Fleisch schneiden. Sind sie klug, so werden sie sich auf eine Revision einlassen, tun sie es nicht, so werden die feindlichen Völker klüger sem als ihre Regierungen und erkennen, daß man die deutsche Wirtschaftekrait nicht aus dem euroräischen Konzern berausschneiden kann. Der Streit ist müfsig, ob wir es mit einer Kohlennot oder mit einer Transportnot zu tun haben; beides ist vorhanden, und deshalb steht auch die Angabe des Handels ministeirs mit der des Eisenbahnministers nicht im Widerfpruch. Wenn der Eisenbahnminister mit den schärfsten Maßregeln dreht, so tut er es nicht aus Ressortpatriotismug. sondern im Hinblick auf das große gemeinsame Ziel; jeder erfüllt nur seine Vflicht Können wir die Kohlenfördermenge nicht wieder auf 170 Milltonen Tonnen jährlich bringen, so sieht es in Zukunft um Deutschlants Wirtschaft recht trübe aus. Das deutsche Wirtschaftsleben wird neben seinem Kohlenreichtum durch seinen tüchtigen Kaufmannsstand, durch seinen hochintelligenten Arbeiterstand und durch ein Zusammenarbeiten von Wissenschaft und Technik, wie es in keinem anderen Lande der Welt existiert, aufrecht erhalten. Keine Frage ist wichtiger als die rheinische Kohlenförderung. Es darf nicht zur Auswanderung kommen. Wir müssen wieder zur Selbstgenügsamkeit zurückkehren. Die besten Geister sollen uns zeigen, wie aus der Menge der vorhandenen Kohlen der größte Nutzen geeogen werden kann. (Beifall.)
Die weitere Beratung wird auf Mittwoch 12 Uhr vertagt, außerdem dritte Beratung des Gesetzentwurfs üper Erweiterung der Selbständigkeitsrechte der Provinzialverbände sowie erste Beratung des Gesetzentwurfs über die Steuer— veranlagung und Steuerverwaltung. Schluß 16 Uhr.
Parlamentarischer Ausschuß
für die Untersuchung über die Schuld am Kriege und an dessen Verlängerung.
g. Sitzung vom 11. November 1919.
Vorsitzender Abg. Warmuth eröffnet die Sitzung, in der
d Verhandlungen des zweiten Unterausschusses über die Frieden smöglichkejten während des Krieges sort—
des Professors Dr. Harms, Kiel. Darin wird auf eine Aeußerung des Adnuürals Koch Bezug genommen, wonach Harms vor dem Be, des rüchsichtslosen U⸗Bootkrieges über die wirtschaftliche Seite dieser Frage gehört worden sei. Harms erklärt dies für unrichtig und er⸗ bietet sich zur Auesage vor dem Ausschuß. Der Vorsitzende stellt fest, daß die Rektoratsrede, in der Harms zur U⸗Botfrage Stellung ge⸗ nommen habe, erst im März 1917 gehalten worden sei. Der Aus— schuß verzichtet daher auf die Vernehmung des Professors Harms. Der Vorsitzende nimmt weiter Bezug auf eine Aeußerung des Admirals Koch über die politische Wirkung des U⸗Bootkrieges im Sommer 1917. Die Bemerkung Kochs über Englands Friedens⸗ bereitschaft und über die Zerstörung dieser Friedensbereitschaft durch eine Indiskretion habe eine Wertung in der Presse gefunden, als ob sie ausschlaggebend gewesen sei. Hier liege nur eine persönliche Aus⸗
fassung des Admirals Koch vor. Inwieweit sie den Tatsacken eni— spreche, unterliege noch der Prüfung des Ausschusses, der Line besondere
Untersuchüng darüber anstellen werde. .
Darauf wird die Verhandlung über die technische Seite des U⸗Bootkrieges fortgesetzt.
Staatssekretär. . D. won Capelle: Herr Di. Struve hat mir zwei schwere Vorwürfe gemacht: erstens, daß ich während meiner Amtsdauer nicht genügend U-Boote gebaut hätte, und zweitens, daß ich durch meine Ausführungen im Hauptausschuß den Reichstag ge⸗ täuscht hätte. Ich möchte zunächst die Zahl der in Bau gegebenen U-Boote melden. Ich habe mir von der Admiralität die neueste Zusammenstellung über die während, des Krieges und nnmitte bar vor dem Kriege in Bau gegebenen U⸗Boote geben Lassen. Diese Kon⸗ trolle der Admiralität, die vom Mai 1919 datiert, weist nach, daß vor dem Kriege und während des Krieges im ganzen 10 U-Boote in Auftrag gegeben sind. Von diesen Ih U⸗Booten fallen in die Zeit vor dem Kriege 45. Vom Großadmiral von Timitz sind 186 U-Boote in Auftrag gegeben und von mir während meiner Amtsdauer von
etwa 2½ Jahren 579. Ich möchte glauben, daß diese Zahlen“
eigentlich für sich selbst sprechen. Die von mir in Auftzag gegebenen U⸗Boote verteilen sich auf die einzelnen Jahre wie folgt: In den neun Monaten des Jahres 1916, als ich Staats sekretär war, habe ich 90 U-Boote in Auftrag gegeben, im folgenden Jahre 1917 269, in den neun Monaten des Jahres 1918 noch weitere 220. Wie Sie aus dieser Zusammenstellung ersehen, ist das Jahr 1916, das von ausschlaggebender Bedeutung war, schlecht weggekommen. Der Grund für die geringe Inbaugabe im Jahre 1916 lag vor, allem in der politischen Situation. Im Februar 1915 war bekanntlich der U-Bootkrieg zum ersten Male erklärt worden. Dann war er im Laufe des Jahres unter der Einwirkung des amerikanischen Neten— wechsels praktisch versandet. Im Herbst 1915 erließ der Admiral stab einen Geheimbefehl, daß der U-⸗Beöotwirtschaftskrieg an der Westküste Englands zunächst ganz eingestellt werden sollte. In der 39 sollte der U⸗Bootbandelskrieg nach Prisenordnung weitergeführt weiden. Anfang 1916 erfolgte ein sehr starkey Vorstoß der damaligen Qbersten Heeres leitung (Falkenhayn) und der. Seekriegs leitung (Holtzendorff, um die Wiederaufnahme des rücksichtslosen U⸗Boots-⸗ kriegs durchzusetzen. Die Verhandlungen darüber kamen in einem gemeinschaftlichen Vortrage der Kriegsleitung und der politischen Leitung am 4. März 1916 beim Kaiser zur Entscheidung. Die Ent scheidung fiel im wesentlichen dahin aus. daß der rücksichtslose U-Boot ⸗ krieg vertagt werden sollte. Im Anschluß daran nahm Tinpitz seinen Abschied. Am 15. März erfolgte meine Ernennung zum Staats sekretär. Die Vertagung des U⸗Bootkriegs und der Abschied Tiwitz bat im deutschen Volke eine große Erregung heworgerufen. Diese Erregung fand ihren Niederschlag in Resolutionen, die von sämtlichen politischen Parteien mit Ausnahme der Sozialdemokraten eingebracht wurden, und die sich mehr (der minder zugunsten des U⸗Bootkriegs aussprachen. (Widerspruch) Diese Resolutionen wurden dem Haupt⸗ ausschuß des Reichstegs überwiesen. Ende März fanden langwierige Verhandlungen im Reichstage statt, in denen dig ganze Frage sehr eingebend geklärt wurde. Das Refultat dieser Verhandlungen war ein einheitlicher Plenarbeschluß des Reichstags, von Hevdebrand his Scheidemann, daß bei dem UsBootkrieg die berechtigten Interessen der neutralen Staaten zu beachten wären. Dieser einheitliche Be— schluß des Reichstages bedeutete eine einheitliche Ablehnung des rück— sichtslosen U-⸗Bootkrieges. Im Anschluß an diese Verhandlungen er— eignete sich der Susserxfall, und am 4. Mai erfolgte unsererseits die Sussernote an Amerika, in der gesagt. wird, die deutsche Regierung habe Weisung an die deutschen Sceestrejtkräfte ergehen lassen hinsicht⸗ lich der Beobachtung der allgemeinen völkerrechtlicken Grundsätze über Anhaltung, Durchsuchung und Zerstörung von Handelsschiffen auch innerhalb des Seekriegsgebietes, Kauffahrteischiffe nicht ohne Warnung und Rettung der Menschenleben zu versenken, es sei denn, daß sie fliehen oger Widerstand leisten. . Vorsitzerder Warmuth bittet, sich nur über die technische Seite der Frage zu äußern. . BStaatssekretär a D von Capel(sjle: Ich soll erklären, weshalb ich kein großzügiges 1. Boohrogramm 1916 entwickelt habe. Deser Grund liegt auf politischer Seite, deshalb muß ich darauf eingehen. Mit der Sussernote war der rücksichtssose U-Bootkrieg auf den toten Strang geschoben, bis er auf Veranlassung Hindenburgs und Kuden⸗ dorffs wieder aufneenommen wurde. Bei dieser Situatson konnte ich ein großzügiges U.Hoothauprogramm nicht aufstellen, wenn ich mich nicht in schreienden Widerspruch mit der Regierunasvositik setzen wollte. Es kamen aber noch weitere marinetechnische Gründe hinzu. Der erste lag darin, daß bej meinem Dienstantritt sämtlscke U⸗Boorkonstruktionen umgeändert und der bis dabin überwiegende Tyr des U-Bootes unge— ker verdoppelt wurde. Es wurden Boote von 1200 Tonnen in struktlon genemmen, während die bisherigen eha 80 Tonnen
Hatten. Der nreite Grund lag darin, daß Anfang Juli nach der Skagerrakschlacht eine Menge Sckiffe havarien schleunigst wettgemacht
6 ßten. Diese Wiederheistellung wirkte auf die U-⸗Bootbau⸗
feit erhe blich zurück. Dam kommt hinzu, daß im Jahre 1916 die angefangen hatten, in ganz außerordentlich großzügiger
R Nordseegebiet, besonders vor den Flußmündungen, das so⸗ e nasse Dreieck, mit Minen zu verseuchen. Dadurch entstand für ie Gefahr, daß nicht nur die Schlachtflotte, sondern auch die 14 ngekesselt würden und nicht heraus konnten. Auf allen Sci Front wurde der Schrei laut nach Minensuchbooten, Torpedobootèen, Patrouil und anderen kleineren Fahrzeugen. Dieser Forkerung habe ick in der Budgetkommission Ausdruck ver—
hen müssen. Nachdem nun 1917 der rücksichtslofse U⸗Bootkrieg tat— ich eingesetzt hatte, habe ich mir trotz der Sechsmonate⸗Prophezeiung stärkste Förderung des U⸗Böotkrieges angelegen sein lassen, das beweist die Zahl der von mir 1917 und 1918 in Auftrag gegebenen U-Boote. Unrichtig ist es, daß ich nichts aus eigener Initiative getan hätte, sondern immer nur auf Veranlassung des Reichskanzlers oder der ö f
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5 1 ej
sten Heeresleitung die Bestellungen gemacht hätte. Dem Reichs zler von Bethmann Hollweg wurde einmal eine Denkschrift des Abg. Dr. Struve übermittelt, in der dieser in warmen patriotischen Worten seine Besorgnis ausdrückte, daß wir nicht genügend U⸗Boote bauten. Von dieser Denkschrift habe ich erst durch den Reichskanzler Michaelis Kenntnis bekommen. Ein zweites Mal hat der Reichs— kanzler im Sommer 1917, als der rücksichtslose U⸗Bootkrieg auf der Höhe stand, ein Schreiben an mich gerichtet, in dem er zum Ausdruck brachte, daß er mit einem langen Kriege und langen Waffenstillstandeverhandlungen rechne, es müsse an den Dispositionen für den U⸗Bootkrieg festgehalten werden. Dieses Schreiben rannte bei mir insofern offene Türen ein, als sehr erhebliche U⸗Booibestellungen zon mir gemacht waren. Ich wollte dieses Schreiben bei passender Gelegenheit im Hauptausschuß vorbringen, um den Reichskanzler gegen die ewigen Vorwürfe zu decken, als ob er sich nicht genügend für den U⸗Bootkrieg interessiere. Ein drittes Mal telephonierte der Reichs— kanz er mich frühmorgens an, die Abgg. Fischbeck und Wiemer seien bei ihm gewesen und hätten ihre schwers Besorgnis ausgedrückt, daß wir
genügend U-Boote bauten. Ich habe dem Reichskanzler sofort
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0 Mer, in, sr e, f [ Vortrag über den Stand der
R nmiöRor 12 sn rack; 9 , 51 0 nicht über WBootktieg — gesprochen. Auch an den Reichskanzler . 3132 4 eywör rrime 33 58 93 , fuse (V 5 Br; 5 63 * is hat Dr. Struve eine sehr eingeh nde Denkschrift gerichtet,
eser mir während einer Sitzung der Budgetkommissien herüber reichte, ohne auch nur ein Wort dazu zu sagen. Das sind die Ein— wirkungen der drei Reichskanzler, die mich andauernd zum U-Boot⸗ t haben sollen. — Nun zur Obersten Heeres eitung. Sse gangen Jahre mit mir über den U⸗Bootbau auch nicht Wort gerochen. Dr. Struve hatte auch an Ludendorff eine Denkschrift gerichtet, er möge seinen Ginfluß dafür einsetzen, daß mehr U⸗Booie gebaut würden, ebenso Abg. Gothein. General Luden—⸗ dorff hat darauf geantwortet, daß im Rahmen der g. samten Rüstungs— industrie eine Steigerung des U⸗Bootbaues nicht mehr möglich war. Eine Feststellung des Reichsmarineamts bei den Werften habe ein— wandfrei und erneut den Beweis erbracht, daß dies der Fall war. Daran ändere auch nichts, daß einzelne Werften sich zur Uebernahme D Kriegswirischaftsplan müsse
don Aufträgen bereit erklärt hätten. De derden.
als ein einheitliches Ganzes aufgefaßt
. J . u dem Reichskanzler a. D. Dr, won Bethmann Hollweg: Warum ist die an Sie gelangte D
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*
Vorsitzender Warmuth zu dem 9 Denkschrift
. Struves nicht an den Staatssekreiär don Capelle weitergel. itet worden? .
Herr Dr. von Bethmann Hollweg: Ich habe niemals den Eindruck gehabt, daß Staatssekretär von Capelle den U-⸗Bootbau ungenügend förbere. Irgendwelche Widerstände waren also nicht zu überwinden. Wenn daher Struves Denkschrift von mir nicht weiter— gegeben worden ist, so deshalb, weil ich der Ueberzeugung war, daß für den U⸗Bootbau alles Mögliche geschah.
Vors. Warmuth: Staatssekretär von Capelle behauptet, daß politische Gründe ihn davon abgehalten hätten, 1916 mehr U-Boote bauen zu lassen.
Herr Dr. von Bethmann Hollweg: Was soll ich dazu sagen? Meine allgemeß ne Stellung zum U⸗Bootkrieg war Herrn von Capelle bekannt. Diese Stellung hatte in der „Susser“⸗Note ihren Ausdruck gefunden. Wenn Staatssekretär won Capelle daraus den Schluß ge⸗ zogen hat, daß es mir durchaus erwünscht war, um den rücksichtelosen U⸗Bootkrieg herumtzuukommen, so hat er durchaus wichtige Schlüsse gezogen.
Vers. War muth: Diese Antwort deckt nicht die Frage. Die Frage sst, cb die Weigerung der Reiche leitung, den U-Bootfrieg zu 1
j *
führen, von Einfluß gewesen ist auf den U⸗Bootbau, d. h. ob Ein— wirkungen in dieser Richtung stattgefunden haben.
Herr Dr. von Bethmann Hollkweg: Das ist in keiner Weise geschehen. Ich habe damals mit Capelle über U⸗Bootbauten überhaupt nicht gesprechen. Die Schilüsse, ze er aus der pelitischen Lage auf die Baupolitik gezogen hat, sind seine eigenen Angelegenheiten.
Herr von Capelle: Alles war gegen den U⸗Bootkrieg. Da wäre es deplaziert gewesen, ein großzügiges U-⸗Bootbauprogramm zu entwerfen. Es wurde allgemein abgebllasen. Tirpftz war vorgeworfen worden, daß er Politik auf eigene Faust gemacht habe. Ich wäre in denselben Fehler verfallen, wenn ich nach diesen Vorgängen ein groß— zügiges U⸗Bootbauprogramm entworfen und ausgeführt hätte.
Abg. Gothein: Nach dem Demebilmachungsplan hatte die „Germaniawerft“ in Kiel sofort zwölf U⸗Beote zu bauen. Davon ist die Hälfte sofort gestrichen worden.
Kapftän Bartenbach: Die „Germaniawerft“ war noch mit Friedensaufträgen im Rückstand. Sie konnte nicht mehr als sechs Boote bauen; die anderen sechs Boote fielen nicht aus, sondern wurden der „Weserwerft“ übergeben. Die Gesamtzahl blieb also unverändert.
Abg. Gothein: Das geschah aber erst im Okteber.
Kapitän Bartenbach: Eine Verzögerung um einge Wochen ist allerdings entstanden.
Abg. Gothein: Auch die anderen Werften sind nur ganz all⸗ mäbllich und teilweise erst recht spät zum U⸗Bootbau herangezogen worden. ;
Herr von Capelle; Ein Teil der Werften baute U⸗Boote, die andere Minensuchboote. Den Werften sind neue Typen nöcht auf⸗ genrungen worden, sie haben sich geradezu darum gerissen.
Kepitän Bartenbach: Es ist kein Verteil, sondern ein Nach— teil, wenn neue Werften zugezogen werden müssen, weil sie dann erst Erfahrungen sammeln müssen. Es kommt nur darauf an, wieviel U-Boote im ganzen gebaut werden. . ;
Abg. Gothein: Herr von Capelle erklärte, es sei nach der ganzen politischen Lage unmöglich gewesen, ein großzügiges U-⸗Booibau⸗ programm aufzustellen, weil alle politischen Parteien, außer den Sozialdemokraten, für den U⸗Bootkrieg waren. Von der Fortschritt⸗ lichen Volkspartei ist keine nennenswerte Organisation dafür einge⸗ treten. Im Haushaltsausschuß haben Sie erklärt, daß wir nicht genug U-Boote hätten, um den rücksichtslosen U⸗Bootkrieg führen zu können. Diese Rede ist leider in den Reichstaasakten nicht vorhanden. ;
Herr von Capelle: Ih habe erklärt: Ich kann mich nicht zu der Ucberzeugung durchringen, daß ein sechsmonats der U⸗Bwootkrien mit vielleicht gerade ausreichenden, aber keineswegs reichlicken Kräften genügen wird, um England zum Frieden zu zwingen. Dazu gehört doch noch mehr.
Aba. Gothein: Es ist interessant, daß Herr von Capelle die Rede jetzt verlesen kann, die in den Reichstagsakten nicht vorhanden ist. Ist ihm in Erinnerung, daß als Folge seiner Rede ein so entschiedener Anhänger des U⸗Bootkrieges, wie der Abgeordnete Gröber, zum Ver⸗ zicht guf den Krieg in dieser Situation gekommen ist?
Herr bon Capelle: Ich habe erst vor zwei Tagen gehört, daß meine damalige Rere nicht amtlich stenographiert worden ist, sondern
vom Kapitän von Gohren. Ich glaubte, sie wäre in den Akten des
Reichstags, dem ich habe ja selbst das größte persönliche Interesse
hein: Das Reichstagsbüro hat wiederholt versuckt, Reichsmarineamt zu erhalten; sie wurde aber nicht ab⸗ Herr von Des ist niemals zu meiner Kenntnis ge⸗ kommen. s entsinne ich mich genau. Ich war außerordentlich erstaunt, daß ich gesagt haben sollte, wir hätten nicht zenügend U-Boote, um den rücksichtslosen U⸗Bootkrieg zu führen. z liegt beim U⸗Bogtkrieg anders als beim Landkrieg. Beim Land⸗ krieg bin ich auf ein bestimmtes Maß von Kräften ungewiesen. Beim rüclsichtslosen U⸗Bootkrieg nicht, den kann ich mit wenig oder viel Ccoten anfangen. Es bestand ja eine Strömung in Marinekreisen, 4
— Der
86 Tiwpitz an der Spitze, die der Ansicht war, daß unsere Zahl an Booten voll und ganz ausreichte. Sie hätte also durchaus ausge⸗
Erfolg, um den Effekt. (Heiterkeit. In einer englischen Broschüte von Conan Dovle, die meisterhaft den U⸗Bootkrieg schildert, wird der Erfolg mit acht U⸗Booten erzielt. Eachen.)
Abg. Dr. Struve: Schon 1916 schien uns Staatssekretär v. Capelle über den U⸗-Boot⸗Bau nicht recht orientiert zu sein. Jeder Tag war kostbar, und deshalb wuchsen unsere Bedenken gegen eine leitende Persönlichkeit, der jede Erfahrung fehlte. Erst gegen Ende seiner Amtszeit ist er entsprechend unseren Einwendungen zu der Eih— sicht gekommen, daß wir Serien und nicht soviel Einzellppen von U⸗Booten haben müßten. Von elf Werften, die zum U⸗Boot⸗Bau herangezogen worden sind, haben nur fünf die Möglichkeit gehabt, U⸗Boote abzuliefern. Erst Herbst 1917 setzten die großen U⸗Boot⸗ Bestellungen ein, es deckt sich dies mit jener diplomatischen Antwort Ludendorffs, daß das Zusammenarbeiten mit der Marineverwaltung „jetzt“ vorhanden sei. Die in der Folgezeit gemachten U⸗Boot⸗Be⸗ stellungen rechnen wir nicht mehr zu der Amtsführung des Herrn v. Capelle. Es ist zugegeben worden, daß Herr v. Bethmann, wenn auch selbstverständlich in Lebenswürdigster Form, um einen verstärkten U-⸗Boolbau sich gekümmert hat. Interessant ist, daß Herr v. Capelle erst vorgestern davon untexrichtet worden ist, daß seine Rede vom 28. oder 29. März 1916 nicht oder „nicht mehr“ im Protokoll des Reichs⸗ tags vorhanden sei. Mehrfach habe ich bereits darauf hingewiesen, daß ie micht da sei. Politisch ist es um so bedenklicher, als Graf Westarp chwere Vorwürfe daraufhin gegen mich erhoben hat. .
Herr von Capelle: Ich bin im März 1916 gegen meinen er⸗ heblichen Widerspruch zum Staatssekretär ernannt worden. Dieser Widerspruch begründete sich hauptsächlich darauf, daß ich seit 20 Jahren aus der Front heraus wäre und mit der technischen Seite so gut wie nichts mehr zu tun gehabt hätte. Ich war infolgedessen auf meinen Departementsdirektor angewiesen, der als ehemaliger Oberwerftdirektor reiche Erfahrungen hatte. Er besaß meine volles Vertrauen. Ohne jeden äußeren Druck habe ich dann das U⸗Boot⸗Amt geschaffen, das sich alsbald so entwickelte, daß es dauernd zu den anderen Bauämtern in Konflikt kam. Ich mußte dauernd Frieden stiften und habe stels zupunsten des U-Boot⸗Amtes entschieden. Die ganze Verantwortung fiel auf mich und seitens des U⸗Boot⸗Amtes wurde (ine viel energischere Bautätigkeit entfaltet.
Abg. Dr. Spahn: Welches ist Ihre persönliche Auffassung über den U⸗Bootkrieg?
Herr von Capelle: Die Frage, ob und wann der U Boot⸗ krieg beginnen sollte, ging mich als Staatssekretär nichts an. Ich bän auch niemals gefragt worden. Als ich Staatssekretär geworden wat, beurteilte ich unsere Kriegslage noch verhältnigmäßig günstig. Ich war daher mit der vom Kaiser getroffenen Entscheidung einer Ver⸗ tagung des U⸗Bootkrieges einverstanden, und es wurde mir dahet auch leicht, diese Entscheidung vor dem Reichstag zu vertreten. Inzwischen bekam ich mehr und mehr Einblick in die Kriegslage. Um die Jahres wende 1918/17 war ich derselben Ansicht wie die Sberste Heoresleitung und der Reichskanzler, nämlich daß unsere Lage sehr ernst war. Es blieb uns nichts anderes übrig, als dat Letzte Kriegsmittel einzusetzen, um uns vor dem Untergang zu retten. Dieser Auffassung neigte ich um so mehr zu, als uns der rücksichtslose U⸗Bootkrieg eine mindestens sehr große Chance bot, den Krieg für uns günstig zu beenden. Von einem Niederzwingen Englands ist niemals die Rede gewesen, wohl aber davon, daß dor Erfolg genügen würde, um England zu einem brauchbaren Frieden geneigt zu machen. ö
Abg. Dr. Sinzheimer: In der Denkschrift des Admiral⸗ stabes ist aber ausdrücklich von einem Niederringen die Rede, von einem Sieg über England, und im Reichstagsausschuß hat Graf Westarp als Gefahr des U⸗Bootkrieges bezeichnet, daß Wilson Ver⸗ handlungsversuche machen und wir uns darauf einlassen würden. Er hoffte auf den vollständigen Sieg über England. In dieser Sitzung des Ausschusses waren alle Regierungsmitglieder anwesen, aber niemand hat dem Grafen Westarp widersprochen.
Herr von Capelle: Zu solchen hochpolitischen Ausführungen Stellung zu nehmen, war nicht meines Amtes.
Reichsminister Dr. Da bid: Es äist von der größten Bedeutung, was die Oberste Heeresleitunn und die Seekriegsleitung von dem rück— sichtslosen U⸗Bootkrieg erhofft haben. Man stellt es jetzt so hin, als ob man nur ein psychologisches Weichwerden Englands erreichen wollte. Das entspricht aber nicht den Tatsachen. Der brauchbare Frieden, den man erhoffte, war der deutsche Schwertfrieden. Der war aber nur nach dem Siege über England zu erreichen. Wilson aber wollte den Frieden ohne Sieg. Zu diesem deutschen Schwertfrieden genügte nicht ein psychologischss Weichwerden Englands, sondern er mußte diktiert werden. Das ist in amtlichen Schriften auch gesagt worden. Die Seekriersleitung verfolgte also sehr reale Ziele.
Herr don Capelle: Ich habe stets davor gewarnt, von einer Aushungerung Englands zu sprechen, und habe das auch in meinen Reden im Reichstagsausschuß zum Ausdruck gebracht. Das war auch die Meinung in der Marine. Es handelte sich nur darum, Eng⸗ land friede nsbereit zu machen.
Professor Dr. Bo nn: Die politische Entscheidung im Jahre 1916 bedeutete doch nicht, daß auf jeden U⸗Bootkrieg verzichtet werden sollte, sondern er sollte nur als Kreuzerkrieg geführt werden. War er in dieser Form wirkungslos?
Herr von Fapeltle: Im März 1916 war die allgemeine Ansicht in der Marine, daß der Kreuzerkrieg keinerlei Ergebnisse zeitigen würde. Der Chef der Hochseeflotte war der Ansicht, daß er den Einsatz der U⸗Boote nicht lohnt. Er hat den Kreuzerkrieg mitz den ihm unterstellten Streitkräften nicht geführt und ist erst im November durch den Kaiser gezwungen worden, den Kreuzerkrieg auf⸗= zunehmen. Beim U⸗Bootsbau bin ich nicht hinter dem bisherigen Mehus zurückgegangen, aber es hätte einen eigenartigen Eindruck ge⸗ macht, wenn ich nach der Sussexnote mit einem großen U⸗Boot. Programm gekommen wäre. Ich habe das bisherige System fort geführt. Mir ist dann der Vorwurf gemacht worden, ich hätte den Reichstag getäuscht. Ich hätte wohl die Zahl der fertigen U⸗Boote mit 160 benannt, aber verschwiegen, daß dabon nur eine geringe Zahl in See sei. Die Ansicht, als ob mit der steigenden Zahl der U⸗Boote Tuch die Zahl derjenigen steigt, die in See sind, ist grundverkehrt. Von ausschlaggebender Bedeutung ist nur die Versenkungsziffer. Das habe ich im Reichstag eingehend erläutert. Wenn einzelnen Herren die fremde Materie nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, so ist das nicht meine Schuld. Wir haben uns festgelegt auf 600 Tonnen Versenkung und sind im Februar auf 750 0900 Tonnen und in den nächsten Monaten durchschnittlich auf 900 000 Tonnen ge⸗ kommen. Wie kann man da behaupten, ich hätte den Reichstag ge—⸗ täuscht. Ich hoffe, daß Dr. Struve diesen harten Vorwurf zurück nehmen wird. ⸗ Kapitän Brüninghaus: Dr. Struve hat nicht nur den Staatssekretär von Gapelle, sondern auch mich bezichtigt, dem Reichstag falsche Angaben hinsichtlich der im Bau befindlichen U⸗Boote gemacht zu haben. Er hat diese Behauptung nicht nur hier aufgestellt, sondern, dem Ergebnis des Unterausschusses vorgreifend, auch in seiner Partei⸗ korrespondenz diese Ansicht vertreten. Als am 3. Juli 1918 diese An—=
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z 1
gelegenheit in der Kommissionssitzung zur Sprache kam, vertrat ich den Ghef des U⸗Boot-Amts. Die Kommission war auf Wunsch den
legen und erbitte den Schutz des Gerichts dagegen, daß ein Herr
d. J. dem nachstehenden Entwurf einer Verordnung über
fertschrittlichen Volkspartei zusammengekreien, sie sollte prüfen, ob für
die Werften irgendwelche Verbesserungen durch Arbeitergestellung üsw.
möglich sei, um eine größere Anzahl von U-Booten schleunigst her⸗
e . Ich habe damals die Auskunft gegeben, daß 479 Boote im au seien. „In Bau geben“ ist ein terminus technjeus, der gleich bedeutend ist mit in Bestellung geben. Herr Stxupe nannte uns laienhaft, da wir nicht wußten, daß, wenn ein U-Boot in Auftrag gegeben werde, es noch nicht auf Stapel liege. Theorelisch wie praktisch liege es aber so, daß ein in Auftrag gegebenes U-Boot tatsächlich inner⸗ halb von 24 Stunden sich in Bau befindet. Der Apparat ist so, daß sofort die Unteraufträge an die zahlreichen Maschinen, und sonstige
Baufirmen gegehen werden, von denen z. B. mehr als tausend Unter— liferanten in Süddeutschland für den U⸗Bootbau tätig waren. Meine Angabe, daß 479 Boote in Bau gegeben seien, entsprach durch— aus den Tatsachen. Ich wäre auch dumm gewesen, wenn ich einer Kommission gegenüber, die ausdrücklich prüfen follte, ob nicht die Werften mehr schaffen könnten, unrichtige Angaben gemacht hätte. Ich hätte geglaubt, daß Herr Strupe mir ein größeres Maß von Intelligenz zugetraut hätte. Zum mindesten hätte Herr Struve, nachdem später der Chef des U⸗Boot⸗Amtes die gleichen Angaben gmeacht halte, mit seinem Urteil vorsichtiger sein sollen. Ich stelle hier in der Oeffent— lichkeit fest, daß die Beschuldigung, ich hätte die Kommission fälschlich unterrichtet, auf deutsch, ich hätte sie belogen, eine unbaltbare Auf— fassung des Herrn Dr. Struve ist.
Kapitän Bartenbach; Tatsächsich besaß die Marine bei Be⸗ ginn des U⸗Root⸗Krieges 1594 U-Boote, das ist etwa das Doppelte von 1916. Di. Struve sagte. der Staatssekretär habe eine irre— führende Aufstellung gegeben, wenn er angegeben habe, daß 40 oder O z der Boote an der Arbelt am Feind sein müsse. Wenn man diefen Prozentsatz von 40 35, einsetzt, so hätten damals tatsächlich bei der durchschnittlich vorhandenen ahh von 127 Booten während des ganzen U⸗Boot-⸗Krieges etwa 50 ständig an der Arbeit sein müssen. Tat— sächlich sind im Durchschnitt in den 18 Monaten des unbeschränkten U-Boot -⸗Krieges an der Arbeit gewesen 17 Boote. Die Schätzung Tes Staatssekretärs ist also außerordentlich genau gewesen. Üeberdies bandelte es sich beim Beginm des, unbeschränkten HÜ-⸗Boot-Krisges Februar 1917 nicht um einen für die Marine vollkommen neuen Kriegsabschnitt. Der Plan eng dahin, einen gehörigen Aderlaß dem Wintschafts leben Englands zuzuführen. England sollte die Lust, jah re= lang Krieg zu führen, vergällt werden, wir wollten Enalankb zeigen, wie die uns zugghachte Enidrösselung ihm selber bekomme. Die neu— zue laufenden U-Boote unterschieden sich durch nichts von den früheren, sie hatten nur andere Verhaltungsvorschriften an Bord. Zu beachten ist noch, daß beim Auslaufen der ersten Schiffe im Januar und Februar außerordentlich schwierige Eisverhältnisse in Ter Nordic bestanden.
Abg. Dr. Struwe weist darauf hin, deßß Kapitän Bartenbach nach dem Tiwpitzbuche im Jahre 1918 erklärt habe, die Bautätigkeit der Marine sei von der Front viel schärfer verurteikt worden als von Dr. Struve.
Kapitän Brüpinghaus stellt fest, daß Anfang 1918 in einer Sachverständigenkonferenz Dr. Struve auch im Namen des Abge— ordneten Gothein, dem Leiter des U⸗Bootsamtes seinen Dank gus— gesprochen habe, Der Redner wendet sich dann gegen einzelne Be— merkungen dos Ahg. Dr, Struve. Er erklärt, er sei auch auf Den Werften sachverständig. Er habs sich nicht hoch⸗ und landerverräterischer⸗ weise Material zutragen lassen, sondern sein Material aus Kreisen erhalten, die einwandfrei sind. (Unruhe)
Vorsf, Warmuth: Für den Ausschkuß ist nun die U-⸗Bootsfrage nach der technischen Seite hin erledigt.
Es folgen persönliche Bemerkungen.
ö Gothejn: Dr. Struve sprach den Dank aus, weil erst unter Ritter von Mann alles ausgeführt wurde, was wir verlangt hatten, leider zu spät. .
Abg. Dr. Struwe: Ich muß aufs schärfste Vemrahrung ein—
Brüninghaus noch heute es fertig bekommt, solche A ngriffe zu erheben. Vors. Warmuth (unterbrechen) Das geht nicht, wir sind hier nicht im Parlament, wo ein freies Wort gestattet ist. Der Aus= schuß hat starke Aehnlichkeit mit einem Gerichtshof; es müsfen daber auch die Formen gewahrt werden, die vor Gericht üblich sind. Die persönlichen Spitzen müssen unterbleiben.
Abg. Dr. Struve; Ich weise den ungeheuren Vorwurf, daß mir in landes⸗ und hochberräterischer Weise Material zugetragen worden wäre, mit aller Entschiedenheit zurück. Ich hatte geglaubt, Daß diese Aeußerung in irgendeiner Weise zunückgewiesen wrden würde. Ich habe Herrn Brüninghaus persönlich keinerkei Vowwüärfe gemacht, sondern mich nur gegen das Reichsmarineamt gewendet. Melne Be— n . daß tatsächlich 9 Boote nicht im Bau gewesen sind, bleibt
estehen.
Kapitän Brün ing haus: Ich habe nur festgestellt daß die Informationen, die Abgeordneter Dr. Struve während des Krieqes kekommen hat, die allergeheimsten Geheimnisse der Marine betrafen und nur von Leuten überbracht werden konnten, die meines Erachtens Landesverrat getrieben haben. In dem Artikel des Abgeordneten Dr. Struve werde ich nicht als Direktor des Etatdepartements ange— griffen, sondern es heißt da, daß über die Tätigkeit does Kapitäns Brüninghaus der Mantel der christlichen Liebe gedeckt werden solle. Abg. Gothein: Das Material, das min zugegangen ist, ist von Herren mir zugestellt worden, die in rein vaterländischem Sinne gehandelt haben, weil sie beim Reichsmarlneamt nicht durch— dringen konnten. Ich habe auch nur in vertraulichen Sitzungen davon Gebrauch gemacht.
Abg. Dr. Struve: Ich habe das Material im Amtszimmer des Dezernenten diesem überreicht, es stammte von besorgten Patrioten und war von A bis Z richtig.
Um 2 Uhr wind die Beratung abgebrochem. Nächste Sitzung Mitt⸗ woch, 10 Uhr (Vernehmung des Staatssekretärs a. D. Dr. Helfferich).
Parlamentarische Nachrichten.
Verordnung über Wuchergerichte. . Der Reichsrat hat in seiner Sitzung vom 8. November
Wuchergerichte zugestimmt. Der Entwurf ist dem zuständigen Ausschuß der Nationalversammlung zur Beschlußfassung zu⸗ gegangen:
Entwurf einer Vererdnung über Sondergerichte gegen Schleichhandel und Preistreiberei (Wucher⸗ ö gerichte).
Auf Grund des Gesetzes über die vereinfachte Form Ter Gesetz en für die Zwecke der Ubergangswärtschaft vom 17. April 1919 Reichs⸗Gesetzhl. S. 394) wird von der Reichsregierung mit 8 stimmung des Reichsrats und des bon der verfassunggebenden Deutschen Nationalbersamm ung gewählten Ausschusses folgendes verordnet:
Artikel I.
J Für den Benrk eines jeden Landgerichts wird ein Wuchergericht zur schleunigen Aburteilung folgender Straftaten emingesetzt:
I) der Verbrechen und Vergehen wider die Verordnung gegen den Schleichhandel vom J. März 1918 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 11) in der Fassung des Artikels 1 8 1 ieser Verordnung, 2) der Verbrechen und Vergehen wider die ordnung gegen Preistreibetei vom 8. Mai 1918 (Reichs Gesekbl. S. 395) und der Vergehen gegen sonstige Varschriften, welche die
Ueberschreitung von Höckstpreisen ,, bedrohen.,
4) der Vergehen gegen S5 der Verordnung zur Fernhaltung un— zuperlässiger Personen vom Handel vom 23. September 1915 Reichs- Gesetzel. S. 603) in der Fassung des Artikels II Nr. Z dieser Verordnung. Des Wuchergericht ist ferner zuständia für andere Strafterten, inebesondere Bestechungen und Zuwiderhandlungen gegen Vorschtiften über die öffentliche Bewirtschaftung von Gegenständen, soweit sie in der Absicht begangen sind, eine im Abs. 1 bezeichnete Straftat vor— zubereiten oder zu fördern oder den Täter zu begünstigen. Daß dieselbe Handlung noch ein anderes Strafgesetz verletzt, steht der Zuständigkeit des Wuchergerichts nicht entgegen.
S8 2.
Die Staatsanwaltschaft soll nur solche Strafsachen vor die Wuchergerichte bringen, die sich zu einer schleunigen Aburteilung eignen. Bevor der Staatsanwalt das Verfahren wegen einer Straftat der im § 1 Abs. 1 bezeichneten Art einstellt, soll er der Behörde oder Bewirtschaftungsstelle Gelegenheit zur Aeußerung geben, die den Ver— kehr mit dem Gegenstande zu überwachen hat, auf den sich die strafdare Hand lung bezieht.
Die Wuckergerichte werden Kei den Landgerichten errichtet.
. Die Kandesjustizverwaltung kann bestimmen, daß für den Bezirk eines Landgerichts mehrere Wuchergerichte crer daß für den Bezirk mehrerer Landgerichte ein oder mehrere Rmeinschaftlicke Wuchergerichte errid'itet werden. ;
Wird nach Abs. 2 ein Wuchergericht an einem Orte errichtet, wo kein Landgericht ist, so wird es dem Amtsgericht angegliedert.
S ⸗ § 4. . Das Wuchergerickt ist in der Hauptoerhand lung /mit drei Richtern inschließlich des Vorsitzenden und mit zwei Schöffen besetzt. Außer—
ichtern.
Den, Vorsitzenden des Wuchergerichts und seinen Stellvertreter so—⸗ wie die übrigen richterlichen Mitglieder und deren Stellvertreter be— stimmt die Lamesjustizwerwaltung oder mit deren Ermäcktigung der Präsident des Oberlandesgerichts oder des Landgerichts.
Ven den Schöffen soll der eine dem Kreise der Verbraucher, der andere dem Kreise der Erzeuger und Handeltreibenden angehören.
85
Auf das Verfahren vor den Wuckergerichten finden die Vor⸗ cri en der Strafprozeßordnung Anwendung, scweit nicht in dieser Verordnung oder auf Grund dieser Verordnung ein znEeres bestimmt ist.
87.
Bei dringendem Verdacht einer Straftat der im S 1 Abs. 1, 2 bezeichneten Art darf im Verfahren vor den Wuchergerichten und vor den ordentlichen Gerichten der Beschuldigte wegen Fluchtverdachts in Untersuchungs haft genommen werden, ohne daß der Verdacht der Flucht einer weiteren Begründung bedarf.
588.
Die öffentliche Klage wird dadurch erhoben, daß der Staatsanwalt bei dem Vorsitzenden des Wuchergerichts die Anberaumung der Haupt⸗ verhandlung beantragt. Eine Eröffnung des Haupterfahrens findet nicht statt.
Ist ein amtsrichterlicher Strafbefehl vorausgegangen und gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt worden, so kann der Staatsanwalt die Zuständigkeit des Wucherge richts zur Verhandlung und Entscheidung über den Einspruch dadurch begründen, daß er bei dem Vorsitzenden des Wuchergerichts die Anberaumung der Hauptverhandlung über den Einspruch beantragt. Für das Verfahren nach vorangegangener poli— zeilicher Strafverfügung gilt dies entsprechend.
Die Ladungsfrist C 2185 der Strasprozeßordnung) beträgt drei Tage.
8 *
Im Verfahren vor dem Wuchergericht ist die Verteidigung not⸗ wendig, wenn der Angeklagte taub oder stumm ist oder das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet.
In anderen Fällen kann der Vorsitzende des Wuchergerichts dem Beschuldigten auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger bestellen. Ein Verteidiger soll insbesondere bestellt werden, wenn der Beschuldigte nach seinem Bildungsgrad oder deswegen, weil er nicht auf freiem Fuße ist, oder wegen der Schwierigkeit der Sache der eigenen Wahrnehmung seiner Rechte nicht gewachsen erscheint.
§ 10. Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Wuchergericht nach freiem Ermessen. 264
Mit Zustimmung des Staatsanwalts und des Angeklagten kann das Wuchergericht auch dann verhandeln und entscheiden, wenn sich in der Hauptverhandlung herausstellt, daß die Zuständigkeit des Wuchergerichts nach § 1 nicht gegeben ist.
§ 12.
Stellt sich heraus, daß sich die Sache nicht zur schleunigen Ab⸗— urteilung eignet, so hat das Wuchergericht die Sache an das ordent⸗ liche Gericht zu verweisen; auf Antrag des Staatsanwalts ist die Sache an das Schöffengericht zu verweisen, wenn sie zwar an sich zur Zuständigkeit der Strafkammer gehört, der Staatsanwalt aber däe Zuständigkeit des Schöffengerichts hätte begründen können.
813. Gegen die Entscheidungen des Wuchergerichts findet kein Rechts⸗ mittel statt . Aeber Beschwerden gegen Entscheidungen des Voisitzenden ent⸗— scheidet das Wuchetgericht endgültig. .
- 5 14.
Aeber Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidet die Strafkammer.
Die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten findet auch dann statt, wenn Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, doe es notwendig erscheinen lassen, die Sache im ordentlichen Verfahren nach r . Die Vorschrift des 5 403 der Strasprozeßordnung bleibt unberührt.
Die erneute Hauptverhandlung findet wor der Strafkammer statt. Auf Antrag des Staatsanwalts ist die Sache zur neuerlichen Ver⸗= handlung vor das Schöffengericht zu verweisen, wenn nach den Vor. schriften deß Ge re, ,,, e die Sache zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehört oder der Staatsanwalt für sie die Zu⸗ ständigkeit des Schöffengerschts hätte begründen können.
8 15. . Die näheren Vorschriften über die Bildung der Wuchergerichte und über das Verfahren erläßt der Reichsminister der Justiz.
Artikel II. §1.
Im § 1 der . gegen den Schleichhandel vom J. März 1918 (Reichs ⸗Gesetzbl. S. 112) erhält der Abf. 1 folgende Fassung: Wer Gegenstände, für die Höchstpreise festgesetzt sind oder die sonst einer Verkehrsregelung unterliegen, unter vorsätzlicher Verletzung der zur Regelung ergangenen Vorschriften oder unter Verleltung eines anderen zur Verletzung dieser Vorschriften oder unter Ausnutzung der von einem anderen begangenen Ver— letzung dieser Vorschriften zum Zwecke der Weiterveräußerung mit Gewinn erwirbt oder wer sich zu solchem Erwerb erbietet, wird wegen Schleichhandels mit Gefängnis bestraft. Daneben ist auf Geldstrafe bis zu fünfhunderttaufend Mark zu erkennen.
. ö In Hesonders schweren Fällen des Sthleichhandels und der bor . Preigtreiberei ( 1' der Verordnung gegen den Schleichhandel, 1bs., 155 4 Abs. 1 der Verordnung gegen Preistreiberei) ist die
3) der Verbrechen und Vergehen nach Artikel II S§ E, 3 die ser Verordnung . .
Strafe Zuchthaus bi zu fü , 16 hunderttausend ö. ö ehren 1 strafe bis zu fünf
Neben der Strafe ist auf Verlust der bürgerlichem Ehrenrechte zu erkennen Und anzuordnen, daß die Verurteilung auf Kosten des Schul digen öffentlich bekanntzumachen ist.
Eine Verurteilung nach Abs. 1 gilt, wenn sie wegen Schleick⸗ handels erfolgt, als Vorbestrafung im Sinne des 8 2 der Verordnung gegen den Schleichhandel, wenn sie wegen vorsätzlicher Preistreibere erfolgt, als Vorbestrafung im Sinne des 8 5 der Verordnung gegen Preistreiberei.
§8 3
Wer es unternimmt, Gegenstände, die der Reickswirtschafts⸗ ministzr als lebenswichtig bezeichnet hat, ohne die erferderlicke Geneh⸗ migung aus dem Reichsgebiet auszuführen, werd mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, bei mildernden Umständen mt Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahnen.
Neben der Freiheitsstrafe ist auf Geldstrafe bis zu fünfhundert tausend Mark zu erkennen. ;
Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Neben Zuchthaus ist darauf zu erkennen.
Ist dis Zuwiderhandlung fahrlässig begangen, so ist auf Gefäng⸗ nis bis zu einem Jahre und auf Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder auf eine dieser Strafen zu erkennen.
Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände erkannt werden, cuf die sich die strafbare Handlung bezieht, ohne Unterschled, ob sie dem Täter gehören oder nicht.
Auch kann neben der Strafe ein Betrag eingezogen werden, der dem durch die strafbare Handlung erzielten Gewinn entspricht. Auf die Einziehung finden die Vorschriften der S§ 7, 9 bis 13 der Verord⸗ nung gegen Preistreiberei vom 8. Mai 1918 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 395) entsprechende Anwendung. ö
Neben der Strafe ast in den Fällen des Abs. L anzuordnen, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzu⸗ machen äst; in den Fällen des Abs. 4 kann dies angeordnet werden. Die Art der Bekanntmachung wird im Urteil bestimmt; die Bekannt⸗ machung kann auch durch Anschlag an oder in dem Geschäftsraum des Verurteilten erfolgen.
Artikel III.
Die Verordnung zur Fernhaltung unzuvperlässiger Personen vom Handel vom 23. September 1915 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 603) wird ge⸗ ändert, wie folgt: ;.
1. Als S5 4a und 4b werden folgende Vorschriften eingestellt:
§ 4a.
Wird ein Handeltreibender vom Wuchergerichte wegen einer Straftat verurteilt, die seine Unzuverlässigkeit in bezug auf den Handelsbetrieb dartut, so kann ihm das Wuchergericht im Ur⸗ teil den Handel mit den im § 1 bezeichneten Gegenständen untersagen. :
Vorläufig kann das Wuchergericht die Anordnung durch Beschluß treffen.
Die Wiederaafnahme des Handelsbetriebes kann, wenn seit dem Urteil mindestens drei Monate verflossen sind, die zu⸗ ständige Verwaltungsbehörde gestatten.
§ 4D.
Ist nach 8§ 1, 3, 4a dieser Verordnung oder nach anderen während des Krieges oder der Uebergangszeit erlassenen Vor⸗ schriften jemandem der Handel untersagt oder die erforderliche Erlaubnis zum Handel nicht erteilt oder ist die Erlaubnis zu⸗ rückgenommen worden, so ist jedes hiernach unzulässige Geschäft nichtig, gleichniel ob die Person, welcher der Handel untersagt ist oder die Erlaubnis zum Handel fehlt, das Geschäft selbst oder durch eine vorgeschobene Person abschließt.
Der § 5 erhält folgende Fassung:
Mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zu einhundert tausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft:
1) wer selbst oder durch eine vorgeschobene Person oder als vorgeschobene Person einen Handel betreibt, obwohl der
Handelsbetrieb nach den im 8 4 bezeichneten Vorschriften
unzulässig ist
2) wer zu . mit einer der in Nr. 1L bezeichneten Personen ein Geschäft abschließt, obwohl er weiß, daß das KWeschäft nach den im § b genannten Vorschriften Unzu⸗
*
.
nung gegen Preistreibekei vom 8. Mai 1918 Reichs-⸗Gesetzbl. S. 393) entsprechende Anwendung.
Artikel 1V.
Die Vorscheiften über die Wuchergerichte (Artikel I treten am 1 Dexmber 1919, die übrigen Vorschriften Artikel 11, III) mit der Verkündung dieser Verordnung in Kraft.
Mit der Verkündung dieser Verordnung treten außer Kraft:
I) 8 & der Verom nung über den Handel mit Lebens- und Futter⸗ mitteln dom 24. Juni 1916 in der Fassung der Bekannt⸗ machung vem 16. Juli 1917 (Reichs⸗Gesetzbl. 1916 S. 581, Hit; 1917 S. 625);
2) F 8 der Verordnung über den Handel mit Arzneimitteln vom 22. März 1917 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 270;
3) 5 15 Nr. 2? der Verordnung Über Gemüse, Obst und Süd—⸗ früchte vom 3. April 1917 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 307;
4 8 9 der Verordnung über den Handel mit Tabakwaren vom 283. Juni 1917 (Reichs⸗Gesetzb. S. 563;
5) Sz S. Nr. 2 der Verordnung über Wein vom 31. August 1917 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 751);
6) die Verordnung über Zuwsderhandlungen gegen Ausfuhr verbote für Getreid. und Getreideerzeugnisse vom 28. August 1919 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 1493!.
Im 5§z 15 Abs. 2 der Verordnung über Gemüse, Obst und Süd⸗ früchte vom 3. April 1917 in der Fassung der Verordnung vom 238. Juli 1919 (Reichs⸗Gesetzbl. 1917 S. 307; 1919 S. 1358) wird die Ver⸗ weisung „Nrn. 2, 5 durch die Verweisung „Nr. 5 ersetzt.
Im 8 6 Abs. I der Verordnung über den Verkehr mit Opium vom 15. Delember 1918 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 1447 wird die Ver⸗ wen n S 2 Abs. 1 gestrichen. ; ͤ
owejt in anderen Vorschrift'n auf eine nach Abs. 2 bis 4 auf
gehobene Vorschrift vemiesen ist, tritt an deren Stelle die Vorschrift dieser Verordnung, durch welche die aufgehobene Vorschrift ersetzt ward.
Artikel v. . Die Reichsregierung bestimmt mit Zustimmung des Reichsrats,
wann und in welchem Umfang die Verordnung außer Kraft tritt. Sie trifft die erforderlichen Uebergangsbestimmungen.
Mannigfaltiges.
In den gerä im gen Sälen der Berliner Börse fand gestern abend . große ö, der Reich svereinigung i . l 169 e J 1 h g 86 . e fa ö * * , Be⸗ teiligung von Angehörigen der noch efangen machtenden e Brüder e Dle Leitung lag nach dem Bericht bes
W. T. B. in den Händen deg Dr. Röoscher und des
65 2.
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