen, der ganz gewiß nicht

Artitel 101 wird unter Ablehnung des Antrags Agnes (U. Soz) in der Ausschußfassung angenommen.

Artikel 102 (Ernennung der Richter auf Lebenszeit, Zu—⸗ lässiakeit der Fesqsetzung einer Altersgrenze für Richter durch die Landesgeseßgebung) wird ohne Erörterung angenommen.

Artikel 105 bestimmt:

Anenahmegerichté« sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetz⸗ ichen Rchter entzegen werden. Dee gesetz lichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standgerichte werden hiervon nicht berührt.

Artikel 104 bestimmt:

Düi Ml tägerichtstarkeit ist aufzuheben, außer für Kriegsz iten. Das Nähere regelt ein Reichsgesetz.

Tie unabhängigen Sozialdemokraten beantragen bie Streichung dieser beiden Artikel in Konsequenz ihres An⸗ trags hetreffs der Volkegerichte.

Die Sozialdemokraten Auer und Genossen beantragen: Die Militärgerichtsbarkeit ist aufgehoben sstatt „aufzuheben“.

Abg. Groeber (Zentr) beantragt zu Artikel 103 den Zusgtz: „Die militärischen Ehrengerichte sind aufgehoben“, und zu Artikel 104 die Einschaltung, daß die Militärgerichtsbarkeit auch für die Verhältnisse an Bord bestehen bleibt. Außerdem liegt eine Enischließung des Ausschufses vor, das Gesetz über die Aufhebung der Militärjustiz mit der größten Be— schleunigung einzubringen.

Abg. Groeber begründet seinen Antrag mit dem Widerspruch, der in den militär schen Ehrengerichten Uliege. Der Zweikampf fei mit Strafe bedroht, aber das militärische Ebrengericht wirke durch den Cerenrat bi der Begehung diser strafbaren Handlung mit. Die Nationalversammlung müsse erklären, daß sie keine Behörde mehr haben wolle, die darauf achte, daß die Standessitte der Duelle gewahrt werde. Auch ine Partei stimme ferner dem Beschluß des Ausschuss s zu, daß die Mlitärgerichtsbarkeit aufzuh ben fei.

Preußischer Kriegsminister Reinhardt: Es ist beabsichtigt, eine Disziplinariammer für das Heer neu einzurichten. Deshalb eischeint es besser, die Aufhebung der Militärehrengerschte nicht in das Verfassungswerk hineinzubringen. Die Verfaffung' soll einen Neubau darstellen und sozufagen keine Abbruchsformen aufnehmen. Die Disziplinarkammer kann für die Aufrechterhaltung der nötigen Ordnung wohl sorgen. Die Aufhebung der Militärehrengerichte hat schließlich nur geschichtlichen Wert und wird nachher nur noch von Geschichtskennern verstanden werden. Es wird alfo genügen, wenn das, Haus in irgend einer Form den Wunsch ausspricht, daß die Militärehrengerichte nicht wieder aufleben.

Reichswehrminister Nos ke: Die Militärgerichtsbarkeit sofort aufzuheben, ist unmöglich. Beschließt die Versammlung in der von der Kommission vorgeschlagenen Form so werden wir die geforderte Aenderung möglichst beschleunigen. Das Gesetz wird so rasch wie möglich ausgearbeitet werden. Innerhalb acht Tagen die Militär⸗ gerichts barkeit aufzuheben, ist alatt unmöglich. Denn alle jetzt schwe⸗ benden Fälle müßten an die Zivilgerichte überwiesen werden und würden dadurch eine außerordentliche Verschleppung zum großen Nachteil der Angeklagten erfahren. Eine Verschlechterung des Rechtes ist doch aber nicht beabsichtigt. Es muß eine gewisse Uebergangszeit gelassen werden. Die Regierung gibt die Versicherung ab, daß diese Uebergangszeit so kurz wie irgend möglich bemessen sein soll.

Abg. Falk (Dem): Aus unserer Weltanschauung heraus sind wir gegen jedes Autnahmegesetz, Ausnahmegerichte und Verfahren; von den NMilitärehrengerichten wird allerdings zu viel Wesen gemacht. Wir brauchen sie nicht erst durch die Verfassung zu beseitigen. Bis zur Einsetzung von Diszipllnarkammein entstehr allerdings ein gewisses Vakunm. Dennoch wenn die Regierung erklärt, sie könne die Militärgerichte vorläufig nicht entbehren, so müssen wir bei dem Kompromiß bleiben. Nun ist richtig, die ganz allgemeinen Vorwürfe, die gegen die Militärgerichts—⸗ harkeit wegen ihrer Grausamkeit und Unsachlichkeit oft erhoben werden, sind nach dem, was ich im Kriege selbst erleht habe, nicht begründet. Dennoch ist es gefährlich, sie bestehen zu laͤssen mit Rücksicht auf die Massenpsychologie, die mit Mißtrauen und Erregung gegen die Militärgerichtsbarkeit erfüllt ist. Die Angehörigen des Heeres sollen sich als Söhne des Volks fühlen und als nichts andereß. Mit der Schlagfertigkeit des Heeres hat die Militärgerichte barkeit nichts zu tun. Auf einen Krieg, wie wir ihn erlebt haben mit seiner langen Dauer, dem Stellungs⸗ und Schützengrabenkampf und dem demorali— sierenden langen Aufenhalt in der Etappe, war unser Militärrecht nicht eingestellt. Jene sind heute unentbehrlich. Man denke nur an die Revolutionegerichte, die in München die dortigen Vorgänge, die jeden, der die Ordnung will, zwingen, zu diesem Mittel zu greifen.

Abg. von Graefe (D. Nat.): Im allgemeinen haben die Kriegsgerichte milde und wohlwollend geurteilt. Sie dürsen durch die neue Verfassung nicht beseitigt werden, wenn unser Heer in Zukunft nicht nur Polizeitruppe sein wird. Die Reform der Militaͤrstrafgerichtsbarteit halten auch wir für nötig. Es hat niemals ein irgendwie beachtenswertes Heer gegeben, ohne Militärgerichts arkeit. Ihre Beseitigung selbst in den fran ösischen Revolutionsheeren ist schon nach zwei Jahren wieder rückgängig gemacht worden. Eine Armee ohne Autoritäts gedanken ist unmöglich. (Sehr richtig) Es ist ohne eine gewisse Gewalt nicht durchzuführen. Das kameradschaftliche Wohlwollen kommt außerdem den Soldaten bei den Kriegsgerichten im Gegensatz zu den bürgerlichen Gerichten zugute. Ein völlig un— begründetes Vorurteil herrscht auch gegen die militärischen Ehren— gerichte. Sie sollten überhaupt nicht nur für Offiziere, Aerzte und Anwälte, sondern z. B. auch für Minister bestehen. (Beifall rechts.)

Abg. Dr. Graf zu Dohna (D. V.): Die militärischen Ehren⸗ gerichte dürfen nicht aufgehoben werden, weil sie zur Aufrechterhaltung des Ehrgefühls im Heer nötig sind. Die Militärstrafgerichtsbarkeit darf ebenfalls nicht ein Opfer der Augenblicksstimmung werden. Zur Beurteilung militärischer Vergehen gehört außer der Kenntnis der Rechtskunde auch Sachkunde. (Beifall rechts.)

Abg. Da vidsohn (Soz.): Dem Antrag Groeber auf Auf— hebung der militärischen Ehrengerichte stimmen wir in dem Sinne zu, daß ihre etwaige Wiedereinführung, die ich allerdings für aus— . halte, nur auf verfassungsmäßigem Wege, also nur mit qualifizierter Mehrheit möglich sein würde. Ehre ist Ehre, und jede Sonderehre ist keinen Schuß Pulver wert. (Beifall b. d. Soz.) Im Vertrauen darauf, daß das Gesetz über die Aufhebung der Militär— justiz mit größter Beschleunigung kommen wird, ziehen wir unsern Antrag zurück. Die Militärgerichte sind Ausnahmegerichte und passen nicht mehr in unsere Zeit.

Abg. Dr. von Delbrück (D. Nat.): Man darf eine Insti⸗ tution als solche nicht deshalb verwerfen, weil sie mangelhaft gehand⸗ habt wird. Diese Reform kann durch gewöhnliches Gesetz gemacht werden, aber nicht durch die Verfassung. Ich warne namentlich vor der Beseitigung der militärischen Ehrengerichte. Das wäre ein Aus— nahmegesetz gegen den Offizlerestand, da auch Anwälte, Aerzte und andere Stände Ehrengerichte haben. Die militärischen Ehrengerichte haben hauptsächlich Händel . den Kameraden in ritterlicher Weise beigelegt und, dadurch erziehlicher gewirkt, als wenn die Beteiligten vor dem Schöffengericht erschienen wären. Man sollte deshalb das Ehrengerichtsverfahren überhaupt erweitern und verallgemeinern.

. Dr. Gohn gi. Soz.): Gerade die Wirksamkeit der Militärgerichte seit dem Abschluß des Waffenstillstands beweist die Notwendigkeit ihrer Aufhebung. Die gesamten Truppen der Reichs— wehr stehen im mobilen Verhältnis. Daher konnten gegen Soldaten der Reichswehr schwere Urteilssprüche ausgefprochen werden, gegen die eine Berufung nicht möglich ist. Die Erklärung des Rescht— wehrministers genügt nicht. Die militarischen Ehbrengerichte wahren nur die äußere Ehre des Offizierstorps; bei Plünderungen der Offiziere im Kriege haben sie vollständi versagt.

Bei der Abstimmung wird Art. 103 mit dem Antrag Groeber auf Aufhebung der militärischen Ehrengerichte an— genommen. Der Antrag Gioeber, betreffs Aufrechter haltung

der Militärgerichtsbarkeit an Bord wird durch Auszählung mit 124 gegen 100 Stimmen angenommen. Mit dieser Aenderung wird Art. 104 angenommen, ebenso die Entschließung des Aus⸗ schusses.

Damit ist der Abschnitt über Rechtspflege erledigt.

Preußischer Krie sminister Reinhardt: Der Schluß der Debatte zu Artikel 104 hat mich überrascht und mir die Mögl chkeit genommen, Herrn Dr. Cohn zu antworten. Er hat erklärt, die alten Ehrengerichte hätten besonders deshalb ihren Daseinszweck verw i lt, weil sie nicht zu verhindern vermochten, daß Offijiere im Kriege Ver⸗ fehlungen aller Art begangen hätten, und er hat das eiweitert zu ganz allgemeinen Vorwürfen gegen die Offiziere. Ich muß das in dieser Verallg⸗meinerung auf das schärfste zurückweisen.

Abg. Dr. Cohn (U. Soj.): Der Herr Kriege minister hat gegen

etwas polemisiert, das ich nicht gesagt habe. Ich habe nicht all⸗ gemeine Verdächtigungen gegen die Offiziere ausgesprochen, sondern sch habe gesagt: in den zahlreichen nachweisbaren und nachgewiesenen Fällen, in denen Offiziere während des ö. ehrlose Handlungen begangen haben, haben die Ehrengerichte versagt, und das halie ich aufrecht. Preußischer Kriegsminister Reinhardt; Dann kann ich den Herin Abgeordneten nur bitten, einen dieser sehr zahlreichen Fälle mir namhaft zu machen, damit wir der Sache nachgehen können.

Hierauf vertagt sich das Haus.

Nächste Sitzung: Freitag, R/ Uhr (Tagesordnung: Kleine Anfragen und Verfassungsentwurf).

Schluß 7i½ Uhr.

Preuszische Landesversammlung. 143. Sitzung vom 10. Juli 1919. (Bericht von Wolffs Telegraphenbüro). Vräsident Leinert eröffnet die Sitzung um 11½ Uhr. Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung des Haushaltsplans für das Ministerium des Innern.

Dazu liegen Anträge des Ausschusses und weitere 41 An⸗

träge aus dem Hause vor. Der Ausschuß beantragt u. a, den Fonds „Geheime Ausgaben“ von nun an umzuändern in einen Dispositionsfonds zur Bekämpfung des Verbrechertums. Die Regierung wird ersucht, dafür zu sorgen, daß die Fürsorge für die aus Elsaß Lothringen vertriebenen Deuischen wirksam durchgeführt wird und daß der Zustrom von Flüchtlingen aus den östlichen Propinzen möglichst gleichmäßig verteilt wird.

Abg. Dr. Reineke (Zentr.) ersucht die Regierung, mit Rück— sicht auf die wirtschaftliche Not und die Unkenntnis, die in weiten Volkskreisen bezüglich der verschiedenen Berusszweige herrscht, die Berufsberatung mit staatlicher Hilfe zu organisieren, ein Zentral⸗ institut für dag gesamte Berufsberatungswesen im Wohlfahrts— ministerium ins Leben zu rufen und die dazu erforderlichen Maßz⸗ nahmen im Einvernehmen mit den bestehenden freien Beratungsstellen zu treffen. .

Abg. Schubert (Soz.) fordert einen Gesetzentwurf, durch den alle geheimen Personglakten der im Staats⸗ oder Gemeindedienst stehenden Beamten, Angestellten und Arbeiter abgeschafft werden. Bei Eintragung in die Personalakten ist den dabon Betroffenen Mitteilung zu machen. Die Personalakten snllen jederzeit zur Ein⸗ sicht vorliegen.

Abg. Hammer (D. Nat.) bittet, den Gendarmen sofort den Rang der mittleren Beamten zu verleihen. .

Abg. Negenborn (D. Nat. ersucht die Regierung um Aus⸗=

kunft darüber, ob und in welchem Umfange seit dem Autbruche der Revolution die für Herstellung und Verbreitung von Flugblättern und Schriften, die ihrem Jnhalt nach parteipolitisch sind, sowie für rarteipolttische Propaganda anderer Art Mittel des preußischen Staates verwendet sind. Der Redner fragt weiter, welche Einbuße die Reichskasse durch Versendung solcher parteipolitischen J als Reichsdienstsache entstanden sind. Der Redner weist darauf hin, daß schon der Abg. Mumm in Weimar diese sozialdemokratische Propaganda, die mit Staatsgeldern betrieben werde, aufgedeckt habe. Die Regierung habe diese Propaganda nicht gehilligt. Es handelt sich um Wenbeschriften für die Sozialdemokratie, um Flugschriften aller Art. Ein Bild zeigt z. B. den deutschen und französischen Arbeiter, wie sie sich brüderlich die Hände reichen. An dieses Bild hat vielleicht Herr Scheidemann gedacht, als er sagte, die Welt sei um eine Illusion ärmer. Die Millionen, die binter uns stehen, haben nie solche Illusionen gehabt. (Sehr richtig! rechts. Eine ganze Reihe von Streitschriften beschäftigten sich mit der Frage der Urheberschaft der Revolution. Wenn die Herren sich darüber streiten wollen, so sollen sie es auf eigene Kosten tun und nicht auf Reichskosten. (Sehr nichtig! rechts) Unter an— dauerndem, Lärm und fortgesetzten Zwischenrufen der äußersten Linken, die von der Rechten ununterbrochen erwidert werden, verliest der Redner noch eine lange Reihe von Auszügen aus diesen Flugschriften. Eine derselben, bemertt er, ist an die Künstler und Künstlerinnen gerichtet, und ihr ist eine Anzahl von Illustrationen beigegeben, die auf den Redner den Eindruck gemacht haben, als ob der leider ungenannte Verfasser aus einer lubistischen Kunstausstellung kam, als er zur Abfassung schritt; vielleicht aber lägen hier sehr ernste Zusammenhänge vor, vielleicht handle es sich um eine kubistische Politik, und es dränge sich die Frage auf, ob nicht dieser sozialistische Kubismus oder kubistische Sozialismus auch im Ministe⸗ rum vertreten sein müsse. (Große Heiterkeit rechts) Der Miß brauch gehe aber noch weiter insofern, als diese Schriften in un geheuren Mengen als Reichsdienstsachen versandt würden. (Zuruf rechts: Daher die Unterbilanz bei der Post! Nach einer Erklärung der Regierung habe dieser Werbedienst schon im Februar eingestellt werden sollen. das sei aber nicht geschehen. Von der staatlichen Tugend der Sparsgmkeit sei hier nichts zu merken, das zeigten u. a. guch die riesigen Mehrausgaben im Etat der Reichszruckeret. Woher stamme das Geld für diese Ausgaben? Auf diese Frage müsse eine klare Antwort endlich gegeben werden. Wollte die Regierung. schon Aufklärung treiben, so hätte sie doch eher die Frage der Schuld am Kriege im Sinne des Serben Bogitschewitsch oder von Bernard Shaw behandeln lassen können. Freiheit habe man dem Volke ge⸗ . Uebermaß, aber was fehle, das sei das Recht. (Beifall rechts. . ö Abg. Dr. Bollert (Dem) berichtet über die Ausschußberatung der Anträge der Deutschngtionalen, der Deutschen Volkspartei und der I. Soz. wegen Ent schädigung der durch die Un⸗ ruhen der letzten Mongte Geschädigten. Der Aus⸗ schuß beantrage, die Regierung zu ersuchen, L. dafür zu sorgen, daß die bei den Unruhen der letzten Monate Geschädigten mit möglichster Beschleunigung angemessen« Entschädigung erhalten, 2) dahin zu wirken, daß die Entschädigungen grundsätzlich vom Reiche, nötigenfalls unter Beteiligung des Staateszund der Gemeinden, ge⸗ leistet werden. !

Abg. Schrader (Soz.) tritt für die . von Miets⸗ einigungsämtern auch in den Gemeinden mit weniger als 10000 Ein- wohnern ein. Die üblen Folgen der Wohnungsnot, des Wohnungs—⸗ wuchers und des Schleichhandels mit Wohnungen machten sich auch besonders in der Peripherie der Großstädte bemerkbar. Die ent⸗ srechende Abänderung der bezüglichen Verordnungen habe mit aller Reschleunigung zu Erfolgen. Mit dem Amtsgericht könne der kleine Mann in dieser Beziehung gar nichts anfangen; der Amtsrichter stehe im allgemeinen dem Grundgedanken der Mietseinigungsämter viel zu fern.

l Mentzel⸗Stettin (D. Nat.) fordert die Wieder⸗ einführung der Zensur gegen den zunehmenden Schmutz in Wort und Bild und bemerkt: Es ist unglaublich, was jetzt unbeanstandet öffentlich angepriesen werden darf. Eile tut not. Das Mittel der

klärungssilms hat gänzlich versagt; denn diese Aufklärun mmer als der Schmutz selbst. Sie schenken . f lune gin I gar nichts mehr. Ungeheures steht auf dem Spiel, unsere ige Hoffnung, die Jugend, muß gesund erhalten bleiben. Abg. Mehrhof (II. Soz.): Wir fordern die Beseitigung des agerungezustandeg. Er schafft keine Beruhigung, sondern wirkt elend. Wenn die Regierung gegen den Lebengmnittelwucher nur jwegs energisch vorgehen würde, wären die Ursachen der Un— ieden heit überall beseitigt. Eine Autorität, die sich nur auf Macht en kann, ist morsch und muß zusammenbrechen. 9. Abg. Dr. v o n KriLes (D. Nat. ): Wir wünschen ein Ein- iten gegen die Spielklubs. Der Charakter des Klubs ist nur etãuscht, es sind meist öffentliche Gesellschaften. In Berlin ist endlich die Polizei eingeschritten und hat etwa 26 Klub unter⸗ Fkt. . Sie tauchen jetzt in anderer Form wieder auf. R mir liegen eine Einladung der Tiergarten. Sportvereinigung Einladung des Sportvereins Halensee, des Bellepue⸗ Klubs, Linden -Klubs, etues, holländischen Klubs, wetnc Klubs sihne, und Film“, ferner Einladungen zum Kasino, zur Nessource schließlich zu einer Vereinigung selbständiger Kauflense auf dem ffürstendamm. In allen diesen Fällen handelt es sich um frühere selklubs. (Hört, hört! Die Unternehmer machen glänzende chäfte. In großen Spielklubs beträgt das Kartengeld ich 25 900 Maif. (Hört, hört! Man sagt mir, daß in 5 Berlin . eine halbe Million an. Kartengeldern in Klubs ausgegeben wind. (Hört, hört ) Entsprechend hoch sind Umfsätze, Zahllese Existenzen werden läglich zugrunde ge⸗ et. Diesem Treiben muß ein Ende gemacht werden. Wir würden völlige, Ausrottung des Glücksspiels am liebsten sehen. Auf en, Fall. darf, das Glücksspiel in den Badeorten dankt gerecht⸗ gt werden, daß man sagt, auf diese Weise könne ausländisches nd nach Deutschland gezogen, und die deutsche Valuta gebessert den. Wir wünschen nicht, daß der Grundsatz „non dlet' jemals Fessen wird. Mindestens muß das Verbot des Glückespiels auch ie Klubs ausgedehnt werden. Wo gespielt wird, muß rücksichts⸗ geschlossen werden. Abg. Schüling (Sentr.) berichtet über Anträge, betreffend fentlichkeit der Beratungen der Gemeindevertretungen im Rhein-

Nat.) fordert die rasche Erledigung der

lhg, Haas (Ses) beantragt eine Aenderung der Gemeinde— lbestimmungen dahin, daß bei Neuwahlen neue Wählerlisten auf— t, werden müssen. bg, Vr, Reineke (Zentr.) verlangt die gutachtliche Anhörung Volksvertretern bei der Umänderung der Piopinzial⸗, Kreis⸗, dte⸗ und Landgemein deyrdnung. Der Redner berichtet über An⸗ h des Abg. Hoffmann (U. Soz.) auf Erhöhung des gemeinde—⸗ freien Einkommen suf M00 „6. Der Ausschuß hält diese lnktäge durch die Beschlüsse über die Staffelung der Gemeindeein— mensteuer für erledigt. Abg. Schubert (Soz.) ersucht die Reglerung, allen Beamten Angestellten das Auswärkswohnen zu gestatten. Abg. Bergmann SZentr. erlangt Lohnerhöhung für die ter und Wegemwärter im Yrévinstal- und Kreigdienst. Abg. Oelze (D. Nat.) bringt Wünsche betreffs Anrechnung der tärdienstzeit auf das Befoldungsdiens alter der Gemeinde⸗ ten usw. vor. Abg. Dr. St rumm (Dem.) ersucht die Regierung, schleunigst Gesetzentwurf, vorzulegen, durch den die Ueberwachung der titution grundsätzlich umgestaltet wird. Ordnungs- und an⸗ polijeiliche Ausnahmehestimmungen seien zu beseitigen, die bis⸗ je Sitten polizei sei unter völliger Loslösung von der Kriminal— ei in ein ausschließlich gesundheitlichen und pfleglichen Zwecken des Amt umzuwandeln. Abg. Frau Arendsee (u. Soz.) schildert die Notlage der tenschwestemn. Abg. Frau Heßberg. er, (Zentr.) fordert im Auftrage des Aus— s für Bevölkerungspolitik eine Neugestaltung des Hebammen— Es, und besonders eine Vermehrang der Zahl der Hebammen. bg. Dr. Th a er (D. V.) richtet die Anfrage an die Regierung, che Maßnahmen sie zu treffen gedenkt, um den aus dem Krieg ckgekehrten Angestellten und Angehörigen der freien Berufe die Die denaufrichlung ihrer bürgerlichen Stellung zu erleichtern. Abg. Schrader (Soz) richtet an die Regierung die Anfrage, ie gewaltsame Besetzung der seit längerer Zeit freien Präsidenten⸗ des Eisenbahn bezirks Erfurt und einiger Dezernate der Grund weshalb die Staatsregierung die Besetzung Erfurts am 18. Juni „Regierungstruppen veranlaßte. In Erfurt habe bis dahin tändige Ruhe und Ordnung geherrscht. Der Eisenbahnbetrieb icht im geringsten gestört oder behindert gewesen. Darauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf kita, 1 Uhr. (Vorher Anfragen.)

Schluß 6i / Uhr.

Land⸗ und Forstwirtschaft. Saatenstand in Preußen zu Anfang Juli 1919.

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Bw. 2,856 und 2,1),

d 53,0),

hsen 2, n 2,9 hb

e, Futter liegen. ergleicht man die Ziffern des Staatsdurchschnitts mit denen nsang Juni, so zeigt sich, daß bei den Winterfrüchten, wenn

man ton dem wenig angebauten Spelz absieht, eine Besserung von Ou bei. Weizen, Gerste und Naps, von Q. bei Roggen eingettgten ist. Von den übrigen Fruchtarten haben sich Sommerroggen, Erbsen, Flachs, Klee und die Wiesen verbessert, die anderen sich gehalten oder etwas verschlechtert.

Gegen das Vorjahr ist ein besserer Stand zu verzeichnen bei Winterweizen, Winterroggen, Kartoffeln und Luzerne um On, bei Hafer und Nieselwiesen um G, bei Sommergerste und Flachs um 9, bei Sommerroggen und Wicken um O,, bei Erbsen und gewöhnlichen Wiesen um gs und bei Klee sogar um 0.9. Der Stand der übrigen Fruchtarten ist gleich dem vorjährigen oder weniger gut.

Die Witterung am Schlusse des Vormonats große Trocken— belt in den mittleren und westlichen Landesteilen sowie veränderliche alte Tage in den anderen Gebieten dauerte auch in den Juni hinein an. Am Schlusse der ersten Woche wurde es allgemein recht warm, und in den nächstfolgenden Tagen gingen über das ganze Land zerstreut Gewitter nieder, die teilweise sehr schwer waren und Hagel⸗ schlag und Wirbelsturm verurfachten. Hierauf folgten mehrere schöne Tage, die teilweise Temperaturen bis zu 309 C. im Schatten biachten. War das Wetter in sämtlichen Bezirken weftlich der Elbe sowle in Schleswig-Holstein und einigen anderen Ge— bieten von Anfang Mai bis etwa 20. Juni, also 7 Wochen lang, bis zur Dürre trocken gewesen, so vollzog sich jetzt ein völliger Wechsel. Die bis dahin ständig nördlichen und östlichen Winde drehten nach Westen hin, und dann setzten zunächst strichweise Ge— witterregen und hierauf allgemein fehr ergiebiger Landregen ein. Den gusgetrochneten Feldern kamen die anhaltenden Riederschläge gut zu statten, für die im Gange befindliche Heuernte waren sle jedoch recht störend. In einigen östlichen Bezirken fielen so swarke Regenmassen, daß große Strecken von tiefgelegenen Wiesen mit Heu unter Wasser siehen. Frostschäden sind im Juni nicht beobachtet worden.

Die Entwicklung der Feldfrüchte wurde von der Witterung naturgemäß stark beeinflußt. Im ganzen werden die Winterfrüchte nicht ungünstig beurteilt, da die Blüte ohne Störungen verlaufen ist und die Aehren zwar kurz geblieben sind, aher guten Körneranfatz erhalten haben. Der Roggen ist in den feucht gewesenen Bezirken bis 2 im hoch gewachsen; liotzdem foll er vielfach dünn stehen. In den Trockengebleten sind die Halme jedoch kurz geblieben, so daß der Strohertrag hier gering sein wird. Auf hochgelegenem und magerem Boden ist er oft sehr lückenhaft, voll Unkraut und auch teilweise vertrocknet. Infolge des schweren Regens ist das Getreide stellenweise gelagert, aber auch die sich schon zeigende Notrelfe ver— hütet worden. Beim Weizen wird darguf gerechnet, daß die feuchte Witterung auf das Wachstum von Halm und Korn“ noch recht günstig einwirkt. Vereinzelt zeigen sich Rostbildung und Brand in den Feldern Raps ist vielfach von Glanzkäfern und vereinzelt auch von Erdflöhen erheblich beschädigt worden.

Auf die Sommersaaten hak die lange Trockenheit ziemllch un— günstig gewirkt. In den mittleren und westlichen Landesteilen stehen Hafer und Gerste oft kaum handhoch und haben schon Rispen und Aehren; ihr Stand ist dort dünn, lückenhaft und vielfach ver— unkrautet; er wird mehrfach als trostlos bezeichnet. Erbsen und Bohnen haben nach der Bestellung zunächst durch Erdflöhe viel ge— litten, nachher wurden sie dann noch vom Erbékäfer erheblich mit⸗ genommen. Da ferner die Hülsenfrüchte zur Entwicklung ganz be⸗ sonders auf Feuchtigkeit angewiesen sind, konnten sie im ausgetrockneten Boden nicht vorwärts kommen.

Infolge der eingetretenen reichlichen Niederschläge wird überall auf eine kräftige Erholung und Besserung fämtsicher Sommersaaten gehofft, und wie aus verschiedenen Berichten hervorgeht, bessert sich der Stand jetzt täglich. Der schon im Mai sehr verbreitete Draht“ wurm hat den Hafer auch im Juni noch vielfach beschädigt.

Von den Hackfrüchten haben die frühen und auch die späten Kar— toffeln mit wenigen Ausnahmen einen günstigen Stand. Shwohl sie in einigen Gegenden noch sehr zurück sind, da die fpäten Sorten viel, fach erst auflaufen, hat die Trockenheit diefen Früchten bisher kaum geschadet; bei längerer, Dauer wäre sie ihnen aber bald zum Ver— hängnis, geworden. Leider macht sich jchon vereinzelt die Blattroll—⸗ und Kräuselkrankheit bemerkbar. Bei den Zucker und Futterrüben ist die Beurteilung im allgemeinen zurückhaltend, da ihre Entwick— lungszeit erst beginnt und mit dem Verfetzen vielfach wegen des trockenen Bodens gewartet worden ist. Viel geklagt wird über das massenhafte Auftreten der sehr schädlichen Rübenfltege. Auch Wurzel⸗ brand ist, vereinzelt beobachtet worden. Eine weirere häufige Klage erstreckt sich auf das Ueherhandnehmen des Unkrauts in den' Rüben⸗ feldern, da es an Arbeitskräften zur Beseitigung mangelt.

Ueber die Futterpflanzen und Wiesen lauten die Nachrichten sehr verschieden, je nachdem sie vom Frühjahrswetter günstig oder un—= günstig beeinflußt worden sind. Im allgemeinen war das zumeist falte und trockene Wetter dem Wachtztum nicht förderlich. Der erste Schnitt von Klee und Luzerne ist eingescheuert und bat vielfach gute Erträge in Beschaffenheit und Menge geliefert. Die Entwicklung der Pflanzen für den zweiten Schnitt ist im ganzen nicht ungünstig, doch sind verschiedentlich große Schläge bei der Trockenhekt aus⸗ gestorben. Die Heuernte ist überall im Gange, in einigen mittleren und westlichen Bezirken sogar schon beendet. Auf den Rieselwiesen und auch auf den tiefliegenden anderen Wiesen fällt der Ertrag so⸗ wohl in Beschaffenheit als auch in Menge bhesser aus als erwartet worden war. Auf den übrigen Naturwiesen fehlt zumeist das Unter— gras; auch war ein kräftiges Wachstum der anderen Gräser wegen Kälte und, Trockenheit nicht möglich. Soweit die Heuernte noch nicht erledigt ist, macht die Bergung jetzt viel Schwierigkeiten. Ueber die Weiden, die häufig kahl und grau sind, wird viel geklagt. Stellen⸗ weise muß das Vieh hungern.

Außer den bereits erwähnten Insektenarten, wie Erbs- und Raptläfer, Rübenfliegen, Drahtwurm im Hafer und Erdflöhen in den Hülsenfrüchten, haben tierische Schädlinge kaum Erwähnung ge— funden. Die sonst in trocknen Feldern oft auftretenden Mäufe' sind nur in einigen Kreisen festgestellt wo den. Unkräuter, besonders Hederich, Disteln, Vogelwicke und Quecken, sind sehr verbreitet und beeinträchtigen das Wachstum der Früchte oft erheblich.

Immer wieder kommen Klagen über Leutemangel; oft steht nur der vierte oder fünfte Teil der benötigten Hilfskräfte zur Verfügung. Man hat ernste Bedenken, ob die Bergung der Ernte ausgeführt werden kann. Der Anbau von Hackfrüchten, besonders der Zucker— rübe, hat schon wegen dieses Mangels erheblich eingeschränkt werden müssen., Es wird nachdrücklich betont, in den Städten Tausende von kräftigen und ledig'n Personen arbettsles sind und unterstützt werden, die auf dem Lande gutbezahlte Arbeit und kräftige Kost erha ten lönnten. Ferner wird, wie allmonatlich, über das Fehlen von Tünger, und zwar hauptsächlich Stickstoff und Phosphate, qdflagt. Den zur Verfügung Fehenden Kartstickstoff verwendet man nicht gern, da er beim Stieuen starle Reizungen auf Augen und Atmungsorgane veruisalt.

Von, den 643 im ganzen tätigen landwirtlchaftlichen Ver— trauensmännern sind bis zum 4. d. M. infolge der Sperrung einzelner Eisenbahnlinien nur 3614 Berichte eing gangen, z. B. aus dem Re⸗ gierungsbezirt Breslau nur 28 von 227, aus dem Bezirk Liegnitz 64 von 209 und aus dem Regi⸗rungsbeziirk Oppeln 1 von 183.

Washington, 9. Juli. (W. T. B.) In dem heute ver— öffentlichten Monatsbericht des Ackerbaubür os wird der Durch⸗ schnittsstand der hauptsächlichsten Halmfrüchte wie folgt an— gegeben: Winterweizen 89 vo gegen 4,9 vH im Vormonat und J. vH zur gleichen Zeit des Vorjahrs, von Frühjahrsweizen mit 390,9. v9 (91,A2 bew. S864 vo), Mais S6,7 v9 gegen 87 vH im Vorjahr, Hafer 87 vH (5,3 bezw. 85.5 vo), Gerste 87, 4 vyH (l,? bezw. 845 vH), Roggen 85,7 vH (955,5 bezw. 80, 8 v9), Leinsaat. 73, vp. gegen 79, vd im Vorjahr. Die Anbaufläche von Mals wird mit 102 977 000 Acres an— gegeben, von Leinsaat mit 1851 600 Aeres gegen ein endgültiges amtliches Ergebnis von 107 494 09900 bezw. 1938 006 Acres im letzten Erntejahr. Was das voraussichtliche Ernteergebnis

J

anbetrifft, so werden folgende Zahlen bekannt gegeben: Winterweizen S839 Mill. Bushels, Frühjahrsweizen 322 Mill. Bushels, Mais 2515 Mill. Bushels, im Vorjahr betrugen die endgültigen amtlichen Ernteziffern für die obigen Getreidearten Hos O60 000 bezw. 359 000 000 bezw. 2 583000 09 Bushels. Das Ergebnis der Haferernte wird auf 1493 0090 Bushels geschätzt gegen 1 533 (00 000 Bushels im letzten Erntejahr, von Gerste auf 231 Mill. Busbels (256 909 000 Bushels), von Roggen auf 103 Mill. Bushels (89 Mill. Bushels) und von Leinsaat auf 13 Mill. Bushels (19 Mill. Bushels).

Handel und Gewerbe. M. J *

Am 9. Juli d. J. waren laut Meldung des W. T. B. aus Berlin im Reichswirtschaftsministerium Vertreter der Eisen und Stahl erzeugenden Industrien versammelt, um im Beisein der be— teiligten Händler und Verbraucher sowie der durch die Arbeitz— gemeinschaft vertretenen Arbeitnehmer über die Bildung einer Außenhandelsstelle für das Gebiet der Eisen⸗ und Stahlerzeugung zu beraten. Grundsätzlich wurde in einer seitens der Ei en- und Stahlindustriellen verlesenen Er— klärung dem Plane der Bildung einer Außenhandelsstelle zuge⸗ stimmt. Es wurde jedoch Wert darauf gelegt, daß als entscheidendes Organ zur Ausführung der von den Behörden gegebenen NYächt— linien der Vertrauensmann (Reichsbevollmächtigter) auftreten soll, und daß der zu biltende Außenhandelsausschuß, in dem alle Inter— essentengruppen zugleich vertreten sind, zur Erledigung der vorliegen⸗ den Aufgaben nur gutachtlich tätig ist. An dem System der bis— herigen Handhabung der Ausfuhrverbote soll nichts geändert werden. Gewünscht wird ferner die Regelung der Einfuhr durch die Außen— handelsstelle.

Die erschienenen Vertreter des Handels und der verschicdenen Verbraucherkreise waren mit der von den Eisen und Stahl er— zeugenden Industriellen vorgeschlagenen Fassung einverstanden. Die Vertreter der Arbeitsgemeinschaft äußerten geni se Bedenken, be— hielten sich jedoch ihre endgültige Stellungnaome vor, da sie zu der ihnen erst in der Versammlung bekannt gewordenen Fassung sich zunächst mit ihrem Zentralporstand beraten müßten. Der Vertreter des Yieichswirtschaftsministeriums konnte eine Erklärung über die endgültige Stellungnahme seiner Behörde nicht abgeben, gab sedoch der Erwartung Ausdruck, daß die vorgeschlagene Fassung eine geeignete Gcundlage zur Bildung der Außenhandelsftelle geben möge. Es wurde eine Kommissien eingesetzt, in der alle Interessentengruppen vertreten sind, um die Satzung der baldmöaglichst ins Leben zu rufenden Außenhandelsstelle im Benehmen mit dem Reichswirtschaftsministerium auszuarbeiten.

In der gestern im Stahlwerks verband begonnenen Aussprache über die Preise wurden laut Meldung des . W. T. B.“ aus Düsseldorf von allen Seiten die durch die Verleuerung der Brennstoffe, die Erhöhung der Löhne und die anhaltenden geringen Aroeitsleistungen entstandenen weiteren Erhöhungen der Selbftkosten hervorgehoben und der Nachmeis erbracht, daß die gegenwärtigen Verkaufspreis⸗ für die große Mehrzahl der Werke mit erhebli ven Verlusten verknüpft seien, und daß daher ein Ausgleich durch eine Pre serhöhung an sich dringend geboten sei. Trotz dieser sachlich unwiderlegbaren Gründe, die einen wenigstens teilweisen Ausgleich der gestiegenen Selhstkosten durch ne entsprechende Er—⸗ höhun! der Verkaufspreise erheischen, entschloß sich die Mehrheit der im Stahlwerlsverband vereinigten Werke, den Hauptversammlungen der ein elnen Gruppen vorzuschlagen, soaß zunächst von einem Preisaufschlag abge⸗— ehen und die Beschlußfassung darüber um vier Wochen vertagt werde. Maßgebend für diefen Beschluß waren allgemeine Gründe. Namentlich die Hoffnung, daß derselbe den Beginn des allgemeinen Abbaues der jetzigen Preise bedeuten würde, und Erwartung, daß die gegenwärtig im Gang befindliche Herahsetzung der Lebensmittelpreise auch eine Ermäßigung der Löhne im Gefolge haben werde sowie daß anerkannt werde, daß der heutige Entschluß, den seit der letzten Preisfestsetzung erhöhten Brennstoff— preisen und Löhnen nicht zu folgen, tatsächlich einen weiteren bedeut— samen Schritt zu einem allgemein wünschenswerten Abbau der allgemeinen Preisbildung darstelle.

Berichte von auswärtigen Wertpapier märkten.

Wien, 10. Juli. (W. T. B.) Die Note Clemenceaus an Renner, durch welche eine wesentliche Milderung der wirtschaftlichen Friedensbedingungen für Deutsch Oesterreich zum Ausdruck gebracht wird, wurde an der Börse mit einer sprunghaften Aufwärts— bewegung der Kurse begrüßt. Die führenden Kulissenpapiere erhöhten ihren Kursstand bei lebhafter Nachfrage um 10 bis 25 Kronen, Staatsbahnaktien infolge starker Deckungen um 39 Kronen. Cinen guten Eindruck machte auch die Ratifikation des deutschen Friedensvertrags. Im weiteren Verlauf trat jedoch ein merklicher Rückschlag ein, der durch die seitens der Börsenkammer beschlossene Aufhebung des Ver— kehrs in ausländischen Wertpapieren (siehe unten) herheigeführt wurde. Unter diesen Umständen gingen die anfänglichen Kurs- steigerungen zum größten Teil wieder verloren. Der Schranken wurde aber von der Abschwächung der Kulisse nicht berührt. Schiff— fahrts-, Eisen⸗, Petroleum, und Motorenfabrikatlon standen an— dauernd in Nachfrage. Der Rentenmartt war bei schwächeren Kursen vernachlässigt. Im Sinne des heute in Kraft tretenden Gefetzes zur Sicherung der Lebensmittelkredite hat die Börsenkammer beschlossen, von heute an keinen Verkehr mehr in ausländischen Papieren statt— finden zu lassen. Hiervon werden beson ders Orientbahn⸗, Türkische Tabak., Konstanzer Holzverkohlunge, Götz Holz-, Scheidemandel, Elbeschiffahrt. usw. Aktien betroffen.

Wien, 10.. Juli. (W. T. B.) Amtliche Notterungen der Deutsch - Oesterreichischen Devisenzentrale: Berlin 22250 G. 222.50 B., Amsterdam 1247,50 G., 1249,50 B., Zürich 703 50 G., I0ö,90 B., Kopenhagen 737.50 G. 739, 00 B., Stockholm 801, 00 G., S02.50 R., Christianla 790 00 G.. 791,50 B., Marknoten 220 25 G.,

220,85 B.

Wien, 19. Juli. (W. T. B.) (Börsenschlußkurse.) Türkische Lose —— Drienthahn - —, Staatsbahn 54,50, Südbahn 170,75, Oesterreichischer Kredit 576, 90, Ungarischer Kredit 585,00, Anglobank 339, 0, Unionbank 467, 009, Ban verein 404, 00, Länber— bank 41500, Tabakaktien ——, Alpine Montan al 5,00, Prager Eisen 2545,00, Rima Muranyer Skodawerke 702,00, Salgo Fohlen ——, Irüxer Kohlen Galizia 1800,60, Waffen W000, Llovd⸗Aktien 3875, 059, Poldihütte 799 00, Daimler 577 00. Oejterreichische Goldrente 115,00, Oesterreichische Kronenrente 81, 75, Februgrrente 82,00, Mairente 82, 00, Ungarische Goldrente 116,00, kann f he Kronenrente . —.

London, 9. Jull. (W. T. B.) 2 oso Englische Konsolg 523, 9 dο Argentinier von 1886 97, 4 Brasilianer von 1889 65, 4 oo Japaner von 1889 69g, 3 ol Portugiesen ha, O o Russen von 19606 534, 443 0 Russen von 1909 354, Baltimore and. Ohio ——, Canadian Pactfie 175, Erie —, Rational Railways of Mexico 10, Pennsplbania —, Southern Paeifie

Union Pacifie —, United States Steel Corporation 124, Anaconda Copper ——, Rio Tinto 593, Chartered 2313, De Beers 24, Goldfields 2, Randmines 33 m.

Amsterdam, 19. Juli, (KW. T. B.) Wechsel auf Berlin 17 86. Wechsel auf Wien 7,90, Wechsel auf Schweiz 47, 15. Wechsel auf Kopenhagen 60, Wechsel auf Stockholm 65,65, Wechsel auf New Jork 262,75. Wechfel auf London 11,814, Wechsel auf Paris 38,0, Wechsel auf Christiania 63 8h. 5 ο0 Niederländische Staatsanleihe von 1915 Ii, 3 060 Niederländische Staatsanleihe 60, Königl. Niederländ. Petroleum 795, Holland Amerika - Linie 430, Niederländisch Inoische Handelsbank 270, Atchison, Topeka u. Santa