Wir müssen die Strecken freibekommen, damit die Güterzüge un⸗ gestört verkehren können. Jeder Schnellzug, den wir einschalten, stört den Abfluß der Güterzüge und bringt den aufgestellten Plan wieder in Unordnung. Wir können dann nicht leisten, was wir leisten müssen. Die Einstellung würde eine viel längere Periode andauern, wenn sie nicht vollständig wäre. Das kann ich Ihnen aber versprechen: wenn sich die Möglichkeit bietet, den Schnellzugverkehr auch nur in be— schränktem Maße wieder einzuführen, wird er sofort wieder eingeführt werden. Aber, meine Damen und Herren, ich kann nicht umhin, zu scgen, daß solche Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten, so hart sie den einzelnen und ganze Provinzen treffen werden, nicht zu vermeiden sind, weil wir heute nicht einen so gesunden Staatseisenbahnkörper haben, der alles, was von ihm verlangt wird, leisten kann. Ich kann deshalb nur wiederholen und nur immer wieder dringend bitten, daß jeder einzelne sich dessen bewußt ist, daß, wenn wir nicht in dem Maße der persönlichen und sachlichen Leistungen recht bald eine Steigerung herbeiführen, die Verhältnisse nicht besser werden, als sie heute sind. Ich bemühe mich seit Wochen und Monaten, in diesem Sinne zu wirken. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich auch darin die Unterstützung dieses hohen Hauses finde, indem Sie sich in Ihren Beschlüssen wie in Ihrer Einwirkung nach außen, die ich sehr hoch schätze, auf den Standpunkt stellen, daß wir ohne erhebliche Steigerung vor allem auch der persönlichen Leistungen, der Leistungen der Beamtenschaft wie der Arbeiterschaft, über die Krisis nicht hinwegkommen. Es muß deshalb alles darauf abgestellt werden, die Steigerung dieser Leistungen herbeizuführen. Je eher flott und ordentlich gearbeitet wird, je schneller werden wir über die Krise hinwegkommen, und je weniger das geschieht, desto länger wird sie dauern.
62. Sitzung vom 9. Oktober 1919. (Bericht von Wolffs Telegraphenbüro“.)
Am Regierungstische: Der Staatsminister Oeser.
Präsident Leinert eröffnet die Sitzung nach 12,15 Uhr.
Das Haus setzt die Beratung des Haushalts der Eisenbahnverwaltung fort.
Es ist noch ein Antrag der Mehrheitsparteien ein⸗ gereicht worden, der J. den Minister zur beschleunigten ründlichen Umgestaltung der Verwaltung auffordert, J. zur Behebung der gegenwärtigen schweren Transportkrise versuchsweise ein Lohnverfahren einzuführen empfiehlt, das die ÄArbeiterschaft an gesteigerter Leistung durch Mehrbewertung interessiert, III. um unverzügliche Ver⸗ handlungen mit den Gewerkschafien und einem Ausschuß von sechg Abgeordneten in dieser Richtung ersucht.
Der Antrag wird vor der Fortsetzung der allgemeinen Aussprache begründet vom
Abg. Dominicus (Dem.): Mit der Einführung eines neuen
Lohnsystems soll selbstverständlich nicht ein Lohndruck, eine Herab⸗
drückung der jetzigen Lohnsätze beabsichtigt sein; im Gegenteil soll der Grundsatz gelten, daß kein Arbeiter weniger verdienen darf als nach dem jetzigen Lohnsystem. Ich habe das Zutrauen zu dem guten Sinn unserer Arbeiter in der Eisenbahnverwaltung, daß sie ohne jedes Mißtrauen an diesen Antrag herangehen und insolgedessen eine Ver⸗— besserung der Lohnsätze herbeigesübrt wird.
Abg. Dr. Schmedding (Zentr.): Ein geordneter Eisenbahn⸗ verkehr ist eine unbedingte Notwendigkeit für den Wirtschafte verkehr. Die schweren Beschuldigungen des Abg. Brunner gegen den früheren Minister Breitenbach muß ich auf das nachdrücklichste zurückweisen. Ich hätte eine Kritit des Herrn Brunner an dem früheren System der Eisenbahnverwaltung verstehen können. Einen Angriff auf die Person des früheren Ministers ist mir aber unverständlich. Er hat als treuer Diener seines Königs alles getan, was er tun konnte. Vätte der Minister nach den Wünschen des Herrn Brunner gehandelt, dann wären erst recht schlechte Verhälinisse eingetreten. Wer die Verhältnisse näher kennt, der weiß, was Breitenbach für die Beamten und Arbeiner getan hat. Wenn 6 schließlich gelungen ist, der Eisen⸗ bahnverwaltung eine größere Selbständigkeit gegenüber dem Finanzministerium zu verschaffen, so ist das gerade das Werk des Herrn v. Breitenbach. Man kann überhaupt seine Verdienste nicht hoch genug einschätzen. Wenn Herr v. Breitenbach unter günstigen finanziellen Verhältnissen bessere Eisenbahnverbindungen schaffen und Lie Tarife heruntersetzen konnte, so steht jetzt der neue Eisenbahnminister vor der Tatsache, die Tarife höherschrauben und eine ganze Anzahl von Zügen ausfallen lassen zu müssen. Zu all den jetzigen Schwierigkeiten trist aber noch die neue Aufgabe hinzu, unter welchen Bedingungen das preußische Staatseisenbahnunternehmen an das Reich abgetreten werden solle. Ueber die Zweckmäßigkeitefrage kann man ja verschiedener Ansicht sein. Es ist klar, daß der Besitz der Fisenbahnen in einer Hand die Selbständigleit der Einzelstaaten einschränken muß. Es kann allerdings nicht bezweifelt werden, daß inzwischen Erwägungen eingetreten sind, die eine andere Stellung⸗ nahme notwendig erscheinen lassen. Auf dem Wege der Abgabe der Steuerhoheit und der Wasserstraßen haben wir bereits einen großen Schritt zurückgelegt. Die unglückseligen finanziellen Verhältnisse Deutschlands erfordern eine wesentliche Vereinfachung des ganzen Verkehrs. Das Reich muß unter allen Umständen der Träger sämt— licher Lasten sein, und dieser Pflicht nachkommen, und dazu ist in erster Linie die Eisenbahnverwaltung da. Der bestehende Mangel einer Fahrvlaneinheit zwischen Süddeutschland und Norddeutschland muß beseitigt werden. Wir krankten daran schon vor dem Kriege. Der Nutzen, der von der preußischen Staatseisenbahn⸗ verwaltung gezogen wurde, kam lediglich Preußen zugute, er muß unbedingt sämtlichen Bundesstaaten zugeführt. werden. Alle diese Gründe sprechen für eine Verreichlichung der Eisenbahnen. Ein Ruhmesblatt der preußischen Eisenbahnverwaltung war es, daß sie auch solche Bahnen baute, die keinen Gewinn abwarfen, aber für die Erschließung des Landes Bedeutung haiten. Bei einer Abgabe unserer Eisenbahnen an das Reich muß dieses die sämtlichen Ver— pflichtungen Preußens übernehmen und dem preußischen Staate einen gewissen Einfluß hinsichtlich der örtlichen Verhältnisse und Bedürfnisse einräumen. Es muß unter allen Umständen für die preußischen Landes⸗ teile nach wie vor Sorge getragen werden, auch dann, wenn davon nicht ein Nutzen erwartet werden kann. Die Hauptfrage dreht sich nun darum, ob wir für die Abgabe unserer Eisenbahnen an das Reich eine Entschädigung in Gestalt einer Kapitalabfindung oder einer Rente fordern sollen. Aus verschiedenen Gründen ist nach meiner Ansicht eine Rente vorzuziehen. Jedenfalls käme man auf diesem Wege am besten über alle Schwierigkeiten hinweg. Dem Reiche wäre bei der Organisation der Eisenbahnen zu empfehlen, nicht eine zu weitgehende Zentralisation vorzunehmen. In Preußen hat die zu straffe Organisation des Eisen—⸗ bahnzentralamts die Selbständigkeit der Eisenbahndirektoren sehr beschränkt und einen schleppenden Geschästegang herbeigeführt, der ja freilich auch das Ergebnis der Vertoppelung der Eisenbahnen mit tem Staatshaushalt wgr. Das beste wäre die Eisenhahnen vom Haushalt des Reichs völlig unabhängig zu stellen und sie kaufsmännisch zu verwalten, so daß sie nur vom Reinertrage an die Reichsverwal tung abzugeben hätten. Die Notwendigkeit von Ersparnissen muß auch im Bereiche der Eisenbahnverwaltung immer wieder betont werden. Es ist eine durch nichts gerechtfertigte Verschwendung, wenn z. B. die Beamten der Generalbetriebgleitung in Essen t 1. Tagegelder liquidieren, da sie jwae in Fssen ihr Amt, aber in Elberfeld ihren Wohnsitz haben. Die bereits bewilligten Ergänzungs, und
Umbauten bitten wir nach Möglichkeit zu hbeschleunigen. Unter den Ursachen der heutigen ungünstigen Lage unseres Eisenbahn⸗ wesens spielt auch die während des Krieges eingetretene Personal⸗ vermehrung von 450 0090 auf 679 000 Köpfe ihre Rolle. Hier ist ein Verlangen einer Verminderung insoweit berechtigt, als die Eisen⸗ bahnen nicht dazu da sind, bloße Arbeitsgelegenheit zu geben und Anwesenheitsgelder zu zahlen; andererseits darf aber auch mit Neu⸗ einstellungen da. wo sie geboten erscheinen, nicht zurückgehalten werden. Die Kriegsfolgen haben auch in dieser Verwaltung die Arbeiten so vermehrt, daß sie nicht mehr mit der gleichen Zahl von Beamten bewältigt werden können. Man hat die Rückkehr zum System des Akkordlohnes empfohlen. Da der Landwirtschaftéminister in seinem Amtsbereich damit gute Wirkungen erzielt hat, sollte auch bei den Eisenbahnen ein Versuch damit gemacht werden. Wir stehen demnach auch unsererseits auf dem Boden des vorhin von dem Abgeordneten Dominicus befürworteten Antrages. Ob sich noch ein großer Nutzeffekt von anderen zur Hebung der Einnahmen gemachten Vorschlägen erzielen lassen wird, als da sind anderweite Verpachtung der Bahn⸗ hofswirtschaften, anderweite Regelung des Bahnhofsbuchhandels und des Plakatwesens, elektrischer Zugverkehr, schnellere Einführung der Knorrbremse, intensive Verhinderung mißbräuchlicher Benutzung höherer Wagenklassen, möchte ich heute nicht näher erörtern, ich vertraue, daß in allen diesen Punkien die Verwaltung bereits eingeschritten ist oder es nächstens tun wird. Verschiedene. Bahnhofsrestaurationen lassen sich durch ganz willtürlich hohe Preise für Speisen und Ge⸗ tränke eine unverantwortliche Ausbeutung der Passagiere zuschulden kommen. Ueber die vom 12. d. Mts. erfolgende Einstellung des Schnellzugsverkehrs hat der Minister gestern Aufklärung gegeben, und ichs tann nicht anerkennen, daß der Minister mit der Maßregel eine politische Dummheit gemacht hat. Wir bitten aber zum mindesten in die Personenzüge von Berlin nach dem Osten Schlasjwagen einzustellen. Immer wieder ertönen die Klagen über die geringe Zahl und die übermäßig starke Bejetzung der Züge, über die zur Gewohnheit gewordene Unpünktlichteit, über die mangelhafte Ausstattung der Abteile und deren Unsauberkeit, über das lebensgefährliche Ver⸗ stauen großer Gepäckstücke, über die schlechten Anschlüsse besonders an der Grenze der Direktionsbezirke, über die mangelhafte Gestellung von Güterwagen. An allen diesen Mißständen ist der gegen⸗ wärtige Minister allerdings unschuldig. Sehr beklagenswert f die Machtlosigkeit der Eisenbahnveiwaltung gegen den Hamster; hier müßten ihren Organen die nötigen Machimittel in die Hände ge⸗ geben werden. — Es ist eine Ehrenpflicht, diejenigen elsaß⸗loth⸗ ringischen Eisenbahnbeamten, die nicht von Frankreich übernommen werden, nicht ihrem Schicksal zu überlassen, sondern bei den Staats⸗ bahnen aufzunehmen. Dazu sollten auch die füddeutschen Staaten die Hand bieten. Bei den Eisenbahnwirreu in Erfurt hat der Minister zur Beilegung des Streiks und zur Wiederherstellung der Ordnung von jeder Maßregelung Abstand genommen und die Haupt⸗ rädelsführer sogar in einen Beirat der Direktion zugelassen. Das können wir nicht gutheißen. Der dortige Beirat, als dauernde Ein⸗ richtung gedacht, ist deswegen verwerflich, weil er sich außerhalb der Reichsgesetze stellt weil er die Verantwortlichkeit der Beamten beein⸗ trächtigt und auch wegen der dort gebildeten Beamtenausschüsse und Arbeiterbetriebsräte überflüssig erscheint. Auch untergräbt er die Autorität und erschw ert den Geschäftsgang. Wir wünschen nicht, daß solche Beiräte auch bei den übrigen Direktionen errichtet werden. Dem Lobe, welches der Minister im Ausschuß den böheren Beamten ezollt hat, die der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht seien, deren Frsfahrung, Wissen und Tatfraft die Verwaltung nicht entbehren könne,
wenn sie nicht vor die Hunde gehen solle, schließe ich mich durchaus an.“
Damit will ich aber keineswegs einer zeitgemäßen Demokratisierung widersprochen haben, die ich im Gegenteil für durchaus notwendig halte. Den Anträgen des Haushaltsausschusses treten wir bei. Bei der Zuteilung der Dienstwohnungen soll man grungzsätzlich das technische und das administrative Personal gleichstellen. Auch den Antrag, der die Regierung auffordert, mit allem Nachdruck für eine Verbesserung des Verkehrswesens zu wirken, nehmen wir an. Wir Volksvertreter werden stets bereit sein, alle nötigen Mittel zur Hebung des Verkehrs zu bewilligen. (Beifall.)
Abg. Dr. Frentzel (Dem.): Mit den preußischen Eisenbahnen geht das größte wirtschaftliche Unternehmen, das in einer Hand ver⸗ einigt war, das bisher die Welt gekannt hat, an das Reich über. Das preußtsche Eisenbahnwesen erstreckte seine Wirksamkeit weit über die preußischen Grenzen hinaus durch Europa und in den gesamten Welt⸗ verkehr hinein. Wir sind aber noch nicht am Begräbnis angelangt, es gilt also noch nicht das de mortuis nil nisi bene, sondein es kann noch Kritik geübt werden. Vieles von den gestrigen kritischen Ausführungen des Kollegen Brunner unterschreibe ich, aber seine Beschuldigungen bestimmier Personen lehne ich ab. Es geht nicht an, jede, auch die sachlichste Frage, unter dem Gesichtspunkte von Schuld und Sühne zu betrachten. (Zustimmung.) Dem Eisenbahn⸗ system, welches 40 Jahre in Preußen geherischt hat, fehlte es an sozialem Verständnis; in dieies System hatte man ein Kommando⸗ wesen eingeführt, das ganz unnatürlich war und sich mit einem im wesentlichen doch kaufmännischen Gewerbebetriebe nicht vertrug. In und um die Verwaltung waren Mauern, Zäune und Wälle gezogen, die ihr die notwendige Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit nahmen
und die fur technische Neuerungen schwer zugänglich machten. Der frische
Wagemut des auf sich selbst gestellten Könnens hat ihr häufig gesehlt. Trotz alledem war der Betrieb ein mustergültiger, desgleichen der Ver⸗ kehr, ein Muster an Sicherheit, Pünktlichteit, Schnelligkeit und Billigkeit. Auch das Tarifsystem hatte seine großen Vorzüge. Leider spreche ich von Verhältnissen, die nicht mehr sind. Heute haben wir nicht einen solchen Betrieb und einen solchen Verkehr. Mit dem heutigen rohen System der schematischen Tariferhöhungen kann Vandel und Wandel nicht auskommen. Wir müssen alle Kräfte auf— bieten, um in den gegenwärtigen trostlosen Zuständen auf diesem Ge⸗ biete Abhilfe zu schaffen, bis es zur Uebergabe an das Reich kommt. Taisächlich waren ja die preußischen Eisenbahnen schon während der letzten fünf Jahre in die Hände des Reichs übergegangen und Preußens Verwaltung machtlos. Der Krieg ist es gewejen, der unser Eisenbahnwesen so heruntergebracht hat. Die preußische Eisenbahn⸗ verwaltung war Kriegsteilnehmer und ist aus dem Kriege als schwer Kriegsbeschädigter hervorgegangen, man weiß nur noch nicht, welche Rente er erhalten wird. Der Herr Eisenbahnminister hat ausgeführt, er habe sich niemals als politischer Minister betrachtet. Er ist aber in Wirklichkeit ein finanzpolitischer und verkehrspolitischer Minister. Aus dem Minusposten der Eisenbahnen im Haushalt muß wieder ein Plusposten werden. Erst nach Erstarkung unserer Bahnen dürfte eine Uebertragung auf das Reich vollzogen werden. Bei einer allge—⸗ meinen Elektrisierung des Eisenbahnbetriebes würde mit Leichtigkeit der jetzige Kohlenmangel ausgeschaltet sein. Es muß auch Heiz— material aus der Braunkohle und dem Torf gewonnen werden. Es sind genügend Torfgruben und Braunkohlengruben dazu vorhanden. Ich hoffe, daß die Eisenbahnbeamten und Arbeiter jetzt selbst zu der Einsicht kommen werden, daß an die Stelle des bisherigen militäri⸗ schen Druckes die Selbstzucht treten muß.
Minister der öffentlichen Arbeiten Oeser: Meine Herren! Mein Herr Vorredner hat eben in beredten Worten auf die Folgen hingewiesen, die vielleicht entstehen würden, wenn es nicht gelingt, die finanziellen Verhältnisse der Staatseisenbahnverwaltung wieder gesund zu machen. Ich gebe ihm darin vollständig recht, daß es ganz gleich⸗ gültig ist, ob die Eisenbahnen den Ländern verbleiben oder ob sie ans Reich gehen; der schlechte Finanzzustand würde deselben Wirkungen ausüben; ebenso wie der schlechte Betriebszustand auf die Bevölkerung wirkt, ob nun an der Spitze der Verwaltung ein Landesminister oder ein Reichsminister steht.
Bisher hat nun eine Besserung der Finanzverhältnisse leider noch nicht eingesetzt. Ich darf mir vielleicht erlauben, Ihnen die neuesten Zahlen darüber zu geben, die im großen Ganzen aber nur das be⸗
stätigen, was ich früher dem hohen Hause dargelegt habe. Ez sind!
jetzt neue Berechnungen angessellt worden, die auf den Ergebnissen bis zum Oktober beruhen. Während 1918 die Betriebseinnahmen 3549 Millionen Mark betrugen und der Voranschlag für das laufende Jahr auf 4815 Millionen ging, lautet die Schätzung jetzt auf 4181 Millionen Mark. Gegen 1918 ist also zwar ein Plus don 632 Millionen Mark vorhanden, aber gegen den Voranschlag für 19819 ein Minderertrag von 634 Millionen. Ich brauche nicht zu betonen, daß diese Zahlen noch nicht vollständig feststehen. Auf die Betriebe= einnahmen wirkt ja eine ganze Reihe von Umständen ein.
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: es ist mir Tag für Tag ein unsagbar peinliches Empfinden, daß so viele Möglich- keiten für die Steigerung der Betriebseinnahmen der Staatseisenbahnen vorliegen, ohne daß wir imstande sind, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. (Hört, hört h Es ist zweifellos ein starkes Bedürfnis füär den Personenverkehr vorhanden. Wir würden mindestens 20 Prozent Züge mehr fahren lassen können und würden diese Züge alle voll besetzt haben. Wir könnten dem Publikum etwas Bequemlichkeit bieten, das Publikum wäre in⸗ friedener. Und was geschieht? Wir müssen den Verkehr abdrosseln, während doch das finanzielle Interesse des Landes unbedingt darauf hinausläuft, den Verkehr zu steigern, nicht nur, um die Einnahmen für das Land zu gewinnen, sondern auch, um das wirtschaftliche Leben lebhafter zu gestalten. Ganz ähnlich ist es mit dem Güterverkehr. Auch für den Güterverkehr haben wir gestern wieder eine Anordnung hinausgehen lassen müssen, daß nur noch die Hälfte der Güterwagen für den gewöhnlichen Verkehr gestellt werden dürfen. (Hört, hörth weil alle Güterwagen für Kohle und die notwendigsten Lebensmittel gebraucht werden. Dabei merken wir, daß das wirtschaftliche Leben langsam wieder anfängt, zu pulsieren, daß ein gewisser Unter nehmungsgeist vorhanden ist, daß auch überall in den Betrieben die Arbeiterschaft williger zur Arbeit ist als vor Monaten, daß die Leistungen gesteigert werden. In dem Moment kann die Staats eisenbahnverwaltung aber die Anforderungen, die an sie gestellt werden, aus den Gründen, die ich gestern darlegen mußte, nicht ex füllen. Es entgehen uns nicht nur die Einnahmen, die wir so dringend brauchen, sondern vor allen Dingen ist es auch unmöglich, das wirtschaftliche Leben des Landes so zu befruchten, wie es unbe⸗ dingt sein müßte, wenn wir aus den gegenwärtigen Krisen heraug⸗ kommen wollen. .
Meine Damen und Herren, man kann die Dinge ja verschieden darstellen. Ich könnte Ihnen eine wunderschöne Rede mit den schönsten Ausblicken auf die Zukunft halten und würde Sie vielleicht zu einem stürmischen Beifall hinieißen. Ich würde es aber in der gegenwärtigen Situation nicht verantworten können. Ich glaube, ich bin Ihnen volle Wahrheit schuldig. (Sehr richtig h Ich würde auch meiner Natur nicht entsprechen, wenn ich über diese Dinge stillschweigend hinwegginge. Es gibt einen Optimiemus, der da sagt: na, es sieht ja schlecht aus, aber es wird schon besser werden. Ich halte das für einen falschen und ungesunden Optimismus. Aber es gibt auch einen gesunden Optimiemus, der da sagt: ich muß erst einmal sehen, wie schlecht es ist, ich muß mich voll von der Grundlosigkeit der Verhältnisse überzeugen lassen, und wenn ich dann mit dem Willen zur Besserung borgehe, dann werde ich es erreichen, daß es besser wird. Das ist ein gesunder Optimismus, der den Willen hat, sich durchzusetzen und die Schwlerigkeiten zu überwinden. Ich glaube, diesen Optimismus braucht unser Volk, um weiter zu kommen. .
Die Betriebsausgaben sind ohne unseren Willen außer⸗ ordentlich steigerungssähig. Während sie im Jahre 1918 noch 4778 Millionen Mark betrugen und nach dem Voranschlag für 1919 4864 Millionen Mark betragen sollten, geht die jetzige Schätzung auf 7406 Millionen Mark. (Hört, hört) Es ist die unausgesetzte Steigerung aller Preise für Kohle, für Eisen, für Holi⸗ für Petroleum, für Oel, für sonstige Schmiermittel usw., die den Haushalt auseinanderreißen und denen wir mit unseren Berechnungen kaum nachkommen können, so eilig geht es voran. Der Betriebskoeffizient war im Jahre 1918 134,60 und ist nach den jetzigen Berechnungen auf 177,3 gestiegen, d. h. also: die Ausgaben übersteigen die Ein⸗ nahmen um 77,13 vo. Der Fehlbetrag hat im Jahre 1918 in Wirklichkeit 1994 Millionen Mark betragen; die Schätzung für 1919 geht augenblicklich auf 3963 Millionen Mark. (Bewegung.)
Ich brauche Ihnen die Steigerung der Preise im einzelnen nicht
vorzuführen, Sie werden darüber ja ungefähr unterrichtet sein. Die
Kohlen sind von 39,50 auf 79. 40 S6 je Tonne gestiegen; sie steigen unausgesetzt weiter und wir müssen mit einer neuen großen Steige⸗ rung rechnen, die für die Eisenbahnverwaltung Hunderte von Millionen an Mehrausgaben verursachen werden. Koks ist gestiegen von 40 4 auf 11,65, Mineralschmieröl von 50 auf 110, Schienen von 320 auf 760, eiserne Schwellen von 310 auf 750, hölzerne Schwellen das Stück von 11 auf 13 , Eichenholz der Kubikmeter von 280 au 455 bis 617, Kiefernholz von 180 auf 236 . usw⸗=
Tie Umstände, die auf die weitere Einnahmegestaltung einwirken werden, lassen sich nicht klar übersehen. Es sind daz einer—⸗ seits die weitere Steigerung der Preise, andererseits die Unsicher⸗
heit des Betriebes und der Zwang, den Betrieb einzuschränken, statt
ihn zu entwickeln. Es wird auch hinzukommen, daß wir infolge det Friedensvertrags einen gegen früher verkleinerten Be, trieb erhalten. In den Abtretungsgebieten sind abzutreten 1941,47 km Hauptbahnen und 2618,78 km Nebenbahnen; in den Abstimmungsgebieten kommen in Betracht 1527 km Hauptbahnen⸗ 1576 km Nebenbahnen und 170 km Schmalspurbahnen. In den Abtretungsgebieten sind 51 Aemter, 893 selbständige Dienststellen 14778 Beamte und Hilfoͤbeamte und 116500 Arbelter. Es handelt fich also um einen sehr großen Apparat. Welter kommen in den Abstimmungsgebieten in Betracht 46 Aemter, S889 selbständige Dienst⸗ stellen, 17 (84 Beamte und Hilfsbeamte und 12946 Arbeiter.
Von dem Personal wird ein großer Teil in das verbleibende
Preußen zurückströmen. Die Neigung im Personal geht gan all gemein dahin, der Heimat erhalten zu bleiben und nicht in ftemde
Dienste zu treten. Wir nerden infolgedessen damit rechnen müssen, daß die Zahl des Personals noch über das Bedürfnis hinausgeht,
insbesondere insofern Beamte und Hilfobeamte in Betracht kommen. ; Es ist ganz selbstverständlich, daß wir diese Beamten nicht im Stich lassen dürfen und wollen. (Sehr richtig! und Bravo .
witd sich eine allgemeine Verschlechterung der Aufrückungg⸗
zeiten für die Beamtenschast wahrscheinlich als unvermeidbar ergeben.
Wir versuchen, durch Verlängung der Beamten schast ju belsern
Daß dieses Mittel aber nicht vollständig ausreicht, liegt auf der Hand. Wir werden durch eine Reihe von anderen Maßnahmen, die ich schon bei früheren Gelegenheiten angedeutet habe, auch die Mög⸗ lichkeit des Aufrückenz der Beamten in verstärktem Maße schaffen. Um den mittleren Beamten den ebergang in die höhere Veamtenschaft zu erleichtern, werden wir vorautssichtlich dahin tommen, gehobene mittlere Beamtenstellen zu schaffen, die gewissen⸗ maßen als Brücke zwischen den beiden Kategotien gedacht sind, in die die hesten mit leren Beamten ausrücken sollen, dus denen wir dann wieder die besten Käpfe in die höhere Beamtenschaft über nehmen können. Aber diese Vorschläge sind mit den Beteiligten noch nicht besprochen worden; weiteres behalte ich mir vor.
Heir Abg. Höfler hat zestern gemeint, für die unteren Beamten sei Label nichts herauegekommen. Grundsätzlich wäre ez nicht not= wendig, für die Unterbeamten hier eine Neucrung zu schaffen, da es ihnen auch heute schon durchaus möglich ist, in mittlere Beamten— stellen aufjurücken. Die Schwierigkeiten für die unteren Beamten liegen darin, daß durch die Militäranwärter eine große Zahl der Stellungen weggenommen sind, die kraft Reichsgesetzgebung ganz be⸗ stimmte Rechte besitzen, über die man nicht binweggehen kann. Nun wird ja die Zahl der Militäranwärter, die augenblicklich besonderz groß ist, aus bekannten Ursachen in den rächsten Jahren allmählich sinken. Wir werden aber doch versuchen müssen, um für die unteren Beamten das Aufrücken in mittlere Beamtenstellen nicht völlig illusorisch zu machen, dafür ju sorgen, daß die be⸗ fähigten Unterbeamten so früh an die Grenze zur mittleren Beamtenschaft kommen, daß ihnen noch die Möglichleit eines weiteren Aufrückens bleibt. In dieser Hinsicht werden wir demnächst Beschlüsse zu fassen haben. Wir werden aber dann, um dieses ganze System auszubauen, das ja ganz neu aufgebaut werden muß, auch zu einer großen Erweiterung der Fachschulen, vor allem auch der Lehr—⸗ lingsschulen schreiten müssen, um den Beamten die Möglichkeit der geistigen Fortbildung ju geben und sie dadurch auch zu befähigen, in höhere Stellen einzurücken. t 6 Nun haben verschiedene der Herren Vorredner auf die Ueber- leitung der Cisenbahnverwaltung auf das Reich Bejug genommen. Ich will auf die Frage im einzelnen bei dieser Gelegenbeit nicht eingehen, ich will nur darauf hinwelsen, daß in den Ausschüssen lebbaft an den Vorbedingungen für die Ueberführung auf das Reich gearbeitet wird. Insbesondere in jwei Ausschüssen konzen⸗ triert sich die wichtigste Arbeit, daz ist der Finanzausschuß, der die sehr schwierige Frage der Abrechnung jwischen dem Reich und den Ländern lösen soll, und sodann der sogenannte Ueberleitunge⸗ autzschuß. Damit am 1. April 1921 die Eisenbahnen in der Hand des Reiches sofort funktionieren können, erweist es sich als notwendig, gewisse Ausgleichungen vorzunehmen. Ez müssen gegenwärtig schon Unterschiede in der Organisation und Verwaltung beseitigt werden, damit daraus nicht Schwierigkelten entstehen. Auch für die großen Personale, die hier vereinigt werden und die ein Heer won über 1 Million Köpfen darstellen werden, müssen die Grundsätze fest⸗ gestellt werden, es müssen die Rechte der Personale gesichert werden. Ich weiß, daß der dringende Wunsch der Beamten und Arbeiter be⸗ steht, an diesen Verhandlungen beteiligt iu sein. Im gegenwärtigen Moment der Vorarbeit wird das noch nicht möglich sein, denn diese Vorarbeit muß in einem möglichst kleinen Kreise vorgenommen werden. Es sind sämtliche Länder, und es ist das Reich beteiligt, und wenn von samtlichen Ländern und vom Reiche nun noch solche Nehenausschüsse hinzugejogen würden, so würde es keine Arbeits aus- schüsse mehr geben, sondern es würden große, reich besetzte Parlamente werden. Aber sobald eine Klarheit über den Weg erreicht ist,
werden natürlich auch die Beamten und die Arbeiter volle Gelegen⸗
heit haben, ihren Standpunkt zu wabren, sie werden rechtzeitig mit⸗ jusprechen haben, sebenso wie ja selbstverständlich dieses hohe Haus auch sich nicht nur vorbehalten hat, sondern auf sein gutes Recht pochen kann, daß, bevor endgültige Beschlüfse gefaßt werden, das Haus oder der Ausschuß, der von dem Haushalttzausschuß ernannt worden ist, gehört wird. , .
Es wird sich wohl als notwendig ergeben, daß man sich doch schon in weiterem Maße über die Organisation der künftigen Reichs⸗ elsenbahnen ein Bild gestalten muß, als wir ursprünglich in Aussicht nahmen. Ursprünglich nahmen wir an, man würde die Organisa⸗ tionen im großen und ganjen so belassen können, wie sie jetzt sind, man brauche sie nur aneinanderzuschieben, und es sel dann dem Reich überlassen, eine neue Organisation der Reichseisen, bahnen zu schaffen. Wir merken aber jetzt schon, daß insbesondere die Annäherung der verschiedenen Bahnsysteme aneinander wenigstens eine gewisse Kenntnig des künftigen Zustandes der künftigen Organisation voraussetzt, weil ja sonst die Annäherung in einer gam falschen Richtung vorgenommen werden könnte. Man muß ungefähr schon wissen, wohin die Reise geht, und ich boffe, daß ich bel dieser sehr schwierigen und tief in alle Perhältnisse eingreifenden Um- gestaltung der Eisenbahnen zu den Reichseisenbahnen nicht nur die Unterstützung dieses Hohen Hauses finden werde, sondern daß auch die Praktiker aus allen Lagern bereit sein werden, ung dabel mit Rat und Tat zu unterstützen. Selbstverständlich wird die endgültige Be⸗ schlußfafsung nicht meine Aufgabe sein, sonrern die des Reiches und des künftigen Reichsberkehrgministerg. Es ist das aber eine Aufgabe
von einer solchen großen, andauernden und entscheidenden Bedeutung,
daß man sie nicht früh genug in die Hand nehmen kann und sie auf ihre Bedeutung hinzuwelsen hat. . Es war in Frage gekommen, ob die Verreichlichung nicht früher eintreten könne als am 1. April 1921. Ueber diese Frage ist inner⸗ halb der Landegregierungen in Bamberg mit dem Ergebnis verhandelt worden, daß allgemein zugestanden wurde, eine frühere Ver reichlichung sei technlsch nicht durchfübrbar. Eg wird einer größeren und anstrengenden Aibeit bedürfen, um bis jum vor— geschriebenen Termin sertig ju werden. Wir boffen, das erreichen zu können, aber früher wird es kaum angängig sein. — Meine Damen und Herren, eg ist heute vom Herrn Abg. Schmedding und gestern vom Herrn Abg. Sprenger eine Angelegen⸗ heit hier berührt worden, von der ich mir vorgtnommen hatte, eben⸗ falls zu Ihnen zu sprechen. Dat ist die außerordentlich leidige Frage der Dieb stähle, der Schtebung en und der Ham ster⸗ fahrten. Diebstähle sind leider in der Cisenbahn auch vor dem Kriege schon vorgekommen, und zwar in dem Umfange, daß vielleicht
im Jahre 3 biz 5 Millionen Mark Entschädigungen fu zahlen waren.
Während deg Krieges hat sich hier ein Uebel eingefressen, das nicht nur moralisch, sondern auch wirtlchaftlich von grsler Bedeutung
für die Staatsbahnen geworden ist. gestern vorgelegt worden ist, rechnen die Direklionen damit, daß im laufenden Betriebtjahr eine Entschädigungssumme von 1650 Millionen Mark für Diebsltähle und verlorenes Gut zu zahlen ist. (Lebhaftes Hört, hört! Im letzten Jahre waren es 120 Millionen Mark. Meine Herren, diese Zunahme ist viellelcht weniger eine qualitative, als eine quantitative; sie hängt mit der Steigerung aller Preise zu— sammen, die auch dazu führt, daß Entschädigungen in höherem Maße gejahlt werden müssen. Aber kein Zweifel daif daran gelassen
werden, daß dieser Zustand ganz unerwünscht ist (lebhafte Zu⸗ stimmung) und daß die Verwaltung die Pflicht und Schuldigkeit (Erneute lebhafte
hat, mik aller Schärfe dagegen vorjugehen. Zustliu mung.)
Ich habe früher als Abgeordneter den Standpunkt vertreten, daß die Verwaltung diesen Dingen nicht mit der nötigen Aufmerk- samkeit gefolgt sek. Man hat zunächst das Uebel unterschätzt. Jetzt ist es groß geworden und muß mit besonderen Maßnahmen be'ämpft werden. So haben wir vor längerer Zeit die zuständigen Deiernen ten der Direkticnen zusammengerufen, um mit ihnen diese Frage zu besprechen. Es ist notwendig geworden, daß im Ministerium ein besonderer Dejernent für diese Diebstähle, Schieberei und Schleichhandelsgeschichten ernannt wird, der seine ganze Kraft auf die Bekämpfung verwendet. Es werden in sämt— lichen Direktionen Ausschüsse errichtet werden, die diese Dinge zu ver— folgen haben und die sich aus geeigneten Männern zusammensetzen mussen, die die Fähigkeit haben, entsprechend vorzugehen. Ich habe den festen Willen, hier mit aller Entschiedenheit durchzu⸗ greifen. (Bravo!) Ich hoffe, meine Herren, Sie werden mich darin unterstützen, denn es ist notwendig, daß alle Elemente, die sich solche Veifehlungen zuschulben kommen lassen, aus der Verwaltung heraus⸗ kommen. (Lebhaftes Sehr richtig Es muß der Grundsatz gelten, daß niemand wieder hineinkommt, der sich an dem ihm an— vertrauten Gut vergangen hat und der sich hat bestechen lassen, um anderen besondere Vorteile zuzuwenden. Das ist der Mittel⸗ punkt, der auch Sie angeht, denn die meisten Anträge, solche Elemente wider hineinzunehmen, kommen von dem guten Herzen der Abgeordneten, die sich sehr leicht bestimmen lassen, zu sagen: in diesem Falle möchte ich eine Außnahme gemacht haben. Der Mann hat sich gebessert, er ist ein braver Mensch. Wir müssen rücksichtsloß vorgehen und können eine Aenderung nur herbeiführen, wenn ohne Ansehen der Person von oben his unten jeder, der ver⸗ urteilt wird, aus der Verwaltung verschwindet. (Sehr richtig! Ich habe daher alle Direktionen angewiesen, mir regelmäßig zu berichten was auf dem Gebiete geschieht, mir sämtliche Verurteilungen mit dem Namen des Verurteilten anzugeben, und ich weide alle diese Listen in allen Amtsblättern v erdöffentlichen lassen, damit man draußen meikt, daß hier durchgegriffen werden soll. (Sehr richtig!
Am Sonnabend der letzten Woche war eine Abordnung aus Elberfeld bei mir. In Elberfeld, in der Nähe des besetzten Ge⸗ bieteß, sind die Schiebungen am allerschwersten und haben ganz erstaunlichen Umfang angenommen, der nach meinem Dafürhalten nicht hätte erreicht werden können, wenn die zuständigen Stellen von Anfang an mit der größten Energie vorgegangen wären. In Elberfeld wurde zur Bekämpfung des Schieberwesens ein freier Ausschuß aus Beamten und Arbeitern ge—⸗ bildet. Dieser Autsschuß hat, so gut wie er es verstanden hat, augen—⸗ scheinlich ein sehr beachtenswertes Material gesammelt. Dieses Material ist der Staatganwaltschaft überreicht worden, die es weiter zu prüfen hat. Die Kommission beschwerte sich bei mir darüber, daß anscheinend die Staatsanwaltschaft nicht mit der gebotenen Schnellig⸗ keit die Angelegenheit weiter verfolgt. Ob das richtig ist, kann ich nicht beurteilen. Wir müssen auch die Gegenseite hören. Man darf niemand verurteilen, bevor man ihn gehört hat, und eine Be⸗ schuldigung ist noch kein Beweis. Erst wenn der Beweis erbracht, wenn eine Verurteilung erfolgt ist, haben wir das Recht, ein⸗ juschreiten. Aber da diese Meinung entstand, als ob dort nicht mit der Lebhaftigkeit vorgegangen wäre, die im Interesse der Sache ge⸗ boten ist, habe ich mich mit den zuständigen Ministerien vereinbart, und wir haben am Dienstag eine Kommission heruntergeschickt, die aus einem Vertreter meiner Verwaltung, einem Vertreter des Justiz- ministeriums, einem Vertreter des Reichswirtschaftgministeriums und einem Vertreter der Landespolizeibehörde bestand. Dieser Aus⸗ schuß hat die Befugnis, mit aller Macht durchzugreifen, damit sie ein Ergebnin hat, und ich glaube, Sie werden nicht daran jweifeln, daß wir alle gebotenen Maßnahmen in Angriff nehmen, um diese Zustände zu bekämpfen, nicht allein aus
finanziellen Gründen — die Diebstähle sind heute für uns eine
finanzielle Frage geworden —, sondern wir müssen sie bekämpfen vor allem auch im Interesse der Moral unseres Volkes (sehr richtig!) und der Moial des eigenen Betriebes. Es ist ganz selbstverständlich, wenn von einer so großen Verwaltung wie der Staatgeisenbahn⸗ verwaltung, es im Lande herumraunt und wispert, daß man durch Bestechung Wagen bekommen kann, wenn kein anderer Wagen
bekommt; wenn man beobachten kann, daß Wagen an eine bestimmte
Adresse ohne B gleitpapiere durchgeführt werden, Wagen, die nur Schiebergut enthalten; wenn die Güter, die der Staatseisenbahn an⸗ vertraut sind, beraubt an ihre Adresse gelangen, daß dann natürlich das weit hinauswirkt auch auf die Moral der anderen Kreise. Im Interesse der Sauberkeit unserer eigenen Verwaltung, im Interesse unseres Volkes muß mit aller Schärfe dagegen vorgegangen werden . (Sehr richtig) Nun hat der Abg. Brunner gestern gesagt — ich habe leider seinen Ausführungen nicht folgen können, weil ich anderweit beschäftigt war — daß in der Staatgeisenbahnverwalturg auch heute noch Arbeiter und Angestellte wegen ihrer poli⸗
tischen Gesinnung verfolgt würden. Das geschehe nicht
in den Direltionen, sondern draußen. Wenn derartige Fälle vor—⸗ kommen, bitte ich, mich es wissen zu lassen; ich werde eingreifen. Nach meiner Meinung haben wir wegen seiner politischen Ueber— zeugung niemanden ju verfolgen. Solange er seine Pflicht und Schuldigkeit tut, muß uns der eine so willkommen sein wie der andere, und wir dürfen da auch keinen Unterschied in den Parteien machen. (Sehr gut))
Herr Abgeordnete Brunner hat dann auch Stellung genommen zu dem früheren Eisenbahnminister Herrn von Breitenbach. Meine Damen und Herren, ich verstehe es vollständig, wenn Herr Brunner seiner abweichenden polltischen Ueherzeuqung Ausdruck gibt, und ich verstehe ei von ihm insbesondere,
Nach einer Berechnung, die mir sein System scharf kiitißert hat, wenn er auch heute sein System,
der ja schon, als Herr von Breitenbach noch an dieser Stelle stand, das belseitigt ist, hier scharf unter die Lupe genommen hat. Ich würde rkarüber kin Wort verlieren. Aber Herr Brunner hat weiterhin die Person und den Charakter meines Herrn Amtevorgängers in die Debatte gezogen und ihm in der schärfsten Weise Vorwürfe gemacht, die nach meiner festen Ueberzeugung absolut unbegründet sind. (Sehr richtig) Es geht nicht an, Herrn von Breitenbach einen Landesverräter zu schelten, weil er in der Zeit, in der wir in schwersem Kamrfe standen, es fär seine Pflicht eracht te, alles zu tun, um die sen Kampf zu einem guten Ende zu bringen, und was er als Chef der Eisenbahnverwaltung leisten konnte, leistete er zur Unterstützung der Truppen draußen.
Wenn Herr Brunner auf das Herausreißen der Feuer büchsen hingewiesen hat, so darf er überzeunt sein, daß Herr von Breitenbach das gewiß nicht freiwillig getan hat (sehr richtig) und es auch nicht leichten Herzens getan hat, sondern eben unter dem Druck der Verhältnisse und, wle ich vielleicht noch hinzufügen darf, nach einem harten Kampfe innerhalb der Verwaltungen. Er ist dafür ebensowenig verantwortlich wie der Geistliche, der zugeben mußte⸗ daß ihm die Glocken vem Kirchturm heruntergeholt wurden, und so wenig, wie man den Geistlichen einen Kriegtverlängerer nennen darf, weil seine Glocken umgegossen werden sollten, so wenig darf man Herrn von Breitenbach einen Kriegs verlängerer nennen, weil er pflicht⸗ gemäß das ausführte, was von den zuständigen Stellen beschlossen wurde. (Sehr richtig)
Wenn Herr Brunner weiter Herrn von Breitenbach einen Landetz⸗ verräter genannt hat, wie mir eben zugerufen wird, so ist ganz selbstver« ständlich, daß das eine abwegige Kampfesweise ist (sehr gut! und lebhafte Zurufe rechts), eine Kampfesweise, von der ich wünschte, daß sie nicht allgemein wird, daß sie in diesem hohen Hause sich nicht einbürgern möge. Wir wollen auch in dem Gegner noch den Menschen sehen und einem Mann wie Herrn von Breitenbach, ob man nun mit seinem System einverstanden war orer nicht, die Hochachtung vor seinem Charakter, seinem Wesen, feinen Leistungen unter keinen Umständen versagen. (Bravo! — Zurufe links.) — Daß die Arbeiter⸗ schaft sich mit ihm im Kampfe befand, ist ganz richtig, Sie dürfen aber eine einzelne Frage nicht allein ausschlaggebend sein lassen, sondern wenn derartig schwere Vorwürfe erhoben werden, müssen sie auch begründet sein.
Meine Damen und Herren, nun liegt Ihnen ein Antrag der Abgg. Gräf, Dr. Porsch und Dr. Friedberg vor, Nr. 965 der Druck⸗ sachen. Für diesen Antrag bitte ich um Ihr Interesse aus Gründen die ich bereits ausgeführt habe. Ich muß immer wieder darauf hin⸗ weisen, daß unsere Betriebslage heute außerordentliche Maßnahmen erheischt, wenn nicht noch schwerere Einschränkungen erfolgen sollen. Wir haben im Ruhrrevier vor dem Kriege 33 000 Wagen täglich ge⸗ stellt. Der gegenwärtige Normalbedarf im Ruhrrevier wird ungefähr 16500 Wagen sein; wir stellen 12000 bis 14000 Wagen, oft noch weniger. Es ist uns unmöglich, die volle Wagengestellung herbeizu⸗ führen. In Oberschlesien haben wir vor dem Kriege 12000 bis 13 000 Wagen täglich gebraucht, der normale heutige Gebrauch würde 6000 bis 6500 sein. Wir sind zeitweise heruntergekommen auf 4000 Wagen; also auch in Oberschlesien die Unmöglichkeit, die be⸗ nötigte Wagenzahl zu gestellen. Nun aber stehen wir vor dem Zwange, daß die Ernte eingebracht ist und in den Verbrauch übergehen soll. Wir haben im Oktober v. J. für Kartoffeln, Mehl, Getreide, Ge⸗ müse, Obst, Rüben, Kali usw. 19 600 Wagen täglich mehr gebraucht. Wir können aber heute 4000, 5000, E000 Wagen, die wir mehr brauchen würden für Kohlen allein, nicht aufbringen. Wir haben im November 25 200 Wagen täglich mehr gehraucht. Wenn die Rüben nicht in die Zuckerfabriken kommen, was geschieht mit ihnen? Das Getreide wird notwendig gebraucht. Jetzt sollen die Kartoffeln abbefördert werden. Wenn Frost eingetreten ist, hat es keinen Zweck mehr, die Kartoffeln zu fahren, sie erfrieren. Der ganze Verkehr drängt sich erfahrungsgemäß in der Herbstperiode zusammen. Weshalb wir diese Wagen nicht fahren können, das ist Ihnen schon gestern von mir dargelegt worden, es ergibt sich das aus dem schlechten Stand unserer Lokomotiven und aus den mangelhaften Leislungen auch des Personals. Wir baben die Lokomotiven früher ausgenützt mit 50 bis 60 km täglich mehr als heute. Wir haben heute vielleicht eine Ausnutzung von 150 km im Tage, während es früber 190 bis 200 km waren. Rechnen Sie das auf 12 000 Lokomotiven um, so bekommen Sie eine tägliche Minderleistung an Zugkilometern bei den Lokomomiven von 600 000 km. Da ist es ganz erklärlich, daß der Betrieb stockt und nicht leistungsfähig genug ist.
Nun hat man uns vorgeworfen, daß wir selbst nicht genügend Bestellungen herausgegeben hätten. Während des Krieges ist mit Ausnahme einer kleinen Schwankung so viel an Material bestellt worden, als die Werke überhaupt leisten konnten. Heute haben wir noch Bestellungen an Lokomotiven, Personenwagen und Güter⸗ wagen draußen, die für Monate reichen, die vielleicht bis 1922 reichen, die aber nicht rechtzeitig geliefert werden. Am 1. September waren bei den Bauanstalten rückständig 640 Loko⸗ motiven und 14914 Güterwagen.
Man sagt nun, wir sollten die Privatindustrie zu den Reparaturen stärker heranziehen. Wir haben sie in steigendem Maße an den Reparaturen beteiligt. Ende August waren mit Lokomotivenausbesserungen 60 Werke, mit Kesselausbesserungen 57 Werke, mit Personenwagenausbesserungen 52, mit Güterwagen⸗ ausbesserungen 142 Werke beschäftigt. Die Heranziehung der Privat⸗ industrie hat gewisse Schwierig eiten, weil sich jedes Privatunternehmen erst auf Reparaturen an Wagen einstellen muß und diese Einstellung natürlich verschiedene Arbeiten und Einrichtungen verlangt. Aber wir sind gern bereit, Privatwerke auch noch in stärkerem Maße heran⸗ zuziehen, wenn sie für Reparaturen geeignet sind.
Es ist wiederholt gesagt worden, daß die Ausstattung der Werk- stätten zu wünschen übrig lasse, insbesondere die Ausstattung der Werkstätten mit Werkzeugen. Meine Damen und Herren, nun haben wir eine Reihe von Werkstätten, die seit 50 oder 40 Jahren im Betrleb sind, und da ist ohne weiteres zuzugeben, daß diese Werkstätten unzulänglich sind. Sie sind zu eng, zu niedrig, haben den Raum nicht und bieten nicht die Möglichkeit einer Moderni⸗ sierung, und wir würden sie bereits aufgegeben haben, wenn der Reparaturstand augenblicklich nicht so groß wäre, daß wir sie noch benutzen müssen. Was die Werkzeuge anbelangt, so ist von Anfang an darauf gedrückt worden, als der Achtstundentag und damit Doppel schichten eingeführt wurden, daß für jede Schicht das entsprechende