1919 / 227 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 04 Oct 1919 18:00:01 GMT) scan diff

festelt werden wie in der großen Stadt. Aber die Ueberteuerungs— osten, die das Reich für die Wohnbauten gibt, decken noch nicht den vollen Bedarf. Für ein Zwelfamilienbaus auf dem Lande sind die Kosten auf 81 500 M berechnet worden, das Neich gibt aber dazu nur 22 000 6. Wenn die staatliche Forstverwaltung schon früher Holz geschlagen hätte, dann hätten die Bau ölzer schon aës— trocknen können j ̃ ;

werden. Durch die

werden die Dinge

schnell bauen, wenn Staatstommissar für

Siedlungsgesellschaflen je

diese Mit klei lungsgesellschatten und

838 2119 25m . j Foro as platte Land und die kleinen

Kreisen zur

sofor

Landstädt

96 T für dig vr . L Dil

.

Belieferung mit Kohlen in den

(Beifall.)

Zur Beantwortung der Interpellation nimmt das Wort der

Reichsarbeitsminister Schlicke: Der Herr Vorredner hat ja

bereits sehr richtig darauf hingewiesen, daß die Schaffung von

Wohnungsräumen von zwei Umständen abhängig ist: erstens ven dem Baustoffe und zweitens von den. Mitteln. Der Herr Reichs kommissar für Wohnungswesen hat erst letzthin in der Preußischen Landes— versammlung darauf hingewiesen, daß in normalen Zeiten 200 00 Wohnungsbauten im Jahre vorgenommen werden. Der Bauaufwand hat 1 Milliarden Mark betüöagen. Heute liegen die Verhältnisse so, daß sehr wahrscheinlich der Bedarf an Neubauten ein größerer ist. Aber selbst angenommen, der Bedarf wäre nicht größer, so ist doch in Betracht zu ziehen, daß die Baukosten sich gegen die Friedenszeiten mindestens verfünffacht haben. Gibt man das zu und daz ist. meiner Ansicht nach noch mäßig —, so würten sich die Baukosten jährlich auf 73 Milliarden Mart stellnn. Rechnet man davon ab, daß von diesen 77 Milliarden ungefähr 2 Milliarden, also ungefähr die in Friedenszeiten entstandenen Baukosten rentierbar sind, so bleiben immerhin noch als abbürdbarer Betra! 55 Milliarden Mark jährlich übrig. Diese gewaltize Summe aus NReichsmitteln aufzubringen neben den übrigen Lasten, die das Reich zu tragen hat, ist unmöglich.

Das Reich hat, wie der Herr Vorredner auch schon mitteilte, im Jahre 1918 300 Millionen zur Verfügung gestellt, im laufenden Etat sind 200 Millionen angefordert, und außerdem habe ich den Herrn Reichsfinanzminister ersucht, weitere 150 Millionen in den laufenden Etat einzustellen. Der erste Absatz der Inteipellation wäre eigentltch damit beantwortet: Die Regierung fordert 150 Mil— lionen Mark über die bisherigen 500 Millionen Mark.

Der Herr Reichskommissar für Wohnungswesen hat mir aber mitgeteilt, daß diese Summen unzureichend sind, und sie sind es auch dann, wenn in diesem Jahre nur die begründeten Anträge befriedigt werden. Preußen eihält von den 160. Millionen 90 Millionen und hat dazu aus eigenem 45 Millionen aufzubringen, so daß ihm für diesen Zweck ein Betrag von 135 Millionen zur Verfügung steht. Tatsächlich liegen aber beute schon begründete Anträge in Höhe von 2560 Millionen Mark vor. (Hört! kört! rechts.)

Aehnlich wie in Preußen ist es in den übrigen Bundes staaten, in Württemberg, in Baden, die bekanntlich auch sehr stark unter dem Zustrom von Elsaß-Lothringern und aus den besetzten Gebieten zu leiden haben. Ueberall wird darüber geklagt, daß die Mittel nicht ausreichen. Der Nationalversammlung hat ja selbst erst vor einiger Zeit eine Anfrage Rückert vorgelegen, die sich gerade mit dieser Angelegenbeit beschäsftigte.

Die Vermehrung der Anträge auf Baukostenzuschüsse ist aber in letzter Zeit sehr stark gestiegen, so daß meiner Ansicht nach auf diese Weise dauernd überhaupt nicht gebolfen werden kann. Es muß ernstlich in eine Prüfung eingetreten werden, um Mittel und Wege auffindig zu machen, hier in anderer Weise zu belfen. Ich möchte der Auffassung Ausdruck geben, daß vielleicht gerade die Bewilligung der Ueberteuerungszuschüsse mit dazu geigetragen hat, daß sich die Preise im cireculus vitiosus beständig erhöht haben. Ganz ohne Einfluß wird das jeden alls nicht geblieben sein. Es wird in meinem Ministerium in Verbindung mit den anderen Ressorts momentan geprüft, in welcher Weise hier schnelle und durchgreifende Abhilfe geschafft werden kann.

Unabhängig von der Frage unter 1 ist der zweite und dritte Teil der Inteipellation. Der Herr Vorredner hat beklagt, daß für die kleinen Städte, sür die ländlichen Ortschaften verhältnismäßig wenig von den angeforderten Bettägen ausgeworfen worden ist. Sehr richtig) Ein Vorwurf ist daraus den Relchsstellen nicht zu machen, ebensowenig den Staatsinstitutionen. Die Sache ist einfach eine Folge der Entwicklung der ganzen Wohnungkfrage, die zunächst in den Großnädten am brennendsten war, städte veranlassen mußte, an Neubauten zu denken und sich dafür die Ueberteuerungezuschüsse zu sichern. Erst nach und nach, und zwar sehr langsam trotz mehrfacher Aufforderung, kamen die Anforderungen von dem platten Lande. Daher ist es gekommen, daß diese Anträge mit verhältnismäßig geringen Summen in die Erscheinung treten. Es ist aber selbstverständlich, daß auch dieser Frage die Regierung ihre Aufmerksamkeit zuwendet. Nach Möglichkeit wird dafür gesorgt werden, daß alle billigen Wünsche Berücksichtigung finden.

Als selbstverständlich betrachte ich es auch, daß die Reich“⸗ regierung für die besetzten Gebiete ganz besonders sorgt. Es schweben jetzt schon Verhandlungen über diese Frage, und die Reichsregierung trägt sich mit dem Plan, hier mit aller Entschievenheit durchzugreiten und, wenn nötig, durch selbständiges Vorgeben in den besetzten Ge— bieten dem Wohnungsmangel abzuhelfen. (Bravo! links.)

Es ist von dem Herrn Vorredner dann noch auf die Förderung der deutschen Baustoffindustrie hingewiesen worden, besonders darauf,

also die

daß die Kohlennot gerade in diesen Gebieten sich besonders bemerkbar)

macht. Ich möchte hier gleich darauf hinweisen, daß die Kohlenfrage nicht nur eine Förderungs⸗ und Verteilungsfrage ist, sondern daß sie im wesentlichen auch elne Transportfrage ist (sehr richtig! links), und solange es nicht möglich st, auf allen diesen Gebieten eine wesentliche Aenderung zu schaffen, wird es wohl auch kaum möglich sein, die berechtigten

Wünsche, die auch der Herr Vorredner unterstützt hat, zu erfüllen. Es entsteht dadurch nämlich auch die weitere Schwierigkeit des Ab—⸗ tranfports der fertigen Produkte. Solange dieser nicht erleichtert ich, wird eine noch so reichliche Zuteilung von Kohlen nur eine Maßnahme von recht zweifelbaftem Erfolge sein. Ea ist dann auch noch auf die Lehm- und Barackenbauten hin⸗ Ich muß sagen, daß über Lehmbauten in der sehr viel diskutiert und geschrieben worden ist, ie praltische Ausführung bat aber viel zu wünschen übrig gelassen. (Zutuf: Kommen Sie nach Niedersachsen) Das ist ja doch nur ein Teil. (Zuruf: Alles alte Häuser! Ich spreche nur von Neu⸗ ausführungen und jage: darüber ist schon viel geschrieben, aber es ist nur wenig ausgeführt worden. Aber auch diesem Problem widme ich meine Aufmerisamkeit. Ich habe letztlich erst Schritte getan, um diese Aufgabe ganz wesentlich zu fördern, zunächst einmal cinen größeren Kreis dafür zu interessieren und die praktische Durchführbarkeit dieser Bauweise 24 oculos zu demonstrieren. Ob Batackenbauten möglich sind, kann ich von bier aus nicht be⸗ urteilen, das gehört, streng genommen, nicht zu meinem Ressort. Ich möchte aber bemerken, daß die Anforderungen an Baracken in aller— nächster Zeit gaanz ungeheuer sein werden, so daß wohl auf durch— greifende Abhilfe mit diesem Mittel nicht gerechnet werden kann. Alles in allem möchte ich sagen: die Regierung ist bestrebt, auf diesfem Gebiete alles zu tun, was zur Besserung der Lage des Klein⸗ wohnungswesens beitragen kann. (Bravo! links.)

Auf Aatrag des Abg. Siehr (Dem.) findet die Be— sprechung der Interpellation statt.

Abg. Gölzer (Soz. : Privatleute können heute überhaupt nicht bauen, selbst den Verbanden, Siedlurgsgesellschaften usw. fällt das Bauen schwer, weil die Kosten zu hoch sind. Kein Unternehmer kann heute einen festen Kostenpvoranschlag machen, weil die Preise aller Baumaterialien fortzesetzt steigen. Wir müssen vielmehr zu den Holz- und Lehmbauten übergehen, und um diese Baumnethozen zu fördern, müssen die Gemeinden mit Holzlieferungen zur Hand gehen. Auch die Isolieiplattenbauten bewähren sich, aber auch dazu sind größere Mutel den Gemeinden zu bewilligen. Mit den bisherigen zur Verfügung gestellten Reicksgeldern kann man der Wohnungsnot in Deutschlond nicht beikom men.

Abg. Schirmer (Sentr.):: Schon vor zwanzig Jahren habe ich im banerischen Landtage auf die wachsende Wohnungsnot hin— gewiesen. Tiotz aller unser'r Miahnangen, namentlich meins Pertei⸗ sfreundes Dr. Jäger, ist nichts wesentliches geschehen. Die Sozial demokraten haben immer auf den Zukunftsstaat verwiesen und alle bürgerlichen Wohnungspolitiker als Sozialquacksalber bezeichnet. Im Wohnungsautschuß des Reichstages halten wir damit gerechnet, daß die nach dem Kriege freiwerdenden Baumaterialien dem Rzohnungsbau zur Verfügung gestellt werden würden. Heute ist die Wohnungsnot weniger eine Geld- als Material. und Arbeiterfrage. Die Streiks miüssen autbören, damit wir Baumaterialien bekommen die Arbeits- losen müssen an die entsprechenden Arbeitsstellen gebracht werden. Wir müssen all zusammenstehen, um auf diesem Gebiete etwas zu erreichen und die zu bewilligenden Summen richtig zur Verwendung zu bringen (Beifall).

Abg Mum m (D. Not.): Die Wohnungsnot ist so groß, daß die Städie den Zuzug verbieten müssen. Die Schaffun s einer Ver— suchsfiation für die einzelnen Bauarten ist notwendig, das Material⸗ prüfungtamt genügt sjür diese Zwecke nicht. Dabei muß be— sondere Rücksicht genommen weiden auf die Peüfung be. so ders piagttischer, schnell auszufübrender und sparsamer Bau— weisen. Die hürokratischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Bauordnung müssen beseitigt werden. Auf dem Lande ist es erforderich, daß Miels- und Arbeitsverträge nicht miteinander verquickt werden. Die Reihungepunkte zwischen Aibeitgebern und Aibeitnehmern werden dadurch nur noch vermehrt. Bei Be— willigung der Reich

. C

ii 11

s wenn V zu treuen

Händen zur Verfügung gestellt würde, auch müssen fie direkt mit dem Reichswehnungskomwissar Verbindung bekommen, damit ine Beschleuniaung des Kleinwohnungsbaues mönlich wird. Mit dem Miet- kasernenelend muß gebrochen und die Freude an der eigenen Scholle gefördert werden. Für die besetzten und Ab— stimmungsgebiete muß alles nur Mögliche geschehen, um auch durch die Wohnungsförderung den dortigen Deutschen klar zu inachen, daß es am besten ist, wenn sie beim deutschen Vaterlande bleiben (Beifall). Unterstaatssekretär Scheidt: Wenn der Interpellant über den langsamen Geschäfisgang geklagt hat, in dem die Anträge auf Ueber— teuerungszuschüsse erledigt werden, so ist zu sagen, es ist ein Irrtum, wenn angenommen wird, daß es Gründe bürokratischer Natur sind, die einer schnellen Erledigung der Anträge entgegenstehen. Nur der Mangel an Mitteln verursacht häʒnfig eine fo lange Stockung an der Erteilung eines Bischeides. Die aus Reichsmitteln kewilligten Gelder sind sehr schnell aufgebraucht worden, das Reichsfinanzministerium hat weitere Mittel zur Verfügung gestellt, auch sie sind verbraucht. Der preußische Finanzminister konnte weitere GIder nicht gene migen. weil Preußen jetzt wieder an den Elat gebunden ist. Erst in den letzten Tagen mar es mönlich, die Bedenken des Finanzminissers zu b'seitigen, und darauf gingen innerhalb von 24 Stun zen auch wi der die Bescheide aus dem Hause, so daß heute auch diese 150 Millionen bereits aus— gegeben worden sind. Gerne hätten wir für das Land mehr geian, aber die Wohnungsnot in ven Städten trat so eindringlich hervor, daß es notwendig wurde, ihr mit den vorbandenen Mitteln nach Möglichkeit entgegenzutreten. Diese Mittel reichen kaum aus, um die dringlichsten Antäge zu befriedigen. Besondere Rücksicht wird auch auf die Wohnungs—⸗ fürsorge für Eisenbahnarbeiter genommen, die in der Nähe der Eisen— bahnwertstätten Wohnung finden nüssen. Die mehrfach aufgetretene A sicht als ob zwischen dem Landwirtschaftsminister und dem Wohnungs—

kou m ssas Meinungeverschiedenkeiten beständen, trifft nicht zu. Sn

einer Berordnung ist der Bau von Luxuswohnungen verbeten worden, dan Gehören auch namentlich die Kinobauten. Die Aufführung üÜber— flüssiger Bauten wind in Zukunft mit hohen Geldstraten belent we den, und zwar bis zu 150 0c0 M, weil sonst die Strafe nicht genünend abschreckend wirken würde. Leder wird vom 1. No— bember, ab die bisher schon unzureichende Kohlenmenge für Hernelleng von Baumaterialien noch weiter verringert werden muüssen, um den Ausfall einigermaßen auszugleichen, wird es nvefwendig, derjenigen Ziegeleien zu bevorzugen, die einen tadellosen Betrieb aben, jo daß möglichst viel Material he hestellt werden kann. Die Förderung des Holzbaues scheitert an der Kostenfrage. Der Lehmbau dürfte die aussichtsreichste Methode ssin. Wenn vom Abg. Gölzer darüber geklagt worden isf, daß seiner Heimatsiadt in Bayern keine Reichsmittel für Musterbauten bewilligt

worden sind, so liegt das daran, daß Bavern seinen Aateil restlos er⸗

halten hat; er muß sich also an den bayerischen Staat wenden. Die Bau— ordnun in zwetfellos mangelhaft, ich hahe deshalb eine neue Musterbau—⸗ ordnung hergusgegehen, die nach Ansicht der Sachverständigen allen berechtigten Ansprüchen genügen wird. Sie bringt für die niedrige Bauweijse ganz erhebliche Erleichtérungen und auch der Fachwerkbau wird wesentliche Förderung durch sie erfahren. Die ländlichen Sied— lungen können leider nicht besonders bevorzugt werden, dem Ministerium für Volkswohlfahrt in Preußen liegen Hun dertmillionen-Anträge vor, für die keine Deckung vorhanden ist. Dle Erteilung von Vorschüssen ist vraktisch nicht möglich, es würde damit der Einfluß auf die Pioj kte verloren gehen. Im ührigen wird von uns alles nur Mögliche getan, um die Miel tasernenbauten auszuschalten und niedrige Häu ei zu eib juen. Die ersprießliche Tätigkeit des Wohnu nge aug schusses des Reichstags eikennen wir mit Dank an, wir hoffen, daß auch bei der

Nationalversammlung ein derartiger ständiger Wohnungsausschuß ge⸗ bildet wird, der uns wertvolle Anregungen gibt, durch die wir die außerordentlich großen Schwierigkeiten beim Wohnungebau hesser als bisher beheben können. Seitens der Regierung wird das Menschen— mögliche geschehen, um den Wohnungsbau zu fördern, zum mindesten die außerordentlich großen Schwierigteiten hetabzumildern, die ihm entgegenstehen. (Beifall.)

Abg. Henke (U. Soz.): Wenn man unseren Ratschlügen gefolgt wäre, wäre die Wohnungsnot nicht so groß geworden. Die bürger— lich! Gesellschaft kann diese Frage überhaupt nicht lösen; die Wohnungsfrage ift eine so ial' Frage. Es bestebt noch immer nicht das nötige Verständnis dafür in, den bürgerlichen Kreisen. Das gesamte Wohnungswesen muß sozialisiert werden, un) das ist in erer Linie eine Aufgabe der Gemeinden. Die Bodenspekulation ist eine Ussacke der Wohnungönot und ein Hindernis für die Verbesse⸗ rung. Beim Wohnungebau könnte eine ganze Menge Menschen beschäftigt werden. Solange wir die kavitalistische Produktionsweise haben, werden wir eine Wohnungsnot haben. Mit dem, was die Re⸗ gierung gesagt hat, können die Arbeiter, die am meinten unter der Wohnungsnot leiden, richt zufrieden sein. Die Arbesterklasse ist die wichtigste Klasse der Bevölkerung, weil ohne sie keine Produktion möglich ist; deshalb müssen die alten Sünden im Interesse der Arbeiter wieder gutgemacht werden. Sobald der Mieterschutz wieder etwas gelockert wird, werden die Mietspreise ungeheuer steigen. Nur wenn wir an die Sozialisierung des Wohnungewesen heran—⸗ gehen, werden die Wohnungsverhältnisse nicht nur der Aibeiter, sondein der ganzen Bevölkerung in den Städten gebessert werden können. Wir find einverstanden mit den vorgeschlagenen Mitteln, um Abhilfe für die nächste Zeit zu schaffen, aber dabei darf es nicht bleiben. All die bösen Folgen des Krieges können nicht anders be—⸗ seitigt werden als auf dem Wege des Sozial smus. Bloße Ver sprechungen, mögen sie noch so schön sein, konnen die Arbeiter nicht zufriedenstellen. .

Abg. Oertel (D. V.): Das Wohnungselend und die sittliche Verwahrlosung gehen miteinander. Eg ist patriotische Danket pflicht, den Hunderttausenden Kriegsteilnehmern, die jahrelang die Enge drs Schützengrabens ertragen haben, ein Heim zu bieten, in dem sie sich körperlich und seelisch erholen können. Es ist auch eine wirtschafthche Notwendigkeit, weil die unruhige, hin und her fluktuierende und heimatlose Bevölkerung ein Herd der Unzufriedenen ist. Die Nationalversammlung und die Regierung haben sich ihrer Pflicht nicht entzogen, sondern die Mittel für die Ueber—

feuerungszuschüsse bereitgestellt, um das Wohnungselend zu bekämpfen.

Diese Mittel müssen jetzt erhöht werden. Wir werden noch viele hundert Millionen bewilligen müssen, um die Gemeinden instand⸗ zusetzen. die Wohnungsnot zu beseitigen. Bei den Baukosten— zuschüssen ist bisher dos platte Land schlecht weggekommen, aber auch dort ist die Wohnungsnot akut. Wir müssen Arbeitskräfte auf das Land bringen und die Kriegsteilnehmer dort ansiedeln. Das Land schreit nach Abeitskräften Wenn nicht die größten Ernährungsschwierigkeiten eintreten sollen, muß die Regierung dem Lante in Zukunft die größte Aufmerksamkeit schenken. Die Be— schaffung der Mittel ist die schwierigste Frage, aber der Regierung muß der Vorwurf der Löingsomkeit gemacht werden; tis dat qui cito dat. Schließlich erbit'et der Redner die Hilfe der Regierung für die Gemeinden im Westen zur Wiederhersteuung der durch den Rückmarsch der Truppen zerstörten Wege, die vollkommen neu gebaut werden müßten.

Damit ist die Interpellation erledigt.

Schluß 5/4 Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr. (Nachtragsetat für die Besoldungen; Ausschußbericht über die Bildung des Stickstoffsyndikats.)

Preußische Landesuersammlung. 59. Sitzung am Freitag, den 3. Oktober 1919. (Bericht von „Wolffs Telegraphenbüro“.)

Am Regierungstisch: die Staatsminister Dr. Südekum und Braun.

Präsident Leinert eröffnet die Sitzung um 1220 Uhr.

Auf der Tagesordnung stehen zunächst kleine An⸗ fragen. ö

Abg. Richt ar sky (Zentr.) fragt, ob das Verfahren des Staatskommissars Hörsing zu Recht bestehe, wonach dieser verfügt hat daß in Leobschütz Magistratsmitglieder und Stadt— verordnete dem Volksrat nicht angehören dürfen, während dies doch in Breslau und anderen schlesischen Städten von ihm für zulässig gehalten werde. Er fragt ferner, ob die Regierung der Auffassung sei daß die Volksräte die kommunalen Körperschaften zu überwachen haben.

Der Regierungsvertreter verneint die letztere Frage.

Die Deutschnationalen Matschkewitz und Wenner ragen, was die Staatsregierung zu tun gedenkt, um die weitere 3uw an de⸗ rung von Ostjuden nach Deutschland zu verhindern. Täglich seien Hunderte und Tausende galizischer und polnischer Juden über unsere Grenze gekommen, um der zwangsweisen Einstellung in die polnische Armee zu entgehen. Dadurch werde bei uns die Nah⸗ rungsmittelnot und das Wohnungselend gesteigert. Ein großer Teil der zumeist mittellosen Juden verfalle in turzer Zeit dem Verbrecher⸗ tum, wie die Verhandlungen vor den Berliner Ferienstrafkammern in den Fällen Raphael Gelbbaum, Heische Wasserschleim und Josua Mandelblüt erweisen.

Der Vertreter der Regierung erklärt, daß der Re— gierung diese Umstände bekannt sind, daß aber, jolange der Friede mit Polen nicht, geschlossen ist, die Abschiebung solcher Flüchtli ge, die sich der polnischen Wehrpflicht entzogen haben, sich nicht empfehle. Konfessionelle Unterschiede dürften keine Rolle spielen.

„Die Sozialdemokraten fragen, was die Regierung tun will, um die lrotz des Erlasses vom 2. Juni sortbestehende steuer—⸗ liche Benachteiligung der Kriegsteilnehmer zu beseitigen.

Die Regierung läßt erwidern, daß sämtlichen Behörden die genaue Beobachtung des Erlasses erneut zur Pflicht gemacht worden ei. Ob den Kriegsteilnehmern künftig besondere steuerliche Ver— günstigungen gewährt werden sollen, wird bei Vorbereitung der be— züglichen Gesetzgebung geprüft weren.

Es, folgt die erste Beratung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum Reichssiedlungs⸗ gesetz vom 11. August 1919.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Braun: Meine Herren! Das vorliegende Gesetz ist nur ein Ausführungs— gesetz zu einem Reichsgesetz, das geschaffen ist, um der inneren Koloni⸗ satien neus Wege zu bahnen. Das Reichssiedlungsgesetz vom

11. August d. J. soll die Siedlungsmöglichkeit erleichtern und dadurch lebhafter gestalten.

In der Oeffentlichkeit ist nun kürzlich gegen das Landwirtschafts— ministerium der Vorwurf erhoben worden, es fördere die Siedlung nicht genügend und sei auch vor allem noch nicht zur tatkräftigen Aus— führung des Reichssiedlungsgesetzes übergegangen. Dieser Vorwurf ist unberechtigt. Ich erinnere daran daß der Vorläufer des Reichs— siedlungsgesetzes eine Verordnung war zur Beschaffung von landwirt⸗— schaftlichem Siedlungsland vom 29. Januar d. J. Meine Ver⸗ waltung ist damals sofort daran gegangen, die Ausführungsbestim— mungen für diese Verordnung zu schaffen.

Inzwischen trat die Nationalpersammlung zusammen und schickte sich an, die Verordnung zu ändern, ihr eine gesetzliche Form zu geben. Nach monatelangen Beratungen ist dann dieses Reichssiedlungsgesetz fertig geworden, am 11. August d. J. Publiziert worden und damit

in Kraft getreten.

Sogleich nach Zusammentritt dieses hohen Hauses habe ich

. sodann dem Hause den Entwurf zum Ausführungsgesetz zugehen lassen. Schneller konnte meine Verwaltung wohl kaum arbeiten, und der Vor— wurf, daß sie nicht schnell genug gearbeitet hätte, entbehrt demgemäß

. wohl der Berechtigung. 4

Gleichwohl sind die mit der Siedlung betrauten Körperschaften

nicht untätig gewesen. Die Siedlungstätigkeit, die ja in Preußen be—

reits vor dem Reichssiedlungsgesetz seit Jahren betrieben wurde, hat auch, soweit die anormalen Verhältnisse nicht hinderlich im Wege standen, während der letzten Monate nicht geruht. Freilich, alle hoch⸗

geschraubten Hoffnungen auf Siedlung und Landbeschaffung konnten

nicht erfüllt werden; der Landhunger ist geradezu ich möchte sagen

wie eine Epidemie durch das Volk gegangen; alles will Land. Leute, früher nicht daran dachten, sich Land zu beschaffen und es zu bebauen, erlangen jetzt Land. 9

Die größte Schwierigkeit in der Befriedigung dieses Landhungers liegt nun darin, daß diese landhungrigen Leute nicht eine pbeliebige Fläche haben wollen, sondern sie wollen Land in der Nähe ihres Wohn⸗ prtes, in der Nachbarschaft des Landes, das sie bereits bewirtschaften.

m lassen sich naturgemäß nicht alle Wünsche befriedigen. Ich muß auch hier wieder hervorheben, daß diejenigen, die vor Bahr und Tag den Siedlungsgedanken ün allen Teilen unseres Volkes propagiert, Millionen Land und Siedlung versprochen haben, aller— ngs seinerzeit gefeiert worden sind. Diejenigen, denen nun die undankbare Aufgabe zufällt, diese im Hinblick auf unsere Verhältnisse nerfüllbaven Versprechungen auszuführen, haben weniger darauf zu echnen, von der Mitwelt gefeiert zu werden.

Meine Damen und Herren, ich sagte schon es sei alles geschehen, um auf dem Gebiete der Siedlung voranzukommen und insbesondere den Landhunger, der jetzt so stürmisch hervortritt, zu befriedigen. Die Sied— lungsgesellschaften, die früher schon in den Provinzen und Kreisen usw. tätig waren, sind nach wie vor am Werke gewesen. Freilich, das

Tempo ihrer Tätigkeit befriedigt nicht. Es liegen hier die bekannten

chwierigkeiten wegen des Mangels an Baumaterial und die weiteren Schwierigkeiten der Inventarbeschaffung vor, die in Hinblick auf die wise, die heute für lebendes und totes Inventar verlangt werden, ganz ungeheuer sind und den Ansiedler auf Jahre hinaus unerträglich elasten würden, so daß das wirtschaftlich junge Unternehmen von rn! ercin gefährdet ist. Trotz aller dieser Schwierigkeiten wird aber bersuicht, durch Anwendung der verbilligten Bauweise, insbesondere burch Einsetzung der eigenen Arbeitskraft der Ansiedler bei Errichtung der Baulichkeiten, doch etwas auf dem Gebiet des Anbaues zu schaffen. In der Hauptsache mußte sich die Tätigkeit der letzten Zeit allerdings zarauf beschränken, die Adjazentenparzellie rung mehr zu forcieren, d. h. enen Land zuzuweisen, die bereits eine Wirtschaftsstelle haben und

demgemäß über die Bauschwierigkeit und die Schwierigkeit der

Inventarbeschaffung hinaus wären.

Da die Bestimmungen der Reichssiedlungsordnung noch nicht in taft waren und das Ausführungsgesetz naturgemäß auch noch nicht orliegen konnte, so mußte in der Hauptsache mit den Mitteln der

bringenden Einwirkung auf die privaten Landbesitzer versucht werden, enügend Land für die Adjazentenparzellierung zu bekommen. Es mußte weiter auch versucht werden, insbesondere Pachtland für die— jenigen Arbeiter, die auf dem Lande wohnen und mehr Land haben wollten, auf diesem Wege zu beschaffen. Der Domänenfiskus und die staatliche Forstverwaltung sind nach Kräften bemüht gewesen, aus ihrem Besitze für diesen Zweck Land zur Verfügung zu stellen. Das war nicht sehr leicht, weil, wie Ihnen bekannt ist, die Domänen zum überwiegenden Teil auf längere Jahre hinaus noch verpachtet sind. Gleichwohl ist es gelungen, aus staatlichen Domänenbesitz in etwa 5 Monaten darüber sind Erhebungen angestellt worden über 26 000 Morgen pacht oder eigentumsweise an kleine Leute abzugeben. Diese Fläche hat sich inzwischen zweifellos mehr als verdoppelt, so daß mit Fug und Recht behaupten kann, daß über 50 000 Morgen in h letzten Monaten schon vor Inkrafttreten des Reichssiedlungs— esetzes kleinen Leuten pacht⸗ oder eigentumsweise zugeführt wowen nd. Aus forstfiskalischem Besitz sind gleichfalls von Januar bis März über 5000 Morgen zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt gorden. Diese Fläche hat sich inzwischen zweifellos verdreifacht, so ß. auch hier behauptet werden kann, daß mindestens 15 000 Morgen uus forstfiskalischem Besitz den kleinen Leuten zur Verfügung gestellt rden sind. Dazu kommt, daß aus Privatbesitz noch erheblich größere flächen für diesen Zweck zur Verfügung gestellt wurden.

Aber, meine Damen und Herren, es unterliegt keinem Zweifel, daß

Hinblick auf den großen Bedarf, der jetzt hervorgetreten und so türmisch geltend gemacht worden ist, all dieses nur ein geringer Not— ehelf ist; es muß auf diesem Gebiet in der nächsten Zeit naturgemäß

mehr geschaffen werden. Der Zweck des Entwurfs, der Ihnen hier Porliegt, ist, den Behörden die Handhabe zu geben, um ihre Tätigkeit f diesem Gebiet demnächst etwas fruchtbarer zu gestalten. Die Hauptzweckbestimmung der Reichssiedlungsordnung ist ja eigentlich die Vandbeschaffung für die Siedlung und die Adjazentenparzellierung. Es soll Land bereitgestellt werden für Neusiedlungen, für die Hebung tehender Kleinbetriebe bis zur Größe einer selbständigen Acker— jahrung. Weiter soll den Gemeinden Land zur Verfügung gestellt verden, so daß sie auch den landwirtschaftlichen Arbeitern pachtweise and überlassen können. Bei dieser Landbeschaffung soll zunächst das Domänenland herangezogen werden, soweit es nicht für wissenschaftliche und volkswirtschaftliche Zwecke im Großbetriebe bewirtschaftet werden oll. Die Oedlands⸗ und Moorflächen sollen zunächst der Kultivierung und sodann der Siedlung zugeführt werden, ferner die großen Güter der 100 Hektar in Bezirken mit mehr als 10 Prozent Großgrund— besitz. Die Landaufbringung soll im Wege des freien Ankaufs, des Vorkaufsrechts, der Enteignung und eventuell der Zwangpachtung durchgeführt werden; letzteres dort, wo es sich darum handelt, für die Landwirtschaftlichen Arbeiter Pachtland bereitzustellen. 9 Durch den vorliegenden Entwurf, auf den ich im einzelnen nicht weiter eingehen will, wird die Abgrenzung der Ansiedlungsbezirke be— stimmt, das Verfahren für die Enteignung geregelt und die Organi—

satson der Landlieferungsberbände und ihr Geschäftsgebaren näher

umschrieben. Leitendes Motiv im ganzen Gesetzentwurf ist die Zweck—

mäßigkeit und BVefchleunigung des Verfahrens, ällerdings unter hin=

reichender Wahrung der alten Besitzrechte. Im Hinblick auf die Zweckbestimmung des Gesetzes, möglichst schnell den Adjazenten Land zu beschaffen und für zustellen, ist es nötig, von dem früher üblichen Gebiete der Enteignung abzuweichen und ein beschl vorzuschreiben. Von diesem Gesichtspunkt is Entwurfs ausgegangen worden.

Zum Schluß nech eins! Die r abe ist die Finanzierung. Denn alle iedlungs ordnung wie die Ausführungsgesetze dazu, Papier, sind ein schönes Programm, das nur 8

IannhRͤrr am landbunguge

8 V Neusiedlun

Hoffnungen weckt, wenn es nicht gelingt, die Durchführung hinreichend durch öffentliche Mittel zu finanzieren (sehr richtig, wenn es nicht gelingt, auch Mittel aus Privatbesitz in ausreichender Weise in- den Dienst dieser Aufgabe zu stellen. Diese Finanzierung ist bishet, obwohl seit' neun Monaten über die Siedlungsfrage eingehend geredet ist, noch nicht gelöst, wird aber in dem Augenblick, wo an die Ausführung der Gesetze heran— gegangen wird, gelöst werden müssen. Ich möchte dabei darauf hin— weisen, daß es Aufgabe des Reiches und der Länder ist, erhebliche Mittel für diesen Zweck zur Verfügung zu stell-n. Wir können öffent— liche Mittel nicht produktiver anlegen, als wenn sie in den Dienst der inneren Kolonisation gestellt werden. (Sehr richtig) Wir geben Milliarden aus, die vollständig unprodäüktiv bleiben für die wir keine Gegenwerte empfangen, die uns für den Wiederaufbau unserer Volks— wirtschaft nichts nützen. Das Geld, welches auf dem Gebiete der inneren Kolonisation ausgegeben wird, ist nicht à fonds perdu aus— gegeben, sondern wird zumeist in Form von Krediten verausgabt und fließt in die Staatskasse zurück. Es ist eine eminent werbende Aus— gabe für eine Aufgabe, von deren Lösung der wirtschaftlicke Wieder— aufbau unseres Landes und die Wiedergesundung unseres Volkes ab— hängen. (Bravo!)

Abg. Matz ies (Soz.) beantragt Ausschußberatung.

Abg. Dr. Schmitt mann (Zentr.): Nach unserer Auffassung hätte diese Materie an den Anfang der politischen Gesetzgehung ge— stellt werden müssen. Der vorliegende Entwurf bezieht sich vor— wiegend auf die Verhältnisse des östlichen Teiles. Es ergibt sich dargus eine verschiedenartige Behandlung der einzelnen Teile. Es muß selbstverständlich eine angemessene Entschädigung bei der Ent— eignung von Oedland geleistet werden. Es muß auch unter allen Umständen die Reichssiedlungskommission für landwirtschaftliche Arbeit herangezogen werden. Man muß auch ohne weiteres zugeben, daß man ohne entsprechende Beschränkung des Eigentums nicht auskommen kann. (Präsident Leinert den Redner, der seine Ausführungen abliest unterhrcchend: Herr Abgeordneter, ich habe den Eindruck, daß Sie der deutschen Sprache durchaus mächtig sind, und bitte Sie, nicht fortjührend Ihre Ausführungen zu verlesen!! Die Niedrigkeit der jetzigen Ent— schädigung kommt nach unserer Auffassung einer Konfiskation gleich. Es muß also unbedingt eine höhere Entschädigung gegeben werden. Durch dieses Gesetz ist erst die Möglichkeit geschaffen, Agrarland auch den Besitzlosen zur Verfügung zu stellen. Eine Förderung der Siedlungsgesetzgebung darf unter keinen Umständen unter der schlechten Finanzlage leiden. Wir müssen unsere Sozialpolnik zu einer deutschen Wohnungspolitik ausgestalten. Im Westen muß unbedingt für eine bessere Verkehrspolitik gesorgt werden. Wenn es gelänge, dem Volke mehr Sinn für das Land beizubringen, so wäre dies der schönste Erfolg des Krieges. Eigentlich sind Sozialismus und Siedlung Antipoden. Die Siedlung begrüßen wir als ein Heilmittel der jetzt herrschenden Volkskrankheit. ö ö

Die Abgg. Schümer (Dem.) und Matzies erklären sich für Annahme des Gesetzes.

Abg. Dr. v. Kries (Dnat.): Nach unserer Auffassung ist die ganze Vorlage hinfällig, wenn es nicht gelingt, die Finanzierungsfrage zu lösen. Dies ist nur möglich durch die Heranziehung des Gesamt— kapitals in größerem Umfange. Bezüglich der Frage, wie weit das Geietz ausgedehnt werden soll, sind wir grundsätzlich anderer Auf— fassung. Wir wünschen, daß in allen Fällen der ständige Ausschuß für die Zwecke der Enteignung herangezogen wird. Bei der Ent— schädigung stellt die Beschreitung des ordentlichen Rechtsweges geradezu ein . für uns dar. Er führt auch viel schneller zu einem Ergebnis. Das Selbstverwaltungagrecht muß freieren Spielraum be— kommen. Nach unserer Ansicht widerspricht der Entwurf in vieler Hinsicht dem demokratischen Prinzip.

Abg. Me hrbhof (U. Soz.): Eine Tatsache ist unbestreitbar, daß durch die Ansiedlung einer größeren Anzahl von Existenzen auf dem Lande Lebensunterhalt gewährt werden wird. Ich befürchte aber, daß an den Schwierigkeiten der Finanzierung der ganze Siedlungsplan

scheitern wird. Hinzu kommen noch die Schwierigkeiten auf dem

Baumarkt. Eine Eignung der Odländereien zu Siedlungszwecken ist nach meinen Erfahrungen absolut ausgeschlossen. Wir müssen auch endlich einmal die Axt an den riesigen Latifundienbesitz legen. Das Denken und Fühlen der jetzigen Menschheit ist das Produkt der früheren Gesellschaftsordnung. ;

Abg. Held (D. Vp. ): Eine großzügige Bodenreform ist nach unserer Auffassung die Grundlage für den Wiederaufbau unseres gesamten Wirtschaftslebens. Die Vorlage bietet für die Erleichterung der Siedlung eine Reihe von Vorteilen, so bezüglich der Beschaffung von Pachtland und bezüglich der Landlieferungsverbände. Es wird aber immerhin darauf ankommen, große Güter, die intensiv bewirt— schaftet werden, und den kleinen Mittelbesitz vorläufig zu schonen; einstweilen müssen wir die Hand davon lassen, solche Güter zu zerschlagen. Man wird zunächst an die Domänen herangehen müssen, besonders an die Domänen für Remontezwecke, und ferner an un— rentable Güter. Das Vorhandensein des Landhungers begrüßen wir ganz besonders; er wird es hoffentlich dahin bringen, daß wir im eigenen Lande produzieren, was wir brauchen, und nicht mehr auf das Ausland angewiesen sind. Die Lösung der Finanzierungsfrage wird freilich sehr schwierig sein, aber hoffentlich tommt hier auch das Privatkapital dem Bedürfnis entgegen. Unterstützt werden muß namentlich der bäuerliche Besitzer, der obne fremde Hilfe mit semen eigenen Familienmitgliedern arbeitet. Daneben ist dafür zu sorgen, daß auch die Landarbeiterschaft in die Lage gebracht wird, eine Siedlung erwerben zu können. Vor allem aber müssen die obersten Behörden dafür sorgen, daß das bei ihnen vorhandene richtige Verständnis für die Siedlungsfrage allmählich auch die nachgeordneten Behörden durchdringt.

Die Vorlage geht an den Siedlungsausschuß.

Es folgt die Beratung der Verordnung vom 10. März 1919 über Familiengüter.

Die Verordnung verfügt die Auflösung der Familiengüter, die bis zum 1. April 1921 durch Familienschluß erfolgt sein muß, wenn nicht die Zwangsauflösung angeordnet werden soll. Die Verordnung ist am 1. April in Kraft getreten.

Der Rechtsausschuß beantragt, die Verordnung zu ge—⸗ nehmigen.

Abg. Graf Kanitz (D. Nat.): Ich halte für nötig, noch post festum für den Fideitommißbesitz eine Lanze zu brechen. Die Not— verordnung ist ausgerechnet drei Tage vor Toresschluß, drei Tage vor dem Zusammentrilt der preußischen Landesversammlung ergangen. Gerade diese sehr schwierige Materie hätte reiflicher Durchberatung bedurft. Die Gegnerschaft gegen die Fideikommisse ist nur bei Leuten verständlich, die dem sozialistischen Kommunismus huldigen. Die Einrichtung der Fideikommisse hat eine Reihe von Vorzügen aufzu— weisen. Wir haben auf Fideikommißgütern Arbeiterfamilien, die seit 209 Jahren dort anjässig sind, weil eben der Besitzer nicht wechselt und die Arbeiter nicht zu ziehen brauchen. Auch dieser Vorteil neben

vielen anderen geht durch die Auflösung verloren. war auch deshalb sehr praktisch, weil sie ein A Gesamifläche Preußens der Bodenspekulation entzog. Menschengruppe, die bloß vom Umsa üter lebte

eine davon zu bewirtschaften, waren die ikommisse aller

Dorn im Auge. In einem Gebiet, Prozent der Gesamifläc fideikommissasisch gebunden war, achten 1913 diese 20 Prozent 60 Prozent des Wehrbeitrages auf; die Fideikommisse sind also auch als Geldquelle sehr in Betracht gekommen. ren Vorteilen stehen ja auch Nachteile gegenüber. ie Latifundienbildung als solche ist für die beutige Zeit ein Unding, auch die Einschränkung der Ver— sügungsfreiheit des Besitzers und Benachteiligung der l iese Uebelstände seitigen können, m splendor egt hat, auf⸗ ifhebung der das den kleinen

) ö n 9 3 in Aledal

die das veraltete, auch den ungesunden Wert, dem n familias, dem Ansehen der Familie von Alters her beige

hob, das wirtlich Gute aber konservierte. Durch die Fideikommisse wird auch das Höfe⸗ und Anerbenrecht, Besitz dauernd in den Händen der Familie erhalten will, und das in Westialen und anderswo sehr segensreich gewirkt hat, in Mitleiden— schaft gezogen und muß vielleicht auch noch daran glauben. Eine vom Jieich ausgehende Gesetzgebung in dieser Richtung hatte große B denten; wir würden auch dadurch, obwohl Preußen noch besteht, zu einer bloßen preußischen Abwicklungsftelle degradiert. (Heiterteit.) Wohl erworbene Privilegien sind durch einen Federstrich aufgehoben worden (Unruhe links), wohlerworben, weil ein recht erzeblicher Stemvel zu bejahlen war. Dle halsüberkrpf erlassene Notverordnung hat das abnehmende Rechtsempfinden des Volkes noch weiter ver— wässert. In das Privatrecht ist damit ganz unerhört eingegriffen worden. Eine Regierung, die so versäyrt, kann als Schützerin des Rechts nicht angesehen werden. Die Fideikommißbesitzer werden nach der Auflösung viel schlechter dastehen als die Privatbesitzer; die ärmeren unter ihnen werden in Verschuldung geraten und bankerott werden. Große volkswirtschaftliche Werte haf man veinichtet. Zu ändern ist ja nun daran nichts mehr und meine Worte haben nur noch den Wert eines Nekrologs. Auf Veranlassung von juristischen Sachverständigen habe ich beantragt, diejenigen Fideikommisse, die wegen ihrer Größe nicht in der Lage sind, den zur Auflösung erforderlichen Familienschluß bis zum 1. April 1921 durch— juführen, nicht der Zwangstauflösung verfallen zu lassen, sondern diese Familienfideikommisse ordnungsmäßig aufzulöjen. Ich bitte, diesen Antrag anzunehmen. Einen Termin schlage ich nicht vor; die Regierung kann Overlandesgerichte, die zu langweilig arbeiten, jeden Augenblick in geeigneter Weise aufmuntern. (Bei⸗ fall rechts.)

Abg. Dr. Berndt-Stettin (Dem.): Graf Kanitz hat gemeint, man müsse den Fideikommissen mildernde Umstände bewilligen. Das hat er nur getan, um den Glanz der alten Familien noch weiter aufrecht zu erhalten. Für uns ist in erster Linie maßgebend der Spruch: Freie Bahn dem Tüchtigen. Der Umfang der Fideilommisse ist geradeju erschreckend groß geworden. Die Aufrechterhaltung der Fideikommisse ist geradezu schädlich für die Volkswirtschaft. Es ist durchaus notwendig, hier so schnell wie möglich durchzugreifen. Zu dem Antrage des Grafen Kanitz auf eine Fristwerlängerung über den I. April 1921 hinaus ist von unserer Seite ein Zusatzantrag gestellt worden, der den Auflösungstermin bis zum 1. April 1923 hinaus— schiebt Es muß einem Mißbrauch der Fꝛistverlängerung ein Riegel vorgeschoben werden.

Die Verordnung wird genehmigt. Die An⸗ träge Graf Kanitz und Dr. Berndt werden gegen die beiden sozialdemokratischen Parteien angenommen.

Darauf wird die zweite Haushaltsberatung bei der Verwaltung der direkten Steuern fort⸗ gesetzt.

Die Anträge auf Steuernachlässe für kinderreiche Familien, auf Umgestaltung der Staatseinkommensteuer und auf Einschränkung der Steuervorrechte infolge von Eingemein— dungen gehen an den Haushaltsausschuß.

Abg. Haus schildt (Soz.): Es ist unabweisbare Pflicht der Regierung, eine neue Steuerreform einzubringen, um das deutsche Wirtschaftsleben wieder aufzurichten, denn sonst erdrücken uns die Lasten. Es muß aber unter allen Umständen dabei die Lebensfähig— keit Preußens aufrecht erhalten werden. An ser schlechten Finanz⸗ lage des Reiches sind nicht zuletzt die Unterlassungssünden Preußens schuld. Der frühere Finanzminister Hergt hat die damals schon brennend gewordene Steuerreform zu verhindern gewußt. Von dem jetzigen Finanzminister Dr. Südekum erwartet meine Partei eine absolut andere Verteilung der Stegerlasten und eine Reform an Haupt und Gliedern. Es ist z. B. unhaltbar, daß ein Beamter mit 9000 A6 zu 3 ½4—, und der Großindustrielle mit 9 500 000 (S Ein— tommen nur mit 40½ zur Steuer herangezogen wird. Die Pio— gression nach oben muß vel krästiger werden. In den Zuschlägen erblicken wir nur einen Noibehelf. Den hier gemachten Vorschlag, die Anträge dem Ausschusse zu überweisen, halten wir für glücklich, denn wir dürfen nicht vergessen, daß die finanziellen Wünsche für den Staat und insbeondere für die Arbeiter Folgen haben, die noch gar nicht abzusehen sind. Der Weg zur Deckung der Steuerlasten muß in dem Ausschusse gefunden werden. Eine unbedingte Befreiung der Steuerpflicht der untersten Stuten ist infolge der jetzigen siarken Entwertung des Geldes unerläßlich. Das Steuerprivileg der Be— amten läßt sich aus volkswirtschartlichen Gründen nicht länger anf— recht erhalten. Die Beamten selbst verzichten gern auf dieses Privileg bei sonstiger auskömmlicher Bezahlung. Den Unabhängigen rufe ich zu: Es darf niemand mehr niederreißen, sondern es muß jeder beim Wiederaufbau helfen. Den Herrn Abg. v. Richter frage ich, wo steckt sein edles Empfinden und sein Gefühl für die Volktswirtschaft? Wir sind jetzt ein armes Volk, aber wir müssen von neuem ein wohl— habendes Volk werden. Und deshalb muß jeder arbeiten.

Abg. Goll (Dem.): Nur vom Standpunkte des Optimismus aus darf man heute den Etat betrachten, nur wenn man die Zupersicht hat. daß sich trotz alledem im Reich und in Preußen unsere Ver⸗ hältnisse sanieren lassen werden, tann man über den Etat reden. Am 1. Oktober ist in meiner Vaterstadt Frankfurt a. M. die Ein—⸗ fuhrmesse eröffnet worden. Dies Unternehmen ist nicht etwa au lotalen Interessen heraus geboren, nicht etwa um Leipztg Konkurrenz ju machen, sondern weil Großindustrie, Handel und Gewerbe auf dem Standvunkt stehen, daß unbedingt iwas geschehen muß, um auch im besetzten Gebiet zur Wiederbelebung des Verkehrs beizu— tragen und von hier aus anregend auf das ganze Land zu wirken. Daher kommt dem Unternebmen eine eminent nationale Bedeutung zu, die auch seitens des preußischen Staats durch die Zuwendung eines Staatszuschusses anerkannt werden sollte und die der Finanz- minister hoffentlich berücksichtigen wird. Die Einfuhrmesse wird dazu beitragen, auch mit dem Auslande neue Anknüpfungspunkte zu gewinnen; der Staatszuschuß, den die Messe erhält, wird es ermög— lichen, diese Anknüpfungen weiter zu verfolgen. Es ist von größter Bedeutung, daß die Kapitalkraft großer Städte in den Dienst der Einfuhr fuüͤr Rohstoffe usw. gestellt wird. England geht im befetzten Gebiet in einer Reihe von Städten ebenfalls mit Zuschüssen vor. Es muß verhindert werden, daß der gesamte deutsche Handel in der Zeit der Besetzung durch die fremden Heere nach Frankreich und England hinübergezogen und drüben kontrolliert wird. Die am l. Qtiober erfolgte Uebertragung der preußischen Steuerhobeit auf das Reich hat doch wohl nicht genügend der geschichtsichen Bedeutung Preußens und des Reiches Nechnung getragen. Die Selbstverwaltung insbesondere der Gemeinden in Preußen hat Kolossales geleistet; die Blüte Preußens ist auf einer Reihe blühender Gemeinwesen erwachsen. Wird die Finanzhoheit der Gemeinden beschränkt, dann hört diese Selbstverwaltungspolitit von selbst auf und macht einer une wünschten Bureaukratisierung Platz. Der Gemeinde muß also auch in Zukunft ihr Recht bleiben. Im Ordnungsprogramm des Herrn Hergt figurieit auch die Arbeitslosenversorgung. Die Erweibslosenunter⸗

s